TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/22 Ro 2021/09/0016

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Veröffentlicht am 22.09.2021
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
60/04 Arbeitsrecht allgemein
62 Arbeitsmarktverwaltung

Norm

ABGB §6
ABGB §7
AuslBG AnlB
AuslBG §12a idF 2018/I/094
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ro 2021/09/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der A GmbH in B und 2. des C, beide vertreten durch die Oberhammer Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Karlsplatz 3/1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28. April 2021, Zlen. W156 2239150-1/4E und W156 2239151-1/4E, betreffend Versagung der Zulassung als Fachkraft in einem Mangelberuf gemäß § 12a Ausländerbeschäftigungsgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von 1.346,40 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 26. November 2020 versagte die gemäß § 20d Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) mit dem Antrag des Zweitrevisionswerbers, einem indischen Staatsangehörigen, vom 15. Oktober 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte“ für die Beschäftigung als Koch im Gastronomieunternehmen der erstrevisionswerbenden Partei befasste vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde die Zulassung als Fachkraft in einem Mangelberuf gemäß § 12a AuslBG.

2        Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass dem Zweitrevisionswerber entsprechend der Anlage B zum AuslBG 25 Punkte für seine Qualifikation, zehn Punkte für seine ausbildungsadäquate Berufserfahrung sowie zehn Punkte für sein Alter, sohin insgesamt 45 Punkte, anzurechnen seien. Damit habe er die erforderliche Mindestpunktezahl (von 55) nicht erreicht. Bei der vom Zweitrevisionswerber absolvierten Ausbildung handle es sich nicht um eine universitäre Ausbildung, zudem könnten für die Berufserfahrung nur volle Jahre berücksichtigt werden.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für zulässig erklärt.

4        Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, dass es sich bei der vom Zweitrevisionswerber von 2006 bis 2009 absolvierten Berufsausbildung um ein dreijähriges Studium an einer tertiären Bildungseinrichtung handle, weshalb ihm hierfür 30 Punkte anzurechnen seien. Betreffend die ausbildungsadäquate Berufserfahrung könnten nur Punkte für volle Jahre der Berufserfahrung - und nur für Zeiten nach Absolvierung der Ausbildung - vergeben werden und seien restliche Zeiten nicht zu berücksichtigen; demnach würden für näher beschriebene ganzjährige Tätigkeiten in einem Ausmaß von sechs Jahren insgesamt zwölf Punkte zuzuerkennen sein. Für die weiteren geltend gemachten Monate seien keine Punkte zu vergeben, weil der Zweitrevisionswerber keine ganzen Jahre durchgehend beschäftigt gewesen sei. Mit weiteren zehn Punkten für das Alter erreiche der Zweitrevisionswerber gesamt 52 Punkte und bleibe damit hinter dem erforderlichen Minimum zurück, weshalb die in § 12a Abs. 1 Z 2 AuslBG genannte Zulassungsvoraussetzung nicht erfüllt sei. Daran ändere auch das Vorbringen, der Zweitrevisionswerber sei seit 10. Jänner 2020 durchgehend in einem näher bezeichneten Restaurant beschäftigt und habe dadurch weitere Monate an Berufserfahrung gesammelt, nichts, weil ihm wiederum nur zwei Punkte für ein volles Jahr anzurechnen seien und er auch mit 54 Punkten unter der erforderlichen Mindestpunkteanzahl von 55 Punkten liege.

5        Das Verwaltungsgericht sah außerdem von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung ab, weil der festgestellte Sachverhalt zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde hinreichend geklärt erscheine und durch die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht zu erwarten gewesen sei. Da keine Fragen der Beweiswürdigung aufgetreten seien, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätten, stehe dem Entfall der Verhandlung auch weder Art. 6 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegen.

6        Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil in Bezug auf die Rechtsfrage, ob bei der Heranziehung des Punkteschemas in Beilage B des AuslBG zwei (bzw. vier) Punkte pro Jahr Berufserfahrung nur für „volle Jahre“ der Berufserfahrung zu vergeben oder auch unterjährige Zeiträume teilweise zu berücksichtigen seien, Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehle.

7        Die revisionswerbenden Parteien begründen die Revision ergänzend mit mangelnder Rechtsprechung zur Frage, ob § 12a iVm Anlage B des AuslBG vorsehe, dass Punkte nur für ein ganzes Jahr Berufserfahrung bei einem bestimmten Arbeitgeber vergeben werden könnten, wozu sie im Wesentlichen vorbringen, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass nur für ein ganzes Jahr Berufserfahrung bei einem bestimmten Arbeitgeber zwei Punkte vergeben werden könnten; dadurch seien Dienstzeiten von insgesamt 28 Monaten bei drei Arbeitgebern, bei denen der Zweitrevisionswerber jeweils unter einem Jahr beschäftigt gewesen sei, nicht in die Bewertung eingeflossen, und überdies weitere Beschäftigungszeiten bei Arbeitgebern, bei denen der Zweitrevisionswerber über ein Jahr beschäftigt gewesen sei, nicht berücksichtigt worden. Die Interpretation, wonach über ein Jahr hinausgehende Monate oder unter einem Jahr liegende Beschäftigungszeiten nicht in die Punktebewertung einfließen könnten und dafür inexistent seien, lasse sich dem Wortlaut des Gesetzes aber nicht entnehmen.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch das Verwaltungsgericht und Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch die belangte Behörde erwogen hat:

9        Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen, auf die sich auch die Revision stützt, zulässig. Sie ist auch begründet.

