Entscheidungsdatum
05.08.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
W124 2234634-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Felseisen als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von
Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG iVm §§ 52, 53 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger von Indien, reiste im Juli XXXX unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und lebt seither durchgehend in Österreich. Am XXXX wurde ihm der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“ erteilt. Zuletzt wurde ihm am XXXX eine Karte zur Dokumentation dieses Aufenthaltstitels mit Gültigkeit bis zum XXXX ausgestellt.
2. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX , Zl. XXXX , wurde der BF rechtskräftig wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
3. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) leitete daraufhin ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot ein. Am XXXX erfolgte eine Einvernahme des BF unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Punjabi.
Eingangs gab der BF zu Protokoll, an keinen Krankheiten zu leiden und keine Medikamente zu benötigen. Er befinde sich aktuell jedoch in Therapie und müsse diese Therapie nach seiner Entlassung ein weiteres Jahr fortsetzen.
Hinsichtlich seiner Bindungen zum Herkunftsstaat führte er an, in Indien würden noch seine Eltern leben und pflege er zu ihnen circa einmal in der Woche telefonischen Kontakt. Befragt, ob er sie finanziell unterstütze, gab er an, wenn er in Indien auf Urlaub sei, nehme er ihnen etwas mit. Er schicke ihnen jedoch nichts. Neben seinen Eltern würden im Herkunftsstaat auch noch weitere Verwandte sowie – wenn auch nur wenige – seiner Freunde leben. Seit dem Jahr XXXX sei er sechs- bis siebenmal in Indien gewesen und habe dort Urlaub gemacht. Zuletzt sei er im Oktober XXXX dort gewesen. Im Herkunftsstaat habe er bei seinen Eltern im Bundesstaat Punjab einen Wohnsitz.
In Indien habe er seinen Lebensunterhalt zunächst mit der Unterstützung seiner Familie bestritten. In weiterer Folge habe er im landwirtschaftlichen Betrieb der Familie mitgeholfen. Im Herkunftsstaat habe er zwölf Jahre die Schule besucht. Über eine sonstige Ausbildung verfüge er nicht. Er könne sich nicht vorstellen, eine Beschäftigung im Herkunftsstaat aufzunehmen, zumal er seit 16 oder 17 Jahren in Österreich sei und nicht wisse, was er dort machen soll.
Auf Vorhalt seiner strafgerichtlichen Verurteilung führte er an, er habe einen Fehler gemacht, ersuche jedoch um eine weitere Chance, da er eine Frau und ein Kind habe. Seit er in Österreich sei, habe er immer gearbeitet und für seinen Unterhalt gesorgt.
Zu seinem Aufenthalt in Österreich führte er an, er befinde sich seit Ende Juli XXXX in Österreich und habe einen Aufenthaltstitel. Er sei unrechtmäßig eingereist, da er arbeiten habe wollen und die Lage in Indien nicht so gut gewesen sei. Im Jahr XXXX habe er eine österreichische Staatsangehörige geheiratet. Die Scheidung sei im Jahr XXXX erfolgt. Am XXXX habe er in Indien mit XXXX , einer indischen Staatsangehörigen, die Ehe geschlossen. Sie seien sowohl standesamtlich als auch nach religiösem Ritus verheiratet. Seit XXXX lebe seine Ehefrau in Österreich. Ihr gemeinsamer Sohn, XXXX , sei am XXXX geboren und sei indischer Staatsangehöriger. Der BF und seine Ehefrau seien gemeinsam mit seiner Obsorge betraut.
Weiter führte der BF an, dass auch sein Bruder mit dessen Familie in Österreich lebe. In Bezug auf seine Integration gab er zu Protokoll, er sei nicht Mitglied in einem Verein, besuche jedoch regelmäßig den Sikh Tempel. An Deutschkursen habe er nicht teilgenommen und spreche er insgesamt auch nur wenig Deutsch.
Für die Dauer von 13 Jahren habe er in Österreich legal als Schankhilfe gearbeitet. Er beabsichtige, seinen Arbeitgeber zu fragen, ob er dort wieder anfangen könne. Ferner gebe es ein Restaurant, wo er arbeiten könne. Als Schankhilfe habe er am Ende € 1.313, -- netto verdient. Seine Ehefrau arbeite in einer Wäscherei. Derzeit hätten sie nur das Gehalt seiner Ehefrau; das seien € 1.100 ,-- . Durch Gartenarbeit habe er in der Justizanstalt durchschnittlich € 300 ,-- verdient. Dies hänge von den Stunden und dem Wetter ab.
Hinsichtlich des Verhältnisses zu seiner Ehefrau und seinem Sohn führte er an, er habe sich bei seiner Ehefrau für die seiner strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Taten entschuldigt. Seine Ehefrau und sein Sohn würden auf ihn warten und würden ihn auch besuchen. Er telefoniere täglich mit ihnen. Der letzte Besuch habe im Februar im Rahmen eines Ausgangs stattgefunden. Dann sei die Covid-19-Pandemie gekommen. Seine Frau und sein Sohn hätten ihn von Anfang an im Gefängnis besucht. Da seine Frau erwerbstätig sei, sei sie einmal im Monat gekommen. Aufgrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie sei das aktuell nicht möglich. Ferner hätten ihn im Gefängnis sein Bruder mit seiner Familie sowie zwei bis drei weitere Familien, die er aus dem Sikh-Tempel kenne, besucht.
Befragt, ob er sich einer Abschiebung widersetzen werde, führte er an, er würde versuchen, mithilfe eines Anwalts ein Rechtsmittel zu erheben. Er wolle, dass sein Kind in Österreich in die Schule gehe, und entschuldige sich für seine Fehler.
4. Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem BF der Rest der Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten bedingt nachgesehen und wurde das Datum der bedingten Entlassung mit XXXX festgesetzt. Die Probezeit wurde mit fünf Jahren bestimmt und wurde für die Probezeit Bewährungshilfe angeordnet. Ferner wurde dem BF die Weisung erteilt, sich einer weiterführenden einjährigen Psychotherapie zu unterziehen und dies dem Gericht in viermonatigen Abständen beginnend mit XXXX nachzuweisen.
