TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/10 W257 2185251-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch


W257 2185251-1/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert MANTLER, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den RA Mag. Georg BÜRSTMAYR, Hahngasse 25/5, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 22.01.2018, Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.05.2021 und am 21.06.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge kurz „BF“), ein afghanischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 11.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen der am 11.11.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er aus der Provinz Ghazni stamme und er sich zuletzt in Kabul aufgehalten habe. Er verfüge über eine elfjährige Schulbildung und eine vierjährige universitäre Ausbildung. Er habe in Afghanistan auch Berufserfahrung als Getränkehändler gesammelt. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und bekenne sich zur protestantischen Glaubensrichtung des Christentums. Er sei ledig, aber verlobt, und habe keine Kinder. In seinem Heimatland würden sich noch seine Mutter, seine Verlobte, sein Bruder und seine Schwester aufhalten. In Österreich habe er keine Angehörigen.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF aus, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er vor fünf Jahren zum Christentum konvertiert sei. Er habe aus Angst vor einer Hinrichtung den Religionswechsel geheim gehalten. Er habe in den letzten zwei Jahren in Kabul ein Geschäft betrieben, in dem auch alkoholische Getränke verkauft worden wären. Dies hätten die Behörden in Erfahrung gebracht und den BF bereits zu Hause heimgesucht. Dies habe er telefonisch von seinem Zimmerkollegen erfahren. Er habe danach gleich das Geld aus dem Geschäft geholt und sei geflohen.

Er habe einerseits Angst vor einer staatlichen Verfolgung wegen dieser Straftat, andererseits habe er auch erfahren, dass die Behörden in sein Geschäft eingedrungen wären und seine Bibel gefunden hätten, weshalb diese auch seine Glaubenswechsel in Erfahrung bringen hätten können.

3. Mit Schreiben vom 13.10.2017 gab Rechtsanwalt Mag. Georg BÜRSTMAYER bekannt, dass ihn der BF bevollmächtigt habe, diesen in gegenständlicher Rechtssache zu vertreten.

4. Am 13.12.2017 erfolgte eine Urkundenvorlage von Schriftstücken aus Afghanistan samt ergänzendem Vorbringen. In diesem wurde festgehalten, dass der BF nicht nur im Jahr 2009 konvertiert und getauft worden sei, sondern dieser auch Mitbegründer und Autor einer kritischen Wochenzeitschrift gewesen sei. Wegen eines kritischen Artikels darin sei der BF schon einmal festgenommen worden.

Aufgrund des Verdachts des Alkoholverkaufs in seinem Geschäft, habe dort eine Hausdurchsuchung stattgefunden. Hierbei sei eine Bibel gefunden worden, weshalb auch beim BF zu Hause eine Hausdurchsuchung stattgefunden habe.

Mittlerweile habe sich die religiöse Einstellung des BF geändert. Dieser sei nun Atheist.

4. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge kurz „BFA“) am 18.12.2017 gab der BF an, dass er gesund sei. Seine Identität könne er nicht nachweisen. Er habe jedoch einen Uni-Ausweis und ebenfalls habe politische Texte verfasst. Er sei in einem Studentenverein gewesen, der in keiner Beziehung zur Universität gestanden sei. Er könne ein Konvolut an integrationsbegründenden Unterlagen vorlegen.

Er wolle richtigstellen, dass er nicht verlobt, sondern er bereits traditionell verheiratet sei.

Er sei afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und seit zwei Jahren Atheist. Er sei damals mit 18 zum Christentum konvertiert, weil ihm dies die innere Ruhe gegeben habe. Sein Umfeld habe davon gewusst. Nun habe er den Glauben an Gott verloren. Dass er Atheist sei, würde auch sein jetziges Umfeld und seine Familie wissen.

Seine Muttersprache wäre Dari. Er stamme aus dem Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni. Dort sei er bis zu seinem 18.Lebensjahr aufgewachsen und danach nach Kabul gezogen. Er habe eine zwölfjährige Schulbildung erhalten und sei vier Jahre auf einer Universität gewesen. Das Lebensmittelgeschäft in Kabul habe er im Jahr 2013 von seinem Bruder übernommen und neben seinem Studium geführt. Sein Studium habe er im Jahr 2014 abgeschlossen. Afghanistan habe im Jahr 2015 vor dem Schlachtfest verlassen.

Seine Frau und seine Schwester würden in Kabul leben, seine Mutter in der Provinz Ghazni und sein Bruder im Iran. Sonstige weitschichtige Verwandte würden nach wie vor in seiner Heimatprovinz oder in Herat leben. Mit seiner Mutter sei er in telefonischem Kontakt. Er habe 2014 nach islamischen Recht in seiner Heimatprovinz geheiratet. Mittlerweile würden im Dorf alle von seiner Konversion wissen, weil die Polizei nach ihm suche, zumal er Alkohol verkauft hätte und im Zuge der Durchsuchung seines Geschäftes zahlreiche christliche Unterlagen gefunden worden wären. Nach dem Vorfall sei er auch nicht mehr in seinem Studentenheim gewesen.

