TE OGH 2021/9/14 14Os63/21b

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Veröffentlicht am 14.09.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. September 2021 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Nordmeyer, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann und Dr. Setz-Hummel LL.M. sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mock in der Strafsache gegen ***** D***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1a und 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 12. Jänner 2021, GZ 37 Hv 102/19p-94, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch und in der zu diesem gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch im Strafausspruch, sowie im Verfallserkenntnis aufgehoben, in diesem Umfang eine neue Hauptverhandlung angeordnet und die Sache an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.

Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

[1]            Mit dem angefochtenen Urteil wurde ***** D***** – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1a und 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB schuldig erkannt.

[2]       Danach hat er von Anfang 2014 bis Ende 2018 in F***** und an anderen (im angefochtenen Urteil teils namentlich genannten) Orten im In- und Ausland gewerbsmäßig und mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, Radrennmannschaften, Sportveranstalter und „Unterstützer“ durch Täuschung über Tatsachen, und zwar die Anwendung verbotener Wirkstoffe in Form von Wachstumshormonen, sowie einer nach der Anlage der Anti-Doping-Konvention (BGBl 1991/451) verbotenen Methode zu Zwecken des Dopings im Sport, nämlich der mehrfachen Entnahme von Eigenblut und Rückführung desselben in den Körper zur Leistungssteigerung, teilweise nach Absonderung der roten Blutkörperchen („Blutdoping“), zu Handlungen, und zwar „zur Auszahlung von Entlohnungen, Platzierungsprämien und Aufwandsentschädigungen für die Saisonen 2014 (ab März), 2015, 2016, 2017, 2018 von insgesamt ca. EUR 417.008,-- verleitet und zu verleiten versucht und somit in einem EUR 300.000,-- übersteigenden Betrag an ihrem Vermögen geschädigt, somit einen Betrug mit mehr als geringem Schaden begangen“, nämlich

a/ von März 2014 die Mannschaft I***** zur Zahlung von 95.833,32 Euro (für die Saison 2014 abzüglich Jänner und Februar);

b/ am 3. Juni 2014 die Mannschaft I***** zur Zahlung von 150.000 Euro (für die Saison 2015);

c/ am 30. Juli 2015 die Mannschaft I***** zur Zahlung von 150.000 Euro (für die Saison 2016);

d/ im Juli 2015 die Veranstalter der „Österreich Radrundfahrt“ zur Zahlung von 414 Euro;

e/ im Juli 2017 die Veranstalter der „Österreich Radrundfahrt“ zur Zahlung von 11.473 Euro;

f/ im September 2017 den Ö***** zur Zahlung von 1.750 Euro („UCI Straßen WM“ in B*****);

g/ „im Tatzeitraum weitere Veranstalter von Radrennen in Frankreich, Deutschland, Schweiz, Österreich, Polen, England und Italien zur Zahlung von 7.537,68 Euro“;

h/ „im Tatzeitraum weitere Veranstalter von Radrennen in Frankreich, Spanien und andernorts zur Zahlung von Beträgen in unbekannter Höhe“.

Rechtliche Beurteilung

[3]       Die dagegen aus den Gründen der Z 4, 5, 5a, 9 lit a und b sowie 10 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde ist im Recht.

[4]            Zutreffend zeigt die Mängelrüge eine offenbar unzureichende Begründung (Z 5 vierter Fall) der zur (intendierten) Schadenszufügung getroffenen Feststellung, die vom Beschwerdeführer im gedopten Zustand erbrachten Leistungen seien „wertlos“ gewesen (US 9 und 11), auf, mit welcher die Tatrichter die (entscheidende Tat-)Frage deren individueller Unbrauchbarkeit (14 Os 119/20m Rz 24) bejahten. Denn das Erstgericht begnügt sich insoweit bloß mit den pauschalen Ausführungen, es bedürfe „keiner näheren Erklärung“, dass „eine derartige Leistung im gedopten Zustand wertlos“ sei, zumal „bereits in der Vergangenheit in den Medien über gedopte Sportler berichtet wurde, die in weiterer Folge Sponsorenverträge, Preisgelder und Medaillen, etc. zurückgeben mussten bzw. diese von ihnen zurückverlangt wurden“ (US 14). Damit entbehrt das Urteil einer auf die Schuldspruchsachverhalte bezogenen Erwägung, weshalb die vom Beschwerdeführer (in der Form von ihm zugesagter Teilnahme an Radrennen) im Rahmen der gegenständlichen Austauschverhältnisse jeweils erbrachte Gegenleistung unter Berücksichtigung opferbezogener Faktoren (individuell) unbrauchbar gewesen sei. Bei der Schadensermittlung sind nämlich persönliche Vorstellungen des Opfers und seine Präferenzen („persönlicher Wirtschaftsplan“) einzubeziehen, wobei nur (aus wirtschaftlicher Sicht) willkürliche Individualinteressen außer Betracht zu bleiben haben (eingehend jüngst 14 Os 119/20m; allgemein zum objektiv-individuellen Maßstab RIS-Justiz RS0094237, RS0094308 [T3]; Kirchbacher/Sadoghi in WK2 § 146 Rz 80; Kert, SbgK § 146 Rz 222 und 247 ff; Kienapfel/Schmoller, BT II2 § 146 Rz 175 ff).