5. Mit Schriftsatz vom XXXX erstattete der BF im Wege seines rechtsfreundlichen Vertreters eine Stellungnahme, in welcher zusammengefasst ausgeführt wurde, dass er sich schuldeinsichtig und reumütig gezeigt habe. Seine Angaben würden dafür sprechen, dass ein gewisser Reifungsprozess stattgefunden habe und er aus seinen Fehlern eine Lehre gezogen habe, weshalb von einer positiven Zukunftsprognose auszugehen sei. Abgesehen von der Verurteilung würden sich aus den Antworten des BF keine Gründe ergeben, welche eine negative Zukunftsprognose zur Folge hätten. Bei richtiger Würdigung der vom BF dargelegten Umstände habe die Behörde zu dem Schluss zu gelangen, dass ein Reifungsprozess eingetreten sei, ein schützenswertes Familienleben vorliege und insgesamt davon auszugehen sei, dass der BF keine Gefahr mehr darstelle.
6. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX wurde gegen den BF gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig sei (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Festgestellt wurde zusammengefasst, dass der BF, ein indischer Staatsangehöriger, im Jahr XXXX unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei. Er verfüge über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“, sei im Bundesgebiet aufrecht gemeldet und habe vor seiner Festnahme ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von € 1.300, -- erzielt. Seine erste Ehe habe zwei Jahre bestanden und sei im Jahr XXXX geschieden worden. Am XXXX habe er mit XXXX die Ehe geschlossen und sei ihr gemeinsamer Sohn XXXX am XXXX geboren worden. Bis zu seiner Festnahme habe er mit seiner Ehefrau und seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt. Der BF sei in Österreich zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Auf den Seiten 12 bis 21 des Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Indien getroffen.
Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen festgehalten, die Feststellungen zu seiner Person würden sich aus dem Akteninhalt, den Angaben des BF in der Einvernahme am XXXX sowie seiner schriftlichen Stellungnahme ergeben. Ferner wurde in der Beweiswürdigung (unter anderem) darauf hingewiesen, dass der BF mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wegen der Verbrechen der Vergewaltigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden sei. In der Folge wurden die der Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen des BF sowie die vom Strafgericht berücksichtigten Erschwerungs- und Milderungsgründe aufgelistet, wobei die Milderungsgründe fälschlicherweise als Erschwerungsgründe bezeichnet wurden.
Rechtlich wurde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids erwogen, dass das Bundesamt gemäß § 52 Abs. 5 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor der Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen gewesen sei und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfüge, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen habe, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde. In Bezug auf den konkreten Fall sei festzuhalten, dass der BF über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfüge. Er sei von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden und sei am XXXX bedingt aus der Haft entlassen worden. Seiner Verurteilung liege das Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB zugrunde. Diese Tatsache allein indiziere bereits das Vorliegen einer hinreichend schwerwiegenden Gefahr der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Das der genannten Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten stelle eine gewichtige Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Delikten gegen die körperliche Unversehrtheit dar. Die vom BF begangenen Straftaten würden auf ein hohes Aggressionspotential hinweisen und manifestiere sich im Verbrechen der Vergewaltigung eine massiv negative Haltung gegenüber den rechtlich geschützten Werten, konkret gegenüber der körperlichen und sexuellen Integrität sowie der Selbstbestimmtheit von Frauen. Wie der VwGH in seinem Erkenntnis vom 11.12.2007, Zl. 2006/18/0227, ausgeführt habe, gehe von einem Fremden, der zur Durchsetzung seiner eigenen Interessen nicht davor zurückscheue, massive Gewalt gegen andere anzuwenden, und nicht bereit sei, auf die berechtigten Interessen anderer Rücksicht zu nehmen, eine große Gefährdung öffentlicher Interessen aus, sei doch mit einer Vergewaltigung häufig eine besondere psychische Belastung des Opfers verbunden. Vor diesem Hintergrund könnten im gegenständlichen Fall auch die lange Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet, die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sowie das bestehende Familienleben nicht zu einer positiven Zukunftsprognose bzw. zum Überwiegen der Interessen des BF an einem Verbleib in Österreich führen. Das vom BF an den Tag gelegte Fehlverhalten habe sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckt und sei daher mit einer Fortsetzung zu rechnen. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass das Strafgericht den langen Tatzeitraum sowie das Zusammentreffen von fünf Verbrechen als erschwerend gewertet habe. Durch sein Fehlverhalten habe der BF mangelnde Rechtstreue sowie seine Gleichgültigkeit gegenüber den in Österreich rechtlich geschützten Werten zum Ausdruck gebracht. Da der BF erst kürzlich, nämlich am XXXX , bedingt aus der Haft entlassen worden sei, liege keine ausreichend lange Phase des Wohlverhaltens vor und könne daher auch nicht von einem Wegfall der Gefährdung ausgegangen werden. Eine Zukunftsprognose könne daher nicht zu seinen Gunsten ausfallen. Im Rahmen einer Interessensabwägung iSd § 9 BFA-VG wurde insbesondere berücksichtigt, dass sich der BF seit XXXX in Österreich aufhalte, langjährig einer Erwerbstätigkeit nachgegangen sei und mit seiner Ehefrau sowie seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt lebe. Festzuhalten sei jedoch, dass ihn seine familiären Bindungen nicht von der Begehung strafbarer Handlungen abhalten hätten können. Hinzu komme, dass trotz seines langen Aufenthalts in Österreich seiner Einvernahme ein Dolmetscher beigezogen werden habe müssen. In einer Gesamtabwägung überwiege daher das öffentliche Interesse an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung das Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich. Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG würden daher vorliegen.
Bezüglich Spruchpunkt II. wurde erwogen, dass sich der BF im arbeitsfähigen Alter befinde, in Indien familiäre Anknüpfungspunkte habe und keine Verfolgungsgründe ersichtlich seien. Es würden folglich keine Abschiebungshindernisse iSd § 50 Abs. 1 und Abs. 2 FPG vorliegen. Eine Empfehlung iSd § 50 Abs. 3 FPG bestehe ebenso wenig. Folglich sei festzustellen gewesen, dass die Abschiebung nach Indien zulässig sei.
