Entscheidungsdatum
29.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z1Spruch
W144 2240373-1/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Huber als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.02.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß §§ 4a, 10 Abs. 1 Z 1, und 57 AsylG 2005 idgF iVm § 61 Abs. 1 Z 1 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und hat am 16.11.2020 im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Zur Person des BF liegen folgende Eurodac-Treffer jeweils wegen Asylantragsstellung vor:
? Schweden vom 16.12.2015
? Dänemark vom 13.06.2016
? Italien vom 14.11.2016
Die BF hat in Italien mit Bescheid vom 23.05.2017 den Status des subsidiär Schutzberechtigten verbunden mit einer Aufenthaltserlaubnis bis 23.5.2022 erhalten.
Der Beschwerde liegt folgendes Verwaltungsverfahren zugrunde:
Im Verlauf seiner Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion Wien vom 17.11.2020 versuchte der BF seine Voraufenthalte in Europa und seine diversen Asylantragstellungen zu verschleiern und gab vorsätzlich falsch an, dass er etwa erst vor eineinhalb Monaten den Entschluss zur Ausreise aus dem Herkunftsstaats gefasst habe. Sein Zielort sei Österreich gewesen, weil „er Gutes darüber gehört“ habe. Er habe in keinem anderen Land um Asyl angesucht und auch in keinem anderen Land ein Visum oder einen Aufenthaltstitel erhalten.
Nach Vorhalt der Eurodac-Treffermeldungen gab der BF an, dass er in Wahrheit bereits 2015 nach Europa gekommen sei, wobei er alleine gereist sei. In Italien und Dänemark sei er erkennungsdienstlich behandelt worden und habe er schlussendlich in Schweden um Asyl angesucht. Neun Monate lang sei er in XXXX aufhältig gewesen. In Dänemark sei er im Jahr 2016 gewesen, von dort sei er nach Schweden abgeschoben worden. In Italien habe er sich ebenfalls im Jahr 2016 aufgehalten und sei abermals nach Schweden abgeschoben worden. Ende 2016 sei er nach einem negativen Asylbescheid nach Afghanistan abgeschoben worden und habe sich dort bis etwa Oktober 2020 aufgehalten.
Auf konkrete Nachfrage, in welchem Stadium sich seine Asylverfahren in Schweden, Dänemark und Italien befänden, gab der BF - abermals unwahr - an, dass seine Asylverfahren sowohl in Schweden, als auch Dänemark als auch in Italien negativ entschieden worden seien, er wäre gerne in einem dieser drei Länder geblieben. Es spreche nichts dagegen, wenn ein eines dieser Länder zurückkehren müsste.
Das BFA richtete in der Folge ein Informationsersuchen im Rahmen von Dublin-Konsultationen an die italienischen Behörden.
Mit Schreiben vom 02.12.2020 teilten die italienischen Behörden mit, dass dem BF mit 23.05.2017 der Status des subsidiär Schutzberechtigten verbunden mit einer Aufenthaltserlaubnis bis 23.5.2022 gewährt worden ist.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 29.01.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte der BF im Wesentlichen vor, dass es ihm gesundheitlich gut gehe und er weder Medikamente noch ärztliche Behandlung benötige. Er habe sich in Schweden nur vier Monate lang aufgehalten, danach sei er nach Afghanistan abgeschoben worden. Er habe sich dort einen Pass ausstellen lassen und sei wieder ausgereist. In Italien habe er im Jahr 2017 eine Erlaubnis bekommen, dass er sich frei bewegen könne; er sei dort anerkannt worden. Zu dieser Zeit sei seine Frau in Afghanistan gewesen, habe ihn angerufen und ihm gesagt, dass es ihr sehr schlecht ginge. Er habe sich in Italien etwa ein Jahr lang aufgehalten, Ende des Jahres 2017 sei er nach Afghanistan zurückgekehrt; seine Frau habe gewollt, dass er nach Afghanistan zurückkomme. Er habe sich in der Folge selbst über die Türkei weiter nach Afghanistan begeben. Danach habe er nicht mehr nach Europa gelangen wollen, doch seien sie vor 5 Monaten doch wieder ausgereist. Er habe weder in Österreich noch sonst in Europa Verwandte. Seit zwei Jahren sei er mit seiner Ehegattin verheiratet. Nach Vorhalt, dass er in Italien subsidiär schutzberechtigt sei und deshalb Italien zur Prüfung seines Antrages zuständig sei, erklärte der BF, dass er nicht nach Italien zurückkehren könne, er habe dort Probleme, das Leben sei sehr schwer. Seine Frau habe eine Behinderung an der Hand, er könne sie in Italien nicht versorgen. Er helfe seiner Frau beim Anziehen, Haarewaschen und Schuhe anziehen. Sie habe auch Verletzungen am Kopf. Ihr Onkel habe sie geschlagen. Es sei nicht möglich gemeinsam mit seiner Frau nach Italien zu gehen, dort gebe es keine Arbeit.
