TE Bvwg Erkenntnis 2021/5/6 W268 2211273-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.05.2021
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Entscheidungsdatum

06.05.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W268 2211273-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris Gachowetz als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Äthiopien, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid vom 27.11.2018, Zl. XXXX , des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.06.2020 zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird der Beschwerde stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III. und IV. werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer (in weiterer Folge: BF), ein Staatsangehöriger Äthiopiens, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet am 25.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 26.04.2016 fand eine Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

2. Am 24.05.2016 erließ das BFA den Auftrag zur Erstellung einer medizinischen Altersdiagnose den BF betreffend. In dem medizinischen Gutachten wurde anhand der am 10.06.2016 vorgenommenen Untersuchungen ein Mindestalter von 17 Jahre festgestellt, sodass das fiktive Geburtsdatum des BF mit XXXX angenommen wurde.

3. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge: BFA) am 26.01.2018 führte der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen aus, dass seine Familie von der Liyu Polizei bedroht worden sei, da sein Vater Mitglied der Opposition ONLF sei und gegen die Regierung gekämpft habe. Auch seine beiden Brüder seien festgenommen worden und er habe sie seither nicht mehr gesehen.

4. Mit im Spruch genannten Bescheid vom 27.11.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Äthiopien gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab und erteilte dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Äthiopien zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der BF keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft machen konnte. Das Fluchtvorbringen sei in vielen Bereichen widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. So sei es nicht lebensnah, dass der Vater des BF, der jahrelang Mitglied der ONLF gewesen sei, nie innerhalb der Familie über seine Arbeit gesprochen habe und der BF nichts über seine Tätigkeit wisse. Weiters habe der BF widersprüchliche Angaben zu den Aufforderungen der Liyu-Polizei gemacht und sei es unrealistisch, dass der BF vom Rauch des brennenden Geschäfts wach geworden sei und das Holzdach sofort auf ihn heruntergefallen sei. Auch die Angaben dazu, woher er wisse, dass die Liyu Polizei den Brand legte, seien widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Zudem wurde darauf verwiesen, dass seine Aussagen in der Erstbefragung insbesondere hinsichtlich der Tötung bzw. Festnahme seines Vaters, der Dauer seines eigenen Haftaufenthalts und der Finanzierung der Ausreise in eindeutigem Widerspruch zu seinen Angaben vor dem BFA stünden.

Zum subsidiären Schutz führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass ausgehend von der Unglaubwürdigkeit des Vorbringens und vor dem Hintergrund der Länderberichte keine Anhaltspunkte für ein reales Risiko einer extremen Gefahrenlage iSd Art 2 und 3 EMRK vorliegen würden und es sich beim BF um einen gesunden, jungen und arbeitsfähigen Mann handle, der im Herkunftsstaat die Schule besucht hat, mit den dortigen Gepflogenheiten vertraut sei, die in der Herkunftsregion gebräuchliche Sprache spreche und dort über ein familiäres Netz und eine Wohnmöglichkeit verfüge.

5. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 12.12.2018 fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Darin wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Widersprüche zwischen Erstaussage und Einvernahme durch das BFA nicht geeignet seien, dem BF die Glaubwürdigkeit abzusprechen und hätte berücksichtigt werden müssen, dass der BF sein Heimatland als Kind verlassen habe und sein Vater gegenüber den minderjährigen Kindern nicht alles über seine Tätigkeit für die ONLF gesagt habe. Äthiopien habe keine effizienten staatlichen Strukturen und fehle es an polizeilicher Ordnungsmacht, um dem Einzelnen effizienten Schutz zu bieten. Die Behörde habe Ermittlungen hinsichtlich der mangelnden sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte im Heimatland unterlassen, der BF habe keinen Kontakt zu seiner Familie und er vermute, dass diese ebenfalls geflüchtet sei. Im Falle einer Abschiebung würde der BF in eine ausweglose Lebenssituation geraten.

6. Die Beschwerdevorlage langte am 17.12.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde in Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung zugewiesen.

7. Am 09.06.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher der BF neuerlich ausführlich zu seinem Leben in Äthiopien und zu seinem Fluchtvorbringen befragt wurde.

8. Am 10.11.2020 wurde durch die zuständige Richterin eine Anfrage an die Staatendokumentation hinsichtlich der Lage von ethnischen Somalis in Äthiopien außerhalb des Somali-Gebietes gestellt.

9. Die Anfragebeantwortung lange am 29.12.2020 mit einem weiteren Nachtrag am 14.01.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

10. Mit „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.02.2021 wurden dem BF die dem Ermittlungsverfahren zugrunde gelegten Länderberichte sowie die Ergebnisse der Anfragebeantwortung übermittelt und diesem die Möglichkeit eingeräumt, binnen drei Wochen hierzu Stellung zu nehmen.

11. Am 12.03.2020 langte die Stellungnahme des BF zu den vom Bundesverwaltungsgericht vorgelegten Länderberichten ein, in welcher insbesondere auf die fehlende Existenzmöglichkeit des BF in Äthiopien, mögliche Diskriminierungen im Falle einer Niederlassung in nicht-somalischen Gebieten Äthiopiens und die durch die Pandemie weiter verschärfte humanitäre Lage in Äthiopien hingewiesen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers

Der BF ist Staatsangehöriger von Äthiopien und trägt die im Spruch ersichtlichen Personalien. Der BF ist ethnischer Somali und gehört dem Clan der Ogaden, dem Subclan XXXX und dem Subsubclan XXXX an. Er bekennt sich zum sunnitischen Islam.

Der BF ist in einer somalischen Region Äthiopiens, im Ort XXXX geboren und aufgewachsen. Der BF spricht seine Muttersprache Somali und darüber hinaus ein wenig Amharisch. Er hat in seinem Heimatort eine fünfjährige Schulbildung genossen, verfügt über keine Berufsbildung und war nicht erwerbstätig. Der BF lebte in seinem Heimatort gemeinsam mit seiner Familie, die ein Haus und ein Geschäft besaß, ehe der BF im Jänner 2015 in Richtung Europa ausgereist ist.

Während seiner Ausreise wurde der BF für einen unbekannten Zeitraum von wenigen Wochen bis Monaten in Addis Abeba in Haft genommen, da er sich nicht ausweisen konnte.

Am 25.04.2016 stellte der BF im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob sich die Familie des BF noch in Äthiopien aufhält. Der BF steht mit seiner Familie seit seiner Einreise nach Europa nicht mehr in Kontakt.

In Österreich leben keine Familienangehörigen des BF. Der BF verfügt im Bundesgebiet über soziale Kontakte und hat Deutschkurse bis zum Niveau B1 besucht. Der BF war im Bundesgebiet weder beruflich noch ehrenamtlich tätig, war kein Mitglied in einem Verein und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder.

Der BF leidet an keiner schwerwiegenden Erkrankung und ist arbeitsfähig.

Der BF ist im Bundesgebiet strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Das von dem BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen kann nicht festgestellt werden.

Dem BF droht keine Verfolgung durch die Liyu Polizei aufgrund der politischen Tätigkeit seines Vaters in der Opposition ONLF.

Dem BF droht auch keine asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Clanzugehörigkeit oder seiner Religion.

1.3. Zur Rückkehrsituation:

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Äthiopien ein unterstützungsfähiges familiäres bzw. soziales Netzwerk vorfinden würde.

Vor dem Hintergrund der prekären Versorgungslage in ganz Äthiopien und hier vor allem in der Herkunftsregion des BF (Somali Region), insbesondere einer anhaltenden Nahrungsmittelknappheit, welche sich durch den aktuell äußerst brutal ausgetragenen Tigray-Konflikt sowie andere aktuelle Konfliktherde in der Region (etwa mit dem Sudan) verstärkt hat, besteht für den BF insbesondere auch aufgrund seines spezifischen Personenprofils (ethnischer Somali, Ausreise aus Äthiopien als Minderjähriger, ohne Berufsausbildung, kein familiärer Anschluss, nur geringfügige Amharisch-Kenntnisse) im Falle der Rückführung ein reales Risiko, in eine existenzbedrohende Notlage zu geraten.

