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L66506 Flurverfassung Zusammenlegung landw Grundstücke Flurbereinigung SteiermarkNorm
AgrGG Stmk 1985 §6 Abs5Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth sowie die Hofräte Dr. Bachler, Mag. Haunold, Mag. Stickler und Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Ing. S N in D, vertreten durch Mag. Gerd Egner, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Joanneumring 11/IV, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 13. Februar 2019, Zl. LVwG 40.6-145/2019-2, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde nach dem Steiermärkischen Agrargemeinschaftengesetz 1985 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Agrarbezirksbehörde für Steiermark; mitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft „F“, vertreten durch die Divitschek, Sieder, Sauer, Peter Rechtsanwälte GesbR in 8530 Deutschlandsberg, Raiffeisenstraße 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Die Anträge des Revisionswerbers im Schriftsatz vom 27. Mai 2019 werden zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist Mitglied der mitbeteiligten Agrargemeinschaft. In einer Eingabe an die belangte Behörde vom 24. April 2018 brachte er vor, ihm sei auf Grund seines Antrags vom 9. April 2018 an die Vollversammlung das Original eines von der Agrargemeinschaft abgeschlossenen Optionsvertrages vom 8. Dezember 2006/21. Dezember 2006 vorgelegt worden. Eine Nachschau im Protokollbuch habe ergeben, dass weder ein Beschluss zu diesem Optionsvertrag ersichtlich sei, noch dieser Vertrag in einer Sitzung der Organe bzw. der Vollversammlung der Agrargemeinschaft behandelt worden oder darüber abgestimmt worden sei. Nach § 8 Z 4 (offenbar gemeint: der Verwaltungssatzungen der Agrargemeinschaft) unterlägen Verpachtungen des Gemeinschaftsgutes jedoch dem Wirkungskreis der Vollversammlung. Um Rechtssicherheit zu erlangen, werde um Prüfung „dieser Beschwerde“ und um bescheidmäßige Erledigung ersucht.
2 Am 1. November 2018 erhob der Revisionswerber eine Säumnisbeschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG, weil über diesen Antrag nicht entschieden worden war.
3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 28. November 2018 wurde unter Spruchpunkt I. die Säumnisbeschwerde vom 1. November 2018 aufgrund der Beschwerde vom 24. April 2018 als unzulässig zurückgewiesen. Unter Spruchpunkt II. wurde über den Revisionswerber eine Mutwillensstrafe in der Höhe von € 400,-- verhängt.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass der als „Beschwerde“ bezeichnete verfahrenseinleitende Antrag vom 24. April 2018 als unzulässig zurückgewiesen und das Säumnisverfahren gemäß § 16 Abs. 1 VwGVG eingestellt wurde. Eine Revision gegen dieses Erkenntnis erklärte das Verwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Begründend ging das Verwaltungsgericht zusammengefasst davon aus, dass die Agrarbehörde nach § 6 Abs. 5 Steiermärkisches Agrargemeinschaftengesetz 1985 (StAgrGG 1985) Streitigkeiten, die zwischen Mitgliedern einer Agrargemeinschaft und dieser oder ihren Organen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, zu entscheiden habe. Im vorliegenden Fall liege jedoch keine solche Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis vor, der Revisionswerber habe vielmehr eine Aufsichtsbeschwerde erhoben. Auf die Wahrnehmung der behördlichen Aufsichtsbefugnisse im Sinne des § 6 Abs. 1 StAgrGG 1985 habe er jedoch keinen Anspruch. Die subjektiv-öffentlichen Rechte eines Mitglieds erschöpften sich in den materiellen Mitgliedschaftsrechten, das seien Bezüge, die Teilnahme an der Verwaltung und die Übernahme von Verpflichtungen. Aufkommende Zweifel allein am satzungskonformen Handeln der Vollversammlung berührten die Mitgliedschaftsrechte des Antragstellers hingegen nicht. Der Antrag des Revisionswerbers sei daher zurückzuweisen. Diese Zurückweisung habe die belangte Behörde nach Erhebung der Säumnisbeschwerde innerhalb der Frist des § 16 Abs. 1 VwGVG - wenn auch mit einer missverständlichen Spruchformulierung - nachgeholt, sodass die Beschwerde unter Korrektur des Spruchs abzuweisen sei.
