TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/13 W196 2210131-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2021
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Entscheidungsdatum

13.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs1 Z5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch


W196 2210128-1/15E

W196 2210131-1/15E

W196 2210129-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SAHLING als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX und 3) XXXX , geb. XXXX , alle Staatsangehörigkeit Moldawien, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1) vom 05.10.2018, ZI. XXXX , 2) vom 08.10.2018, ZI. XXXX und 3) vom 09.10.2018, ZI. XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 08.11.2018 und nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.07.2021, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der volljährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Moldawien und sie bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben.

1. Die Erst- bis Drittbeschwerdeführer reisten gemeinsam mit einer weiteren Tochter bzw. Schwester in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten allesamt am 26.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am selben Tag erfolgte die Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei gab die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen befragt an, wegen der Arbeit nach Moskau gezogen zu sein und dort ihren späteren Ehemann kennengelernt zu haben. Um ihn zu heiraten, sei sie zum Islam konvertiert. Dass seine Familie zu den Wahhabiten gehöre, habe er ihr damals jedoch verschwiegen. Im Jahr 2015 sei der gemeinsame Sohn zur Welt gekommen. Sie sei sodann mit dem Sohn und den beiden Töchtern zur Familie des Ehemannes nach Dagestan gezogen. Seine Familie sei streng religiös und habe auch von den Töchtern verlangt, ihren Glauben zu wechseln. Alle hätten sie und ihre Töchter schlecht behandelt. Sie seien geschlagen worden, die Töchter hätten nach Syrien geschickt werden sollen und man habe ihr damit gedroht, ihren Sohn wegzunehmen. Die Brüder ihres Mannes hätten ihnen auch die Dokumente abgenommen, nur mit Hilfe der Polizei sei ihnen die Rückkehr nach Moldawien gelungen. Ihr Mann und seine Verwandtschaft hätten ihr und den Kindern aber auch in Moldawien noch via Telefon gedroht. Im Falle der Rückkehr in die Heimat befürchte sie daher, getötet zu werden. Russische Staatsangehörige bräuchten kein Visum, um nach Moldawien zu kommen; Ihr Ehemann/der Vater ihres Sohnes und dessen Familie könnten sie dort folglich holen.

Damit übereinstimmend brachte die Zweitbeschwerdeführerin vor, Angst vor der Familie des Mannes ihrer Mutter zu haben, da dessen Familie streng gläubig sei. Die älteren Brüder von ihrem Stiefvater hätten darauf bestanden, dass sie und ihre Schwester die Religion wechseln und den Hijab tragen müssen. Sie hätten zudem zwangsverheiratet werden sollen und wären gezwungen gewesen, ihren zukünftigen Männern nach Syrien zu folgen. Sie habe Angst vor ihrem Stiefvater, da dieser problemlos nach Moldawien einreisen könnte.

3. Am 03.09.2018 fand die niederschriftliche Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. Dabei führte die Erstbeschwerdeführerin zu den Beweggründen für das Verlassen ihres Herkunftslandes näher aus, dass sie zunächst mit dem Vater ihrer beiden Töchter verheiratet gewesen sei und mit diesem gemeinsam in Moldawien zusammengelebt habe. Wegen finanzieller Schwierigkeiten habe sie dann nach Moskau emigrieren müssen, um dort zu arbeiten; sie habe die Familie aber alle drei Monate besucht und auch Geld geschickt. Im Jahr 2008 habe sie sich scheiden lassen, da ihr Ex-Mann begonnen habe, Alkohol zu trinken und sich nicht mehr um die Töchter zu kümmern. Während ihres weiteren Aufenthaltes in Russland habe sie dann den Vater ihres Sohnes kennengelernt. Dieser sei Moslem und um ihn zu heiraten, habe sie seine Religion angenommen. Sie habe ihn in einer Moschee geheiratet. Im Jahr 2011 seien dann auch ihre beiden Töchter, welche sie davor in der Obhut einer Bekannten in Moldau zurückgelassen habe, zu ihr nach Moskau gekommen. Ihre jüngere Tochter sei dort in die Schule gegangen und die ältere habe gearbeitet. Der Vater ihres Sohnes habe damals eine eigene Frau gehabt und sei sie nur gelegentlich besuchen gekommen. Nach ca. einem Jahr, habe sie ihr Mann jedoch immer öfter besucht und er sei auch in Begleitung seiner Verwandtschaft gekommen. Diese habe sodann versucht, auch ihre Töchter dazu zu überreden, zum Islam zu konvertieren, obwohl ihnen zunächst zugesichert worden sei, dass sie dies nicht müssten. Im Jahr 2012 hätten die Erstbeschwerdeführerin und ihre Töchter vorübergehend nach Moldawien zurückkehren müssen, um dort diverse Unterlagen für den Schulbesuch der jüngeren Tochter zu besorgen. Danach hätten der Vater ihres Sohnes und dessen Verwandtschaft ihnen aber verboten, Russland erneut zu verlassen und es seien ihnen all ihre Dokumente weggenommen und versteckt worden. Im Jahr 2015 sei dann ihr Sohn auf die Welt gekommen. Mangels Dokumente, konnte und durfte die Erstbeschwerdeführerin aber bis 2017 keine Geburtsurkunde für ihren Sohn ausstellen lassen; deswegen trage er auch den Namen XXXX . Der Vater ihres Sohnes habe sie immer wieder geschlagen und auch seine Schwester habe sie angegriffen und verletzt. Eines Tages sei die gesamte Familie ihres Ehemannes bei einer Hochzeit eingeladen gewesen. Sie und ihre Töchter hätten dann während der Aufräumarbeiten ihre Dokumente gefunden. Sie hätten diese Gelegenheit genutzt und wären mit dem Bus nach Moskau geflohen, wo eine Bekannte, auf sie gewartet und sie zur Polizei begleitetet habe. Bei der Polizei hätten sie erklärt, dass sie keine Aufenthaltsgenehmigung für Russland hätten, da ihre Dokumente bis zu diesem Datum versteckt gewesen wären; sie hätten sich praktisch sechs Jahre illegal in Russland aufgehalten. Sie hätten deshalb zwar eine Strafe begleichen müssen, danach hätte man ihnen jedoch geholfen, zurück nach Moldawien zu gelangen. Schließlich hätten sie und ihre Kinder aber auch die Republik Moldau verlassen müssen, da sie Angst gehabt hätten, dass der Vater des Drittbeschwerdeführers ihnen dorthin nachfolge und ihnen etwas Schlimmes antue. Während ihres letztmaligen Aufenthaltes in der Republik Moldau sei sie vom Ex-Lebensgefährten und seiner Verwandtschaft über das Internet (Instagram) bedroht worden. Persönlich habe sie keinen Kontakt zum Vater des Sohnes oder dessen Familie gehabt. Er habe dort aber Bekannte, die wissen würden, wo sie und ihre Kinder gewohnt hätten und sie habe gehört, dass er kommen wolle, um sie zu suchen. An die Sicherheitsbehörden der Republik Moldau habe sie sich deshalb nicht gewandt, da sie lange Zeit nicht mehr dort gelebt habe und davon überzeugt gewesen sei, dass die Polizei ihr nicht geholfen hätte. Im Übrigen hätte es einen Vorfall gegeben, bei dem in der Wohnung ihrer Bekannten in XXXX , in der sie untergebracht gewesen seien, plötzlich Gas ausgetreten sei, derentwegen sie und ihre Kinder ins Spital hätten müssen. Sie habe diesbezüglich auch Anzeige erstatten wollen, doch sie sei von der Polizei bloß abgewimmelt worden. Es sei vermutet worden, dass der Unfall selbstverschuldet gewesen sei. Sie habe keine Angst vor den Behörden in der Republik Moldau, sie habe jedoch Angst davor, dass diese nicht dazu fähig wären, sie zu schützen. Die Familie ihres Mannes habe ferner viel Geld und könnte die Polizei bestechen. Sie fürchte sich davor, dass der Vater ihres Sohnes mit seiner Verwandtschaft in die Republik Moldau komme. Nachdem sie bereits wieder Christin sei, würde er sie töten, dass sei in seiner Religion so vorgeschrieben. Sie sei sich ferner sicher, dass er ihren Sohn entführen und ihre beiden Töchter nach Syrien zwangsverheiraten würde.

