TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/3 W144 2244710-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2021
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Entscheidungsdatum

03.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z1
AsylG 2005 §4a
AsylG 2005 §57
B-VG Art133 Abs4
FPG §61 Abs1 Z1

Spruch


W144 2244710-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. von Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.07.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird gemäß §§ 4a, 10 Abs. 1 Z 1, und 57 AsylG 2005 idgF iVm § 61 Abs. 1 Z 1 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger des Irak und hat sein Heimatland bereits im Jahr 1999 verlassen. In der Folge reiste er über den Iran und die Türkei nach Italien ein, wo er sich ca. 20 Jahre lang bis zum 12.04.2021 aufgehalten hat.

In Italien wurde dem BF Asyl und eine Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.2.2023 gewährt und befand sich der BF dort aufgrund einer Verurteilung wegen Schlepperei langjährig in Haft, aus welcher am 23.03.2021 freigekommen ist.

Seit 12.04.2021 hält sich der BF im Bundesgebiet auf. Am 13.04.2021hat er im Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:

Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien vom 13.04.2021 brachte der BF vor, dass er in Italien im Jahr 2005 zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden sei. Er habe lediglich auf einem Bahnhof in Rom Flüchtlingen geholfen, Zugfahrkarten zu kaufen. Konkret sei er zwei Jahre in Untersuchungshaft gewesen und danach für 11 Monate freigelassen worden. Letztlich sei er verurteilt und 13 Jahre lang in Haft gewesen; insgesamt habe er sich 15 Jahre in Haft befunden. In Italien habe er nunmehr kein Leben mehr, er habe dort auf der Straße geschlafen. Er sei in Italien aufenthaltsberechtigt gewesen und habe einen positiven Asylbescheid erhalten. Seine Aufenthaltsberechtigung sei mit seiner Verurteilung wegen Schlepperei zurückgezogen worden. Im Bundesgebiet habe er eine rumänische Lebensgefährtin sowie den gemeinsamen Sohn, der am XXXX geboren sei.

Das BFA richtete in der Folge ein Informationsersuchen im Rahmen von Dublin-Konsultationen an die italienischen Behörden.

Mit Schreiben vom 03.05.2021 teilten die italienischen Behörden mit, dass dem BF mit 02.07.2002 (offensichtlich irrtümlich „2020“ geschrieben) der Flüchtlingsstatus gewährt worden sei. Am 25.03.2021 sei ein Widerrufsverfahren eingeleitet worden.

Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 26.05.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte der BF im Wesentlichen vor, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und er im Bundesgebiet familiäre Anknüpfungspunkte habe. So sei seine rumänische Freundin, XXXX geboren, hier, diese habe er in Italien im Jahr 2007 kennengelernt. Sie sei nicht verheiratet, hätten jedoch ein gemeinsames Kind, konkret einen XXXX Sohn. Als dieser geboren worden sei, habe sich der BF in Italien im Gefängnis befunden. Seine Freundin sei nach Rumänien gegangen und habe dort jemanden anderen geheiratet. Diese Heirat habe jedoch nicht lange gehalten und habe sich die Freundin wieder nach Österreich begeben. Seit er nunmehr in Österreich sei, lebe er mit ihr und dem Sohn im gemeinsamen Haushalt; er unterhalte sich mit dem Sohn auf Italienisch, er selbst lerne gerade Deutsch. In Italien habe es keine Arbeit und keine soziale Absicherung gegeben. Er habe Kurden geholfen, von Rom nach Westeuropa weiterzureisen und habe ihnen beim Zugticketkauf geholfen, wofür er ein kleines Taschengeld als Dankeschön erhalten habe. In der Folge sei ihm vorgeworfen worden, dass er eine Schleppertätigkeit ausübe. Ein Gerichtsurteil könne er nicht vorlegen. Es gebe auch keine Urkunde, die belege, dass er der Vater von seinem Sohn sei. Seine Freundin und sein Sohn hätten ihn 3 bis 4 Mal in Italien im Gefängnis besucht. Er gehe derzeit keiner Beschäftigung nach, und besuche auch keinen Deutschkurs. Derzeit lebe er mit seiner Freundin und seinem Sohn im gemeinsamen Haushalt in Wien. Er wolle nicht nach Italien zurückkehren. In Italien habe er aufgrund seines (fremdländischen) Aussehens keine Arbeit gefunden. Bei der Arbeitssuche sei ihm gesagt worden, dass viele Italiener arbeitslos seien, warum sollte man einen Ausländer aufnehmen.

