Kopf
Das Landesgericht Wiener Neustadt als Rekursgericht hat durch den Richter des Landesgerichts Mag. Edelmann als Vorsitzenden sowie die Richter des Landesgerichts Mag. Schirnhofer und MMag. Hornberg in der Rechtssache der klagenden Partei G... M..., ..., vertreten durch Fidi Unger Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei Z... K..., ..., vertreten durch Dr. Günther Viehböck, Rechtsanwalt in Mödling als Verfahrenshelfer, wegen Besitzstörung (hier: Verfahrenshilfe), infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom 1.9.2020, 14 C 462/20y-9, in nicht öffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert, dass er zu lauten hat:
„Der beklagten Partei wird die Verfahrenshilfe bewilligt. Ihr werden die Begünstigungen im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a und Z 3 ZPO gewährt.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.“
Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.
Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.
Text
Begründung:
Zwischen den Streitteilen ist ein Besitzstörungsverfahren anhängig, in dem mit Endbeschluss vom 16.7.2020 festgestellt wurde, dass der Beklagte dadurch, dass er sein Fahrzeug auf einem der Klägerin gehörigen KFZ-Stellplatz abgestellt habe, den ruhigen Besitz der Klägerin am Stellplatz gestört habe und schuldig sei, derartige Störungen in Hinkunft zu unterlassen.
Dieser klagsstattgebenden Entscheidung lagen im Wesentlichen die Feststellungen zugrunde, der Beklagte habe sein Fahrzeug auf dem KFZ-Parkplatz der Klägerin abgestellt, ohne dass ihm das Abstellen gestattet worden sei, er sei dort zumindest drei Minuten gestanden, nach seiner Rückkehr zum Parkplatz sei er von C... M... auf sein Verhalten angesprochen worden, worauf es aus nicht feststellbaren Gründen zu einer nicht näher feststellbaren Eskalation der Situation gekommen sei, es habe aber nicht festgestellt werden können, dass der Beklagte wegfahren habe wollen, von C... M... daran aber gehindert worden sei und es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Beklagte sein Fahrzeug nicht mehr auf dem der Klägerin gehörigen Parkplatz abstellen werde.
Innerhalb der Frist zur Erhebung eines Rekurses gegen den Endbeschluss begehrte der Beklagte, ihm die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a bis f, Z 2 und 3 ZPO zu gewähren. Dazu brachte er zusammengefasst vor, er habe sein Fahrzeug „unter 3 min ca 3 min“ und nur ausnahmsweise am Parkplatz der Klägerin abgestellt. Dabei handle es sich um keine Besitzstörung, sondern um eine Bagatelle. Er habe niemand behindert. Er habe immer Sicht auf sein Fahrzeug gehabt. Er werde sein Fahrzeug dort auch nicht mehr abstellen, weil er dort nicht wohne und auch nicht mehr arbeite.“
Aus dem seinem Verfahrenshilfeantrag angeschlossenen Vermögensbekenntnis vom 19.8.2020 geht hervor, dass der Beklagte Mieter einer ca 33 m² großen Wohnung ist, dafür Euro 321,90 monatlich bezahlt, Rehabilitationsgeld von Euro 1.225,20 monatlich bezieht, über ein Guthaben bei der V... von Euro 22,27 verfügt, einen Renault Clio, Baujahr 1999 (Wert ca 350,--), besitzt, über eine Rechtsschutzversicherung verfügt, die allerdings nicht die Kosten des gegenständlichen Rechtsstreits deckt und monatliche Unterhaltsleistungen von Euro 230,-- für ein minderjähriges Kind, geboren 2006, zu erbringen hat.
Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Erstgericht ausgehend von den Angaben im Vermögensbekenntnis dem Verfahrenshilfeantrag zur Gänze statt, ohne der Klägerin zuvor eine Äußerung zum Verfahrenshilfeantrag ermöglicht zu haben.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Antragsabweisung.
Weder der Beklagte noch der Revisor beim Landesgericht Wiener Neustadt erstatteten eine Rekursbeantwortung.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist teilweise berechtigt.
Der Rekurs macht primär Nichtigkeit mit der Begründung geltend, der Klägerin sei vor der Bewilligung der Verfahrenshilfe kein rechtliches Gehör gewährt worden. Dies wäre geboten gewesen, weil der Beklagte keinerlei Beweise vorgelegt habe, um seine Ausgaben zu bescheinigen und er seine Einkünfte aus der von ihm in der Verhandlung am 23.6.2020 behaupteten Tätigkeit als Gebäckzusteller nicht verzeichnet habe.