6 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der der Revisionswerber zur Zulässigkeit vorbringt, es liege sehr wohl eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis vor. Er habe die Einhaltung der Verwaltungssatzungen geltend gemacht. Es entstehe in logischer Konsequenz ein Streit mit den verantwortlichen Organen, wenn diese die Verwaltungssatzungen (hier die zwingende Befassung der Vollversammlung) missachteten. Er habe in rechtskonformer Weise die Streitentscheidungskompetenz der Agrarbehörde nach § 6 Abs. 5 StAgrGG 1985 iVm § 24 Abs. 1 der Verwaltungssatzungen geltend gemacht.
7 Nach Einleitung des Vorverfahrens durch den Verwaltungsgerichtshof brachte die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung ein, in der sie der Revision entgegen trat und Aufwandersatz beantragte. Die belangte Behörde schilderte in ihrer Revisionsbeantwortung das Verwaltungsgeschehen.
8 Der Revisionswerber brachte weitere Schriftsätze ein, in denen er unter anderem inhaltliche Ausführungen zum Ablauf von Vollversammlungen und dem Zustandekommen von Verträgen machte.
9 Im „1. Schriftsatz vom 27. Mai 2019 gemäß § 37 VwGG“ stellte er ausdrücklich folgende Anträge:
„Der Verwaltungsgerichtshof möge
(1) diesen Schriftsatz vom 27. Mai 2019 gemäß § 37 VwGG aufgrund der verfahrensleitenden Anordnung Ra 2019/07/0045 bis 0048-2 vom 19. April 2019 berücksichtigen,
(2) feststellen, dass Options- / Nutzungsvertrag vom 24.03.2004 / 07.04.2004, Options- / Nutzungsvertrag vom 08.12.2006 / 21.12.2006 und Nutzungsvertrag vom 23.10.2013 entgegen der geltenden Bestimmungen aus Verwaltungsstatut vom 26.03.1960 - Beilage E - bzw. den Verwaltungssatzungen der Agrargemeinschaft F. - Beilage F - abgeschlossen wurden und daher absolut nichtig sind,
(3) feststellen, dass das Protokoll vom 09.12.2013 - Beilage C - im Tagesordnungspunkt 2. verfälscht ist und zu lauten hat: ‚Die Vollversammlung stimmt dem Nutzungsvertrag vom 23.10.2013 nicht zu‘.
(4) feststellen, dass eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Eigentum (Art 5 StGG 1867, Art 1 1. Zusatzprotokoll zur EMRK) vorliegt, da gegen die Willensbildung (Beschluss) der Vollversammlung vom 09.12.2013 die Windenergieanlagen WEA 1, WEA 2 und WEA 3 auf der F. errichtet wurden,
(5) feststellen, dass der Abschluss des Regulierungsverfahrens, Abschlussbescheid GZ: ABBST-2F-8/1997-503 vom 28.11.2017 und Regulierungsplan GZ: ABBST-2F-8/1997-452 vom 14.12.2016 rechtswidrig erfolgte,
(6) die Wahrheit erforschen um zivilrechtliche Ansprüche auf Ersatz der verursachten Schäden und Verpflichtungen gemäß Art. 6 Abs 1 EMRK festzustellen,
(7) aufgrund der Zweckmäßigkeit eine mündliche Verhandlung durchführen.“
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann eine von der Agrarbehörde zu entscheidende Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis zu einer Agrargemeinschaft vorliegt, abgewichen ist. Sie ist auch begründet.
11 Die maßgeblichen Bestimmungen des StAgrGG 1985, die sich inhaltsgleich in den Flurverfassungs-Landesgesetzen anderer Bundesländer finden, lauten:
„Überwachung der Agrargemeinschaften
§ 6 (1) Die Agrarbehörde hat die Agrargemeinschaften zu überwachen.