In Bezug auf Spruchpunkt III. wurde ausgeführt, dass das Bundesamt gemäß § 53 Abs. 1 FPG mit einer Rückkehrentscheidung ein Einreiseverbot erlassen könne. Gemäß § 53 Abs. 3 FPG sei dieses in der Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 9 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstelle. Als bestimmte Tatsache, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant sei, habe insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren rechtskräftig verurteilt worden sei. Im gegenständlichen Fall sei der BF mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX rechtskräftig wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach §§ 15, 201 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Die Erfüllung von einem der in § 53 Abs. 3 FPG aufgelisteten Tatbestände indiziere das Vorliegen einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Bei der Bemessung sei jedoch das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und aufgrund konkreter Feststellungen eine Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose vorzunehmen. Im Fall des BF sei zu berücksichtigen, dass er über einen langen Zeitraum – nämlich von XXXX bis XXXX –gezielt nach Frauen Ausschau gehalten habe, die betrunken gewirkt hätten. Er habe diese entweder gleich angesprochen oder sei ihnen unbemerkt gefolgt, um mit ihnen den Geschlechtsverkehr durchzuführen. Aufgrund der Schwere seines Fehlverhaltens sei unter Bedachtnahme auf sein Gesamtverhalten davon auszugehen, dass sein weiterer Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Gesamtbeurteilung seines Verhaltens, seiner Lebensumstände sowie seiner familiären und privaten Anknüpfungspunkte ergebe, dass die Erlassung eines Einreiseverbots in der Dauer von zehn Jahren gerechtfertigt sei. Abschließend wurde zu Spruchpunkt IV. des Bescheids festgehalten, dass gemäß § 55 FPG die Frist zur freiwilligen Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festzusetzen gewesen sei.
7. Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht am XXXX im Wege seines rechtsfreundlichen Vertreters Beschwerde wegen formeller und materieller Rechtswidrigkeit sowie wegen unzweckmäßiger Ermessensausübung. Gleichzeitig beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Nach Darstellung des Sachverhalts wurde begründend zusammengefasst ausgeführt, die Behörde sei zu dem Ergebnis gelangt, dass das in Österreich bestehende Familienleben des BF mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind nicht ins Gewicht falle. Die Behörde habe es jedoch versäumt, Ermittlungen zur tatsächliche Bindung zwischen dem BF und seiner Familie in Österreich anzustellen. Der Umstand, dass das Familien- und Privatleben aufgrund der Verbüßung der Haftstrafe eine Beeinträchtigung erfahren habe, erlaube keine abschließende Beurteilung über das Bestehen eines schützenswerten Familien- und Privatleben iSd Art. 8 EMRK. Der BF führe ein inniges Verhältnis zu seiner Ehefrau und dem gemeinsamen Kind. Seit der Enthaftung würden sie in einem gemeinsamen Haushalt leben und kümmere sich der BF wieder um den Lebensunterhalt seiner Familie. Die Behörde hätte die Ehefrau sowie allenfalls auch den beinahe siebenjährigen Sohn des BF einvernehmen müssen. Insbesondere hätte sie sich damit auseinandersetzen müssen, welche Auswirkungen die Außerlandesbringung des BF auf das Eheleben hätte. Bei Vornahme entsprechender Ermittlungsschritte hätte die Behörde unweigerlich zum Ergebnis gelangen müssen, dass der BF mit seiner Ehegattin und dem gemeinsamen Kind sowie mit seinem Bruder und dessen Familie ein schützenswertes Privat- und Familienleben führe, welches geeignet sei, die Interessensabwägung zu Gunsten des BF ausfallen zu lassen. In weiterer Folge wurde erwogen, dass die Gefährdungsprognose ausschließlich auf die Tatsache der strafgerichtlichen Verurteilung gestützt worden sei. Auf die Persönlichkeit des BF bzw. auf die Hintergründe der Tat sei entgegen der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in keiner Weise eingegangen worden. Die Behörde habe lediglich lapidar die Erschwerungsgründe angeführt, wobei auffallend sei, dass der bisherige ordentliche Lebenswandel, das Verbleiben beim Versuch sowie das reumütige Geständnis ebenso als erschwerend gewertet worden seien. Eigene Erwägungen zu den genannten Strafbemessungsgründen habe die Behörde nicht angestellt. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang etwa der Umstand, dass sich der BF bislang keiner Tat schuldig gemacht habe und bis zu dem strafrechtlich relevanten Verhalten völlig unbescholten gewesen sei. Eine eingehende Beschäftigung, weshalb der BF die genaue Tat gesetzt habe bzw. wie sie mit seiner sonstigen Persönlichkeit in Zusammenhang gebracht werden könne, wäre erforderlich gewesen, um ein tatsächliches Urteil über das Persönlichkeitsbild anzustellen. Weiter wurde darauf hingewiesen, dass sich der BF reumütig geständig verantwortet habe und die Vorfälle beim Versuch geblieben seien. Fraglich sei ferner, wie die Behörde zu dem Ergebnis gelange, dass der BF kein Interesse daran habe, die österreichischen Gesetze zu respektieren. Aus dem angefochtenen Bescheid würden sich hierfür keinerlei Gründe entnehmen lassen. Würde man der Argumentation der Behörde folgen, würde jeder Verstoß gegen das österreichische Strafrecht ohne weitere Prüfung zu einer negativen Zukunftsprognose führen. Eine solche Betrachtungsweise laufe jedoch der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zuwider.
8. Am XXXX langten die Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des BF:
1.1.1. Zum Aufenthalt des BF in Österreich
Der BF, ein Staatsangehöriger von Indien, führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er reiste Ende Juli XXXX unrechtmäßig in Österreich ein und lebt seither im Bundesgebiet. Der BF verfügte zunächst aufgrund der Stellung von zwei im Ergebnis unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht. Am XXXX wurde ihm eine quotenfreie (Erst-) Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ erteilt und ist sein Aufenthalt seither durchgehend rechtmäßig. Der Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ wurde ihm am XXXX erteilt. Am XXXX wurde ihm eine Karte zur Dokumentation dieses Aufenthaltstitels mit Gültigkeit bis zum XXXX ausgestellt.