Dazu ist Folgendes zu sagen:
Zur Frage, ob dem Prozessgegner in einem bereits streitanhängigen Verfahren vor der Entscheidung über den Verfahrenshilfeantrag Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist, existiert unterschiedliche Judikatur zweitinstanzlicher Gerichte.
Das Oberlandesgericht Wien (RW0000895) vertritt in mittlerweile ständiger Rechtsprechung die Auffassung, Art 6 MRK erfordere die Beiziehung des Prozessgegners auch im erstinstanzlichen Verfahren, da der Rekurs gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe angesichts des Neuerungsverbots keine ausreichende Abhilfe schaffe und auch das in § 68 Abs 1 und 2 ZPO verankerte Recht, das Erlöschen und/oder die Entziehung der Verfahrenshilfe zu beantragen, kein taugliches Korrektiv biete, weil nach der Bewilligung der Verfahrenshilfe oft sofort Prozesshandlungen seitens des Begünstigten erfolgen, die eine mit Kosten verbundene Reaktion des Prozessgegners erfordern, bevor über den Antrag auf Erlöschen und/oder Entziehung rechtskräftig abgesprochen worden sei.
Auch das LGZ Graz (MietSlg 71.589; 70.598) verlangt zur Wahrung des rechtlichen Gehörs die Beiziehung des Prozessgegners bereits im erstinstanzlichen Verfahren über die Bewilligung der Verfahrenshilfe zum Zweck der besseren Kontrolle der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des die Verfahrenshilfe Beantragenden.
Dagegen nehmen sowohl das Oberlandesgericht Innsbruck (RI0100029) als auch das LGZ Wien (MietSlg 71.587; 71.590; 69.579; EFSlg 128.473) in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt ein, für eine Ausdehnung des in § 72 Abs 2 und 2a ZPO normierten rechtlichen Gehörs im Rekursverfahren auch auf das erstinstanzliche Verfahren fehle es an einer entsprechenden gesetzlichen Norm (vgl auch M.Bydlinski in Fasching/Konecny³ II/1 § 72 Rz 4) und der Prozessgegner könne seine Rechte entweder mittels Rekurs oder mittels Antragstellung nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO vollumfänglich geltend machen. Dieser Judikaturlinie schließt sich aus folgenden Überlegungen auch das Landesgericht Wiener Neustadt an:
§ 72 Abs 2 und Abs 2a ZPO sehen eine Einbindung des Prozessgegners (und des Revisors) erst ab der Beschlussfassung vor, in dem dort ausdrücklich normiert ist, dass gegen die in Verfahrenshilfeangelegenheiten ergehenden Beschlüsse auch dem Gegner sowie dem Revisor der Rekurs bzw die Rekursbeantwortung offensteht, wobei die diesbezügliche Parteistellung des Revisors erst mit der ZVN 2004 eingeführt wurde. Dagegen ist eine Einbeziehung des Prozessgegners vor Beschlussfassung im Gesetz nicht (ausdrücklich) vorgesehen. Aus § 65 Abs 2 letzter Satz ZPO ergibt sich vielmehr, dass im Fall, dass die Verfahrenshilfe vor Erhebung einer Klage beantragt wird, der Gegner jedenfalls nicht in dieses Verfahren einzubeziehen ist und ihm auch der Beschluss über den Antrag vor Zustellung der Klage nicht zuzustellen ist. Damit kann aber auch die Nichtbeiziehung des Prozessgegners nach Streitanhängigkeit keine Nichtigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens über den Verfahrenshilfeantrag begründen.
Dazu kommt, dass die einem Prozessgegner im Rahmen des Verfahrenshilfeverfahrens eingeräumten prozessualen Befugnisse ganz überwiegend auf einem nur mittelbaren Interesse, die ungerechtfertigte oder übermäßige Gewährung von Verfahrenshilfe an die andere Partei zu verhindern, beruhen, auch wenn indirekt die Verweigerung der Verfahrenshilfe dazu führen kann, dass die die Verfahrenshilfe anstrebende Partei von einer (weiteren) Rechtsverfolgung Abstand nimmt oder diese zumindest weniger intensiv betreibt (M.Bydlinski aaO § 72 ZPO Rz 6/1).