1.4. Zur relevanten Situation im Herkunftsland:

1.4.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation Äthiopien vom 08.01.2019 (letzte Kurzinformation eingefügt am 07.07.2020):

Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 7.7.2020: Ethnische Unruhen (betrifft: Abschnitt 3. Sicherheitslage und 13. Ethnische Minderheiten).

Nach der Ermordung des Musikers und Aktivisten Hachalu Hundessa am 29.6.2020 ist es in Äthiopien in mehreren Städten zu gewalttätigen Unruhen gekommen (BAMF 6.7.2020; vgl. Spiegel 3.7.2020, DW 5.7.2020, HRW 1.7.2020). Mindestens 166 Menschen wurden bei den Protesten getötet. Im Bundesstaat Oromia wurden 145 Zivilisten und 11 Sicherheitskräfte getötet, zehn weitere Menschen, darunter zwei Polizisten, starben in der Hauptstadt Addis Abeba. Die Zahl der Todesopfer könnte steigen, da viele Menschen ins Krankenhaus eingeliefert wurden (DW 5.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020, FAZ 5.7.2020, AN 6.7.2020). Zudem wurden rund 2.300 Personen festgenommen (BAMF 6.7.2020; vgl. FAZ 5.7.2020, AN 6.7.2020). In Addis Abeba wurde von mehreren Explosionen berichtet, Geschäfte wurden in Brand gesetzt (BAMF 6.7.2020; vgl. IPN 1.7.2020).

Der ermordete Sänger Hachalu wird von vielen als ein Verfechter der Rechte der Oromo angesehen, dessen Lieder die Kämpfe und Frustrationen der Oromo während der Protestbewegung 2014-2018 wiedergaben und vor allem von Jugendlichen gehört wurden (BAMF 6.7.2020; vgl. DW 5.7.2020, HRW 1.7.2020). Noch kurz vor seinem Tod hatte Hachalu die Politik Abiys stark kritisiert, weil er nicht die Interessen der Oromo vertrete. Gleichzeitig berichtete Hachalu von Morddrohungen gegen ihn. Obwohl sie die größte Bevölkerungsgruppe Äthiopiens bilden, fühlten sich die Oromo über Jahre von der Regierung diskriminiert (BAMF 6.7.2020).

Inzwischen habe sich die Lage – so die Polizei – wieder beruhigt. Drei Verdächtige des Mordes am Sänger seien in Untersuchungshaft, die Hintergründe des Anschlages sind jedoch bislang noch unklar (BAMF 6.7.2020). Premierminister Abiy Ahmed rief die Bewohner der Region zur Einheit auf und versicherte ihnen, dass strenge Maßnahmen gegen die Täter ergriffen würden (Regnum 3.7.2020). Abiy Ahmed machte „interne und externe Kräfte“ für die Ausschreitungen verantwortlich und bezog sich dabei auch auf die anhaltenden Spannungen mit Ägypten im Zusammenhang mit dem Bau des Staudamms am Nil (BAMF 6.7.2020; vgl. Regnum 3.7.2020).

Als Reaktion auf die Unruhen blockierte die äthiopische Regierung alle Internetverbindungen im Land. Auch die Telefonverbindungen wurden unterbrochen (BAMF 6.7.2020; vgl. AN 6.7.2020). Am Wochenende (4./5.7.2020) war die Lage in Oromia weiter angespannt. In der Hauptstadt hatte sich die Lage bis zum 5.7.2020 wieder entspannt, allerdings bleibt das Internet weiter ausgeschalten (FAZ 5.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020, AN 6.7.2020).Human Rights Watch befürchtet, dass die Abschaltung des Internets durch die Behörden, die offensichtlich exzessive Anwendung von Gewalt und die Verhaftung von politischen Oppositionellen die instabile Situation noch verschlimmern könne, anstatt die staatliche Ordnung wieder herzustellen (HRW 1.7.2020).

Schwere Unruhen gab es auch in Halachus Heimatstadt Ambo im Zusammenhang mit dessen Begräbniszeremonie (AN 2.7.2020; vgl. BAMF 6.7.2020). Im Umfeld der Beisetzung führte die Inhaftierung des Medienunternehmers Jawar Mohammed zu einer weiteren Eskalation (BAMF 6.7.2020; vgl. Spiegel 2.7.2020, AN 6.7.2020, AN 2.7.2020). Der Medienunternehmer galt lange als Unterstützer Abiys, wirft dem Premierminister jedoch vor, zu wenig für die Oromo zu tun und befürwortet die Abspaltung des Regionalstaates Oromia. Nach Einschätzung politischer Beobachter wäre Jawar bei den ursprünglich für dieses Jahr geplanten – wegen COVID-19 jedoch verschobenen – Parlamentswahlen wohl größter Konkurrent Abiys geworden (BAMF 6.7.2020; vgl. AJ 25.10.2019).

Im April 2018 übernahm Abiy als erster Oromo das Amt des Premierministers. Er leitete umfassende Reformen ein und wurde 2019 unter anderem wegen seiner Befriedungsbemühungen am Horn von Afrika mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Spannungen innerhalb der Gesellschaft haben unter seiner Amtszeit jedoch zugenommen (BAMF 6.7.2020). Abiy versprach den Äthiopiern, den Staat zu dezentralisieren und den Föderalismus zu stärken. Die meisten der neuerdings zehn semiautonomen äthiopischen Verwaltungsregionen sind ethnisch definiert. Dass die Regionen nun mehr Rechte bekommen haben, verstärkt die separatistischen Kräfte im Land. Abiys Vorhaben, die föderalen Strukturen zu stärken, ohne ein Zerbrechen entlang ethnischer Trennlinien zu provozieren, ist ein riskanter Plan, dessen Erfolg nun immer fraglicher scheint (Spiegel 3.7.2020; vgl. AN 6.7.2020). Allein 2018 flohen drei Millionen Menschen aus ihren Heimatregionen, zum Großteil wegen ethnischer Konflikte (Spiegel 3.7.2020).

KI vom 8.11.2019: Unruhen, Gewalt und Proteste (betrifft: Abschnitt 3. Sicherheitslage samt Unterabschnitten).

Ende Juni 2019 kam es zu mehreren Angriffen auf führende Politiker landesweit. Der Regionalpräsident von Bahir Dar wurde, gemeinsam mit zwei weiteren Regionalregierungsmitgliedern und Dutzender weiterer Personen bei einem „Putschversuch“ durch den Sicherheitsregionalleiter am 22.6.2019 getötet. Am 20.6.2019 wurde der Bürgermeister von Dembir Bolo angeschossen und schwer verletzt. In Guba wurden bei einem Angriff einer Amhara-Miliz am 23.6.2019 mehr als 50 Personen getötet. In Addis Abeba wurde der Militärstabschef durch seinen eigenen Personenschützer erschossen (ACLED 16.7.2019; vgl. TNH 16.10.2019, Standard 23.6.2019).

Die Ereignisse von Juni 2019 stehen in scharfem Kontrast zum Rückgang der Gewalt seit der Amtseinsetzung von Premierminister Abiy im April 2018 (ACLED 16.7.2019). Abiy schlug danach eine härtere Linie ein (TNH 16.10.2019; vgl. ACLED 16.7.2019). Das Internet wurde für vier Tage landesweit blockiert und hunderte Personen wurden in Zusammenhang mit der Gewalt verhaftet (ACLED 16.7.2019; vgl. TNH 16.10.2019); der Druck der Regierung hat seitdem nicht nachgelassen (TNH 16.10.2019). Amnesty International verurteilt die Regierung dafür, dass es seit Juni 2019 im Namen von Anti-Terror-Maßnahmen zu willkürlichen Festnahmen, darunter auch von Journalisten, kam (AI 4.10.2019; vgl. TNH 16.10.2019).

