Entscheidungsdatum
27.09.2021Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W261 2240160-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den KOBV – Der Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich vom 16.02.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer ist seit 15.11.2018 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 50 von Hundert (in der Folge v.H.).
2. Am 13.11.2018 stellte er beim Sozialministeriumservice (in der Folge „belangte Behörde“ genannt) erstmals einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.
3. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 10.01.2019 erstatteten Gutachten vom 28.01.2019 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass der Beschwerdeführer einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 von Hundert (in der Folge vH) aufweise, jedoch die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.
4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.02.2021 wies diesen den Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass ab.
5. Die dagegen vom Beschwerdeführer erhobene Beschwerde vom 06.03.2019 wies das Bundesverwaltungsgericht nach Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin mit Erkenntnis vom 08.04.2020, Zl. W261 2215836-1/22E, als unbegründet ab.
6. Am 16.10.2020 (einlangend) stellte der Beschwerdeführer, vertreten durch den KOBV – Der Behindertenverband für Wien, NÖ & Bgld. (in der Folge „KOBV“ genannt) bei der belangten Behörde neuerlich einen Antrag auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29 b Straßenverkehrsordnung (StVO) (Parkausweis), der entsprechend dem von der belangten Behörde zur Verfügung gestellten und vom Beschwerdeführer ausgefüllten Antragsformular auch als Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gilt und legte eine Reihe von ärztlichen Befunden vor.
7. Die belangte Behörde holte in weiterer Folge ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 12.01.2021 erstatteten Gutachten vom 17.01.2021 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen.
8. Die belangte Behörde übermittelte das genannte Gutachten dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.01.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumt ihm die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist von zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
9. Der Beschwerdeführer machte vertreten durch den KOBV mit Stellungnahme vom 02.02.2021 von diesem Recht Gebrauch und führte aus, dass es ihm keinesfalls möglich sei, eine Gehstrecke von 300 bis 400 Metern zu bewältigen oder Treppen zu steigen. Trotz Rehab sei keine Besserung seiner Beschwerden eingetreten, es hätten diverse Therapiemaßnahmen abgebrochen werden müssen, weil der Beschwerdeführer körperlich eingeschränkt gewesen sei und unter starken Schmerzen gelitten habe.
10. Die belangte Behörde ersuchte die befasste Sachverständige um eine ergänzende Stellungnahme, welche diese am 09.02.2021 abgab. Darin führte sie aus, dass sämtliche Leiden des Beschwerdeführers berücksichtigt worden seien. Trotz der Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule und beider Kniegelenke seien das sichere Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das sichere Aus- und Einsteigen und der sichere Transport sei gewährleistet. In der Untersuchungssituation sei das Gehen ohne Unterarmstützkrücke leicht hinkend im freien Gang im Raum ohne Hilfsmittel und ohne Probleme möglich gewesen. Zehen/Fersenstand bzw. Einbeinstand sei beidseits möglich gewesen.
11. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.02.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 BBG ab.
Darüber hinaus führte die belangte Behörde anmerkend aus, dass über den Antrag auf Ausstellung eines § 29b-Ausweises nach der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht abgesprochen werde, da die grundsätzlichen Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass nicht vorliegen würden. Die belangte Behörde schloss dem genannten Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten und die ergänzende Stellungnahme in Kopie an.
12. Der Beschwerdeführer legte mit Schreiben vom 10.02.2021 durch den KOBV den Bericht des Rehabilitationszentrums XXXX vom 03.02.2021 vor.
13. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch den KOBV, fristgerecht die gegenständliche Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht.
