TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/14 Ra 2019/07/0063

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.09.2021
beobachten
merken

Index

L66506 Flurverfassung Zusammenlegung landw Grundstücke Flurbereinigung Steiermark
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AgrGG Stmk 1985 §1
AgrGG Stmk 1985 §37
AgrGG Stmk 1985 §38
AgrGG Stmk 1985 §39
AgrGG Stmk 1985 §40
AgrGG Stmk 1985 §47 Abs2
AgrGG Stmk 1985 §47 Abs3
AgrGG Stmk 1985 §7 Abs1
AgrGG Stmk 1985 §7 Abs6
AVG §69 Abs1 Z1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwGVG 2014 §32 Abs1
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z1
VwGVG 2014 §32 Abs1 Z2

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Ing. S N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 30. April 2019, Zl. LVwG 40.28-891/2019-3, betreffend Wiederaufnahme in einem Regulierungsverfahren nach dem Steiermärkischen Agrargemeinschaftengesetz 1985 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Agrarbezirksbehörde für Steiermark; mitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft „F“, vertreten durch die Divitschek, Sieder, Sauer, Peter Rechtsanwälte GesbR in 8530 Deutschlandsberg, Raiffeisenstraße 3), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Der Revisionswerber ist Mitglied der mitbeteiligten Agrargemeinschaft. Die belangte Behörde erließ im Regulierungsverfahren betreffend diese Agrargemeinschaft mit Kundmachung vom 30. November 2016 einen Regulierungsplan gemäß § 37 Steiermärkisches Agrargemeinschaftengesetz 1985 (StAgrGG 1985). In der darin enthaltenen Almkarte vom 1. Jänner 2014 sind Windkraftanlagen mit der Bezeichnung „WEA 1, WEA 2 und WEA 3“ samt Stellflächen und Stichwegen eingezeichnet.

2        Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde an das Verwaltungsgericht, in der er unter anderem ausführte, die Errichtung dieser Windkraftanlagen sei nicht von Beschlüssen der Agrargemeinschaft gedeckt und damit rechtswidrig genehmigt worden. Im Übrigen seien die diesbezüglichen Verträge äußerst benachteiligend für die Agrargemeinschaft und als sittenwidrig im Sinne des § 879 ABGB einzustufen. Es bestehe ein Missverhältnis zwischen dem aus seiner Sicht zu erwartenden jährlichen Pachterlös für die Windkraftanlagen und dem tatsächlich erzielten.

3        Mit Erkenntnis vom 14. Juni 2017 wies das Verwaltungsgericht diese Beschwerde als unbegründet ab. Zum Beschwerdevorbringen betreffend die Windkraftanlagen führte es darin aus, dass mit deren Errichtung und Erschließung eine Änderung der Benützungsart der betroffenen Grundflächen verbunden sei. Diese unterlägen nicht mehr der wechselweisen oder gemeinschaftlichen Bewirtschaftung zur Wald-, Alm- oder Weidewirtschaft. Die Ausweisung solcher Flächen in den Wirtschaftsplänen des angefochtenen Bescheides sei nach § 40 Abs. 2 lit. a StAgrGG 1985 unabhängig vom Grund ihrer Entstehung erforderlich. Die Feststellung, ob Beschlüsse der Agrargemeinschaft rechtswidrig oder von dieser eingegangene Verträge nichtig seien, sei nicht Gegenstand des Regulierungsverfahrens und damit des Regulierungsplans.

4        Eine gegen dieses Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision des Revisionswerbers wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 3. Oktober 2017, Ra 2017/07/0082, auf Grund des Fehlens einer gesonderten Darstellung der Gründe, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird, zurückgewiesen.

5        Der Revisionswerber stellte mit Schreiben vom 4. April 2019 beim Verwaltungsgericht den Antrag, unter anderem jenes Verfahren wiederaufzunehmen, in dem das Verwaltungsgericht mit dem genannten Erkenntnis vom 14. Juni 2017 im Beschwerdeverfahren den Regulierungsplan erlassen hatte.

6        In diesem Antrag brachte er als Sachverhalt unter Punkt I. vor, dass ihm erstmals am 27. März 2019 mitgeteilt worden sei, dass kein Beschluss der Vollversammlung betreffend den Optionsvertrag vom 8. Dezember 2006 / 21. Dezember 2006 existiere. Da nach den Verwaltungssatzungen der Agrargemeinschaft die Veräußerung, Belastung und Verpachtung des Gemeinschaftsgutes der Beschlussfassung durch die Vollversammlung unterliege, sei der Optionsvertrag nicht entstanden und es seien keine Rechtsfolgen (insbesondere auch nicht der entsprechende Nutzungsvertrag) eingetreten. Das Vereinbarte zu den Windenergieanlagen gelte von Anfang an nicht und sei absolut nichtig. Somit fehle es auch an einer rechtswirksamen Zustimmungserklärung des Grundeigentümers (also der Vollversammlung) zu einem Baubescheid vom 3. Mai 2011, sodass dieser durch ein falsches Zeugnis der Vertreter der Agrargemeinschaft erschlichen und herbeigeführt worden sei.

