Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 23. September 2021 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Gitschthaler als weiteren Richter und durch die Rechtsanwälte Dr. Strauss und Dr. Wippel als Anwaltsrichter in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Vizthum in der Disziplinarsache gegen *, Rechtsanwältin in *, wegen der Diszplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeintächtigung von Ehre und Ansehen des Standes nach § 1 Abs 1 erster und zweiter Fall DSt über den Einspruch und die Berufung der Disziplinarbeschuldigten gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Niederösterreich vom 23. September 2019, GZ D 15/19-18, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Oberstaatsanwältin MMag. Poppenwimmer und des Kammeranwalts Dr. Winiwarter, jedoch in Abwesenheit der Disziplinarbeschuldigten zu Recht erkannt:
Spruch
Der Einspruch wird zurückgewiesen.
Der Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld wird nicht, jener wegen des Ausspruchs über die Strafe jedoch Folge gegeben und über die Beschuldigte eine Geldbuße von 2.500 Euro verhängt.
Der Disziplinarbeschuldigten fallen auch die Kosten des Berufungsverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Disziplinarbeschuldigte * der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und zu einer Geldbuße in Höhe von 3.000 Euro verurteilt.
[2] Danach hat sie am 28. August 2018 in einem an die Kanzlei des Dr. * G*, Rechtsanwalt in *, gerichteten Mail
1./ durch die Formulierung „hätten Sie wahrheitsgemäß ausgesagt“ sowie „das ist schlicht nicht glaubhaft“ Dr. G* bezichtigt, in einem Zivilverfahren die Unwahrheit ausgesagt zu haben;
2./ durch die Drohung mit einer Disziplinaranzeige bzw mit der „Einschaltung der Öffentlichkeit“ für den Fall, dass Dr. G* nicht auf Kostenersatz verzichtet, unzulässig Druck auf diesen ausgeübt, um eine unsachliche Forderung durchzusetzen.
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen die Durchführung der mündlichen Disziplinarverhandlung in ihrer Abwesenheit richtet sich der Einspruch der Disziplinarbeschuldigten; das Erkenntnis bekämpft sie mit Berufung wegen der Aussprüche über die Schuld (zur Geltendmachung von Nichtigkeitsgründen in deren Rahmen vgl RIS-Justiz RS0128656 [T1]) und (implizit: § 49 letzter Satz DSt) die Strafe.
[4] Zum Einspruch:
[5] In Abwesenheit der Beschuldigten kann gemäß § 35 DSt die Verhandlung durchgeführt und das Disziplinarerkenntnis gefällt werden, wenn sie bereits vorher Gelegenheit zur Stellungnahme hatte, ihr die Ladung ordnungsgemäß zugestellt wurde und sie dennoch ohne ausreichende Entschuldigung nicht teilnimmt.
[6] Im vorliegenden Fall wurde der Disziplinarbeschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt (Schreiben des Kammeranwalts vom 17. September 2018 in „ad ON 1“ und des Disziplinarrats vom 7. März 2019, ON 2), von welcher Möglichkeit sie auch Gebrauch machte (VH 4 und VH 6). Die Ladung zur mündlichen Disziplinarverhandlung wurde ihr am 26. August 2019 zugestellt (bei ON 9), woraufhin die Beschuldigte – ohne Vorlage eines entsprechenden Nachweises – mitteilte, der Ladung wegen eines Bandscheibenvorfalls nicht Folge leisten zu können, jedoch gegen eine Verhandlung in Abwesenheit keinen Einwand zu erheben (ON 12).
[7] Da die Einspruchswerberin die Entschuldigung nicht bescheinigte (vgl aber Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 35 DSt Rz 5), keine Vertagung beantragte, sondern sich vielmehr mit einer Verhandlung in Abwesenheit einverstanden erklärte (vgl RIS-Justiz RS0057027 [T4]) und auch – wie dargelegt – die weiteren Voraussetzungen vorlagen, war der Disziplinarrat gemäß § 35 erster Satz DSt zur Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit berechtigt.
[8] Der Einspruch war daher gemäß § 35 letzter Satz DSt iVm § 427 Abs 3 StPO zurückzuweisen.
[9] Zur Berufung:
[10] Ein Rechtsanwalt ist nach § 9 Abs 1 zweiter Satz RAO befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen und ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten. Mit der genannten Bestimmung wird verhindert, dass durch gesetzliche oder standesrechtliche Bestimmungen die Vertretungsmöglichkeiten des Rechtsanwalts zu Lasten seines Mandanten unangemessen verkürzt werden. Hält sich der Rechtsanwalt an den aufgezeigten Rahmen, so besteht für seine Vorgangsweise ein Rechtfertigungsgrund (Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 9 Rz 14 f; RIS-Justiz RS0031998 [T3]).
