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41/02 Passrecht FremdenrechtNorm
AsylG 2005 §34Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Dr. Kleiser und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A I, vertreten durch Mag. Hubert Wagner, Rechtsanwalt in 1130 Wien, Wattmanngasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2021, Zl. W147 2219952-1/18E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (Verwaltungsgericht) wurde dem Revisionswerber, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, in der Sache nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) der Status des Asylberechtigten aberkannt, gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme, der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt und ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Ferner wurde ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig sei.
2 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
3 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
4 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
5 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
6 In der gesonderten Zulassungsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat (vgl. für viele etwa VwGH 22.2.2021, Ra 2021/01/0047, mwN).
7 Dem Gebot der gesonderten Darstellung der Gründe nach § 28 Abs. 3 VwGG wird insbesondere dann nicht entsprochen, wenn die zur Zulässigkeit der Revision erstatteten Ausführungen der Sache nach Revisionsgründe (§ 28 Abs. 1 Z 5 VwGG) darstellen oder das Vorbringen zur Begründung der Zulässigkeit der Revision mit Ausführungen, die inhaltlich (bloß) Revisionsgründe darstellen, in einer Weise vermengt ist, dass keine gesonderte Darstellung der Zulässigkeitsgründe im Sinne der Anordnung des § 28 Abs. 3 VwGG vorliegt (vgl. etwa VwGH 24.3.2021, Ra 2021/01/0086, mwN).
8 Es entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach es bei der Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK des einem Familienangehörigen im Familienverfahren (oder nach früheren Asylgesetzen durch Asylerstreckung) zuerkannten Status des Asylberechtigten wegen Wegfalls der fluchtauslösenden Umstände darauf ankommt, ob die Umstände, auf Grund deren die Bezugsperson als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr bestehen, und es diese daher nicht weiterhin ablehnen kann, sich unter den Schutz ihres Heimatlandes zu stellen. Diese Frage hat die Behörde (im Beschwerdeverfahren: das Verwaltungsgericht) ohne Bindung an eine allfällige diesbezügliche Entscheidung im Verfahren über die Aberkennung des Asylstatus des Familienangehörigen selbständig zu beurteilen (vgl. VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0387, Rn. 16, mwN).
9 Das Verwaltungsgericht hat auf Basis seiner Feststellungen zur Situation im Herkunftsland des Revisionswerbers sowohl dargelegt, warum die Umstände, die zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten beim Vater des Revisionswerbers als hier relevante Bezugsperson geführt haben, nicht mehr bestünden, als auch verneint, dass Gründe existieren, aufgrund derer der Revisionswerber im Fall der Rückkehr in sein Heimatland selbst einer asylrechtlich relevanten Verfolgung unterläge.
10 Werden Verfahrensmängel - wie vorliegend Begründungs- und Ermittlungsmängel im Zusammenhang mit der Bedrohungslage des Revisionswerbers in seinem Heimatland - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel dargelegt werden, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise, also fallbezogen darzulegen (vgl. für viele VwGH 27.7.2020, Ra 2020/01/0130, mwN). Diesen Anforderungen wird die Revision mit ihrem pauschalen Vorbringen zur Bedrohungslage des Revisionswerbers nicht gerecht.
11 In diesem Zusammenhang richtet sich die Revision mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, „die Hintergründe und Umstände“ einer „aufrechten Bedrohung des Revisionswerbers bei einer zwangsweisen Rückkehr“ seien „begründet und nachvollziehbar dargelegt“ worden, gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes soll sich das Revisionsmodell nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers an der Revision nach den §§ 500 ff ZPO orientieren (vgl. ErläutRV 1618 BlgNR 24. GP 16). Ausgehend davon ist der Verwaltungsgerichtshof als Rechtsinstanz tätig, zur Überprüfung der Beweiswürdigung ist er im Allgemeinen nicht berufen. Auch kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besitzt. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. für viele VwGH 11.12.2019, Ra 2019/01/0465, mwN). Eine solche unvertretbare Beweiswürdigung zeigt die Revision vorliegend mit ihrem pauschalen Zulässigkeitsvorbringen nicht auf.
12 Wenn die Revision (unter Hinweis auf eine Integration des Revisionswerbers in Österreich) eine Abweichung „von der gesicherten Rechtsprechung des VwGH gerade was die Abwägung der persönlichen und familiären Interessen nach Art. 8 EMRK betrifft“ behauptet, wird zunächst nicht konkret dargelegt, von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen worden sei (vgl. VwGH 2.4.2021, Ra 2021/01/0091, Rn. 11). Darüber hinaus ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. für viele VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, mwN). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren. Insbesondere strafrechtliche Verurteilungen stellen derartige Umstände dar, die die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland und eine erfolgte Integration relativieren können, wobei in dem Zusammenhang auch länger zurückliegende Straftaten berücksichtigt werden können (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2019/19/0332, Rn. 46, mwN). Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur (selbst) eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist. Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. VwGH 16.6.2021, Ro 2021/01/0013, Rn. 15; 11.1.2021, Ra 2020/01/0295, Rn. 15, mwN; vgl. zur Beurteilung von Art. 8 EMRK im Übrigen VfGH 23.2.2021, E 4200/2020-9).
13 Vor dem Hintergrund der Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis über die vom Revisionswerber begangenen Straftaten (auf Grund derer gemäß § 7 Abs. 3 iVm § 2 Abs. 3 AsylG 2005 die Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 auch mehr als fünf Jahre nach Zuerkennung des Asylstatus zulässig ist) und den Umstand, dass der Revisionswerber mit seinem am 18. Dezember 2018 geborenen Sohn nie im gemeinsamen Haushalt gelebt hat, keinen Unterhalt leistet, seit seinem Haftantritt keinen Kontakt zu seinem Sohn hat und unter anderem keine Berufsausbildung in Österreich abgeschlossen hat, ist der durchgeführten Interessenabwägung nicht entgegenzutreten. Mit dem Hinweis im Zulässigkeitsvorbringen, der Revisionswerber sei nur wegen Jugendstraftaten und Vergehen, nicht jedoch wegen eines Verbrechens verurteilt worden, legt die Revision unter anderem angesichts der wiederholten Tatbegehung innerhalb offener Probezeit keine unvertretbare Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts dar.
14 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 20. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021010205.L00Im RIS seit
18.10.2021Zuletzt aktualisiert am
20.10.2021