TE Vfgh Beschluss 2021/2/24 G1/2021 ua, V4/2021

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Veröffentlicht am 24.02.2021
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Index

82/02 Gesundheitsrecht allgemein

Norm

B-VG Art139 Abs1 Z3, Art140 Abs1 Z1 litc, Art 140 Abs1b
COVID-19-MaßnahmenG §3 Abs1 Z1
2. COVID-19-NotmaßnahmenV BGBl II 598/2020 §9 Abs1
VfGG §7 Abs2, §57 Abs1

Leitsatz

Ablehnung eines Individualantrags gegen das - hinreichend bestimmte - Betretungsverbot zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen nach dem COVID-19-MaßnahmenG sowie Zurückweisung eines Antrags gegen das Betretungsverbot von Sportstätten nach der COVID-19-NotmaßnahmenV mangels hinreichender Darlegung der Bedenken

Spruch

I. Die Behandlung des Antrages, die Wortfolge "oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen" in §3 Abs1 Z1 Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 104/2020 als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgelehnt.

II. Der Antrag, §9 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV), BGBl II 598/2020 als gesetzwidrig aufzuheben, wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Anträge und Vorbringen

1. Mit ihren auf Art140 Abs1 Z1 litc bzw Art139 Abs1 Z3 B-VG gestützten Anträgen begehrt die antragstellende Gesellschaft, der Verfassungsgerichtshof möge die Wortfolge "oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen" in §3 Abs1 Z1 "COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG" als verfassungswidrig und §9 Abs1 der "Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz BGBl II 598/2020 (Artikel 2 – 2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV" als gesetzwidrig aufheben.

2. Die Zulässigkeit der Anträge begründet die antragstellende Gesellschaft mit dem Umstand, dass sie Mieterin einer Liegenschaft sei, auf der ein Fitnessstudio mit höchsten Hygienestandards betrieben werde, und ihr durch die angefochtene Gesetzesbestimmung und die angefochtene Verordnung jede gewerbliche Tätigkeit auf der Liegenschaft untersagt werde. Die angefochtenen Bestimmungen seien somit direkt wirksam. Eine andere zumutbare Möglichkeit, die Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, sei auf Grund drohender Verwaltungsstrafen nicht gegeben.

3. Die antragstellende Gesellschaft hegt Bedenken in Bezug auf Art2 StGG bzw Art7 B-VG, Art5 und 6 StGG bzw Art18 B-VG und führt in der Sache – auf das Wesentliche zusammengefasst – Folgendes aus:

Die getroffenen Maßnahmen würden jeder epidemiologischen Grundlage entbehren. Es fehle an jeder wissenschaftlichen Evidenz, dass sich die hier in Rede stehende Infektionskrankheit durch den Betrieb eines Fitnessstudios mit einem umfassenden Hygienekonzept ausbreite. Es sei völlig unverständlich, dass Betriebe mit einem umfassenden Hygienekonzept nicht vom Betretungsverbot ausgenommen seien bzw weder das Gesetz noch die Verordnung auf ein derartiges Konzept Rücksicht nehmen würden.

Die als Grundlage für die getroffenen Maßnahmen herangezogenen PCR-Screenings seien nicht geeignet, diese zu begründen. Ausgehend von den Produktbeschreibungen der Hersteller sei ausgeschlossen, dass die Massenscreenings – so wie sie stattfinden – durch diese Tests gedeckt seien. Bei diesen Tests bliebe völlig unbeachtlich, ob die betroffene Person Symptome aufweise und ob diese von klinischer Relevanz seien. Die völlig verfehlte Anwendung der Tests sei jedoch alleinige, jedenfalls aber wesentliche Entscheidungsgrundlage für die Erlassung der hier angefochtenen Verordnung. Diese Vorgehensweise sei unsachlich und bewirke die Verfassungs- bzw Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Gesetzesbestimmung bzw Verordnung, weil diese Regelungen der antragstellenden Gesellschaft schlichtweg den Erwerb untersagten, ohne auf individuelle Gegebenheiten, wie ein Hygienekonzept, Rücksicht zu nehmen.

Es sei davon auszugehen, dass sich im Bezug habenden Verordnungsakt derartige Überlegungen nicht finden.