Ende Oktober 2019 kam es nach Gerüchten über die Misshandlung des Abiy-Kritikers und Internetaktivisten Jawar Mohammed durch Sicherheitskräfte zu Protesten und Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstrierenden (Standard 24.10.2019; vgl. Standard 25.10.2019). Aus den Protesten entwickelten sich in der Folge ethnisch und religiös motivierte Unruhen (taz 26.10.2019; vgl. EN 26.10.2019, Guardian 1.11.2019). In den darauffolgenden Tagen kam es in vielen Städten zu gewaltsamen Sicherheitsmaßnahmen, gewalttätigen Konfrontationen und Kämpfen (AS 28.10.2019). Im Zuge dieser gewaltsamen Zusammenstöße zwischen verschiedenen Volksgruppen wurden nach Angaben des Premierministers 86 Menschen getötet, darunter zehn Tote durch Sicherheitskräfte (BBC 4.11.2019; vgl. RIA 3.11.2019). Stand 25.10.2019 wurden von offizieller Seite mindestens 67 Todesopfer gemeldet (Standard 25.10.2019; vgl. Zeit 26.10.2019, EN 26.10.2019) und im Zusammenhang mit den Unruhen wurden 409 Personen verhaftet (Guardian 1.11.2019; vgl. RIA 3.11.2019). Premierminister Abiy kündigte an, dass die Behörden gegen all jene vorgehen würden, die "den Frieden und die Stabilität Äthiopiens bedrohen" (RIA 3.11.2019).

In zahlreichen Städten in der Provinz Oromia kam es zu Angriffen von Mitgliedern der Volksgruppe der Oromo. Die Opfer entstammen der ethnischen Gruppen der Oromo, Amhara und Sidama (EN 26.10.2019). Etwa 55 Menschen sind bei Kämpfen zwischen Angehörigen verschiedener Ethnien in der Region Oromia ums Leben gekommen (Standard 25.10.2019; vgl. Zeit 26.10.2019, EN 26.10.2019); der Großteil der Todesopfer geht auf Gewalt zwischen Zivilisten zurück (EN 26.10.2019), die übrigen Personen wurden von der Polizei getötet (Zeit 26.10.2019). Die Armee wurde in die Region Oromia entsandt (AS 28.10.2019; vgl. ZDF 26.10.2019, OKA 28.10.2019), bei deren Einsatz kamen sieben Personen ums Leben (AS 28.10.2019). Es gibt Berichte über Angriffe gegen Mitglieder und Glaubensstätten religiöser Minderheiten (EN 26.10.2019; vgl. Guardian 1.11.2019, Sputnik 29.10.2019).

Die Spannungen zwischen den Regionen Somali und Oromia sind besonders hoch, während Tigray und Amhara weiterhin über ihre gemeinsame Grenze streiten (TNH 16.10.2019). Die politische Öffnung und Zulassung vieler Parteien hat auch dazu geführt, dass viele Regionen und Völker nach Unabhängigkeit streben und ihren eigenen Staat gründen wollen. Viele Rebellen haben ihre Waffen niedergelegt, andere tun sich schwer damit, Konflikte plötzlich friedlich auszutragen (BAZ 12.10.2019). Die Proteste der Oromo haben viele Menschen dazu veranlasst, ein unabhängiges Oromia zu fordern und sich von Äthiopien zu lösen, während seit langem von der Unabhängigkeit der Tigray gesprochen wird (TNH 16.10.2019).

Am 14.10.2019 griff eine nicht identifizierte bewaffnete Gruppe in der Region Afar, an der Grenze zu Dschibuti und Eritrea, ein Dorf an, tötete 17 Zivilisten und verletzte mindestens 34 weitere. Die Beweggründe der Gruppe, die Berichten zufolge von Dschibuti aus nach Äthiopien gekommen sein soll, sind unklar. Die Regierung von Dschibuti erklärte, dass das dschibutische Militär an dem Angriff nicht beteiligt war. Als Reaktion auf die Angriffe versammelten sich Demonstranten in mehreren Städten der Region Afar, um gegen die Angriffe zu protestieren (ACLED 23.10.2019).

Die Auseinandersetzungen zwischen der Bodi-Gemeinschaft und äthiopischen Soldaten in Jinka gehen weiter, da Umsiedlungsprogramme die Einheimischen vertreiben, um Platz für den neuen Gibe III-Staudamm und die Zuckerplantagen zu schaffen. Schätzungsweise vierzig Menschen sind seit dem 15.9.2019 in diesem Streit gestorben (ACLED 23.10.2019).

Politische Lage

Entsprechend der Verfassung ist Äthiopien ein föderaler und demokratischer Staat. Die Grenzen der Bundesstaaten orientieren sich an sprachlichen und ethnischen Grenzen sowie an Siedlungsgrenzen. Seit Mai 1991 regiert in Äthiopien die Ethiopian People's Revolutionary Democratic Front (EPRDF), die sich aus vier regionalen Parteien zusammensetzt: Tigray People's Liberation Front (TPLF), Amhara National Democratic Movement (ANDM), Oromo People’s Democratic Organisation (OPDO) und Southern Ethiopian Peoples’ Democratic Movement (SEPDM). Traditionellen Führungsanspruch in der EPRDF hat die TPLF, die zentrale Stellen des Machtapparates und der Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht hat (AA 17.10.2018).

Auf allen administrativen Ebenen werden regelmäßig Wahlen durchgeführt, zu denen Oppositionsparteien zugelassen sind. Bei den Parlamentswahlen im Mai 2015 gewannen die regierende EPRDF und ihr nahestehende Parteien nach Mehrheitswahlrecht alle 547 Parlamentssitze. Auf allen administrativen Ebenen dominiert die EPRDF. Auch in den Regionalstaaten liegt das Übergewicht der Politikgestaltung weiter bei der Exekutive. Staat und Regierung bzw. Regierungspartei sind in der Praxis nicht eindeutig getrennt (AA 17.10.2018).

Äthiopien ist politisch sehr fragil (GIZ 9.2018). Zudem befindet sich das Land derzeit unter Premierminister Abiy Ahmed in einem politischen Wandel (GIZ 9.2018a). Abiy Ahmed kam im April 2018 nach dem Rücktritt von Hailemariam Desalegn an die Macht. Seitdem hat er den Ausnahmezustand des Landes beendet, politische Gefangene freigelassen, umstrittene Kabinettsmitglieder und Beamte entlassen, Verbote für Websites und sozialen Medien aufgehoben und ein Friedensabkommen mit dem benachbarten Eritrea geschlossen (RI 14.11.2018; vgl. EI 12.12.2018, JA 23.12.2018). Bereits seit Anfang des Jahres waren noch unter der Vorgängerregierung erste Schritte einer politischen Öffnung unternommen worden. In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen. Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren, und wurden entkriminalisiert. Abiy Ahmed hat eine Kehrtwende weg von der repressiven Politik seiner Vorgänger vorgenommen. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt mit Erfolg für stärkeren zivilgesellschaftlichen Freiraum und hat die Praxis der Kriminalisierung von Oppositionellen und kritischen Medien de facto beendet. Im Mai 2018 gab es mehrere Dialogformate in Addis Abeba und der benachbarten Region Oromia, unter Beteiligung von Vertretern der Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Abiy hat zudem angekündigt, dass die für 2020 angesetzten Wahlen frei und fair und ohne weitere Verzögerungen stattfinden sollen (AA 17.10.2018).

Unter der neuen Führung begann Äthiopien mit dem benachbarten Eritrea einen Friedensprozess hinsichtlich des seit 1998 andauernden Konfliktes (JA 23.12.2018). Im Juni 2018 kündigte die äthiopische Regierung an, den Friedensvertrag mit Eritrea von 2002 vollständig zu akzeptieren (GIZ 9.2018a). Mithilfe der USA, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate begann Abiy Ahmed Gespräche und begrüßte den eritreischen Präsidenten Isaias Afeworki im Juli 2018 in Addis Abeba (JA 23.12.2018). Nach gegenseitigen Staatsbesuchen sowie der Grenzöffnung erfolgte Mitte September 2018 die offizielle Unterzeichnung eines Freundschaftsvertrages zwischen den beiden Ländern (GIZ 9.2018a). Die Handels- und Flugverbindungen wurden wieder aufgenommen, und die UN-Sanktionen gegen Eritrea wurden aufgehoben (JA 23.12.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der Oromo Liberation Front (OLF) in Asmara ein Versöhnungsabkommen und verkündeten am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018). Am 15.9.2018 kehrten frühere Oromo-Rebellen aus dem Exil in die Hauptstadt Addis Abeba zurück. Die Führung der OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Neben OLF-Chef Dawud Ibsa und anderen Funktionären kamen auch etwa 1.500 Kämpfer aus dem benachbarten Eritrea zurück. Obwohl die Feier von einer massiven Sicherheitspräsenz begleitet wurde, kam es zu Ausschreitungen (BAMF 17.9.2018). Nach offiziellen Angaben wurden nach den Ausschreitungen rund 1.200 Personen inhaftiert (BAMF 1.10.2018).