Die Zweitbeschwerdeführerin erklärte ebenfalls, Angst davor zu haben, dass der Ex-Mann ihrer Mutter/der Vater ihres Bruders visumsfrei nach Moldau einreisen könnte, um sie und ihren Bruder zu entführen. Er und seine Familie hätten ihnen immer gedroht, sie in Moldau zu finden.

4. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1) vom 05.10.2018, ZI. XXXX , 2) vom 08.10.2018, ZI XXXX und 3) vom 09.10.2018, XXXX , wurden die von den Beschwerdeführern gestellten Anträge auf internationalen Schutz vom 26.05.2018 jeweils gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Republik Moldawien (Spruchpunkt II.) abgewiesen, gemäß § 57 AsylG wurde ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Republik Moldawien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs 1a FPG wurde ihnen keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG wurde ihrer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (VII.).

Begründend wurde ausgeführt, dass sich das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer hauptsächlich auf Akteure die sich in der Teilrepublik Dagestan im Staatsgebiet der russischen Föderation aufhalten, beziehe und dass die Beschwerdeführer nicht darzulegen vermochten, inwiefern die vorgebrachte Verfolgungsgefahr auch bis in die Republik Moldawien reichen sollte. Selbst bei Wahrunterstellung einer aktuell bestehenden Verfolgungsgefahr sei die Behörde davon überzeugt, dass die Beschwerdeführer in der Republik Moldau Schutz vor der behaupteten Privatverfolgung des Ehemannes der Erstbeschwerdeführer und dessen Familie erhalten würde. Die Voraussetzungen für die Gewährung von subsidiären Schutz würden ferner nicht vorliegen, weil unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführer nicht davon auszugehen sei, dass sie im Falle einer Rückkehr in die Republik Moldau in eine derart dauerhaft aussichtslose Lage gedrängt werden würden, die Ihnen eine Rückkehr unzumutbar erscheinen ließe. Da es sich im vorliegenden Fall um ein Familienverfahren handle und alle Mitglieder der Kernfamilie im selben Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen betroffen seien, würde die aufenthaltsbeendende Maßnahme auch keinen Eingriff in das in Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Familienleben darstellen und es sei aufgrund des nur sehr kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet auch kein schützenswertes Privatleben erkennbar. Das Bundesamt sieht es überdies als erwiesen an, dass die vorgerbachte Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche, weshalb der Beschwerde die aufschiebende Wirkung abzuerkennen gewesen sei.

5. Am 02.11.2018 erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens und es wurden in dieser die erstinstanzlichen Bescheide wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufgrund Feststellungs- und Begründungsmängeln im vollen Umfang angefochten. Zusammengefasst wurde vorgebracht, dass es dem Bundesamt in keiner nachvollziehbaren Weise gelungen sei, die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführer zu widerlegen und dass den Schlussfolgerungen der Behörde jeglicher erkennbarer Begründungswert fehle. Das Vorbringen der Beschwerdeführer entspreche der Wahrheit, sei glaubwürdig, gründlich substantiiert, in sich konsistent und durch die Länderberichte belegt. Den Beschwerdeführern drohe in der Heimat Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und es wäre ihnen daher die Flüchtlingseigenschaft zuzusprechen gewesen. Allenfalls wäre aufgrund der realistischen Gefahr, dass die Beschwerdeführer bei einer Abschiebung in eine existenzbedrohende Notlage geraten, subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen, oder es hätte aufgrund ihrer Integration eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklärt werden müssen. Die Behörde habe es verabsäumt, sich mit der konkreten Situation der Beschwerdeführer und der aktuellen Situation in der Russischen Föderation (sic) auseinanderzusetzen und wegen des fehlerhaften Ermittlungsverfahrens sei auch eine rechtliche Auseinandersetzung mit ihrem Vorbringen nicht möglich gewesen.

6. Daraufhin erging von Seiten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 08.11.2018 eine Beschwerdevorentscheidung, mit der die Beschwerde gem. § 14 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen wurde.

7. Dagegen reichten die Beschwerdeführer am 22.11.2018 erneut Beschwerde ein und es wurde der Antrag gestellt, diese dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen; der Inhalt dieses Schriftsatzes entsprach im Wesentlichen jenem vom 02.08.2011.

8. Die Beschwerdevorlage langte am 26.11.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein und wurde der Gerichtsabteilung W196 zugewiesen.

9. Am 31.03.2021 ist die zweitgeborene Tochter der Erstbeschwerdeführerin bzw. die Schwester der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers freiwillig in ihren Herkunftsstaat Moldawien ausgereist. In der Folge wurde ihr Verfahren mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.04.2021, W196 2210126-1/15E, gemäß § 24 AsylG 2005 eingestellt.

10. Am 26.07.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers, ihrer Rechtsvertretung sowie eines Vertreters der belangten Behörde statt. Der Verhandlung wurde ein Dolmetscher für die russische Sprache beigezogen.

Die Verhandlung nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:

„Eröffnung der Verhandlung

R: Welche Sprachen sprechen Sie?

BF1: Russisch und Deutsch.

BF2: Und Rumänisch ist die Muttersprache.

R: Wie gut sprechen Sie Deutsch?

BF2: Ein bisschen.

R: Haben Sie Deutschprüfungen gemacht?

BF2: Meine Mutter hat A1 und ich habe keine Prüfung.

R: Der Grund warum Sie Moldawien verlassen haben mit Ihren Kindern, möchten Sie dazu etwas ergänzen, was nicht im Akt steht?

BF1: Nein.

R: Dann fasse ich kurz zusammen. Sie haben in zweiter Ehe mit einem Russen aus Dagestan Ihren Sohn bekommen und haben auch in Dagestan gelebt.

BF1: Ja, wir haben sowohl in Moskau und auch in Dagestan gelebt.

R: Der Grund warum Sie nach Österreich gekommen sind, Moldawien verlassen haben, war, weil Sie sich von diesem Mann getrennt haben, weil er Sie schlecht behandelt hat und Sie jetzt Angst um Ihren Sohn haben?

BF1: Ja.

R: Erklären Sie mir bitte genau, wieso Sie glauben, dass in Moldawien Ihr Sohn gefährdet ist?

BF1: Dort kann man die Grenze ohne Visum überqueren, und so kann er jeder Zeit dorthin kommen.

R: Wieso glauben Sie, dass er das machen möchte?

BF1: Ich habe keine Angst das er hierherkommt. Er ist vorbestraft und wir kein Visum nach Österreich bekommen.

R: Wo ist er Vorbestraft?

BF1: In Russland. Deswegen wird er kein Visum bekommen.

R: Was befürchten Sie was er dann macht?

BF1: Er will mir das Kind wegnehmen. Seine Familie sind Wahhabiten. Sie sind religiös. Sie wollen ihn auch in diesem Sinne erziehen. Man wollte uns alle nach Syrien schicken und dir Töchter dort verheiraten.

R: Da müsste er ihn ja entführen oder wie soll das gehen? Wer hat das Sorgerecht für den Sohn?

BF1: Der Vater. Die Dokumente des Kindes lauten auf den Vater. Er trägt auch seinen Familiennamen.

R: Sind Sie schon geschieden?

BF1: Wir haben nur nach dem muslimischen Ritus geheiratet.

BF2: Das war eine muslimische Ehe. Das war keine offizielle Hochzeit.

