Entscheidungsdatum
25.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W164 2175370-1/13E
W164 2175372-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, zum Zeitpunkt der Beschwerde vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.10.2017, Zl. 1076608906/171140622/BMI-BFA_STM_AST_01 zu Recht erkannt:
A)
1. Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG stattgegeben. Die Spruchpunkte I., III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
2. In Erledigung der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dem Antrag vom 16.08.2017 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung des XXXX , geb. XXXX , als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der am XXXX geborene Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und bekennt sich zum sunnitischen Glauben. Er stellte am 05.07.2015 nach illegaler Einreise einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 11.10.2016 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eine Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF gleichzeitig gemäß § 8 Abs. 1 AsylG den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 11.10.2017 (Spruchpunkt III.).
In der Bescheidbegründung traf die belangte Behörde Feststellungen zur Person des BF, zu den Gründen für das Verlassen seines Herkunftsstaates sowie zur Lage in seinem Herkunftsstaat. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im Wesentlichen damit begründet, dass der BF – er hatte Afghanistan bereits als Kleinkind mit seiner Familie verlassen und war im Iran aufgewachsen, hat keine Schule besucht und hatte zwei Jahre im Iran als Verkäufer gearbeitet, ehe er nach Europa ausreiste - keine Schulbildung habe und in Afghanistan über keinerlei soziale oder familiäre Netzwerke verfüge. Aufgrund der vorherrschenden Versorgungslage und der allgemeinen Lebensbedingungen in Afghanistan sei davon auszugehen, dass die Verwirklichung grundlegender sozialer und wirtschaftlicher Bedürfnisse, wie etwa der Zugang zu Arbeit, Nahrung, Wohnraum und Gesundheitsversorgung häufig nur sehr eingeschränkt möglich wäre. Die soziale Absicherung liege traditionell bei den Familien und Stammesverbänden. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren, würden auf größere Schwierigkeiten stoßen als Rückkehrer, die in Familienverbänden geflüchtet sind oder in einen solchen zurückkehren. Afghanen, die außerhalb des Familienverbandes oder nach einer längeren Abwesenheit im westlich geprägten Ausland zurückkehren würde das notwendige soziale oder familiäre Netzwerk fehlen, ferner hätten sie nicht die erforderlichen Kenntnisse über die örtlichen Verhältnisse. Unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des BF und im Hinblick auf die allgemeine schlechte Versorgungslage in Afghanistan würde auch eine innerstaatliche Schutzalternative nicht zur Verfügung stehen. Die belangte Behörde ging daher davon aus, dass der BF durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.
3. Am 16.08.2017 beantragte der BF die Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.
4. Am 06.10.2017 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor der belangten Behörde zur Prüfung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberichtigung bzw. zur Prüfung der Einleitung eines Aberkennungsverfahrens statt. Der BF gab an, dass sich seine Familie weiterhin im Iran aufhalte und er in Afghanistan zwei Freunde, aber keine Angehörigen habe. Eine Schwester des BF und ihr Mann sowie ein Onkel würden sich in Österreich aufhalten. Im April 2017 habe der BF seine Familie für einen Monat im Iran besucht. In Österreich bestreite der BF seinen Lebensunterhalt durch Leistungen des Sozialamtes und der XXXX . Der BF besuche Kurse und plane, nach deren Absolvierung eine Arbeit zu suchen. Der BF legte ein positives Prüfungszeugnis des ÖIF über DeutschA1 nach GER, ferner Teilnahmebestätigungen betreffend einen Werte- und Orientierungskurs, einen Alphabetisierungskurs, eine vom AMS geförderte Kursmaßnahme „Kompetenzcheck berufliche Integration für junge Männer“ und einen Lebenslauf vor. In der Folge wurde ein Prüfungszeugnis des ÖSD über Deutsch A2 nach GER nachgereicht.
5. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 09.10.2017 erkannte die belangte Behörde dem BF den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.). Die dem BF mit Bescheid vom 11.10.2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter wurde ihm gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II). Dem BF wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und es wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten begründete die belangte Behörde damit, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Der BF sei nun volljährig und habe Berufserfahrung als Verkäufer. Zudem habe er sich in Österreich Kenntnisse der deutschen Sprache aneignen können. Die Städte Kabul, Herat und Mazar e-Sharif seien relativ sicher, eine Rückkehrgefährdung liege daher nicht vor. Der BF sei gesund und arbeitsfähig und könne von seiner im Iran lebenden Familie finanzielle Unterstützung erwarten. Auch habe der BF Freunde in Afghanistan, mit denen er in Kontakt stehe. Als volljähriger, gesunder, arbeitsfähiger alleinstehender Mann sei der BF in Bezug auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, Herat oder Mazar e-Sharif nun in einer anderen Lage, als zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung vom 11.10.2016. Es müsse nicht davon ausgegangen werden, dass der BF im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan im gesamten Herkunftsstaat unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder eine im gesamten Herkunftsstaat vorliegende extreme Gefährdungslage zu erwarten hätte. Es könne daher angenommen werden, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan in keine lebensbedrohliche Notlage geraten würde.