Selbst wenn man unterstellt, dieses bloß mittelbare Interesse des Prozessgegners, dass sein Kontrahent nicht Verfahrenshilfe erhält, wäre von Art 6 EMRK geschützt (aA LGZ Wien MietSlg 71.587), liegt nach Ansicht des Rekursgerichts kein Verstoß gegen die genannte Bestimmung vor, da der Rekurs gegen den Verfahrenshilfebewilligungsbeschluss und das Recht zur Stellung eines Antrags auf Entziehung und/oder Erlöschen der Verfahrenshilfe nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO ein ausreichendes Korrektiv dafür darstellen, dass der Prozessgegner im erstinstanzlichen Verfahren über die Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht einzubeziehen ist.
Für den Rekurs in Verfahrenshilfesachen gilt zwar das Neuerungsverbot. Neue Umstände oder die Unrichtigkeit der der Bewilligung zugrunde gelegten Annahmen (vgl RS0116781) kann der Prozessgegner aber mit einem Antrag nach § 68 Abs 1 und 2 ZPO geltend machen. Auf diese Antragstellung ist der Prozessgegner schließlich auch beschränkt, wenn die Verfahrenshilfe vor Klagseinbringung bzw Streitanhängigkeit bewilligt wird.
Die geltend gemachte Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses infolge nicht eingeräumter Äußerungsmöglichkeit der Klägerin liegt sohin nicht vor.
Das Verfahren ist entgegen der Meinung im Rekurs auch nicht mangelhaft geblieben.
Der Beklagte hat seine Ausgaben durch die Vorlage bezughabender Belege sehr wohl bescheinigt und auch vorgebracht, er würde nicht mehr als Gebäckzusteller arbeiten. Aus welchem Grund das Erstgericht gegen diese Angaben angesichts des Umstands, dass das Abstellen des Fahrzeugs im Zuge der Tätigkeit des Beklagten im April 2020 erfolgte, das Vermögensbekenntnis dagegen vom August 2020 datiert, Bedenken hätte haben müssen, wird im Rekurs nicht gesagt.
Im Rahmen der Rechtsrüge wendet sich die Rekurswerberin gegen die Bewilligung der Verfahrenshilfe infolge Aussichtslosigkeit eines Rekurses gegen den Endbeschluss.
Auch dem ist nicht zuzustimmen. Zwar darf einer Partei Verfahrenshilfe nach § 63 Abs 1 ZPO – abgesehen von den vermögensrechtlichen Voraussetzungen – nur dann bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht offenbar aussichtslos erscheint. Offenbar aussichtslos ist eine Prozessführung aber nur dann, wenn sie schon ohne nähere Prüfung der Angriffs- oder Verteidigungsmittel als erfolglos erkannt werden kann. Eine nicht ganz entfernte Möglichkeit des Erfolgs genügt (RS0117144). Zwar ist richtig, dass der Beklagte in erster Instanz zugestand, sein Fahrzeug für ca 3 min auf dem Stellplatz der Klägerin abgestellt zu haben. Allein daraus kann aber angesichts divergierender Rechtsprechung und Lehre (Kodek, Besitzstörung, S 270ff mwN) zur Frage des „minderintensiven Eingriffs“ nicht von Vornherein auf eine Erfolglosigkeit des Rekurses gegen den Endbeschluss geschlossen werden.
Richtig ist allerdings, dass die Bewilligung der Verfahrenshilfe zu umfänglich erfolgte. Der für das Rechtsmittelverfahren und für ein etwaiges Vollstreckungsverfahren zu erwartende Aufwand beschränkt sich auf das Auflaufen von Pauschalgebühr und die Notwendigkeit der Vertretung durch einen Rechtsanwalt. Die Erforderlichkeit der Gewährung der sonstigen Begünstigungen des § 64 Abs 1 Z 1 lit b bis f und Z 2 ZPO ist nicht ersichtlich. Verfahrenshilfe gemäß § 64 Abs 1 Z 4 ZPO hat der Beklagte gar nicht beantragt.
Dem Rekurs war daher teilweise Folge zu geben und wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung gründet auf § 72 Abs 3 ZPO. In Verfahrenshilfesachen findet kein Kostenersatz statt.
Der Ausspruch über die Unzulässigkeit eines weiteren Rechtszugs folgt aus § 528 Abs 2 Z 4 ZPO.
Textnummer
EWN0000033European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LG00239:2021:05800R00104.20X.0119.000Im RIS seit
19.10.2021Zuletzt aktualisiert am
19.10.2021