R: Da ist die Scheidung auch nicht offiziell oder wie ist das dann?

BF1: Nicht offiziell.

R: Aber Sie sind jetzt nicht mehr seine Ehefrau?

BF1: Nach dem muslimischen Ritus ja, aber ich halte mich nicht mehr für seine Frau.

R: Haben Sie Anzeichen dafür, dass eine Gefährdung für Ihren Sohn besteht?

BF1: Wir sind jetzt hier. Hier gibt es keine Anzeichen, aber in Moldawien wäre er in Gefahr. Wir hatten dort Bekannte, die er ständig angerufen hat. Wir haben in einer Wohnung gelebt. Man hat uns Gas zugedreht und wir haben sogar eine Gasvergiftung erlitten.

R: Wie heißt dieser Ort?

BF1: In der Stadt Kagul.

R: Diese Stadt hat ca. 40.000 Einwohner.

BF1: Ja.

R: Das ist eine Großstadt.

BF1. Man kann nicht sagen, dass es wirklich sehr groß ist.

R: Was haben die Bekannten mit dem Mann gesprochen?

BF1. Es ging darum, wo wir uns befinden. Sie kennen mich und auch ihn. Das haben wir erst später erfahren, dass die miteinander in Verbindung stehen.

R: Was haben die Bekannten gesagt, wo Sie sich befinden?

BF1: Dort wo wir leben, wir haben kein Elternhaus.

R: Was haben sie ihm gesagt?

BF1: Man hat gefragt, wie es mir geht und man wollte wissen, wo ich lebe. Sie sagten ihm dann wo ich bin.

R: Wo waren Sie damals?

BF1. In Kagul.

R: Da ist er aber nicht gekommen?

BF1: Ich weiß es nicht. Wir haben gehört, dass er gekommen ist, aber ich habe es nicht gesehen. Weil wir schnell weg sind. Wir sind 2 oder 3 Wochen später weg.

R: Wenn das so einfach ist, von Dagestan nach Kagul zu fahren um ihr Kind zu kidnappen, warum hat er das nicht gemacht?

BF1: Wir haben uns versteckt. Wir waren auch nicht mehr lange dort. Wir waren nur 3 Monate dort.

R: Wo haben Sie sich versteckt?

BF1: Bei Bekannten, aber nicht bei diesen die nach mir fragten, wo ich bin. Für mich waren es Bekannte bzw. Freunde, zumindest hielt ich sie für Freunde.

R: Sie persönlich, wovon fürchten Sie sich in Moldawien?

BF1: Ich möchte die Leute nicht beleidigen, aber die könnten mich umbringen.

R: Welche Leute?

BF1: Ich meine meinen Exmann und seine Familie. Er hat auch Neffen. Sie haben lange Bärte. Ich hatte sogar Nagst, mit solchen Leuten zu sprechen.

R: Wovor haben Sie persönlich Nagst?

BF2: Ich habe ebenfalls Angst, vor dem zweiten Mann meiner Mutter und vor seinen Verwandten. Sie wollten mich mit einem Neffen von ihm verheiraten. Man wollte mich gewaltsam dazu bringen, den Glauben von ihnen anzunehmen. Man hat uns auch gezwungen, die Kleidung die sie tragen zu tragen.

R: Was befürchten Sie, wenn Sie in Moldawien sind? Was glauben Sie, was passieren könnte?

BF2: Er könnte dorthin kommen. Er sagte, dass er uns umbringen wird.

R: Warum sollte er Sie umbringen?

FB2: Weil wir den Glauben von ihm nicht angenommen haben.

R: Wenn das ein vollkommen irrer ist, kann er auch ohne Visum nach Österreich kommen.

BF1: Wir wissen es nicht. Er ist Verurteilt.

RV: Keine Fragen.

BehV: Ihr Tochter ist freiwillig zurückgekehrt nach Moldawien. Die hat keine Angst vor der Familie Ihres Exmannes?

BF1: Sie hat Angst, dass wir abgeschoben werden. Sie hat Angst, dass wir nach Moldawien abgeschoben werden. Sie ist nach Moldawien gefahren und hat sich dort einen Freund gefunden. Sie sind nach Italien gefahren. Sie möchte ihren Aufenthalt dort legalisieren und möchte dort Arbeiten und eine Ausbildung machen. Sie möchte das so schnell wie möglich machen und auch erreichen. Sie steht unter großem Stress, weil man gesagt hat, dass die Polizei in der Nacht kommt und Leute abschiebt. Sie schlief Nächte lang nicht und befürchtete, dass wir bald abgeschoben werden. Sie besuchte die Schule und hat auch die Sprache gut erlernt.

R: Sie ist in Italien?

BF1: Ja.

BehV: Wie lange war Sie nach Ihrer freiwilligen Ausreise in Moldawien?

BF1: Die Grenzen waren geschlossen. Ich weiß es nicht, wie lange sie dort war. Nachdem die Grenzen geöffnet wurden, ist sie binnen einer Woche ausgereist. Zuerst musste sie sich testen lassen.

BehV: Sie hatte keine Angst gehabt in Moldawien?

BF1: Sie hatte keine Angst, weil alle Grenzen geschlossen waren. Sie hat sich im Internet erkundigt. Sie sagte, dass keine Reisebewegungen möglich waren.

R: In welchem Ort war Sie in Moldawien?

BF1: Bei Bekannten in Kagul. Sie war in einem Nachbarbezirk in der Stadt, dort haben wir bekannte.

R: Moldawien ist ein potentieller Staat der zwischen zwei EU-Staaten liegt. Es reicht nicht für Asyl und subsidiären Schutz aus. Sie haben auch noch die Möglichkeit auszureisen zu Ihrer Tochter. So wie es aussieht, hat das Bundesamt das richtig beurteilt. Sie müssen aber keinen Stress haben, dass die Polizei kommt und Sie morgen wegbringt. Das sicher nicht. Es ist auch kein schlechtes Land für Frauen. Wenn Sie wirklich Angst haben, können Sie auch in eine andere Stadt, dort ist es sicher sicherer als hier.

BF1: Ich möchte, dass meine Kinder in Freiheit leben können.

BehV: Keine weiteren Fragen.

RV legt ein Konvolut an Integrationsunterlagen vor. Diese werden als Beilage ./1 zum Akt genommen.

BF1: Ich und meine Familie sind sehr dankbar, dankbar dem Ministerium für die finanzielle Hilfe. Für den Schutz. Wir haben uns nicht als Migranten gefühlt, wenn wir Kontakt zu anderen Personen in Österreich hatten. Dort wo wir leben, stehen fast alle in Kontakt zu uns. Wir sind sehr, sehr dankbar. Auch in der Schule in der Tochter, sie war auf einem Level mit den anderen Schülern. In Russland wurden wir erniedrigt und hier nicht. Wenn wir früher in der Stadt herumgegangen sind, wurden wir erniedrigt, hier haben wir das nicht gespürt. Wir haben das sehr gespürt. Hier nicht. Hier geht es uns sehr gut und wir sind sehr dankbar.

Schluss der Verhandlung“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Einvernahme der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und des Bundesamtes, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid, der Beschwerdevorentscheidung und der dagegen erhobenen (erneuten) Beschwerde, der Befragung der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 26.07.2021 beim Bundesverwaltungsgericht, sowie der vorgelegten Unterlagen und der Einsichtnahme in die Länderinformationen (LIB der Staatendokumentation, letzte Kurzinformation eingefügt am 17.11.2020) werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zu den persönlichen Verhältnissen der Beschwerdeführer:

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der volljährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers. Alle sind Staatsangehörige der Republik Moldau. Der Drittbeschwerdeführer verfügt zudem über die Russische Staatsbürgerschaft. Die Beschwerdeführer sind Moldauer und bekennen sich zum christlich-orthodoxen Glauben. Ihre Muttersprache ist Moldauisch bzw. Rumänisch. Darüber hinaus sprechen sie Russisch und ein wenig Deutsch.

