TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/16 W207 2243800-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2021
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Entscheidungsdatum

16.09.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W207 2243800-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , gegen den gemäß § 45 Abs. 2 BBG in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 16.06.2021, OB: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 40 Abs. 1, § 41 Abs. 1, § 42 Abs. 1, § 45 Abs. 1 und 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) als unbegründet abgewiesen.

Der Grad der Behinderung beträgt 50 von Hundert (v.H.).

Die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 04.02.2021 beim Sozialministeriumservice (in der Folge auch als „belangte Behörde“ bezeichnet) den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses, in dem sie als geltend gemachte Gesundheitsschädigungen „COPD II Gold“ und „Fersensporn rechts, Achillodynie bds. Tendinopathie Peroneussehne“ anführte. Dem Antrag legte sie medizinische Unterlagen, ein Passfoto sowie Kopien ihres Führerscheins und ihrer Meldebestätigung bei. Mit E-Mail vom 05.03.2021 reichte die Beschwerdeführerin weitere medizinische Unterlagen nach.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 14.06.2021 ein, in welchem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am 31.05.2021 sowie der von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Unterlagen Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt wurde:
„…

Anamnese:

Achillodynie rechts

Peroneustendinopathie beidseits

COPD Grad II

Depressio, Schlafstörung

Derzeitige Beschwerden:

Antragstellerin bekomme schlecht Luft, vor allem bei Belastung.

Stufensteigen bis in den 2. Stock sei möglich, sie lege jedoch dabei eine Pause ein.

Sie habe auch Schmerzen im Bereich des Fußes, Sprunggelenksbereich und Fersenbereich und im Bereich der Achillessehne beidseits.

Sie habe regelmäßig Physiotherapie und bereits 5mal eine Stoßwelle bekommen, zuletzt am 28.4.2021.

Der Behandlungsverlauf sei langwierig und würde noch länger dauern bis die Besserung kommt, bisher keine wesentliche Besserung von Seiten der Fußschmerzen.

Zusätzlich wurde ein Tensgerät für zuhause besorgt und es wird regelmäßig mit Faszienrollen trainiert.

Bezüglich der Lunge nehme sie regelmäßig einen Spray. Keine zusätzliche Bedarfsmedikation, keine vermehrten Infekte pro Jahr.

Sie würde in der Nacht schnarchen und habe angeblich Atemaussetzer. Diesbezüglich sei in einem 3/4 Jahr eine erneute Schlaflaborkontrolle notwendig. Bisher wurde eine Polysomnographie beim Lungenfacharzt durchgeführt. Ferner seien nebenbefundlich Nasenpolypen bekannt.

Wegen depressiver Störung seit über 15 Jahren regelmäßige medikamentöse Therapie.

Bisher auch eine stationäre Therapie im Jahr 2008 im KH Tulln für 3 Wochen.

Sie leide Antriebs- und Schlafstörung. In der Nacht könne sie nicht schlafen, untertags liege sie teilweise bis um 12 Uhr im Bett.

Sie lebe eher sozial zurückgezogen.

Laut nachgereichtem E-Mail würde sie auch das Stiegenabwärtssteigen schwerer bewältigen. Sie müsse sich am Geländer anhalten und könne mit dem rechten Fuß die Stufen nur einzeln gehen. Abrollen sei erschwert möglich.

Ferner wird eine Gangunsicherheit wegen Schmerzen angeführt.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Pantoprazol 20mg 1x1

Duaklir Genuair 340/12mcg 1-0-1

Legalon Kps. 140mg 1-0-1

Atorvastatin 40mg 1x1

Carvedilol 25mg 1x1

Co-Dilatrend 1x1

Amlodipin 5mg 1x1

Insidon Drg. 1x1

Wellbutrin ret. 300mg 1-0-0

Candesartan 16mg 1-0-1/2

Mometason Kippler Nasenspray 18g 1-0-1

Sozialanamnese:

Invaliditätspension seit 2010 (wegen Depressio)

Wohnt alleine, geschieden, keine Kinder

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Lungenfachärztlicher Befund, 29.12.2020:

Atopie - Birke, Hasel, Hausstaubmilbe, Gräser, Katzen

COPD Gold II

Chronischer Nikotinabusus mit 25 py

Struma nodosa, Folsäuremangel

Befundbericht FA für Orthopädie, Dr. L., 27.1.2021:

Achillodynie, Peroneustendinopathie beidseits, rechts mehr als links, im Röntgen diskrete Ansatzverkalkungen abgebildet, einmalige Infiltration mit Mepi beidseits am Achillessehnenansatz, Physiotherapie, Einlagen verordnet, wiederbestellt mit den vorhandenen Einlagen

Behandlungsbestätigung UK XXX, Institut für physikalische Medizin, 26.2.2021:

ESWT am 24.3.2021 rechte Achillessehne

Als Diagnosen sind angeführt: Achillodynie beidseits, rechts mehr als links, kleiner Fersenspornansatz, Achillessehne beidseits, KSF plantar pedis beidseits

Verordnungsschein bewilligt am 5.12.2019:

Verordnet wurde Ultraschalltherapie für Ellbogen und Fersensporn und Epicondylitis

Therapien am 5.11., 7.11., 11.11., 18.11., 22.11.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

Antragsteller kommt selbständig gehend mit festem Schuhwerk ohne Hilfsmittel mit ausreichend sicherem Gangbild in die Ordination.

Be- und Entkleiden selbständig möglich ohne wesentliche Einschränkung.

Kommunikation: uneingeschränkt

Ernährungszustand:

Übergewichtig

Größe: 172,00 cm Gewicht: 100,00 kg Blutdruck:

Klinischer Status – Fachstatus:

Caput/Collum: Sehvermögen regelrecht/ausreichend korrigiert- Fingerzählen auf 3 m bds möglich

Hörvermögen/Sprachverständnis: regelrecht

Obere Extremitäten:

Schulter bds: frei beweglich

Funktionsgriffe: Kopf/Nackengriff bds: frei Schürzengriff bds: frei

Faustschluss: bds. komplett- Greiffunktion erhalten

allgemeine Kraft: KG: 5/5

Herz: rein, rhythmisch, kein Strömungsgeräusch, normofrequent

Pulmo: VA bds., kreislaufkompensiert

Abdomen: regelrechte Darmperistaltik

Untere Extremitäten:

Hüfte bds: frei beweglich, reizlos

Knie links: S 0-0-110°, Druckschmerz im Bereich der Patella praepatellär, keine Rötung oder Schwellung, Zohlentest + positiv, kein Erguss, bandstabil

Knie rechts: S 0-0-130°, reizlos, bandstabil

Allgemeine Kraft: KG: 5/5

Wirbelsäule:

HWS: im Lot, kein Klopf- und Druckschmerz

BWS: mittelgradige rechtsskoliotische Fehlhaltung im unteren BWS-Abschnitt mit umschriebener Klopfschmerzhaftigkeit

LWS: deutliche Streckfehlhaltung der gesamten LWS, paravertebraler Muskelhartspann und Klopfschmerz diskret positiv

Funktion: FBA 20cm

ISG: beidseits reizlos

Sprunggelenk rechts: Druckschmerz im Bereich des Außenknöchels und der vorderen Bandgrube, diskrete Schwellung, keine Rötung oder Überwärmung, im Bereich des Achillessehnenansatzes umschriebene Druckdolenz, kleine Delle an der Achillessehne tastbar, Thompsontest unauffällig, Fersen-Zangengriff schmerzhaft, S 10-0-30°,

Pro/Supination mittelgradig eingeschränkt

Sprunggelenk links: Druckschmerz im Bereich des Außenknöchels und der vorderen Bandgrube, diskrete Schwellung, keine Rötung oder Überwärmung, im Bereich des Achillessehnenansatzes umschriebene Druckdolenz, kleine Delle an der Achillessehne tastbar, Thompsontest unauffällig, Fersen-Zangengriff schmerzhaft, S 10-0-30°,