Die Freundin des BF gab als Zeugin an, dass sie den BF im Jahr 2007 in Rom kennengelernt habe, sie habe damals bei ihrer Tante gewohnt, einen gemeinsamen Haushalt mit dem BF habe es nicht gegeben. Italien habe sie im August 2008 verlassen als sie schwanger gewesen sei. Im Jahr 2009 habe sie gemeinsam mit ihrem Sohn den BF im Gefängnis besucht. Sie hätten jedoch regelmäßig telefoniert und Briefe geschrieben und habe der BF im Gefängnis gearbeitet und ihr Geld für den Sohn geschickt. Seit ungefähr zwei Wochen lebe sie mit dem BF im gemeinsamen Haushalt, vormals habe ein solcher noch nie bestanden. Ihr Sohn sei der leibliche Sohn des BF, wenngleich sie keine Geburtsurkunde, die dieses ausweisen würde, vorlegen könne.

Das BFA wies sodann den Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 02.07.2021 gemäß § 4a AsylG 2005 idgF als unzulässig zurück und sprach aus, dass sich der BF nach Italien zurück zu begeben habe (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF iVm § 61 Abs. 1 Z 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt III.).
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat in Bezug auf anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst:

„Zu Italien werden folgende Feststellungen getroffen:

(Anmerkung: Die Feststellungen sind durch die Staatendokumentation des Bundesamtes zusammengestellt und entsprechen dem Stand vom 11.11.2020).

COVID-19-Pandemie

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, jedoch waren die Quästuren in der Praxis geschlossen. Einige Gerichte, etwa in Rom, haben Quästuren jedoch angewiesen, Asylanträge zu registrieren. Die Versorgungsmaßnahmen wurden bis zum Ende der Pandemie verlängert, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten. Asylwerber können bis längstens 31.1.2021 auch in Unterbringungseinrichtungen der zweiten Stufe (SIPROIMI) untergebracht werden, welche eigentlich für Schutzberechtigte reserviert sind. Sie erhalten dort aber nur jene Versorgung, die auch in Unterbringungseinrichtungen der ersten Stufe (CAS) vorgesehenen wäre. Gesundheitskarten mit Gültigkeitsende vor dem 30. Juni 2020 wurden bis zum 30. Juni verlängert. Aufenthaltsberechtigungen, einschließlich solcher von Asylwerbern und Schutzberechtigten, mit Ablaufdatum zwischen 31. Jänner und 15. April 2020 wurden bis zum 31. August verlängert. Dublin-Überstellungen von und nach Italien sind derzeit suspendiert. Während der COVID-Situation haben manche Gemeinden den Zugang zu bestimmten ergänzenden sozialen Leistungen an bisweilen mehrjährige Meldeerfordernisse gebunden, die von Asylwerbern bzw. Schutzberechtigten

oft nicht zu erfüllen sind (ECRE 28.5.2020). Nach einer Unterbrechung aufgrund der COVID-19-Pandemie haben alle Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde mit Ausnahme derjenigen in Foggia und Udine im September die persönlichen Asylinterviews wieder aufgenommen. Verzögerungen beim Zugang zu Asylverfahren wurden an verschiedenen Orten gemeldet (UNHCR 9.2020).

Italien hat mit Ende September 2020 fünf Schiffe im Einsatz, die als Quarantäneschiffe vor der italienischen Küste fungieren. Es gibt aber auch Quarantäneeinrichtungen auf dem Festland, die stark belegt sind, was zu Problemen bei der adäquaten Unterbringung, v.a. von Minderjährigen führen kann (UNHCR 9.2020).

Es gilt eine 14-tägige Quarantäne für über das Mittelmeer kommende Asylwerber. Nur wer am Ende dieses Zeitraums nicht positiv getestet wird, kann an eine andere Unterbringungseinrichtung überstellt werden (EASO 2.6.2020).