[5]            Die Tatrichter haben demnach die kritisierte Konstatierung bloß auf allgemeine Überlegungen gestützt, ohne konkret auf die wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Getäuschten einzugehen (vgl etwa die Zeugenaussage des Eigentümers der Mannschaft I***** [Punkte a bis c des Schuldspruchs], ***** T*****, man habe keine Sponsorenverträge gehabt, sei auch sonst nicht mit Rückforderungen konfrontiert gewesen und habe auch nach Kenntnis des vom Beschwerdeführer praktizierten Dopings keine Veranlassung gesehen, an diesen geleistete Zahlungen zurückzufordern [ON 93 S 9 und 13 f]). Hinzu kommt, dass das Erstgericht – von den Punkten a bis c des Schuldspruchs abgesehen – weder die Art der an den Beschwerdeführer geleisteten Zahlungen („Entlohnungen, Platzierungsprämien und Aufwandsentschädigungen“ [US 5] oder „Preisgeld- und Prämienzahlungen“ [US 10]) noch der von ihm (aus Vertrag) geschuldeten Gegenleistung auf konkrete Sachverhalte bezogen feststellte (zur Relevanz dieses Konstatierungsdefizits auch aus Z 9 lit a vgl im Übrigen 14 Os 119/20m), weshalb die oben wiedergegebenen Erwägungen der Tatrichter auch insoweit nach Maßgabe der Denkgesetze und grundlegender Erfahrungssätze (vgl RIS-Justiz RS0118317) nicht der jeweiligen Vertragssituation und den wirtschaftlichen Erwartungen der Getäuschten zugeordnet werden können.

[6]       Aus der mehrfach konstatierten (US 10 und 14 f) Kausalität dergestalt, dass die jeweiligen Vertragspartner des Beschwerdeführers in Kenntnis des von diesem praktizierten Dopings keine Zahlungen geleistet hätten, kann – bei (hier offenbar vorliegenden) Austauschverhältnissen – per se nicht auf den Eintritt eines Vermögensschadens geschlossen werden (RIS-Justiz RS0133632).

[7]       Ohne mängelfrei begründete Konstatierungen, die die rechtliche Beurteilung eines tatsächlichen oder nach dem Tatplan überhaupt möglichen Schadenseintritts tragen, lassen auch die Ausführungen zur subjektiven Tatseite (US 10 f) den erforderlichen Sachverhaltsbezug vermissen (RIS-Justiz RS0119090), weshalb das Urteil insgesamt keine taugliche Sachverhaltsbasis für die vorgenommene Subsumtion enthält (zum Ganzen erneut 14 Os 119/20m).

[8]       Sofortige Aufhebung des Schuldspruchs, der zu diesem gebildeten Subsumtionseinheit, demgemäß auch des Strafausspruchs, sowie des darauf beruhenden Verfallserkenntnisses samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Rückverweisung der Sache in diesem Umfang an das Erstgericht waren – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – Folgen des zutreffend aufgezeigten Begründungsmangels (§ 285e StPO).

[9]       Auf diese Entscheidung waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte mit ihren Berufungen zu verweisen. Dies gilt auch für dessen verfehlt als „Beschwerde“ bezeichnete (vgl § 443 Abs 3 StPO), inhaltlich als Berufung gegen das Verfallserkenntnis zu wertendes Vorbringen.

[10]           Im weiteren Verfahren wird – neben den obigen Ausführungen und den zu AZ 14 Os 119/20m allgemein in Bezug auf die Schadensberechnung bei „Dopingbetrug“ getroffenen Aussagen – zu beachten sein:

[11]           Die Klärung, ob die vom Angeklagten erbrachte Gegenleistung für die laut Anklagevorwurf von ihm Getäuschten wertlos war, wird durch geeignete Beweisaufnahme zu deren wirtschaftlich maßgeblichen Vorstellungen im jeweiligen Tatzeitpunkt, etwa zur Frage, wie sie die erwarteten Leistungen im Verhältnis zu allfälligen Konsequenzen nachgewiesenen Dopings nach ihrem individuellen Wirtschaftsplan bewertet hätten, zu erheben sein.