Hinsichtlich der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK wurde ausgeführt, dass der BF in Österreich zwar über Angehörige verfüge, jedoch würde keinerlei Abhängigkeit bestehen und der BF würde zu seinen Verwandten in getrennten Haushalten leben. Eine besondere Integrationsverfestigung sei nicht erkennbar, weshalb der BF über kein schützenswertes Privat- und Familienleben verfüge, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstehe.
6. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und brachte vor, dass ihm entgegen der Ansicht der belangten Behörde eine Rückkehr nach Afghanistan nicht zumutbar sei. Die Gründe, die in seinem Fall zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes und zur Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung geführt hätten, hätten sich im Wesentlichen nicht geändert. Der BF habe seine Heimat Afghanistan als Baby verlassen und sei seitdem nie wieder zurückgekehrt. Er habe im Iran keine Schulbildung genossen und nur zwei Monate als Verkäufer gearbeitet. Bis zu seiner Flucht nach Europa habe er mit seiner Familie im Iran gewohnt, in Afghanistan verfüge er über keine familiären Anknüpfungspunkte. Auch eine finanzielle Unterstützung durch seine im Iran lebende Familie könne angesichts deren eigener finanzieller Situation nicht vorausgesetzt werden. Zudem könne auch nicht angenommen werden, dass Städte wie Kabul, Herat oder Mazar e-Sharif sicher wären. Die Sicherheitslage habe sich im gesamten Land verschärft. Hinzu komme, dass der BF als Rückkehrer aus Europa besonders gefährdet wäre.
Dem BF wäre zudem zu Gute zu halten, dass er sich um einen legalen Aufenthalt in Österreich bemühe, Integrationswillen zeige, indem er an diversen Deutschkursen teilnehme und Sport mache. Der BF bemühe sich, seine Sprachkenntnisse zu verbessern, da er eine Lehre als Maler abschließen möchte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der am XXXX in Afghanistan geborene BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zum sunnitischen Glauben. Seine Muttersprache ist Dari. Er wurde in Afghanistan, Provinz Kapisa geboren und übersiedelte im Alter von etwa einem Jahr mit seinen Eltern in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Im Iran hat der BF keine Schule besucht und insgesamt zwei Jahre lang in einem Lebensmittelgeschäft als Verkäufer gearbeitet. Der BF war zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich (05.07.2015) minderjährig. Seit 15.03.2016 ist er volljährig. Der BF ist gesund, kinderlos, arbeitsfähig und befindet sich im erwerbsfähigen Alter.
In Österreich hat der BF die Prüfung ÖSK Zertifikat A2 bestanden (27.09.2017), an einem Werte- und Orientierungskurs (04.08.2017) und an Sprachkursen u.a. Deutsch B1 (02.10.2017 bis 22.12.2017) teilgenommen. Er war ferner in Österreich von 04.02.2019 bis 08.02.2019 bei der XXXX GmbH, Wien, von 01.04.2019 bis 31.08.2019 bei der XXXX gemeinnützige GmbH, Wien, von 02.09.2019 bis 03.09.2019 bei der XXXX AG, von 14.05.2020 bis 18.09.2020 bei der XXXX Personaldienstleistung GmbH & Co KG (Nachtschicht/Schwerarbeit) und von 15.09.2020 bis 21.12.2020 bei der XXXX Bau GmbH, vollversicherungspflichtig beschäftigt; seit 11.01.2021 bis laufend ist der BF bei der XXXX Bau GmbH durchgehend vollversicherungspflichtig beschäftigt. Der BF ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
Zur Lage im Herkunftsstaat:
Quelle: Sonderkurzinformation der Staatendokumentation zur aktuellen Lage in Afghanistan vom 17.08.2021
Der afghanische Präsident Ashraf Ghani ist angesichts des Vormarsches der Taliban auf Kabul außer Landes geflohen. Laut al-Jazeera soll das Ziel Taschkent in Usbekistan sein. Inzwischen haben die Taliban die Kontrolle über den Präsidentenpalast in Kabul übernommen. Suhail Schahin, ein Unterhändler der Taliban bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, versicherte den Menschen in Kabul eine friedliche Machtübernahme und keine Racheakte an irgendjemanden zu begehen (tagesschau.de 15.8.2021).