Abiy Ahmeds Entscheidung Frauen in Führungspositionen zu befördern, wurde weitgehend begrüßt. Die Hälfte der 20 Ministerposten der Regierung wurden an Frauen vergeben, darunter Schlüsselressorts wie das Ministerium für Handel und Industrie und das Verteidigungsministerium. Abiy hat u. a. die renommierte Menschenrechtsanwältin Meaza Ashenafi zur ranghöchsten Richterin des Landes ernannt, die ehemalige UNO-Beamtin Sahle-Work Zewde wurde einstimmig vom Parlament zur Präsidentin gewählt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018, EZ 25.10.2018, GIZ 9.2018a). Die Präsidentin hat vor allem eine repräsentative Funktion, da die politische Macht beim Ministerpräsidenten liegt (BAMF 29.10.2018; vgl. BBC 18.11.2018). Aisha Mohammed ist nun Verteidigungsministerin, Muferiat Kamil Friedensministerin. Letzterer sind Polizei und Geheimdienste unterstellt. Die Ernennung der beiden Frauen ist auch deshalb historisch, weil es sich um Muslime aus ethnischen Minderheiten (Oromo) handelt, die noch nie zuvor so mächtige Ämter bekleideten. Ihre Anwesenheit im Kabinett hilft Abiy Ahmed nicht nur, Geschlechterparität zu erreichen, sondern auch, seine Unterstützungsbasis unter ethnischen Minderheiten und Muslimen zu erweitern, die sich manchmal über politische Ausgrenzung beklagen (BBC 18.11.2018).

Darüber hinaus ging die Regierung gegen Offizielle vor, die der Korruption und Rechtsverletzungen verdächtigt wurden. 60 Personen wurden verhaftet, darunter der ehemalige Leiter eines militärisch geführten Geschäftskonzerns und ehemalige stellvertretende Leiter des Geheimdienstes, Getachew Assefa. Dieser wurde wegen Korruption und Menschenrechtsverletzungen verhaftet (BBC 18.11.2018; vgl. EI 12.12.2018). Assefa war ein führendes Mitglied des Tigray-Flügels der regierenden EPRDF. Vertreter der EPRDF - darunter die Führung der TPLF - haben erklärt, dass es einen allgemeinen Konsens darüber gibt, dass Kriminelle vor Gericht gestellt werden sollten. Ältere Vertreter der TPLF fordern, dass derartige Verhaftungen nicht politisch motiviert und nur auf Tigray abzielen dürfen. Aktivisten von Tigray erachten die Verhaftungen allerdings als politisch motiviert – mit dem Ziel, die Tigray zu schwächen. Auf einen Protest in neun Großstädten in Tigray folgte am 8.12. und 9.12.2018 eine große Kundgebung in Mekele, bei der Zehntausende teilnahmen. Die Spannungen zwischen der Bundesregierung und der Region Tigray haben sich verschärft (EI 12.12.2018). Es bleibt abzuwarten, ob diese Säuberungen den Staat nicht zu destabilisieren drohen. Zudem sind die Gewaltkonflikte in den Regionen nach wie vor nicht unter Kontrolle, und Abiy weigert sich, Gewalt anzuwenden. Sein Ruf nach Ruhe und Einheit bleibt jedoch ungehört. Die Zahl der IDPs ist gestiegen, und die Gefahr einer Teilung des Landes bleibt nicht ausgeschlossen (JA 23.12.2018).

Seit seinem Amtsantritt im April 2018 als äthiopischer Premierminister, hat Abiy Ahmed tiefgreifende Reformen angeschoben. Trotzdem bleiben die Herausforderungen zahlreich. Die Restriktionen gegen Bürgerrechtsorganisationen sind noch nicht aufgehoben und das Antiterrorismusgesetz muss noch reformiert werden. Für seinen Umgang mit diesen fundamentalen Problemen steht der neue Premierminister in Kritik. Das Versprechen von freien Wahlen stößt auf die Realität eines Landes, das von einer Koalition von Rebellen kontrolliert wird – der EPRDF. Diese ist seit 1991 an der Macht und behält sämtliche Institutionen im Griff (SFH 5.12.2018).

Sicherheitslage

Nach der Wahl eines neuen Premierministers hat sich die Sicherheitslage derzeit wieder beruhigt. Der im Februar 2018 ausgerufene Notstand wurde am 5.6.2018 vorzeitig beendet (AA 4.1.2019). Derzeit gibt es in keiner äthiopischen Region bürgerkriegsähnliche Zustände; die Konflikte zwischen Ethnien (z.B. Gambella, SNNPR, Oromo/Somali) haben keine derartige Intensität erreicht (AA 17.10.2018). Laut österreichischem Außenministerium gilt in Addis Abeba und den übrigen Landesteilen ein erhöhtes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Ein Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018).

Im ganzen Land kann es bei Demonstrationen zu Ausschreitungen kommen und Gewaltanwendung nicht ausgeschlossen werden (BMEIA 12.12.2018). Die politischen und sozialen Spannungen können jederzeit zu gewalttätigen Demonstrationen, Plünderungen, Straßenblockaden und Streiks führen. Auch in Addis Abeba können gewalttätige Demonstrationen jederzeit vorkommen. Zum Beispiel haben Mitte September 2018 gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten verschiedener Lager sowie zwischen Demonstranten und Sicherheitskräfte zahlreiche Todesopfer und Verletzte gefordert (EDA 10.12.2018; vgl. BAMF 1.10.2018, BAMF 24.9.2018). Ende September 2018, sollen bei Protesten in Addis Abeba, 58 Menschen getötet worden sein, staatliche Stellen berichteten von 23 Toten. Die meisten Todesopfer habe es gegeben, als jugendliche Banden der Volksgruppe der Oromo am 16.9.2018 andere Ethnien angriffen. Zu weiteren Todesopfern kam es, als tausende Menschen gegen diese Gewaltwelle protestierten (BAMF 1.10.2018; vgl. BAMF 24.9.2018).

Zusammenstöße zwischen den Gemeinschaften in den Regionen Oromia, SNNPR, Somali, Benishangul Gumuz, Amhara und Tigray haben sich fortgesetzt. Dort werden immer mehr Menschen durch Gewalt vertrieben. Aufgrund der Ende September 2018 in der Region Benishangul Gumuz einsetzenden Gewalt wurden schätzungsweise 240.000 Menschen vertrieben (FEWS 29.11.2018).

Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und der Kampf um Wasser und Weideland können in den Migrationsgebieten der nomadisierenden Viehbesitzer im Tiefland zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führen, die oft erst durch den Einsatz der Sicherheitskräfte beendet werden (EDA 10.12.2018).

Somali Regional State (SRS / Ogaden) und Oromia

Für den SRS gilt laut österreichischem Außenministerium eine partielle Reisewarnung (BMEIA 6.12.2018). Das deutsche Außenministerium warnt vor Reisen südlich und östlich von Harar und Jijiga (AA 4.1.2019). Die Sicherheitslage ist in diesem Landesteil volatil. Lokale Gefechte zwischen der äthiopischen Armee und verschiedenen Rebellengruppen kommen vor. Zum Beispiel forderten bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der Armee und einer lokalen Miliz im August 2018 in Jijiga zahlreiche Todesopfer und Verletzte (AA 4.1.2019; vgl. EDA 6.12.2018, DW 8.8.2018). Es kam damals zu interkommunaler Gewalt zwischen ethnischen Somalis und in der Stadt lebenden Hochländern (UNOCHA 25.11.2018) und zur Plünderung von Besitztümern ethnischer Minderheiten (DW 8.8.2018). Angriffe richteten sich gezielt gegen ethnische Nicht-Somalis und gegen orthodoxe Kirchen, darunter auch Priester (AA 17.10.2018). Gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie zwischen verfeindeten Ethnien können auch weiterhin vorkommen. Auch besteht das Risiko von Anschlägen. Zudem besteht Minengefahr und das Risiko von Entführungen (EDA 6.12.2018; vgl. BMEIA 6.12.2018).

