Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AVG §68 Abs1 implizitBeachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und die Hofrätinnen Mag. Liebhart-Mutzl und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision 1. der N GmbH in G und 2. des P N in K, beide vertreten durch die Doshi & Partner Rechtsanwälte OG in 6800 Feldkirch, Vorstadt 18, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom 23. Februar 2021, LVwG-401-3/2020-R1, betreffend Aufhebung eines Bescheides im Zusammenhang mit § 26 Abs. 6 AWG 2002 wegen entschiedener Sache (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Vorarlberg), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Den Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:
2 Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. Mai 2020 wurde festgestellt, dass aus näheren Gründen die Verlässlichkeit des Zweitrevisionswerbers als gemäß § 26 Abs. 6 AWG 2002 namhaft gemachte verantwortliche Person nicht mehr gegeben sei; es sei binnen drei Monaten eine neue verantwortliche Person namhaft zu machen.
3 Mit Schreiben vom 31. August 2020 bestritt die erstrevisionswerbende Partei gegenüber der belangten Behörde die ordnungsgemäße Zustellung des Bescheides vom 11. Mai 2020, woraufhin ihr dieser am 1. September 2020 erneut zugestellt wurde.
4 Mit Bescheid vom 29. September 2020 sprach die belangte Behörde erneut aus, dass die Verlässlichkeit des Zweitrevisionswerbers gemäß
§ 26 Abs. 6 AWG 2002 nicht mehr gegeben und binnen drei Monaten eine neue verantwortliche Person namhaft zu machen sei. Dieser Bescheid wurde der erstrevisionswerbenden Partei am 1. Oktober 2020 zugestellt und enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
5 Mit Schreiben der belangten Behörde vom 5. November 2020 wurde der erstrevisionswerbenden Partei mitgeteilt, dass dem Bescheid vom 29. September 2020 keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt gewesen sei und der Bescheid daher neuerlich zugestellt werde.
6 Mit einem mit 17. November 2020 datierten Bescheid der belangten Behörde wurde daraufhin abermals festgestellt, dass die Verlässlichkeit des Zweitrevisionswerbers gemäß § 26 Abs. 6 AWG 2002 nicht mehr gegeben und binnen drei Monaten eine neue verantwortliche Person namhaft zu machen sei. Dieser Bescheid wurde der erstrevisionswerbenden Partei am 19. November 2020 zugestellt.
7 Einer dagegen eingebrachten Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und behob den Bescheid vom 17. November 2020 wegen entschiedener Sache ersatzlos. Die Beschwerde rechnete das LVwG dabei ausschließlich der erstrevisionswerbenden Partei zu; eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es zudem für zulässig.
8 Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, die belangte Behörde habe im gegenständlichen Verfahren bei identischer Sach- und Rechtslage bereits (zumindest zweimal) einen rechtskräftigen Bescheid und durch die neuerliche Sachentscheidung einen inhaltlich rechtswidrigen Bescheid erlassen. Die Voraussetzungen des § 68 Abs. 2 bis 4 AVG lägen nicht vor, weshalb der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben sei. Die Revision sei zulässig, da Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, ob eine Person durch die amtswegige Erlassung eines inhaltsgleichen, die Person verpflichtenden, Bescheides in Rechten verletzt sein könne (Verweis auf näher bezeichnete Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, in der sich die revisionswerbenden Parteien zunächst dem Zulassungsgrund des LVwG anschließen und ergänzend geltend machen, das LVwG hätte „meritorisch entscheiden“ müssen.
10 Der Bescheid vom 11. Mai 2020 entfalte aufgrund einer mangelhaften Zustellung keine Rechtswirkung gegenüber den revisionswerbenden Parteien. Der Bescheid vom 17. November 2020 sei als zulässige Berichtigung des Bescheides vom 29. September 2020, der keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, anzusehen, zumal über die idente Sache abgesprochen worden sei. Es sei keine Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse eingetreten. Die nochmalige Erlassung des Bescheides sei nach § 68 Abs. 2 AVG zulässig und der spätere Bescheid trete zur Gänze an die Stelle des früheren. Darüber hinaus hätte das LVwG, wenn es den angefochtenen Bescheid ersatzlos als rechtswidrig behob, „konsequenterweise auch die gegen den Bescheid vom 17.11.2020 eingebrachte Beschwerde“ spruchmäßig zurückweisen müssen; eine ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ohne spruchmäßige Entscheidung über die Beschwerde sei ein Verfahrensmangel.