Pro/Supination mittelgradig eingeschränkt

Ödeme: Grad 1 bis 2 Vorfuß, Knöchelregion, distale Unterschenkelregion, bei ausgeprägter Seitenast- und Stammvarikositas Unterschenkel beidseits, rechts ausgeprägter als linls

Harn: derzeit Dysurie (Verdacht auf Harnwegsinfekt)

Stuhl: kontinent

Gesamtmobilität – Gangbild:

Gangbild: eingeschränkte Abrollbewegung, rechts ausgeprägter als links, Schrittlänge rechts diskret reduziert, ohne Hilfsmittel ausreichend selbständig mobil

Transfer: selbständig

Fersenstand: beidseits diskret unsicher ohne Abstützen möglich

Zehenstand: diskret unsicher ohne Abstützen

Einbeinstand: rechts diskret unsicher, kurzfristiges Abstützen, links unsicher ohne Abstützen

Status Psychicus:

Psychopathologischer Status:

Orientierung: zeitlich, örtlich, personell, situativ regelrecht

Gedankenductus: kohärent

Antrieb: diskret reduziert

Stimmungslage: subdepressiv bis dysphorisch, abgeflachter Affekt, eingeschränkt positiv affizierbar, eingeschränkt negativ affizierbar

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Depressive Störung

Oberer Rahmensatz, da eine mehrfache Medikation notwendig ist und im Vorfeld eine stationäre Therapie sowie eine erhebliche Einschränkung im Berufsleben mit resultierender Berufsunfähigkeit vorliegt.

03.06.01

40

2

Chronisch obstruktive Lungenerkrankung - COPD II, Gräser, Hausstaubmilben- und Pollenallergie

Oberer Rahmensatz, da eine Mehrfachmedikation notwendig ist. Berücksichtigt auch das Vorliegen von mehrfachen Allergien.

06.06.02

40

3

Fehlhaltung der Wirbelsäule

Wahl dieser Position mit dem oberen Rahmensatz, da erhebliche Fehlstellung der Brustwirbelsäule klinisch feststellbar ist bei ausreichend erhaltener Funktion und Bewegungsumfang zum Untersuchungszeitpunkt sowie bestehender Schmerzfreiheit.

02.01.01

20

4

Reizung der Achillessehne beidseits, Fersensporn rechts

1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da eine mittelgradige Bewegungseinschränkung zum Untersuchungszeitpunkt objektivierbar ist.

02.05.32

20

5

Hypertonie

Fixer Rahmensatz

05.01.02

20

6

Chronische Venenschwäche untere Extremitäten bds.

1 Stufe über dem unteren Rahmensatz, da eine beidseitige Schwellung zum Untersuchungszeitpunkt vorhanden ist ohne resultierende Einschränkung der Gelenksbeweglichkeit.

Die eingeschränkte Beweglichkeit der Sprunggelenke wird unter Leiden 4 berücksichtigt.

05.08.01

20

Gesamtgrad der Behinderung  50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Leiden 1 wird um eine Stufe erhöht bei wechselseitiger negativer Leidensbeeinflussung im Hinblick auf die Gesamtfunktionseinschränkung durch das Vorliegen von Leiden 2.

Leiden 2 schränkt die körperliche Belastbarkeit und die Gesamtfunktion im Alltag zusätzlich ein.

Leiden 3-6 erhöhen nicht weiter, da nicht schwerwiegend.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

keine

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

entfällt

Änderung des Gesamtgrades der Behinderung im Vergleich zu Vorgutachten:

entfällt

[X] Dauerzustand

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und

Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und

warum?

keine

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?

nein

Folgende Gesundheitsschädigungen im Sinne von Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung liegen vor, wegen:

[X] JA  Erkrankungen des Verdauungssystems
GdB: 20 v.H.

