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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AVG §35Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Ing. S N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen Spruchpunkt II. des Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 30. April 2019, Zl. LVwG 40.28-704/2019-2, betreffend die Verhängung einer Mutwillensstrafe in einer Angelegenheit der Bodenreform (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Agrarbezirksbehörde für Steiermark), zu Recht erkannt:
Spruch
Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber beantragte mit einer an die belangte Behörde gerichteten Eingabe vom 23. April 2018 unter Bezugnahme auf § 69 AVG die Wiederaufnahme eines Verfahrens, in dem die Behörde einen Regulierungsplan nach § 37 Steiermärkisches Agrargemeinschaftengesetz 1985 für eine Agrargemeinschaft erlassen hatte. Parallel dazu stellte der Revisionswerber, bezogen auf das gleiche Regulierungsverfahren, auch einen Wiederaufnahmeantrag an das Verwaltungsgericht, der auf § 32 VwGVG gestützt wurde.
2 Den erstgenannten Antrag wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 11. September 2018 gemäß § 69 AVG als unbegründet ab, wogegen der Revisionswerber Beschwerde erhob.
3 Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2018 wurde dieser Beschwerde stattgegeben und der Bescheid vom 11. September 2018 „ersatzlos behoben“. Dies wurde damit begründet, dass es sich beim Regulierungsverfahren um ein durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichts abgeschlossenes Verfahren im Sinne des § 32 Abs. 1 VwGVG handle. Für die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme eines solchen Verfahrens sei das Verwaltungsgericht und nicht die Behörde zuständig. Die belangte Behörde habe daher eine Zuständigkeit in Anspruch genommen, die ihr von Gesetzes wegen nicht zukomme. Damit sei der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben. Die belangte Behörde werde in der Folge den verfahrensgegenständlichen Antrag mangels Zuständigkeit zurückzuweisen haben.
4 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis eine außerordentliche Revision, die mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 2019, Ra 2019/07/0010, zurückgewiesen wurde. Darin führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes mit der eindeutigen Rechtslage in Übereinstimmung stehe, sodass in der Revision keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG aufgeworfen worden seien.
5 Noch bevor diese Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes erging, wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 23. Jänner 2019 den Wiederaufnahmeantrag vom 23. April 2018 in einem zweiten Rechtsgang - in Übernahme der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes aus dem Erkenntnis vom 19. Dezember 2018 - wegen Unzuständigkeit zurück.
6 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber am 19. Februar 2019 - sohin ebenfalls vor Ergehen des oben angeführten Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofes vom 28. Februar 2019 - Beschwerde an das Verwaltungsgericht.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. April 2019 wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde in Spruchpunkt I. als unbegründet ab und begründete dies damit, dass es die Frage der Zuständigkeit bereits im Erkenntnis vom 19. Dezember 2018 rechtsverbindlich entschieden habe und der angefochtene Bescheid damit in Einklang stehe.
8 Mit Spruchpunkt II. verhängte das Verwaltungsgericht über den Revisionswerber gemäß § 35 AVG iVm § 17 VwGVG eine Mutwillensstrafe von € 300,--.
9 Die Verhängung der Mutwillensstrafe begründete das Verwaltungsgericht lediglich damit, dass die mutwillige Inanspruchnahme (rechtsmissbräuchliche Behelligung) des Verwaltungsgerichtes offenbar sei, weil diese wider besseren Wissens unter solchen Umständen erfolgt sei, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann offenbar sei.
10 Eine ordentliche Revision gegen das Erkenntnis erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
11 Ausschließlich gegen die Verhängung der Mutwillensstrafe (Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Zu deren Zulässigkeit wird darin vorgebracht, entgegen der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes sei seine Befassung nicht für jeden erkennbar aussichtslos erfolgt. Vielmehr habe sich die belangte Behörde zunächst selbst für zuständig erachtet. Die bestehende Rechtsunsicherheit für den Revisionswerber habe durch eine (damals noch ausstehende) höchstgerichtliche Entscheidung geklärt werden müssen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weiche daher von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zum Verständnis des § 35 AVG ab.