Darin brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er am 25.08.2020 einen Unfall erlitten habe, bei dem er sich am rechten Knie und an der rechten Schulter verletzt habe. Er habe dabei erhebliche Verletzungen am rechten, bereits vorgeschädigten Knie erlitten und habe im November 2020 eine Kreuzbandplastik rechts durchgeführt werden müssen. Nach wie vor würden ein Knieerguss sowie eine Bakerzyste und Degenerationen am Miniskushinterhorn vorliegen. Der Beschwerdeführer habe sich von 13.01.2021 bis 03.02.2021 zur orthopädischen Rehabilitation im Rehabilitationszentrums XXXX befunden, jedoch seien die Rehabilitationsziele nicht erreicht worden, da weder eine Schmerzverbesserung noch eine Steigerung der Beweglichkeit erzielt habe werden können. Auch bei der Abschlussuntersuchung sei eine Instabilität am rechten Knie nachweisbar gewesen, und der Beschwerdeführer sei nur mit langsamen deutlichem Schonhinken rechtsbetont stark eingeschränkt für eine Gehstrecke von maximal 100 Metern mit Unterbrechungen mobil gewesen. Stiegensteigen sei dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen. Es sei auch festgehalten worden, dass die grobe Kraft an den unteren Extremitäten deutlich reduziert sei und es werde ein Kraftgrad III-V bei Streckung und Beugung angegeben. Die Rehabilitation habe daher – entgegen der Ansicht der belangten Behörde – nicht zu einer Verbesserung des Zustandes geführt und es liege diese stark eingeschränkte Beweglichkeit zumindest seit dem Unfall im August 2020 – daher seit mehr als sechs Monaten – vor. Der Beschwerdeführer sei daher nicht in der Lage, ein öffentliches Verkehrsmittel zu erreichen und dieses zu benutzen. Der Beschwerdeführer beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Orthopädie, die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung und seiner Beschwerde Folge zu geben. Der Beschwerdeführer schloss der Beschwerde weitere medizinische Befunde, unter anderem den Bericht des Rehabilitationszentrums XXXX vom 03.02.2021, an.
14. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 05.03.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.
15. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 08.03.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.
16. Das Bundesverwaltungsgericht nahm die Beschwerde zum Anlass, um antragsgemäß ein medizinisches Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin einzuholen. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 20.05.2021 erstatteten Gutachten vom 20.07.2021 stellte die medizinische Sachverständige fest, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass aus medizinischer Sicht nicht vorlägen. Die medizinische Sachverständige übermittelte auch sämtliche vom Beschwerdeführer im Rahmen der medizinischen Untersuchung vorgelegten medizinischen Befunde.
17. Das Bundesverwaltungsgericht übermittelte dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 27.07.2021 den Parteien des Verfahrens im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesen die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.
18. Der Beschwerdeführer führte vertreten durch den KOBV in seiner Stellungnahme vom 09.08.2021 im Wesentlichen aus, dass im Bericht des Rehabilitationszentrums XXXX vom 03.02.2021 festgehalten sei, dass starke Schmerzen im rechten Knie bestehen würden und dieses nach wie vor instabil sei. Erschwerend würden die Beschwerden aufgrund der Lendenwirbelsäule bestehenden und in die linke untere Extremität ausstrahlenden Schmerzen hinzukommen. Ferner würden Sensibilitätsstörungen im Bereich der unteren Extremitäten - vor allem links - bestehen. Dies führe dazu, dass nur eine Gehstrecke von maximal 100 Metern bewältigt werden könne, dies teilweise mit Unterbrechungen und Stiegensteigen sei dem Beschwerdeführer nach wie vor nicht möglich. Da es immer wieder zu einem „Auslassen“ der Beine komme, sei der Beschwerdeführer zur Fortbewegung auf zwei Unterarmstützkrücken angewiesen. Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte medizinische Sachverständigengutachten stehe daher im Widerspruch zu dem zitierten Rehabilitationsbericht. Aufgrund dieser Widersprüchlichkeiten sei jedenfalls ein weiteres orthopädisches Sachverständigengutachten einzuholen. Der Beschwerdeführer weise auf die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung hin, damit sich der erkennende Senat ein Bild vom Beschwerdeführer machen könne.
Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland und besitzt einen Behindertenpass.
Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar.
Art und Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers:
Vorgeschichte:
HE, 2002 Leistenhernäenoperation links, 2004 Kreuzbandplastik links.
8/2020 Distorsion rechtes Kniegelenk, Ruptur vorderes Kreuzband 23.11.2020 vordere Kreuzbandplastik rechts Abnützungserscheinungen der Wirbelsäule und rechten Schulter.
Zwischenanamnese seit 09.02.2021:
Keine Operation, kein stationärer Aufenthalt.
Sozialanamnese: verheiratet, 6 Kinder, lebt in Einfamilienhaus
Berufsanamnese: Kraftfahrer, Krankenstand seit Unfall 8/2020
Medikamente: Blopress, Concor, Norvasc, Novalgin, Simvastatin
Allergien: Quecksilber
Nikotin: 10
Derzeitige Beschwerden:
„Schmerzen habe ich von der Lendenwirbelsäule ins linke Bein ausstrahlend, ohne Krücke kann ich nicht einmal 100 m gehen, habe dann Schmerzen im rechten Knie und in der Lendenwirbelsäule. Das rechte Knie ist instabil, mehr als vor der Operation. Mit einer Krücke kann ich etwa 10 min gehen, aber mit Pausen. Hergekommen bin ich mit dem Auto.“
Status:
Allgemeinzustand gut, Ernährungszustand gut.
Größe 180 cm, Gewicht 90 kg, Alter: 53a
Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen Thorax: symmetrisch, elastisch, Atemexkursion seitengleich, sonorer Klopfschall, VA. HAT rein, rhythmisch.
Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar, kein Druckschmerz.
Integument: kleine Narben.
Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:
Rechtshänder. Der Schultergürtel steht horizontal, symmetrische Muskelverhältnisse. Die Durchblutung ist ungestört, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Benützungszeichen sind seitengleich vorhanden. Sämtliche Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Schultern, Ellbogengelenke, Unterarmdrehung, Handgelenke, Daumen und Langfinger seitengleich frei beweglich. Grob- und Spitzgriff sind uneingeschränkt durchführbar. Der Faustschluss ist komplett, Fingerspreizen beidseits unauffällig, die grobe Kraft in etwa seitengleich, Tonus und Trophik unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.
Becken und beide unteren Extremitäten:
Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Die tiefe Hocke ist zur Hälfte möglich. Die Beinachse ist im Lot. Symmetrische Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.
Kniegelenk beidseits: Narben bei vorderer Kreuzbandplastik, schlanke Konturen, keine Umfangsvermehrung, keine Überwärmung, kein Erguss, in allen Ebenen stabil. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.
Aktive Beweglichkeit: Hüften frei, Knie bds 0/0/130, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.
Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.
Wirbelsäule:
Schultergürtel und Becken stehen horizontal, in etwa im Lot, regelrechte Krümmungsverhältnisse. Die Rückenmuskulatur ist symmetrisch ausgebildet, mäßig Hartspann, Klopfschmerz über der mittleren LWS, geringgradig über der gesamten BWS und LWS.
Aktive Beweglichkeit:
HWS: in allen Ebenen frei beweglich
BWS/LWS: FBA: 30 cm, Rotation und Seitneigen 20°
Lasegue bds. negativ, Muskeleigenreflexe seitengieich mitteliebhaft auslösbar.
Gesamtmobilität - Gangbild:
Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen mit einer Unterarmstützkrücke, das Gangbild ist teilweise unauffällig und nicht hinkend, Schrittlänge und Spurbreite nicht wesentlich eingeschränkt, teilweise wird beim Gehen mit einer Unterarmstützkrücke, rechts geführt, das rechte Bein in Strecksteilung und hinkend vorgeführt, beim Gehen im Untersuchungszimmer ohne Schuhe und ohne Krücke wird beim Gehen das rechte Bein absinkend vorgeführt. Richtungswechsel sicher möglich.
Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.
Status psychicus:
Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.
Der Beschwerdeführer hat folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:
? Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
? Degenerative Veränderungen beider Kniegelenke, Zustand nach vorderer Kreuzbandplastik beidseits
? Beginnende Abnützungserscheinungen rechte Schulter
? Hypertonie
Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel:
Die festgestellten Gesundheitsschädigungen am Stütz- und Bewegungsapparat haben keine erhebliche Einschränkung der Mobilität zur Folge.
Im Bereich der Gelenke der unteren Extremitäten liegen keine höhergradigen Funktionseinschränkungen vor. Im Bereich der Kniegelenke besteht keine Einschränkung der Beweglichkeit. Beide Kniegelenke sind in allen Ebenen stabil und klinisch unauffällig. Unter Berücksichtigung der für eine etwaige Kniegelenksinstabilität atypischen Gangbildveränderung konnte keine maßgebliche Gangbildbeeinträchtigung festgestellt werden, es liegt keine maßgebliche Einschränkung vor. Unterschenkelödeme, die die Gelenksbeweglichkeit einschränken, liegen nicht vor.
Erhebliche Komorbiditäten der oberen Extremitäten liegen nicht vor, das Erreichen von Haltegriffen bei geringgradigen degenerativen Veränderungen der rechten Schulter und das Festhalten ist möglich, da ausreichend Kraft und Beweglichkeit im Bereich der gesamten oberen Extremitäten beidseits vorliegt.
Eine höhergradige kardiopulmonale Funktionseinschränkungen oder anderweitige Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300-400 m und Überwinden von Niveauunterschieden sowie den sicheren Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln erheblich erschweren könnte, liegt nicht vor.
Es sind belastungsabhängige Probleme im Bereich der Kniegelenke im Vordergrund, welche die Steh- und Gehleistung mäßig einschränken. Die Gesamtmobilität ist jedoch ausreichend, um kurze Wegstrecken von etwa 300-400 m, allenfalls unter Verwendung einer einfachen Gehhilfe, aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe ohne Unterbrechung zurücklegen zu können. Der Bewegungsumfang beider Kniegelenke ist gut und höhergradige Knorpelschäden sind nicht dokumentiert, im Mai 2021 konnten stabile Gelenke festgestellt werden.
Anhand des beobachteten Gangbilds - teilweise nicht hinkend, Schrittlänge und Spurbreite nicht wesentlich eingeschränkt, Richtungswechsel sicher möglich, teilweise im rechten Knie absinkend, mit ausreichender Beweglichkeit sämtlicher Gelenke der unteren Extremitäten, und der derzeitigen Therapieerfordernis (Novalgin, WHO Stufenschema 1) - ergibt sich kein Hinweis auf höhergradige Schmerzzustände, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Überwinden von Niveauunterschieden und das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren könnten. Eine Intensivierung der Behandlung mit Schmerzmitteln ist möglich.
Das Überwinden von Niveauunterschieden, wie zum Beispiel beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln ist möglich. Eine relevante Einschränkung des Bewegungsumfangs der Gelenke der unteren Extremitäten konnte nicht festgestellt werden. Ein neurologisches Defizit ist weder dokumentiert noch anhand der aktuellen Begutachtung objektivierbar.
Das sichere Fortbewegen und das Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln und die Sitzplatzsuche sind möglich, eine erhebliche Gangunsicherheit konnte nicht festgestellt werden, siehe Gangbild. Das Anhalten ist nicht erschwert, höhergradige Funktionseinschränkungen beider oberer Extremitäten, insbesondere der Schultergelenke und Hände, konnten nicht festgestellt werden.
Eine Therapierefraktion, das heißt, dass keine therapeutische Option mehr offen ist, ist hinsichtlich der vom Beschwerdeführer angegebenen Beschwerden nicht gegeben, da von einer Intensivierung multimodaler konservativer Maßnahmen, insbesondere analgetischer und physikalischer Therapie, eine Beschwerdeerleichterung zu erwarten wäre. Teilweise werden die Maßnahmen genutzt (Novalgin).
Die Verwendung einer Unterarmstützkrücke ist zumutbar und verunmöglicht nicht das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel.
Es liegt keine schwere Erkrankung des Immunsystems vor.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Behindertenpass ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.
Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:
Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 20.07.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 20.05.2021, ist schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. Es wird auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Auch wird zu den Auswirkungen der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel eingehend Stellung genommen und nachvollziehbar ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer– trotz der vorliegenden Funktionseinschränkungen – möglich und zumutbar ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen.
Beim Beschwerdeführer erlitt im August 2020 einen Unfall, bei welchem er sich am rechten, bereits vorgeschädigten Knie und an der rechten Schulter verletzte. Er musste sich im November 2020 einer Operation für das Einsetzen einer Kreuzbandplastik im rechten Knie unterziehen. Hinzu kommen Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und des linken Knies, bei welchem er im Jahr 2004 eine Kreuzbandplastik links erhielt.
Es ist richtig, dass aus dem vom Beschwerdeführer mit der Beschwerde vorgelegten Rehabilitationsbericht der orthopädischen Rehabilitationsklinik XXXX vom 03.02.2021 zu entnehmen ist, dass der Beschwerdeführer bei der fachärztlichen Untersuchung am 01.02.2021 (noch) Probleme mit seinem rechten Knie und im Bereich der Wirbelsäule hatte. Es wurde ihm empfohlen, die erlernten Übungen und Therapien fortzusetzen und auch Übungen für einen Muskelaufbau durchzuführen. Es bestanden daher bereits im Februar 2021 – neben einer Erhöhung der Schmerzmedikamentation – Therapieoptionen, welche der Beschwerdeführer zumindest im Februar 2021 noch nicht vollumfänglich ausgenützt hatte.
Bei der Untersuchung durch die vom Bundesverwaltungsgericht beigezogene medizinische Sachverständige am 20.05.2021, somit ca. dreieinhalb Monate nach der fachärztlichen Untersuchung in der Rehaklinik, zeigte sich eine deutliche Verbesserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers.
War es dem Beschwerdeführer im Februar 2021 noch gar nicht möglich gewesen, sich wegen seiner Wirbelsäulenbeschwerden vorzubeugen, so konnte er sich während der Untersuchung am 20.05.2021 soweit vorzubeugen, dass der Finger-Boden-Abstand (FBA) nur mehr 30 cm betrug. Die Beschwerden und Schmerzzustände in der Wirbelsäule haben sich demnach seit Februar 2021 verbessert, was nicht zuletzt dadurch belegt ist, dass die Rückenmuskulatur des Beschwerdeführers im Mai 2021 symmetrisch ausgebildet gewesen ist, nur mäßiger Hartspann bestand, und ein Klopfschmerz über der mittleren Lendenwirbelsäule und geringgradig über der gesamten Brustwirbelsäule und der Lendenwirbelsäule objektivierbar war. Im Gegensatz dazu war die Brustwirbelsäule im Februar 2021 bei der fachärztlichen Untersuchung im Rahmen des Reha Aufenthaltes noch massiv klopfempfindlich gewesen. Auch wenn der Beschwerdeführer bei der Anamnese am 20.05.2021 angab, dass „er Schmerzen in der Lendenwirbelsäule habe, welche in das linke Bein ausstrahlen würden, weswegen er ohne Krücke nicht einmal 100 Meter gehen könne“, so sind dies subjektive Angaben, welche nicht durch das Ergebnis einer fachärztlichen Untersuchung objektiviert werden konnten.
Auch im Bereich beider Knie und der unteren Extremitäten ist seit dem Reha Aufenthalt im Jänner 2021 eine Verbesserung des Gesundheitszustandes objektivierbar. Bei beiden Knien konnten am 20.05.2021 Narben bei vorderer Kreuzbandplastik objektiviert werden. Beide Knie weisen schlanken Konturen auf, sind nicht umfangsvermehrt, zeigen keine Überwärmung, keinen Erguss und sind in allen Ebenen stabil. Dieser Status spricht dafür, dass beim Beschwerdeführer aktuell keine Entzündung der Knie objektivierbar ist. War die grobe Kraft der unteren Extremitäten bei der fachärztlichen Untersuchung bei der Reha am 01.02.2021 noch deutlich reduziert mit einem Kraftgrad von III von V bei Streckung und Beugung, so zeigte sich diese bei der fachärztlichen Untersuchung am 20.05.2021, dass das Abheben der gestreckten unteren Extremitäten beidseits bis 60° bei KG 5 möglich war.
Auch daraus zeigt sich in sich schlüssig und nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer bei seinen unbestritten bestehenden Verletzungen einen positiven Heilungsverlauf hat, was ganz grundsätzlich das Ziel von Operationen und Therapien ist.
Wenn der Beschwerdeführer angibt, dass er unter starken Schmerzen leide, welche es ihm nicht ermöglichen würden, eine längere Wegstrecke zurückzulegen, so muss ihm entgegengehalten werden, dass anhand des bei der Untersuchung am 20.05.2021 beobachteten Gangbilds - teilweise nicht hinkend, Schrittlänge und Spurbreite nicht wesentlich eingeschränkt, Richtungswechsel sicher möglich, teilweise im rechten Knie absinkend, mit ausreichender Beweglichkeit sämtlicher Gelenke der unteren Extremitäten, und der derzeitigen Therapieerfordernis (Novalgin, WHO Stufenschema 1) - sich kein Hinweis auf höhergradige Schmerzzustände, welche das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Überwinden von Niveauunterschieden und das Benützen öffentlicher Verkehrsmittel erheblich erschweren könnten, medizinisch objektivierbar sind. Weiters ist eine Intensivierung der Behandlung mit Schmerzmitteln möglich.
Es besteht daher – entgegen dem Vorbringen des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 09.08.2021 – kein Widerspruch zwischen dem Rehabericht vom 03.02.2021 und dem medizinischen Sachverständigengutachten vom 20.07.2021, weswegen von der Einholung eines weiteren medizinischen Sachverständigengutachtens abgesehen wird.
Einer medizinischen Sachverständigen der Humanmedizin aus dem Fachgebiet der Unfallchirurgie und Allgemeinmedizin muss zugebilligt werden, die bei einem von ihr befundeten Menschen vorhandene Mobilität richtig zu erkennen, und die Wahrnehmungen darüber richtig in der Verschriftlichung im Gutachten wiederzugeben.
Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 bis 400 Meter ist dem Beschwerdeführer somit aktuell selbständig möglich. Auch das Ein- und Aussteigen in öffentliche Verkehrsmittel ist dem Beschwerdeführer ohne fremde Hilfe zumutbar. Ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln durch Festhalten an Haltegriffen ist gewährleistet.
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel, die folgende Krankheitsbilder umfassen: Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10, sind im Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen. Ebenso wenig besteht ein Hinweis auf eine Erkrankung des Immunsystems.
Der Beschwerdeführer ist mit dem oben wiedergegebenen Vorbringen in der Beschwerde dem auf einer persönlichen Untersuchung basierenden Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 20.07.2021 im Lichte obiger Ausführungen daher nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).
Seitens des Bundesverwaltungsgerichtes bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des Sachverständigengutachtens vom 20.07.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 20.05.2021, und wird dieses Sachverständigengutachten in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
1. Zur Entscheidung in der Sache:
Der Vollständigkeit halber wird zunächst darauf hingewiesen, dass mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 10.02.2021, der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass gemäß §§ 42 und 45 Bundesbehindertengesetz idgF BGBl I Nr. 100/2018 (in der Folge kurz BBG) abgewiesen wurde. Verfahrensgegenstand ist somit nicht die Feststellung des Gesamtgrades der Behinderung, sondern ausschließlich die Prüfung der Voraussetzungen der Vornahme der beantragten Zusatzeintragung.
Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:
§ 42 (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
…
§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.
(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.
(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.
…
§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
§ 47 Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpass und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“
§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, idg F BGBl II Nr. 263/2016 lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:
„§ 1 ….
(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:
1. …….
2. ……
3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
- erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
- erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
- erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
- eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
- eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
(6)……“
In den Erläuterungen zu § 1 Abs. 2 Z 3 zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II Nr. 495/2013 wird unter anderem - soweit im gegenständlichen Fall relevant - Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (neu nunmehr § 1 Abs. 4 Z. 3, BGBl. II Nr. 263/2016):
…
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
…
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
…
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
- arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
- Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
- hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
- Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
- COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
- Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
- mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss benützt werden.
…
Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:
- Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,
- hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,
- schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,
- nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich.
Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:
- anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),
- schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),
- fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,
- selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.
…
Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:
- vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,
- laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,
- Kleinwuchs
- gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,
- bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.
…“
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist, und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).
Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hierbei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).
Bei der Beurteilung der zumutbaren Wegstrecke geht der Verwaltungsgerichtshof von städtischen Verhältnissen und der durchschnittlichen Distanz von 300 bis 400 Metern bis zur nächsten Haltestelle eines öffentlichen Verkehrsmittels aus (VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).
Wie oben im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt – auf die diesbezüglichen Ausführungen wird verwiesen -, wurde im eingeholten Sachverständigengutachten vom 20.07.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 20.05.2021, nachvollziehbar verneint, dass im Fall des Beschwerdeführers– trotz der bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen – die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass vorliegen. Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag der Beschwerdeführer noch nicht die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.
Die Voraussetzungen für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung aufgrund von erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel sind im Falle des Beschwerdeführers ebenfalls nicht gegeben. Eine erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit liegt ebenso wenig vor, wie entscheidungsmaßgebliche Einschränkungen der Sinnesfunktionen. Es kann im vorliegenden Fall außerdem keine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, festgestellt werden.
Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen kein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Prüfung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in Betracht kommt.
2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde, auf das über Veranlassung des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht und welches auf alle Einwände und vorgelegten Befunde des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer im Rahmen des ihm eingeräumten Parteiengehörs nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers und damit verbunden die Frage der Zumutbarkeit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Das medizinische Sachverständigengutachten zeigt eine eindeutige und maßgebliche Verbesserung des Gesundheitszustandes des Beschwerdeführers. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG - trotz dem in der Beschwerde gestellten Antrages auf eine mündliche Verhandlung - nicht entgegen.
Zu Spruchteil B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Schlagworte
Behindertenpass Sachverständigengutachten Zumutbarkeit ZusatzeintragungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2240160.1.00Im RIS seit
20.10.2021Zuletzt aktualisiert am
20.10.2021