Die Erstbeschwerdeführerin ist in Moldau aufgewachsen und hat dort neun Jahre die Grundschule und zwei Jahre die Mittelschule besucht. Sie heiratete (erstmals) im Jahr 1992. Aus dieser Ehe gehen ihre zwei Töchter (darunter auch die Zweitbeschwerdeführerin) hervor. Im Jahr 2008 ließ sich die Erstbeschwerdeführerin scheiden und ab 2011 lebte sie gemeinsam mit ihren beiden Töchtern in Russland, um dort zu arbeiten; sie hat unter anderem Wohnungen renoviert und so ihren Lebensunterhalt bestritten. Die volljährige Zweitbeschwerdeführerin besuchte im Herkunftsland neun Jahre die Grundschule. In der Russischen Föderation hat sie als Putzfrau und als Verkäuferin gearbeitet.

In Russland lernte die Erstbeschwerdeführerin auch ihren späteren Lebensgefährten kennen. Dieser ist Anhänger der Wahhabiten und streng religiös. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit ihm nach islamischen Recht verheiratet, im Jahr 2015 kam der gemeinsame Sohn (der Drittbeschwerdeführer) zur Welt. Von November 2017 bis Ende Februar 2018 lebten die Beschwerdeführer mit dem Vater des Sohnes/Bruders bei dessen Familie in Dagestan. Im März 2018 kehrten sie wieder nach Moldawien zurück und im Mai 2018 erfolgte ihre Ausreise bzw. ihre Einreise nach Österreich. Während ihres letztmaligen Aufenthaltes im Herkunftsland wohnten sie in der Stadt XXXX , in der Wohnung einer Bekannten.

Die Beschwerdeführer leiden an keinerlei schwerwiegenden Erkrankungen und befinden sich auch in keiner medizinischen Behandlung; sie sind allesamt gesund.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in ihrem Herkunftsstaat einer staatlichen oder staatlich geduldeten asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären.

Ebenso wenig kann festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer in Moldawien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine wie auch immer geartete Verfolgung durch den in Russland lebenden Ex-Lebensgefährten der Erstbeschwerdeführerin und dessen Familie, welche ihnen nach Moldawien folgen könnten, zu befürchten haben; und sie könnten im Falle einer etwaigen tatsächlichen Bedrohung bei den staatlichen Sicherheitsbehörden um Hilfe ansuchen.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr in den Herkunftsstaat:

Vom Nichtbestehen einer Verfolgungsgefahr abgesehen, können im gegenständlichen Verfahren auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Republik Moldau einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe oder sonst einer konkreten individuellen Gefahr ausgesetzt wären oder dass sie im Falle einer Rückkehr als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts zu befürchten hätten.

Die Beschwerdeführer wären im Falle ihrer Rückkehr auch in keine existenzbedrohende Notlage gedrängt. Ihre Existenz ist durch mögliche Erwerbstätigkeit der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin gesichert; sie sind beide gesund und im erwerbsfähigem Alter. Die Beschwerdeführer sprechen zudem die Landessprachen und sie verfügen im Herkunftsstaat auch über soziale Bekannte, bei denen sie zumindest vorübergehend unterkommen können. Die Beschwerdeführer haben im Herkunftsland auch Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinscher Versorgung.

1.4. Zum Privat- und Familienleben in Österreich:

Die Beschwerdeführer reisten im Besitz moldawischer Reisepässe vorübergehend legal nach Österreich ein und stellten sodann am 26.05.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Die Beschwerdeführer haben keine Verwandten im Bundesgebiet. Sie verfügen aber über soziale Kontakte und engagieren sich in ihrer Wohnsitzgemeinde. Die Erstbeschwerdeführerin ist seit Oktober 2020 geringfügig als Haushaltshilfe im Rahmen des Dienstleistungschecks beschäftigt und der Sohn besucht den Kindergarten. Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über einen Sprachnachweis für die deutsche Sprache auf dem Niveau A1 und die Zweitbeschwerdeführerin hat an Sprachkursen auf demselben Niveau teilgenommen; sie sprechen ein wenig Deutsch. Die Beschwerdeführer halten sich in einer Bundesbetreuungsstelle auf und beziehen die Grundversorgung.

1.5. Zur maßgeblichen Lage im Herkunftsstaat:
1.         Neueste Ereignisse – Integrierte Kurzinformationen

KI vom 17.11.2020, Präsidentenwahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Bei der Stichwahl zur Präsidentenwahl in der Republik Moldau konnte sich die proeuropäische Oppositionspolitikerin und frühere Regierungschefin Maia Sandu mit über 57% der abgegebenen Stimmen gegen den russlandfreundlichen Amtsinhaber Igor Dodon durchsetzen. Sandu verdankt diesen Sieg vor allem den vielen Moldauern, die im Ausland ihre Stimme abgegeben haben. Sandu erhielt mit 938.390 Stimmen die meisten je in der Republik bei einer Präsidenten- oder Parlamentswahl für einen Politiker bzw. eine Partei abgegeben Stimmen. Sandu ist bislang Chefin der proeuropäischen Oppositionspartei Aktion und Solidarität (PAS). Als Staatspräsidentin kann sie derzeit weder auf das Parlament mit seinen schwierigen Mehrheitsverhältnissen, noch auf die Dodon nahestehende Regierung bauen. Vorgezogene Parlamentswahlen sind jedoch nur äußerst schwer anzusetzen. Die nächste reguläre Parlamentswahl findet 2023 statt (DS 16.11.2020).

Wahlbeobachter der OSZE sagten, die Abstimmung sei trotz der schwierigen Umstände aufgrund der COVID-19-Pandemie im Allgemeinen gut organisiert und kompetitiv gewesen, kritisierten jedoch, dass negative und spaltende Rhetorik die Kampagne beeinträchtigt hat und Bedenken bezüglich der Regeln für die Kampagnenfinanzierung weiterhin bestehen. Die Wahlbeteiligung lag mit mehr als 52% fast 10% höher als in der ersten Runde. Die Abstimmung wurde als Referendum darüber angesehen, ob die ehemalige Sowjetrepublik näher an die EU oder an Russland heranrücken sollte. Maia Sandu strebt ausgewogene Beziehungen zum Westen und zu Russland an, will Korruption bekämpfen und Investitionen ins Land holen. Igor Dodon räumte auffallen schnell seine Niederlage ein und sagte er wünsche Stabilität und keine Proteste. Auch der russische Präsident Wladimir Putin, der Dodon offen unterstützt hatte, gratulierte Sandu schnell zu ihrem Wahlsieg (RFE/RL 16.11.2020).

Quellen:

- DA – Der Standard (16.11.2020): Oppositionelle Maia Sandu gewinnt Präsidentenwahl in Moldau, https://www.derstandard.at/story/2000121727824/praesidentenwahl-in-moldauexit-poll-sieht-oppositionelle-sandu-duerfte-gewonnen-haben, Zugriff 17.11.2020

- RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (16.11.2020): Moldova's Pro-EU Election Winner Vows To Balance Ties Between West, Russia, https://www.rferl.org/a/moldova-pro-eu-election-winner-vows-to-balance-ties-between-west-russia/30952029.html, Zugriff 17.11.2020

KI vom 06.02.2020, Neue Regierung (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Der Moldauische Präsident, Igor Dodon (Sozialistische Partei), hat unmittelbar nach Zerbrechen der Regierung Sandu einen seiner Berater, den ehemaligen Finanzminister der Regierung Filip, Ion Chicu, mit der Bildung einer Regierung beauftragt (RFE/RL 13.11.2019). Dieser formte eine Minderheitsregierung (die Sozialistische Partei verfügt nur über 36 Abgeordnete, wurde aber unterstützt durch 27 Abgeordnete der Demokratischen Partei des umstrittenen und nunmehr im Exil lebenden Oligarchen Vlad Plahotniuc (Euractiv 15.11.2019)), welche vom moldauischen Parlament am 14. November bestätigt wurde. Die Regierung Chicu, die zur Hälfte aus Beratern des Präsidenten besteht, versteht sich als eine technokratische Übergangslösung bis zu den nächsten Wahlen (RFE/RL 14.11.2020). Unter Experten gilt die Regierung als der Sozialistischen Partei nahestehend (Mold 14.11.2019).