Er habe keine Kinder und keine Verwandten in Österreich. Er lebe hier von der Grundversorgung. In Afghanistan sei er einmal für drei Stunden eingesperrt gewesen, weil er einen Text veröffentlicht hätte.

Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte der BF im Wesentlichen aus, dass er sein Heimatland wegen seiner Konversion verlassen habe. Auch seine Mutter hätte deswegen im Dorf Probleme bekommen, weil sie dem BF noch zwei Tage Unterschlupf gewährt hätte. In Kabul sei sein Geschäft von der Polizei aufgebrochen worden und man habe neben den alkoholischen Getränken auch zahlreiche christliche Texte und Unterlagen sowie eine Bibel gefunden. Danach sei von der Polizei auch mit dem Mullah zusammen seine Wohnung im Studentenheim durchsucht worden.

Nach seiner Konversion habe er selbst begonnen Alkohol zu trinken. Über die Hauskirche habe er Kontakt zu Personen bekommen, die ihn mit Alkohol beliefern hätten können, sodass er sich auch zum Verkauf von Alkohol entschieden hätte. Er habe immer wieder in unterschiedlichen Abständen regelmäßig bestellt und Whiskey sowie russisches Bier geliefert bekommen. Den Alkohol habe er zu unterschiedlichen Preisen verkauft, jedoch nur an Afghanen. Der Einkaufspreis sei für ihn immer gleich gewesen. Seine Frau habe davon gewusst.

Wer ihn verraten habe, wisse er nicht. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung habe er sich auf der Universität aufgehalten. Er sei vom Eigentümer des Nachbarsgeschäfts angerufen worden. Eine Stunde später sei er zu seinem Bruder gegangen und habe sich Geld besorgt. Die Nacht habe er bei einem Freund in Kabul verbracht, weil die Reise in die Heimatprovinz nur unter Tags möglich sei. Die Polizei sei oftmals bei seiner Mutter gewesen. Alleine dreimal, wie er noch in seiner Heimatprovinz bei seinem Onkel aufhältig gewesen sei, zwei weitere Male, wie in Pakistan bzw. auf dem Weg dorthin gewesen sei.

Aufgrund eines kritischen Artikels über die Sicherheitslage in den Abendstunden in einem Kabuler Bezirk sei er einmal für einige Stunden von der Polizei eingesperrt gewesen. Dies habe sich im Jahr 2014 zugetragen. Er sei für eine kleine Wochenzeitung tätig gewesen. Diese sei privat gedruckt und verteilt worden. Die Leiterin sei jedoch öfters bedroht worden und habe Afghanistan verlassen. Danach sei die Zeitung eingestellt worden. Er selbst sei nur dieses eine Mal deswegen von der Polizei kontaktiert worden.

Im Falle einer Rückkehr habe er Angst, dass er wegen seiner Konversion getötet werde. Er sei im Jahr 2009 nach einer halbjährigen Taufvorbereitung in einer Kabuler Hauskirche getauft worden. Seinen Gewerbeschein habe in seinem Geschäft aufbewahrt. Die Bibel ebenfalls, weil im Studentenheim zu viele fremde Leute aufhältig gewesen wären. Jetzt sei er auch aufgrund seines Abfalls vom Islam in Afghanistan gefährdet. Seine Mutter habe keine Probleme mit der Polizei, jedoch würde sie im Dorf geächtet werden. Er sei Gründungsmitglied der Zeitung gewesen. Bei seiner Taufe wären zehn Personen aus der Hauskirche anwesend gewesen.

Die Rechtsvertretung stellte den Beweisantrag Erhebungen zur Zeitschrift des BF durchzuführen. Sie beantragte den Erhalt der Länderfeststellungen und erbat eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme. Ebenso erging der Antrag den Organwalter abzulehnen, zumal dieser in Befragung beweiswürdigenden Schlussfolgerungen zur IFA gemacht habe. Der Antrag auf Ausfolgung der Länderfeststellungen wurde abgelehnt.

Aus was Whiskey bestehe, wisse er nicht. Der Alkohol, den er verkauft hätte, habe bei 5% begonnen. Wie viel Volumprozent Alkohol Whiskey habe, wisse er nicht. Diese sei glaublich in 0,5 oder 1-Liter-Glasflaschen geliefert worden, sechs oder zwölf Stück pro Packung. Bier sei in 6er-, 12er und 24er-Packungen geliefert worden. Das Bier habe 2,5% Alkoholgehalt gehabt. Der Kundschaft habe er immer gesagt, dass er keinen Alkohol verkaufe. Erst auf Hinweis der Kunden sei er mit diesen in Geschäft gekommen. Die Kundschaft sei immer unterschiedlich gewesen. Nach Richtigstellung einiger Protokollierungsfehler, wie etwa, dass er auch Wein verkaufen hätte wollen und dass das Bier 5% Alkoholgehalt gehabt hätte, endete diese Amtshandlung nach der vollständigen Rückübersetzung.