Die Revision ist unzulässig.
Zur Revision des Zweitrevisionswerbers:
11 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann nur der Adressat der angefochtenen Entscheidung eine mögliche Rechtsverletzung geltend machen (vgl. z.B. VwGH 2.3.2021, Ra 2018/05/0222 bis 0224, mwN). Vorliegend hat das LVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis nur über eine Beschwerde der erstrevisionswerbenden Partei abgesprochen und das Erkenntnis auch nur dieser Partei gegenüber erlassen. Dem Zweitrevisionswerber fehlt es daher an der Berechtigung zur Erhebung einer Revision, weshalb diese daher, soweit sie vom Zweitrevisionswerber erhoben wurde, bereits aus diesem Grund gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen ist.
Zur Revision der erstrevisionswerbenden Partei:
12 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
13 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
14 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat ein Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. Die vom Verwaltungsgerichtshof vorzunehmende Kontrolle einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung stützt sich für außerordentliche und ordentliche Revisionen in gleicher Weise jeweils auf eine gesonderte Darlegung der Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Revision (vgl. aus der jüngeren Rechtsprechung etwa VwGH 29.6.2021, Ro 2020/10/0014).
15 Zu dem im angefochtenen Erkenntnis geltend gemachten Grund für die Zulassung der Revision, dem sich die erstrevisionswerbende Partei in ihrer Zulässigkeitsbegründung anschließt, ist Folgendes festzuhalten:
16 Sowohl das LVwG als auch die erstrevisionswerbende Partei gehen vorliegend übereinstimmend davon aus, dass zwischen den Erlassungszeitpunkten der hier in Rede stehenden Bescheide eine Änderung der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse nicht eingetreten ist.
17 Aus § 68 AVG ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden darf (Wiederholungsverbot bzw. ne bis in idem). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Verletzt die Behörde den Grundsatz der Unwiederholbarkeit (ne bis in idem), so belastet sie nach herrschender Rechtsprechung den Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes. Ein hervorkommendes Prozesshindernis ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. zu all dem VwGH 12.9.2018, Ra 2017/17/0620, 0621, mwN, und im selben Sinn VwGH 21.4.2020, Ra 2019/09/0131, mwN, jeweils zur Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz) und alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens haben einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft (vgl. VwGH 5.3.2020, Ra 2019/15/0114, mwN). Ausgehend von der dargestellten Rechtsprechung ist die in der Zulassungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses angesprochene Rechtsfrage, nämlich ob eine Person durch die amtswegige Erlassung eines inhaltsgleichen, sie verpflichtenden Bescheides in Rechten verletzt sein kann, bereits geklärt; das LVwG ist von dieser Rechtsprechung auch nicht abgewichen. Die in der Zulassungsbegründung dazu ins Treffen geführten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 25.4.1985, 85/02/0083, 24.3.2010, 2006/06/0333 und 27.8.2013, 2011/06/0044) sind mit der vorliegenden Sachverhaltskonstellation schon insofern nicht vergleichbar, als es dort jeweils nicht - wie hier - um amtswegig erlassene, die Partei verpflichtende Bescheide ging. Darüber hinaus ist auch diesen letztgenannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu entnehmen, dass in den dortigen Fällen zurückweisende Entscheidungen der jeweiligen Behörde über die dortigen Parteibegehren wegen entschiedener Sache nicht zulässig gewesen wären (vgl. zu derartigen Sachverhaltskonstellationen etwa VwGH 24.5.2016, Ra 2016/03/0050 oder auch VwGH 28.4.2017, Ra 2017/03/0027, jeweils mwN).