Derartige Grundrechtseinschränkungen dürften nur durch Gesetz verfügt werden. Das pauschale Auslagern einer derartigen Kompetenz auf den Verordnungsgeber sei unzulässig und widerspreche den Bestimmtheitserfordernissen des Art18 B-VG. Die pauschale Ermächtigung durch den Gesetzgeber ermögliche es dem Verordnungsgeber nicht, notwendige Differenzierungen, etwa im Hinblick auf das Vorliegen eines Hygienekonzeptes zur Verhinderung der Verbreitung der Infektionskrankheit, vorzunehmen.

II. Rechtslage

Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

§3 Bundesgesetz betreffend vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (COVID-19-Maßnahmengesetz – COVID-19-MG), BGBl I 12/2020, idF BGBl I 104/2020 lautet:

"Betreten und Befahren von Betriebsstätten und Arbeitsorten sowie Benutzen von Verkehrsmitteln

§3. (1) Beim Auftreten von COVID-19 kann durch Verordnung

1. das Betreten und das Befahren von Betriebsstätten oder nur bestimmten Betriebsstätten zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen,

2. das Betreten und das Befahren von Arbeitsorten oder nur bestimmten Arbeitsorten gemäß §2 Abs3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes und

3. das Benutzen von Verkehrsmitteln oder nur bestimmten Verkehrsmitteln geregelt werden, soweit dies zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 erforderlich ist.

(2) In einer Verordnung gemäß Abs1 kann entsprechend der epidemiologischen Situation festgelegt werden, in welcher Zahl und zu welcher Zeit oder unter welchen Voraussetzungen und Auflagen Betriebsstätten oder Arbeitsorte betreten und befahren oder Verkehrsmittel benutzt werden dürfen. Weiters kann das Betreten und Befahren von Betriebsstätten oder Arbeitsorten sowie das Benutzen von Verkehrsmitteln untersagt werden, sofern gelindere Maßnahmen nicht ausreichen."

§9 der Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, mit der besondere Schutzmaßnahmen zur Verhinderung einer Notsituation auf Grund von COVID-19 getroffen werden (2. COVID-19-Notmaßnahmenverordnung – 2. COVID-19-NotMV), BGBl II 598/2020, lautet:

"Sportstätten

§9. (1) Das Betreten von Sportstätten gemäß §3 Z11 des Bundes-Sportförderungsgesetzes 2017 (BSFG 2017), BGBl I Nr 100/2017, zum Zweck der Ausübung von Sport ist untersagt.

(2) Ausgenommen vom Verbot des Abs1 sind Betretungen von Sportstätten

1. durch Spitzensportler gemäß §3 Z6 BSFG 2017, auch aus dem Bereich des Behindertensportes, oder Sportler, die ihre sportliche Tätigkeit beruflich ausüben und daraus Einkünfte erzielen oder bereits an internationalen Wettkämpfen gemäß §3 Z5 BSFG 2017 teilgenommen haben, deren Betreuer und Trainer sowie Vertreter der Medien. Die Sportler haben zu Betreuern und Trainern sowie Vertretern der Medien einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten; für Betreuer, Trainer und Vertreter der Medien gilt §6 sinngemäß.

2. im Freien durch nicht von Z1 erfasste Personen. In diesem Fall dürfen die Sportstätten nur zum Zweck der Ausübung von Sport, bei dessen sportartspezifischer Ausübung es nicht zu Körperkontakt kommt, betreten werden. Geschlossene Räumlichkeiten der Sportstätte dürfen dabei nur betreten werden, soweit dies zur Ausübung des Sports im Freiluftbereich erforderlich ist. Das Verweilen in der Sportstätte ist mit der Dauer der Sportausübung beschränkt. §2 und §5 Abs6 Z6 gelten sinngemäß.

(3) bis (4) […]"

III. Erwägungen

1. Zum Antrag auf Prüfung der Wortfolge in §3 Abs1 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz:

1.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litc B-VG ablehnen, wenn er keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art140 Abs1b B-VG; vgl VfGH 26.2.2018, G122/2017).

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Gesetzesbestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

1.3. Die antragstell

ende Gesellschaft behauptet die Verfassungswidrigkeit der Wortfolge "oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen" in §3 Abs1 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz, BGBl I 12/2020, idF BGBl I 104/2020 (im Hinblick auf das Antragsvorbringen ist unzweifelhaft die Fassung BGBl I 104/2020 gemeint; vgl VfGH 1.10.2020, G219/2020 ua), weil die Gesetzesbestimmung durch die pauschale Untersagung des Betretens von Betriebsstätten zu unbestimmt sei und dem Verordnungsgeber nicht ermögliche, notwendige Differenzierungen, etwa im Hinblick auf das Vorliegen eines Hygienekonzeptes, in der Verordnung vorzunehmen.

Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes lässt dieses Vorbringen des Antrages die behauptete Verfassungswidrigkeit als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass es keine Aussicht auf Erfolg hat: Wie der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis vom 14. Juli 2020, V411/2020, zu dem insofern gleichgelagerten §1 COVID-19-Maßnahmengesetz ausgesprochen hat, hegt er keine Bedenken gegen ein derartiges Betretungsverbot bzw eine derartige Betretungsbeschränkung im Hinblick auf Art18 Abs2 B-VG. Auch ist für den Verfassungsgerichtshof nicht ersichtlich, dass §3 COVID-19-Maßnahmengesetz im Hinblick auf seinen Abs2 dem Verordnungsgeber bei der Regelung von Betretungsverboten oder Betretungsbeschränkungen keine Differenzierungen erlaube.

1.4. Von einer Behandlung des Antrages war daher abzusehen.

2. Zum Antrag auf Prüfung des §9 Abs1 2. COVID-19-NotMV:

2.1. Der Antrag ist unzulässig.

2.2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg 8058/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass die Verordnung in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie – im Fall ihrer Gesetzwidrigkeit – verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art139 Abs1 Z3 B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl zB VfSlg 8594/1979, 15.527/1999, 16.425/2002 und 16.426/2002).

2.3. Gemäß §57 Abs1 zweiter Satz VfGG hat der Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, die gegen die Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen darzulegen. Dieses Erfordernis ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur dann erfüllt, wenn die Gründe der behaupteten Gesetzwidrigkeit – in überprüfbarer Art– präzise ausgebreitet werden, mithin dem Antrag mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, mit welcher Gesetzesbestimmung die bekämpfte Verordnungsstelle in Widerspruch stehen soll und welche Gründe für diese Annahme sprechen (vgl im Allgemeinen zB VfSlg 14.802/1997, 17.651/2005; spezifisch zum Individualantrag zB VfGH 2.7.2016, G53/2016, V13/2016). Es ist nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, pauschal vorgetragene Bedenken einzelnen Bestimmungen zuzuordnen und so – gleichsam stellvertretend – das Vorbringen für den Antragsteller zu präzisieren (VfGH 9.6.2016, G56/2016; 25.9.2017, G8/2017 ua, V6/2017 ua).

2.4. Diesem Erfordernis gemäß §57 Abs1 VfGG wird der vorliegende Antrag nicht gerecht:

2.5. Das Vorbringen der antragstellenden Gesellschaft, die als Betreiberin eines Fitnessstudios vom Betretungsverbot betroffen sei, beschränkt sich im Wesentlichen auf die unsubstantiiert gebliebene Behauptung, das pauschale Betretungsverbot von Sportstätten gemäß §9 Abs1 2. COVID-19-NotMV stütze sich lediglich auf (dafür ungeeignete) PCR-(Massen-)Testungen, weshalb es diesem an einer – wissenschaftlichen oder epidemiologischen – Grundlage mangle. Damit hat es die antragstellende Gesellschaft unterlassen, die gegen die Verordnung sprechenden Bedenken im Einzelnen und die Gründe für diese Annahme präzise und in überprüfbarer Weise darzulegen (vgl VfGH 24.11.2020, V562/2020 und V563/2020).

2.6. Das Fehlen einer geeigneten Darlegung iSd §57 Abs1 VfGG ist kein behebbares Formgebrechen, sondern ein Prozesshindernis (vgl VfSlg 12.564/1990, 15.342/1998 mwN). Der somit an einem inhaltlichen, keiner Verbesserung zugänglichen Mangel leidende Antrag ist daher als unzulässig zurückzuweisen (vgl VfSlg 17.553/2005; VfGH 26.2.2018, G27/2018). Bei diesem Ergebnis kann auch dahingestellt bleiben, ob der Anfechtungsumfang zu eng gewählt wurde.

IV. Ergebnis

1. Die Behandlung des Antrages, die Wortfolge "oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen" in §3 Abs1 Z1 COVID-19-Maßnahmengesetz als verfassungswidrig aufzuheben, wird abgelehnt.

2. Der Antrag, §9 Abs1 2. COVID-19-NotMV als gesetzwidrig aufzuheben, ist als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz bzw §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

COVID (Corona), VfGH / Individualantrag, VfGH / Legitimation, VfGH / Bedenken

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2021:G1.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2021
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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