5. In der Stellungnahme vom 10.01.2018 führte die Rechtsvertretung des BF aus, dass dieser sein Vorbringen glaubhaft dargelegt habe und ihm daher eine asylrechtlich relevante Verfolgung in seinem Heimatland drohe und ihm auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Beigefügt wurde noch eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 01.07.2017 über die Gefährdungslage von vom Islam abgefallenen bzw. zum Christentum konvertierten Personen in Afghanistan, auch unter der Betrachtung der Rückkehrergeigenschaft aus Europa.

6. Mit Bescheid vom 22.01.2018 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Ebenso wurde Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen den BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Begründend wurde festgehalten, dass das Vorbringen zu seinen persönlichen Umständen glaubwürdig gewesen sei, der vorgebrachten Fluchtgeschichte jedoch keine Glaubwürdigkeit zukomme. Aus der vorgelegten Taufurkunde könne nicht auf die religiöse Überzeugung des BF geschlossen werden, wobei es ungewöhnlich sei, dass diese in englischer Sprache ausgestellt worden sei. Durch diese Urkunde sei der BF einer erhöhten Gefahr ausgesetzt gewesen, dass seine Konversion bekannt werden würde. Dies entspreche nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, sodass davon ausgegangen werden müsse, dass dieses Beweismittel nur zur Vortäuschung einer Konversion angefertigt worden sei. Für einen konstruierten Sachverhalt spreche es auch, dass der BF nach muslimischen Recht geheiratet habe und er 2013 über die Hauskirche Kontakt zu Alkoholzwischenhändlern aufgenommen hätte, obgleich er seit 2009 nicht mehr in der Hauskirche gewesen sein soll. Ebenso sei es nicht nachvollziehbar gewesen, dass der BF die Bibel und christliche Schriftstücke an einen öffentlich zugänglichen Ort aufbewahren würde. Dass der BF nun Atheist sei, sei ein weiterer Anhaltspunkt für ein konstruiertes Vorbringen.

Bezüglich des Alkoholverkaufes habe sich der BF in Widersprüche und Unplausibilitäten verstrickt. So habe er sich über das Kennenlernen der Zwischenhändler widersprochen und nicht nachvollziehbar vorbringen können, wie er sich über die Einkaufspreise informiert habe. Die Darstellungen über den Inhalt, die Verpackung und den Alkoholgehalt der Getränke konnte der BF ebenfalls nicht nachvollziehbar schildern, zumal der BF erst in der Rückübersetzung wesentliche Änderungen vorgenommen habe. Die Schilderungen über seinen Kundenstamm seien ebenfalls unplausibel gewesen. Aus diesen Gründen sei es nicht glaubwürdig, dass der BF Alkohol verkauft habe, womit auch auszuschließen sei, dass die Polizei sein Geschäft aufgrund des Verkaufs von Alkohol aufgebrochen hätte. Sohingehend seien sowohl der Alkoholverkauf als auch die Konversion zum Christentum bzw. der Abfall von Islam nur als gedankliche Konstrukte einzustufen gewesen, denen kein Wahrheitsgehalt zukommen würde. Der BF habe seine Fluchtgeschichte in der freien Erzählung völlig vage und undetailliert vorgebracht. Ebenso wäre das Vorbringen auch widersprüchlich bezüglich der Anzahl der Anrufe aus dem Nachbarsgeschäft gewesen und es wäre auch nicht nachvollziehbar gewesen, warum sich der BF nach dem ersten Anruf noch eine Stunde auf der Uni aufgehalten hätte. Jedweder Lebenserfahrung widerspricht es, dass die Polizei binnen so kurzer Zeit fünfmal seine Mutter aufgesucht hätte. Bezugnehmend auf das Vorbringen, dass er in einer Zeitung gearbeitet hätte und einmal festgenommen worden sei, sei festzuhalten gewesen, dass der Übersetzung der Zeitungsartikel kein Text zu entnehmen gewesen sei, der von asylrechtlicher Relevanz gewesen wäre. Auf die Stellungnahme der Rechtsvertretung sei festzuhalten, dass der BF aufgrund der Ungereimtheiten in seinem Vorbringen nicht glaubwürdig gewesen sei und dieser daher auch keine Verfolgungshandlungen zu befürchten habe, zumal es sich beim Vorbringen zur Konversion bzw. zum Abfall vom Islam nur um ein gedankliches Konstrukt handeln würde.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wäre dem BF eine Ansiedlung in seiner Heimatprovinz nicht zumutbar, jedoch sei ihm aber eine Rückkehr nach Kabul, wo er familiäre Anknüpfungspunkte habe, zumutbar. Eine Gefahrenlage im Sinne des Art. 3 EMRK würde beim BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht vorliegen. Es bestünde daher im Falle seiner Rückkehr auch keine reale Gefahr, die einer Zuerkennung von subsidiärem Schutz rechtfertigen würde. Der BF sei jung, gesund und arbeitsfähig und in Afghanistan bzw. in einem afghanischen Familienumfeld sozialisiert worden. Er verfüge über eine profunde Schulbildung und eine universitäre Ausbildung sowie Arbeitserfahrung als Verkäufer. Betreffend den Ausspruch einer Rückkehrentscheidung würden die öffentlichen Interessen überwiegen.