7        Unter Punkt II. brachte er weiters vor, dass das Protokoll der außerordentlichen Vollversammlung der Agrargemeinschaft vom 9. Dezember 2013 nachträglich verfälscht worden sei, um die Zustimmung zum Nutzungsvertrag vom 23. Oktober 2013 zu beurkunden, welche in Wahrheit verweigert worden sei. Das betreffende originale Protokoll sei ihm erstmals im Rahmen der am 27. März 2019 abgehaltenen Vollversammlung unterbreitet worden. Dass dem Nutzungsvertrag vom 23. Oktober 2013 nicht zugestimmt worden sei, ergebe sich aus Ausführungen der Staatsanwaltschaft Graz und des Landesgerichts für Strafsachen Graz aus dem Jahr 2014 im Rahmen eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens sowie aus der vorgelegten Tonbandaufzeichnung eines Info-Abends am 28. Jänner 2014.

8        Unter Punkt III. des Wiederaufnahmeantrags fasste der Revisionswerber zusammen, dass sich auf Grund dieser neuen Tatsachen und Beweise ergebe, dass bestimmte Windenergieanlagen auf Liegenschaften der Agrargemeinschaft ohne rechtswirksame Verträge und gegen den Beschluss der Vollversammlung vom 9. Dezember 2013 errichtet worden seien. Damit sei auch der im wiederaufzunehmenden Verfahren erlassene Regulierungsplan, in dessen Almwirtschaftsplan die Stellflächen für diese Windenergieanlagen ausgewiesen seien, „unzulässig“. Rechtlich führte er aus, die im Hinblick auf die vorgebrachten Tatsachen rechtswidrig errichteten Windenergieanlagen stellten ein Hindernis zum Abschluss eines Regulierungsplanes dar, da ein solcher gemäß § 37 StAgrGG 1985 erst „nach Klarstellung der Verhältnisse“ verfasst werden dürfe.

9        Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erlassung des Regulierungsplans im Regulierungsverfahren der mitbeteiligten Agrargemeinschaft gemäß § 32 Abs. 1 VwGVG ab. Weiters verhängte das Verwaltungsgericht über den Revisionswerber gemäß § 35 AVG iVm § 17 VwGVG eine Mutwillensstrafe in der Höhe von € 300. Eine ordentliche Revision gegen diesen Beschluss erklärte es für nicht zulässig.

10       In den Entscheidungsgründen referierte das Verwaltungsgericht zusammenfassend die rechtlichen Ausführungen des Antrages sowie das Vorbringen, wonach ein den Optionsvertrag genehmigender Beschluss der Vollversammlung nicht existiere und der Baubescheid durch ein falsches Zeugnis der Vertreter der Agrargemeinschaft herbeigeführt worden sei. Das Vorbringen hinsichtlich der Fälschung des Protokolls der außerordentlichen Vollversammlung der Agrargemeinschaft vom 9. Dezember 2013 wurde vom Verwaltungsgericht hingegen nicht wiedergegeben.

11       Zur Abweisung des Wiederaufnahmeantrags führte das Verwaltungsgericht aus, dass dauernd der landwirtschaftlichen oder forstwirtschaftlichen Nutzung entzogene Flächen, wie Standorte für Windkraftanlagen, im Regulierungsplan gemäß § 37 StAgrGG 1985 unabhängig davon zu beschreiben bzw. planlich darzustellen seien, ob sie rechtswidrig oder rechtskonform dort stünden oder geplant seien. Diese Darstellung und Ausweisung im Regulierungsplan habe selbst dann zu erfolgen, wenn Verträge zur Errichtung dieser Anlagen nicht rechtswirksam zustande gekommen oder absolut nichtig wären, die Baubewilligung erschlichen oder ebenso absolut nichtig wäre. Der Antrag führe selbst aus, dass nicht der Regulierungsplan, sondern der Baubescheid durch ein falsches Zeugnis erschlichen worden sein solle.

