TE Vfgh Erkenntnis 1995/3/2 V276/94

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Veröffentlicht am 02.03.1995
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art18 Abs2
Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden vom 22.10.85 §10 Abs1
Nö BauO §89 Abs3

Leitsatz

Gesetzwidrigkeit des ausnahmslosen Verbotes der Errichtung undurchsichtiger Zäune als Einfriedungen von Vorgärten in den Bebauungsvorschriften einer Gemeinde wegen Widerspruchs zur Nö BauO

Spruch

In §10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden (Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Gaaden vom 22. Oktober 1985, mit der der Bebauungsplan für das gesamte Gemeindegebiet von Gaaden erlassen wird, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel des Gemeindeamtes der Gemeinde Gaaden) wird das Wort "ausnahmslos" als gesetzwidrig aufgehoben.

Die Niederösterreichische Landesregierung ist verpflichtet, die Aufhebung unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Beim Verfassungsgerichtshof ist zu B2108/93 eine Beschwerde gegen einen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung anhängig, der folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Gaaden, politischer Bezirk Mödling, wurde das Ansuchen des Beschwerdeführers um nachträgliche Erteilung der baubehördlichen Bewilligung zur Abänderung der straßenseitigen Einfriedung des zu seinem Grundstück Nr. 120/1 in EZ 445, KG Gaaden, gehörigen Vorgartens durch undurchsichtige Ausgestaltung des Eingangstores abgewiesen und der Auftrag zur Wiederherstellung des konsensgemäßen Zustandes innerhalb einer gleichzeitig festgesetzten Frist erteilt.

Der Gemeinderat der Gemeinde Gaaden wies die vom Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid eingebrachte Berufung, die Niederösterreichische Landesregierung die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Gemeinderates erhobene Vorstellung als unbegründet ab.

II. Aus Anlaß der gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung gerichteten, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof von Amts wegen gemäß Art139 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des Wortes "ausnahmslos" in §10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden ein. Hiefür waren folgende Bedenken maßgebend:

"a) Nach §3 Abs1 der NÖ Bauordnung 1976, LGBl. 8200, in der hier maßgeblichen Fassung, hat der Bebauungsplan die Regeln für die bauliche Gestaltung der Umwelt festzulegen. Er besteht aus dem Wortlaut der Verordnung (Bebauungsvorschriften) und den dazugehörigen Plan- und allenfalls anderen Darstellungen (§3 Abs4 der NÖ Bauordnung 1976). Im Bebauungsplan sind unter den in §4 Abs2 der NÖ Bauordnung 1976 umschriebenen Voraussetzungen für das Bauland unter anderem 'die Verpflichtung, die Gestaltung oder das Verbot der Einfriedung von Grundstücken gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks und Grüngürtel' festzulegen (§4 Abs2 Z11 der NÖ Bauordnung 1976).

Nähere Vorschriften über Einfriedungen enthält §89 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976. Er lautet:

'(3) Einfriedungen gegen öffentliche Verkehrsflächen Parks oder Grüngürtel sind so auszuführen, daß das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird. Vorgärten dürfen weder gegen die Verkehrsfläche noch an den Nachbargrundstücksgrenzen durch Mauern oder undurchsichtige Zäune eingefriedet werden. Der massive Sockel einer Einfriedung darf eine Höhe von 60 cm über dem Gehsteig nicht überschreiten. Von den Bestimmungen des 2. und 3. Satzes können Ausnahmen gemacht werden, wenn dadurch das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird.'

Die Einfriedungen betreffenden Bestimmungen der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden, es sind dies die Abs1 bis 3 des §10, haben folgenden Wortlaut (das in Prüfung gezogene Wort ist hervorgehoben):

'§10 Einfriedungen und sonstige bauliche Außenanlagen

(1) Einfriedungen von Vorgärten, die ausnahmslos durchsichtig auszuführen sind, haben so zu erfolgen, daß hinsichtlich der Gesamthöhe, der Art und des Materials auf bereits bestehende, benachbarte Zäune Bedacht genommen wird, soweit diese harmonisch gestaltet worden sind. Die Gesamthöhe von Einfriedungen darf jedoch höchstens 1.50 m ab Gehsteig-Oberkante bei einer maximalen Sockelhöhe von 0,50 m betragen. Entlang von Verkehrsflächen unterschiedlicher Höhenlage sind Abtreppungen der Sockel zu vermeiden.