7. Mit Verfahrensanordnung vom 22.01.2018 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe für das Beschwerdeverfahren als Rechtsberatung zur Seite gestellt. Ebenso wurde mit Verfahrensanordnung vom 22.01.2018 ein Rückkehrberatungsgespräch gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG angeordnet.

8. Gegen den Bescheid des BFA richtete sich die am 31.01.2018 beim BFA eingelangte und fristgerecht durch seine rechtsfreundliche Vertretung in vollem Umfang erhobene Beschwerde. In dieser wurde vorab festgehalten, dass der Organwalter befangen gewesen sei und sohin der Bescheid zu beheben sei. Es sei angeregt worden, an die belangte Behörde zurückzuweisen sei und das Verfahren vor einen unbefangen Organwalter durchzuführen. Im Übrigen sei der bekämpfte Bescheid inhaltlich rechtswidrig. Das BFA habe die Verfahrensvorschiften aufgrund einer mangelhaften Beweiswürdigung verletzt. Das Vorbringen des BF sei schlüssig und nachvollziehbar dargelegt worden. Niemand würde in Afghanistan eine Konversion zum Schein vorgeben. Die angeführten Widersprüche und Unplausibilitäten würden sich allesamt aufklären lassen. Aus der Arbeit bei der Zeitung gehe zwar keine asylrechtlich relevante Verfolgung hervor, jedoch zeige die einhergehende Verhaftung, dass der BF den Sicherheitsbehörden bekannt gewesen sei.

Aufgrund der individuellen Verhältnisse des BF und der schlechten Sicherheitslage in Afghanistan, sei dem BF auch keine Rückkehr nach Kabul zumutbar. Die aktuelle Sicherheitslage in Afghanistan würde jedenfalls, aufgrund der langen Abwesenheit aus Afghanistan, ein Rückkehrhindernis für den BF darstellen. Außerdem seien bei Rückkehrentscheidung die familiären und privaten Interessen des BF nicht ausreichend berücksichtigt worden.

9. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 02.02.2018 vom BFA vorgelegt, wobei die belangte Behörde auf die Durchführung und Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung verzichte habe.

10. Mit Schreiben vom 05.02.2020 erfolgte seitens des BF eine Vorlage eines Konvoluts an integrationsbegründenden Unterlagen vorgelegt.

11. Mit Schreiben vom 08.07.2020 erfolgte seitens der Rechtsvertretung des BF eine Stellungnahme zur momentanen Versorgungs- und Sicherheitslage in Afghanistan. Ebenfalls wurde eine Bestätigung für die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten vorgelegt.

12. Mit Schreiben vom 04.12.2020 legte die Rechtsvertretung des BF Ausdruck des Facebook-Profils des BF vor. Mit diesen soll bewiesen werden, dass sich der BF kritisch dem Islam gegenüber äußert. Ebenso wurde ein weiteres Teilprüfungszertifikat „ÖSD B2“ vorgelegt.

13. Mit Schreiben vom 08.07.2020 erfolgte seitens der Rechtsvertretung des BF eine Stellungnahme zur momentanen Versorgungs- und Sicherheitslage in Afghanistan. Ebenfalls wurde eine Bestätigung für die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten vorgelegt. Mit Schreiben vom 04.12.2020 legte die Rechtsvertretung des BF Ausdruck des Facebook-Profils des BF vor. Mit diesen soll bewiesen werden, dass sich der BF kritisch dem Islam gegenüber äußert. Ebenso wurde ein weiteres Teilprüfungszertifikat „ÖSD B2“ vorgelegt.

14. In einer am 17.05.2021 seitens der Rechtsvertretung des BF ergangenen Stellungnahme wurde ausgeführt, dass der BF aufgrund seiner religiösen Einstellung immer wieder Probleme in seinen Unterkünften in Österreich gehabt hätte. Dies könne sowohl durch einen Zeugen als auch durch ein Konvolut an Facebook-Nachrichten belegt werden. Einem Konvolut an Unterlagen sei ebenfalls zu entnehmen, dass sich der BF noch immer in einer katholischen Pfarrgemeinde engagiere und er zahlreiche Freundschaften im Bundesgebiet pflege. Ebenso zeige er seinen Arbeitswillen durch die Durchführung zahlreicher ehrenamtlicher Tätigkeiten. Er sei seit Dezember 2018 auch in therapeutischer Behandlung, weil er Angst- und Schlafstörungen leide.

15. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 25.05.2021, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung sowie ein Zeuge persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete bereits in der Beschwerdevorlage auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Der BF gab an, dass gesund und in der Lage der Verhandlung folgen zu können. Er sei aber regelmäßig in einer Psychotherapie und könne diesbezüglich einen ärztlichen Befund vorlegen. Er verzichtete nach eingehender Belehrung auf die Verlesung des Aktes.

Er sei afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppen der Hazara und Atheist, Er sei in Afghanistan geboren worden und in der Provinz Ghazni aufgewachsen. Danach habe in Kabul studiert und 2014 dort den Bachelor gemacht. Er habe ab 2013 das Lebensmittelgeschäft seines Bruders übernommen. Die Universität sei eine Privatuniversität gewesen, an der er Abendkurse gemacht habe. Ihm und seiner Familie sei es finanziell sehr gut gegangen. Sein älterer Bruder habe das Geschäft gegründet, sein jüngerer dieses dann aufgelöst. Seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester würden noch in Afghanistan leben. Seine Ehe habe keinen Bestand mehr. Er habe traditionell geheiratet, jedoch habe nach der traditionellen Trauung keine Hochzeitsfeier mehr stattgefunden. Der Dolmetscher bestätigt, dass die Trauung vordem Mullah rechtlich wirksam sei. Die Ehe habe seine Frau einseitig gelöst, weil der BF Christ gewesen sei. Ihre Familie habe sie unter Druck gesetzt und sie habe nun einen neuen Mann. Er habe seine Frau nach islamischen Recht heiraten müssen, weil dies die einzige Möglichkeit der Verehelichung gewesen sei.

Danach erfolgte die Befragung zu seinen Fluchtgründen, wobei der BF angab, dass er 2009 in Afghanistan Christ geworden wäre und 2015 die Polizei in seinem Geschäft eine Bibel, ein paar CDs und christliche Bücher gefunden hätte. Er sei damals auf der Universität gewesen und ein Geschäftsnachbar habe ihn angerufen, dass die Polizei sein Geschäft durchsuche. Wenig später sei er noch einmal von diesem angerufen und gefragt worden, ob er Christ sei. Er sei nicht mehr in das Geschäft und in das Studentenwohnheim zurückgegangen und habe nach einigen Tagen bei Verwandten in Kabul und seiner Heimatprovinz Afghanistan verlassen.

Er selbst sei nicht persönlich bedroht worden, jedoch habe er von Mitbewohnern erfahren, dass die Polizei noch fünfmal in seiner Wohnung im Studentenheim gewesen wäre. Die christlichen Sachen habe er in seinem Geschäft aufbewahrt, weil er im Studentenwohnheim mit zahlreichen muslimischen Studenten zusammengewohnt habe. Über die christlichen Schriften und die CDs könne er keine näheren Angaben zu deren Inhalt machen. Das Risiko, dem er ausgesetzt gewesen sei, sei ihm bewusst gewesen, jedoch habe er als Christ eine Bibel besitzen wollen und es habe niemand gewusst, dass er konvertiert sei. Er sei außerdem eine risikofreudige Person und mache gerne, was er wolle. Es habe keinen anderen Platz zur Aufbewahrung seiner Bibel gegeben.

Er habe Afghanistan verlassen, weil dort in einer konservativen, religiösen und islamischen Gesellschaft hohe Strafen für einen Religionswechsel drohen würden. Er habe sich auch Angst vor der Bestrafung nicht der Polizei gestellt. 2009 habe er die Religion gewechselt, weil er in der Nächstenliebe und der Vergebung einen neuen Weg gesehen habe. Im Islam würde Krieg und Gewalt herrschen. Diese Religion sei nicht mehr zeitgemäß. Die ganzen Gewalttaten in Afghanistan würden aufgrund des Islams durchgeführt werden. Über Das Christentum im Mittelalter habe er sich erst nach seiner Konversion auseinandergesetzt. Es sei aber eine innere Entscheidung gewesen, dass er so wie Jesus habe leben wollen. Durch die Nächstenliebe und die Hilfsstellung für andere hätte er sich gut gefühlt. Mittlerweile habe er sich von den Religionen aber abgewandt, weil er finde, dass Religionen Geschichten seien, die nicht mit der Vernunft, der Wissenschaft und dem heutigen Leben überstimmen. Seine Ansicht habe sich nun geändert und er habe sich weiterentwickelt. Er stelle Vernunft über den Glauben und habe in seinem Leben keinen Platz mehr für Religionen. Menschen würden nach dem Tod aufhören zu existieren und es gäbe auch keine Seele. Mit dem Tod sei alles zu Ende. Bei seiner Hochzeit habe er nicht gesagt, dass er Christ sei.

Der Rechtsvertretung wurden die aktuelle Länderinformationen ausgehändigt und diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme bis zur nächsten Verhandlung eingeräumt. Danach wurde die mündliche Verhandlung wegen Zeitablauf des Verhandlungssaales vertagt.

16. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 21.06.2021, im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari, eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF und seine Rechtsvertretung sowie ein Zeuge und zwei Vertrauenspersonen persönlich teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde verzichtete bereits in der Beschwerdevorlage auf eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung.

