TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/20 W147 1257172-4

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Veröffentlicht am 20.04.2021
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Entscheidungsdatum

20.04.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W147 1257172-4/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KANHÄUSER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH in 1020 Wien, Leopold-Moses-Gasse 4, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Mai 2019, Zl. 742554306/171361980, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25. März 2021, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. wird gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation sowie § 57 AsylG 2005 BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 70/2015, § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017, iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I BGBl. I Nr. 87/2012 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, und § 46 Fremdenpolizeigesetz (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, § 52 Abs. 2 Z 3 und Abs. 9 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2019, § 55 Abs. 1 bis 3 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 68/2013, als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 138/2017, iVm § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. Nr. 1/1930 in der Fassung BGBl. I Nr. 22/2018, nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, reiste am 21. Dezember 2014 zusammen mit seinen Eltern und drei Geschwistern unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein. Seine Mutter brachte als gesetzliche Vertretung des Beschwerdeführers am selben Tag einen Asylantrag für diesen ein.

2. Mit Bescheid des ehemaligen Bundesasylamtes vom 9. Jänner 2006, Zl. 04 25.543-BAT wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG 1997) idgF BGBl I Nr. 101/2003, abgewiesen und festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 8 Absatz 1 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 101/2003 zulässig ist. Gemäß § 8 Absatz 2 AsylG 1997 idF BGBl I Nr. 101/2003 wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Russische Föderation ausgewiesen.

3. Nach erfolgtem Berufungsverfahren wurde dem Beschwerdeführer mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juni 2006, Zl. 257.172/1-IX/49/06, gemäß § 7 iVm § 10 Abs. 2 AsylG Asyl gewährt und gemäß § 12 leg. cit. festgestellt, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

4. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX zu XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen nach § 229 Abs. 1 StGB, § 223 Abs. 1 StGB und §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB verurteilt (Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren).

5. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX zu Zahl XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen § 241e Abs. 3 StGB, §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 129 Abs. 1 Z 2, 130 Abs. 1 130 Abs. 2 2. Fall StGB, §§ 146, 147 Abs. 1 Z 2 StGB und § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 16 Monate bedingt, verurteilt.

6. Am 13. März 2018 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein seines damaligen Rechtsvertreters und einer Dolmetscherin für die russische Sprache zur Sachverhaltsabklärung einer möglichen Aberkennung im Sinne des § 7 Asylgesetz 2005 einvernommen.

Im Wesentlichen gab der Beschwerdeführer an, dass er sein Verhalten bereue und im Begriff sei eine Arbeitsstelle zu erlangen. Im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat befürchte der Beschwerdeführer eine schwierige Situation, da er niemanden kenne.

7. Mit weiterem Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX zu Zahl XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens nach § 164 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwei Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

8. Am 11. Mai 2019 wurde der Beschwerdeführer in Untersuchungshaft genommen.

9. Mit Aktenvermerk vom 16. Mai 2019 leitete die belangte Behörde das nunmehrige Aberkennungsverfahren gegen den Beschwerdeführer ein. Es würden sich Anhaltspunkte ergeben, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten infolge des Wegfalls der Umstände, die zur Zuerkennung geführt hätten, nicht mehr vorliegen. Auch die Lage im Herkunftsstaat habe sich wesentlich geändert. Da der Beschwerdeführer straffällig geworden sei, sei die Fünfjahresfrist nicht zu berücksichtigten.

10. Mit Eingabe vom 23. Mai 2019 verständigte die Staatsanwaltschaft XXXX die belangte Behörde von der gegen den Beschwerdeführer erhobenen Anklage wegen § 12 3. Fall StGB, §§ 127, 129 Abs. 2 Z 1 StGB.

11. Am 24. Mai 2019 wurde der Beschwerdeführer abermals von der belangten Behörde in der Justizvollzugsanstalt niederschriftlich zur Prüfung eines Aberkennungsverfahrens in der deutschen Sprache einvernommen.