[12]           Im Zusammenhang mit dem Vorwurf, der Angeklagte habe durch Teilnahme an Radrennen und im Sinn des § 147 Abs 1a StGB tatbildliche Täuschung der Veranstalter Preisgelder und Platzierungsprämien betrügerisch herausgelockt, werden die näheren Umstände der Anmeldung zu diesen Rennen zu klären sein (vgl 15 Os 3/20k). Sollte die Anmeldung nämlich durch die I***** in Absprache mit dem Angeklagten erfolgt sein (vgl die dazu getätigte Aussage des Zeugen T***** [ON 93 S 12]), wäre zu prüfen, ob dieser – jeweils im Rahmen einer tatbestandlichen Handlungseinheit in Bezug auf ein Rennen – Beteiligungshandlungen (etwa durch gegenüber seiner Mannschaft abgegebene Zusage einer Teilnahme) in Österreich oder der Schweiz setzte. Im ersteren Fall einer Inlandstat (vgl [zu den Konsequenzen eines im Inland gesetzten Teilakts einer tatbestandlichen Handlungseinheit] RIS-Justiz RS0091842, RS0092155; Salimi in WK2 StGB § 67 Rz 23) müsste eine Strafbarkeit nach ausländischem Recht nicht geprüft werden. Im letzteren Fall (eines Begehungsortes auch in der Schweiz) würde ein Schuldspruch bloß Strafbarkeit nach Schweizer Recht (vgl § 146 schwStGB) voraussetzen, nicht hingegen, dass die Taten im Sinn des § 65 Abs 1 StGB auch nach den Gesetzen der jeweiligen Veranstaltungsorte mit Strafe bedroht sind (vgl [zu den Konsequenzen einer in mehreren Staaten begangenen tatbestandlichen Handlungseinheit] 17 Os 30/14m; Salimi in WK2 StGB § 65 Rz 52/1).

[13]           Für den Fall, dass in Bezug auf die Teilnahme an einzelnen Radrennen weder ein Begehungsort in Österreich noch in der Schweiz vorliegt, werden konkrete Feststellungen zu Tatorten (vgl demgegenüber US 5 und 6 ff) zu treffen sein. Davon ausgehend erfordert die Prüfung einer Strafbarkeit nach den Gesetzen des jeweiligen Tatorts (vgl § 65 Abs 1 StGB) – ungeachtet des auch für ausländisches Recht geltenden Grundsatzes „iura novit curia“ (RIS-Justiz RS0099342 [T15]) – eine ausreichende Sachverhaltsgrundlage, auf deren Basis die Erfüllung der (allenfalls abweichenden) Tatbestandsmerkmale nach ausländischem Recht konkret beurteilt werden kann (vgl erneut 14 Os 119/20m; ebenso 15 Os 3/20k; 11 Os 49/20w) und nicht bloß abstrakte Ausführungen zur Strafbarkeit von (Doping-)Betrug nach ausländischem Recht (vgl aber US 20 f).

[14]           Überdies wird – was bisher unterblieb (vgl die insoweit nicht aussagekräftigen und mit dem Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO betragsmäßig nicht in Einklang zu bringenden Feststellungen auf US 9) – zu klären sein, ob und allenfalls bei welchem Radrennen die (von tatbildlicher Täuschung begleitete) Teilnahme des Angeklagten überhaupt kausal für eine (den jeweiligen Veranstalter schädigende) Auszahlung von Platzierungsprämien oder Preisgeldern war (vgl erneut die Aussage des Zeugen T*****, derzufolge der Beschwerdeführer „keine Leitungsfunktion“ gehabt habe, sondern „Teamfahrer“ gewesen sei sowie die [offenbar vom Team insgesamt herausgefahrenen] Preisgelder „in einen Topf“ gekommen und nach „einem System“ an „die Teammitglieder verteilt“ worden seien [ON 93 S 11 f]).

[15]     In diesem Zusammenhang ist weiters zu beachten, dass der mehr als geringe Schaden im Sinn des § 147 Abs 1a StGB jeweils durch eine Tat herbeigeführt worden sein muss und sich nicht erst aus der Zusammenrechnung (vgl § 29 StGB) von Schadensbeträgen mehrerer Taten ergeben darf (RIS-Justiz RS0133630).

[16]           Abschließend wird darauf hingewiesen, dass – entgegen der Ansicht des Erstgerichts (US 22) – zufolge des beim Verfall maßgeblichen Bruttoprinzips (RIS-Justiz RS0133117; Fuchs/Tipold in WK2 StGB § 20 Rz 34) Steuern und Abgaben, die im Zusammenhang mit durch eine mit Strafe bedrohte Handlung erworbenen Vermögenswerten gezahlt wurden, bei der der Berechnung des Verfallsbetrags nicht (wertmindernd) zu berücksichtigen sind (vgl Leukauf/Steininger/Stricker, StGB4 § 20 Rz 4 und 11).

Textnummer

E132867

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0140OS00063.21B.0914.000

Im RIS seit

19.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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