...
(5) Über Streitigkeiten, die zwischen Mitgliedern einer Agrargemeinschaft und dieser oder ihren Organen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, entscheidet die Agrarbehörde.
...
Verwaltungssatzungen der Agrargemeinschaften
§ 43 ...
(2) Die Verwaltungssatzungen haben insbesondere Bestimmungen zu enthalten über
...
b) die Rechte der Mitglieder, insbesondere ihr Stimmrecht;
...
h) den Hinweis auf die Bestimmungen des § 6 Abs. 5 und des § 65 Abs. 2.“
12 Die zum Zeitpunkt des behaupteten Vertragsabschlusses in Geltung stehenden Verwaltungssatzungen der mitbeteiligten Agrargemeinschaft (Beschluss der Vollversammlung vom 19. Juli 2004, agrarbehördlich genehmigt mit Bescheid vom 21. Dezember 2004) lauten auszugsweise:
„§ 3 Rechte und Pflichten der Mitglieder
(1) Jedes Mitglied ist berechtigt, an den Nutzungen der agrargemeinschaftlichen Grundstücke im Rahmen und nach Maßgabe seines Anteilsrechtes teilzunehmen, bei der Vollversammlung sein Stimmrecht auszuüben, Anträge zu stellen, Aufklärungen zu verlangen sowie in die Jahresrechnung Einsicht zu nehmen.
...
§ 8 Wirkungskreis der Vollversammlung
Der Beschlussfassung durch die Vollversammlung unterliegen:
...
4. die Veräußerung, Belastung und Verpachtung des Gemeinschaftsgutes und gemeinschaftlicher Rechte sowie die Auflassung gemeinschaftlicher Berechtigungen;
...“
13 Die zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung in Geltung stehenden Verwaltungssatzungen der mitbeteiligten Agrargemeinschaft (Bestandteil des Regulierungsplans vom 14. Dezember 2016) lauten auszugsweise:
„§ 24 Einwendungen und Beschwerden
(1) Über Streitigkeiten, die zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft und dieser oder ihren Organen aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entstehen, wozu auch Einwendungen und Beschwerden gegen die Wahl der Gemeinschaftsfunktionäre und gegen Verfügungen der Verwaltung gehören, entscheidet - soweit hiefür nicht die ordentlichen Gerichte zuständig sind - die Aufsichtsbehörde (§ 6 Abs. 5 und § 43 Abs. 2 lit. h StAgrGG 1985 i.d.g.F).
...“
14 Das Agrargemeinschaftsmitglied hat kein subjektiv-öffentliches Recht auf Wahrnehmung der behördlichen Aufsichtsbefugnis, sondern nur ein Recht auf Wahrung seiner Mitgliedschaftsrechte, das er in einem Streit mit der Agrargemeinschaft auf dem Wege der Minderheitenbeschwerde verfolgen kann (VwGH 10.6.1999, 99/07/0054, und 27.7.2001, 98/07/0083, jeweils zu Kärnten; jüngst VwGH 14.10.2020, Ra 2018/07/0339, zum Burgenland).
15 Nicht jede Streitigkeit zwischen einem Mitglied und der Agrargemeinschaft löst ein subjektiv-öffentliches Recht auf Entscheidung durch die Agrarbehörde aus, sondern nur eine solche, die aus dem Mitgliedschaftsverhältnis entsteht (VwGH 23.2.2017, Ra 2017/07/0004, mwN; zu Kärnten).
16 Streitigkeiten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Rechte und Pflichten der Gemeinschaft gegenüber dem Mitglied, Rechte und Pflichten des Mitgliedes gegenüber der Gemeinschaft und Rechte und Pflichten des Mitgliedes gegenüber den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft zum Gegenstand haben. Gegenstand einer Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis kann nur sein, was die die Agrargemeinschaften regelnden gesetzlichen Vorschriften und die darauf gegründeten Rechtsakte, insbesondere die Satzungen, über das Mitgliedschaftsverhältnis bestimmen. Eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis liegt vor, wenn das Mitgliedschaftsverhältnis für die geltend gemachten Ansprüche dem Grunde nach bestimmend ist (vgl. VwGH 18.12.2014, 2012/07/0231, und 28.3.2019, Ra 2019/07/0011, jeweils mwN).