Im Jahr XXXX hat der BF mit einer österreichischen Staatsangehörigen eine Ehe geschlossen. Die Scheidung ist im Jahr XXXX erfolgt. Am XXXX hat er daraufhin in Indien XXXX , eine indische Staatsangehörige, standesamtlich sowie nach religiösem Ritus geheiratet. Der Ehefrau des BF ist erstmals am XXXX der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ erteilt worden und hält sie sich seither rechtmäßig in Österreich auf. XXXX , der gemeinsame Sohn des BF und seiner Ehefrau, wurde am XXXX geboren, ist Staatsangehöriger Indiens und besucht in Österreich die Schule. Der BF hat mit seiner Ehefrau und seinem Sohn sowohl vor seiner Festnahme als auch nach seiner Entlassung aus der Strafhaft in einem gemeinsamen Haushalt gelebt.
Von XXXX bis XXXX ist der BF einer rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am XXXX bestreitet der BF seinen Lebensunterhalt aus staatlichen Mitteln. Die Ehefrau des BF erzielt durch ihre Beschäftigung in einer Wäscherei ein monatliches Einkommen in der Höhe von rund € 1.100, --. Während der BF seine Freiheitsstrafe verbüßt hat, ist sie in der Lage gewesen, den Lebensunterhalt für sich sowie für den gemeinsamen Sohn eigenständig zu bestreiten.
Der BF verfügt lediglich über geringe Deutschkenntnisse. Er pflegt regelmäßigen Kontakt zu seinem in Österreich wohnhaften Bruder sowie dessen Familie. Ferner hat er sich während seines Aufenthalts in Österreich durch den Besuch des Sikh-Tempels einen Bekanntenkreis aufgebaut. Auf sonstige Weise nimmt er allerdings nicht am gesellschaftlichen Leben in Österreich teil.
1.1.2. Zum Fehlverhalten des BF
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX wurde der BF wegen der Verbrechen der versuchten Vergewaltigung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass der BF seit dem Jahr XXXX das von ihm nicht zu zügelnde Bedürfnis verspürte, im Freien mit fremden Frauen Geschlechtsverkehr durchzuführen. Anstatt Dating-Plattformen zu nutzen oder die Dienste von Prostituierten in Anspruch zu nehmen, fasste er den Plan, nachts in der XXXX sowie auf der Straße nach jungen Frauen, die angetrunken wirkten, Ausschau zu halten, sie entweder gleich anzusprechen oder ihnen unbemerkt zu ihren Wohnungen zu folgen, um sie zu vergewaltigen. Konkret versuchte der BF in Wien (im Strafurteil näher genannte) Frauen mit Gewalt zur Duldung des Beischlafes oder einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung zu nötigen, und zwar
a) am XXXX eine aufgrund Alkohol- und Medikamentenkonsums benommene Frau, indem er sie auf einer Rasenfläche rücklings ablegte, seinen Penis entblößte, sie an den Oberarmen festhielt, wobei sie zu diesem Zeitpunkt wieder das volle Bewusstsein erlangte, ihre Oberbekleidung hinabriss, ihre Hose und ihren Slip bis zu den Knien hinab zog, sie auf den Mund küsste und ihre Brust ableckte, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil sie sich wehrte und auf ihn einredete, was ihn zur Flucht veranlasste;
b) zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt zwischen XXXX eine Frau, indem er sie an den Oberarmen festhielt, eine Kussbewegung in Richtung ihres Mundes ausführte, ihre Scheide über der Kleidung intensiv betastete, ihr einen Geldschein entgegenhielt und sinngemäß fragte, ob sie gegen Bezahlung mit ihm Geschlechtsverkehr vollziehen würde, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil sie lautstark schrie, sich losriss und in ihre Wohnung flüchten konnte;
c) am XXXX eine Frau, indem er sie zu Boden stieß, auf ihr zu liegen kam und im Begriff stand, ihre Brüste unterhalb der Kleidung zu berühren, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil sie sich massiv wehrte, was ihn zur Flucht veranlasste;
d) am XXXX eine Frau, indem er sie bis zu ihrer Wohnung verfolgte, versuchte sie zunächst ohne Gewaltanwendung vor der Wohnungstüre zu umarmen und zu küssen, sie sodann in die Wohnung drängte und gegen eine Tür drückte, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, weil sie lautstark schrie, was ihn zur Flucht veranlasste;
e) am XXXX eine Frau, indem er sie bis zu ihrer Wohnung verfolgte, sie in die Wohnung stieß, sie umklammerte und ihr Gesäß über die Kleidung intensiv betastete, wobei es nur deshalb beim Versuch blieb, da sie sich massiv wehrte, ihn aus der Wohnung stieß und die Wohnungseingangstür schloss, was ihn zur Flucht veranlasste.
Als mildernd wertete das Strafgericht bei der Strafbemessung den bisher ordentlichen Lebenswandel, das reumütige Geständnis sowie den Umstand, dass es jeweils beim Versuch geblieben ist. Als erschwerend galten der lange Tatzeitraum sowie das Zusammentreffen von fünf Verbrechen.
Während der Verbüßung seiner Haftstrafe begann der BF eine Psychotherapie.
Mit Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX wurde nach Verbüßung eines Teils der Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Jahren und vier Monaten der Rest der Freiheitsstrafe, nämlich ein Jahr und zwei Monate, bedingt nachgesehen und die bedingte Entlassung des BF mit XXXX festgesetzt. Die Probezeit wurde mit fünf Jahren bestimmt und wurde für diesen Zeitraum Bewährungshilfe angeordnet. Ferner wurde dem BF die Weisung erteilt, sich einer weiterführenden einjährigen Psychotherapie zu unterziehen und dies dem Gericht in viermonatigen Abständen beginnend mit XXXX nachzuweisen.
Der BF ist dieser Verpflichtung nachgekommen.
1.1.3. Zur Situation des BF im Fall der Rückkehr
Es steht nicht fest, dass der BF im Herkunftsstaat aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen einer politischen Überzeugung von staatlicher Seite oder von privaten Dritten verfolgt wird.
Für den BF besteht im Fall einer Ansiedlung in Indien nicht ein so hohes Maß an willkürlicher Gewalt, dass er allein durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation einer Rückkehr in den Herkunftsstaat auch bei einem niedrigeren Grad von willkürlicher Gewalt entgegenstünden.
Es besteht nicht die Gefahr, dass der BF in Indien in eine existenzbedrohende Notlage geraten wird. Der BF stammt aus dem indischen Bundesstaat Punjab, hat dort zwölf Jahre die Schule besucht und hat in weiterer Folge im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Familie mitgearbeitet. Er ist gesund, arbeitsfähig und beherrscht mit Punjabi eine der Landessprachen. Der BF ist sohin - unter Beachtung seiner Sprachkenntnisse, seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung –in der Lage in Indien seine grundlegenden existenziellen Bedürfnisse (wie der Zugang zu Arbeit, Wasser, Nahrung, Gesundheitsversorgung, die Chance, eine adäquate Unterkunft zu finden, der Zugang zu sanitären Einrichtungen und die finanziellen Mittel zur Befriedigung elementarer Bedürfnisse) befriedigen zu können.
Im Herkunftsstaat leben überdies seine Eltern, weitere Verwandte sowie ein Teil seiner Freunde. Zu seinen Eltern, welche nach wie vor im Bundesstaat Punjab wohnhaft sind, pflegt der BF überdies regelmäßigen Kontakt. Seit seiner erstmaligen Einreise in Österreich im Jahr XXXX ist der BF insgesamt sechs- bis siebenmal nach Indien gereist, dies zuletzt im Jahr XXXX . Im Rahmen dieser Reisen hat er auch seine Eltern besucht und ist sohin davon auszugehen, dass er in Indien zumindest vorübergehend bei ihnen Unterkunft nehmen kann.
Der gesunde BF gehört als 40-jähriger Mann überdies keiner Risikogruppe an, bei der im Falle einer Ansteckung mit Sars-CoV-2 ein schwererer Krankheitsverlauf zu befürchten ist.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
1.2.1. Sicherheitslage (letzte Änderung: 22.7.2020)
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 11.2019a). Terroristische Anschläge in den vergangenen Jahren (Dezember 2010 in Varanasi, Juli 2011 in Mumbai, September 2011 in New Delhi und Agra, April 2013 in Bangalore, Mai 2014 in Chennai und Dezember 2014 in Bangalore) und insbesondere die Anschläge in Mumbai im November 2008 haben die Regierung unter Druck gesetzt. Von den Anschlägen der letzten Jahre wurden nur wenige restlos aufgeklärt und die als Reaktion auf diese Vorfälle angekündigten Reformvorhaben zur Verbesserung der indischen Sicherheitsarchitektur wurden nicht konsequent umgesetzt (AA 24.4.2015). Aber auch im Rest des Landes gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (BPB 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 12.2020).
Die Spannungen im Nordosten des Landes gehen genauso weiter wie die Auseinandersetzung mit den Naxaliten (maoistische Untergrundkämpfer, Anm.) (GIZ 11.2019a), die das staatliche Gewaltmonopol gebietsweise infrage stellen (AA 19.7.2019).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir, die nordöstlichen Regionen und der maoistische Gürtel. In Jharkhand und Bihar setzten sich die Angriffe von maoistischen Rebellen auf Sicherheitskräfte und Infrastruktur fort. In Punjab kam es bis zuletzt durch gewaltbereite Regierungsgegner immer wieder zu Morden und Bombenanschlägen. Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie. Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 8.2019).
Erhebungen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an. Angaben zu Folge haben Rebellen illegale Steuern erhoben, Lebensmittel und Unterkünfte beschlagnahmt und sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen beteiligt. Zehntausende von Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 4.3.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 19.7.2019).
Indien und Pakistan
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 12.2019; vgl. BBC 23.1.2018). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten „Line of Control (LoC)“ haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer- wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).
Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 12.2019). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 12.2019). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14.2.2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).
Indien und China
Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Zusammenstöße entlang der „Line of Actual Control (LAC)“, der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin forderten am 15.6.2020 in den ersten Vorfällen seit 45 Jahren, nachdem die Spannungen im Mai zu eskalieren begannen, mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise. Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in den letzten Monaten gesehen werden (SWP 7.2020). Keine der beiden Seiten hat ein Interesse daran, die Meinungsverschiedenheiten in offenen Streit umschlagen zu lassen (FAZ 27.2.2020, vgl. SWP 7.2020), dennoch verstärken beide Seiten ihre militärische Präsenz in der Region. Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr als 3.400 Kilometer langen Grenze (SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 12.2019).
Der amerikanisch-chinesische Handelskrieg hat die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen. Dennoch ist Delhi besorgt, dass chinesische Waren den heimischen Markt überschwemmen und lokale Anbieter verdrängen. Das ist auch der Grund, warum Indien noch einmal nachverhandeln will, wenn es um das „Regional Comprehensive Economic Partnership“ (RCEP) Abkommen geht, das gemeinsam mit den meisten asiatischen Ländern größte Freihandelsabkommen der Welt, zu schaffen. Indien fühlt sich von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020). Bestimmender Faktor des indischen Verhältnisses zu China ist das immer wieder auch in Rivalität mündende Neben- und Miteinander zweier alter Kulturen, die heute die beiden bevölkerungsreichsten Staaten der Welt sind. Das bilaterale Verhältnis ist von einem signifikanten Ungleichgewicht zu Gunsten Chinas gekennzeichnet (BICC 12.2019).
Indien und Sri Lanka
Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis, das durch den mittlerweile beendeten Bürgerkrieg auf Sri Lanka zwischen der tamilischen Minderheit und singhalesischen Mehrheit stark beeinflusst wurde. Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 11.2019a). Darüber hinaus bestehen kleinere Konflikte zwischen Indien und Bangladesch (BICC 12.2019). […]
1.2.2. Grundversorgung und Wirtschaft (letzte Änderung: 30.03.2020)
In Indien lebt etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem veranschlagten Existenzminimum der Vereinten Nationen. Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine das Überleben sichernde Nahrungsversorgung auch der untersten Schichten der Bevölkerung zum Großteil gewährleistet. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe gibt es nicht, die Rückkehrer sind auf die Unterstützung der eigenen Familie oder von Bekannten angewiesen (ÖB 8.2019).
Das Wirtschaftswachstum lag im Haushaltsjahr 2016/2017 bei 7,1 Prozent und in 2017/18 bei 6,75 Prozent (BICC 12.2019). 2019 betrug das Wirtschaftswachstum 4.9 Prozent und für 2020 wird ein Wachstum der Gesamtwirtschaft um 6,1 Prozentpunkte erwartet (WKO 1.2020). Indien zählt damit nach wie vor zu den am stärksten expandierenden Volkswirtschaften der Welt (BICC 12.2019).