Am 15.08.21 haben die Taliban mit der größtenteils friedlichen Einnahme Kabuls und der Besetzung der Regierungsgebäude und aller Checkpoints in der Stadt den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Man wünsche sich friedliche Beziehungen mit der internationalen Gemeinschaft. Die erste Nacht unter der Herrschaft der Taliban im Land sei ruhig verlaufen. Chaotische Szenen hätten sich nur am Flughafen in Kabul abgespielt, von welchem sowohl diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Den Taliban war es zuvor gelungen, innerhalb kürzester Zeit fast alle Provinzen sowie alle strategisch wichtigen Provinzhauptstädte wie z.B. Kandahar, Herat, Mazar-e Sharif, Jalalabad und Kunduz einzunehmen. In einigen der Städte seien Gefängnisse gestürmt und Insassen befreit worden (BAMF 16.8.2021; vgl. bbc.com o.D., orf.at 16.8.2021).
Die Taliban zeigten sich am Sonntag gegenüber dem Ausland unerwartet diplomatisch. „Der Krieg im Land ist vorbei“, sagte Taliban-Sprecher Mohammed Naim am Sonntagabend dem Sender al-Jazeera. Bald werde klar sein, wie das Land künftig regiert werde. Rechte von Frauen und Minderheiten sowie die Meinungsfreiheit würden respektiert, wenn sie der Scharia entsprächen. Man werde sich nicht in Dinge anderer einmischen und Einmischung in eigene Angelegenheiten nicht zulassen (orf.at 16.8.2021a).
Schätzungen zufolge wurden seit Anfang 2021 über 550.000 Afghanen durch den Konflikt innerhalb des Landes vertrieben, darunter 126.000 neue Binnenvertriebene zwischen dem 7. Juli 2021 und dem 9. August 2021. Es gibt zwar noch keine genauen Zahlen über die Zahl der Afghanen, die aufgrund der Feindseligkeiten und Menschenrechtsverletzungen aus dem Land geflohen sind, es deuten aber Quellen darauf hin, dass Zehntausende von Afghanen in den letzten Wochen internationale Grenzen überquert haben (UNHCR 8.2021).
Der Iran richtete angesichts des Eroberungszugs der militant-islamistischen Taliban im Nachbarland Pufferzonen für Geflüchtete aus dem Krisenstaat ein. Die drei Pufferzonen an den Grenzübergängen im Nord- sowie Südosten des Landes sollen afghanischen Geflüchteten vorerst Schutz und Sicherheit bieten. Indes schloss Pakistan am Sonntag einen wichtigen Grenzübergang zu seinem Nachbarland. Innenminister Sheikh Rashid verkündete die Schließung des Grenzübergangs Torkham im Nordwesten Pakistans am Sonntag, ohne einen Termin für die Wiedereröffnung zu nennen. Tausende Menschen säßen auf beiden Seiten der Grenze fest (orf.at 16.8.2021b).
Mittlerweile baut die Türkei an der Grenze zum Iran weiter an einer Mauer. Damit will die Türkei die erwartete Ankunft von afghanischen Flüchtlingen verhindern (Die Presse 17.8.2021).
