Entscheidungsdatum
27.08.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W217 2245484-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Angela SCHIDLOF sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Niederösterreich, vom 01.07.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Frau XXXX (in der Folge: BF) beantragte am 07.04.2021 einlangend beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge belangte Behörde genannt) die Ausstellung eines Behindertenpasses sowie die Eintragung des Zusatzvermerkes „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass und die Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b StVO.
2. In der Folge stellte Frau Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie, in ihrem Gutachten vom 27.05.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung der BF, fest:
„Anamnese:
Multiple Sklerose
Derzeitige Beschwerden:
Die AW kommt im Rollstuhl sitzend in Begleitung des Gatten (steht dann selbstständig aus dem Rollstuhl im Türbereich auf und nimmt frei gehend Platz), sie seien mit dem Auto gekommen. AW beantragt zusätzlich die Vornahme einer Zusatzeintragung (Parkausweis).
Sie leide an der MS seit 30 Jahren. Das Hauptproblem sei das Gehen, das rechte Bein sei schlechter. Nach dem Aufstehen müsse sie ein bißchen stehen bleiben- für ca. 10 Sekunden, da sie ihre Beine nicht spüre. Nach einigen Schritten würden ihre Beine müde werden. Ohne Hilfsmittel könne sie max 10 Meter gehen. In der Wohnung verwende sie einen Rollator, ihre Wohnung sei auch barrierefrei gebaut. Fürs Shoppen oder für Ausflüge baue sie den Rollator in einen Rollstuhl um. Einen Stock hätte sie nicht. Zusätzlich hätte sie Gleichgewichtsprobleme.
Die letzte Physiotherapie hätte sie im Winter 2020 gehabt. Diese hätte keine wesentlichen Effekt gehabt. Eine Reha sei zuletzt vor ca 10 Jahren in der Schweiz durchgeführt worden.
Fachärztlich betreut werde sie durch Frau Dr. XXXX .
Im ADL Bereich sei sie selbstständig.
Es bestehe keine SW, auch kein PG Bezug.
Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:
Behandlungen: keine
Medikamente: Tecfidera 2x1, Rosamib 5/10 mg 1x1, Detrusitol 2 mg 1x1, Oleovit
Hilfsmittel: 2 in 1: Rollator/Rollstuhl
Sozialanamnese:
Verheiratet, wohne mit dem Gatten in einem Einfamilienhaus. Keine Kinder. Beruf: Programmiererin, in Pension
Nik. 0
Alk: Wein 1 Flasche/Woche
Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):
Dr. XXXX , Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, 21.03.2021
Diagnostisch handelt es sich um eine gesicherte schubförmig verlaufende MS seit 1991.
Die Patientin befindet sich seit dem Jahre 2000 in Pension.
Letzte Langzeittherapie: Tecfidera
Aktueller KURTZKE: bei vorliegender spastischer Paraparese rechts, 4,5
Rezidivierende Herpesinfekte sind auch zu eruieren.
Aus neurologischer Sicht ist der Patientin die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar.
Untersuchungsbefund:
Allgemeinzustand:
Gut
Ernährungszustand:
Gut
Größe: 175,00 cm Gewicht: 75,00 kg Blutdruck:
Klinischer Status – Fachstatus:
Neurologischer Status gemäß COVID-19 Regelung:
wach, voll orientiert, kein Meningismus
Caput: HN unauffällig.
OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus unauffällig, Kraft 5/5, Vorhalteversuch der Arme: unauffällig, Finger-Nase-Versuch: keine Ataxie, MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Eudiadochokinese beidseits, Pyramidenzeichen negativ.
UE: Trophik unauffällig, Tonus seitengleich Spur erhöht, keine höhergradigen Paresen, distal Vorfußheben 5/5, Positionsversuch der Beine: "könne nicht", einzeln gehoben, aufgetstellte Beine können gehalten werden, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Pyramidenzeichen negativ.
Sensibilität: intakte Angabe. Sprache: unauffällig
Romberg: unauffällig
Unterberger: unauffällig
Fersenstand; nicht demonstriert. Zehenstand: unauffällig.
Gesamtmobilität – Gangbild:
Mobilitätsstatus: Gangbild: sicher ohne Hilfsmittel Spur breitbeinig mit seitlicher Neigung nach links wegen Schmerzen in der Hüfte - Prüfung des Gangbildes einige Male im Untersuchungszimmer, Standvermögen: Spur breitbasig sicher, prompter Lagewechsel. Führerschein vorhanden
Status Psychicus:
wach, in allen Qualitäten orientiert, Duktus kohärent, Denkziel wird erreicht, Aufmerksamkeit unauffällig, keine kognitiven Defizite, Affekt unauffällig, Stimmungslage ausgeglichen, Antrieb unauffällig, Konzentration normal, keine produktive Symptomatik.
Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:
Lfd. Nr.
Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:
Pos.Nr.
Gdb %
1
Multiple Sklerose
Im unteren Rahmensatz bei geringer Paraspastik und Spur breitbasigem Gangbild; frei mobil; Blasenstörung unter Detrusitol im Rahmensatz inkludiert
04.08.02
50
Gesamtgrad der Behinderung 50 v. H.
Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:
-
Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:
-
Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten: Erstgutachten
Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:
Entfällt, da Erstgutachten
X Nachuntersuchung 05/2022 - Besserung von Leiden 1 durch z.B therapeutische, rehabilitative Maßnahmen möglich, Kontrolle mit aktuellen fachärztlichen Befunden
(…)
1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?
Keine. Die Grunderkrankung führt zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke, das objektivierbare Ausmaß des Defizits kann jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden. Das behinderungsbedingte Erfordernis der Verwendung eines Rollators bzw. eines Rollstuhls ist durch festgestellte Funktionseinschränkungen nicht begründbar, im Rahmen der Begutachtung war freies Gehen möglich. Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der Antragstellerin sind ausreichend.
Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar. Die beantragte Zusatzeintragung kann gutachterlicherseits nicht empfohlen werden.
2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?
Nein“
3. Mit Schreiben vom 28.05.2021 teilte die belangte Behörde der BF mit, dass ihrem Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50% stattgegeben werde. Für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass würden jedoch die Voraussetzungen nicht vorliegen. Der BF wurde die Möglichkeit geboten, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Diese Frist verstrich ungenutzt.
4. Mit Bescheid vom 01.07.2021 hat die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass abgewiesen.
Beweiswürdigend wurde auf das eingeholte ärztliche Sachverständigengutachten, das einen Bestandteil der Bescheidbegründung bildet, hingewiesen. Nach diesem würden die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen.
5. Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sei ihr nicht möglich, da die Distanz zum nächstmöglichen Verkehrsmittel mehr als 400m betrage. Auch sei die Wegstrecke steil abschüssig und unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe, eines Rollators, auch mit mehrmaliger Unterbrechung nicht möglich. Daher sei eine alleinige Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auch bei der entsprechenden Verwendung eines Rollators nicht alleine zumutbar. Einer entsprechenden Besichtigung der örtlichen Gegebenheiten und einer Vorführung der Mobilität stehe sie gerne zur Verfügung. Unter einem legte sie erneut einen bereits mit der Antragstellung vorgelegten, undatierten „Überweisungsschein“ (Angaben, an wen über- bzw. eingewiesen werden soll, fehlen. Siehe ABL. 3 bzw. 16) eines Facharztes für Orthopädie mit folgendem Inhalt vor:
„Überweisung an/Einweisung in:
Diagnose/Begründung: MS
Lumbago
Discusbulging
L3-4
Erbeten wird/Verordnung:
Pat ist auf Grund der Diagnosen nicht mobil – nur mit Hilfe.“
6. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 17.08.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die BF hat ihren Wohnsitz im Inland.
Die BF ist im Besitz eines bis 31.05.2022 befristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H.
Mit am 07.04.2021 eingelangtem Schriftsatz stellte die BF einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass.
Bei der BF liegt folgende Funktionseinschränkung, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern wird, vor:
Lfd. Nr.
1
Multiple Sklerose
Hinsichtlich der bei der BF festgestellten Gesundheitsschädigungen, ihrer Art und Schwere sowie ihrer Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen im Gutachten vom 27.05.2021 einer Fachärztin für Neurologie der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.
Zu den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die BF kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen, eine kurze Wegstrecke (ca. 300 m - 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, ohne maßgebende Unterbrechung zurücklegen bzw. wird durch die Verwendung dieses Behelfes die Benützung des öffentlichen Transportmittels nicht in hohem Maße erschwert. Die dauernde Gesundheitsschädigung wirkt sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Ein sicheres Anhalten ist möglich und der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erschwert.
Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der BF ist ausreichend. Die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten ist genügend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind.
Die festgestellte Funktionseinschränkung wirkt sich nicht in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel aus.
Der BF ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Dem Inhaber des Passes ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar" basiert auf dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zum Behindertenpass ergeben sich aus dem Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkung gründen sich – in freier Beweiswürdigung – auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel.
Das durch die belangte Behörde eingeholte Sachverständigengutachten Drin. XXXX ist schlüssig und nachvollziehbar und weist keine Widersprüche auf. Es wurde auf die Art der Leiden, deren Ausmaß und Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ausführlich eingegangen.
Die vorgelegten Beweismittel sind in die Beurteilung eingeflossen und hat sich die befasste Sachverständige eingehend damit auseinandergesetzt. Diese Beweismittel stehen nicht im Widerspruch zum Ergebnis des eingeholten Sachverständigenbeweises, es wird kein aktuell höheres Funktionsdefizit beschrieben als gutachterlich festgestellt wurde und sie enthalten auch keine neuen fachärztlichen Aspekte, welche unberücksichtigt geblieben sind.
Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf dem im Rahmen persönlicher Untersuchung der BF erhobenen klinischen Befund, entsprechen unter Berücksichtigung der vorgelegten Beweismittel der festgestellten Funktionseinschränkung (diesbezüglich wird auch auf die unter Pkt I.2 auszugsweise wiedergegebenen Ausführungen im Gutachten verwiesen).
In diesem Gutachten wurde auf die Art und Schwere des Leidens der BF sowie deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Seitens der Sachverständigen wurde unter Berücksichtigung des festgestellten Leidenszustandes und der vorgelegten Befunde nachvollziehbar dargelegt, warum der BF aus medizinischer Sicht die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.
Hinsichtlich der nach Art und Schwere festgestellten Gesundheitsschädigung konnten dem Gutachten zufolge weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der oberen und unteren Extremitäten noch Einschränkungen der neurologischen Fähigkeiten festgestellt werden, die die Mobilität erheblich einschränkten, noch Einschränkungen der psychischen, oder intellektuellen Fähigkeiten. Bei ihrer Einschätzung konnte sich die Sachverständige insbesondere auf den von ihr erhobenen klinischen Untersuchungsbefund einschließlich des festgestellten Gangbildes stützen. Anhand des von den Sachverständigen beobachteten Mobilitätsstatus: Gangbildes – „sicher ohne Hilfsmittel Spur breitbeinig mit seitlicher Neigung nach links wegen Schmerzen in der Hüfte - Prüfung des Gangbildes einige Male im Untersuchungszimmer, Standvermögen: Spur breitbasig sicher, prompter Lagewechsel.“ – in Zusammenschau mit dem aktuellen Untersuchungsergebnis mit zwar eingeschränkter Gehstrecke, aber ausreichender Beweglichkeit und Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ergibt sich kein Hinweis auf erhebliche Erschwernis beim Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke (300 bis 400 m), Be- und Entsteigen sowie bei der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel.
So beschreibt die befasste Fachärztin für Neurologie vor dem Hintergrund der klinischen Untersuchung und den vorliegenden Befunden nachvollziehbar, dass bei der BF zum Entscheidungszeitpunkt die Grunderkrankung zwar zu einer Einschränkung der Gehstrecke führt, das objektivierbare Ausmaß des Defizits jedoch eine maßgebliche Erschwernis der Erreichbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel nicht ausreichend begründen kann. Kurze Wegstrecken von etwa 300 bis 400 m können aus eigener Kraft, ohne fremde Hilfe und ohne maßgebende Unterbrechung, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe zurückgelegt werden. Weiters betonte die Sachverständige, dass, mag die BF auch einen Rollator/Rollstuhl benützen, die vorhandenen Funktionsdefizite die behinderungsbedingte Notwendigkeit der Verwendung eines Rollators nicht begründen können. Im Rahmen der Begutachtung durch die Sachverständige war vielmehr freies Gehen möglich und sind die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der BF ausreichend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind. Bei genügender Funktionsfähigkeit der oberen Extremitäten ist das Festhalten beim Ein- und Aussteigen sowie die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich anzuhalten, genügend, der Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln ist daher gesichert durchführbar.
Diese Schlussfolgerungen der medizinischen Sachverständigen finden insbesondere Bestätigung in ihren Aufzeichnungen bei der persönlichen Untersuchung am 27.05.2021 im Rahmen des oben wiedergegebenen Untersuchungsbefundes zu den oberen und unteren Extremitäten („OE: Rechtshändigkeit, Trophik unauffällig, Tonus unauffällig, Kraft 5/5, Vorhalteversuch der Arme: unauffällig, Finger-Nase-Versuch: keine Ataxie, MER (RPR, BSR, TSR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Eudiadochokinese beidseits, Pyramidenzeichen negativ. UE: Trophik unauffällig, Tonus seitengleich Spur erhöht, keine höhergradigen Paresen, distal Vorfußheben 5/5, Positionsversuch der Beine: ‚könne nicht‘, einzeln gehoben, aufgestellte Beine können gehalten werden, Knie-Hacke-Versuch: keine Ataxie, MER (PSR, ASR) seitengleich mittellebhaft auslösbar, Pyramidenzeichen negativ. Sensibilität: intakte Angabe. Sprache: unauffällig, Romberg: unauffällig, Unterberger: unauffällig. Fersenstand; nicht demonstriert. Zehenstand: unauffällig.“)
Ebenso betonte die Fachärztin für Neurologie in ihrem Gutachten, dass die beantragte Zusatzeintragung gutachterlicherseits nicht empfohlen werden könne.
Weitere Befunde, die neue Tatsachen, noch nicht ausreichend berücksichtigte Leiden oder eine maßgebliche Verschlimmerung belegen könnten, wurden von der BF nicht vorgelegt.
Insgesamt spricht bei Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen der BF aus medizinischer Sicht nichts dagegen, dass ihr die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zugemutet wird.
Hinzuzufügen ist, dass die BF auch hinsichtlich der im Rahmen der klinischen Untersuchungen objektivierten Bewegungsumfänge keine Einwendungen erhoben hat.
Die Angaben der BF in der Beschwerdeschrift konnten nicht über den erstellten Befund hinaus objektiviert werden.
Zur Erörterung der Rechtsfrage, ob der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, siehe die rechtlichen Erwägungen unter Punkt II.3.1.
Die BF, der es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge freigestanden wäre, durch Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen ihrer Wahl die getroffenen Einschätzungen der Sachverständigen zu entkräften, ist den von der belangten Behörde eingeholten Sachverständigengutachten nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten. Eben wenig wurden diesem Gutachten widersprechende Beweismittel vorgelegt.
Die BF vermochte somit im Ergebnis nicht aufzuzeigen, wie sich im Lichte der bei ihr bestehenden Funktionseinschränkungen die Feststellung erheblicher - die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bewirkender - Funktionseinschränkungen ergeben sollte.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit der gegenständlichen medizinischen Sachverständigengutachten.
Diese werden daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu Spruchpunkt A)
1. Abweisung der Beschwerde
Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)
Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)
Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)
Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)
Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu. (§ 45 Abs. 2 BBG)
Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)
Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)
In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird Folgendes ausgeführt:
Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Wie bereits oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, wurde seitens des von der belangten Behörde eingeholten, auf einer persönlichen Untersuchung der BF basierenden Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Neurologie nachvollziehbar dargelegt, dass im Fall der BF - trotz der bei ihr vorliegenden Funktionsbeeinträchtigung - die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.