18 Wenn die erstrevisionswerbende Partei zur Zulässigkeit der Revision darüber hinaus ausführt, das LVwG hätte „meritorisch“ entscheiden müssen und „die ersatzlose Behebung des angefochtenen Bescheides ohne spruchmäßige Entscheidung über die Beschwerde“ sei ein Verfahrensmangel, ist diese Argumentation bereits insofern verfehlt, als auch die - wie hier - ersatzlose Behebung eine Entscheidung in der Sache darstellt (vgl. dazu für viele etwa VwGH 4.3.2021, Ra 2020/07/0039, mwN). Aus welcher rechtlichen Überlegung heraus das LVwG zusätzlich zur Behebung des angefochtenen Bescheides mit einer Zurückweisung der Beschwerde vorgehen hätte müssen, lässt die Revision in ihren Zulässigkeitsgründen nicht erkennen.
19 Soweit die Revision zur Zulässigkeit weiters vorbringt, der Bescheid vom 17. November 2020 habe jenen vom 29. September 2020 ersetzt, und zwar „einerseits auf Grundlage des § 68 Abs. 2 AVG und andererseits aufgrund des Grundsatzes ‚lex posterior derogat legi prior‘ “, bzw. der Bescheid vom 17. November 2020 sei als gemäß § 62 AVG zulässige Berichtigung des Bescheides vom 29. September 2020 anzusehen, ist dem bereits entgegenzuhalten, dass diese Überlegungen vorliegend nicht entscheidungsrelevant sind:
20 Nach der von der Revision unbestritten gebliebenen Feststellung im angefochtenen Erkenntnis war die Zustellung des Bescheides bereits vom 11. Mai 2020 an die erstrevisionswerbende Partei jedenfalls mit Schreiben der belangten Behörde vom 1. September 2020 erfolgreich, sodass schon dieser Umstand der Erlassung eines weiteren - bei gleichbleibender Sach- und Rechtslage - inhaltsgleichen Bescheides an die erstrevisionswerbende Partei entgegenstand. Auf das Verhältnis der Bescheide vom 29. September 2020 und vom 17. November 2020 zueinander kommt es somit nicht entscheidungswesentlich an.
21 Außerdem wurde der Bescheid vom 29. September 2020 mit dem von der erstrevisionswerbenden Partei beim LVwG angefochtenen Bescheid vom 17. November 2020 weder gemäß § 68 Abs. 2 AVG aufgehoben noch abgeändert, und ist dem angefochtenen Bescheid auch weder im Spruch noch in seiner Begründung eine beabsichtigte Berichtigung des Bescheides vom 29. September 2020 gemäß § 62 AVG zu entnehmen. Zwar sind Fallkonstellationen denkbar, in denen im Zusammenhang mit einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung eines Bescheides grundsätzlich auch mit Berichtigungsbescheid vorgegangen werden kann (vgl. dazu etwa VwGH 24.4.2003, 2003/07/0008), ausgehend von einer derartigen Auslegung (die wie dargestellt dem Bescheidwillen der belangten Behörde hinsichtlich des angefochtenen Bescheides vom 17. November 2020 aber nicht zu entnehmen ist) hätte jedoch die Beschwerdefrist nicht erst mit Zustellung des Bescheides vom 17. November 2020, sondern bereits mit Zustellung des Bescheides vom 29. September 2020 zu laufen begonnen (vgl. dazu nochmals den erwähnten Beschluss VwGH 24.4.2003, 2003/07/0008). Für die Rechtsstellung der erstrevisionswerbenden Partei wäre damit - da bei einer derartigen Auslegung das LVwG die Beschwerde der erstrevisionswerbenden Partei wegen Verspätung zurückzuweisen gehabt hätte - nichts gewonnen (vgl. in diesem Sinne VwGH 2.7.1987, 86/09/0122, mwN).
22 In der Revision werden damit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher auch, soweit sie von der erstrevisionswerbenden Partei erhoben wurde, gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 28. September 2021
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021050023.J00Im RIS seit
18.10.2021Zuletzt aktualisiert am
18.10.2021