Medienberichten zufolge haben die Taliban in Afghanistan Checkpoints im Land errichtet und sie kontrollieren auch die internationalen Grenzübergänge (bisherige Ausnahme: Flughafen Kabul). Seit Besetzung der strategischen Stadt Jalalabad durch die Taliban, wurde eine Fluchtbewegung in den Osten (Richtung Pakistan) deutlich erschwert. Die Wahrscheinlichkeit, dass Afghanen aus dem westlichen Teil des Landes oder aus Kabul nach Pakistan gelangen ist gegenwärtig eher gering einzuschätzen. Es ist naheliegender, dass Fluchtrouten ins Ausland über den Iran verlaufen. Es ist jedoch auch denkbar, dass die mehrheitlich sunnitische Bevölkerung Afghanistans (statt einer Route über den schiitisch dominierten Iran) stattdessen die nördliche, alternative Route über Tadschikistan oder auch Turkmenistan wählt. Bereits vor zwei Monaten kam es laut EU-Kollegen zu einem Anstieg von Ankünften afghanischer Staatsbürger in die Türkei. Insofern ist davon auszugehen, dass eine erste Migrationsbewegung bereits stattgefunden hat. Pakistan gibt laut Medienberichten an, dass der Grenzzaun an der afghanisch-pakistanischen Grenze halte (laut offiziellen Angaben sind etwa 90 Prozent fertiggestellt) (VB 17.8.2021). Laut Treffen mit Frontex, kann zur Türkei derzeit noch keine Veränderung der Migrationsströme festgestellt werden. Es finden täglich nach Schätzungen ca. max. 500 Personen ihren Weg (geschleust) vom Iran in die Türkei. Dies ist aber keine außergewöhnlich hohe Zahl, sondern eher der Durchschnitt. Der Ausbau der Sicherung der Grenze zum Iran mit Mauer und Türmen schreitet immer weiter voran, und nach einstimmiger Meinung von Mig VB und anderen Experten kann die Türkei mit ihrem Militär (Hauptverantwortlich für die Grenzsicherung) und Organisationen (Jandarma, DCMM) jederzeit, je nach Bedarf die illegale Einreise von Flüchtlingen aus dem Iran kontrollieren. Die Türkei ist jedoch - was Afghanistan angeht - mit sehr hohem Interesse engagiert. Auch die Türkei möchte keine neunen massiven Flüchtlingsströme über den Iran in die Türkei (VB 17.8.2021a).
IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen. Die Aussetzung der freiwilligen Rückkehr erfolgt bis auf Widerruf (IOM 16.8.2021).
Während die radikalislamischen Taliban ihren Feldzug durch Afghanistan vorantreiben, gehören Frauen und Mädchen zu den am meisten gefährdeten Gruppen. Schon in der letzten Regierungszeit der Taliban (1996–2001) herrschten in Afghanistan extreme patriarchale Strukturen, Misshandlungen, Zwangsverheiratungen sowie strukturelle Gewalt und Hinrichtungen von Frauen. Die Angst vor einer Wiederkehr dieser Gräueltaten ist groß. Eifrig sorgten Kaufleute in Afghanistans Hauptstadt Kabul seit dem Wochenende bereits dafür, Plakate, die unverschleierte Frauen zeigten, aus ihren Schaufenstern zu entfernen oder zu übermalen – ein Sinnbild des Gehorsams und der Furcht vor dem Terror der Taliban (orf.at 17.8.2021). (Quellen dieser sonderinformation der Staatendokumentation: • BAMF (16.8.2021): Briefing Notes, per Email; • bbc.com (o.D.): Afghanistan: US takes control of Kabul airport to evacuate staff from countryhttps://www.bbc.com/news/world-asia-58227029, Zugriff 16.8.2021; • Die Presse (17.8.2021): Die Türkei schottet sich mit Mauer gegen Flüchtlinge ab, https://www.diepresse.com/6021855/die-turkei-schottet-sich-mit-mauer-gegen-fluchtlinge-ab, Zugriff 17.8.2021; • IOM (16.8.2021): Aussetzung der Freiwilligen Rückkehr nach Afghanistan, per Email; • orf.at (16.8.2021): Krieg in Afghanistan ist vorbei, https://orf.at/stories/3225020/, Zugriff 16.8.2021; • orf.at (16.8.2021a): Verzweifelte Fluchtversuche aus Kabul, https://orf.at/stories/3225106/, Zugriff 17.8.2021; • orf.at (16.8.2021b): Nachbarländer in großer Unruhe, https://orf.at/stories/3225071/, Zugriff 17.8.2021).
Quelle: UNHCR-POSITION ZUR RÜCKKEHR NACH AFGHANISTAN August 2021:
Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern. UNHCR ist besorgt über die Gefahr von Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern, sowie an Afghan*innen, bei denen die Taliban davon ausgehen, dass sie mit der afghanischen Regierung oder den internationalen Streitkräften in Afghanistan oder mit internationalen Organisationen im Land in Verbindung stehen oder standen. Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021. Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten.