Auf den Beschwerdefall bezogen:
Die BF kann sich im öffentlichen Raum selbständig fortbewegen, eine kurze Wegstrecke (ca. 300 m - 400 m) aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, gegebenenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, ohne maßgebende Unterbrechung zurücklegen bzw. wird durch die Verwendung dieses Behelfes die Benützung des öffentlichen Transportmittels nicht in hohem Maße erschwert. Die dauernden Gesundheitsschädigungen wirken sich nicht maßgebend auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens aus. Ein sicheres Anhalten ist möglich und der sichere und gefährdungsfreie Transport im öffentlichen Verkehrsmittel ist nicht erheblich erschwert.
Die Geh-, Steh- und Steigfähigkeit der BF ist ausreichend. Die Möglichkeit Haltegriffe zu erreichen und sich festzuhalten ist genügend. Niveauunterschiede können überwunden werden, da die Beugefunktion im Bereich der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke ausreichend ist und das sichere Ein- und Aussteigen gewährleistet sind.
Weitere Gesundheitsschädigungen konnten nicht objektiviert werden.
Wie unter Punkt II.2. bereits ausgeführt, sind das Beschwerdevorbringen und die vorgelegten Beweismittel nicht geeignet darzutun, dass die gutachterliche Beurteilung, wonach sich die dauernden Gesundheitsschädigungen nicht maßgebend negativ auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirken, nicht dem tatsächlichen Leidensausmaß der BF entspräche.
Zwar wird in dem von der BF vorgelegten fachärztlichen Befund vom 21.03.2021 festgehalten, dass aus neurologischer Sicht der Patientin die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar ist, sowie in einem undatierten „Verordnungsschreiben“, dass die Patientin nur mit Hilfe mobil ist, jedoch wird darin weder eine mögliche Gehstrecke beschrieben, noch bietet ein undatierter Verordnungsschein eine Aussage über dessen Aktualität. Auch bilden diese von der BF vorgelegten medizinischen Unterlagen der sie behandelnden Ärzte - neben der persönlichen Begutachtung - nur einen Teil der Beurteilung, zumal in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen ist, dass die BF behandelnde Ärzte primär das Wohlergehen der von ihnen behandelten Patientin und damit ein subjektives Element in der Bewertung im Auge haben, nicht jedoch - anders als die im gegenständlichen Verfahren herangezogene begutachtende medizinische Sachverständige - die Vornahme einer Begutachtung und Beurteilung ausschließlich auf Grundlage der Bestimmungen der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen. Im medizinischen Sachverständigengutachten vom 27.05.2021 gelangte die Sachverständige unter Berücksichtigung der von der BF ins Verfahren eingebrachten Befunde und nach persönlicher Begutachtung zum Ergebnis, dass der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens in der Beschwerde, es sei der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht möglich, da einerseits die Distanz zum nächstmöglichen Verkehrsmittel mehr als 400m betrage, und andererseits die Strecke steil abschüssig sei, ist auf das Erkenntnis des VwGH vom 22.10.2001, Zl. 2001/11/0258, zu verweisen, wonach es für die Berechtigung der zusätzlichen Eintragung in den Behindertenpass hinsichtlich der „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernden Gesundheitsschädigung" entscheidend auf die Art und die Schwere der dauernden Gesundheitsschädigung und deren Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ankommt, nicht aber auf andere Umstände, die die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel erschweren. Offenkundig beruhen im gegenständlichen Fall die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nicht in der Art und Schwere der Gesundheitsschädigung, sondern entscheidend in der Entfernung der nächstgelegenen Haltestelle zum Wohnsitz des BF bzw. in der Wegbeschaffenheit.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.
Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten. Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).
Im gegenständlichen Fall bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob der BF die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, das Gutachten vom 27.05.2021 einer medizinischen Sachverständigen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie oben bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.
Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W217.2245484.1.00Im RIS seit
20.10.2021Zuletzt aktualisiert am
20.10.2021