(2) Zur Herstellung von Einfriedungen dürfen weder gegossene Formsteine noch Stacheldraht Verwendung finden.

(3) Die Durchsichtigkeit der Einfriedungen von Vorgärten gegen die Verkehrsfläche und an den seitlichen Grundgrenzen auf die Tiefe des Vorgartens gilt dann als ausreichend, wenn bei einem Sichtwinkel von 45Z ein ungehinderter Durchblick gegeben ist.'

b) Der Verfassungsgerichtshof geht im Rahmen der hier vorzunehmenden vorläufigen Beurteilung davon aus, daß die Bebauungsvorschriften - als wesentlicher Bestandteil des Bebauungsplanes (§3 Abs4 der NÖ Bauordnung 1976) der Gemeinde Gaaden - den Charakter einer Rechtsverordnung haben (s. etwa VfSlg. 7139/1973, S. 107; vgl. zur Verordnungsqualität von Bebauungsplänen zB auch VfSlg. 8119/1977, 11059/1986).

Es scheint nun, daß §89 Abs3 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1976 zwar unter anderem das Verbot enthält, Vorgärten gegen die Verkehrsfläche durch undurchsichtige Zäune einzufrieden, daß aber gemäß dem vierten Satz des §89 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976 (auch) von diesem Verbot 'Ausnahmen gemacht werden' können, 'wenn dadurch das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird'. Die gesetzliche Regelung dürfte es somit ermöglichen, die baupolizeiliche Bewilligung zur Errichtung eines undurchsichtigen Zaunes als Einfriedung eines Vorgartens gegen die Verkehrsfläche unter der Voraussetzung zu erteilen, daß unter den konkreten Umständen des betreffenden Falles dadurch keine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes bewirkt wird.

Dem gegenüber scheint §10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden seinem Wortlaut nach mit der Anordnung, daß 'Einfriedungen von Vorgärten .... ausnahmslos durchsichtig auszuführen sind', die Errichtung undurchsichtiger Zäune als Einfriedungen von Vorgärten gegen Verkehrsflächen in allen Fällen und somit auch dann auszuschließen, wenn im Einzelfall dadurch das Orts- oder Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird. Der Verfassungsgerichtshof vermag vorläufig nicht zu erkennen, daß diese Verordnungsbestimmung eine andere Deutung zuläßt als die, daß damit die Anwendbarkeit des §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976 ausgeschlossen werden soll. Die ausnahmsweise Errichtung von undurchsichtigen Zäunen scheint also in bestimmt gearteten Fällen durch das Gesetz zugelassen, nach der Verordnung aber unzulässig zu sein.

Es scheint ferner, daß weder §4 Abs2 Z11 der NÖ Bauordnung 1976, der den Verordnungsgeber (jedenfalls auch) ermächtigt, die Gestaltung der Einfriedung von Grundstücken gegen öffentliche Verkehrsflächen festzulegen, noch eine andere Vorschrift des Gesetzes dem Verordnungsgeber die Befugnis einräumt, hiebei von §89 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976 abweichende Vorschriften zu erlassen.

Dem Verfassungsgerichtshof scheint vorerst auch nichts dafür zu sprechen, daß bei den in der Gemeinde Gaaden gegebenen Verhältnissen die Einfriedung von Vorgärten gegen die Verkehrsflächen durch undurchsichtige Zäune ausnahmslos in allen Fällen das Orts- oder Landschaftsbild beeinträchtigt, sodaß vom Verbot der Errichtung undurchsichtiger Zäune keinesfalls iS des §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1986 'Ausnahmen gemacht werden' können.

Somit dürfte §10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden wegen Widerspruches zu §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976 mit Gesetzwidrigkeit belastet sein.

c) Zur Beseitigung der Gesetzwidrigkeit dürfte die Aufhebung (bloß) des Wortes 'ausnahmslos' genügen. Nach Entfernung dieses Wortes dürfte sich nämlich der erste Satz des §10 Abs1 der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden auf die - rechtlich unbedenkliche - teilweise Wiederholung der Anordnung des §89 Abs3 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1976 beschränken, der uneingeschränkten Anwendbarkeit des §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976 aber nicht (mehr) entgegenstehen."

III. 1. Die Niederösterreichische

Landesregierung erstattete im Verordnungsprüfungsverfahren eine Äußerung, in der sie im wesentlichen folgendes anführt:

"2. Der Verfassungsgerichtshof führt in seinem Unterbrechungsbeschluß vom 10. Oktober 1994, B2108/93-11, zu §89 Abs3 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 aus: 'Die gesetzliche Regelung dürfte es somit ermöglichen, die baupolizeiliche Bewilligung zur Errichtung eines undurchsichtigen Zaunes als Einfriedung eines Vorgartens gegen die Verkehrsfläche unter der Voraussetzung zu erteilen, daß unter den konkreten Umständen des betreffenden Falles dadurch keine Beeinträchtigung des Orts- oder Landschaftsbildes bewirkt wird.'

Dieser Auslegung folgend hat der Gemeinderat der Gemeinde Gaaden seinen Spielraum als Verordnungsgeber im Sinn des Art18 Abs2 und Art119a Abs6 B-VG eindeutig überschritten und das Wort 'ausnahmslos' mit dem Mangel der Gesetzwidrigkeit belastet.

3. Der Verfassungsgerichtshof legt §89 Abs3 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 dahingehend aus, daß 'Ausnahmen' nur durch baupolizeiliche Bewilligung gemacht werden können, was eine generelle Regelung der 'Ausnahmen' im Rahmen der Bebauungsplanung unmöglich macht.

Dagegen kann durchaus die Rechtsmeinung vertreten werden, daß §89 Abs3 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 durchaus auch die generelle Regelung der 'Ausnahmen' im Rahmen des §4 Abs2 Z. 11 NÖ Bauordnung 1976 zuläßt:

In seinem Erkenntnis vom 2. Oktober 1973, VfSlg. 7139, zu §88 der NÖ Bauordnung, LGBl. 166/1969 (nunmehr wortgleich §89 Abs2 NÖ Bauordnung 1976) hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt:

'Der Verfassungsgerichtshof hält es mit dieser Gesetzesbestimmung durchaus vereinbar, daß Werbeeinrichtungen, die ihrer Art nach das Orts- und Straßenbild zu beeinträchtigen geeignet sind, generell untersagt werden ... . In der Gesetzesbestimmung des §88 der nö. Bau0 liegt die Norm, Werbeanlagen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen sowohl individuell als auch generell zu untersagen.'

In diesem Fall hat es der Gerichtshof also für zulässig erachtet, das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes generell zu beurteilen und generell im Rahmen der Bebauungsplanung die Aufstellung von Werbeanlagen zu untersagen.

Auch in jenem Fall wird bei einer generellen Regelung im Bebauungsplan der Baubehörde die Möglichkeit genommen, die 'Beeinträchtigung des Orts- und Landschaftsbildes im Einzelfall' zu beurteilen.

Folgt man diesem Erkenntnis, so dürfte die Möglichkeit der Untersagung und die Möglichkeit der Ausnahme nicht unterschiedlich behandelt werden, zumal §89 Abs2 und §89 Abs3 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 in einem direkten systematischen Zusammenhang stehen.

Daher müßte man auch bei §89 Abs3 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 zur Auffassung gelangen, daß dieser ebenfalls die Möglichkeit bietet, Ausnahmen generell zu regeln.

In beiden Fällen kann zunächst der Verordnungsgeber im Rahmen der Bebauungsplanung aufgrund der gesetzlichen Voraussetzungen eine generelle Regelung schaffen und somit die Baubehörde im Einzelfall einschränken (was auch dem Stufenbau der Rechtsordnung entsprechen würde). In beiden Fällen besteht ein Handlungsspielraum der Baubehörde, die Aufstellung von Werbeanlagen zu untersagen bzw. die Errichtung von undurchsichtigen Zäunen zu bewilligen, nur dort, wo der Verordnungsgeber keine Regelung getroffen hat.