Im Rahmen der Einvernahme gab der Beschwerdeführer inhaltlich im Wesentlichen die gleichen Antworten wie im Zuge der ersten niederschriftlichen Einvernahme am 13. März 2018 wieder. Befragt zu seiner Muttersprache antwortete der Beschwerdeführer, dass seine Muttersprache Tschetschenisch sei, er aber auch Deutsch, Russisch, Englisch und ein wenig Türkisch spreche. Er sei gesund und werde in der Haft zu arbeiten beginnen. Der Beschwerdeführer sei als Kleinkind nach Österreich gekommen und habe die Volksschule und Hauptschule besucht. Im Anschluss habe er das Polytechnikum absolviert und habe dann zu arbeiten begonnen. Zu den Angehörigen im Heimatland befragt, antwortete der Beschwerdeführer, dass er Angehörige habe, diese aber nicht kenne.

Seine Rückkehrbefürchtungen seien vor allem, dass er niemanden im Herkunftsstaat kenne und fast sein ganzes Leben in Österreich verbracht habe. In Österreich lebe der Beschwerdeführer zusammen mit seinen zwei kleineren Geschwistern bei seinen Eltern.

12. Ebenfalls am 24. Mai 2019 gab XXXX die rechtsfreundliche Vertretung des Beschwerdeführers bekannt.

13. Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juni 2006, Zl. 257.172/1-IX/49/06, zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Absatz 1 Ziffer 2 Asylgesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF., aberkannt. Gemäß § 7 Absatz 4 AsylG 2005 wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.).

Unter Spruchpunkt II. wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Absatz 1 Ziffer 2 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt.

Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 4 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Unter Spruchpunkt VII. wurde gemäß § 53 Absatz 1 iVm Absatz 2 Ziffer 6 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Nach allgemeinen Feststellungen zur Lage in der Russischen Föderation und nach Wiedergabe des Verfahrensganges hielt die belangte Behörde zur Begründung ihrer Entscheidung im Wesentlichen fest, dass die Gründe für die Zuerkennung des Asylstatus nicht mehr vorliegen würden und der Beschwerdeführer auch auf Nachfragen des Organwalters nichts vorgebracht habe, was eine aktuell vorliegende Gefährdung des Beschwerdeführers annehmen ließe. Das Vorbringen des Beschwerdeführers biete auch keinen Hinweis darauf, dass wohlbegründete Furcht aus einem in der GFK genannten Gründe aktuell bestehe. Aufgrund der mehrfachen Verurteilungen sei auch keine positive Zukunftsprognose möglich.

In Bezug auf das Privat-und Familienleben des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde in ihrer Entscheidung aus, dass der Beschwerdeführer laut einem aktuellen ZMR-Auszug nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit seiner Familie lebe und keine besonderen Bindungen feststellbar gewesen seien. Hinsichtlich des Privatlebens stellte die belangte Behörde fest, dass der Beschwerdeführer keine nennenswerten Bindungen bzw. Verfestigungen in der Gesellschaft habe. Auch seien im Verfahren keine Ansatzpunkte hervorgetreten, die die Vermutung einer besonderen Integration des Beschwerdeführers in Österreich rechtfertigen würden.

14. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom 29. Mai 2019 wurde dem Beschwerdeführer für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht die „ARGE-Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenberatung, Wattgasse 48/3. Stock, 1170 Wien“ als Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

15. Mit Schriftsatz vom 2. Juli 2019 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht verfahrensgegenständliche Beschwerde gegen den genannten Bescheid und focht diesen zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung an.

16. Die Beschwerdevorlage der belangten Behörde vom 10. Juli 2019 langte am XXXX beim Bundesverwaltungsgericht ein.

17. Mit E-Mail der belangten Behörde vom 15. Juli 2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Haftmeldezettel des Beschwerdeführers ein.

18. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 25. Juli 2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht das Urteil des Landesgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX ein, wonach der Beschwerdeführer von der Anklage wegen des Verbrechens des Diebstahls durch Einbruch in eine Wohnstätte nach §§ 127, 129 Abs. 2 Z 1 StGB freigesprochen wurde.

19. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 4. November 2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX über den Beschwerdeführer vom 3. November 2019 wegen Verdacht auf Körperverletzung in der Justizvollzugsanstalt ein.

20. Die belangte Behörde übermittelte mit E-Mail vom 7. November 2019 dem Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft XXXX wider den Beschwerdeführer wegen § 83 Abs. 1 StGB.

21. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 18. November 2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Verständigung der Behörde von der Hauptverhandlung vom XXXX , ein.

22. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 9. Jänner 2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht eine Verständigung der Behörde von der Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft XXXX wider den Beschwerdeführer wegen § 27 Abs. 1 SMG ein.

23. Mit E-Mail vom 7. Februar 2020 übermittelte die belangte Behörde das am XXXX zu der Zahl XXXX ergangene Urteil des zuständigen Bezirksgerichtes. Der Beschwerdeführer wurde wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von drei Monaten verurteilt.

24. Mit Schreiben der belangten Behörde vom 8. Mai 2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Verständigung von einer rechtskräftigen Verurteilung des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX , XXXX , wegen § 229 Abs. 1 StGB ein.

25. Mit am 29. September 2020 beim Bundesverwaltungsgericht einlangender E-Mail übermittelte die belangte Behörde einen Abschlussbericht der zuständigen Landespolizeidirektion wegen des Verdachts des Verstoßes des Beschwerdeführers wegen § 27 Abs. 1 SMG.

26. Mit E-Mail der belangten Behörde vom 30. Juli 2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Haftmeldezettel des Beschwerdeführers ein.

27. Mit Verfügung vom 7. Oktober 2020 trat die Staatsanwaltschaft XXXX von der Verfolgung des Beschwerdeführers wegen § 27 Abs. 1 SMG vorläufig zurück.

28. Mit E-Mail vom 11. Dezember 2020 übermittelte die belangte Behörde die Verständigung des Bezirksgerichtes XXXX von der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom XXXX , XXXX , wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG sowie dem damit verbundenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht / bedingten Entlassung.

29. Mit E-Mail vom XXXX übermittelte die belangte Behörde die Verständigung des Bezirksgerichtes XXXX von der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers vom XXXX , XXXX , wegen § 115 Abs. 1 StGB iVm § 117 Abs. 2 StGB sowie dem damit verbundenen Beschluss auf Absehen vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht / bedingten Entlassung.

30. Mit E-Mail der belangten Behörde vom 26. Februar 2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht der Haftmeldezettel des Beschwerdeführers ein.

31. Mit Eingabe vom 9. März 2021 langte die Bekanntgabe der Vollmachtsauflösung des bisherigen Rechtsvertreters des Beschwerdeführers beim Bundesverwaltungsgericht ein.

32. Am 25. März 2021 fand zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache und des nunmehrigen Rechtsvertreters eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher der Beschwerdeführer zu Familien- und Privatleben, seinem Gesundheitszustand sowie zu allfälligen Integrationsaspekten befragt wurde. Die belangte Behörde gab mit E-Mail vom 1. März 2021 ihren Verzicht an der Teilnahme an der Beschwerdeverhandlung bekannt.

33. Mit Schriftsatz vom 29. März 2021 nahm der Beschwerdeführer zu den im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegten Länderfeststellungen zur aktuellen Situation in der Russischen Föderation Stellung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat zur vorliegenden Beschwerde wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Auf Grundlage der Verwaltungsakte der belangten Behörde und der herangezogenen Hintergrundberichte zur aktuellen relevanten Lage in der Russischen Föderation wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes Folgendes festgestellt:

1.1. Der volljährige Beschwerdeführer, dessen Identität feststeht, ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig sowie muslimischen Glaubens.

Der damals minderjährige Beschwerdeführer reiste am 21. Dezember 2004 gemeinsam mit seinen Eltern und drei Geschwistern unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag durch seine Mutter als gesetzliche Vertretung einen Asylantrag. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. Juni 2006, Zl. 257.172/1-IX/49/06, wurde dem Beschwerdeführer im Wege des Familienverfahrens der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

In Österreich leben die Eltern des Beschwerdeführers und seine Geschwister, die allesamt zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sind. Der Beschwerdeführer hat zu seinen Familienangehörigen Kontakt und wohnt bei seinen Eltern. Dem im Jahr XXXX geborenen Bruder des Beschwerdeführers wurde aufgrund mehrfacher rechtskräftiger Verurteilungen mit rechtskräftigem Bescheid der belangten Behörde der Status des Asylberechtigten aberkannt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und ein Einreiseverbot erlassen. Dieser Bruder ist seit XXXX in einer Justizvollzugsanstalt inhaftiert.