[11] Allerdings darf der Rechtsanwalt nach § 17 zweiter und dritter Satz RL-BA 2015 nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Ehre und Ansehen des Standes vereinbar sind. Er darf weder Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgen, noch nicht sachbezogene Maßnahmen ankündigen oder anwenden.
[12] Soweit sich die Rechtsmittelwerberin darauf beruft, lediglich im Auftrag ihrer Mandantin gehandelt zu haben, übersieht sie, dass ein Rechtsanwalt Aufträge, durch welche Ehre und Ansehen des Standes verletzt werden oder die mit seinen Berufspflichten nicht vereinbar sind, nicht annehmen darf (RIS-Justiz RS0109302, RS0109309). Ein entsprechender Auftrag kann weder die Androhung einer Veröffentlichung und Befassung der Rechtsanwaltskammer (vgl RIS-Justiz RS0055886, RS0055970, RS0072439) noch den Vorwurf der Falschaussage gegenüber dem gegnerischen Rechtsanwalt (Engelhart in Engelhart/Hoffmann/ Lehner/Rohregger/Vitek, RAO10 § 21 RL-BA 2015 Rz 9 f; vgl auch RIS-Justiz RS0055348) rechtfertigen. Im Übrigen zeigt sich letztere Beschuldigung zudem – mit Blick auf das bereits rechtskräftig abgeschlossene Zivilverfahren – als der Anspruchsdurchsetzung nicht dienlich und auch solcherart nicht gerechtfertigt (vgl RIS-Justiz RS0072230).
[13] Mit dem umfangreichen Vorbringen zum den gegenständlichen Äußerungen vorausgehenden Besitzstörungsverfahren unter Wiederholung der gegen den gegnerischen Rechtsanwalt erhobenen Vorwürfe zeigt die Beschwerdeführerin weder eine dem Disziplinarerkenntnis anhaftende Nichtigkeit auf noch gelingt es ihr, Bedenken gegen den in der angefochtenen Entscheidung vom Disziplinarrat festgestellten Sachverhalt zu wecken.
[14] Der Berufung der Disziplinarbeschuldigten wegen des Ausspruchs über die Schuld war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur ein Erfolg zu versagen.
[15] Zu einer amtswegigen Maßnahme nach § 77 Abs 3 DSt iVm § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO sah sich der Oberste Gerichtshof jedoch nicht veranlasst.
[16] Eine Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes setzt nämlich eine Tatsachenbasis voraus, wonach das Fehlverhalten der Beschuldigten entsprechende Publizitätswirkung entfaltet hätte oder die Verfehlung so schwerwiegend wäre, dass bereits mit einer auf wenige Personen beschränkten Kenntnis die Gefahr einer Minderung der Wertschätzung des Ansehens des Anwaltsstands verbunden ist (RIS-Justiz RS0054876, RS0055086, vgl sogar 13 Bkd 1/04; Lehner in Engelhart/Hoffmann/Lehner/ Rohregger/Vitek, RAO10 § 1 DSt Rz 12 f).
[17] Die von der Disziplinarbeschuldigten erhobenen Vorwürfe waren ebenso wie die damit verbundene Drohung mit einer Disziplinaranzeige bzw mit der „Einschaltung der Öffentlichkeit“ in einem an die allgemeine Kanzleiadresse von Dr. * G* gerichteten E-Mail enthalten, sodass das Erkenntnis zu Recht davon ausgegangen ist, dass dieses Mail nicht nur Dr. G* sondern zumindest auch dessen Kanzleipersonal zur Kenntnis gelangte (ES 4). Das Fehlverhalten der Disziplinarbeschuldigten ist als derart schwerwiegend einzustufen, dass selbst mit einer nur auf wenige Personen beschränkten Kenntnis die Gefahr der Beeinträchtigung von Ehre oder Ansehen des Standes verbunden ist. Damit musste die Disziplinarbeschuldigte auch rechnen, wenn sie die Vorwürfe und Drohungen nicht etwa in einem zur persönlichen Eröffnung bestimmten und per Post übermittelten Schreiben sondern in einem an die allgemeine Kanzleiadresse von Dr. * G* gerichteten Mail anführte (vgl 22 Os 5/15y).
[18] Wenngleich die vom Disziplinarrat verhängte Geldbuße von 3.000 Euro dem Tatunrecht sowie der Täterschuld entspricht und auch den offenbar als durchschnittlich angenommenen finanziellen Verhältnissen der Beschuldigten Rechnung trägt, war der implizit erhobenen Berufung dahin Folge zu geben, dass angesichts der Verfahrensdauer von über zwei Jahren bis zur nunmehrigen Erledigung (§ 34 Abs 2 StPO) eine solche in Höhe von 2.500 Euro verhängt wird (vgl RIS-Justiz RS0114926).
[19] Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 54 Abs 5 DSt.
Textnummer
E132858European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:E132858Im RIS seit
18.10.2021Zuletzt aktualisiert am
16.02.2022