Die EU und die USA forderten von der neuen Regierung ehrliches Engagement bei Reformen und Korruptionsbekämpfung. Chicu hatte dies auch angekündigt, doch Kritiker glauben, er werde sich geopolitisch Russland annähern und gleichzeitig nach Möglichkeit vom Westen finanzieren lassen (IWPR 31.1.2020). Andere Kommentatoren meinen, die Regierung habe vor allem den Zweck durch eine Reihe von populistischen Maßnahmen, die Wiederwahl von Präsident Dodon bei den Präsidentschaftswahlen im November 2020 zu unterstützen (JF 13.1.2020).

Quellen:

- Euractiv (15.11.2019): Moldova forms pro-Russian minority government, https://www.euractiv.com/section/europe-s-east/news/moldova-forms-pro-russian-minority-government/, Zugriff 6.2.2020

- IWPR – Institute for War and Peace Reporting (31.1.2020): West Doubts Moldova's Commitment to Reform. Tackling corruption and changing the judicial system no longer seems to be Chisinau’s priority, https://iwpr.net/global-voices/west-doubts-moldovas-commitment-reform, Zugriff 6.2.2020

- JF – Jamestown Foundation (13.1.2020): Amid Economic Pressure, Moldova’s Pro-Russian Government Looks for Alternatives, https://jamestown.org/program/amid-economic-pressure-moldovas-pro-russian-government-looks-for-alternatives/, Zugriff 6.2.2020

- Mold – Moldova.org (14.11.2019): Moldova has a new Government: Ion Chicu is the prime minister of the country, https://www.moldova.org/en/moldova-has-a-new-government-ion-chicu-is-the-new-prime-minister-of-the-country/

https://www.moldova.org/en/moldova-has-a-new-government-ion-chicu-is-the-new-prime-minister-of-the-country/, Zugriff 6.2.2020

- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (13.11.2019): Moldova's Dodon Names Adviser Chicu As Prime Minister, https://www.rferl.org/a/moldovan-president-favors-technocrat-government-after-pm-toppled/30269487.html, Zugriff 6.2.2020

- RFE/RL – Radio Free Europe/Radio Liberty (14.11.2019): Moldovan Parliament Approves New 'Technocratic' Government, https://www.rferl.org/a/moldovan-parliament-approves-new-technocratic-government/30271333.html, Zugriff 6.2.2020

KI vom 14.11.2019, Regierung gestürzt (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Nach fünf Monaten im Amt ist die Regierung aus prowestlicher Anti-Korruptions-Plattform ACUM und der prorussischen Sozialistischen Partei (PSRM) gestürzt. Das Parlament entzog dem Kabinett von Ministerpräsidentin Maia Sandu (ACUM) das Vertrauen. Grund war ein Misstrauensantrag der Sozialisten gegen Sandu, also gegen den eigenen Koalitionspartner (ZP 12.11.2019; vgl. NZZ 10.11.2019). Unterstützt wurde der Misstrauensantrag von der Demokratischen Partei (PDM) des Oligarchen Vlad Plahotniuc, deren Entfernung von der Macht ursprünglich der Grund für die ungewöhnliche Koalition zwischen PSRM und ACUM gewesen war (JF 12.11.2019).

Grund für das Zerwürfnis zwischen den Koalitionspartnern waren Streitigkeiten um die Besetzung des Postens des Generalstaatsanwalts. Dieser wird als essentiell für den Erfolg der Justizreform gesehen (NZZ 10.11.2019; vgl. JF 12.11.2019).

Auch der Ausgang der Lokalwahlen Anfang November ist zum Härtetest für das moldauische Regierungsbündnis geworden. Der Wahlkampf wurde hart geführt und hat einen Keil zwischen die beiden ideologisch so unterschiedlichen Regierungsparteien getrieben. Die Sozialisten waren erfolgreicher: Sie siegten in 15 Gebietsparlamenten, die ACUM nur in elf. Besonders schmerzlich ist für die ACUM die überraschende Niederlage in der Hauptstadt Chisinau (NZZ 10.11.2019).

Der moldauische Präsident Igor Dodon (PSRM) schlug seinen 47 Jahre alten Berater per Dekret als neuen Regierungschef vor. Das Parlament muss dies noch bestätigen (ZDF 13.11.2019).

Gibt es im Parlament in den nächsten 45 Tagen keine Mehrheit für eine neue Regierung, dann muss es vorgezogene Wahlen geben (ZP 12.11.2019).

Quellen:

- JF – Jamestown Foundation (12.11.2019): Eurasia Daily Monitor -- Volume 16, Issue 158, per E-Mail

- NZZ – Neue Zürcher Zeitung (10.11.2019): Zerreissprobe in der Moldau: Hält das Bündnis aus Prorussen und Proeuropäern, https://www.nzz.ch/international/moldau-haelt-das-buendnis-aus-prorussen-und-proeuropaeern-ld.1520783, Zugriff 14.11.2019

- ZDF – Zweites Deutsches Fernsehen (13.11.2019): Ex-Minister wird Regierungschef, https://www.zdf.de/nachrichten/heute/republik-moldau-ex-minister-wird-regierungschef-100.html, Zugriff 14.11.2019

- ZP – zentralplus (12.11.2019): Regierung der Republik Moldau am Ende, https://www.zentralplus.ch/regierung-der-republik-moldau-am-ende-1653563/, Zugriff 14.11.2019

KI vom 27.06.2019, Politische Krise beendet (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Nachdem das moldauische Verfassungsgericht die Regierungsbildung von Sozialistischer Partei und ACUM vom 9.6.2019 für verfassungswidrig und daher nichtig erklärt hatte, beanspruchten sowohl die alte Regierung Filip und die neue Regierung Sandu für einige Tage parallel die Macht im Staat. Schlussendlich jedoch trat die Regierung Filip am 14. Juni auf Druck aus dem Westen und aus Russland zurück. Das Verfassungsgericht annullierte in der Folge seine Urteile betreffend die Legitimität der Regierung Sandu und beendete damit die Krise offiziell. Mit 26.Juni sind alle sechs Verfassungsrichter Moldaus, denen Kritiker Parteilichkeit vorwarfen, formell von ihren Ämtern zurückgetreten (RFE/RL 26.6.2019).

Der Oligarch und Chef der Demokratischen Partei, Vlad Plahotniuc, der in den letzten Jahren viele Schaltstellen im Staat mit Getreuen besetzt hatte, hat das Land bereits am 14. Juni verlassen. Für die neue Regierung aus pro-russischen Sozialisten und pro-europäischer ACUM beginnt damit der Prozess der „de-Oligarchisierung“, womit dieses System wieder aufgebrochen werden soll. Betreffende Gesetze sind gerade in Ausarbeitung. Wie lange die Koalition aus Sozialisten und ACUM halten wird, die im Grunde diametral entgegengesetzte politische Auffassungen vertreten, ist unsicher. Die Beteiligten selbst sprechen von einer „unnatürlichen“ Koalition und einem „temporären“ Kompromiss, geeint nur in dem Ziel, die Demokratische Partei und deren graue Eminenz Plahotniuc von der Macht zu entfernen (Politico 27.6.2019; JF 26.6.2019).