Begründung:

Aus den vorliegenden Befunden und dem erhobenen klinischen Untersuchungsbefund geht bei den vorliegenden Leiden kein Hinweis auf eine maßgeblich eingeschränkte Mobilität, eine maßgebliche psychische oder neurologische Erkrankung bzw. auch nicht auf ein intellektuelles Defizit hervor, sodass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist.“

Mit Schreiben vom 14.06.2021 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin aufgrund ihres Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses vom 04.02.2021 mit, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden sei. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ würden vorliegen. Der Behindertenpass im Scheckkartenformat, welcher unbefristet ausgestellt werde, werde in den nächsten Tagen übermittelt werden. Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten vom 14.06.2021 wurde der Beschwerdeführerin gemeinsam mit diesem Schreiben übermittelt.

Mit Begleitschreiben samt Rechtsmittelbelehrung vom 16.06.2021 wurde der Beschwerdeführerin der Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. übermittelt. Diesem Behindertenpass kommt gemäß der Bestimmung des § 45 Abs. 2 BBG Bescheidcharakter zu.

Mit E-Mail vom 23.06.2021 brachte die Beschwerdeführerin fristgerecht eine Beschwerde gegen den Bescheid vom 16.06.2021 folgenden Inhalts – hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben – ein:

„…

Betrifft: OB: XXXX , Beschwerde Einschätzung Behinderung bzw. zur Untersuchung vom 31.5. und Gutachten vom 14.6.2021

Gutachten:

- Seite 2 Befundbericht Dr. L.: einmalige Infiltration mit Mepi bds. falsch - sondern 2x bds. -erfolglos, darum Stoßwellentherapie - wurde auch Befund mitgebracht bzw. im Vorfeld schon gemailt

- Behandlungsbestätigung UK XXX., Physik.Therapie: ESWT 24.3.21 rechte Achillessehne, - richtig ist Stoßwellentherapie beidseits 5x, bis zum Untersuchungszeitpunkt 31.5. keinerlei Besserung - wurde auch Befund schon im Vorfeld gemailt u. auch nochmals mitgebracht - Therapie bislang erfolglos

- Seite 3 Ultraschalltherapien nicht wie im GA angeführt, 5.11 -22.11.2019, sondern 30x Zeitraum. 2019-2020

AZ: Be-Entkleiden ohne wesentl. Einschränkung, richtig ist mit Anhalten am Sessel, ich kann mich nicht ohne anhalten od. sitzen an - bzw. ausziehen.

Caput/Collum: Sehvermögen ?- wurde gar nicht geprüft

Kopf-Nackengriff, Schürzengriff bds. frei? - wurde nicht geprüft

Grifffunktion nicht geprüft, somit auch kein KG

- Seite 4 Thompsontest unauffällig? - wurde nicht geprüft

Zehen-Fersenstand diskrete unsicher ohne Abstützen - richtig ist, Arzt hat mich mit beiden Händen gehalten

Öffentliches Verkehrsmittel kann benützt werden?

Ich wurde nicht mal gefragt, in welcher Entfernung ein öffentl. Verkehrsmittel ist - wäre für so eine Einschätzung sicherlich wichtig,

Das nächste Verkehrsmittel - Bus ist ca. 200 m entfernt, um dort hinzugehen, muss ich mindestens 2x stehen bleiben, den rechten Fuß hochheben u. rasten, auch dann ist es unmöglich schmerzfrei dort hinzukommen.

Auch wenn ich an der Kasse im Supermarkt stehe, habe ich ständig den rechten Fuß oben wie ein Flamingo, zwecks Entlastung.

Mit der Bitte um weitere Veranlassung bzw. weiterer Eintrag im Ausweis,

verbleibe ich

mfG Name der Beschwerdeführerin“

Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 25.06.2021 die gegenständliche Beschwerde und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin brachte am 04.02.2021 den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Sozialministeriumservice ein.

Die Beschwerdeführerin hat ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland.

Die Beschwerdeführerin leidet unter folgenden objektivierten Funktionseinschränkungen:

1.       Depressive Störung; eine mehrfache Medikation ist notwendig, im Vorfeld liegt eine stationäre Therapie sowie eine erhebliche Einschränkung im Berufsleben mit resultierender Berufsunfähigkeit vor;

2.       Chronisch obstruktive Lungenerkrankung - COPD II; Gräser, Hausstaubmilben- und Pollenallergie, eine Mehrfachmedikation ist notwendig, unter Mitberücksichtigung des Vorliegens von mehrfachen Allergien;

3.       Fehlhaltung der Wirbelsäule, eine erhebliche Fehlstellung der Brustwirbelsäule ist klinisch feststellbar bei ausreichend erhaltener Funktion und Bewegungsumfang zum Untersuchungszeitpunkt sowie bestehender Schmerzfreiheit;

4.       Reizung der Achillessehne beidseits, Fersensporn rechts, eine mittelgradige Bewegungseinschränkung ist zum Untersuchungszeitpunkt objektivierbar;

5.       Hypertonie;

6.       Chronische Venenschwäche der unteren Extremitäten beidseits, eine beidseitige Schwellung ist zum Untersuchungszeitpunkt vorhanden ohne resultierende Einschränkung der Gelenksbeweglichkeit. Die eingeschränkte Beweglichkeit der Sprunggelenke wird unter Leiden 4 berücksichtigt.

Der Gesamtgrad der Behinderung der Beschwerdeführerin beträgt zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt 50 v.H.

Hinsichtlich der bei der Beschwerdeführerin bestehenden Funktionseinschränkungen und deren Ausmaß werden die diesbezüglichen Beurteilungen in dem oben wiedergegebenen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 14.06.2021 der nunmehrigen Entscheidung zu Grunde gelegt.

2. Beweiswürdigung:

Das Datum der Einbringung des gegenständlichen Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses basiert auf dem Akteninhalt.

Die Feststellung zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt der Beschwerdeführerin im österreichischen Bundesgebiet ergibt sich aus den diesbezüglichen Angaben der Beschwerdeführerin im Rahmen der Antragstellung, bestätigt durch eine vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Behördenanfrage aus dem zentralen Melderegister.

Die Feststellung, dass bei der Beschwerdeführerin zum aktuellen Entscheidungszeitpunkt ein Grad der Behinderung von 50 v.H. vorliegt, gründet sich auf das oben wiedergegebene, auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin und auf den von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen basierenden medizinischen Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 14.06.2021.

In diesem medizinischen Sachverständigengutachten wird auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung und unter Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten medizinischen Unterlagen auf die Leiden der Beschwerdeführerin und deren Ausmaß ausführlich, widerspruchsfrei, schlüssig und nachvollziehbar eingegangen. Die diesbezüglich getroffenen Einschätzungen auf Grundlage der Anlage zur Einschätzungsverordnung, basierend auf dem im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen Befund und unter Berücksichtigung der vorgelegten medizinischen Unterlagen, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Mit dem oben vollständig wiedergegebenen Beschwerdevorbringen wird keine Rechtswidrigkeit der vom Arzt für Allgemeinmedizin in seinem Sachverständigengutachten vorgenommenen einzelnen Einstufungen der festgestellten Leiden ausreichend konkret und substantiiert behauptet und ist eine solche auch von Amts wegen nicht ersichtlich. Das eingeholte medizinische Sachverständigengutachten schlüsselt – unter konkreter Auflistung und Berücksichtigung der von der Beschwerdeführerin im Verfahren vorgelegten relevanten medizinischen Unterlagen – konkret und umfassend auf, welche Funktionseinschränkungen bei der Beschwerdeführerin vorliegen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden.