20167 lag die Erwerbsquote Bundesamtbei 53,8 Prozent (StBA 26.8.2019). Es gibt immer noch starke Unterschiede bei der geschlechtlichen Verteilung des Arbeitsmarktes (FES 9.2019). Indien besitzt mit 520,199 Millionen Menschen die zweitgrößte Arbeitnehmerschaft der Welt (2012). Im Jahr 2017 lag die Arbeitslosenquote bei 3,5 Prozent (StBA 26.8.2019).
Der indische Arbeitsmarkt ist durch die Tätigkeit im „informellen Sektor“ dominiert. Er umfasst Familien- und Kleinbetriebe der Landwirtschaft, des produzierenden Gewerbes sowie des Dienstleistungsbereichs und unterliegt keiner Kontrolle oder Besteuerung des Staates. Infolgedessen bestehen in diesem Bereich keine rechtsverbindlichen Bestimmungen oder formal geregelte Arbeitsverhältnisse. Annähernd 90 Prozent der Beschäftigten werden dem sogenannten „informellen Sektor“ zugerechnet – sie sind weder gegen Krankheit oder Arbeitsunfälle abgesichert, noch haben sie Anspruch auf soziale Leistungen oder Altersversorgung (Wienmann 2019). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung lebt in ländlich-bäuerlichen Strukturen und bleibt wirtschaftlich benachteiligt. Der Anteil der Landwirtschaft an der indischen Wirtschaftsleistung sinkt seit Jahren kontinuierlich und beträgt nur noch etwa 16,1 Prozent (2017/18) der Gesamtwirtschaft, obgleich fast 5049 Prozent der indischen Arbeitskräfte in diesem Bereich tätig sind (Shah-Paulini 2017).
Die Regierung hat überall im Land rund 1.000 Arbeitsagenturen (Employment Exchanges) eingeführt um die Einstellung geeigneter Kandidaten zu erleichtern. Arbeitssuchende registrieren sich selbständig bei den Arbeitsagenturen und werden informiert sobald eine geeignete Stelle frei ist (BAMF 3.9.2018; vgl. PIB 23.7.2018). Einige Staaten in Indien geben Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen sie Informationen zu Verfügung stellen (BAMF 3.9.2018).
Indien steht vor gewaltigen Herausforderungen bei der Armutsbekämpfung und in der Bildungs- und Infrastrukturentwicklung. Das durchschnittliche jährliche Pro-Kopf-Einkommen liegt bei rund 852 USD. Auf dem Human Development Index der UNDP (Stand: September 2016) steht Indien auf Platz 131 unter 188 erfassten Staaten. Während es weltweit die meisten Millionäre und Milliardäre beheimatet, liegt Indien bei vielen Sozialindikatoren deutlich unter den Durchschnittswerten von Subsahara-Afrika. Gleichzeitig konnten in den letzten beiden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in Indien der Armut entkommen (BICC 12.2019).
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zu meist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, welche sich jedoch an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (BAMF 3.9.2018).
Die Arbeitnehmerrentenversicherung ist verpflichtend und mit der Arbeit verknüpft. Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches es den Teilnehmer ermöglicht systematische Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (BAMF 3.9.2018).
55,3 Prozent der Bevölkerung (642,4 Mio.) lebt in multi-dimensionaler Armut (HDI 2016). Sofern es nicht zu außergewöhnlichen Naturkatastrophen kommt, ist jedoch eine für das Überleben ausreichende Nahrungsversorgung auch den schwächsten Teilen der Bevölkerung grundsätzlich sichergestellt. Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen. Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 19.7.2019).
Im September 2018 bestätigte der Oberste Gerichtshof die Verfassungsmäßigkeit des biometrischen Identifikationsprojekts Aadhaar. Im Juli 2019 verabschiedete das Parlament Änderungen zum Aadhaar-Gesetz. Damit wird der Weg für den Einsatz der Daten durch private Nutzer frei. Die geplanten Änderungen gaben Anlass zur Besorgnis hinsichtlich der Privatsphäre und des Datenschutzes und wurden angesichts eines Entscheids des Obersten Gerichtshofs vom September 2018 vorgenommen, welcher eine Nutzung von Aadhaar für andere Zwecke als den Zugang zu staatlichen Leistungen und die Erhebung von Steuern beschränkt (HRW 14.1.2020). Als Teil einer Armutsbekämpfungsinitiative wurde seit 2010 Millionen indischer Bürger eine Aadhaar-ID Nummer ausgestellt. Ursprünglich wurde das System eingeführt, um Steuerbetrug entgegenzuwirken. In den folgenden Jahren wurde der Umfang jedoch stark ausgeweitet: In einigen indischen Bundesstaaten werden mittels Aadhaar Pensionen, Stipendien und die Essensausgabe für arme Menschen abgewickelt (ORF 27.9.2018). Aadhaar stellt für den Großteil der Bevölkerung den einzigen Zugang zu einem staatlich anerkannten Ausweis dar. Diejenigen, die sich bei Aadhaar angemeldet haben, erhielten nach der Übermittlung ihrer Fingerabdrücke und Netzhautscans eine eindeutige zwölfstellige Identifikationsnummer (BBC 26.9.2018).