Rund um den Grenzübergang Moyale kam es mehrfach, zuletzt Mitte Dezember 2018, zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Volksgruppen der Somali- und Oromia Region sowie den Sicherheitskräften, bei denen zahlreiche Todesopfer zu beklagen waren (AA 4.1.2019). Auch am 12.11.2018 führte Gewalt zwischen den Gemeinschaften Gebra und Garre dazu, dass etwa 15.000 Menschen in der Stadt Moyale, einer Stadt, die sowohl zu Oromia als auch zu Somalia gehört, vertrieben wurden (UNOCHA 25.11.2018).

Im Süden Äthiopiens hatte es in jüngster Vergangenheit mehrfach blutige Zusammenstöße zwischen Angehörigen der Ethnien der Oromo und der Somali gegeben. Hintergrund ist der Streit um Weideland und andere Ressourcen (WZ 16.12.2018). Im Grenzgebiet der Oromo- und Somali-Regionen kommt es schon seit Anfang 2017 verstärkt zu gewaltsamen und teilweise tödlichen Zusammenstößen beider Volksgruppen. Betroffen sind vor allem die Gebiete Moyale, Guji, Bale, Borena, Hararghe und West Guji (AA 4.1.2019). Der Grenzkonflikt zwischen den Regionen Oromia und dem SRS hat sich verschärft (AA 17.10.2018).

Für die Region Oromia wurde ein hohes Sicherheitsrisiko ausgerufen. In den Regionen Oromia und Amhara kann es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Bevölkerung und der Polizei kommen. Zudem kommt es häufiger zu Entführungen an der somalisch-kenianischen Grenze, sowie grenzüberschreitender Stammesauseinandersetzungen (BMEIA 6.12.2018). In den Oromo-und Amhara-Regionen kommt es des Öfteren zu teils gewalttätigen Demonstrationen und Protestaktionen (AA 4.1.2019). Über 200.000 Menschen sind seit Juli 2018 vor ethnischen Konflikten im SRS geflohen. Damit steigt die Gesamtzahl auf über 700.000, die in den letzten Jahren vor interkommunaler Gewalt geflohen sind, so die neueste Displacement Tracking Matrix für Äthiopien. Die meisten kamen aus der Region Oromia. Insgesamt wurden im SRS fast 1,1 Millionen Menschen vertrieben, wenn auch andere Ursachen wie Dürre und Überschwemmungen berücksichtigt werden (NRC 20.11.2018).

Gambella / Benishangul-Gumuz

In diesen Gebieten sind bewaffnete Oppositionsgruppen und Banden aktiv und es bestehen Konflikte zwischen verfeindeten Ethnien (EDA 10.12.2018), welche regelmäßig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen führen (BMEIA 6.12.2018; vgl. AA 4.1.2019). Im April 2016 sind Konflikte im Nordwesten von Gambella aufgeflammt und haben über 200 Todesopfer gefordert (EDA 10.12.2018). In der Gambella-Region kommt es regelmäßig zu Stammeskonflikten (BMEIA 6.12.2018). Mittlerweile hat sich durch die hohe Präsenz von Regierungstruppen und Sicherheitskräften die Lage beruhigt. Von nicht notwendigen Reisen in die Region Gambella wie auch in die Region Benishangul-Gumuz rät das deutsche Außenministerium weiter ab (AA 4.1.2019). In jüngerer Vergangenheit wurden schätzungsweise 240.000 Menschen aufgrund interkommunalen Gewalt in der Zone Kamashi und aus der Region Benishangul-Gumuz vertrieben (FEWS 29.11.2018; vgl. UNOCHA 25.11.2018). Trotz des Einsatzes von Sicherheitskräften des Bundes zur Unterdrückung der Gewalt gibt es weiterhin Berichte über Konflikte (UNOCHA 25.11.2018).

Das schweizerische Außenministerium rät, die Grenzgebiete zum Sudan, zum Südsudan und zu Kenia großräumig zu meiden (EDA 10.12.2018). Das österreichische Außenministerium spricht für diese Gebiete von einem hohen Sicherheitsrisiko (BMEIA 6.12.2018).

Andere Regionen

An der Grenze zwischen der Region Oromia und der Southern Nations Nationalities and Peoples Region (SNNPR) gibt es bewaffnete Auseinandersetzungen. Insgesamt erhöhte sich die Zahl an IDPs in Äthiopien deswegen zwischen Jänner und Juli 2018 um etwa 1,4 Millionen Menschen (GIZ 9.2018a). Seit Juni 2018 sind bei Zusammenstößen zwischen Angehörigen unterschiedlicher Ethnien zahlreiche Personen getötet worden (EDA 10.12.2018). Es kam bereits in der Vergangenheit zu Zusammenstößen und zu Kämpfen zwischen zwei ethnischen Gruppen: den Gedeo, einer ethnischen Minderheit mit Sitz hauptsächlich in der SNNPR, und den Guji, einer Untergruppe der Oromo, der größten ethnischen Gruppe Äthiopiens. Die Gedeo sind in erster Linie Landwirte, und die Guji sind traditionell Pastoralisten. Die Spannungen zwischen den beiden Gruppen konzentrieren sich auf Land, Grenzziehung und Rechte ethnischer Minderheiten (RI 11.2018). Die interkommunale Gewalt, die am 13.4.2018 begann und bis Juni 2018 an den Grenzen der Zonen Gedeo (SNNPR) und West Guji (Region Oromia) anhielt, hat fast eine Million Menschen vertrieben. Etwa 142.000 Menschen wurden unmittelbar nach dem 4.8.2018 in der somalischen Region vertrieben (UNOCHA 25.11.2018). Nach zwei Jahrzehnten relativer Ruhe brachen im April 2018 Kämpfe über die benachbarten Verwaltungszonen Gedeo und West Guji aus. Bewaffnete Banden und Jugendgruppen griffen Dörfer an und zwangen rund 300.000 Menschen, ihre Häuser zu verlassen. Während der genaue Auslöser noch unklar ist, haben die Regierungsbehörden nach einer kurzen Untersuchung einige Verhaftungen vorgenommen und die Situation für gelöst erklärt, so dass die Menschen mit der Rückkehr nach Hause beginnen konnten. Wenige Monate später, im Juni 2018, brach die Gewalt erneut aus, in noch stärkerem Ausmaß. Über 800.000 Menschen wurden zur Flucht gezwungen. Viele Menschen erlebten Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Mord. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt (RI 11.2018).

Der Konflikt, der am stärksten von interkommunaler Gewalt betroffen ist, hat sich in den letzten Monaten verschärft (BAMF 17.12.2018; vgl. RI 11.2018). Das österreichische Außenministerium nennt für die Region Amhara sowie für das Gebiet Konso in der SNNPR ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 12.12.2018). Zuletzt kam es am 13. und 14.12.2018 zu gewalttätigen Zusammenstößen. Bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen verschiedener Volksgruppen sind im Süden Äthiopiens nach Angaben staatlicher Stellen mindestens 21 Menschen getötet und mehr als 60 verletzt worden. Viele Menschen sind über die Grenze nach Kenia geflohen (WZ 16.12.2018; vgl. BAMF 17.12.2018).

Rechtsschutz / Justizwesen

Das äthiopische Rechtssystem enthält Elemente mehrerer westlicher Rechtssysteme und ist schwer zu systematisieren (GIZ 9.2018a). Das Gesetz bzw. die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor (GIZ 9.2018a; vgl. USDOS 20.4.2018, AA 17.10.2018). In der Praxis ist davon auszugehen, dass die Gerichte nicht immer unabhängig arbeiten, was jedoch kaum nachzuweisen ist (AA 17.10.2018). Obwohl die Zivilgerichte weitgehend unabhängig arbeiten, bleiben die Strafgerichte schwach und überlastet und unterliegen politischem Einfluss (USDOS 20.4.2018). Das Justizwesen wird als korrupt und undurchsichtig wahrgenommen. Richter gelten als schlecht ausgebildet und nicht immer über die geltenden Gesetze ausreichend informiert. Dies schlägt sich entsprechend in den Verfahren nieder (GIZ 9.2018a). Strukturen und Gesetzgebung der Justiz im Hinblick auf Umgang mit straffälligen Jugendlichen entsprechen nicht internationalen Standards (AA 17.10.2018).

Sowohl religiöse als auch traditionelle Gerichte sind verfassungsmäßig anerkannt. Viele Bürger in ländlichen Gebieten haben kaum Zugang zum formalen Justizsystem und sind auf traditionelle Konfliktlösungsmechanismen angewiesen. Scharia-Gerichte können religiöse und Familienrechtsfälle übernehmen, die Muslime betreffen. Sie erhalten finanzielle Unterstützung durch den Staat und urteilen in der Mehrheit der Fälle in den vorwiegend muslimischen Somali- und Afar-Gebieten. Daneben gibt es noch weitere traditionelle Rechtssysteme, wie etwa Ältestenräte (USDOS 20.4.2018).

Eine Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis, die nach Merkmalen wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung diskriminiert, ist nicht ersichtlich. Die äthiopische Regierung bestreitet zudem Strafverfolgung aus politischen Gründen. Allerdings berichten Oppositionspolitiker, Journalisten und inzwischen auch vereinzelt muslimische Aktivisten von Einschüchterungen, willkürlichen Hausdurchsuchungen und Verhaftungen (AA 17.10.2018).

Das in der Verfassung verankerte Recht, nach der Verhaftung innerhalb von 48 Stunden einem Richter vorgeführt zu werden, wird unter anderem wegen Überlastung der Justiz häufig nicht umgesetzt. Darüber hinaus gibt es regelmäßig Berichte über Misshandlungen, insbesondere in Untersuchungshaft, unbekanntem Verbleib zwischen Verhaftung und Vorführung vor Gericht bzw. Einlieferung in ein staatliches Gefängnis oder auch darüber, dass Familienangehörige von Verhafteten unter Druck gesetzt werden. Hinzu kommen weitreichende Befugnisse, die z.B. das Antiterrorgesetz den Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden einräumt, z.T. auch ohne gerichtliche Überwachung (AA 17.10.2018).

Das Public Defender‘s Office bietet kostenlose Rechtsberatung, allerdings sind dessen Ressourcen beschränkt. Zusätzlich gibt es zahlreiche sog. Legal Aid Clinics und in manchen Landesteilen dürfen auch Rechtsstudenten und -Professoren pro bono als Verteidiger auftreten (USDOS 20.4.2018). Pflichtverteidiger können erst dann in Anspruch genommen werden, wenn der Fall bei Gericht anhängig ist (AA 17.10.2018).

Im Juli 2018 wurde ein Amnestiegesetz in Kraft gesetzt, welches Personen, die bis zum 7.6.2018 wegen Verstoßes gegen bestimmte Artikel des äthiopischen Strafgesetzbuches sowie weiterer Gesetze strafrechtlich verfolgt wurden, die Möglichkeit der Amnestie eingeräumt. Es wurde nicht verlautbart, welche rechtlichen Konsequenzen die Ablehnung eines solchen Antrags zur Folge hätte. Es gibt keine Informationen darüber, ob und in welcher Zahl potenziell Betroffene seit dem 20.7.2018 von dieser befristeten Antragsmöglichkeit Gebrauch machen (AA 17.10.2018).

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden nehmen in Äthiopien eine starke Position ein (AA 17.10.2018). Die Sicherheitskräfte handeln im Allgemeinen diszipliniert (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018), sind aber oftmals schlecht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und besitzen ungenügende Kenntnis der gesetzlichen Vorschriften. Gewalt wird teilweise unverhältnismäßig eingesetzt (AA 17.10.2018). Straffreiheit ist weiterhin ein ernstes Problem. Allerdings lässt die Regierung Polizisten und Soldaten in Menschenrechten ausbilden (USDOS 20.4.2018).

Der National Intelligence and Security Service (NISS) ist als Sicherheits- und Abwehrbehörde gut aufgestellt und verfügt über ein funktionierendes Netz an Zuträgern in allen Bereichen des privaten und öffentlichen Lebens. Sein Schwerpunkt richtete sich in erster Linie gegen die politische inländische Opposition, regierungskritische Journalisten und gegen Gruppierungen aus Eritrea und Somalia (AA 17.10.2018).

Die Bundespolizei (Federal Police) untersteht dem Premierminister und unterliegt parlamentarischer Aufsicht. Diese Aufsicht ist allerdings locker. Jeder der neun Regionalstaaten hat eine eigene Staats- oder Sonderpolizeieinheit [„Liyu“], die jeweils den regionalen zivilen Behörden untersteht (USDOS 20.4.2018). Neben den staatlichen bzw. regionalen Polizeibehörden gibt es in allen Regionen staatliche Milizen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Dies sind von Gemeindevertretern ausgewählte, bewaffnete Personen, die ehrenamtlich Militär- und Polizeidienste leisten und im Wesentlichen Polizeiaufgaben in (teilweise sehr entlegenen) ländlichen Gebieten erfüllen (vergleichbar mit „Community Police“). In manchen Fällen werden Milizen auch im Kampf gegen bewaffnete Rebellen eingesetzt. Insbesondere im Somali Regional State (SRS) wurden lokale Milizen gegen die – im Juli 2018 entkriminalisierte – Ogaden National Liberation Front (ONLF) eingesetzt. Der Liyu-Police des SRS werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (AA 17.10.2018).

Die Streitkräfte wurden in den letzten Jahren mit dem Ziel umstrukturiert, sie von Aufgaben der inneren Sicherheit, die der Polizei obliegen, zu entbinden. Dies ist noch nicht landesweit umgesetzt. In einigen Regionen (Oromia, SRS, Gambella, Sidamo) gehen Polizei und Militär weiterhin gezielt gegen vermutete und tatsächliche Unterstützer und Angehörige der dort aktiven, z. T. militant bis terroristisch operierenden oppositionellen Gruppierungen OLF (Oromo Liberation Front), ONLF (Ogaden National Liberation Front), Ethiopian National United Patriotic Front (ENUPF) und Sidamo Liberation Front (SLF) vor. Die beiden erstgenannten Gruppierungen wurden allerdings im Juli 2018 entkriminalisiert (AA 17.10.2018). Im Zuge der Proteste, bzw. des Ausnahmezustandes in der Region Oromia wurden hauptsächlich Militär und Bundespolizei gegen Demonstranten eingesetzt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018).

Folter und unmenschliche Behandlung

Die Verfassung verbietet Folter (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Allerdings wird das in Verfassung verankerte Verbot in der Praxis unterlaufen (AA 17.10.2018). Der Premierminister hat eingestanden, dass Folter angewendet wird (HRW 19.10.2018). Es gibt glaubwürdige Berichte über die Anwendung von Folter bzw. Misshandlung und extralegale Hinrichtungen (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018) während der Untersuchungshaft, durch Polizei, Militär und andere Mitglieder der Sicherheitskräfte, insbesondere in Fällen, in denen der Verdacht oppositioneller Tätigkeit oder der Mitgliedschaft in bewaffneten Oppositionsgruppen und ein vermuteter Zusammenhang mit Terrorismus bestehen (AA 17.10.2018). Mehrere Quellen berichteten von allgemeiner Misshandlung von Gefangenen in offiziellen Haftanstalten, in inoffiziellen Haftanstalten, Polizeistationen und Bundesgefängnissen (USDOS 20.4.2018).

Eine Untersuchung derartiger Verbrechen findet in der Regel nicht statt (AA 17.10.2018; vgl. USDOS 20.4.2018). Mechanismen zur Untersuchung von Missbräuchen durch die Bundespolizei sind nicht bekannt und die Regierung gibt die Untersuchungsergebnisse nur selten öffentlich bekannt. Sie bemüht sich aber, Menschenrechtsschulungen für Polizei- und Militärschüler anzubieten (USDOS 20.4.2018). Eine adäquate und konsistente Reaktion der Behörden auf z. B. in Gerichtsverfahren geäußerte Folter- und Misshandlungsvorwürfe ist nicht zu erkennen. Es wird zudem berichtet, dass sich in Einzelfällen die Sicherheitsorgane oder andere Behörden über Gerichtsurteile hinweggesetzt haben sollen (z. B. im Somali Regional State/SRS) (AA 17.10.2018).

Ermittler des Menschenrechtsrates berichten, dass Gefängnisbeamte Häftlinge schlagen und foltern (USDOS 20.4.2018). Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Korruption

Korruption ist gesetzlich verboten. Der Bundesstaatsanwalt ist angehalten, Korruptionsfälle zu untersuchen und zur Strafverfolgung zu bringen. Das Gesetz verpflichtet alle Regierungsbeamten und Mitarbeiter, ihr Vermögen und ihr persönliches Eigentum zu registrieren. Das Gesetz sieht finanzielle und strafrechtliche Sanktionen wegen Nichteinhaltung vor. Die Bundes-Ethik- und Korruptionsbekämpfungskommission (FEACC) meldete, dass sie zwischen Juli 2016 und Jänner 2017 das Vermögen von 6.638 ernannten Personen, Beamten und Mitarbeitern erfasst hat (USDOS 20.4.2018).

Korruption - auch bei Polizei und Justiz - bleibt ein Problem (USDOS 20.4.2018) bzw. wird diese im Alltag als Problem wahrgenommen (GIZ 9.2018a).Im Corruption Perceptions Index 2017 von Transparency International nimmt Äthiopien Platz 107 von 180 Ländern ein (TI 2017).

Es hat einige spektakuläre Korruptionsfälle gegeben, in die hochrangige Vertreter der Regierung verwickelt waren. In den bekannt gewordenen Fällen hat es Verurteilungen gegeben (GIZ 9.2018a; vgl USDOS 20.4.2018). Am 26.7.2017 nahm die Regierung mehr als 50 Regierungsbeamte und Geschäftsleute wegen Korruptionsvorwürfen und Missbrauchs öffentlicher Gelder im Wert von mehr als vier Milliarden Birr (181 Millionen US-Dollar) fest. Unter den Verhafteten waren ein Brigadegeneral, ein Staatsminister und der Leiter der Rechtsabteilung im Ministerium für Finanzen und wirtschaftliche Zusammenarbeit. Darüber hinaus beschlagnahmte die Regierung Vermögenswerte und Eigentum von mehr als 200 Personen (USDOS 20.4.2018).

Im November 2018 wurden dutzende Führungspersönlichkeiten aufgrund von Korruptionsvorwürfen in Zusammenhang mit dem staatlichen Firmenkonglomerat Metals and Engineering Corporation (Metec) festgenommen, darunter der ehemalige stellvertretende Chef des Geheimdienstes, Yared Zerihun (BBC 15.11.2018; vgl. JA 20.11.2018).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Die äthiopische Armee ist eine Freiwilligenarmee. Rekrutierungen werden im gesamten Land flächendeckend vorgenommen (AA 17.10.2018). Für den freiwilligen Wehrdienst ist ein Mindestalter von 18 Jahren vorgesehen. Wenn notwendig, kann die Armee Einberufungen veranlassen (CIA 4.12.2018).

Fahnenflucht ist grundsätzlich nach Art. 288 des äthiopischen Strafgesetzbuches mit einer Haftstrafe bis zu fünf Jahren belegt, in Einzelfällen kann aber auch auf lebenslange Freiheitsstrafen oder gar auf Todesstrafe entschieden werden. Urteile von Militärgerichten werden nicht veröffentlicht, daher liegen keine verlässlichen Angaben vor (AA 17.10.2018).

Allgemeine Menschenrechtslage

Menschenrechte und Freiheiten sind als unverletzbar und unveräußerlich in der äthiopischen Verfassung von 1995 genannt. Explizit werden Grundrechte wie Religionsfreiheit, Gleichberechtigung von Mann und Frau sowie von Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen, Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, Verbot von unmenschlicher Behandlung und Recht auf Privatheit aufgeführt (AA 17.10.2018). Die Verfassung garantiert also die Menschenrechte, dies deckt sich jedoch nicht mit der Realität (AA 4.2018a).

Trotzdem ist die Menschenrechtssituation in Äthiopien unbefriedigend. Dies gilt vor allem für die Rechtsstaatlichkeit (Vorführung vor Gericht, Verfahrensdauer) und die Behinderung und Verfolgung von Journalisten. Es erfolgen Verhaftungen ohne Haftbefehl und ohne fristgerechte gerichtliche Überprüfung. Lange Gerichtsverfahren sind verbreitet. Hierfür ist auch eine überlastete Justiz verantwortlich (GIZ 9.2018a). Zu den wichtigsten Menschenrechtsproblemen gehören: willkürliche Tötung, Verschwindenlassen, Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch Sicherheitskräfte; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen; willkürliche Verhaftung und Inhaftierung durch Sicherheitskräfte; Verweigerung eines fairen öffentlichen Prozesses; Verletzung der Persönlichkeitsrechte; Beschränkungen der Meinungs-, Presse-, Internet-, Versammlungs-, Vereinigungs- und Bewegungsfreiheit; mangelnde Rechenschaftspflicht in Fällen von Vergewaltigung und Gewalt gegen Frauen; Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher Orientierung. Die Regierung hat im Allgemeinen keine Schritte unternommen, um Beamte, die andere Menschenrechtsverletzungen als Korruption begangen haben, zu verfolgen oder anderweitig zu bestrafen. Straffreiheit ist ein Problem; es kommt nur zu einer begrenzten Anzahl von Anklagen von Mitgliedern der Sicherheitskräfte oder von Beamten wegen Menschenrechtsverletzungen (USDOS 20.4.2018).

Legale Voraussetzungen zur Verbesserung der Menschenrechte sind erfolgt. Die Menschenrechtskommission des Parlaments ist ebenso wie das Amt des Ombudsmanns eingerichtet. Frauenrechte sind in der Verfassung verankert. Von einer Umsetzung dieser rechtlich festgeschriebenen Menschenrechte ist Äthiopien jedoch weit entfernt: Weibliche Genitalverstümmelung und sehr frühe Verheiratung sind zwar offiziell verboten, jedoch weiterhin Realität für viele Mädchen und junge Frauen (GIZ 9.2018a).

Bei Protesten und gewaltsamen Auseinandersetzungen in Addis Abeba im September 2018 wurden rund 1.200 Menschen verhaftet. Diese Verhaftungen erfolgten teils willkürlich, was die Fortschritte in Menschenrechtsfragen unter Premierminister Abiy Ahmed ernsthaft gefährden könnte (BAMF 1.10.2018).

Der im vergangenen Jahr mehrmals ausgerufene Ausnahmezustand schränkte die Meinungs- und Versammlungsfreiheiten weitestgehend ein und verlieh den Sicherheitskräften weitreichende neue Befugnisse: u.a. Durchsuchungen und Verhaftungen ohne richterlichen Beschluss, Unterbindung von Kommunikationswegen und von Versammlungen. Allerdings wurde der Ausnahmezustand im Juni 2018 aufgehoben (AA 17.10.2018).

Die Medienlandschaft Äthiopiens wird dominiert von staatlichen oder regierungsfreundlichen Zeitungen, Radio- und Fernsehsendern. Die staatlichen Medien werden von der Ethiopian Radio and Television Agency (ERTA) und der Ethiopian Press Agency betrieben. Es gibt private Radiosender, aber nur staatliche Fernsehsender (GIZ 9.2018a). Die Zukunft im Mediensektor ist seit dem Amtsantritt Abiys unklar. Es lassen sich erste Anzeichen einer liberaleren Politik und freieren Berichterstattung beobachten (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a). Es gibt aber Hinweise darauf, dass die Regierung ihr Anti-Terrorismus-Gesetz dazu nutzt, die Meinungs- und Pressefreiheit auszuhebeln und Oppositionelle mundtot zu machen. Darüber hinaus gibt es Berichte über die politische Instrumentalisierung von Hilfsgütern seitens der Regierung und Zwangsumsiedlungen ganzer Dörfer zugunsten ausländischer Investoren (GIZ 9.2018a).