Quellen:

- JF – Jamestown Foundation (26.6.2019): Eurasia Daily Monitor. Volume 16, Issue 94: Moldova’s Regime Change: End of an Era, Uncertain New Start (Part Two), per E-Mail

- Politico (27.6.2019): Moldova’s new PM sets pro-Western course, https://www.politico.eu/article/maia-sandu-moldovan-pm-aims-for-pro-western-course/, Zugriff 27.6.2019

- RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (26.6.2019): Moldova's Entire Constitutional Court Resigns, https://www.rferl.org/a/moldova-s-entire-constitutional-court-resigns/30022221.html, Zugriff 27.6.2019

KI vom 11.06.2019, Politische Krise (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage)

Der pro-europäische Parteienblock ACUM sowie die pro-russische Sozialistische Partei (PSRM), eigentlich politisch verfeindet, haben sich Ende der Vorwoche auf ein Regierungsbündnis geeinigt, um sich gegen den als mächtigsten Mann des Landes wahrgenommenen Oligarchen Vladimir Plahotniuc, gleichzeitig Chef der Demokratischen Partei (PDM), zu stellen. Die derart neu gebildete Allianz hat Maia Sandu von ACUM zur Regierungschefin gewählt, die PSRM stellt den Parlamentspräsidenten. Der pro-russische Präsident Igor Dodon (PSRM) vereidigte Sandu und ihr neues Kabinett. Die Bildung dieser Regierung erfolgte am 9.6.2019. Das Verfassungsgericht hatte jedoch bereits am 7.6.2019 klargestellt, dass Präsident Dodon das Parlament auflösen müsse, da die verfassungsmäßige Frist zur Regierungsbildung von drei Monaten ab der Parlamentswahl bereits abgelaufen sei. Ob das zutrifft ist umstritten, da das Verfassungsgericht die vorgesehenen „drei Monate“ als „90 Tage“ interpretiert, während andere der Meinung sind, diese Frist wäre erst am 9. Juni ausgelaufen. Das Verfassungsgericht erklärte daraufhin, die Regierung nicht anzuerkennen, und suspendierte Präsident Dodon, da er sich geweigert hatte die Anweisungen des Gerichts zu befolgen. Als Interimspräsident eingesetzt wurde der ehemalige Ministerpräsident der Demokratischen Partei, Pawel Filip. Das Verfassungsgericht gilt als der PDM nahestehend. Filip setzte wenig später prompt Neuwahlen für den 6. September an. Russland, die EU und die USA unterstützen die neue Regierung. Am Montag, den 10.6.2019 hielten die beiden konkurrierenden Regierungen Sitzungen an verschiedenen Orten in der Hauptstadt Chisinau ab. Die PDM bringt mit Bussen Unterstützer aus dem ganzen Land in die Stadt, welche Protest-Camps bilden. Der Polizeichef erkennt die Autorität der neuen Regierung nicht an (DS 9.6.2019, Me 11.6.2019, RFE/RL 10.9.2019, JF 10.6.2019).

Quellen:

- DS – Der Standard (9.6.2019): Gericht in Moldau enthebt Präsident Dodon seines Amtes, https://derstandard.at/2000104601453/Gericht-in-Moldau-enthebt-Praesident-Dodon-seines-Amtes, Zugriff 11.6.2019

- Me – Merkur.de (11.6.2019): Showdown im ärmsten Land Europas: Bündnis legt sich mit Oligarchen an - der schlägt zurück, https://www.merkur.de/politik/moldova-showdown-im-aermsten-land-europas-polit-krieg-mit-oligarchen-zr-12363702.html, Zugriff 11.6.2019

- RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Liberty (10.6.2019): Rival Moldovan Governments Meet Separately As Russia Sides With New Alliance, https://www.rferl.org/a/rival-moldovan-governments-meet-separately-as-russia-sides-with-new-alliance/29991856.html, Zugriff 11.6.2019

- JF – Jamestown Foundation (10.6.2019): Eurasia Daily Monitor. EDM Early Warning, per E-Mail
2.         Politische Lage

Moldau hat annähernd 34.000 km² Fläche und ca. 2,9 Mio. Einwohner (ohne Transnistrien). Das Land ist eine parlamentarische Demokratie, Staatsoberhaupt ist seit 23. Dezember 2016 Präsident Igor Dodon (PSRM). Regierungschef ist seit 20. Januar 2016 Ministerpräsident Pavel Filip (PDM). Das moldauische Parlament hat eine Kammer mit 101 Sitzen. Die Regierungskoalition umfasst derzeit die Demokratische Partei (PDM – 42 Sitze), informell auch auf die Europäische Volksgruppe (GPPE, 9 Sitze). Zur parlamentarischen Opposition gehören die Partei der Kommunisten der Republik Moldau (PCRM - 6 Sitze), die Partei der Sozialisten der Republik Moldau (PSRM - 24 Sitze), die Liberal-Demokratische Partei (PLDM - 5 Sitze), die Liberale Partei (PL - 9 Sitze) und 6 Parteilose (AA 3.2018a).

Zwei Runden der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2016 führten zur Wahl von Igor Dodon zum Präsidenten der Republik Moldau. Laut Wahlbeobachtungsmission der OSZE waren beide Wahlgänge kompetitiv und respektierten die Grundfreiheiten. Internationale und nationale Beobachter stellten jedoch eine polarisierte und unausgewogene Medienberichterstattung, harte und intolerante Rhetorik, mangelnde Transparenz bei der Wahlkampffinanzierung und Fälle von Missbrauch administrativer Ressourcen fest (USDOS 20.4.2018).

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom Juni 2018, die Bürgermeisterwahl in Chi?in?u wegen kleinerer Vorfälle (Vorwurf des Wahlkampfs über Social Media nach dem offiziellen Ende des Wahlkampfes) für nichtig zu erklären, trug weiter zur Wahrnehmung bei, dass die Justiz politisch entscheidet (FH 2019).

Die Republik Moldau erlebte im Jahr 2017 deutliche Anzeichen eines demokratischen Rückschritts mit illiberalen und autoritären Tendenzen und kam internationalen und nationalen Verpflichtungen bzw. Reformvorhaben nur zum Schein nach. Die Zeiten, in denen Moldau als Erfolgsgeschichte der europäischen Integration galt, sind vorbei. Das Verschwinden von einer Milliarde Dollar aus dem nationalen Bankensystem (2014) und die erbitterte Auflösung der Regierungskoalition, die dem Bankenskandal folgte, zerstörten viel von dem positiven Bild, das Moldau seit 2009 von sich aufzubauen verstanden hatte. Gerade die Rolle der Demokratischen Partei (PDM) wird in diesem Zusammenhang sehr kritisiert. Deren Vorsitzender, der Oligarch Vlad Plahotniuc, hatte es nach 2014 geschickt verstanden, seine Partei trotz einer bescheidenen demokratischen Legitimation von 16% bei den Parlamentswahlen 2014 zur wichtigsten politischen Kraft des Landes zu machen und diese Macht zu festigen, nicht zuletzt auch durch Einführung eines neuen Wahlsystems (JF 10.1.2018; vgl. FH 2019, BAMF 18.2.2019).

Laut Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments befindet sich die Republik Moldau im Griff von oligarchischen Interessen mit einer Konzentration wirtschaftlicher und politischer Macht in den Händen einer kleinen Gruppe von Menschen, die Einfluss auf das Parlament, die Regierung, die politischen Parteien, die Staatsverwaltung, die Polizei, die Justiz und die Medien ausübt. Es werden darin Rückschritte bei demokratischen Standards und Rechtsstaatlichkeit und Mängel bei Unabhängigkeit der Justiz und Korruptionsbekämpfung moniert (BI 10.10.2018).