10       § 12a und die Anlage B Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 idF BGBl. I Nr. 25/2011 bzw. BGBl. I Nr. 94/2018, lauten wie folgt:

„Fachkräfte in Mangelberufen

§ 12a. Ausländer werden in einem in der Fachkräfteverordnung (§ 13) festgelegten Mangelberuf zu einer Beschäftigung als Fachkraft zugelassen, wenn sie

1.   eine einschlägige abgeschlossene Berufsausbildung nachweisen können,

2.   die erforderliche Mindestpunkteanzahl für die in Anlage B angeführten Kriterien erreichen,

3.   für die beabsichtigte Beschäftigung das ihnen nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Mindestentgelt zuzüglich einer betriebsüblichen Überzahlung erhalten und

sinngemäß die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 mit Ausnahme der Z 1 erfüllt sind. Die Arbeitsmarktprüfung im Einzelfall entfällt.

...

Anlage B

Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß § 12a

Kriterien

Punkte

Qualifikation

maximal anrechenbare Punkte: 30

abgeschlossene Berufsausbildung im Mangelberuf

20

allgemeine Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120

25

Abschluss eines Studiums an einer tertiären Bildungseinrichtung mit dreijähriger Mindestdauer

30

 

 

ausbildungsadäquate Berufserfahrung

maximal anrechenbare Punkte: 20

Berufserfahrung (pro Jahr)

Berufserfahrung in Österreich (pro Jahr)

2

4

 

 

Sprachkenntnisse Deutsch

maximal anrechenbare Punkte: 15

Deutschkenntnisse zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau (A 1)

Deutschkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung (A 2)

Deutschkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung (B 1)

5

10

15

 

 

Sprachkenntnisse Englisch

maximal anrechenbare Punkte: 10

Englischkenntnisse zur vertieften elementaren Sprachverwendung (A 2)

Englischkenntnisse zur selbständigen Sprachverwendung (B 1)

5

10

 

 

Alter

maximal anrechenbare Punkte: 15

bis 30 Jahre

bis 40 Jahre

15

10

 

 

Summe der maximal anrechenbaren Punkte

90

erforderliche Mindestpunkteanzahl

55“

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch im öffentlichen Recht bei einer Interpretation nach jenen grundlegenden Regeln des Rechtsverständnisses vorzugehen, die im ABGB für den Bereich der Privatrechtsordnung normiert sind. Demnach kommt es auf die Bedeutung des Wortlautes in seinem Zusammenhang an (vgl. VwGH 31.5.2021, Ra 2019/01/0138; 23.2.2010, 2009/05/0080, mwN).

12       Aus der die Zulassungskriterien für Fachkräfte in Mangelberufen gemäß § 12a AuslBG regelnden Anlage B ergibt sich, dass einem Antragsteller maximal 20 Punkte für eine „ausbildungsadäquate Berufserfahrung“ angerechnet werden können. Pro Jahr ausbildungsadäquater Berufserfahrung sind zwei Punkte, pro Jahr ausbildungsadäquater Berufserfahrung in Österreich sind vier Punkte anzurechnen.

13       Eine „ausbildungsadäquate Berufserfahrung“ setzt ihrem Wortsinn nach voraus, dass die für die jeweilige Berufstätigkeit erforderliche Ausbildung zuvor abgeschlossen sein muss. Dem Verwaltungsgericht ist insoweit zuzustimmen, als es hinsichtlich dieses Zulassungskriteriums nur Zeiten an Berufserfahrung heranzieht, die nach Abschluss der für den Mangelberuf als Koch erforderlichen Berufsausbildung liegen.

14       Nach dem klaren Wortlaut der besagten Anlage B werden für eine solche (also ausbildungsadäquate) Berufserfahrung pro Jahr die angeführten Punkte angerechnet; die Zuerkennung aliquoter Punkteanteile für unterjährige Zeiten ist demnach nicht vorgesehen. Es gibt aber keinerlei Hinweise dafür, dass dabei ein volles Jahr Berufserfahrung bei einem einzigen Arbeitgeber absolviert werden muss, damit es berücksichtigt werden kann.

15       Daraus folgt, dass - wie in der Revision zutreffend aufgezeigt wird - sämtliche Zeiten an (ausbildungsadäquater) Berufserfahrung zusammenzurechnen und das angewendete Punktekalkül jeweils pro vollem Jahr zuzuerkennen wäre; eine (allenfalls) daraus resultierende zeitliche (unterjährige) „Restmenge“ bliebe unberücksichtigt. Die anderslautende Interpretation des Verwaltungsgerichts, dass ein volles Jahr Berufserfahrung nur dann angerechnet werden kann, wenn dieses Jahr bei ein- und demselben Arbeitgeber absolviert wird, findet keine Deckung im Gesetz. An dieser Stelle ist auch darauf hinzuweisen, dass eine Untersuchung, ob nicht etwa eine andere Auslegungsmethode einen anderen Inhalt ergeben würde, nicht möglich ist, wenn auf Grund des eindeutigen und klaren Wortlautes einer Vorschrift keine Zweifel über den Inhalt der Regelung aufkommen (vgl. noch einmal VwGH 31.5.2021, Ra 2019/01/0138).

16       Demnach hat das Verwaltungsgericht den in der Anlage B des AuslBG normierten Voraussetzungen einen rechtswidrigen Inhalt unterstellt. Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

17       Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

18       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 22. September 2021

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021090016.J00

Im RIS seit

18.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

03.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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