Aufenthaltsberechtigungen für Asylberechtigte wurden während der COVID-Situation automatisch verlängert. Italien erweiterte die Einkommens- und Familienunterstützungsmaßnahmen, die im Dekret „Cura Italia“ vorgesehen sind, das sind EUR 600 Bonus u.a. Leistungen für anerkannte Flüchtlinge oder Inhaber anderer Aufenthaltsgenehmigungen, die beruflich tätig sind (EASO 2.6.2020).

Quellen:

• EASO European Asylum Support Office (2.6.2020): COVID-19 Emergency Measures in

Asylum and Reception Systems, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/covid19-

emergency-measures-asylum-reception-systems.pdf, Zugriff 28.10.2020

• ECRE – European Council on Refugees and Exiles (28.5.2020): INFORMATION SHEET

28 MAY 2020: COVID-19 MEASURES RELATED TO ASYLUM AND MIGRATION

ACROSS EUROPE, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/05/COVID-IN

FO-28-May.pdf; Zugriff 28.10.2020

• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (9.2020): UNHCR Italy Factsheet,

September 2020, https://reliefweb.int/report/italy/unhcr-italy-factsheet-september-2

020; Zugriff 28.10.2020

2 Allgemeines zum Asylverfahren

Letzte Änderung: 03.11.2020

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten:

(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Am 5. Oktober hat der italienische Ministerrat eine neues sogenanntes Immigrationsdekret

vorgelegt, das die vom ehemaligen Innenminister Salvini eingeführten Regelungen teilweise

wieder aufheben würde. Es handelt sich dabei wohlgemerkt erst noch um eine Regierungsvorlage, die binnen 60 Tage vom Parlament abgesegnet werden muss und noch abgeändert werden kann. Momentan vorgesehen ist eine Aufweichung der momentan geltenden Regeln, etwa verbesserter Refoulement-Schutz und Umstrukturierung des Aufnahmesystems zu einem neuen „Aufnahme- und Integrationssystem“ mit Erstaufnahme für alle und danach Versorgung von Asylwerbern und Versorgung von Schutzberechtigten mit zusätzlichen integrationsfördernden Maßnahmen. Ferner würden die territorialen Asylkommissionen (erstinstanzliche Asylbehörde) mehr Befugnisse erhalten, künftig nicht mehr nur im Bereich des internationalen Schutzes, sondern auch im Falle von Abschiebungsverboten bei Fremden mit besonders schwerwiegendem Gesundheitszustand zu entscheiden (VB 13.10.2020).

Antragszahlen für 2019 gemäß italienischem Innenministerium:

Im August 2020 waren in Italien 53.923 Asylerfahren anhängig. Von Jänner bis Juni 2020 wurden 21.905 Entscheidungen getroffen, davon waren 10% Zuerkennungen eines internationalen Schutzes, 9% subsidiärer Schutz, 5% humanitärer Schutz und 75% Zurückweisungen (UNHCR

25.10.2020). Die Asylverfahren dauern im Durchschnitt sechs Monate, inklusive Beschwerdephase bis zu zwei Jahre (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https:

//www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf;

Zugriff 28.10.2020

• UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (25.10.2020): Italy Weekly

Snapshot (18 Oct-25 Oct 2020), https://data2.unhcr.org/en/documents/download/82568;

Zugriff 28.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices

2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html; Zugriff 28.10.2020

• VB des BM.I Italien (13.10.2020): Auskunft des VB, per E-Mail

3 Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa, oft weit entfernt von ihrer zuständigen Quästur. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Rückkehrer haben in der Regel drei Tage, um auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten zu dieser Quästur zu gelangen, unabhängig von der Entfernung. Seit Februar 2020 gibt es am Flughafen Mailand einen Informationsschalter der Waldensischen Diakonie. Deren Mitarbeiter können Dublin-Rückkehrer mit Tickets zur Quästur von Varese (zuständig für den Flughafen, Anm.) ausstatten und können telefonisch Kulturvermittler kontaktieren, um weitere Informationen in den benötigten Muttersprachen bereitzustellen.