Bei der Parlamentswahl am 24. Feber 2019 hat keine Partei eine absolute Mehrheit gewonnen. Pro-russische und pro-westliche Kräfte sind fast gleichauf. Nach den ersten Ergebnissen liegen die pro-russischen Sozialisten (PSRM) von Staatspräsident Igor Dodon mit ca. 31% vorne. Gefolgt von dem bisher nicht im Parlament vertretenen pro-europäischen Wahlblock ACUM mit knapp 26%. Auf Platz drei, mit 24%, liegen die amtierenden formal pro-europäischen Demokraten (PDM) von Vlad Plahotniuc. Die Wahlbeteiligung lag nur bei 49%. Wenn nicht innerhalb von 45 Tagen eine Regierung gebildet wird, müssen Neuwahlen stattfinden (BAMF 25.2.2019).

Die Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bezeichneten in einer ersten Reaktion den Urnengang vom 24. Feber als kompetitiv und bestätigten die generelle Respektierung grundlegender Rechte, sprachen jedoch auch von Vorwürfen des Drucks auf öffentlich Bedienstete, starken Hinweisen auf Stimmenkauf und den Missbrauch staatlicher Ressourcen (OSZE 25.2.2019). Oppositionsparteien werfen den regierenden Demokraten massiven Wahlbetrug vor. Sowohl die Demokraten als auch die Sozialisten beschuldigten einander des Stimmenkaufs. Laut der CEC gab es 18 Beschwerden wegen Unregelmäßigkeiten, aber die Wahlen verliefen ohne größere Zwischenfälle (RFE/RL 24.2.2019; vgl. RFE/RL 25.2.2019).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (3.2018a): Republik Moldau, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/moldau-node/moldau/201826, Zugriff 22.2.2019

- BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (18.2.2019): Briefing Notes vom 18.02.2019, per E-Mail

- BAMF -Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (25.2.2019): Briefing Notes vom 25.02.2019, per E-Mail

- BI – Balkan Insight (10.10.2018): Oligarchs Have ‘Captured Moldova’, EU Resolution Warns, https://balkaninsight.com/2018/10/10/eu-urges-moldovan-authorities-to-respect-democratic-standards-10-10-2018/, Zugriff 26.2.2018

-FH – Freedom House (2019): Freedom in the World 2019: Moldova, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2019/moldova, Zugriff 4.3.2019

- JF – Jamestown Foundation (10.1.2018): A Year in Review: Oligarchic Power Consolidation Defines Moldova’s Politics in 2017, https://www.ecoi.net/de/dokument/1421482.html, Zugriff 22.2.2019

- OSZE – Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (25.2.2019): Fundamental rights generally respected in competitive Moldovan elections, though campaign tainted by violations, international observers say, https://www.osce.org/odihr/elections/moldova/412361, Zugriff 1.3.2019

- RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Free Europe (24.2.2019): Crucial Moldovan Parliamentary Vote Marred By Fraud Allegations, https://www.rferl.org/a/moldova-elections-dodon-socialists-acum-democrats-russia-eu/29787009.html?ltflags=mailer, Zugriff 1.3.2019

- RFE/RL – Radio Free Europe / Radio Free Europe (25.2.2019): Moldova Elects Parliament With No Clear Majority, https://www.rferl.org/a/moldova-socialists-lead-democrats-acum-parliamentary-vote/29788181.html, Zugriff 1.3,2019

- USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 Moldova, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430313.html, Zugriff 22.2.2019
3.         Sicherheitslage

Die Republik Moldau ist Teil der im Mai 2009 ins Leben gerufenen „Östlichen Partnerschaft der EU“, die das Land näher an die EU heranführen soll. Am 27. Juni 2014 wurde in Brüssel das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Republik Moldau unterzeichnet, das am 1. Juli 2016 vollständig in Kraft trat. Zentraler Kern des Abkommens ist die Einrichtung einer Tiefen und umfassenden Freihandelszone (Deep and Comprehensive Free Trade Area - DCFTA), in deren Rahmen eine schrittweise Annäherung moldauischer Rechtsvorschriften an EU-Rechtsvorschriften und Standards erfolgen soll. Die Beziehungen zur Russischen Föderation bleiben für die Republik Moldau von zentraler Bedeutung, unter anderem wegen der Abhängigkeit der Republik Moldau von russischen Gaslieferungen und der großen Bedeutung des russischen Marktes für moldauische Exporte, insbesondere Agrarprodukte. Ein erheblicher Teil der moldauischen Gastarbeiter lebt in der Russischen Föderation. Seit 2013 hat die Russische Föderation Handelsrestriktionen gegen Moldau verhängt. Während die moldauische Regierung an einer pro-europäischen Ausrichtung des Landes festhält, bemüht sich Präsident Dodon um eine Verbesserung der Beziehungen zu Russland, z.B. durch Erleichterungen bei den Handelsrestriktionen. Die OSZE unterhält seit 1993 eine Mission in Chi?in?u. Die Republik Moldau ist seit 1994 Partner der NATO. Die moldauische Verfassung schreibt die bündnispolitische Neutralität des Landes vor. Moldau nimmt innerhalb dieses Rahmens aktiv am NATO-Programm „Partnerschaft für den Frieden“ teil und beteiligt sich mit Soldaten am KFOR-Einsatz. Im Dezember 2017 eröffnete die NATO ein Verbindungsbüro in Chisinau (AA 3.2018b).

Quellen:

-AA – Auswärtiges Amt (3.2018b): Außenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/moldau-node/-/202836, Zugriff 22.2.2019

3.1.    Transnistrien

1990 erklärte sich der separatistische Landesteil Transnistrien von der Republik Moldau unabhängig. Es kam zu einem kurzen kriegerischen Konflikt, der 1992 mit einem Waffenstillstand beendet wurde. Die Republik Moldau hat in Transnistrien keinerlei hoheitliche Gewalt (USDOS 20.4.2018).

Die seit der Unabhängigkeit der Republik Moldau ungelöste Transnistrien-Frage beeinflusst weiterhin die Entwicklung des Landes. Transnistrien (offiziell: Pridnestrovskaya Moldavskaya Respublika, PMR) ist der östlich des Nistru/Dnjestr gelegene Landesteil Moldaus, mit einer Bevölkerung, die sich zu jeweils etwa einem Drittel aus Moldauern, Russen und Ukrainern zusammensetzt. Dieser hat sich im Zusammenhang mit der Auflösung der Sowjetunion vom moldauischen Kernland faktisch abgespalten und quasi-staatliche Strukturen geschaffen. Die internationale Gemeinschaft bekennt sich zur territorialen Integrität der Republik Moldau. Die einseitige Unabhängigkeitserklärung Transnistriens wurde von keinem Staat anerkannt. Die Verhandlungen im 5+2-Format (Moldau und Transnistrien; sowie als Mediatoren: OSZE, Russland und Ukraine; und als Beobachter: USA und EU) erreichten im November 2017 die Unterzeichnung mehrerer Vereinbarungen, die Fortschritte u. a. in den Bereichen Bildung, Verkehr und Telekommunikation vorsehen. Seit März 2006 wird eine gemeinsame Vereinbarung über die Zollabfertigung und die Regelung des Warenverkehrs von und nach Transnistrien zwischen der Republik Moldau und der Ukraine umgesetzt. Die EU unterstützt beide Länder in ihrer Zusammenarbeit an der Grenze seit 2005 durch eine Mission (EUBAM - European Union Border Assistance Mission). Die Anwendung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Republik Moldau sowie das Tiefe und umfassende Freihandelsabkommen (DCFTA) erstreckt sich auf das gesamte Staatsgebiet der Republik Moldau, sofern die getroffenen Vereinbarungen umgesetzt werden. Im transnistrischen Landesteil gibt es weiterhin russische Truppen und Waffenbestände (insgesamt ca. 1.250 Soldaten). Die Russische Föderation hat sich 1999 zum Abzug dieser Restmunition und deren Bewachung verpflichtet, dies 2003 jedoch gestoppt und Transnistrien erklärte die Waffenbestände zum Eigentum des separatistischen Landesteils (AA 3.2018c).