Die Ehegattin des BF gab an, dass sie dort leben wolle, wo ihr Ehemann sei. Sie habe eine Behinderung am Bein, zudem starke Kopfschmerzen, sie sei von ihrem Onkel gequält worden. In Österreich sei sie im Flüchtlingsquartier schon bei dem Arzt gewesen, doch sei nicht viel gemacht worden, sie habe nur Paracetamol bekommen. Medizinische Unterlagen könne sie auch nicht vorlegen. Sie habe nur einen Zettel bekommen, dass sie wieder vorstellig werden solle, wenn sie Schmerzen habe.
Mit Schreiben vom 25.01.2021 teilte Italien mit, dass die Ehegattin der des BF rückübernommen werden könnte, wenn sie diesbezüglich gemäß Art. 9 Dublin III-VO schriftlich zustimmt.
Das BFA wies sodann den Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 23.02.2021 gemäß § 4a AsylG 2005 idgF als unzulässig zurück und sprach aus, dass sich der BF nach Italien zurück zu begeben hätte (Spruchpunkt I.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt II.). Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF iVm § 61 Abs. 1 Z 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG ihre Abschiebung nach Italien zulässig sei (Spruchpunkt III.).
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat in Bezug auf anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst:
„Zur Lage in Italien:
Schutzberechtigte
Letzte Änderung: 03.11.2020
Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte erhalten eine Aufenthaltsgenehmigung für fünf Jahre. Nach frühestens fünf Jahren rechtmäßigen Aufenthalts besteht für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, einen langfristigen Aufenthalt zu erhalten. Anträge auf Familienzusammenführung sind für Schutzberechtigte ohne Zeitlimit möglich. Schutzberechtigte dürfen sich frei im Land niederlassen, wenn sie sich selbst erhalten können. Um die Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, brauchen die Schutzberechtigten eine Meldeadresse, was manchmal ein Problem sein kann. Manche, aber nicht alle Quästuren akzeptieren bei wohnungslosen Schutzberechtigten die Adresse einer Hilfsorganisation als Meldeadresse. Verlängerungen des Aufenthalts müssen postalisch beantragt werden. Dies kann mehrere Monate in Anspruch nehmen (AIDA 5.2020).
Wenn eine Person in Italien einen internationalen Schutzstatus erhält, hat sie theoretisch Zugang zu einem Zweitaufnahmezentrum (SIPROIMI) (SFH 1.2020). Der Übergang von der Erstaufnahme zum SIPROIMI ist aber nicht näher geregelt. Ein Verbleib in einer Erstaufnahmeeinrichtung oder CAS ist für Schutzberechtigte nicht vorgesehenen, kann aber je nach Zentrum für einen Tag bis hin zu mehreren Monaten gewährt werden. Die meisten Präfekturen erlauben Schutzberechtigten den Verbleib nur bis zur Ausstellung der elektronischen Aufenthaltsberechtigung. Aufgrund des Mangels an Plätzen im SIPROIMI, kann dies Schutzberechtigte einem Obdachlosigkeitsrisiko aussetzen (AIDA 5.2020).
Unterbringung
SIPROIMI (Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e minori stranieri non accompagnati)
Diese Einrichtungen zur Unterbringung von Schutzberechtigten (und unbegleiteten Minderjährigen) sind der Nachfolger des vormaligen SPRAR-Systems. SIPROIMI-Projekte werden von lokalen Behörden zusammen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren betrieben. Die Unterkunftszentren sollen Dolmetsch- und sprachlich-kulturelle Vermittlungsdienste, Rechtsberatung, Unterricht in italienischer Sprache und Zugang zu Schulen für Minderjährige, medizinische Versorgung, sozialpsychologische Unterstützung insbesondere für Vulnerable, Aus- und Weiterbildung, Unterstützung bei der Suche nach Arbeitsplätzen, Beratung bei den Dienstleistungen auf lokaler Ebene um die Integration vor Ort zu ermöglichen, Informationen zu freiwilligen Rückkehrprogrammen, sowie Informationen zu Freizeit-, Sport- und Kulturaktivitäten bieten (AIDA 5.2020).
Es gibt mit Stand Jänner 2020 809 Einzelprojekte mit insgesamt 31.284 Plätzen (davon 4.003 Plätze in 155 Projekten für unbegleitete Minderjährige und 663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen). Im Gegensatz zu den großen Zentren der 1. Linie (Erstaufnahme), sind die SIPROIMI kleinteilig und dezentralisiert organisiert. Die Unterbringung in SIPROIMI dauert sechs Monate, in Ausnahmefällen verlängerbar um weitere sechs Monate (AIDA 5.2020). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den Leistungen der Erstaufnahme auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019). Nach dieser Periode werden die Schutzberechtigten gleich behandelt wie italienische Staatsangehörige. In den meisten Fällen genügt dieser Zeitraum nicht zum Erwerb ausreichender Fähigkeiten, um finanziell und sozial unabhängig von staatlicher Unterstützung zu werden (SFH 1.2020).