Menschenrechtsgruppen äußern Bedenken, dass die Bedingungen zur Registrierung für Aadhaar, arme und marginalisierte Menschen daran hindern, wesentliche, verfassungsmäßig garantierte Dienstleistungen wie etwa Nahrung und Gesundheitsversorgung zu erhalten (HRW 13.1.2018). […]
1.2.3. Rückkehr (letzte Änderung: 30.03.2020)
Allein die Tatsache, dass eine Person einen Asylantrag gestellt hat, führt nicht zu nachteiligen Konsequenzen nach der Abschiebung (AA 19.7.2019). Abgeschobene erfahren bei der Rückkehr nach Indien von den indischen Behörden grundsätzlich keine nachteiligen Konsequenzen, abgesehen von einer Prüfung der Papiere und gelegentlichen Befragung durch die Sicherheitsbehörden. Gesuchte Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Sicherheitsbehörden rechnen (ÖB 8.2019; vgl. AA 19.7.2019). Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt, sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Menschenrechtsorganisationen berichten über Schikanen der indischen Polizei gegen Personen, die wegen terroristischer Aktivitäten verurteilt wurden, selbst wenn diese ihre Strafe bereits verbüßt haben (ÖB 8.2019). […]
1.3. Feststellungen zur Covid-19-Pandemie
COVID-19 (coronavirus disease 2019 "Coronavirus-Krankheit 2019") ist eine durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Infektionskrankheit. Sie wurde erstmals 2019 in Metropole Wuhan (Provinz Hubei) beschrieben, entwickelte sich im Januar 2020 in der Volksrepublik China zur Epidemie und breitete sich schließlich zur weltweiten COVID-19-Pandemie aus. Die genaue Ausbruchsquelle ist derzeit noch unbekannt. Es wird angenommen, dass sich das Virus wie andere Erreger von Atemwegserkrankungen hauptsächlich durch Tröpfcheninfektion verbreitet (vgl. https://www.sozialministerium.at/Themen/Gesundheit/Uebertragbare-Krankheiten/Infektionskrankheiten-A-Z/Neuartiges-Coronavirus.html; Stand 03.09.2020).
Häufige Anzeichen einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus sind u. a. Fieber, Husten, Kurzatmigkeit und Atembeschwerden. Es kann auch zu Durchfall und Erbrechen kommen. In schwereren Fällen kann die Infektion eine Lungenentzündung, ein schweres akutes Atemwegssyndrom, Nierenversagen und sogar den Tod verursachen. Es gibt auch milde Verlaufsformen (Symptome einer Erkältung) und Infektionen ohne Symptome. […] Wie gefährlich der Erreger ist, ist noch nicht genau abzusehen. Momentan scheint die Gefährlichkeit des neuen Coronavirus deutlich niedriger als bei MERS (bis zu 30 Prozent Sterblichkeit) und SARS (ca. 10 Prozent Sterblichkeit) zu sein. Man geht derzeit beim neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) von einer Sterblichkeit von bis zu drei Prozent aus. Ähnlich wie bei der saisonalen Grippe durch Influenzaviren (Sterblichkeit unter 1 Prozent) sind v. a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen (vgl. https://www.ages.at/themen/krankheitserreger/coronavirus/faq-coronavirus/, Stand 03.09.2020).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des BF sowie zu seinem Leben in Österreich:
2.1.1. Die Feststellungen zur Identität des BF (Staatsangehörigkeit, Name und Geburtsdatum), zur Einreise des BF im Jahr XXXX , zu der Stellung von zwei im Ergebnis unberechtigten Anträgen auf internationalen Schutz, zur erstmaligen Erteilung eines Aufenthaltstitels im Jahr XXXX sowie zu seinem aktuellen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“ stützen sich auf das insoweit glaubhafte Vorbringen des BF im gesamten Verfahren in Verbindung mit dem unbestrittenen Akteninhalt, insbesondere den im Akt aufliegenden Auszügen aus dem Zentralen Fremdenregister.
2.1.2. Ferner gründen die Feststellungen zu seinen Eheschließungen, zur Geburt seines Sohnes sowie dessen Staatsangehörigkeit auf den nachvollziehbaren Angaben des BF in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX , welche bereits vom Bundesamt als glaubhaft erachtet und dem angefochtenen Bescheid als Sachverhalt zugrunde gelegt wurden. Aus einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister betreffend XXXX , der Ehefrau des BF, ergibt sich in Verbindung mit den Angaben des BF weiter, dass sie Staatsangehörige Indiens ist, ihr am XXXX erstmals der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ erteilt wurde und sie sich seither rechtmäßig in Österreich aufhält. Ferner geht aus dem Vorbringen des BF sowie den Auszügen aus dem Zentralen Melderegister hervor, dass er mit seiner Ehefrau und seinem minderjährigen Sohn sowohl vor seiner Festnahme als auch nach Verbüßung der Haftstrafe in einem gemeinsamen Haushalt gewohnt hat. Zudem ergibt sich aus dem Vorbringen des BF nachvollziehbar, dass sein Sohn aktuell in Österreich die Schule besucht und beide Elternteile mit seiner Obsorge betraut sind.
Das Vorbringen des BF, wonach er seit seiner Haftentlassung für den Lebensunterhalt seiner Familie aufkommt, erweist sich demgegenüber als vollkommen unsubstantiiert, zumal er keine Bescheinigungsmittel in Vorlage brachte und darüber hinaus aus einem amtswegig eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug vom XXXX hervorgeht, dass der BF zwar von XXXX bis XXXX einer rechtmäßigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, seit seiner Entlassung aus der Strafhaft am XXXX jedoch zunächst Arbeitslosengeld sowie in weiterer Folge Notstandshilfe bezogen und seinen Lebensunterhalt sohin aus staatlichen Mitteln bestritten hat.
Festzuhalten ist weiter, dass aus den Angaben des BF in Verbindung mit dem vom Bundesamt eingeholten Sozialversicherungsdatenauszug betreffend XXXX hervorgeht, dass die Ehefrau des BF in einer Wäscherei arbeitet, ein monatliches Einkommen in der Höhe von € 1.100 ,-- erzielt und in der Lage gewesen ist, während des Haftaufenthalts des BF den Unterhalt für sich sowie für den gemeinsamen Sohn eigenständig zu bestreiten.
Aus den Angaben des BF vor dem Bundesamt erschließt sich weiter, dass sein Bruder mit dessen Familie in Österreich lebt und zwischen ihnen regelmäßiger Kontakt besteht. Hinweise, dass zwischen ihnen ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, sind demgegenüber nicht hervorgekommen. An den Angaben des BF, wonach er den Sikh Tempel besuche und dort Familien kennengelernt habe, welche ihn auch im Gefängnis besucht hätten, hegt das erkennende Gericht keine Zweifel und ergibt sich aus diesem Vorbringen, dass sich der BF in Österreich einen Bekanntenkreis aufgebaut hat. Eine darüberhinausgehende gesellschaftliche Integration hat der BF demgegenüber nicht dargetan.
Die Feststellung zu seinen geringen Deutschkenntnissen beruht überdies auf den Angaben des BF in der Einvernahme vor dem Bundesamt, wonach er nur ganz wenig Deutsch spreche und keine Sprachkurse besucht habe.