Die transnistrischen de facto-Behörden verhinderten die Teilnahme der Transnistrier an den moldauischen Parlaments- und Präsidentenwahlen 2014 bzw. 2016. Es gibt regelmäßig Berichte über Folter, willkürliche Festnahmen, gesetzwidrige Haft usw., bei gleichzeitiger Straflosigkeit. Es gibt Berichte über Verhaftungen abseits jeglicher Rechtsstaatlichkeit aufgrund fabrizierter Anklagen und über Missachtung der Strafprozessordnung und Verwehrung des Rechts auf ein faires Verfahren. Es gibt in Transnistrien keinen Mechanismus zur Untersuchung mutmaßlicher Folterungen. Die transnistrischen de facto-Behörden verüben die meisten Fälle unmenschlicher und erniedrigender Behandlung um Geständnisse zu erzwingen. Es wurden Berichten zufolge seit Gründung des diesbezüglichen transnistrischen Untersuchungskomitees im Jahre 2012, keine Strafverfahren bezüglich erzwungener Aussagen eingeleitet. Innerhalb der transnistrischen „Armee“ kommt es weiterhin zu Fällen erniedrigender und demütigender Behandlung von Rekruten. Die Bedingungen in transnistrischen Hafteinrichtungen sind weiterhin harsch und verbesserten sich auch 2017 nicht wesentlich. Die Misshandlung der Häftlinge ist weiterhin ein großes Problem. Laut transnistrischen Eigenangaben sind dort ca. 3.000 Personen in Haft. Der transnistrische „Ombudsmann“ berichtete 2016 einen Rückgang der Beschwerden von Häftlingen im Vergleich zu 2015, aber eine unabhängige Überprüfung dieser Angaben fehlt, ebenso wie Berichte über unabhängiges Monitoring der Hafteinrichtungen. In der Region herrscht keine Pressefreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung ist Berichten zufolge das am öftesten verletzte Recht in der Region überhaupt, in jüngerer Zeit auch unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung. Zwei Organisationen kontrollieren den transnistrischen Massenmedienmarkt: die Public Agency for Telecommunication, welche die Nachrichtenagenturen, Zeitungen und einen der beiden populärsten Fernsehkanäle kontrolliert; und die Sheriff Holding, ein Unternehmenskonglomerat mit beträchtlichem Einfluss auf die transnistrische Politik. Journalisten in der Region praktizieren Selbstzensur, um nicht in Gegensatz zum Regime zu geraten. Der transnistrische „Geheimdienst“ KGB kann seit 2015 die Sperrung von Internetinhalten bei der „Staatsanwaltschaft“ beantragen. Die Vereinigungsfreiheit wird in Transnistrien erheblich eingeschränkt. Diese gilt per se nur für Personen, die als Bürger von Transnistrien anerkannt sind. Alle nicht staatlichen Aktivitäten müssen von den lokalen „Behörden“ koordiniert werden. Organisationen, die für die Wiedereingliederung mit Moldawien eintreten, sind verboten. Die Aktivitäten von Menschenrechts-NGOs werden eingeschränkt und überwacht. Transnistrische „Gesetze“ schützen zwar die Rechte behinderter Personen in den Bereichen Bildung, Arbeit und medizinische Versorgung, belastbare Informationen zur Praxis gibt es jedoch keine. Schulen, die in lateinischer Schrift lehren, sind in Transnistrien dem Druck der de facto-Behörden ausgesetzt. Homosexualität ist in Transnistrien illegal, LGBTI-Personen werden gesellschaftlich und von den „Behörden“ diskriminiert (USDOS 20.4.2018).

Quellen:

- AA – Auswärtiges Amt (3.2018c): Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/moldau-node/-/202838, Zugriff 22.2.2019

- USDOS – US Department of State (20.4.2018): Country Report on Human Rights Practices 2017 Moldova, https://www.ecoi.net/de/dokument/1430313.html, Zugriff 22.2.2019
4.         Rechtsschutz / Justizwesen

Ein großes Problem stellt die mangelnde Unabhängigkeit des Justiz- und Strafverfolgungswesens dar. Das Justizwesen gilt als ausgesprochen korruptionsanfällig. Die Einflussnahme einflussreicher Dritter, besonders im Rahmen selektiver Justiz, wird weitläufig angenommen und kann in Einzelfällen nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. In Öffentlichkeit und Medien wird berichtet, dass große Teile der Wirtschaft sowie des Justizsektors von der herrschenden Oligarchie kontrolliert oder zumindest beeinflusst werden. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Justiz liegt bei unter 10%. Die Reform des Justizsektors der letzten Jahre wird allgemein als Misserfolg angesehen, da weder die Transparenz noch die Effizienz erhöht werden konnten (AA 29.10.2018).

Das Gesetz garantiert eine unabhängige Justiz, dennoch sind Fälle fehlenden Respekts von Regierungsvertretern für die richterliche Unabhängigkeit weiterhin ein Problem. Dasselbe gilt für Korruption im Justizwesen. Der Prozess gegen den früheren Premierminister Vlad Filat, der wegen angeblicher Korruption und Einflussnahme im Zusammenhang mit dem Bankbetrug 2014 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde, warf Fragen über die Unparteilichkeit von Staatsanwaltschaft und Justiz auf. 68% der befragten Bürger gaben an, dass das Recht auf ein faires Verfahren in Moldau nur in geringem Umfang oder gar nicht existiere. Viele der Befragten glauben auch, dass die Justiz selektiv agiere und von Korruption betroffen sei. Es kommt weiterhin zu selektiver Strafverfolgung von Amtsträgern aus politischen Gründen. Gegen NGOs gerichtete Maßnahmen, die Absetzung eines Richters und Verhaftungen von Staatsbeamten wegen angeblich erfundener Anklagen haben ebenfalls Bedenken ausgelöst. Spezielle Richter sind für die Durchsetzung eines gerichtlichen Ethik-Kodex und die Untersuchung von Fällen von richterlichem Fehlverhalten oder ethischen Verstößen verantwortlich. Sie berichten dem Obersten Richterrat (Superior Council of Magistrates). Im Jahr 2016 hat der Disziplinarausschuss dieses Rates 86 Disziplinarmaßnahmen eingeleitet und 13 Sanktionen verhängt, darunter sechs Verwarnungen und sieben Warnungen. Trotz einer erheblichen Zunahme der Disziplinarmaßnahmen nach der Reform des Disziplinarausschusses des Rates, wurden die meisten Vorwürfe zurückgewiesen. Das Gesetz garantiert die Unschuldsvermutung, in der Praxis wird diese aber nicht immer respektiert, was sich gelegentlich auch in Wortmeldungen von Richtern äußert. Es gibt die gesetzliche Möglichkeit gegen Menschenrechtsverletzungen gerichtlich vorzugehen, gegebenenfalls bis hin zum EGMR. Die Urteile in solchen Fällen fallen aber oft bescheiden aus und werden nicht immer umgesetzt. Urteile des EGMR hingegen werden in der Regel prompt erfüllt. Die Zahl der Beschwerden vor dem EGMR hat in Vergleich zu den Vorjahren abgenommen (USDOS 20.4.2018).

Das Recht auf ein faires Verfahren wird unter anderem auch von der Befangenheit von Richtern und Korruption in der Justiz geschmälert. Die Justiz in Moldau ist weiterhin höchst korrupt und ist dem Business und politischen Gruppen gegenüber dienstbar, derzeit vor allem dem Oligarchen und Parteichef Vlad Plahotniuc gegenüber. Die politisierte Justiz wird oft als Mittel gegen dessen politische Rivalen eingesetzt (BS 2018).

Die Unabhä

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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