Das gegenständlich eingeholte medizinische Sachverständigengutachten ist auch nicht zu beanstanden, wenn es eine – über die ohnedies vorgenommene Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung von 40 auf 50 v.H. hinausgehende - besonders nachteilige wechselseitige Beeinflussung der vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen oder das Vorliegen zweier oder mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen, im Sinne des § 3 Abs. 3 und 4 der Einschätzungsverordnung nicht gegeben sieht. Der beigezogene Sachverständige führte in diesem Zusammenhang schlüssig und nachvollziehbar aus, dass das Leiden 1 durch das Leiden 2, welches die körperliche Belastbarkeit und die Gesamtfunktion im Alltag zusätzlich einschränkt, aufgrund einer wechselseitigen negativen Leidensbeeinflussung im Hinblick auf die Gesamtfunktionseinschränkung um eine Stufe erhöht wird, die Leiden 3 bis 6 hingegen zu keiner weiteren Erhöhung führen, weil diese nicht schwerwiegend sind. Der Gesamtgrad der Behinderung wurde aus diesem Grund korrekt mit 50 v.H. angenommen. Die diesbezüglichen Ausführungen des beigezogenen Gutachters sind nicht zu beanstanden und wurden im Übrigen auch von der Beschwerdeführerin im Rahmen der Beschwerde nicht bestritten.

Insoweit die Beschwerdeführerin in der Beschwerde das gegenständlich eingeholte Gutachten in Bezug auf die Ausführungen unter dem Punkt „Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)“ bemängelt und hierzu vorbringt, dass diese (teilweise) unrichtig seien und weitere Behandlungen stattgefunden hätten, ist darauf hinzuweisen, dass unter diesem Punkt des Gutachtens lediglich die im Verfahren vorgelegten relevanten Befunde in inhaltlicher Hinsicht wiederzugeben sind. Die in der Beschwerde angeführten Therapien bzw. Behandlungen (nochmalige Infiltration mit Mepi beidseits am Achillessehnenansatz sowie eine fünfmalige Stoßwellentherapie), die in der Wiedergabe relevanter Befunde nicht berücksichtigt wurden, sind hingegen nicht durch entsprechende Befunde belegt, weshalb diese auch nicht unter dem Punkt „Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)“ berücksichtigt werden konnten; unabhängig davon ist aber auch nicht ersichtlich und wird von der Beschwerdeführerin auch nicht konkret vorgebracht, inwiefern in diesem Zusammenhang eine erheblichere Funktionseinschränkung als die im Rahmen der persönlichen Untersuchung am 31.05.2021 festgestellte vorliegen sollte, die zu einem höheren (Einzel)Grad der Behinderung zu führen geeignet sein könnte.

Die Durchführung einer Stoßwellentherapie fand im Übrigen bereits unter dem Punkt „Derzeitige Beschwerden“ („Sie habe regelmäßig Physiotherapie und bereits 5mal eine Stoßwelle bekommen, zuletzt am 28.4.2021“) Eingang in das vorliegende Gutachten. Mit Blick auf die weiteren Einwendungen der Beschwerdeführerin, dass die Angaben im Gutachten hinsichtlich der Anzahl und dem Zeitraum der verordneten Ultraschalltherapien unrichtig seien, ist der Beschwerdeführerin zwar insofern beizupflichten, dass unter dem Punkt „Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe)“ nur einer der beiden im Verfahren vorgelegten Verordnungsscheine aufgenommen wurde und die Aufzählung aus diesem Grund unvollständig ist. Allerdings hat die Einschätzung eines Leidens im Rahmen der Anlage der Einschätzungsverordnung auf Grundlage der – aus den festgestellten Leidenszuständen resultierenden – tatsächlich objektivierten Funktionseinschränkungen zu erfolgen und nicht primär anhand in Anspruch genommenen Therapien bzw. Behandlungen. Die bei der Beschwerdeführerin festgestellten Leidenszustände wurden vom beigezogenen Gutachter entsprechend der vorliegenden – im Rahmen der persönlichen Untersuchung objektivierten – Funktionseinschränkungen eingestuft. Insgesamt sind daher die Einwendungen der Beschwerdeführerin, dass noch weitere – im Gutachten nicht berücksichtigte – Behandlungen stattgefunden hätten, nicht dazu geeignet, das gegenständliche Sachverständigengutachten zu entkräften.