Sind die Rückkehrer zu einer anderen Quästur vorgeladen, müssen sie selbst die Tickets besorgen, um dorthin zu gelangen. In Rom profitieren Dublin-Rückkehrer häufig vom mobilen Helpdesk der NGO A Buon Diritto am Bahnhof Tiburtina in Rom. Sobald sie am

Flughafen Fiumicino angekommen sind, werden sie mündlich über das Verfahren informiert und mit dem Einladungsschreiben an die zuständige Quästur ausgestattet. Sie müssen die Quästur autonom und auf eigene Kosten erreichen (AIDA 5.2020). Es gibt solche NGOs auf Abruf auch in Bologna, Bari und Venedig (SFH 1.2020).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1. Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so

wie jede andere Person auch (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). Tut er das nicht und hat

auch kein Visum etc., wird der Rückkehrer als illegaler Migrant betrachtet und mit einer

Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert und möglicherweise auch in Schubhaft

genommen (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

2. Wenn das Verfahren eines Antragstellers in Italien suspendiert wurde, weil er sich dem

Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann er, im Falle einer Rückkehre binnen

12 Monaten ab Suspendierung, einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als

12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann ein Folgeantrag gestellt

werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 5.2020; vgl. SFH

1.2020).

3. Hat ein Interview stattgefunden und wurde das Verfahren des Antragstellers in Italien in

der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass

er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

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(Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Versorgung“, Subkapitel „Dublin-Rückkehrer“. Für

Infos zur COVID-19-Pandemie siehe das gleichnamige Kapitel, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019; vgl. SFH 1.2020).

(Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.)

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https:

//www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf;

Zugriff 28.10.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-ital

ien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf; Zugriff 8.10.2020

• VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

• VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4 Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Letzte Änderung: 03.11.2020

In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifikationsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Vulnerable werden im Verfahren prioritär behandelt. Die Identifizierung von Gewaltopfern ist in jeder Phase des Verfahrens durch Beamte, Betreuer oder NGOs möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung

verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einem Folteropfer zu tun zu haben, kann er die betreffende Person speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung auf Basis von Richtlinien des Gesundheitsministeriums sicherzustellen. Die NGOs Ärzte ohne Grenzen und Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) betreiben gemeinsam in Rom ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern, welche ohne Unterstützung Schwierigkeiten hätten, als Vulnerable behandelt zu werden (AIDA 5.2020).

Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Gemäß Gesetz 47/2017 kann bei Fehlen von Identifikationsdokumenten und Zweifeln am Alter des Antragstellers die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine sozialmedizinische Untersuchung zur Altersfeststellung anordnen. Dazu ist die Zustimmung des UM oder seines Vormunds nötig. Die Verweigerung der Zustimmung hat keine negativen Auswirkungen auf das Asylverfahren. Die Untersuchung ist im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchzuführen, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist der Antragsteller als Minderjähriger zu behandeln und im Zweifel ist die Minderjährigkeit anzunehmen. NGOs zufolge wird Gesetz 47/2017 aber nicht einheitlich umgesetzt und das Alter wird oft lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt (AIDA 5.2020). Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am zuständigen Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit dieses einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens zuständig ist (bei negativem Ausgang auch darüber hinaus). Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden. Bis zur Bestellung des Vormunds kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Ein Vormund kann maximal

drei Minderjährige gleichzeitig betreuen (AIDA 5.2020).

Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Ein Gesundheitscheck bei der Erstaufnahme ist vorgesehen, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können (AIDA 5. 2020).

Durch die Änderungen mit Gesetz 132/2018 werden vulnerable Asylwerber, mit Ausnahme

von UMA, seit Oktober 2018 in den Unterbringungszentren der ersten Stufe (Erstaufnahme)

untergebracht. Durch die Gesetzesänderungen wurde die Finanzierung für die Erstaufnahme

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reduziert, wodurch NGOs die Identifizierung und Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse gefährdet sehen. Familien können nur dann aus der Erstaufnahme in das SIPROIMI-System transferiert werden, wenn zumindest ein Familienmitglied einen entsprechenden Schutztitel erhalten hat. Der Transfer hängt aber von mehreren Faktoren ab, wie Familienzusammensetzung, Vulnerabilität, gesundheitlichen Problemen und dem Platzangebot im SIPROIMI (AIDA 5.2020).

Es gibt laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe keine Erstaufnahmezentren, die für Personen mit psychischen Erkrankungen oder für traumatisierte Personen angemessen sind. Das Personal ist nicht ausgebildet, um Vulnerabilitäten zu erkennen, die nicht offensichtlich sind (SFH 1.2020). (Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Medizinische Versorgung“, Anm.).

Bei UMA ist bei der Unterbringung das beste Interesse des Kindes durch Gespräche zu evaluieren und zu berücksichtigen. Alle UM, auch asylwerbende, haben Zugang zu SIPROIMI.

Minderjährige, die in SIPROIMI das Erwachsenenalter erreichen, können dort bis zur finalen

Entscheidung in ihrem Asylverfahren bleiben. UM, die internationalen Schutz erhalten, können noch für weitere sechs Monate im SIPROIMI bleiben (AIDA 5.2020).

Mit Jänner 2020 waren in SIPROIMI-Einrichtungen 4.003 Plätze in 155 Projekten für UM und

663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen reserviert. NGOs kritisieren dies als zu wenig angesichts des Bedarfs. Ende 2019 lag die Zahl der UMA in Italien bei 6.054, von denen 94,6% in Unterbringungseinrichtungen untergebracht waren, 5,5% waren privat bei Familien untergebracht. 5.383 UMA entzogen sich 2019 der Unterbringung (AIDA 5.2020).

In Italien herrscht Schulpflicht für Minderjährige bis zum Alter von 16 Jahren, unabhängig vom rechtlichen Status. Sie haben Zugang zu öffentlichen Schulen wie italienische Minderjährige (AIDA 5.2020).

Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen unzureichende Überweisung von unbegleiteten Minderjährigen zu angemessenen Diensten (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https:

//www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf;

Zugriff 28.10.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter

Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere

Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-ital

ien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf; Zugriff 8.10.2020

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• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices

2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

5 Non-Refoulement

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat im Feber 2020 ein Memorandum of Understanding mit Libyen um drei weitere Jahre verlängert, in dessen Rahmen Libyen mit italienischer Unterstützung Migrantenboote stoppt und die Betreffenden nach Libyen zurückbringt. Dies wird von NGOs als indirekte Pushbacks nach Libyen betrachtet. (AIDA 5.2020; vgl. AI 16.4.2020). UNHCR bezeichnet diese Praxis nicht als Refoulement, will aber deren Rechtmäßigkeit untersuchen, da es Libyen nicht als „safe port“ betrachtet, da es relevante UN-Abkommen nicht unterzeichnet hat (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge kommt es in den italienischen Adriahäfen immer wieder zu Pushbacks nach Griechenland, wenn illegale Migranten mit den aus Griechenland kommenden Schiffen auf denen sie entdeckt wurden, wieder nach Griechenland zurückgeschickt werden. Berichte über angebliches Refoulement antragswilliger Fremder, gibt es auch von den internationalen Flughäfen Rom Fiumicino und Mailand Malpensa. Weiters gibt es Berichte über formloses Zurückschicken von Migranten von der Grenze zu Slowenien. Nichtsdestotrotz erlaubte im Jahr 2019 der Civil Court in Rom 14 Eritreern, die 2008 unrechtmäßig nach Libyen zurückgeschickt wurden, den Zugang zum Asylverfahren in Italien. In zwei weiteren Fällen wurde verfügt, dass im Ausland aufhältigen Minderjährigen, davon einer ein in Libyen befindlicherer Nigerianer, humanitäre Visa zur Einreise auszustellen seien. 2019 annullierten italienische Gerichte weiterhin Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen deren Asylverfahren bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan (AIDA 5.2020).

Quellen:

• AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 – Italy,

https://www.ecoi.net/de/dokument/2028200.html; Zugriff 7.10.2020

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https:

//www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf;

Zugriff 28.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices

2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html; Zugriff 28.10.2020

6 Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gab es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wurde völlig neu organisiert und, neben der Nothilfe für neu ankommende Bootsmigranten, nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019;

vgl. AIDA 5.20209).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ersetzen CAS und CARA. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt.

Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B.

Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem

folgende Leistungen vor:

• Unterbringung, Verpflegung

• Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

• notwendige Transporte

• medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich

zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

• Hygieneprodukte

• Wäschedienst oder Waschprodukte

• Startpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

• Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

• Schulbedarf

• usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen (VB 19.2.2019).

Integrationsmaßnahmen (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten) sind in der Erstaufnahme nicht mehr vorgesehen. Ebenso eingespart wurden psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist, Rechtsberatung und kulturelle Mediation. Da viele Ausschreibungen keine Ergebnisse brachten, erlaubte das Innenministerium im Feber 2020 den Präfekturen, minimale Abweichungen zu akzeptieren. Die Vorgaben und Einsparungen führten dazu, dass 2019 viele kleine Unterbringungseinrichtungen verschwanden (AIDA 5.2020).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“– Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde).

Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 5.2020). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr im Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018

noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw.

bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten. In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 5.2020).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die

hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS

11.3.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report:

Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.

pdf, Zugriff 28.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices

2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

• VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

6.1 Unterbringung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den

Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur

erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. In der Praxis erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen

Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016formell als Hotspots (gemäß dem sogenannten Hotspot-approach der Europäischen Kommission).

Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern

und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2019 gab es in Italien

vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina). Der Aufenthalt der Migranten in den Hotspots dauert oft wochenlang (AIDA 5.2020).

Erstaufnahme

Es gibt derzeit 13 Erstaufnahmezentren zur Unterbringung von Asylwerbern in 7 italienischen Regionen.

Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil. Überbelegung ist oft ein Problem. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum.

Doch es gibt derzeit über 6.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im

Land verfügbaren Unterbringungsplätze. In den CAS ist der Unterbringungsstandard von der

betreibenden Präfektur abhängig (AIDA 5.2020).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in eine sekundäre Aufnahmeeinrichtung (SIPROIMI) (AIDA 5.2020).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Kapitel Schutzberechtigte, Anm.)

Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten,

betrieben von Kirchen oder Freiwilligenverbänden. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen.

Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel (AIDA 5.2020).

Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen Unterschiede der in Aufnahmezentren angewandten Standards. Qualitativ hochwertigen Unterbringungen von lokalen Behörden stehen große Zentren unterschiedlicher Qualität gegenüber, bei denen es sich oft um umgewidmete Gebäude wie Schulen, Kasernen usw. handelt (USDOS 11.3.2020).

Wer nicht in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung untergebracht ist, erhält keine finanzielle Unterstützung und hat keinen Anspruch auf weitere Sozialleistungen (RW 6.2020).

Viele Asylwerber und Personen mit Schutzstatus sind obdachlos und leben in verschiedenen

italienischen Städten auf der Straße oder in informellen Siedlungen und besetzten Häusern.

Freiwillige der NGOs Sant’Egidio und MEDU besuchen die Obdachlosen in Mailand einmal oder mehrmals pro Woche. Sant’Egidio verteilt Mahlzeiten, MEDU bietet medizinische Beratung und Behandlung an (SFH 1.2020). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende

2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 5.2020). Vertreter von UNHCR, IOM

und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichten über tausende von legalen

und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 11.3.2020).

Mit Stand 30.9.2020 befanden sich in Italien 82.072 Migranten in staatlicher Unterbringung,

davon 217 in Hotspots, 57.496 in der Erstaufnahme und 24.359 in SIPROIMI (VB 5.10.2020).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über neun Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 1.380 Plätzen

(AIDA 5.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https:

//www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf;

Zugriff 28.10.2020

• RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt

werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/

dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v

11.pdf?d=a&f=pdf; Zugriff 7.10.2020

• USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices

2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html; Zugriff 28.10.2020

• VB des BM.I Italien (5.10.2020): Bericht des VB, per E-Mail

6.2 Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber ein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) nicht vorgesehen ist, auch nicht für vulnerable Rückkehrer (AIDA 5.2020).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellt Italien seit Februar 2015 in regelmäßigen Rundbriefen eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (AIDA 5.2020). Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land

verließen, sollten von der zuständigen Präfektur vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung transferiert werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. Manchen Rückkehrern wurde in der Vergangenheit die Unterbringung verweigert oder sie mussten lange auf diese warten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). Solange sie im Asylverfahren sind und ihnen das Recht auf Unterkunft nicht entzogen wurde, können Dublin-Rückkehrer wie alle anderen Asylsuchenden in Italien nur in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Waren sie zuvor in einer staatlichen Unterbringung oder wurde ihnen eine solche auch nur zugeteilt, die sie unerlaubt verlassen oder nicht bezogen haben, haben sie das Recht auf Unterbringung verloren. Das Recht auf Unterkunft können Asylsuchende nur zurückerhalten, wenn sie nachweisen können, dass sie das Zentrum wegen eines Unfalls, höherer Gewalt oder aus einem anderen triftigen persönlichen Grund verlassen haben. Die Präfektur entscheidet, ob die Person wieder aufgenommen wird. Wenn die Präfektur die Wiederaufnahme in das System ablehnt, gibt es keine alternative staatliche Unterbringungsmöglichkeit (SFH 1. 2020).

Wenn Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung nach Italien kein Anrecht mehr auf Unterkunft haben, kann das zu Problemen bei der Registrierung im Gesundheitssystem führen, wenn sie keine richtige Adresse als ihren ständigen Aufenthaltsort vorweisen können. Nicht alle Gemeinden in Italien erlauben die Angabe der Adresse einer NGO oder einer fiktiven Adresse (SFH1.2020).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report:

Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.

pdf, Zugriff 28.10.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. AktualisierterBericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondereDublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien- aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

6.3 Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen

nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann, weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale , ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia, auch oft bezeichnet als tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann.

Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 5.2020).

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden (residenza) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte (tessera sanitaria) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Manche Asylwerber haben aufgrund von Problemen mit der Wohnsitzmeldung oder einer fehlenden Steuernummer Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Fiktive Adressen oder Adressen von NGOs werden nicht überall akzeptiert und bergen Probleme bei der Wahl eines Hausarztes, welcher in der Nähe des Wohnortes angesiedelt sein soll. Die Sprachbarriere ist auch ein großes Problem. Es gibt Organisationen, welche Personen beim Zugang zu medizinischer Versorgung behilflich sind (RW 6.2020).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den Büros des lokalen Gesundheitsdienstes (ASL) als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Aber die Praxis ist national nicht einheitlich gehandhabt und einige Regionen gewähren die Ticket-Befreiung nach zwei Monaten nicht weiter, weil sie die Asylwerber als inaktiv betrachten, jedoch nicht als arbeitslos (AIDA 5.2020), da sie vorher nie in Italien gearbeitet haben (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020). Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch Asylwerber mit niedrigem Einkommen kommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 5.2020).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu

medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 5. 2020). Die psychische Gesundheitsversorgung ist in Italien im OECD-Vergleich nur mäßig ausgebaut, was Italiener genauso wie Asylwerber und Schutzberechtigte gleichermaßen betrifft (SFH 1.2020). Personen mit irregulärem Aufenthalt können eine STP-Karte (straniero temporaneamente presente) beantragen (sechs Monate gültig, verlängerbar), mit der sie Zugang zu medizinischer Not- und Vorsorgeversorgung haben (RW 6.2020). Um eine STP-Karte zu erhalten, müssen die Personen sich mit einer Erklärung zur finanziellen Notlage, einer Erklärung, dass er/sie sich nicht beim nationalen Gesundheitsdienst (SSN) registrieren kann, sowie Identitätsdokumente bei einem Büro des lokalen Gesundheitsdienstes melden. Die STP-Karte ist sechs Monate in ganz Italien gültig (SFH 1.2020).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

• AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration

(ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https:

//www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf;

Zugriff 28.10.2020

• CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA

CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/

know-your-rights.pdf; Zugriff 30.10.2020

• MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per

E-Mail

• RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstelltwerden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/

dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v

11.pdf?d=a&f=pdf; Zugriff 7.10.2020

• SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere

Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-ital

ien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf; Zugriff 8.10.2020

• VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

7 Schutzberechtigte

Letzte Änderung: 03.11.2020

Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre. Nach frühestens fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts besteht für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen langfristigen Aufenthalt zu erhalten. Anträge auf Familienzusammenführung sind für Schutzberechtigte ohne Zeitlimit möglich. Schutzberechtigte dürfen sich frei im Land niederlassen, wenn sie sich selbst erhalten können. Um die Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, brauchen die Schutzberechtigten

eine Meldeadresse, was manchmal ein Problem sein kann. Manche, aber nicht alle

Quästuren akzeptieren bei wohnungslosen Schutzberechtigten die Adresse einer Hilfsorganisation als Meldeadresse. Verlängerungen des Aufenthalts müssen postalisch beantragt werden. Dies kann mehrere Monate in Anspruch nehmen (AIDA 5.2020).