4. Läßt man mit dieser Auslegung des §89 Abs3 letzter Satz NÖ Bauordnung 1976 die Möglichkeit einer generellen Regelung der 'Ausnahmen' von den gesetzlichen Bestimmungen des zweiten und dritten Satzes zu, so kann diese generelle Regelung auch in einem generellen Verbot von Ausnahmen bestehen, wenn durch Ausnahmen das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt wird."

2. Der Gemeinderat der Gemeinde Gaaden erstattete im Verordnungsprüfungsverfahren auf Grund eines einstimmigen Beschlusses ebenfalls eine Äußerung, in der er sich den im Beschluß über die Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens dargelegten Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Vorschrift anschloß und mitteilte, daß im Zuge der in Vorbereitung stehenden Änderung des Bebauungsplanes auch diese Vorschrift entsprechend geändert werden solle.

IV. 1. Das eingeleitete Verordnungsprüfungsverfahren erweist sich, da ihm Prozeßhindernisse nicht entgegenstehen, als zulässig.

2. Der Verfassungsgerichtshof bleibt auf dem im Beschluß über die Einleitung des Verordnungsprüfungsverfahrens eingenommenen Standpunkt.

Die Bebauungsvorschriften sind ein wesentlicher Bestandteil des Bebauungsplanes und damit eine (Rechts-)Verordnung (§3 Abs4 der NÖ Bauordnung 1976). Die Beschlußfassung des Bebauungsplanes obliegt dem Gemeinderat (§7 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976). Im Bebauungsplan ist, wenn dies zur Erreichung der im §3 Abs1 und 2 der NÖ Bauordnung 1976 genannten Ziele - zu diesen gehört auch die Pflege des Orts- und Landschaftsbildes - erforderlich ist, für das Bauland ua. die Gestaltung der Einfriedung von Grundstücken gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks oder Grüngürtel festzulegen (§4 Abs2 Z11 der NÖ Bauordnung 1976).

Gemäß §89 Abs3 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1976 dürfen Vorgärten weder gegen die Verkehrsfläche noch an den Nachbargrundstücksgrenzen durch Mauern oder undurchsichtige Zäune eingefriedet werden. Von dieser Bestimmung können Ausnahmen gemacht werden, wenn dadurch das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird (§89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976).

Die Herstellung von Einfriedungen gegen öffentliche Verkehrsflächen, Parks oder Grüngürtel bedarf gemäß §92 Abs1 Z3 der NÖ Bauordnung 1976 einer Bewilligung der Baubehörde. Ein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist unter anderem dann ohne Bauverhandlung abzuweisen, wenn er dem Bebauungsplan widerspricht (§98 Abs2 erster Satz der NÖ Bauordnung 1976).

§89 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976 normiert somit unmittelbar das Verbot, Vorgärten gegen die Verkehrsfläche oder an den Nachbargrundstücksgrenzen durch Mauern oder durch undurchsichtige Zäune einzufrieden (zweiter Satz), läßt aber von diesem Verbot Ausnahmen zu, wenn dadurch das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird (vierter Satz). Nach §89 Abs3 ist demnach die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines undurchsichtigen Zaunes als Einfriedung eines Vorgartens gegen die Verkehrsfläche unter der Voraussetzung rechtlich zulässig, daß im konkreten Fall durch die Verwirklichung des Vorhabens das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird.

Mit der durch §89 Abs3 der NÖ Bauordnung 1976 geschaffenen Rechtslage steht die Vorschrift des §10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden in Widerspruch, weil sie mit der Anordnung, Einfriedungen von Vorgärten ausnahmslos durchsichtig auszuführen, die Errichtung von undurchsichtigen Zäunen als Einfriedung von Vorgärten gegen Verkehrsflächen in jedem Fall, also auch dann verbietet, wenn durch die Errichtung einer undurchsichtigen Einfriedung das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird.