Der Beschwerdeführer ist mit seiner Lebensgefährtin, die über die österreichische Staatsbürgerschaft verfügt, nach islamischem Ritus verheiratet. Gemeinsame Kinder haben sie nicht.

Zu keinem der genannten Angehörigen liegt ein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis vor.

1.2. Der Beschwerdeführer hat in Österreich die Volksschule, die Hauptschule und danach die Polytechnische Schule besucht. Der Beschwerdeführer verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse und spricht neben Tschetschenisch, Russisch, Englisch und ein wenig Türkisch. Der Beschwerdeführer hat keine Berufsausbildung in Österreich begonnen bzw. abgeschlossen. Im Gefängnis beschäftigt sich der Beschwerdeführer mit Holzkunst und Tischlerarbeiten.

1.3. Der Beschwerdeführer leidet unter keiner akuten oder lebensbedrohlichen psychischen oder physischen Erkrankung.

1.4. Gegenwärtig befindet sich der Beschwerdeführer in Strafhaft.

Der Beschwerdeführer wurde im Bundesgebiet wiederholt straffällig und scheinen folgende Verurteilungen im Strafregisterauszug auf:

1) Landesgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , § 229 Abs. 1 StGB, § 223 Abs. 1 StGB, §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1 StGB, Datum der (letzten) Tat XXXX , Schuldspruch unter Vorbehalt der Strafe, Probezeit 3 Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe, Jugendstraftat

2) Landesgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , § 241e Abs. 3 StGB, §§ 127, 129 Abs. 1 Z 1, 129 Abs. 1 Z 2, 130 Abs. 1 1. Fall, 130 Abs. 2 2. Fall StGB § 15 StGB, §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 StGB § 12 3. Fall StGB, § 142 Abs. 1 StGB, Datum der (letzten) Tat XXXX , Freiheitsstrafe 24 Monate, davon Freiheitsstrafe 16 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe, Straffestsetzung zum Schuldspruch von Landesgericht XXXX , XXXX , rechtskräftig am XXXX , Jugendstraftat

zu Landesgericht XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , Aus der Freiheitsstrafe entlassen am XXXX , Probezeit 3 Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe, Landesgericht XXXX , XXXX vom XXXX

zu Landesgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , Probezeit der bedingten Entlassung verlängert auf insgesamt 5 Jahre, Bezirksgericht XXXX , XXXX vom XXXX

zu Landesgericht XXXX , XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , Probezeit des bedingten Strafteils verlängert auf insgesamt 5 Jahre, Landesgericht XXXX , XXXX vom XXXX

3) Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX , § 164 Abs. 1 StGB, Datum der (letzten) Tat XXXX , Freiheitsstrafe 2 Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Anordnung der Bewährungshilfe, Jugendstraftat

zu Bezirksgericht XXXX , rechtskräftig am XXXX , wurde die Probezeit auf insgesamt 5 Jahre mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX , verlängert.

4) Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX wegen § 83 Abs. 1 StGB, Datum der (letzten) Tat 27. Juli 2019, Freiheitsstrafe 3 Monate, Junge(r) Erwachsene(r), Vollzugsdatum XXXX

05) Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX wegen § 229 StGB, Datum der (letzten) Tat XXXX , Datum der (letzten) Tat XXXX , keine Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , Junge(r) Erwachsene(r), Vollzugsdatum XXXX

06) Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX wegen §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG, Datum der (letzten) Tat XXXX , keine Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , Junge(r) Erwachsene(r), Vollzugsdatum XXXX

07) Bezirksgericht XXXX , vom XXXX , rechtskräftig am XXXX wegen § 115 Abs. 1 iVm § 117 Abs. 2 StGB, Datum der (letzten) Tat XXXX , Freiheitsstrafe Monate, bedingt, Probezeit 3 Jahre, Junge(r) Erwachsene(r).