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben grundsätzlich Zugang zu Sozialwohnungen (edilizia residenziale bzw. case popolari). In manchen Regionen ist dieser Zugang an eine bestimmte ununterbrochene Mindestmeldezeit in der Region gebunden (z.B. fünf Jahre in Friaul) (AIDA 5.2020). Wartezeiten von mehreren Jahren auf eine Wohnung sind die Regel. Die Mieten in den Städten sind im Allgemeinen sehr hoch. Vermieter verlangen meist einen Arbeitsvertrag und eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Schutzberechtigte haben nach Ablauf der sechs Monate Unterbringung im SIPROIMI oft große Probleme eine Wohnung zu finden (RW 6.2020).
In ganz Italien gibt es informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020). In einigen Städten bieten NGOs oder Wohltätigkeitsorganisationen ein paar Schlafplätze an, doch deren Kapazitäten sind sehr beschränkt. Viele Menschen mit internationalem Schutzstatus leben in Notunterkünften, die lediglich einen Platz zum Schlafen anbieten und nicht speziell für Flüchtlinge gewidmet sind, sondern auch italienischen Staatsbürgern in Notsituationen offenstehen (SFH 1.2020). Die Regierung unternimmt begrenzte Versuche, Flüchtlinge in die Gesellschaft zu integrieren (USDOS 11.3.2020).
Rückkehrer mit Schutzstatus
Rückkehrer mit Schutzstatus sind aus italienischer Sicht reguläre Einwohner mit Aufenthaltsrecht. Sie können nach Italien einreisen und sich frei im Land bewegen, erhalten aber keine Unterstützung am Flughafen, z.B. bei der Suche nach Unterkunft, bei der Beschaffung neuer Papiere oder bei der Erneuerung ihrer Registrierung im nationalen Gesundheitssystem (SFH 1.2020).
Rückkehrer mit Schutzstatus, die ihre Aufenthaltspapiere verloren haben, sollten diese neu ausstellen lassen. Dazu gibt es für anerkannte Flüchtlinge Antragsformulare in den Filialen der italienischen Post, wo diese auch eingereicht werden können. Bei dem Antrag muss zwingend eine Adresse in Italien angegeben werden, denn sobald das neue Dokument fertig ist, ergeht eine schriftliche Einladung zur zuständigen Polizeidienststelle (Questura). Subsidiär Schutzberechtigte beantragen die Kopie oder Neuausstellung der Aufenthaltspapiere direkt bei der zuständigen Quästur. Die Bearbeitung kann einige Monate in Anspruch nehmen. Das Aufenthaltsrecht gilt währenddessen weiter, das Fehlen der Papiere kann aber zu Problemen beim Zugang zu sozialen oder medizinischen Leistungen führen (RW 6.2020).
Plätze im SIPROIMI sind knapp. Wenn ein zugewiesener Platz vorzeitig verlassen wurde (SFH 1.2020) oder die sechs Monate, die Schutzberechtigte nach Statuszuerkennung zu Unterbringung im SIPROIMI berechtigt sind, bei Rückkehr schon verstrichen sind, haben Rückkehrer mit Schutzstatus üblicherweise keinen Anspruch auf Unterbringung mehr. Der Anspruch auf Unterbringung kann auch verloren gehen, wenn bei Ausreise die Unterkunft lediglich zugewiesen, aber noch nicht in Anspruch genommen war. Da sie formell Italienern gleichgestellt sind, erhalten Rückkehrer mit Schutzstatus keine besondere Unterstützung. Wenn sie keine andere Unterkunft haben, sind sie auf die Hilfe verschiedener NGOs angewiesen (RW 6.2020). Als einzige Ausnahme kann man beim Innenministerium einen Antrag aufgrund von Vulnerabilität stellen (SFH 1.2020).
Nach Angaben der NGO „A Buon Diritto“, die am Bahnhof Tiburtina in Rom einen mobilen Helpdesk betreibt, kommen Dublin-Rückkehrer mit internationalem Schutz kaum in Siproimi unter, sondern haben ein hohes Obdachlosigkeitsrisiko (AIDA 5.2020).
Arbeitsmarkt und Sozialleistungen
Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte haben Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen im selben Ausmaß wie italienische Staatsbürger (AIDA 5.2020). In der Praxis gibt es jedoch Hindernisse. Aufgrund der hohen Arbeitslosenzahlen ist es generell schwer in Italien Arbeit zu finden. Schwarzarbeit ist verbreitet. Viele Zuwanderer arbeiten in der Landwirtschaft, oft unter prekären Bedingungen und sind vulnerabel für Ausbeutung. Für Personen mit geringem Einkommen gibt es seit März 2019 das sogenannte Bürgergeld (reddito di cittadinanza; ersetzt das Arbeitslosengeld), das Italienern, EU-Bürgern, Drittstaatsangehörigen mit Daueraufenthaltserlaubnis und Personen mit internationalem Schutz offen steht (jedoch keine Inhaber eines anderweitigen Schutzstatus). Man erhält es, wenn man zumindest die letzten zehn Jahre in Italien wohnhaft war. Diese Voraussetzung erfüllen Schutzberechtigte in der Regel nicht. Weitere Sozialleistungen obliegen den Regionen und Kommunen, welche eigene Regeln bezüglich Höhe der Leistungen und Empfängerkreis festlegen (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020). Das italienische Sozialsystem ist sehr schwach und stützt sich auf traditionelle Familienstrukturen. Flüchtlinge können meist nicht auf solche Strukturen in Italien zurückgreifen. Das italienische Sozialsystem garantiert keinerlei Nothilfe (SFH 1.2020).