Die Niederösterreichische Landesregierung vertritt die Auffassung, daß von dem in §89 Abs3 zweiter Satz der NÖ Bauordnung 1976 festgelegten Verbot auf Grund der Vorschrift des §89 Abs3 vierter Satz NÖ Bauordnung 1976 unter der Voraussetzung, daß das Orts- oder Landschaftsbild nicht beeinträchtigt wird, Ausnahmen nicht nur im Einzelfall mit Bescheid bewilligt, sondern auch generell mit Verordnung festgelegt werden dürfen. Sie verweist in diesem Zusammenhang darauf, daß nach der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 7139/1973 vertretenen Rechtsansicht in der Vorschrift des §89 Abs2 der NÖ Bauordnung 1976 - wonach Werbeanlagen das Orts- und Landschaftsbild nicht beeinträchtigen dürfen - die Norm liegt, Werbeanlagen bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen sowohl individuell (also durch Bescheid) als auch generell (also durch Verordnung) zu untersagen, und daß demnach eine Verordnung, mit der Werbeeinrichtungen, die ihrer Art nach das Orts- und Landschaftsbild zu beeinträchtigen geeignet sind, generell untersagt werden, mit dieser Gesetzesbestimmung durchaus vereinbar ist.

Die Aussagen dieses Erkenntnisses zu §89 Abs2 der NÖ Bauordnung 1976 können jedoch nicht - ohne weiteres - auf die durch §89 Abs3 dieses Gesetzes geschaffene Rechtslage übertragen werden. Während nämlich das Verbot des §89 Abs2 alle Arten von Werbeanlagen und damit Gegenstände erfaßt, die sich durchaus verschieden auf das Orts- und Landschaftsbild auswirken können, bezieht sich das Verbot des §89 Abs3 zweiter Satz nur auf (Mauern und) undurchsichtige Zäune. Ist es somit durchaus möglich, daß bestimmte Arten von Werbeanlagen das Orts- und Landschaftsbild in jedem Fall - also wo immer sie errichtet werden - beeinträchtigen, so trifft dies bei undurchsichtigen Zäunen als Einfriedungen von Vorgärten nicht zu. Jedenfalls läßt das Gesetz (im vierten Satz des §89 Abs3) Ausnahmen von dem (im zweiten Satz dieser Vorschrift) statuierten Verbot der Errichtung solcher Zäune zu. Die Erlassung des (keine Ausnahme zulassenden) Verbotes der Errichtung undurchsichtiger Zäune als Einfriedungen von Vorgärten gegen Verkehrsflächen in den Bebauungsvorschriften (also durch Verordnung) - etwa für bestimmte Straßenstrecken, Straßen oder Ortsteile - ist demnach nur zulässig, wenn in den betreffenden Bereichen die Errichtung solcher Zäune das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt. Nur unter dieser Voraussetzung könnte (wohl nur in besonderen Ausnahmefällen) ein generelles Verbot der Errichtung solcher Zäune im gesamten Gebiet einer Gemeinde in Betracht kommen. Daß dies in der Gemeinde Gaaden der Fall wäre, wurde im Verordnungsprüfungsverfahren von keiner Seite vorgebracht und ist auch sonst nicht hervorgekommen.

§10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften der Gemeinde Gaaden erweist sich demnach insoweit, als er die Errichtung undurchsichtiger Zäune als Einfriedungen von Vorgärten ausnahmslos und demnach nicht nur unter der Voraussetzung verbietet, daß dadurch das Orts- und Landschaftsbild beeinträchtigt wird, wegen Widerspruches zu §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976 als gesetzwidrig.

Zur Beseitigung dieser Gesetzwidrigkeit genügt die Aufhebung bloß des Wortes "ausnahmslos". Damit ist der Widerspruch zu §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976 beseitigt; der verbleibende Wortlaut des §10 Abs1 erster Satz der Bebauungsvorschriften ("Einfriedungen von Vorgärten, die durchsichtig auszuführen sind, ...") steht der uneingeschränkten Anwendbarkeit des §89 Abs3 vierter Satz der NÖ Bauordnung 1976 nicht mehr entgegen.

4. Die Verpflichtung der Niederösterreichischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung beruht auf Art139 Abs5 B-VG.

5. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung getroffen.

Schlagworte

Baurecht, Bebauungsplan, Einfriedungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:V276.1994

Dokumentnummer

JFT_10049698_94V00276_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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