17 Die die Agrargemeinschaften regelnden gesetzlichen Vorschriften und die darauf gegründeten Rechtsakte, insbesondere die Satzungen, treffen zum einen Bestimmungen über die materiellen Rechte eines Mitglieds einer Agrargemeinschaft, insbesondere über die aus der Agrargemeinschaft erfließenden Nutzungen. Zum anderen beinhalten sie auch Regelungen formeller Art, die das Mitgliedschaftsverhältnis gestalten, wie z.B. die der Wahl der Organe einer Agrargemeinschaft oder die Voraussetzungen der Einberufung einer außerordentlichen Vollversammlung. Wird die Einhaltung dieser Bestimmungen durch ein Organ der Agrargemeinschaft verweigert und wird dies von anderen Mitgliedern der Agrargemeinschaft vergeblich eingefordert, so liegt eine Streitigkeit aus dem Mitgliedschaftsverhältnis vor (VwGH 13.12.2007, 2007/07/0135, zu Tirol, betreffend die verweigerte Einberufung einer außerordentlichen Vollversammlung zur Neuwahl der Organe).
18 Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber behauptet, Organe der Agrargemeinschaft hätten eine Verpachtung von Gemeinschaftsgut vorgenommen, ohne dafür einen nach den Verwaltungssatzungen erforderlichen Beschluss der Vollversammlung - in der der Revisionswerber (oder allenfalls sein Rechtsvorgänger) sein Stimmrecht hätte ausüben können - einzuholen. Er macht damit in der Sache eine Verfügung der Verwaltung geltend, die seine nach den Verwaltungssatzungen eingeräumten Rechte verletzen soll. Damit liegt ein Streit zwischen dem Mitglied der Agrargemeinschaft und deren Organen über seine Rechte aus dem - durch die Verwaltungssatzungen ausgestalteten - Mitgliedschaftsverhältnis vor.
19 Dass - wie das Verwaltungsgericht ausführt - lediglich Zweifel am satzungskonformen Handeln der Vollversammlung (!) geäußert worden wären, trifft nach dem Gesagten nicht zu. Ebenso wenig ist nach dem Inhalt des verfahrenseinleitenden Antrags, in dem der Revisionswerber die Agrarbehörde ausdrücklich (zumindest auch) in ihrer Streitschlichtungskompetenz nach § 6 Abs. 5 StAgrGG 1985 anruft und die Verletzung der Zuständigkeitsregelungen der Verwaltungssatzungen behauptet, in diesen eine bloße Aufsichtsbeschwerde - im Sinne einer Aufforderung an die Behörde, die ihr nach § 6 Abs. 1 StAgrGG 1985 eingeräumte Überwachungsbefugnis wahrzunehmen, - zu erblicken.
20 Das angefochtene Erkenntnis war somit, da es rechtsirrig von der Unzulässigkeit des verfahrenseinleitenden Antrags ausgegangen ist, gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
21 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
22 Jene Anträge, die der Revisionswerber im Schriftsatz vom 27. Mai 2019 gestellt hat, waren zurückzuweisen, weil der Verwaltungsgerichtshof im vorliegenden Verfahren gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG ausschließlich über die Rechtswidrigkeit des mit Revision bekämpften Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes zu erkennen hat. Eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes für eine originäre Entscheidung über die im Schriftsatz vom 27. Mai 2019 gestellten Feststellungsbegehren, welche an der Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht vorbeigehen, ergibt sich aus Art. 133 B-VG hingegen nicht.
Wien, am 14. September 2021
Schlagworte
Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019070046.L00Im RIS seit
18.10.2021Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021