Da die Situation in Afghanistan instabil und unsicher bleibt, fordert UNHCR alle Länder dazu auf, der aus Afghanistan fliehenden Zivilbevölkerung Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu gewähren und die Einhaltung des Non-Refoulement-Grundsatzes durchgehend sicherzustellen. UNHCR weist auf die Notwendigkeit hin zu gewährleisten, dass das Recht, Asyl zu beantragen, nicht eingeschränkt wird, dass Grenzen offengehalten werden und dass Personen, die internationalen Schutzbedarf haben, nicht in Gebiete innerhalb ihres Herkunftslands zurückgedrängt werden, die möglicherweise gefährlich sind. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu berücksichtigen, dass Staaten auch gemäß Völkergewohnheitsrecht verpflichtet sind, die Grenzen für die vor dem Konflikt fliehende Zivilbevölkerung offen zu halten und Flüchtlinge nicht zwangsweise zurückzuführen. Der NonRefoulement-Grundsatz beinhaltet auch die Nicht-Zurückweisung an der Grenze.
Aufgrund der Unbeständigkeit der Situation in Afghanistan hält UNHCR es nicht für angemessen, afghanischen Staatsangehörigen und Personen mit vormaligem gewöhnlichen Aufenthalt in Afghanistan internationalen Schutz mit der Begründung einer internen Flucht- oder Neuansiedlungsperspektive zu verwehren
Quelle: Kurzinformation der Staatendokumentation Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan Stand: 20.8.202:
Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (bbc.com o.D.a) Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (orf.at o.D.a). Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die heute von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (bbc.com o.D.b). Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (orf.at o.D.c). Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (bbc.com o.D.d). Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (zdf.de 18.8.2021). Priorität für die VN hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-SRVerlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (VN 18.8.2021). Exkurs: Die Anführer der Taliban Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen TalibanFührer auch nach außen auf. Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird. Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die TalibanEinsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht. Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der TalibanRegierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an. Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (orf.at o.D.b; vgl. bbc.com o.D.c). Stärke der Taliban-Kampftruppen Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee übergelaufen sind (orf.at o.D.b).
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den Akt der belangten Behörde, durch Einsichtnahme in die im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente und durch Einsichtnahme in einen aktuellen den BF betreffenden Versicherungsdatenauszug des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger, weiters durch Einsichtnahme in die aktuellen Quellen betreffend die allgemeine Lage in Afghanistan.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu A)
Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.
Gemäß § 9 Abs. 1, erster Halbsatz, AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen (Z 1); […]
Im vorliegenden Fall stützt die belangte Behörde ihre nun angefochtene Entscheidung auf § 9 Abs 1 Z 1, zweiter Fall.
Die Heranziehung des Tatbestands des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 setzt voraus, dass sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) geändert hat (vgl. dazu etwa VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353, mwN). Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt allerdings die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht. (VwGH 2019/19/0309 vom 30.4.2020).
Der Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, kann sich auch als Ergebnis unterschiedlicher Entwicklungen von Ereignissen, die sowohl in der Person des Fremden als auch in der in seinem Heimatland gegebenen Situation gelegen sind, darstellen (VwGH Ra 2019/18/0262 vom 29.01.2020).
Eine Durchbrechung der Rechtskraftwirkung einer - subsidiären Schutz zuerkennenden - Entscheidung ist nur dann gerechtfertigt, wenn sich nach Erlassung der Entscheidung der Sachverhalt oder die Rechtsvorschriften wesentlich geändert hat, also eine neue Sache vorliegt, für die die Rechtskraftwirkung der ursprünglichen Entscheidung nicht mehr gilt. Von einer nachträglichen Änderung der Sache ist aber der Fall zu unterscheiden, in dem der Sachverhalt anders rechtlich beurteilt wird oder neue Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die bereits im Zeitpunkt der Erlassung der Entscheidung vorlagen, aber erst später bekannt wurden ("nova reperta"). Die schon vor Erlassung der Entscheidung bestehende Sachlage ist von der Rechtskraft des Bescheides erfasst und bindet Gerichte und Behörden, solange diese Entscheidung dem Rechtsbestand angehört (VwGH Ra 2019/19/0496 vom 09.01.2020).
Eine bloße unterschiedliche Beweiswürdigung eines im Wesentlichen gleichen Vorbringens ohne maßgebliches neues Sachverhaltssubstrat berechtigt für sich genommen nicht zu einer Aberkennung. (VwGH Ra2019/18/0262 vom 29.01.2020 mit Hinweis auf EuGH 23.5.2019, Bilali, C- 720/17, Rn 50).
Nicht jede Änderung des Sachverhalts rechtfertigt die Aberkennung des subsidiären Schutzes. Eine maßgebliche Änderung liegt unter Bedachtnahme auf die unionsrechtlichen Vorgaben von Art. 19 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 16 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie) vielmehr nur dann vor, wenn sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass ein Anspruch auf subsidiären Schutz nicht länger besteht (VwGH Ra 2019/20/0590 vom 18.3.2020).