Medizinische Versorgung
Wie Asylwerber, müssen sich Personen mit einem Schutzstatus in Italien beim Nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann dieselben Rechte und Pflichten in Bezug auf medizinische Versorgung und Beitragszahlung wie italienische Staatsbürger. Die Registrierung gilt für die Dauer der Aufenthaltsberechtigung und erlischt auch nicht in der Verlängerungsphase. Probleme beim Zugang zu medizinischer Versorgung für Schutzberechtigte können durch das Fehlen einer Meldeadresse entstehen. In einigen Regionen Italiens sind Schutzberechtigte nicht mehr von der Praxisgebühr („Ticket“) ausgenommen, während in anderen Regionen die Befreiung weiter gilt, bis die Schutzberechtigten einen Arbeitsplatz finden (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).
Für Personen mit internationalem Schutzstatus mit (psychischen oder physischen) Gesundheitsproblemen ist es schwierig, in Zweitaufnahmezentren untergebracht zu werden, da nur 2% der SIPROIMI auf deren Betreuung ausgerichtet sind. Außerdem werden Personen, die als besonders schwerwiegend vulnerabel eingestuft werden (etwa Patienten aus psychiatrischen Abteilungen), nicht in SIPROIMI aufgenommen, da selbst die SIPROIMI-Unterkünfte, die für Personen mit (psychischen oder physischen) Gesundheitsproblemen eingerichtet sind, ihnen keine Unterstützung anbieten können, die vergleichbar ist mit jener in psychiatrischen Einrichtungen oder Spitälern. Die Nachfrage nach psychischer Gesundheitsversorgung außerhalb der regulären Gesundheitsdienste, kann auch von NGOs und kirchlichen Organisationen nicht vollständig abgedeckt werden (SFH 1.2020).
Quellen:
? AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
? RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020
? SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020
? USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020
Humanitärer Schutz
Letzte Änderung: 03.11.2020
Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt), wurde der humanitäre Schutz weitgehend umgestaltet. Letzterer wurde zuvor für die Dauer von zwei Jahren gewährt, wenn „besondere Gründe“, insbesondere „humanitären Charakters“, vorlagen. Zwischen 2014 und 2018 war der humanitäre Schutz die häufigste in Italien zuerkannte Schutzform. Nach der neuen Rechtslage ist der Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen an eine restriktive und vor allem taxative Liste von Gründen gebunden, aus denen eine befristete Aufenthaltserlaubnis (unterschiedlicher Dauer) erteilt werden kann:
1. für medizinische Behandlung („cure mediche“) (1 Jahr gültig; verlängerbar);
2. Spezialfälle („casi speciali“ ):
? für Opfer von Gewalt oder schwerer Ausbeutung
? Für Opfer häuslicher Gewalt (1 Jahr gültig);
? bei außergewöhnlichen Katastrophen im Herkunftsland (6 Monate gültig; verlängerbar);
? in Fällen besonderer Ausbeutung eines ausländischen Arbeitnehmers, der eine Beschwerde eingereicht hat und an einem Strafverfahren gegen den Arbeitgeber mitwirkt;
? bei Handlungen von besonderem zivilem Wert (zu genehmigen vom Innenminister auf Vorschlag des zuständigen Präfekten) (2 Jahre gültig; verlängerbar);
? wenn zwar kein Schutz gewährt wurde, der Antragsteller aber faktisch nicht außer Landes gebracht werden kann („protezione speciale“ = non-refoulement).
Die Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde sind nach der neuen Rechtslage nicht mehr für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig. Wenn kein Asylstatus oder subsidiärer Schutz zuerkannt wird, prüfen sie nur noch, ob Gründe gegen eine Ausweisung vorliegen. Ist das der Fall, leiten sie dies an die Quästuren weiter, welche für die Prüfung der humanitären Gründe zuständig sind. Begründet wurde dieser Schritt damit, dass ein zu weiter Ermessensspielraum in der Vergangenheit zu einem Ausufern der humanitären Aufenthaltstitel geführt hat (rund 40.000 in den letzten drei Jahren), jedoch zumeist ohne dass eine soziale und berufliche Eingliederung der Betroffenen stattgefunden hätte (VB 22.2.2019; vgl. SFH 1.2020). Nutznießer der protezione speciale erhalten eine Aufenthaltserlaubnis für ein Jahr und haben Zugang zum Arbeitsmarkt (AIDA 5.2020).