12       Ziel des Regulierungsverfahrens sei nach § 7 Abs. 1 StAgrGG 1985 die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei den agrargemeinschaftlichen Grundstücken, nicht aber eine eventuell notwendige Sanierung oder Nachholung der Willensbildung der Agrargemeinschaft. Die vom Revisionswerber vorgebrachten Beweismittel (Tatsachen), wonach ein Optionsvertrag nicht wirksam zustande gekommen sei, da entsprechende Vollversammlungsbeschlüsse bzw. die Zustimmung der Grundeigentümerin im Rahmen des Bauverfahrens fehlten, seien daher von vorneherein nicht geeignet, Inhalt des Regulierungsplanes zu werden.

13       Die Verhängung der Mutwillensstrafe begründete das Verwaltungsgericht damit, dass eine rechtsmissbräuchliche Behelligung vorliege, weil schon nach dem rechtskräftigen Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 14. Juni 2017 jedermann klar gewesen sei, dass auch rechtswidrige Nutzungen im Bescheid auszuweisen seien.

14       Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, zu deren Zulässigkeit vorgebracht wird, das Verwaltungsgericht verkenne, dass ein Regulierungsplan gemäß § 37 StAgrGG erst „nach Klarstellung der Verhältnisse“ zu verfassen sei. Aufgabe der Regulierung sei die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die auf Grund des nachträglich verfälschten Beschlusses der Vollversammlung nicht vorliege. Das Verwaltungsgericht habe sich auch nicht auf Rechtsprechung stützen können, derzufolge rechtswidrig errichtete Bauwerke (Windkraftanlagen) auf agrargemeinschaftlichen Grundstücken kein Hindernis beim Abschluss eines Regulierungsplanes darstellten und daher unabhängig vom Rechtsgrund ihrer Entstehung in den Regulierungsplan aufzunehmen seien.

15       Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof brachte die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung ein, in der sie der Revision entgegen trat und Aufwandersatz beantragte. Die belangte Behörde erstattete keine Revisionsbeantwortung.

16       Der Revisionswerber brachte weitere Schriftsätze ein, in denen er vorbrachte, dass die belangte Behörde nachweislich in Kenntnis der Verfälschung des Beschlusses der Vollversammlung vom 9. Dezember 2013 gewesen sei. Weiters beantragte er, im vorliegenden Verfahren auch sein Vorbringen im Fristsetzungantrag zu Fr 2020/07/0003 zu berücksichtigen, wonach im angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichtes (noch) nicht über den Teil II. des Wiederaufnahmeantrages „aufgrund des nachträglich verfälschten Beschlusses der außerordentlichen Vollversammlung der Agrargemeinschaft“ abgesprochen worden sei. Mit dieser nachträglichen Verfälschung sei die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des erstellten Regulierungsplanes erschlichen worden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17       Die Revision ist zulässig, weil es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehlt, inwieweit bei der Erstellung eines Regulierungsplans die Rechtmäßigkeit darin festgestellter Nutzungen zu berücksichtigen ist. Sie ist auch begründet.

18       Nach § 32 Abs. 1 Z 1 und 2 VwGVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens u.a. dann stattzugeben, wenn das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist (Z 1) oder neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten (Z 2).

19       Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits erkannt, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet sind und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden kann (VwGH 15.10.2020, Ra 2020/18/0300, mwN). Zu § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat der Verwaltungsgerichtshof judiziert, dass dessen Anwendung nicht voraussetzt, dass eine „gerichtlich strafbare Handlung“ durch gerichtliches Urteil festgestellt worden ist; die Frage, ob eine „gerichtlich strafbare Handlung“ vorliegt, ist von der zur Wiederaufnahme des Verfahrens berufenen Behörde, allenfalls als Vorfrage, zu beurteilen (VwGH 18.2.2002, 99/10/0238). Der Wiederaufnahmegrund nach § 69 Abs. 1 Z 1 AVG hat absoluten Charakter; es kommt daher nicht darauf an, ob ohne das verpönte Verhalten voraussichtlich ein anders lautender Bescheid ergangen wäre, bzw. ob die Behörde im neuen (wieder aufgenommenen) Verfahren zu einer anders lautenden Entscheidung gelangen wird (vgl. VwGH 4.9.2008, 2005/01/0129, mwN). Die Begehung der Straftat muss von der das Verfahren wieder aufnehmenden Behörde als erwiesen angenommen werden. Ein bloßer Verdacht, dass eine gerichtlich strafbare Handlung vorliege, reicht für die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht aus. Vielmehr muss feststehen, dass die objektive und subjektive Tatseite der gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt sind (VwGH 22.3.2011, 2008/21/0428).

20       Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt hingegen u.a. die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist (VwGH 19.4.2007, 2004/09/0159, zu § 69 Abs. 1 Z 2 AVG).