Insoweit in der Beschwerde eine Beanstandung der am 31.05.2021 durchgeführten Untersuchung der Beschwerdeführerin zum Ausdruck gebracht wird, als ausgeführt wird, dass der im Gutachten angeführte klinische Status zum Teil nicht stimmen würde bzw. angeführte Untersuchungen nicht durchgeführt worden seien, so ist festzuhalten, dass sich aus dem medizinischen Sachverständigengutachten vom 14.06.2021 keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte für die Annahme entnehmen lassen, dass bei der Beschwerdeführerin keine fachgerechte bzw. eine zu nicht zutreffenden Untersuchungsergebnissen führende Untersuchung durchgeführt worden wäre oder dass der medizinische Sachverständige pflichtwidrig nicht den Tatsachen entsprechende Untersuchungen bzw. Untersuchungsergebnisse protokolliert hätte. In Bezug auf den Einwand, dass ein Be- und Entkleiden nicht ohne wesentliche Einschränkung möglich sei und die Beschwerdeführerin sich vielmehr an einem Sessel festhalten müsse, ist anzumerken, dass – selbst bei Zutreffen dieses Vorbringens - die Zuhilfenahme eines Sessels als Stützmöglichkeit für sich genommen keine entscheidungswesentliche Funktionseinschränkung darstellt, zumal in diesem Zusammenhang nicht unberücksichtigt gelassen werden kann, dass für die Beschwerdeführerin ein Be- und Entkleiden mit Hilfe eines Sessels als Stützmöglichkeit im Stehen und ohne fremde Hilfe möglich ist, was von ihr auch nicht in Abrede gestellt wird.

Hinsichtlich der Ausführungen in der Beschwerde, dass manche der im Gutachten angeführten Untersuchungen – im Konkreten die Überprüfung des Sehvermögens, des Kopf-, Nacken- und Schürzengriffes, der Grifffunktion und des Thompsontests – gar nicht durchgeführt worden seien, ist im Übrigen der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin im gesamten Verfahren weder das Vorliegen eines eingeschränkten Sehvermögens noch entscheidungswesentliche Einschränkungen im Bereich der oberen Extremitäten oder das Vorliegen einer Achillessehnenruptur (Thompsontest) vorgebracht hat. Die Beschwerdeführerin behauptete im Rahmen der Beschwerde auch nicht, dass die im Gutachten angegebenen Untersuchungsergebnisse unrichtig wären und diese bei richtiger Zugrundelegung eine Änderung bzw. abweichende Beurteilung im vorliegenden Sachverständigengutachten bewirken hätten können. Schließlich führte der beigezogene Gutachter im vorliegenden Gutachten schlüssig und differenziert aus, inwiefern der Beschwerdeführerin die Durchführung des Zehen-, Fersen- und Einbeinstandes möglich ist („Fersenstand: beidseits diskret unsicher ohne Abstützen möglich; Zehenstand: diskret unsicher ohne Abstützen; Einbeinstand: rechts diskret unsicher, kurzfristiges Abstützen, links unsicher ohne Abstützen“), weshalb sich im Gutachten auch hinsichtlich des Einwandes der Beschwerdeführerin, dass sie im Zuge der Durchführung des Zehen- und Fersenstandes vom Arzt gehalten worden sei und daher die Durchführung nur mit Abstützen möglich sei, keine ausreichend konkreten Anhaltspunkte dafür finden, dass das Gutachten in diesem Punkt unrichtig wäre. In Gesamtbetrachtung sind daher keine konkreten Anhaltspunkte für die Annahme ersichtlich, dass die Begutachtung nicht fachgerecht durchgeführt worden wäre bzw. die Untersuchungsergebnisse nicht den Tatsachen entsprechen würden; eine solche Annahme ergibt sich auch nicht aus dem diesbezüglich nicht ausreichend substantiierten Vorbringen in der Beschwerde.

Insoweit in der Beschwerde aber in inhaltlicher Hinsicht auf die Frage der Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass Bezug genommen wird, ist darauf hinzuweisen, dass die belangte Behörde (die Stellung eines solchen Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ist im Übrigen nicht aktenkundig) mit dem angefochtenen – gemäß § 45 Abs. 2 BBG in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen – Bescheid (dieser wird von der Beschwerdeführerin mit Geschäftszahl konkret als Anfechtungsgegenstand bezeichnet) nicht über die Vornahme einer solchen Zusatzeintragung im Behindertenpass, sondern über den von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses abzusprechen hatte und auch nur über diesen Antrag abgesprochen hat. Die Klärung der Frage der Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ im Behindertenpass ist daher auch nicht Gegenstand des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht. Das diesbezügliche Vorbringen in der Beschwerde geht daher ins Leere.