Wenn eine Person in Italien einen internationalen Schutzstatus erhält, hat sie theoretisch Zugang zu einem Zweitaufnahmezentrum (SIPROIMI) (SFH 1.2020). Der Übergang von der Erstaufnahme zum SIPROIMI ist aber nicht näher geregelt. Ein Verbleib in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder CAS ist für Schutzberechtigte nicht vorgesehenen, kann aber je nach Zentrum für einen Tag bis hin zu mehreren Monaten gewährt werden. Die meisten Präfekturen erlauben Schutzberechtigten den Verbleib nur bis zur Ausstellung der elektronischen Aufenthaltsberechtigung.

Aufgrund des Mangels an Plätzen im SIPROIMI, kann dies Schutzberechtigte einem Obdachlosigkeitsrisiko aussetzen (AIDA 5.2020).

Unterbringung

SIPROIMI (Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e minori stranieri non accompagnati)

Diese Einrichtungen zur Unterbringung von Schutzberechtigten (und unbegleiteten Minderjährigen) sind der Nachfolger des vormaligen SPRAR-Systems. SIPROIMI-Projekte werden von lokalen Behörden zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben. Die Unterkunftszentren sollen Dolmetsch- und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Unterricht in italienischer Sprache und Zugang zu Schulen für Minderjährige, medizinische Versorgung, sozialpsychologische Unterstützung insbesondere für Vulnerable, Aus- und Weiterbildung, Unterstützung bei der Suche nach Arbeitsplätzen, Beratung bei den Dienstleistungen auf lokaler Ebene um die Integration vor Ort zu ermöglichen, Informationen zu freiwilligen Rückkehrprogrammen, sowie Informationen zu Freizeit-, Sport- und Kulturaktivitäten bieten (AIDA 5.2020).

Es gibt mit Stand Jänner 2020 809 Einzelprojekte mit insgesamt 31.284 Plätzen (davon 4.003

Plätze in 155 Projekten für unbegleitete Minderjährige und 663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen). Im Gegensatz zu den großen Zentren der 1. Linie (Erstaufnahme), sind die SIPROIMI kleinteilig und dezentralisiert organisiert. Die Unterbringung in SIPROIMI dauert sechs Monate, in Ausnahmefällen verlängerbar um weitere sechs Monate (AIDA 5.2020). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den Leistungen der Erstaufnahme auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019). Nach dieser Periode werden die Schutzberechtigten gleich behandelt wie italienische Staatsangehörige. In den meisten Fällen genügt dieser Zeitraum nicht zum Erwerb ausreichender Fähigkeiten, um finanziell und sozial unabhängig von staatlicher Unterstützung zu werden (SFH 1.2020).

Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu Sozialwohnungen (edilizia residenziale bzw. case popolari). In manchen Regionen ist dieser Zugang an eine bestimmte ununterbrochene Mindestmeldezeit in der Region gebunden (z.B. fünf Jahre in Friaul) (AIDA 5.2020). Wartezeiten von mehreren Jahren auf eine Wohnung sind die Regel.

Die Mieten in den Städten sind im Allgemeinen sehr hoch. Vermieter verlangen meist einen

Arbeitsvertrag und eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Schutzberechtigte haben nach Ablauf der sechs Monate Unterbringung im SIPROIMI oft große Probleme eine Wohnung zu finden (RW 6.2020).

In ganz Italien gibt es informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben,

unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020). In einigen Städten bieten NGOs oder Wohltätigkeitsorganisationen ein paar Schlafplätze an, doch deren Kapazitäten sind sehr beschränkt. Viele Menschen mit internationalem Schutzstatus leben in Notunterkünften, die lediglich einen Platz zum Schlafen anbieten und nicht speziell für Flüchtlinge gewidmet sind, sondern auch italienischen Staatsbürgern in Notsituationen offenstehen (SFH 1.2020). Die Regierung unternimmt begrenzte Versuche, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu inte

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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