1.5. Der Beschwerdeführer hat sich in keinen Vereinen betätigt, ist keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen und verfügt naturgemäß über soziale Anknüpfungspunkte in Österreich in Form eines Freundeskreises, wobei das Bestehen enger Bindungen nicht hervorgekommen ist.

1.6. Eine den Beschwerdeführer betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in dessen gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.7. Nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer in Tschetschenien respektive der Russischen Föderation aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten bedroht wäre. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in der Russischen Föderation festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer ist aufgrund der Angehörigeneigenschaft zu seinem Vater keiner Verfolgung durch die Behörden seines Herkunftsstaates ausgesetzt. Ein derartiges Risiko besteht weder im Nordkaukasus, noch in anderen Landesteilen der Russischen Föderation. Der Beschwerdeführer hat den Herkunftsstaat im Kindesalter verlassen, und war nie einer individuellen Verfolgung ausgesetzt.

1.8. Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Tschetschenien respektive in die Russische Föderation in seinem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wäre. Der Beschwerdeführer liefe dort nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Der Beschwerdeführer spricht Tschetschenisch auf muttersprachlichem Niveau, Englisch und zudem spricht er zumindest grundlegend Russisch. Der Beschwerdeführer, welcher sein Heimatland im Alter von vier Jahren verlassen hat, leidet an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Erkrankungen. Im Herkunftsland verfügt der Beschwerdeführer über Verwandte (Großmutter, Groß-Tante väterlicherseits, Groß-Tante mütterlicherseits und Tante).

1.9. Hinsichtlich der relevanten Situation in der Russischen Föderation, insbesondere Tschetschenien, wird zunächst prinzipiell auf die im Akt einliegenden und dem Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgehaltenen Länderfeststellungen verwiesen.

Zur aktuellen politischen und menschenrechtlichen Situation in der Russischen Föderation werden insbesondere folgende Feststellungen getroffen:

Politische Lage

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 2.2020c, vgl. CIA 28.2.2020). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weit reichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 2.2020a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 2.2020a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018, vgl. FH 4.2.2019). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der [derzeitigen] Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt (GIZ 2.2020a). Der Föderationsrat ist als „obere Parlamentskammer“ das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt. Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c).

Im Jänner 2020 kündigte Präsident Putin bei seiner Neujahrsrede Verfassungsänderungen an. Daraufhin trat die Regierung unter Ministerpräsident Medwedew zurück (Spiegel Online 15.1.2020). Kurz darauf wurde Putins Kandidat Michail Mischustin, der zehn Jahre lang Leiter der russischen Steuerbehörde war, von der Duma zum neuen Ministerpräsident gewählt (Spiegel Online 16.1.2020). Dmitrij Medwedew wird Vizevorsitzender im Sicherheitsrat. Die angestrebte Verfassungsänderung ist ein umfangreicher Maßnahmenkatalog, bei dem es sich laut Putin um von der Gesellschaft geforderte Veränderungen handelt (Spiegel Online 15.1.2020). Das Volk wird über die Verfassungsänderungen abstimmen, um diese zu legitimieren (NZZ 19.3.2020), jedoch wird die Abstimmung aufgrund der Corona-Pandemie vom geplanten Termin im April nach hinten verschoben (ORF.at 25.3.2020). Vorgesehen ist nicht nur eine Ausweitung der Machtbefugnisse des Präsidenten. Putin soll nach einem Votum der Abgeordneten auch die Möglichkeit haben, sich noch einmal für maximal zwei Amtszeiten zu bewerben – er könnte also bei Wiederwahl bis 2036 im Amt bleiben. Nach bisheriger Verfassung könnte er 2024 nicht mehr antreten. Kritiker und Oppositionelle werfen Putin einen Staatsstreich vor. Das Verfassungsgericht hat den Änderungen bereits zugestimmt (NZZ 19.3.2020).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern; die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 2.2020a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016, vgl. Global Security 21.9.2016). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht infrage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018).