Er habe sich als Jugendlicher für das Christentum zu interessieren begonnen und sei dann konvertiert, Er habe dann festgestellt, dass keine Religion die Menschen befreien könne. Das Christentum spreche zwar davon, aber im 30-jährigen Krieg wären viel Leute wegen der Religion gestorben. Nah dem langen Kampf zwischen Katholiken und Protestanten habe es zwar Frieden gegeben, jedoch habe das Heilige Römische Reich seinen Einfluss verloren und der Nationalsozialismus sei gewachsen. Achtzig Prozent aller Kriege würden wegen der Religion entstehen. Wissen und Glauben würden sich aber nicht ausschließen. Dies müsse jeder für sich beurteilen können. Er selbst glaube nicht mehr an Gott. Außerdem sei die Evolutionstheorie wissenschaftlich nicht haltbar. Menschen hätten die Religionen geschaffen. Würden viel mehr Leute Bildung haben, dann hätten Religionen einen viel geringeren Einfluss. Er vertraue auf seine Vernunft und benötige daher keine Religionen mehr. Schlechtes Verhalten würde auch auf der Natur des Menschen basieren und habe nichts mit der Religion zu tun. Das Gute und das Böse sei im Menschen von Natur aus drinnen und nichts mit der Religion zu tun. Er beschäftige sich viel mit der Philosophie und den Grundfragen des menschlichen Seins.

Bei seiner Hochzeit hätten nur sein Bruder und seine Mutter von der Konversion gewusst, seine Frau ebenfalls. Er wolle seinen Atheismus nicht verheimlichen, weil er das Recht auf freie Meinungsäußerung habe. Eine Unterschriftenliste aus einer christlichen Gemeinde lege er deswegen vor, weil er dort viele Freunde habe. Er gehe dort auch manchmal zum Gottesdienst um Leute zu treffen. Alle würden wissen, dass er Atheist sei. Als er nach Österreich gekommen sei, habe er noch an die Dreifaltigkeit geglaubt. Nach und nach habe er sich vom Christentum in einem stetigen Prozess entfernt.

Auf seinen übersetzten Facebookbeitrag angesprochen, vermeinte der BF, dass sich der Islam als einzige Religion nicht von der Politik gelöst hätte. Im Islam wären die Anhänger radikal und würde das Kalifat gründen wollen. Er teile seine Ansichten nicht nur über Facebook mit, sondern spreche auch mit seinen Freunden darüber. Er sehe seine Meinung als gefestigt an. Er sei eine offene und respektsvolle Person, aber wenn er an die Gewalt und das Leid in Afghanistan denke, dann mache ihn das wütend. Die Rechtsvertretung hielt fest, dass laut EASO-Bericht von 2020 nicht verlangt werden könne, dass der BF seine atheistische Grundhaltung verleugnen müsse. Sie verwies auch darauf, dass der BF sehr emotional sei.

Der BF führte auch aus, dass ihm ein anderer Afghane dazu geraten habe, dass er seine christliche oder atheistische Grundhaltung verleugnen solle. Einmal habe er einen afghanischen Mitbewohner gefragt, ob er ihn aufwecken könne, weil er zeitig Sport machen hätte wollen. Diese Person habe ihn dann vor den anderen bloßgestellt, weil sie gemeint hätte, dass der BF am Sonntag sein Gebet verrichten könne. In weiterer Folge habe man ihn immer unter Druck gesetzt und ich auch Nachrichten zugeschickt. Aufgrund dessen habe er zur Polizei gehen wollen, es jedoch bis heute noch nicht getan. Die Rechtsvertretung vermeinte, dass der BF damit ausdrücken wolle, dass er seine Geisteshaltung unter den Exilafghanen nicht verleugnen könne und diese Haltung auch in Afghanistan bekannt geworden sei.

Danach wurde ein Zeuge einvernommen, der den BF schon über fünfeinhalb Jahren kenne. Er habe ihn bei der Essenverteilung kennengelernt und da er Schweinefleisch gegessen habe, sei er mit ihm ins Gespräch gekommen. Er habe ihm mitgeteilt, dass er nicht wisse, ob das Christentum der richtige Weg sei. Es sei ihm auch klargeworden, dass der BF von den anderen wegen seiner Einstellung schlecht behandelt werde. Der BF sei aber ein offener Mensch und so hätte er auch mit ihm dann zusammen eine Wohnung genommen. Mit ihm könne er über religiöse Dinge gut reden. Aber andere Mitbewohner hätte ihn ebenfalls schlecht behandelt. Ihn habe er sehr stark beeinflusst, weil er die Dinge nun aus wissenschaftlicher Sicht betrachte.

Der Rechtsvertretung wurden die aktuelle Länderinformationen ausgehändigt und diesbezüglich eine Frist zur Stellungnahme von 14 Tagen eingeräumt. Danach wurde die mündliche Verhandlung geschlossen. Gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG entfiel die Verkündung der Entscheidung.

17. In einer am 25.06.2021 seitens der Rechtsvertretung des BF ergangenen Stellungnahme wurde ausgeführt, dass bei der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan berücksichtigt werden müsse, dass sich die Taliban durch den bereits begonnenen Rückzug der internationalen erstarken werden und sich einher die Lage in Afghanistan merkbar verschlechtern werde.