12 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung, auf welche der Revisionswerber mit zwei Schriftsätzen replizierte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist aus dem von ihr genannten Grund zulässig und auch begründet.
14 Vorauszuschicken ist, dass die Revision nicht im Grunde des § 25a Abs. 4 VwGG absolut unzulässig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Verhängung einer Mutwillensstrafe nämlich um keine Angelegenheit des Verwaltungsstrafrechts (vgl. VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0466, mwN).
15 Gemäß § 35 AVG kann die Behörde gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, eine Mutwillensstrafe bis € 726 verhängen. Gemäß § 17 VwGVG ist diese Bestimmung auch im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anwendbar. Die Verhängung einer Mutwillensstrafe durch ein Verwaltungsgericht erfolgt (richtigerweise) durch Beschluss.
16 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt mutwillig in diesem Sinn, wer sich im Bewusstsein der Grund- und Aussichtslosigkeit, der Nutz- und der Zwecklosigkeit seines Anbringens an die Behörde wendet, sowie wer aus Freude an der Behelligung der Behörde handelt. Darüber hinaus verlangt das Gesetz aber noch, dass der Mutwille offenbar ist; dies ist dann anzunehmen, wenn die wider besseres Wissen erfolgte Inanspruchnahme der Behörde unter solchen Umständen geschieht, dass die Aussichtslosigkeit, den angestrebten Erfolg zu erreichen, für jedermann erkennbar ist. Mit der in § 35 AVG vorgesehenen Mutwillensstrafe kann geahndet werden, wer „in welcher Weise immer“ die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nimmt (vgl. zu alldem erneut VwGH 21.5.2019, Ra 2018/19/0466, mwN).
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 29. Juni 1998, 98/10/0183, zu § 35 AVG ausgesprochen, dass mit dem Vorwurf des Missbrauchs von Rechtsschutzeinrichtungen mit äußerster Vorsicht umzugehen und ein derartiger Vorwurf nur dann am Platz ist, wenn für das Verhalten einer Partei nach dem Gesamtbild der Verhältnisse keine andere Erklärung bleibt; die Verhängung einer Mutwillensstrafe komme demnach lediglich im „Ausnahmefall“ in Betracht (vgl. dazu aus der jüngeren Rechtsprechung VwGH 3.2.2021, Ra 2020/20/0042).
18 Ein solcher, die Verhängung einer Mutwillensstrafe rechtfertigender Ausnahmefall ist für den Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Der Revisionswerber versuchte, mit seiner Beschwerde eine Zuständigkeit der belangten Behörde geltend zu machen, welche diese zunächst (im ersten Rechtsgang) auch selbst noch angenommen hatte. Es trifft zwar zu, dass das Verwaltungsgericht diese Frage in seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 2018 im Sinne der Unzuständigkeit der Behörde geklärt hatte und der sodann ergangene und bekämpfte Bescheid der Behörde damit in Einklang stand. Zum Zeitpunkt der fraglichen Beschwerdeerhebung war jedoch über die außerordentliche Revision gegen dieses Erkenntnis, womit der Revisionswerber eine höchstgerichtliche Klärung der Zuständigkeitsfrage anstrebte, noch nicht entschieden worden. In dieser konkreten Situation war noch nicht von einer „wider besseres Wissen“ erfolgten Beschwerdeerhebung auszugehen, deren Aussichtslosigkeit für jedermann erkennbar gewesen wäre.
19 Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang des Spruchpunktes II., also soweit damit gegen den Revisionswerber eine Mutwillensstrafe verhängt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
20 Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil nach den eingebrachten Schriftsätzen die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und die Angelegenheit auch nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts oder von Art. 6 EMRK fällt (vgl. zu Mutwillensstrafen nach dem Gerichtlichen Einbringungsgesetz: VwGH 22.12.2010, 2010/06/0173, 0174, mwN), sodass einem Entfall der Verhandlung schon deshalb weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.
21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. September 2021
Schlagworte
AllgemeinEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019070067.L00Im RIS seit
18.10.2021Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021