Russland ist eine Föderation, die (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) aus 85 Föderationssubjekten mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 2.2020a, vgl. AA 2.3.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 2.2020a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 2.2020a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei künftig nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer "smarten Abstimmung" aufgerufen. Die Bürgerinnen sollten jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (2.3.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 10.3.2020

-        CIA – Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/rs.html, Zugriff 10.3.2020

-        EASO – European Asylum Support Office (3.2017): COI-Report Russian Federation - State Actors of Protection, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1489999668_easocoi-russia-state-actors-of-protection.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.2.2019): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2018 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002603.html, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020a): Russland, Geschichte und Staat, https://www.liportal.de/russland/geschichte-staat/#c17836, Zugriff 10.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020c): Russland, Gesellschaft, https://www.liportal.de/russland/gesellschaft/, Zugriff 10.3.2020

-        Global Security (21.9.2016): Duma Election - 18 September 2016, https://www.globalsecurity.org/military/world/russia/politics-2016.htm, Zugriff 10.3.2020

-        Kleine Zeitung (28.7.2019): Mehr als 1.300 Festnahmen bei Kundgebung in Moskau, https://www.kleinezeitung.at/politik/5666169/Russland_Mehr-als-1300-Festnahmen-bei-Kundgebung-in-Moskau, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (19.3.2020): Putin hält trotz Coronavirus-Krise an der Verfassungsabstimmung fest, https://www.nzz.ch/international/coronavirus-in-russland-krise-ueberschattet-verfassungsabstimmung-ld.1547213, Zugriff 26.3.2020

-        ORF.at (25.3.2020): Putin verschiebt Abstimmung über Verfassungsänderung, https://orf.at/stories/3159340/, Zugriff 26.3.2020

-        ORF – Observer Research Foundation (18.9.2019): Managing democracy in Russia: Elections 2019, https://www.orfonline.org/expert-speak/managing-democracy-in-russia-elections-2019-55603/, Zugriff 10.3.2020

-        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights (18.3.2018): Russian Federation Presidential Election Observation Mission Final Report, https://www.osce.org/odihr/elections/383577?download=true, Zugriff 10.3.2020

-        Presse.at (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020

-        RIA Nowosti (23.9.2016): ??? ???????? ?????????? ??????? ? ???????, https://ria.ru/20160923/1477668197.html, Zugriff 10.3.2020

-        Spiegel Online (15.1.2020): Putins Operation Machterhalt, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-putins-operation-machterhalt-a-aafe31f8-54b2-4d38-9bf4-6e613e586b96, Zugriff 2.3.2020

-        Spiegel Online (16.1.2020): Michail Mischustin ist neuer Premierminister Russlands, https://www.spiegel.de/politik/ausland/russland-michail-mischustin-ist-neuer-premierminister-a-1b3bd2eb-bc42-43cf-9033-25c8221cc7ed, Zugriff 2.3.2020

-        Standard.at (19.3.2018): Putin sichert sich vierte Amtszeit als Russlands Präsident, https://derstandard.at/2000076383332/Putin-sichert-sich-vierte-Amtszeit-als-Praesident, Zugriff 10.3.2020

-        Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020

-        Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020

Tschetschenien

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte von ihnen Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 12.2019).

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019, FH 4.3.2020). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den russlandweiten Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen. Auch im Vorfeld der Wahlen hatte Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 12.2019, vgl. AA 13.2.2019). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen der Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 4.3.2020, vgl. AA 13.2.2019). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 4.3.2020).

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute „föderale Machtvertikale“ dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum „inneren Ausland“ Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        FH – Freedom House (4.3.2020): Jahresbericht zu politischen Rechten und bürgerlichen Freiheiten im Jahr 2019 - Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2025879.html, Zugriff 5.3.2020

-        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): Jahresbericht zur Menschenrechtssituation im Jahr 2019 – Russland, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022681.html, Zugriff 3.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (29.6.2019): Die Nordkaukasus-Republik Inguschetien ist innerlich zerrissen, https://www.nzz.ch/international/nordkaukasus-inguschetien-nach-protesten-innerlich-zerrissen-ld.1492435, Zugriff 11.3.2020

-        ÖB Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (3.2018): Tschetscheniens Stellung in der Russischen Föderation. Ramsan Kadyrows Privatstaat und Wladimir Putins föderale Machtvertikale, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2018S01_hlb.pdf, Zugriff 10.3.2020

Dagestan

Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten besser gestellt als Tschetschenien, bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019, vgl. ÖB Moskau 12.2019).

Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 13.2.2019). Ebenso existiert – anders als in der Nachbarrepublik – zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Die Bewohner Dagestans sind hinsichtlich persönlicher Freiheit besser gestellt, und auch die Menschenrechtslage ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 13.2.2019), obwohl auch in Dagestan mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 13.2.2019, vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan – und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht – Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018).

Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende Nordkaukasus-Republik auszubeuten. Kurz vorher waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018, vgl. Standard.at 5.2.2018).

Quellen:

-        AA - Auswärtiges Amt (13.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/1458482/4598_1551701623_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-russischen-foederation-stand-dezember-2018-13-02-2019.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/, Zugriff 10.3.2020

-        Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system-opposition, Zugriff 10.3.2020

-        NZZ – Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351, Zugriff 10.3.2020

-        ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau (12.2019): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2025975/RUSS_%C3%96B_Bericht_2019_12.pdf, Zugriff 10.3.2020

-        Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-dagestan-festgenommen, Zugriff 10.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 10.3.2020

Sicherheitslage

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, GIZ 2.2020d, EDA 19.3.2020). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 19.3.2020a, vgl. BMeiA 19.3.2020, EDA 19.3.2020). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 19.3.2020).

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS (Islamischer Staat) kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

Quellen:

-        AA – Auswärtiges Amt (19.3.2020a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/russischefoederationsicherheit/201536#content_0, Zugriff 19.3.2020

-        BMeiA (19.3.2020): Reiseinformation Russische Föderation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/russische-foederation/, Zugriff 19.3.2020

-        Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 19.3.2020

-        EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (19.3.2020): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html, Zugriff 19.3.2020

-        GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 19.3.2020

-        SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 19.3.2020

Nordkaukasus

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits, weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind (AA 13.2.2019). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff „low level insurgency“ umschrieben (SWP 4.2017).

Das Kaukasus-Emirat, das seit 2007 den islamistischen Untergrundkampf im Nordkaukasus koordiniert, ist seit Ende 2014 durch das Überlaufen einiger Feldkommandeure zum sog. IS von Spaltungstendenzen erschüttert und geschwächt (SWP 10.2015, vgl. ÖB Moskau 12.2019). Der IS verstärkte 2015 seine russischsprachige Propaganda in Internet-Foren wie Furat Media, ohne dass die Behörden laut Nowaja Gazeta diesem Treiben große Aufmerksamkeit widmeten. Am 23. Juni 2015 rief der IS-Sprecher Muhammad al-Adnani ein „Wilajat Kavkaz“, eine „Provinz Kaukasus“, als Teil des IS-Kalifats aus. Es war ein propagandistischer Akt, der nicht bedeutet, dass der IS in dieser Region militärisch präsent ist oder sie gar kontrolliert, der aber den zunehmenden Einfluss dieser Terrormiliz auf die islamistische Szene im Nordkaukasus symbolisiert. Zuvor hatten mehr und mehr ideologische und militärische Führer des Kaukasus-Emirats dem „Kalifen“ Abu Bakr al-Baghdadi die Treue geschworen und sich von al-Qaida abgewandt. Damit bestätigte sich im islamistischen Untergrund im Nordkaukasus ein Trend, dem zuvor schon Dschihad-Netzwerke in Nordafrika, Jemen, Pakistan und Afghanistan gefolgt waren (SWP 10.2015).

Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sog. IS, die mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt haben soll. Dabei sorgt nicht nur Propaganda und Rekrutierung des IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist (ÖB Moskau 12.2019). 2018 erzielten die Strafverfolgungsbehörden maßgebliche Erfolge, die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen wurde mehr als halbiert. Sechs Terroranschläge wurden verhindert und insgesamt 50 Terroristen getötet. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Der größte Anteil an Gewalt im Nordkaukasus entfällt weiterhin auf Dagestan und Tschetschenien (ÖB Moskau 12.2019).

Im Jahr 2018 sank die Gesamtzahl der Opfer des bewaffneten Konflikts im Nordkaukasus gegenüber 2017 um 38,3%, und zwar von 175 auf 108 Personen. Von allen Regionen des Föderationskreis

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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