18. Der BF legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        Kopien von drei Ausgaben einer afghanischen Wochenzeitschrift

?        Taufzertifikat einer afghanischen Hauskirche

?        Kopie zweier afghanischer Studentenausweise und eines afghanischen Mitgliedsausweises

?        Afghanisches Maturazeugnis

?        Afghanische Urkunden betreffend Verwandte des BF

?        Lichtbilder aus Afghanistan

?        Teilnahmebestätigungen an Deutschkursen

?        ÖSD Zertifikat „Deutsch Österreich B1“ und „ÖSD Zertifikat B2“

?        Beitrittserklärung zum Verein XXXX

?        Anmeldung zu einem Vorstudienlehrgang und Studienblatt der Universität XXXX

?        Kursbesuchsbestätigung der Universität XXXX

?        Zahlreiche Referenz- und Empfehlungsschreiben

?        Bestätigungen über die Durchführung gemeinnütziger Tätigkeiten

?        Teilnahmebestätigung an einem Erste-Hilfe-Kurs

?        Bilder, die den BF bei Aktivitäten in Österreich zeigen

?        Teilnahmebestätigungen an zahlreichen Integrationskursen

?        Konvolut an Facebook-Nachrichten

?        Unterstützungserklärung und Unterschriftenliste einer Pfarrgemeinde

?        Einstellungszusage

?        Befundbericht über therapeutische Behandlung

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

1.1.    Zum sozialen Hintergrund des BF:

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und wurde als Moslem schiitischer Glaubensrichtung geboren. Nach eigenen Angaben ist der BF konfessionslos. Die Muttersprache des BF ist Dari. Er ist im erwerbsfähigen Alter und ist, abgesehen von einer therapeutischen Behandlung wegen Angst- und Schlafstörungen, gesund.

Der BF wurde nach seinen Angaben in Afghanistan Distrikt XXXX in der Provinz Ghazni geboren und wuchs in seinem Heimatdorf auf, wo er zwölf Jahre in die Schule ging. Danach studierte in Kabul, wo er ein Studium als Bachelor abschloss und Berufserfahrung als Verkäufer gesammelt hat. In seinem Heimatland sind noch zahlreiche Verwandte, unter ihnen seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester, aufhältig. Zu diesen hat der BF noch regelmäßigen Kontakt. Die Ehe zu seiner Frau wurde mittlerweile einseitig von der Ehefrau aufgelöst und hat keinen Bestand mehr. In Österreich hat der BF keine Angehörigen. Der BF ist geschieden und hat keine Kinder.

Der BF ist daher in seinem Herkunftsstaat auch nicht vorbestraft und hatte keine nennenswerten Probleme mit Behörden und war dort politisch nicht aktiv. Der BF ist in Österreich unbescholten.

Der BF ist nach seiner Ausreise aus Afghanistan, über den Iran und die Türkei, in Griechenland auf das Gebiet der EU eingereist. Am 11.11.2015 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

Der BF ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des BF:

Der BF stellte am 11.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Seinen Antrag auf internationalen Schutz begründet der BF im Wesentlichen damit, dass er sein Heimatland verlassen habe, weil er vor fünf Jahren zum Christentum konvertiert sei. Er habe aus Angst vor einer Hinrichtung den Religionswechsel geheim gehalten. Er habe in den letzten zwei Jahren in Kabul ein Geschäft betrieben, in dem auch alkoholische Getränke verkauft worden wären. Dies hätten die Behörden in Erfahrung gebracht und den BF bereits zu Hause heimgesucht. Dies habe er telefonisch von seinem Zimmerkollegen erfahren. Er habe danach gleich das Geld aus dem Geschäft geholt und sei geflohen. Im Laufe des Verfahrens änderte der BF sein Vorbringen dahingehend, dass er nicht mehr an das Christentum glaube, sondern er nun Atheist wäre.

Der BF wurde weder von Privatpersonen noch von den Taliban noch einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung entführt, festgehalten oder von diesen oder dieser bedroht noch wird er von den staatlichen Behörden gesucht. Der BF wurde seitens Privatpersonen, der Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung nicht aufgefordert mit diesen oder dieser zusammen zu arbeiten oder diese zu unterstützen. Der BF wurde von den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung weder angesprochen noch angeworben noch sonst in irgendeiner Weise bedroht. Er hatte in Afghanistan keinen Kontakt zu den Taliban oder einer sonstiger regierungsfeindlichen Gruppierung, er wird von diesen oder dieser auch nicht gesucht.

Es wird festgestellt, dass der BF durch seinen angegebenen Abfall vom Islam im Falle seiner Rückkehr einer landesweiten asylrechtlich relevanten Verfolgung ausgesetzt ist. Der BF hat den Glaubensabfall vom Islam nicht derart verinnerlicht, dass sich dieser in seiner inneren Einstellung derart manifestiert hätte, dass es dem BF unmöglich macht, mit seinen Ansichten im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan leben zu können.

Festgestellt wird, dass der BF in Afghanistan keiner landesweiten Verfolgung ausgesetzt ist.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan drohen dem BF individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch Privatpersonen oder durch Mitglieder der Taliban oder durch eine sonstige regierungsfeindliche Gruppierung oder durch staatliche Behörden.

Dem BF droht bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen seiner Zugehörigkeit zur Religionsgemeinschaft der Schiiten bzw. als Atheist oder zur Volksgruppe der Hazara oder der Zugehörigkeit zu einer sonstigen sozialen Gruppe konkret und individuell weder physische noch psychische Gewalt.