21       Der vorliegende Fall betrifft die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Erlassung eines Regulierungsplans innerhalb eines Regulierungsverfahrens nach dem StAgrGG 1985. Ein solches Regulierungsverfahren hat vor allem die Aufgabe, den nachhaltigen Ertrag der agrargemeinschaftlichen Grundstücke, die wirtschaftlich zulässigen Nutzungen und die Ansprüche der Parteien auf diese Nutzungen zu ermitteln. Zudem schafft es die Grundlagen für den Wirtschaftsplan und die Verwaltungssatzungen (vgl. VwGH 22.12.2011, 2009/07/0036).

22       Nach § 7 Abs. 1 StAgrGG 1985 kann die Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei agrargemeinschaftlichen Grundstücken entweder durch Teilung oder durch Regulierung erfolgen. Im Rahmen des mehrstufigen Regulierungsverfahrens (vgl. dazu näher VwGH 30.7.2019, Ra 2019/07/0072) ist der Regulierungsplan als maßgebliche inhaltliche Entscheidung nach § 37 StAgrGG 1985 „nach Klarstellung der Verhältnisse“ zu verfassen.

23       Aus §§ 38 Abs. 2, 39 und 40 StAgrGG 1985 ergibt sich, dass ein Teil des Regulierungsplanes auch in der Beschreibung des nutzbaren agrargemeinschaftlichen Gebietes und dessen nachhaltigen Ertrags (in einem Nutzungsplan, Aufforstungsplan oder Weidenutzungsplan) besteht. Stellt - wie im vorliegenden Fall - ein Teil dieses Gebietes eine von einem Windpark betroffene Grundfläche dar, kann sie nicht mehr agrarisch genutzt werden; von einer solchen Flächenreduktion ist die Rechtsausübung der Agrargemeinschaftsmitglieder unmittelbar betroffen. Der vom Revisionswerber genannten Reduktion des Ausmaßes der nutzbaren agrargemeinschaftlichen Flächen (hier: durch die Errichtung von Windkraftanlagen) kann daher in einem Regulierungsverfahren durchaus Bedeutung zukommen; dies wird auch durch die Bestimmungen des § 47 Abs. 2 und 3 StAgrGG deutlich, wonach der Agrarbehörde während eines anhängigen Regulierungsverfahrens u.a. die Zuständigkeit zur Entscheidung über Streitigkeiten über Eigentum und Besitz an den in das Verfahren einbezogenen Grundstücken und über die Gegenleistung für die Benutzung solcher Grundstücke zukommt (so bereits zum gleichen Windpark VwGH 28.3.2019, Ra 2019/07/0012).

24       Das Verwaltungsgericht hat seinem Beschluss die Rechtsansicht zu Grunde gelegt, die Nichtnutzbarkeit von agrargemeinschaftlichen Flächen zu agrarischen Zwecken (hier wegen der Verpachtung zur Errichtung von Windkraftanlagen samt Zufahrtswegen) sei im Regulierungsplan allein nach den faktischen Umständen zu beschreiben und festzustellen, wobei es unerheblich sei, ob dieser Zustand rechtswidrig oder rechtskonform zustande gekommen sei. Dies gelte selbst im Falle des - hier behaupteten - unwirksamen Zustandekommens oder der Nichtigkeit der dieser Nutzung zugrunde liegenden Verträge.

25       Ein solches Verständnis ist mit dem Zweck eines Regulierungsverfahrens nach § 7 Abs. 1 StAgrGG 1985 - nämlich der Ordnung der rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bei den betroffenen agrargemeinschaftlichen Grundstücken - nicht in Einklang zu bringen. Beruht die aktuelle Nutzung oder (Nicht-)Nutzbarkeit agrargemeinschaftlicher Flächen auf einer rechtswidrigen oder rechtlich unwirksamen Verfügung der Agrargemeinschaft, so hat die Agrarbehörde daher diesen Zustand nicht stets hinzunehmen und auch noch bescheidmäßig festzustellen, sondern vielmehr soweit möglich im Rahmen ihrer Aufsichtsbefugnis auf dessen Beseitigung (etwa durch rechtliche Sanierung oder Rückabwicklung) hinzuwirken und den Regulierungsplan entsprechend § 37 StAgrGG 1985 erst nach der entsprechenden Klarstellung der Verhältnisse zu erlassen.