Es kommt durch die genannten Regelungen zu keiner Aberkennung bestehender humanitärer Titel. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden jedoch nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch durch rechtzeitigen Antrag nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen, in einen anderen Titel umgewandelt werden, etwa Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019).
Laut Amnesty International soll etwas mehr als ein Jahr nach der Aufhebung des humanitären Schutzstatus durch das Gesetzesdekret 113/2018 geschätzten 24.000 Menschen der rechtliche Status entzogen worden sein (AI 16.4.2020).
Quellen:
? AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 – Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028200.html, Zugriff 7.10.2020
? AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020
? SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020
? VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail
? VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
Es kann nicht festgestellt werden, dass Sie bei Ihrer Überstellung nach Italien einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wären.
Beweiswürdigung
Die Behörde gelangt zu obigen Feststellungen aufgrund folgender Erwägungen:
[ … ]
Die Feststellungen zum Mitgliedstaat basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 Abs. 2 BFA-G zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass alle zitierten Unterlagen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen.
Die Länderfeststellungen ergeben sich aus den zitierten, unbedenklichen Quellen. Bezüglich der von der erkennenden Behörde getätigten Feststellungen zur allgemeinen Situation im Mitgliedstaat ist festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind. Gemäß § 45 Absatz 1 AVG bedürfen nämlich Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (so genannte „notorische“ Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze 13-MSA1998-89) keines Beweises. „Offenkundig“ ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder „allgemein bekannt“ (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch „bei der Behörde notorisch“ (amtsbekannt) geworden ist; „allgemein bekannt“ sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen – ohne besondere Fachkenntnisse – hergeleitet werden können (VwGH 23.01.1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch 2 Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im Wesentlichen gleich lautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden, wobei sich die Allgemeinnotorietät nicht auf die bloße Verlautbarung beschränkt, sondern allgemein bekannt ist, dass die in den Massenmedien verbreiteten Tatsachen auch der Wahrheit entsprechen.
In der Einvernahme am 29.01.2021 wurden Ihnen die Länderinformationen zu Italien ausgefolgt. Bis dato langte jedoch keine Stellungnahme dazu ein.
Sie gaben in der Einvernahme am 29.01.2021 zu Italien an, dass Sie in Italien Probleme hätten und dass das Leben in Italien schwer wäre. Sie könnten Ihre Frau in Italien nicht versorgen. Weiter gaben Sie an, dass es in Italien keine Arbeit geben würde.
Es ist darauf hinzuweisen, dass Ihr Vorbringen nicht geeignet ist, eine konkret Sie persönlich drohende Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle Ihrer Überstellung nach Italien aufzuzeigen. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannter Umstände geht das Bundesamt daher zweifelsfrei davon aus, dass für Sie in Italien ausreichende Versorgung gewährleistet ist.
Auch ist auf Ihre Angaben in der Erstbefragung zu verweisen. So gaben Sie in der Erstbefragung an, dass nichts dagegen sprechen würde, in eines dieser Länder (gemeint: Schweden, Dänemark oder Italien) zurückzukehren.
Sie haben somit nicht glaubhaft vorgebracht, in Italien Misshandlung, Verfolgung oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.“
Gegen diesen am 24.02.2021 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde, in welcher der BF im Wesentlichen geltend machte, dass die Behörde Ermittlungen zur rechtlichen Unmöglichkeit eines Familiennachzugs der Ehegattin des BF nach Italien und zur Aufrechterhaltung des Familienlebens hätte durchführen müssen. Zudem hätten Ermittlungen zu ihrer Vulnerabilität bzw. Pflegebedürftigkeit eingeholt werden müssen. Der BF könnte in Italien seine pflegebedürftige Frau nicht versorgen. Beide würden in Italien keine ausreichende Versorgung bekommen. Die Ehegattin des BF sei offensichtlich pflegebedürftig und habe Lähmungserscheinungen an der linken Hand. Die Behörde hätte ihren Gesundheitszustand untersuchen lassen müssen. Diesbezüglich würden zwei fachärztliche Überweisungen vorgelegt.
Der Beschwerde angeschlossen waren
1. ein Röntgenbefund 02.03.2021, sowie
2. eine anschließende fachärztliche Überweisung Dris. XXXX vom 08.03.2021, wonach (wegen Foramenstenosen [= Nervenkanalverengung] und Facettenarthrosen [verschleißbedingte Erkrankung der Wirbelsäule/Gelenkfortsätze]) Physiotherapie bzw. physikalische Therapie für die Ehegattin des BF erbeten werde.
Die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt wurde seitens des BFA mit Schreiben vom 11.03.2021, eingelangt beim Bundesverwaltungsgericht am 12.03.2021, vorgelegt.
Das Bundesverwaltungsgericht gewährte der Beschwerde mit Beschluss vom 16.03.2021, Zl. W165 2240373-1/4Z, aufschiebende Wirkung.
Am 01.07.2021 wurde die gegenständliche Rechtssache mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses der nunmehrigen Gerichtsabteilung W144 (neu) zugewiesen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang, insbesondere der Umstand, dass dem BF in Italien der Status eines Subsidiär-Schutzberechtigten verbunden mit einer Aufenthaltserlaubnis bis 23.05.2022 zuerkannt wurde.
Nicht festgestellt werden kann, dass sich der BF nach seiner Abschiebung von Schweden nach Afghanistan im Zeitraum von Ende des Jahres 2016 bis 2020 in Afghanistan aufgehalten hat. Vielmehr hat er im Jahr 2017 in Italien um Asyl angesucht.
Besondere, in der Person des BF gelegene Gründe, welche für eine reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Italien sprechen, liegen nicht vor.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat an.
Tödliche oder akut lebensbedrohliche Erkrankungen konnten beim BF keine festgestellt werden, vielmehr geht ihm gesundheitlich gut.
Der BF hat im Bundesgebiet seine Ehegattin, die sich in einem Asylverfahren befindet. Die italienischen Behörden teilten mit, dass eine Rückübernahme der Ehegattin des BF nach Italien möglich sei, wenn diese schriftlich zustimmen würde. Die Ehegattin des BF leidet an Schmerzen im Bewegungsapparat,, sodass sie Physiotherapie bzw. physikalische Therapie sowie allenfalls Schmerzmittel in Form von Paracetamol benötigt.
Nicht festgestellt werden kann hingegen, dass die Ehegattin des BF aufgrund dessen dauerhaft pflegebedürftig sei.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang sowie zur Asylantragstellung des BF und dessen Gewährung von subsidiärem Schutz in Italien ergeben sich aus den Akten des BFA, der Eurodac-Treffermeldung und dem Antwortschreiben der italienischen Behörden.
Die Feststellung, dass die italienischen Behörden die Ehegattin des BF im Fall ihrer schriftlichen Bestimmung gemäß Art. 9 Dublin III-VO Rück übernehmen würden, ergibt sich aus der ebenfalls im Akt befindlichen ausdrücklichen Mitteilung der italienischen Behörden.
Die negative Feststellung, dass nicht festgestellt werden konnte, dass sich der BF von Ende 2016 bis zum Jahr 2020 in Afghanistan aufgehalten hat, ergibt sich daraus, dass seine diesbezüglichen Aussagen anlässlich seiner Erstbefragung völlig unglaubwürdig erscheinen. Im Zuge der Erstbefragung hat der BF unwahre Angaben zu seinen Aufenthaltsstati und seinen Reisebewegungen dargetan und kann angesichts des Umstandes dass der BF im Jahr 2017 in Italien um Asyl angesucht hat, ausgeschlossen werden, dass er sich – wie bei der Erstbefragung behauptet – seit Ende 2016 in Afghanistan aufgehalten hat. Der BF machte offensichtlich Angaben, wie es ihm gerade opportun erscheint.
Die Gesamtsituation des Asylwesens und der Situation für Schutzberechtigte im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides.
Die Feststellungen zum gesundheitlichen Zustand der Ehegattin des BF ergeben sich zunächst aus dem Umstand, dass diese im Flüchtlingslager beim dortigen Arzt vorstellig gewesen ist und eigenen Angaben zufolge lediglich Schmerzmittel verschrieben bekommen hat. Bereits aus dieser ersten medizinischen Begutachtung ist ersichtlich, dass sich die dargestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht in dem dramatischen Ausmaß manifestieren (Lähmungserscheinungen, Pflegebedürftigkeit) wie diese vom BF in den Raum gestellt worden sind! Es kann geradezu ausgeschlossen werden, dass ein Arzt im Flüchtlingslager in Österreich lediglich Schmerzmittel verschreiben und eine bloße Wiedervorstellung im Fall von weiteren Schmerzen empfehlen würde, wenn es sich bei der Patientin um eine pflegebedürftige Frau mit Lähmungserscheinungen handeln würde.
Selbst aus dem Beschwerdeinhalt ist letztlich Derartiges nicht ersichtlich: Die vom BF vorgelegten Beweismittel (Röntgenuntersuchung und fachärztliche Überweisung) ergeben lediglich das Bild, dass die Ehegattin des BF Physiotherapie bzw. physikalische Therapie im Hinblick auf ihren Bewegungsapparat benötigt. Von Lähmungserscheinungen oder einer Pflegebedürftigkeit ist in den vorgelegten Unterlagen mit keinem Wort die Rede und wurde seitens des BF im weiteren Verfahren auch keine weiteren medizinischen Unterlagen vorgelegt, die eine derartig gravierende Beeinträchtigung indizieren könnten. Insgesamt ergibt sich daher nicht das Bild, dass die Ehegattin des BF in gesundheitlicher Hinsicht völlig hilflos wäre. Dies auch vor dem Hintergrund, dass der BF seit dem Jahr 2015 in Europa verschiedenste Asylverfahren betrieben hat und seine Ehegattin weitgehend ohne seine Unterstützung im Heimatland aufhältig war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:
§ 4a. (1) Ein Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn dem Fremden in einem anderen EWR-Staat oder der Schweiz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde und er dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, in welchen Staat sich der Fremde zurück zu begeben hat. § 4 Abs. 5 gilt sinngemäß.
§ 4 (5) Kann ein Drittstaatsangehöriger, dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß Abs. 1 als unzulässig zurückgewiesen wurde, aus faktischen Gründen, die nicht in seinem Verhalten begründet sind, nicht binnen drei Monaten nach Durchsetzbarkeit der Entscheidung zurückgeschoben oder abgeschoben werden, tritt die Entscheidung außer Kraft.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
…
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
…
„Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1.
wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2.
zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3.
wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
[Abs. (2), (3), (4) ]
§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
1.
der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird, [ … ]
[Ziffern 2 bis 5]
[ Abs. (2) bis (13) ]
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
§ 61 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF lautet:
„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. …
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
Zu A)
1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz):
Dem BF wurde im EU-Mitgliedstaat (und damit auch EWR-Staat) Italien der Status des Subsidiär-Schutzberechtigten zuerkannt, sodass sein gegenständlicher Antrag auf internationalen Schutz gem. § 4a AsylG zurückzuweisen ist, wenn er in Italien Schutz vor Verfolgung gefunden hat und ihm – aus verfassungsrechtlichen Erwägungen – keine Verletzung seiner Rechte gem. Art. 3 oder 8 EMRK droht.
Gemäß Art. 3 EMRK und Art. 4 GRC darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): „Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist.“ (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).
Im gegenständlichen Fall hat der BF lediglich – ohne nähere Begründung – eingewendet, dass das Leben in Italien schwer sei, es dort keine Arbeit gebe und er dort seine Ehegattin nicht versorgen könnte. Dem ist zu entgegnen, dass der BF im Zuge seines Aufenthaltes in Italien persönlich in keiner Weise mit einer Situation konfrontiert gewesen ist, in welcher er seine Existenz nicht hätte sichern können. Der BF hat im Hinblick auf Unterkunft und Lebensmittelversorgung mit keinem Wort dargetan, dass er diesbezüglich in eine ausweglose Lage geraten wäre. Vor dem Hintergrund, dass die italienischen Behörden auch die Ehegattin des BF im Fall ihrer schriftlichen Zustimmung zurücknehmen würden und auch die Ehegattin des BF in Italien als Antragstellerin Grundversorgung genießen würde, ergibt sich keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem BF und seiner Ehegattin in Italien im Fall ihrer Rücküberstellung die notwendige Lebensgrundlage entzogen wäre. Es wird dabei nicht verkannt, dass die Ehegattin des BF in gesundheitlicher Hinsicht Physiotherapie bzw. physikalische Therapie benötigt, doch kann hieraus nicht von einer derartigen Vulnerabilität gesprochen werden, dass die Ehegattin des BF quasi hilflos und pflegebedürftig sei. Sollte die Ehegattin des BF hingegen einer Überstellung nach Italien gemeinsam mit ihrem Ehegatten nicht zustimmen, so lege dies als höchstpersönliche Entscheidung in der Ingerenz des Ehepaares selbst, welches damit auf ein örtlich gemeinsames Familienleben verzichten würde.
Gravierende gesundheitliche Probleme hat der BF selbst keine geltend gemacht.
Im Hinblick auf Art. 8 EMRK - und dem Wunsch des BF nach Österreich zu migrieren - wird, um doppelte Ausführungen zu vermeiden, auf nachstehende, unter Punkt 3. ausgeführte, Erwägungen, wonach kein unverhältnismäßiger Eingriff in das Privat- oder Familienleben des BF erkannt werden kann, verwiesen.
Das Bundesamt hat den Antrag der BF auf internationalen Schutz daher zu Recht als unzulässig gem. § 4a AsylG zurückgewiesen.
2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids (Versagung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“):
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 1 AsylG hat das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird.
§ 57 Abs. 1 leg.cit. lautet wie folgt:
„Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.“
Im vorliegenden Fall ging das BFA zu Recht davon aus, dass eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gem. § 57 Abs. 1 AsylG mangels Erfüllung einer der in den Ziffern 1 bis 3 genannten Tatbestände nicht zu gewähren ist. Umstände, die unter einen der in 57 AsylG iVm § 46a Abs. 1 Z 1 oder 3 FPG normierten Tatbestände subsumiert werden könnten, sind nicht ersichtlich und wurden auch nicht geltend gemacht. Eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ gem. § 57 AsylG war daher zu versagen.
3. Zu Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids (Anordnung der Außerlandesbringung gem. § 61 FPG und einer möglichen Verletzung von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG idgF (iVm § 61 Abs. 1 FPG) ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird, und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
Nach Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in Ausübung dieses Rechts ist gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterien hiefür kommen etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Im gegenständlichen Fall befindet sich die Ehegattin des BF als Asylwerberin in Österreich, somit liegt zwar ein familiärer Anknüpfungspunkt in Österreich vor, dies ist jedoch kein Anknüpfungspunkt zu einer dauerhaft in Österreich aufenthaltsberechtigten Person. Zudem musste dem BF bewusst sein, dass er in Italien aufenthaltsberechtigt ist und seine Weiterreise nach Österreich und der Versuch ein Familienleben mit seiner Ehegattin hier im Bundesgebiet zu erzwingen, kein gesichertes Aufenthaltsrecht ergeben kann. Auch der Umstand, dass der BF seine Voraufenthalte in Europa zu verschleiern suchte und er selbst, nachdem ihm die entsprechenden EURODAC-Treffermeldungen vorgehalten wurden, lediglich zugab, vormals bereits in Europa aufhältig gewesen zu sein, er jedoch einen Schutzstatus in einem Mitgliedstaat in Abrede stellte, spricht dafür, dass dem BF sehr wohl bewusst war, dass er mit einem dauerhaften Aufenthalt und Familienleben im Bundesgebiet nicht hat rechnen dürfen. Vielmehr versuchte er mit unwahren Angaben die Behörden über seinen Schutzstatus in Italien zu täuschen. Angesichts dessen kommt den öffentlichen Interessen am geordneten Zuzug und einem geordneten Migrationswesen ein sehr hoher Stellenwert zu, insbesondere in jenen Fällen wie dem vorliegenden, in denen die Personen durch ihren de facto Aufenthalt den Staat vor vollendete Tatsachen zu stellen trachten. Demgegenüber erscheint das Privatinteresse des BF am weiteren Verbleib im Bundesgebiet nur wenig schutzwürdig. Zudem kommt dem BF in Italien ein Aufenthaltsrecht zu, sodass es ihm offensteht ein Familienleben - falls sich seiner Ehegattin tatsächlich dafür entscheiden sollte, nicht mit dem BF nach Italien zurückzukehren - bis zu einem allenfalls geordneten Zuzug durch Besuche in Österreich aufrechtzuerhalten. Bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung überwiegend somit die öffentlichen Interessen und stellt sich ein Eingriff in das Familienleben des BF gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK als zulässig, und in casu geradezu geboten, dar.
Der durch die normierte Ausweisung des BF aus dem Bundesgebiet erfolgende Eingriff in sein Privatleben ist durch ein Überwiegen des öffentlichen Interesses im Vergleich zu seinem Privatinteresse am Verbleib im Bundesgebiet gedeckt:
Der nunmehrige Aufenthalt des BF in Österreich in der Dauer von etwa 9 Monaten war nur ein vorläufig berechtigter. Zudem ist dieser Aufenthalt, gemessen an der Judikatur des EGMR und der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, als kein ausreichend langer Zeitraum zu qualifizieren. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist erkennbar, dass etwa ab einem zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet im Regelfall die privaten Interessen am Verbleib gegenüber den öffentlichen Interessen überwiegen können (09.05.2003, 2002/18/0293). Gleiches gilt etwa für einen siebenjährigen Aufenthalt, wenn eine berufliche und soziale Verfestigung vorliegt (05.07.2005, 2004/21/0124). Der BF musste sich weiters seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein. Im vorliegenden Fall ist zu betonen, dass der Einhaltung der europäischen Zuständigkeitsnormen zur Prüfung von Asylanträgen große Bedeutung zukommt und gerade ein sogenanntes „Asyl-Shopping“ durch die Regelung der Dublin III-VO verhindert werden soll. Der BF hat sich trotz erfolgter Schutzgewährung in Italien letztlich nach Österreich begeben um einen weiteren Antrag auf Schutz zu stellen. Schon vor diesem Hintergrund ist die Interessensabwägung in einer strengen Weise vorzunehmen und der hohe Stellenwert der Einhaltung der europäischen Zuständigkeitsnormen und fremdenrechtlichen Bestimmungen zu betonen. Sonstige Integrationsaspekte liegen demgegenüber nicht vor, sodass bei einer abwägenden Gesamtbetrachtung der mit der Ausweisung verbundene Eingriff in das Privatleben des BF zulässig ist. Die Verwaltungsbehörde hat daher eine korrekte Interessensabwägung im Sinne der Rechtsprechung vorgenommen.
Das Bundesverwaltungsgericht gelangt daher insgesamt zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall keine Verletzung von Bestimmungen der GRC oder der EMRK zu befürchten ist.
Gemäß § 21 Abs. 6a BFA-VG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
Eine gesonderte Erwägung bezüglich einer allfälligen Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG konnte angesichts des Spruchinhaltes entfallen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. In casu liegt die Entscheidung allein in der Bewertung, ob die im Aufnahmestaat schutzberechtigte BF dort Schutz vor Verfolgung gefunden hat und nicht in ihren Rechten gem. Art 3 und 8 EMRK bedroht ist.
Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Außerlandesbringung Lebensgrundlage Mitgliedstaat Versorgungslage Zulassungsverfahren ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W144.2240373.1.00Im RIS seit
18.10.2021Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021