Es kann daher festgestellt werden, dass der BF keiner konkreten Verfolgung oder Bedrohung in Afghanistan ausgesetzt ist oder eine solche, im Falle seiner Rückkehr, zu befürchten hätte.

1.3.    Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:

Im Falle einer Verbringung des BF in seinen Herkunftsstaat droht diesem kein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (in der Folge EMRK), oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention.

Dem BF ist eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Ghazni, die als volatile Provinz eingestuft wird, aufgrund der dort herrschenden allgemeinen schlechten Sicherheitslage nicht zumutbar. Aufgrund der Sicherheitslage in Kabul, wo er sich vor seiner Ausreise aus Afghanistan aufgehalten hat und er über Ortskenntnis verfügt, die als eine nicht volatile Provinz eingestuft wird, ist eine Rückkehr dorthin möglich. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dem BF jedoch die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans, insbesondere der Stadt Herat und der Stadt Mazar-e Sharif, zumutbar. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan ist dem BF jedoch die Ansiedlung in einer der größeren Städten Afghanistans, insbesondere der Stadt Herat und der Stadt Mazar-e Sharif, zumutbar. Bei einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Kabul, in der Stadt Herat oder der Stadt Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selber erhalten.

Es ist dem BF möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in den Städten Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr des BF nach Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat ausschließen, konnten nicht festgestellt werden. Der BF leidet an keiner ernsthaften Krankheit, welche ein Rückkehrhindernis darstellen würde; er ist gesund. Es bestehen keine Zweifel an der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit des BF. Der BF ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Selbst wenn die in Afghanistan lebende Familie den BF im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht vorübergehend finanziell unterstützen kann, hat der BF jedenfalls die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form einer Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen. Der BF wurde in der Beschwerdeverhandlung über die Rückkehrunterstützungen und Reintegrationsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

Der BF verfügt über ein überdurchschnittliches Maß an Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit.

Der BF ist mit den kulturellen Gepflogenheiten und einer Sprache seines Herkunftsstaates als Muttersprache vertraut, weil er in einem afghanisch geprägten Umfeld aufgewachsen und er in Afghanistan zwölf Jahre in die Schule gegangen ist und dort ein Bachelor-Studium abgeschlossen hat sowie er in seinem Heimatland auch Berufserfahrung als Verkäufer gesammelt hat.

1.4.    Zum Leben in Österreich:

Der BF reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich zumindest seit 11.11.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist nach seinem Antrag auf internationalen Schutz vom 11.11.2015 in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der BF hat keine weiteren Familienangehörigen in Österreich. Beim BF finden sich keine besonderen Merkmale der Abhängigkeit zu sonstigen in Österreich lebenden Personen.

Der BF pflegt in Österreich freundschaftliche Beziehungen zu Österreichern und anderen Asylwerbern. Darüber hinaus konnten keine weiteren substanziellen Anknüpfungspunkte im Bereich des Privatlebens festgestellt werden. Der BF ist kein Mitglied von politischen Parteien und ist auch sonst nicht politisch aktiv. Neben den erwähnten Freundschaften ist er auch Mitglied in einem Verein. Schließlich wird das soziale Verhalten des BF in der Gesellschaft durch ein Referenzschreiben belegt, wo der BF als hilfsbereit, freundlich und fleißig wahrgenommen wird. Jedoch gilt es auch hier anzumerken, dass dieses Schreiben ausschließlich aus dem sozialen Umfeld des BF stammt, das ein besonderes Interesse am Verbleib des BF im Bundesgebiet hat und von einer Organisation, zu deren maßgeblichen Tätigkeitsfeld auch die Unterstützung von Asylwerbern zählt.

Er besuchte auch zahlreiche Deutschkurse und konnte seine Sprachkenntnisse auch durch Teilnahmebestätigungen und Prüfungszertifikate sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG darlegen. Er ist in der Lage, bei klarer Standardsprache über vertraute Dinge aus Arbeit, Schule, Freizeit usw. auf Deutsch zu reden. Darüber hinaus kann er über Erfahrungen und Ereignisse berichten, Träume, Hoffnungen und Ziele beschreiben und zu Plänen und Ansichten kurze Begründungen oder Erklärungen geben.

Der BF lebt von der Grundversorgung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig und verfügt über eine Einstellungszusage. Er hat sich bei gemeinnützigen bzw. ehrenamtlichen Tätigkeiten engagiert. Eine wirtschaftliche Integration ist dem BF nicht gelungen.

Im Strafregister der Republik Österreich scheint keine strafrechtliche Verurteilung des BF auf. Er ist unbescholten.

1.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Aufgrund der im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht in das Verfahren eingeführten aktuellen Erkenntnisquellen werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des BF getroffen:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 in den Aktualisierungen vom 02.04.2021 und 16.06.2021 (bereinigt um grammatikalische und orthographische Fehler):

Länderspezifische Anmerkungen

Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.

Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.

Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.

Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.

COVID-19

Letzte Änderung: 10.06.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Häl

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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