Es wurden von der Beschwerdeführerin auch keine medizinischen Unterlagen vorgelegt, die die vom beigezogenen medizinischen Sachverständigen vorgenommenen Einstufungen widerlegen oder diesen entgegenstehen würden. Die Beschwerdeführerin ist dem Sachverständigengutachten im Ergebnis nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27.06.2000, Zl. 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen somit keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 14.06.2021. Dieses medizinische Sachverständigengutachten wird daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpass auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46. Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

…“

Die Beschwerde richtet sich gegen den in Form der Ausstellung eines Behindertenpasses ergangenen Bescheid der belangten Behörde, konkret erachtet die Beschwerdeführerin die Einschätzung des Grades der Behinderung sowie das zugrundeliegende Gutachten für unrichtig und zielt auf einen höheren Grad der Behinderung als 50 v.H. ab.

Wie oben unter Punkt II.2. im Rahmen der beweiswürdigenden Ausführungen, auf die verwiesen wird, ausgeführt wurde, wird der gegenständlichen Entscheidung das – als vollständig und schlüssig erkannte – seitens der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 14.06.2021 zu Grunde gelegt, wonach der Grad der Behinderung der Beschwerdeführerin aktuell 50 v.H. beträgt. Die getroffenen Einschätzungen auf Grundlage der Anlage der Einschätzungsverordnung, basierend auf den im Rahmen des Verfahrens vorgelegten medizinischen Unterlagen und einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin, entsprechen den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen.

Die Beschwerdeführerin ist den Ausführungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen, denen das Bundesverwaltungsgericht folgt, nicht substantiiert entgegengetreten, sie hat im Rahmen der Beschwerde kein Sachverständigengutachten bzw. keine sachverständige Aussage vorgelegt, in welcher die Auffassung vertreten worden wäre, dass die Annahmen und Schlussfolgerungen des beigezogenen medizinischen Sachverständigen unzutreffend oder unschlüssig seien und sie hat auch sonst im Rahmen des Verfahrens keinerlei Unterlagen vorgelegt, die ein zusätzliches Dauerleiden belegen würden oder aber Hinweise auf eine wesentliche Änderung gegenüber den bereits im Verfahren vor der belangten Behörde berücksichtigten Leidenszuständen ergeben würden.

Mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 v.H. sind die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß § 40 Abs. 1 BBG, wonach behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbstätigkeit von mindestens 50 v.H. ein Behindertenpass auszustellen ist, erfüllt. Ein höherer Grad der Behinderung als 50 v.H. kann allerdings aktuell nicht festgestellt werden.

Wie bereits erwähnt, war die Klärung der Frage der Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass weder Gegenstand des von der Beschwerdeführerin angefochtenen Bescheides vom 16.06.2021, noch ist sie Gegenstand des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht. Schon aus diesem Grund geht auch der Einwand der Beschwerdeführerin, dass der Gutachter die Entfernung ihres Wohnortes zum nächstgelegenen öffentlichen Verkehrsmittels nicht erfragt habe, ins Leere und ist ebenfalls nicht dazu geeignet das gegenständliche Gutachten zu entkräften.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß als unbegründet abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

Die Frage der Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung wurde unter Mitwirkung eines ärztlichen Sachverständigen geprüft. Die Tatsachenfragen (Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen) gehören dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist vor dem Hintergrund des vorliegenden, nicht substantiiert bestrittenen schlüssigen medizinischen Sachverständigengutachtens geklärt, sodass im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten war. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG nicht entgegen. Im Übrigen hat auch weder die Beschwerdeführerin noch die belangte Behörde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf die oben zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W207.2243800.1.00

Im RIS seit

20.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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