2.2. Zum Fehlverhalten des BF während seines Aufenthalts in Österreich
Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des BF und den der Verurteilung zugrundeliegenden strafbaren Handlungen ergeben sich zweifelsfrei aus dem im Akt aufliegenden Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom XXXX , Zl. XXXX .
Ferner ergibt sich aus den Angaben des BF vor dem Bundesamt am XXXX , dass er während der Verbüßung der Haftstrafe eine Psychotherapie begonnen hat. Die Feststellungen zu den Modalitäten sowie dem Zeitpunkt der bedingten Entlassung des BF aus der Strafhaft stützen sich auf den Beschluss des Landesgerichts XXXX vom XXXX , Zl. XXXX . Aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister ist ersichtlich, dass die bedingte Strafnachsicht bisher nicht widerrufen worden ist. Folglich ist davon auszugehen, dass der BF seinen mit der bedingten Entlassung verbundenen Pflichten nachgekommen ist.
2.3. Zur Situation des BF im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat
2.3.1. In Bezug auf die Rückkehrsituation des BF ist zunächst festzuhalten, dass weder im erstinstanzlichen Verfahren noch in der Beschwerde auch nur ansatzweise behauptet wurde, dem BF würde in Indien aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung von staatlicher Seite oder von privaten Dritten Verfolgung drohen. Auch den notorischen Berichten zur Situation in Indien lassen sich für eine solche Annahme keine hinreichenden Anhaltspunkte entnehmen.
Ebenso wenig lässt sich den Berichten zur allgemeinen Situation in Indien entnehmen, dass dort ein so hohes Maß an willkürlicher Gewalt, dass der BF allein durch seine Anwesenheit tatsächlich Gefahr läuft, einer ernsthaften, individuellen Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit ausgesetzt zu sein. Gegenteiliges wurde von ihm im gesamten Verfahren nicht behauptet.
2.3.2. Die Feststellung, wonach der BF im Herkunftsstaat über eine gesicherte Existenzgrundlage verfügt, beruht auf folgenden Erwägungen:
Zu seinem Gesundheitszustand brachte der BF in seiner Einvernahme am XXXX vor, an keiner Erkrankung zu leiden und keine Medikamente zu benötigen. Hinweise, dass sich sein Gesundheitszustand zwischenzeitlich verschlechtert hätte, sind im Verfahren nicht hervorgekommen und war daher festzustellen, dass der BF gesund ist. Aufgrund seines Gesundheitszustandes, seines Alters sowie des Umstands, dass er in Österreich langjährig einer Erwerbstätigkeit nachgegangen ist, war überdies festzustellen, dass der BF arbeitsfähig ist.
Aus seinen Angaben in der Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX ergibt sich weiter, dass er aus dem indischen Bundesstaat Punjab stammt, die Sprache Punjabi beherrscht und in Indien zwölf Jahre die Schule besucht sowie im landwirtschaftlichen Betrieb seiner Eltern mitgearbeitet hat. Zudem führte er an, zu seinen Eltern, welche nach wie vor im Bundesstaat Punjab leben würden, circa einmal in der Woche telefonischen Kontakt zu haben. Hinzu kommt, dass er vor dem Bundesamt vorbrachte, seit seiner Einreise in Österreich sechs- bis siebenmal nach Indien gereist zu sein, dies zuletzt im Jahr XXXX . Auf die Frage, ob er in Indien über einen Wohnsitz verfüge, nannte er überdies die Adresse seiner Eltern. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass er im Fall der Rückkehr nach Indien – zumindest vorübergehend – bei seinen Eltern Unterkunft nehmen kann. Ferner gab er vor dem Bundesamt zu Protokoll, dass in Indien neben seinen Eltern noch weitere Verwandte sowie – wenngleich nur mehr wenige – Freunde leben, und wurde auch dieses Vorbringen der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegt.
Aufgrund seiner individuellen Umstände, insbesondere seiner Sprachkenntnisse, seiner Schulbildung, seiner Berufserfahrung sowie seiner familiären und sozialen Anknüpfungspunkte, ist sohin nicht davon auszugehen, dass der BF im Fall einer Wiederansiedlung im Herkunftsstaat in eine existenzbedrohende Situation gerät. Auch die Berichte zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat lassen einen derartigen Rückschluss nicht zu.
Folglich war festzustellen, dass der BF keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt hat, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation einer Rückkehr in den Herkunftsstaat auch bei einem niedrigeren Grad von willkürlicher Gewalt entgegenstünden.
2.4. Zu den Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Quellen. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln. Insoweit den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat Berichte älteren Datums zugrunde liegen, ist auszuführen, dass sich seither die darin angeführten Umstände unter Berücksichtigung der dem Bundesverwaltungsgericht von Amts wegen vorliegenden Berichte aktuelleren Datums für die Beurteilung der gegenwärtigen Situation nicht wesentlich geändert haben. Das erkennende Gericht hat sich ferner durch Einschau in das nunmehr aktuelle Länderinformationsblatt vom 31.05.2021 (Version 4) darüber vergewissert, dass sich die entscheidungsrelevante Lage in Indien insbesondere im Hinblick auf Sicherheits- und Versorgungslage sowie die Situation von Rückkehrenden nicht maßgeblich geändert hat.
Die Feststellungen zur Covid-19-Pandemie beruhen ferner auf den in den Feststellungen angeführten Quellen. In Bezug auf die individuelle Situation des BF ist festzuhalten, dass er im gesamten Verfahren nicht dargetan hat, dass für ihn im Fall einer Erkrankung an Sars-CoV-2 ein erhöhtes Risiko besteht, einen schweren Krankheitsverlauf zu erleiden und sind hierfür auch keine sonstigen Hinweise hervorgekommen, zumal es sich bei ihm um einen gesunden 40-jährigen Mann handelt.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Zur Rückkehrentscheidung:
3.1.1. Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen war und über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ verfügt, hat das Bundesamt gemäß § 52 Abs. 5 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG die Annahme rechtfertigen, dass dessen weiterer Aufenthalt eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.
Der BF ist Staatsangehöriger Indiens und somit Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Er verfügte im Zeitpunkt der Bescheiderlassung – un