Internetzensur und -überwachung sind nach wie vor Thema, es ist seit dem Amtsantritt des Premiers Abiy Ahmed aber eine leichte Entspannung zu beobachten. Die Abschaltung des Internets im Zusammenhang mit lokalen gewaltsamen Auseinandersetzungen ist auch unter dem neuen Regierungschef gängige Praxis (GIZ 9.2018a). Im August 2018 wurde als Reaktion auf die Unruhen in der Region Somali das Internet zeitweise abgeschaltet. Im Anschluss wurde Mitte September 2018 im Stadtgebiet das mobile Internet für zwei Tage abgeschaltet (AA 17.10.2018; vgl. GIZ 9.2018a, DW 8.8.2018). Auch das Anti-Terror-Gesetz schränkt die Meinungsfreiheit im Internet ein. Hierfür wird auch der Telefon- und Internetverkehr überwacht. Es ist davon auszugehen, dass sämtliche nicht satellitengestützte Kommunikation abgefangen werden kann (AA 17.10.2018). Die äthiopische Regierung nutzt ihr Monopol in der Telekommunikation und verschiedene modernste Technologien um nicht nur die Bespitzelung bekannter Oppositioneller oder Kritiker im eigenen Land voranzutreiben, sondern ebenso zur Überwachung der äthiopischen Normalbevölkerung und Äthiopiern im Ausland (GIZ 9.2018a).

Stärker als das Medien- und Informationsgesetz wirkt sich das Antiterrorgesetz („Anti-Terror-Proklamation“) auf die Meinungs- und Pressefreiheit in Äthiopien aus, denn es umfasst nicht nur direkte und indirekte Unterstützung von Terrorismus als Tatbestand, sondern auch Berichterstattung über terroristische Gruppen oder Aktivitäten, die von der Öffentlichkeit als Anstiftung bzw. Propaganda aufgefasst werden könnten (AA 17.10.2018). Die Pressegesetzgebung ist restriktiv. Jahrelang hatte die Pressefreiheit in Äthiopien stetig abgenommen. Aus Angst vor Repressalien und Verhaftungen zensierten sich nicht wenige äthiopische Journalisten selbst, veröffentlichten nicht zu sensiblen Themen. Im Worldwide Press Freedom Index der Reporter ohne Grenzen belegt Äthiopien in 2018 Rang 150 von 180 untersuchten Ländern. Erste Maßnahmen des Premiers Abiy Ahmed lassen jedoch auf eine Verbesserung der Situation hoffen: Mehrere hundert bislang gesperrte - überwiegend regierungskritische - Internetseiten sind inzwischen freigegeben worden, mehrere namhafte Journalisten wurden aus Gefängnissen entlassen (GIZ 9.2018a).

Die von der Verfassung garantierte Vereinigungsfreiheit wird behindert. Unabhängige Tätigkeit von nicht partei- bzw. regimetreue Gewerkschaften werden auf unterschiedlichste Art und Weise schikaniert und untergraben (AA 17.10.2018).

Demonstrationen werden häufig gewaltsam beendet und Teilnehmer willkürlich verhaftet. Die Sicherheitskräfte setzten dabei teilweise auch scharfe Munition ein (AA 17.10.2018).

Es gibt Berichte aus der Region Somali über außergerichtliche Hinrichtungen inhaftierter Personen und über außergerichtliche Hinrichtungen von 34 Angehörigen der Wolkait in der Region Tigray. Das in der Verfassung verankerte Verbot von Folter wird in der Praxis offenbar unterlaufen. Von verschiedenen Seiten wurden immer wieder Vorwürfe über Misshandlungen durch Polizei und Militär erhoben. Die zukünftige Praxis bleibt abzuwarten (AA 17.10.2018).

Das äthiopische Parlament hat am Montag, den 24.12.2018, ein Gesetz zur Einrichtung einer Versöhnungskommission verabschiedet, deren Hauptaufgabe es sein wird, der innergemeinschaftlichen Gewalt ein Ende zu setzen und Menschenrechtsverletzungen im Land zu dokumentieren. Laut Angaben des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) sind derzeit in Äthiopien mindestens 2,4 Millionen Menschen wegen interkommunaler Gewalt vertrieben worden (JA 25.12.2018).

Trotz der überraschenden Massenfreilassung von Häftlingen ist davon auszugehen, dass weiterhin eine unbekannte Zahl von Menschen, zum großen Teil ohne Anklage, inhaftiert bleibt – Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren tausend Personen. Verifizieren lassen sich diese Zahlen nicht. Schwerpunktmäßig betroffen sind junge Männer, auch Schüler und Studenten in den Regionen Oromia und Amhara (AA 17.10.2018).

Das 2009 erlassene äthiopische NGO-Gesetz und die damit einhergehenden Verwaltungsvorschriften aus dem Jahr 2011 haben die Aktivitäten von NGOs, die aufgrund des niedrigen wirtschaftlichen Entwicklungsstands Äthiopiens auf ausländische Finanzierung angewiesen sind, fast zum Erliegen gebracht (AA 17.10.2018). Angesichts Antiregierungsproteste im Laufe des Jahres 2016, hatte die äthiopische Regierung die Überwachung von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und Organisationen intensiviert und deren Arbeit z.T. erheblich erschwert. Neben Verhaftungswellen im Rahmen des Ausnahmezustandes, gab es auch Gesetzesverschärfungen (z.B. ein neues Gesetz zu Internetkriminalität) (GIZ 9.2018a). Ein Prozess zur Überarbeitung des NGO-Gesetzes wurde eingeleitet (AA 17.10.2018). Unter Premierminister Dr. Abiy Ahmed scheint sich die Lage für zivilgesellschaftliche Organisationen zu verbessern. Im Rahmen seiner dialog- und versöhnungsorientierten Politik hat er auch NGOs zu Gesprächen und Beteiligung an Reformprozessen eingeladen (GIZ 9.2018a).

Opposition

Mit der Amtseinführung von Abiy Ahmed Ali als Premierminister wuchsen zunächst die Hoffnungen auf eine nationale Aussöhnung zwischen den ethnischen Gruppen. Abiy, selbst ethnischer Oromo, erteilte im Rahmen seiner Dialog- und Aussöhnungsstrategie einer OLF-zugehörigen Oppositionsgruppe Amnestie (GIZ 9.2018a). Oppositionsparteien wurden eingeladen, aus dem Exil zurückzukehren. Die Ogaden National Liberation Front (ONLF) und die Oromo Liberation Front (OLF) wurden entkriminalisiert (AA 17.10.2018). In der ersten Jahreshälfte 2018 wurden ca. 25.000 teilweise aus politischen Gründen inhaftierte bzw. verdächtige Personen vorzeitig entlassen (AA 17.10.2018; vgl. AA 4.2018a). Seit Anfang des Jahres sind über 7.000 größtenteils offensichtlich aus politischen Gründen Inhaftierte freigelassen worden, darunter der Oppositionsführer der Region Oromia, Merera Gudina, und sein Stellvertreter Bekele Gerba sowie andere, teilweise seit mehreren Jahren inhaftierte Regierungskritiker, die v.a. auf Grundlage der drakonischen Anti-Terror-Gesetzgebung verurteilt worden waren. Premierminister Abiy hat diese Politik fortgesetzt: Am 26.5.2018 ist der britische Staatsbürger Andargachew Tsige, Führungsmitglied der von Äthiopien als Terrorgruppe angesehenen Organisation „Ginbot 7“, überraschend begnadigt worden. Am 30.5.2018 hat er sich, direkt nach seiner Freilassung, öffentlichkeitswirksam mit Premierminister Abiy getroffen. Gleichzeitig sind die bestehenden Anklagen gegen Ginbot 7-Chef Berhanu Nega sowie gegen den Leiter des aus Minnesota operierenden Oromia Media Network (OMN), Jawar Mohamed, fallengelassen worden. Alle drei Personen galten bislang als prominente Staatsfeinde. Schon eine öffentliche Sympathiebekundung für einen von ihnen hätte bis zum Amtsantritt von Abiy zu einer sofortigen Verhaftung geführt (AA 17.10.2018).

Am 7.8.2018 unterzeichneten Vertreter der äthiopischen Regierung und der OLF ein Versöhnungsabkommen. Die ONLF, die für eine Autonomie des in der Region Somali gelegenen Ogaden kämpft, verkündete am 12.8.2018 einen einseitigen Waffenstillstand (BAMF 13.8.2018).

Die Führung OLF kündigte an, nach der Aussöhnung mit der Regierung fortan einen friedlichen Kampf für Reformen führen zu wollen. Mehr als 20 Jahre hatte die OLF im Untergrund gewirkt und regelmäßig Anschläge begangen. Sie w

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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