TE Vwgh Erkenntnis 1949/10/12 1082/48

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Veröffentlicht am 12.10.1949
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §37

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Hirn und die Räte Dr. Fohn, Dr. Mahnig, Dr. Dietmann und Dr. Seibt als Richter, im Beisein des Ministerialsekretärs Dr. Lehne als Schriftführer, über die Beschwerde der MS in W, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, Magistratsabteilung 50/R Zl. ad 2914/48 vom 28. Juni 1948, betreffend Feststellung von Kriegssachschäden, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Gesetzwidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheide wurde über Antrag der RB, die Eigentümerin des Hauses in Wien XVII., H-strasse ist, gemäss 1) § 1 Abs. 2 der Verordnung über die Einwirkung von Kriegssachschäden an Gebäuden auf Miet- und Pachtverhältnisse vom 28. September 1943, D.RGBl.I, S 546/1943 entschieden, dass die in diesem Hause gelegene Wohnung Tür No. 19 infolge eines Kriegssachschadens nicht nur vorübergehend unbenützbar geworden und ihre Instandsetzung nicht innerhalb eines Jahres nach Eintritt des Schadens in Angriff genommen worden sei. In der Begründung dieses Bescheides hat sich die belangte Behörde auf ein Fachgutachten der Magistratsabteilung 37 vom 7. Mai 1948 berufen. Dieses Gutachten lautet: „Die Wohnung XVII., X Hauptstrasse , Tür 19, wurde durch Kriegseinwirkung nicht nur vorübergehend unbewohnbar. Mit der Instandsetzung wurde nicht innerhalb eines Jahres begonnen. Frühere Mieterin war Frau MS, dzt. wohnhaft XVIII., S Gasse 85/III.“ Wenn die belangte Behörde dieses Schriftstück als Fachgutachten bezeichnet, so kann dieser Auffassung nicht beigepflichtet werden. Das Gutachten eines Sachverständigen besteht in der fachmännischen Beurteilung von Tatsachen, die der Sachverständige entweder auf Grund eigener Wahrnehmungen zu bezeugen vermag oder die ihm zur Beurteilung mitgeteilt werden. Unumgängliche Voraussetzung für ein Gutachten ist daher die Festlegung der Tatsachen, die der Sachverständige zu beurteilen berufen ist, d.i. die Erstellung des Befundes, den er dem Gutachten zugrundezulegen hat. Dies ergibt sich schon aus der Aufgabe der Behörde als erkennende Instanz, die sich nicht etwa als Vollzugsorgan des Sachverständigen zu betätigen, sondern an Hand des Befundes die Schlüssigkeit des Gutachtens zu überprüfen und Befund und Gutachten einer sorgfältigen Beweiswürdigung zu unterziehen hat. Eine sachverständige Aeusserung, die sich nur in der Abgabe eines Urteiles erschöpft, ohne die Tatsachen erkennen zu lassen, auf die sich diesen Urteil gründet, ist darum mit einem wesentlichen Mangel behaftet und kaum als Beweismittel dienlich. Die Behörde, die eine so geartete Aeusserung einer fachtechnischen Stelle als Sachbefund ihrer Entscheidung zugrunde legt, wird nicht ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des massgeblichen Sachverhaltes, gerecht (§ 37 AVG) und verwehrt unter einem der Partei die Möglichkeit an der Erhebung und Feststellung dieses Sachverhaltes auf die im Gesetze vorgesehene Art mitzuwirken. Darum kann auch der am 8. Juni 1948 von der Beschwerdeführerin abgegebenen Aeusserung, dass sie „gegen das ihr zur Kenntnis gebrachte baupolizeiliche Gutachten keine Einwendungen erhebe“, verfahrensrechtlich die ihr unter anderen Umständen beizumessende Bedeutung zukommen. Daran knüpft sich aber die weitere Folge, dass der angefochtene Bescheid bei solchem Verfahren unmöglich der Vorschrift des § 60 AVG, entsprechen konnte, die besagt, dass in der Begründung die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung massgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen sind. So musste es schliesslich kommen, dass die Beschwerdeführerin all das, was den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens hätte bilden müssen, erst im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof vorbringen konnte, obwohl dem Gerichtshofe im Hinblick auf die im § 41 Abs. 1 VwGG festgelegten, für die Prüfung des angefochtenen Bescheides massgebenden Grundsätze ein eindeutig geklärter Sachverhalt zur Entscheidung vorgelegt werden müsste. So ergibt der vorliegende Fall alles in allem eine Kette von Verfahrensmängeln, die gemäss § 42 Abs. 2 lit. c VwGG seine Aufhebung geboten erscheinen lasse. Von einer mündlichen Verhandlung durfte im Hinblick auf die Bestimmung des § 39 Abs. 2 lit. b VwGG abgesehen werden.

Wien, am 12. Oktober 1949

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1949:1948001082.X01

Im RIS seit

19.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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