Bei Hinzutreten von neuen Sachverhaltselementen, die für die Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass die Voraussetzungen des zur Anwendung gebrachten Tatbestandes gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 gegeben sind (VwGH Ra 2019/19/0496 vom 09.01.2020).
Auf die Äußerungen des UNHCR ist nicht nur bei der Prüfung, ob das Begehren auf Zuerkennung auf Asyl berechtigt ist, Bedacht zu nehmen, sondern auch bei der Beurteilung, ob die Rückführung eines Asylwerbers in sein Heimatland zu einem Verstoß gegen Art. 3 MRK führen kann, sofern sich daraus für die Lösung dieser Fragen verwertbare Aussagen ergeben, sowie ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht […] vgl. auch Art. 45 Abs. 2 lit. a Verfahrensrichtlinie (RL 2013/32/EU), wonach die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass im Rahmen des Verfahren zur Aberkennung von internationalen Schutz die zuständige Behörde in der Lage ist, aus verschiedenen Quellen, wie gegebenenfalls vom EASO und dem UNHCR, genaue und aktuelle Informationen über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der betroffenen Personen einzuholen) (VwGH Ra 2019/14/0160 vom 17.09.2019).
Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus:
Die belangte Behörde stützt die von ihr im angefochtenen Bescheid ausgesprochene Aberkennung des subsidiären Schutzes zunächst darauf, dass der BF nun volljährig sei. Dem muss entgegengehalten werden, dass der BF auch zum Zeitpunkt jenes Bescheides vom 10.11.2016, mit dem ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, bereits volljährig war. Die belangte Behörde hatte ihre damalige Entscheidung auch nicht auf das Vorliegen von Minderjährigkeit gestützt. Insoweit ist daher jedenfalls kein geänderter Sachverhalt gegeben.
Die belangte Behörde stützt die von ihr ausgesprochene Aberkennung des subsidiären Schutzes ferner darauf, dass der BF gesund und arbeitsfähig, ferner mit den kulturellen und sprachlichen Gepflogenheiten in seinem Heimatland vertraut sei, über (Anm.: eine im Alter eines Jugendlichen im Iran erworbene) Berufserfahrung als Verkäufer verfüge und im Iran Familie habe, die ihn finanziell unterstützen könne. Auch diese Sachverhaltselemente lagen bereits zum Zeitpunkt des Bescheides vom 10.11.2016 vor. Es ist diesbezüglich keine Änderung des Sachverhaltes eingetreten.
Im Zuge des Beschwerdeverfahrens wurde durch Einsichtnahme in den Versicherungsdatenauszug des BF festgestellt, dass der BF sich mittlerweile in Österreich konsequent und erfolgreich in den österreichischen Arbeitsmarkt integriert hat und auf diesem Weg Berufserfahrung sammeln konnte, somit aktuell über eine im Erwachsenenalter erworbene Berufserfahrung verfügt. Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Änderung des Sachverhaltes erübrigt sich allerdings, dies aus folgenden Gründen:
Wie aus den aktuellen Länderfeststellungen betreffend Afghanistan hervorgeht, hat sich die dortige Sicherheitslage seit 15.August 2021 in einer Weise maßgeblich verschlechtert, dass jedenfalls davon ausgegangen werden muss, dass der BF im Fall seiner Rückkehr Gefahr laufen würde, ernsthaften Schaden zu erleiden bzw. in eine ausweglose Situation zu geraten, die eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde. Dass es sich bei der in Afghanistan bestehenden Entwicklung der Sicherheitslage um eine bloß vorübergehende Erscheinung handeln würde, kann nicht angenommen werden. Die aktuell anzunehmende Gefährdungslage bezieht sich ferner auf ganz Afghanistan. Weder Kabul noch Mazar-e-Sharif, noch Herat können aktuell als innerstaatliche Fluchtalternative iSd § 11 AsylG angenommen werden. Eine Abschiebung des BF in sein Herkunftsland würde somit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 E-MRK bedeuten.
Im Ergebnis ist daher keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts eingetreten, die eine Aberkennung der mit Bescheid vom 16.11.2016 zuerkannten Berechtigung zu subsidiärem Schutz rechtfertigen würde.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage Verlängerung Verschlechterung Volljährigkeit wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W164.2175372.1.00Im RIS seit
20.10.2021Zuletzt aktualisiert am
20.10.2021