26       Entgegen der in der Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei geäußerten Befürchtung bedeutet dies nicht, dass sämtliche in Frage kommenden Verträge vollständig überprüft werden müssten, was eine verfahrensökonomische Führung von Regulierungsverfahren verunmögliche. Nach § 37 StAgrGG 1985 ist - wie ausgeführt - die Klarstellung der Verhältnisse Voraussetzung für die Verfassung eines Regulierungsplans. Werden demnach im Zuge eines Regulierungsverfahrens - wie vorliegend - substantiiert konkrete Zweifel an der Rechtmäßigkeit bestehender Nutzungen geäußert, so sind diese entsprechend zu klären, wenn das Regulierungsverfahren seinen Ordnungszweck erfüllen können soll.

27       Ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht, wonach die Rechtmäßigkeit der festgestellten Nutzungen bei der Erstellung eines Regulierungsplans nicht von Relevanz sei, hat das Verwaltungsgericht die konkrete Eignung der vorgebrachten Wiederaufnahmegründe nicht geprüft. Es hat damit seinen Beschluss mit einer zu dessen Aufhebung führenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit belastet.

28       Eine Wiederaufnahme nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG erfordert das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel, bietet also lediglich dann eine Möglichkeit für die nachträgliche Durchbrechung der Rechtskraft, wenn ein Korrekturbedarf auf der Tatsachenebene offenbar wird. Eine (lediglich) unrichtige rechtliche Beurteilung durch das Verwaltungsgericht bildet hingegen keinen Wiederaufnahmegrund nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG (vgl. VwGH 9.3.2020, Ra 2019/12/0005, mwN).

29       Das Verwaltungsgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zunächst zu beurteilen haben, ob die vorgebrachten Tatsachen, wonach einerseits der Optionsvertrag vom 8. Dezember 2006 / 21. Dezember 2006 keiner Beschlussfassung durch die Vollversammlung unterzogen und andererseits dem Nutzungsvertrag vom 23. Oktober 2013 die Zustimmung verweigert worden sei, überhaupt „neue“ Tatsachen im Sinne des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG darstellen und, wenn ja, ob den Revisionswerber kein Verschulden daran trifft, dass sie bisher nicht geltend gemacht werden konnten. Auf Basis der vorgelegten Akten des verwaltungsgerichtlichen (Wiederaufnahme-)Verfahrens lässt sich dies nicht abschließend klären.

30       Im nächsten Schritt wäre gegebenenfalls zu prüfen, ob diese Tatsachen für sich oder in Kombination abstrakt geeignet sind, eine andere Entscheidung in der Hauptsache herbeizuführen. Dies erfordert - auf Basis geeigneter Feststellungen zum gesamten Vertragswerk und der Beschlusslage hinsichtlich der Windkraftanlagen - die Beurteilung, ob eine Verpachtung der betroffenen Flächen vorliegt, die (auch weiterhin) nicht von entsprechenden Beschlüssen der Vollversammlung gedeckt ist, und welche Auswirkungen dies auf die Vertragslage hat.

31       Dass das Vorbingen im Wiederaufnahmeantrag zur „Erschleichung“ einer Entscheidung sich nicht auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes im allenfalls wiederaufzunehmenden Verfahren, sondern auf einen nicht verfahrensgegenständlichen Baubescheid bezieht, hat das Verwaltungsgericht bereits zutreffend festgehalten.

32       Schließlich wird das Verwaltungsgericht auch auf das Vorbringen (in Teil II des Wiederaufnahmeantrags) einzugehen haben, wonach die Fälschung eines Protokolls - und damit der Wiederaufnahmegrund nach § 32 Abs. 1 Z 1 VwGVG - vorliegen soll. Der Revisionswerber zeigt zutreffend auf, dass dem bekämpften Beschluss nicht zweifelsfrei entnommen werden kann, ob sich das Verwaltungsgericht damit bislang überhaupt befasst hat. Entscheidend wird diesbezüglich zunächst sein, ob die behauptete Straftat das Erkenntnis im allenfalls wiederaufzunehmenden Verfahren überhaupt „herbeigeführt“ hat, also eine Auswirkung auf die Entscheidungsgrundlagen des Verwaltungsgerichtes hatte, und wenn ja, ob sich diese Straftat erweisen lässt (oder bereits ein entsprechendes strafgerichtliches Urteil vorliegt).

33       Der angefochtene Beschluss war somit aus den genannten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

34       Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

35       Von der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil nach den eingebrachten Schriftsätzen die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und die Angelegenheit auch nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts oder von Art. 6 EMRK fällt (vgl. zum Wiederaufnahmeverfahren: VwGH 29.5.2017, Ra 2017/16/0070, mwN), sodass einem Entfall der Verhandlung schon deshalb weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Wien, am 14. September 2021

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019070063.L00

Im RIS seit

18.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten