TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/6 W105 2193184-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.07.2021
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Entscheidungsdatum

06.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs2
AsylG 2005 §57
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs4

Spruch


W105 2193184-2/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.10.2019, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 25.05.2014 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Am 26.05.2014 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt. Befragt, warum er seinen Herkunftsstaat verlassen habe, antwortete der BF, dass sein Vater von Al Shabaab umgebracht worden sei. Es herrsche in Somalia seit Jahren Bürgerkrieg und die Miliz habe gedroht auch ihn zu töten.

Am 04.06.2016 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) im Beisein einer Dolmetscherin für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei änderte der BF sein im Rahmen der Erstbefragung genanntes Geburtsdatum auf den XXXX ab.

3.1. Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 04.11.2016, XXXX , wurde der BF wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und der teils versuchten Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB iVm § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bedingt unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

3.2. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22.09.2017, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Hinsichtlich XXXX wurde die bedingte Strafnachsicht (acht Monate) widerrufen.

3.3. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.12.2017, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15 Abs. 1, 75 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und acht Monaten verurteilt und gemäß § 21 Abs. 2 StGB eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

3.4. Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 21.11.2018, XXXX , wurde der Berufung des BF gegen zuvor genanntes Urteil nicht Folge geleistet und der Beschluss gefasst, vom Widerruf der im Verfahren XXXX des Landesgerichtes Leoben gewährten bedingen Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre abzusehen.

4. Am 30.01.2018 wurde der BF vor dem BFA im Beisein eines Dolmetschers für die somalische Sprache niederschriftlich einvernommen. Dabei erklärte er zunächst, dass seine bisher getätigten niederschriftlichen Angaben der Wahrheit entsprechen würden. Er gehöre dem Clan der Midgan an und stamme aus dem Bezirk Daynile in Mogadischu. In Somalia habe der BF seinen Lebensunterhalt als Autowäscher erwirtschaftet. Seine Mutter, ein Bruder und eine Schwester würden sich noch immer in Mogadischu aufhalten, der BF stehe aber in keinem Kontakt mit diesen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der BF an, sein Clan unterliege in Somalia zahlreichen Diskriminierungen. Sein Vater sei Schuhmacher gewesen und sei mehrmals von Al Shabaab aufgefordert worden, sich der Miliz anzuschließen. Nachdem er dieses Ansinnen mehrmals abgelehnt habe, sei er von Mitgliedern der Al Shabaab im Jahr 2011 an seinem Arbeitsplatz getötet worden. Anschließend seien Mitglieder der Al Shabaab mehrmals zu ihm nachhause gekommen, um den BF zu rekrutieren, jedoch habe ihn seine Mutter im Haus der Nachbarn versteckt. Daraufhin habe Al Shabaab ihm gedroht sie würden ihn – wie seinen Vater zuvor – töten, sollte er sich weigern sich der Miliz anzuschließen. Daraufhin habe der BF Somalia im Jahr 2012 über die Grenze zu Äthiopien verlassen.

5. Mit Bescheid des BFA vom 20.03.2018, Zl. XXXX , wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen festgelegt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 habe der BF sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 11.01.2017 verloren (Spruchpunkt VII.).

Das BFA traf umfassende herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Somalia, stellte die Identität des BF nicht fest und begründete im angefochtenen Bescheid die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft sei. Weiters wurde festgestellt, dass dem BF im Fall der Rückkehr nach Somalia keine Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder der Todesstrafe sowie seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt drohen würde. Abschließend begründete das BFA seine Rückkehrentscheidung.

6. Gegen den oben genannten Bescheid vom 20.03.2018 wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, in welcher begründend ausgeführt wurde, dass das Vorbringen des BF glaubhaft sei. Sein Vater sei von Al Shabaab getötet worden und auch nach ihm selbst sei gesucht worden, wobei ihm damit gedroht worden sei, ihn zu töten. Weiters gehöre er einem Minderheitenclan an, der in Somalia zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt sei. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass der bestehende Arztbrief aus der Justizanstalt, in der sich der Beschwerdeführer derzeit befinde, eine äußerst bedenkliche gesundheitliche Situation des BF zeige. Der Krankengeschichte lasse sich die Feststellung entnehmen, dass es sich beim BF um eine emotional instabile Persönlichkeit handle, die auch bereits einen Suizidversuch unternommen habe. Es sei daher davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK ausgesetzt sei.

7. Mit Erkenntnis vom 29.05.2019, Zl. XXXX , wies das Bundesverwaltungsgericht in der Folge die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab.

8. Mit Verfügung vom 01.08.2019 teilte das BFA dem BF mit, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung iVm einem unbefristeten Einreiseverbot, in eventu die Erlassung eines Schubhaftbescheides beabsichtigt sei. Unter einem wurde dem BF eine Frist von zwei Wochen zur Einbringung einer Stellungnahme eingeräumt.

9. Mit Bescheid des BFA vom 25.10.2019, Zl. XXXX , wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG erlassen (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung nach Somalia gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z. 5 FPG gegen ihn ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 18 Abs. 2 Z. 1 BFA-VG wurde einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt V.).

Begründend wurde zusammenfassend festgestellt, dass sich keine Anhaltspunkte ergeben hätten, dass dem BF ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG zu erteilen wäre. Im Falle des BF liege keine tiefergehende Integration vor, sondern wäre er im Gegenteil massiv straffällig geworden. Er habe das Verbrechen des versuchten Mordes sowie das Vergehen der schweren Sachbeschädigung begangen. Er sei nie berufstätig gewesen oder habe eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausgeübt. Er verfüge im Bundesgebiet abseits der Justizanstalt Stein über keinen angemeldeten Wohnsitz. Zu Österreich bestünden keine familiären oder sozialen Bindungen. Es bestünden familiäre Bindungen zu seinem Heimatland Somalia, da seine Kernfamilie in Mogadischu lebe. Er sei nicht erwerbstätig und stehe in keinem Ausbildungsverhältnis. Er verfüge über kein Einkommen und sei nicht auf Dauer selbsterhaltungsfähig. Die persönlichen, sozialen und privaten Interessen am Verbleib im Bundesgebiet seien wegen der Schwere und mehrmaligen Wiederholungen der vom BF begangenen Straftaten einem geordneten Fremdenwesen unterzuordnen. Er habe einen Sachverhalt gesetzt, der die Dauer eines unbefristeten Einreiseverbotes begründe.

Weiters traf das BFA Länderfeststellungen zur Situation im Herkunftsstaat des BF.

10. Mit Verfahrensordnung vom 28.10.2019 wurde dem BF für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht ein Rechtsberater zur Seite gestellt.

11. Mit Schriftsatz vom 21.11.2019 erhob der BF gegen diesen Bescheid Beschwerde und führte begründend zusammenfassend aus, dass er im Jahr 2012 aus seinem Herkunftsland ausgereist und seit 2014 in Österreich aufhältig sei. Er könne aufgrund seiner Straftaten auf keinen familiären Rückhalt in Somalia hoffen und wäre gesellschaftlich ein absoluter Außenseiter, sodass er sich mangels sozialer Unterstützung kein normales Leben in Somalia aufbauen könnte. Eine Reintegration wäre für ihn in Somalia aufgrund seiner starken Entwurzelung kaum möglich. Er bereue seine in Österreich begangenen Straftaten zutiefst. Hinzu komme, dass der Arztbrief aus der Justizanstalt eine äußerst bedenkliche gesundheitliche Situation des BF zeige und lasse sich diesem entnehmen, dass es sich beim BF um eine emotional instabile Persönlichkeit handle, die auch einen Suizidversuch hinter sich habe. Er wäre im Falle seiner Rückkehr nach Somalia mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer Verletzung seiner Rechte gemäß Art. 3 EMRK ausgesetzt. Ohne seine Straftaten verharmlosen zu wolle, sei im Falle des BF nicht die Schwere und Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu erkennen, die automatisch die Erlassung des Einreiseverbotes der maximalen Dauer verhältnismäßig als geboten erscheinen lasse. Es sei zu berücksichtigen, dass er sich vor dem Strafgericht teilweise geständig gezeigt habe und erst 22 Jahre alt sei. Auch bereue er seine Taten zutiefst und habe sich in Haft bisher vorbildlich gezeigt. Die überwiegende Ursache seiner strafgerichtlichen Verurteilungen sei in seiner langjährigen Drogen-und Alkoholsucht zu sowie in einer Persönlichkeitsstörung zu finden. Er stelle den Antrag, 1.) den angefochtenen Bescheid ersatzlos zu beheben; 2.) die Rückkehrentscheidung aufzuheben; 3.) die Abschiebung nach Somalia für unzulässig zu erklären; 4.) das Einreiseverbot zur Gänze zu beheben; 5.) in eventu die Dauer des Einreiseverbotes auf ein verhältnismäßiges Maß zu reduzieren.

Beigefügt wurden dem Beschwerdeschriftsatz folgende Unterlagen:

?        Vollmacht für VMÖ

?        Suchantrag auf die Familie

?        Krankengeschichte des BF

?        Medikamentenübersicht

?        Bestätigung betreffend den Besuch des Deutschkurses A1 von ISOP

12. Die Beschwerde und der Verwaltungsakt sind beim Bundesverwaltungsgericht am 03.12.2019 vorgelegt.

13. Mit Verfügung vom 14.04.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt zu Somalia vom 31.03.2021 und räumte ihm die Gelegenheit zur Abgabe einer Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung ein.

14. Mit Stellungnahme vom 28.04.2021, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 29.04.2021, brachte der BF zusammenfassend vor, dass er dem Clan der Midgan angehöre, dessen Mitglieder diskriminiert und unterdrückt würden. Als Angehöriger der Midgan sei es ihm im Falle seiner Rückkehr nicht möglich, Clanschutz und Aufnahme durch den Clan sicherzustellen. Er verfüge zudem in Mogadischu über keine Familienmitglieder, die ihn im Falle einer Rückkehr aufnehmen oder wirtschaftlich unterstützen könnten. Darüber hinaus leide er an einer schweren psychischen Erkrankung und nehme eine Vielzahl an Medikamenten, was ihm im Falle einer Rückkehr vulnerabler machen würde. Er habe auch bereits einen Suizidversuch hinter sich und sei deshalb auf Medikamente und psychologische Betreuung angewiesen. Er befinde sich seit nunmehr 7 Jahren in Österreich und könne sich nicht mehr mit der Kultur seines Heimatlandes identifizieren. Eine Rückkehr wäre ihm nicht zumutbar und würde er in eine ausweglose Situation geraten. Es wäre ihm nicht möglich, Zugang zu medizinischer Behandlung zu bekommen und sei die derzeitige Lage in Somalia aufgrund der Covid-19 Pandemie als äußerst kritisch zu bezeichnen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der BF ist Staatsangehöriger von Somalia und gehört dem Minderheitenclan der Midgan an. Er bekennt sich zum muslimischen Glauben.

Der BF reiste im 2012 illegal aus Somalia nach Kenia aus, reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 25.05.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Vor seiner Ausreise lebte der BF in Mogadischu im Bezirk Daynile. In Somalia arbeitete der BF als Autowäscher. Die Ehefrau, die Mutter, eine Schwester und ein Bruder des BF leben in Mogadischu. Der BF steht in keinem Kontakt zu seinen in Somalia lebenden Verwandten.

Mit Urteil des Landesgerichtes Leoben vom 04.11.2016, XXXX , wurde der BF wegen der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB, der Sachbeschädigung nach § 125 StGB, des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und des Vergehens der teils versuchten Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB iVm § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bedingt und unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 22.09.2017, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Hinsichtlich XXXX wurde die bedingte Strafnachsicht (acht Monate) widerrufen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.12.2017, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15 Abs. 1, 75 StGB und des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und acht Monaten verurteilt und gemäß § 21 Abs. 2 StGB eine Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher angeordnet.

Der BF hat versucht zwei Personen vorsätzlich zu töten, indem er die Tür ihres Zimmers im ersten Stock der Asylunterkunft mit dem einzigen Schlüssel von außen versperrte und anschließend eine Winterjacke in Brand setzte, die er vor der Tür ablegte, wodurch der Türstock und das Türblatt in Brand gerieten und Rauch in das Zimmer eindrang. Es blieb beim Versuch, weil andere Hausbewohner den Brand löschten und die Türe von außen aufbrachen. Weiters hat der BF eine fremde Sache dadurch beschädigt, dass er vor der von ihm versperrten Türe zu dem Zimmer im ersten Stock der Asylunterkunft eine Winterjacke in Brand setzte, die er vor der Tür ablegte, wodurch der Türstock und das Türblatt in Brand gerieten und wodurch ein nicht näher bekannter – EUR 5.000,00 – nicht übersteigender Schaden eintrat.

Als mildernd wurde der Umstand, dass es betreffend die Verbrechen des Mordes beim Versuch blieb sowie eine reduzierte Dispositions- und Diskretionsfähigkeit gewertet, erschwerend das Zusammentreffen von zwei Verbrechen und eines Vergehens, die Tatwiederholung betreffend das Vergehen der Sachbeschädigung, der rasche Rückfall, die Delinquenz während offener Probezeit sowie dass durch eine einschlägige Vorstrafe belastete Vorleben gewertet.

Mit Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 21.11.2018, XXXX , wurde der Berufung des BF gegen zuvor genanntes Urteil nicht Folge geleistet, womit dieses in Rechtskraft erwuchs.

Der BF leugnet, dass er die Opfer töten wollte. Der BF ist aufgrund der Schwere seiner Straftat und seines Persönlichkeitsbildes als Gefahr für die Allgemeinheit einzuschätzen.

Der BF befindet sich derzeit in Strafhaft.

Der BF verfügt über keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich. Der BF ist in Österreich nie einer Arbeit nachgegangen und bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung des Bundes. Der Aufenthalt des BF ist nicht rechtmäßig.

Der BF besuchte einen Deutschkurs auf Niveau A1.

Der BF leidet unter einer psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol/Abhängigkeitssyndrom (ICD-10: F 10.0), einer Störung der Impulskontrolle (F 63.9) und einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit impulsiven Anteilen (ICD-10: F 63.3), weshalb er Medikamente einnimmt.

In Somalia gibt es fünf Zentren zur Betreuung psychischer Erkrankungen. Diese befinden sich in Berbera, Bossaso, Garoowe, Hargeysa und Mogadischu. Allerdings arbeiten insgesamt nur drei Psychiater an diesen Einrichtungen.

Der BF weist in Österreich abseits des besuchten Sprachkurses keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in beruflicher oder gesellschaftlicher Hinsicht auf. Er verfügt in Österreich über keine Sozial- und Krankenversicherung und geht keiner erlaubten und gemeldeten Erwerbstätigkeit nach.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Im Folgenden werden die wesentlichen Feststellungen aus dem vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betreffend Somalia (LIB vom 31.03.2021) auszugsweise wiedergegeben:

Letzte Änderung: 29.03.2021

Covid-19

Zwischen 19.3.2020 und 2.1.2021 wurden über 81.000 Menschen getestet, knapp 4.700 waren infiziert (HIPS 2021, S.24). Im August 2020 wurde der internationale Flugverkehr wieder aufgenommen (PGN 10.2020, S.9).

Regeln zum social distancing oder auch Präventionsmaßnahmen wurden kaum berücksichtigt (HIPS 2021, S.24). Trotz Warnungen wurden Moscheen durchgehend – ohne Besucherbeschränkung – offengehalten (DEVEX 13.8.2020). Mitte Feber 2021 warnte die Gesundheitsministerin vor einer Rückkehr der Pandemie. Die Zahl an Neuinfektionen und Toten stieg an (Sahan 16.2.2021b). Ende Feber 2021 wurden alle Demonstrationen in Mogadischu verboten, da eine neue Welle von Covid-19 eingetreten war. Zwischen 1. und 24. Feber verzeichnete Somalia mehr als ein Drittel aller Covid-19-Todesopfer der gesamten Pandemie (PGN 2.2021, S.16). Testungen sind so gut wie inexistent. Die offiziellen Todeszahlen sind niedrig, das wahre Ausmaß wird aber wohl nie wirklich bekannt werden (STC 4.2.2021). Die Zahl an Infektionen dürfte höher liegen, als offiziell bekannt. Viele potenziell Infizierte melden sich nicht, da sie eine gesellschaftliche Stigmatisierung fürchten (UNFPA 12.2020, S.1). Auch, dass es in Spitälern kaum Kapazitäten für Covid-19-Patienten gibt, ist ein Grund dafür, warum viele sich gar nicht erst testen lassen wollen – ein Test birgt für die Menschen keinen Vorteil (DEVEX 13.8.2020). Mit Stand 9.3.2021 waren in Somalia 4.544 aktive Fälle registriert, insgesamt 319 Personen waren verstorben. Seit Beginn der Pandemie waren nur 84.278 Tests durchgeführt worden (ACDC 9.3.2021).

Die informellen Zahlen zur Verbreitung von Covid-19 in Somalia und Somaliland sind also um ein Vielfaches höher als die offiziellen. Einerseits sind die Regierungen nicht in der Lage, breitflächig Tests (es gibt insgesamt nur 14 Labore) oder gar Contact-Tracing durchzuführen. Gleichzeitig behindern Stigma und Desinformation die Bekämpfung von Covid-19 in Somalia und Somaliland. Mit dem Virus geht eine Stigmatisierung jener einher, die infiziert sind, als infiziert gelten oder aber infiziert waren. Mancherorts werden selbst Menschen, die Masken tragen, als infiziert gebrandmarkt. Die Angst vor einer Stigmatisierung und die damit verbundene Angst vor ökonomischen Folgen sind der Hauptgrund, warum so wenige Menschen getestet werden. Es wird berichtet, dass z.B. Menschen bei (vormals) Infizierten nicht mehr einkaufen würden. IDPs werden vielerorts von der Gastgemeinde gemieden – aus Angst vor Ansteckung. Dies hat auch zum Verlust von Arbeitsplätzen – z. B. als Haushaltshilfen – geführt. Dabei fällt es gerade auch IDPs schwer, Präventionsmaßnahmen umzusetzen. Sie leben oft in Armut und in dicht bevölkerten Lagern, und es mangelt an Wasser (DEVEX 13.8.2020).

Somalia ist eines jener Länder, dass hinsichtlich des Umgangs mit der Pandemie die geringsten Kapazitäten aufweist (UNFPA 12.2020, S.1). Humanitäre Partner haben schon im April 2020 für einen Plan zur Eindämmung von Covid-19 insgesamt 256 Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt (UNSC 13.11.2020, Abs.51). UNSOS unterstützt medizinische Einrichtungen, stellt Ausrüstung zur Bekämpfung der Pandemie zur Verfügung. Bis Anfang Juni konnten die UN und AMISOM eine substanzielle Zahl an Behandlungsplätzen schaffen (darunter auch Betten zur Intensivpflege) (UNSC 13.8.2020, Abs.69). Trotzdem gibt es nur ein speziell für Covid-19-Patienten zugewiesenes Spital, das Martini Hospital in Mogadischu. Dieses ist unterbesetzt und schlecht ausgerüstet; von 150 Betten verfügen nur 11 über ein Beatmungsgerät und Sauerstoffversorgung (Sahan 25.2.2021c). In ganz Somalia und Somaliland gab es im August 2020 für Covid-Patienten nur 24 Intensivbetten (DEVEX 13.8.2020). Es gibt so gut wie keine präventiven Maßnahmen und Einrichtungen. Menschen, die an Covid-19 erkranken, bleibt der Ausweg in ein Privatspital – wenn sie sich das leisten können (Sahan 25.2.2021c). Der türkische Rote Halbmond hat Somalia im Feber 2021 weitere zehn Beatmungsgeräte zukommen lassen (AAG 26.2.2021). Im März 2021 spendete die Dahabshil Group dem Staat Sauerstoffverdichter, mit denen insgesamt 250 Patienten versorgt werden können. Die Firma übernimmt auch die technische Instandhaltung (Sahan 11.3.2021). Insgesamt bleiben Test- und Behandlungsmöglichkeiten für Covid-19-Infizierte aber beschränkt (UNFPA 12.2020, S.1).

Nachdem die Bildungsinstitutionen ihre Arbeit wieder aufgenommen hatten, sind nicht alle Kinder zurück in die Schule gekommen. Dies liegt an finanziellen Hürden, an der Angst vor einer Infektion, aber auch daran, dass Kinder zur Arbeit eingesetzt werden. Außerdem zeigt eine Studie aus Puntland, dass die Zahl an Frühehen zugenommen hat. Gleichzeitig wurden Immunisierungskampagnen und auch Ernährungsprogramme unterbrochen. Manche Gesundheitseinrichtungen sind teilweise nur eingeschränkt aktiv – nicht zuletzt, weil viele Menschen diese aufgrund von Ängsten nicht in Anspruch nehmen; der Patientenzustrom hat sich in der Pandemie verringert (UNFPA 12.2020, V-VI).

Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen (IPC 3.2021, S.2; vgl. UNFPA 12.2020). Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (IPC 3.2021, S.2). Auch der Export von Vieh – der wichtigste Wirtschaftszweig – ist wegen der Pandemie zurückgegangen (UNFPA 12.2020, S.1).

Internationale und nationale Flüge operieren uneingeschränkt. Ankommende müssen am Aden Adde International Airport in Mogadischu und auch am Egal International Airport in Hargeysa einen negativen Covid-19-Test vorweisen, der nicht älter als vier Tage ist. Wie in Mogadischu mit Personen umgegangen wird, welche diese Vorgabe nicht erfüllen, ist unbekannt. Möglicherweise werden diese zusätzlich getestet und in Quarantäne geschickt. In Hargeysa werden Personen ohne Test auf eigene Kosten in eine von der Regierung benannte Unterkunft zur zweiwöchigen Selbstisolation geschickt. Die Landverbindungen zwischen Dschibuti und Somaliland wurden wieder geöffnet, der Hafen in Berbera ist in Betrieb (GW 12.2.2021).

Restaurants, Hotels, Bars und Geschäfte sind offen, es gelten Hygienemaßnahmen und solche zum Social Distancing. Die Maßnahmen außerhalb Mogadischus können variieren. Es kann jederzeit geschehen, dass Behörden Covid-Maßnahmen kurzfristig verschärfen (GW 12.2.2021).

Politische Lage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 29.03.2021

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 2.4.2020, S.5). Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, S.4).

Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs.78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 2.4.2020, S.4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (FH 4.3.2020a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, S.33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 4.3.2020a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 11.3.2020, S.24). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).

Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 2.4.2020, S.6; vgl. ÖB 3.2020, S.2; USDOS 11.3.2020, S.1). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Abs.5). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Abs.6). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, S.34/40).

Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 11.3.2020, S.24). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 2.4.2020, S.6; vgl. USDOS 11.3.2020, S.24). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 11.3.2020, S.1). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, S.11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, S.20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 2.4.2020, S.4; vgl. BS 2020, S.20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 11.3.2020, S.26; vgl. ÖB 3.2020, S.3; BS 2020, S.11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, S.3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, S.20).

Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021). Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, S.11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 11.3.2020, S.23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 2.4.2020, S.5f). Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Abs.7). Und es kam im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten. Das vereinbarte Modell entspricht in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Abs.2f; vgl. FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC 13.11.2020, Abs.21). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Abs.88).

Politische Lage: Allerdings hat sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed „Madobe“, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vgl. FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vgl. ECFR 16.2.2021). Damit verfügt Somalia über keine legitime Regierung mehr. Allerdings weigert sich Farmaajo sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021). Er hofft offenbar darauf, dass das Parlament Artikel 53 des Wahlgesetzes in Kraft setzt, wonach Wahlen ausgesetzt und die Amtszeit der Regierung im Katastrophenfall um sechs Monate verlängert würde. Die Covid-19-Pandemie bietet hier einen Vorwand (BMLV 25.2.2021).

Die Führer von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vgl. Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, erkennen Farmaajo nicht mehr als Präsidenten an (Sahan 9.2.2021b; vgl. IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Die Allianz aus Oppositionsparteien sprach sich für die Bildung einer Übergangsregierung aus (FP 10.2.2021). Somalia befindet sich somit in einer schweren Verfassungs- und politischen Krise (Sahan 9.2.2021a). Das Versagen, einen Kompromiss zu finden, hat nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021). Es besteht die Angst, dass Präsident Farmaajo durch das Festklammern an der Macht einen neuen Bürgerkrieg auslösen könnte (SG 8.2.2021). Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vgl. UNSOM 2.3.2021).

Föderalisierung: Auch wenn diese Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, S.10; vgl. AI 13.2.2020, S.13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, S.13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S.55f).

Die Fortschritte der Jahre 2012-2016 wurden von der Regierung Farmaajo weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden solle, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vgl. ECFR 16.2.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt (Sahan 11.2.2021b).

Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Die entstandene Pattsituation zwischen Bund und Ländern hat anfangs zum Stillstand bei wichtigen Fragen geführt – etwa hinsichtlich der Wahlen, der Verfassung und der Sicherheit (UNSC 13.2.2020, Abs.6). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).

Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, S.41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).

Sicherheitslage und Situation in den unterschiedlichen Gebieten

Letzte Änderung: 29.03.2021

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen (ACLED 2021). Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus. Zusätzlich gibt es in Süd-/Zentralsomalia große Gebiete, wo unterschiedliche Parteien Einfluss ausüben; oder die von niemandem kontrolliert werden; oder deren Situation unklar ist (LIFOS 9.4.2019, S.6).

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 29.03.2021

Die Sicherheitslage bleibt instabil (BS 2020, S.38) bzw. volatil, mit durchschnittlich 285 sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Monat. Die meisten Vorfälle waren Angriffe der al Shabaab, darunter auch Sprengstoffanschläge (UNSC 17.2.2021, Abs.13). Die österreichische Botschaft spricht in diesem Zusammenhang von einem bewaffneten Konflikt (ÖB 3.2020, S.2), während das deutsche Auswärtige Amt von Bürgerkrieg und bürgerkriegsähnlichen Zuständen berichtet (AA 2.4.2020, S.4/7).

AMISOM hält in Kooperation mit der somalischen Armee, regionalen Sicherheitskräften sowie mit regionalen und lokalen Milizen die Kontrolle über die seit 2012 eroberten Gebiete. Während die somalische Regierung und ihre Alliierten zwar im Großen und Ganzen territoriale Gewinne verzeichnen und die Kontrolle über die meisten Städte halten können, ist es ihnen nicht gelungen, die Kontrolle in ländliche Gebiete auszudehnen (BS 2020, S.6). Die somalische Regierung und AMISOM können keinen Schutz vor allgemeiner oder terroristischer Kriminalität im Land garantieren (AA 3.12.2020). Generell ist die Regierung nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen. Dafür ist sie in erster Linie auf AMISOM, aber auch auf Unterstützung durch die USA – angewiesen. Dies wird sich in den nächsten Jahren nicht ändern (IP 1.11.2019; vgl. BS 2020, S.11). Weiterhin führt der Konflikt unter Beteiligung der genannten Parteien zu zivilen Todesopfern, Verletzten und Vertriebenen (USDOS 11.3.2020, S.1; vgl. ÖB 3.2020, S.2).

Trend: Im Zeitraum von Anfang 2018 bis zum Ende 2020 gab es hunderte terroristische Vorfälle. In den Jahren 2018 und 2019 war die Zahl an Vorfällen zunächst rückläufig – v.a. wegen der intensivierten Operationen gegen al Shabaab. Die Gruppe konnte dabei aus einigen strategisch wichtigen Punkten vertrieben werden – etwa von den fünf Shabelle-Brücken zwischen Sabid Anoole und Janaale (Sahan 11.2.2021a). Dadurch und durch verstärkte Sicherheitsmaßnahmen in Mogadischu konnte al Shabaab auch nur mehr selten Sprengstoffanschläge mit Fahrzeugen durchführen. Die Zahl an zivilen Opfern durch Sprengstoffanschläge ging demnach 2020 gegenüber 2019 um 50% zurück (UNSC 17.2.2021, Abs.13). Im Jahr 2020 haben sich aber zuletzt die Angriffe auf somalische Kräfte und AMISOM wieder gemehrt (Sahan 11.2.2021a; vgl. JF 28.7.2020). Dies kann direkt mit den politischen Streitigkeiten zwischen Bund und Bundesstaaten in Zusammenhang gebracht werden, da dadurch für den Kampf gegen al Shabaab notwendige Ressourcen umgeleitet wurden (Sahan 11.2.2021a). Aufgrund des politischen Streits rund um das Ende der Präsidentschaft Farmajos ist die Sicherheitslage in einer Abwärtsspirale. Sicherheitskräfte haben teilweise seit Monaten keinen Sold erhalten und halten sich in Mogadischu und anderen Landesteilen an der Bevölkerung schadlos (SG 8.2.2021). Auch der politische Streit selbst hat das Potenzial, zu einem bewaffneten Konflikt zu eskalieren. Viele Sicherheitskräfte sind v. a. ihrem Kommandanten oder ihrem Clan gegenüber loyal. So kann nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition Bewaffnete ins Feld stellen (Reuters 19.2.2021).

Laut Einschätzung eines Experten kann ein weiteres Zurückdrängen von al Shabaab durch AMISOM auf der aktuellen Grundlage nicht erwartet werden (BMLV 25.2.2021). In Lower Juba und Lower Shabelle kommt es nur noch sporadisch zu Störoperationen gegen al Shabaab (UNSC 13.11.2020, Abs.60). In der Vergangenheit hat die Bundesarmee wiederholt dabei versagt, von AMISOM geräumte Gebiete auch tatsächlich abzusichern (UNSC 1.11.2019, S.24). Trotzdem berät AMISOM die Übergabe weiterer Forward Operating Bases (FOBs) an die somalische Armee bzw. die Aufgabe einzelner FOBs (UNSC 13.11.2020, Abs.61).

Ein Vordringen größerer Kampfverbände der al Shabaab in unter Kontrolle der Regierung stehende Städte kommt nur in seltenen Fällen vor. Bisher wurden solche Penetrationen innert Stunden durch AMISOM und somalische Verbündete beendet. Eine Infiltration der Städte durch verdeckte Akteure von al Shabaab kommt in manchen Städten vor. Städte mit konsolidierter Sicherheit – i.d.R. mit Stützpunkten von Armee und AMISOM – können von al Shabaab zwar angegriffen, aber nicht eingenommen werden (BMLV 25.2.2021).

Al Shabaab führt nach wie vor eine effektive Rebellion (USDOS 10.6.2020, S.5). Al Shabaab bleibt die signifikanteste Bedrohung für Frieden und Sicherheit. Die Gruppe führt ihren Kampf mit zunehmender Intensität und Häufigkeit. Die Angriffe auf sogenannten high-profile-Ziele in Mogadischu und anderswo wurden verstärkt (HIPS 2021, S.20). Angegriffen werden Regierungseinrichtungen, Behördenmitarbeiter, Sicherheitskräfte, internationale Partner und öffentliche Plätze – z.B. Restaurants und Hotels (FIS 7.8.2020, S.25; vgl. AA 3.12.2020). Al Shabaab führt weiterhin regelmäßige Angriffe auf Regierungsstellungen durch. Vor allem der Korridor Mogadischu–Merka ist für Angriffe anfällig (PGN 10.2020, S.2). Die Kriegsführung der al Shabaab erfolgt weitgehend asymmetrisch mit sog. hit-and-run-attacks, Attentaten, Sprengstoffanschlägen und Granatangriffen. Das Gros der Angriffe wird mit niedriger Intensität bewertet – jedoch sind die Angriffe zahlreich, zerstörerisch und kühn (JF 28.7.2020). Al Shabaab bleibt zudem weiterhin in der Lage, z.B. in Mogadischu koordinierte Angriffe durchzuführen. Die Zahl an Mörserangriffen ist zurückgegangen. Derartige Angriffe richten sich in erster Linie gegen AMISOM und regionale Sicherheitskräfte in Lower Juba, Lower Shabelle und Middle Shabelle (UNSC 13.11.2020, Abs.12), aber auch in Hiiraan und Benadir (UNSC 13.8.2020, Abs.19). Hingegen hat die Zahl an Selbstmordattentaten zugenommen. Es kommt auch weiterhin zu sogenannten komplexen Angriffen, etwa am 16.8.2020 auf das Elite Hotel in Mogadischu mit zwanzig Todesopfern oder am 17.8.2020 auf einen Stützpunkt der somalischen Armee in Goof Gaduud Burey (Bay) (UNSC 13.11.2020, Abs.14).

Kampfhandlungen: Al Shabaab greift die Bundesarmee und AMISOM weiterhin an, bei durchschnittlich 140 Angriffen pro Monat. Dabei handelt es sich meist um sogenannte hit-and-run-Angriffe. Im Zeitraum November 2020 bis Feber 2021 waren davon die Regionen Lower und Middle Shabelle, Benadir, Bay, Hiiraan, Bakool, Lower Juba, Gedo, Galgaduud und Mudug betroffen (UNSC 17.2.2021, Abs.15). Bei Kampfhandlungen gegen al Shabaab, aber auch zwischen Clans oder Sicherheitskräften kommt es zur Vertreibung, Verletzung oder Tötung von Zivilisten (HRW 14.1.2020). In Teilen Süd-/Zentralsomalias (südlich von Puntland) kommt es zu örtlich begrenzten Kampfhandlungen zwischen somalischen Sicherheitskräften/Milizen bzw. AMISOM (African Union Mission in Somalia) und al Shabaab (AA 2.4.2020, S.18; vgl. AA 3.12.2020). Dies betrifft insbesondere die Regionen Lower Juba, Gedo, Bay, Bakool sowie Lower und Middle Shabelle (AA 2.4.2020, S.18). Der durch AMISOM und die somalische Armee in der Region Lower Shabelle auf al Shabaab ausgeübte militärische Druck hat dazu beigetragen, dass die Gruppe ihre Aktivitäten in HirShabelle und Galmudug verstärkt hat (UNSC 13.11.2020, Abs.15). Zivilisten sind insbesondere in Frontbereichen, wo Gebietswechsel vollzogen werden, einem Risiko von Racheaktionen durch al Shabaab oder aber von Regierungskräften ausgesetzt (LIFOS 3.7.2019, S.22). Die Bezirke Merka, Qoryooley und Afgooye sind nach wie vor stark von Gewalt betroffen, das Gebiet zwischen diesen Städten liegt im Fokus von al Shabaab (BMLV 25.2.2021).

Immer wieder überrennt al Shabaab kurzfristig kleinere Orte oder Stützpunkte - etwa Daynuunay oder Goof Gaduud im Bereich Baidoa - um sich nach wenigen Stunden oder Tagen wieder zurückzuziehen (PGN 10.2020, S.9f). Andernorts greift al Shabaab Stützpunkte erfolglos an – etwa die FOB äthiopischer AMISOM-Truppen in Halgan im Feber 2021 (Halbeeg 22.2.2021).

Gebietskontrolle: Al Shabaab wurde im Laufe der vergangenen Jahre erfolgreich aus den großen Städten gedrängt (ÖB 3.2020, S.2). Seit der weitgehenden Einstellung offensiver Operationen durch AMISOM seit Juli 2015 hat sich die Aufteilung der Gebiete nicht wesentlich geändert. Während AMISOM und die Armee die Mehrheit der Städte halten, übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes die Kontrolle aus oder kann dort zumindest Einfluss geltend machen (UNSC 1.11.2019, S.10; vgl. ÖB 3.2020, S.2). Dabei kontrollierte al Shabaab im Jahr 2019 soviel Land, wie schon seit dem Jahr 2010 nicht mehr. Man rechnet mit 20% des gesamten Staatsterritoriums (USDOS 10.6.2020, S.5). Die Gebiete Süd-/Zentralsomalias sind teilweise unter der Kontrolle der Regierung, teilweise unter der Kontrolle der al Shabaab oder anderer Milizen. Allerdings ist die Kontrolle der somalischen Bundesregierung im Wesentlichen auf Mogadischu beschränkt; die Kontrolle anderer urbaner und ländlicher Gebiete liegt bei den Regierungen der Bundesstaaten, welche der Bundesregierung de facto nur formal unterstehen (AA 2.4.2020, S.5).

Die Regierung und ihre Verbündeten kontrollieren zwar viele Städte, darüber hinaus ist eine Kontrolle aber kaum gegeben. Behörden oder Verwaltungen gibt es nur in den größeren Städten. Der Aktionsradius lokaler Verwaltungen reicht oft nur wenige Kilometer weit. Selbst bei Städten wie Kismayo oder Baidoa ist der Radius nicht sonderlich groß. Das "urban island scenario" besteht also weiterhin, viele Städte unter Kontrolle von somalischer Armee und AMISOM sind vom Gebiet der al Shabaab umgeben (BMLV 25.2.2021). Gegen einige dieser Städte unter Regierungskontrolle hält al Shabaab Blockaden aufrecht (HRW 14.1.2020). Al Shabaab ist in der Lage, Hauptversorgungsrouten abzuschneiden und Städte dadurch zu isolieren (UNSC 1.11.2019, S.10; vgl. BMLV 25.2.2021).

Große Teile des Raumes in Süd-/Zentralsomalia befinden sich unter der Kontrolle oder zumindest unter dem Einfluss von al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die wesentlichen, von al Shabaab verwalteten und kontrollierten Gebiete sind

1.       das Juba-Tal mit den Städten Buale, Saakow und Jilib; sowie Qunya Baarow in Lower Juba;

2.       Teile von Lower Shabelle um Sablaale;

3.       der südliche Teil von Bay mit Ausnahme der Stadt Diinsoor;

4.       weites Gebiet recht und links der Grenze von Bay und Hiiraan, inklusive der Stadt Tayeeglow;

5.       sowie die südliche Hälfte von Galgaduud mit den Städten Ceel Dheere und Ceel Buur; und angrenzende Gebiete von Mudug und Middle Shabelle, namentlich die Städte Xaradheere (Mudug) und Adan Yabaal (Middle Shabelle) (PGN 2.2021).

Dahingegen können nur wenige Gebiete in Süd-/Zentralsomalia als frei von al Shabaab bezeichnet werden – etwa Dhusamareb oder Guri Ceel. In Puntland gilt dies für größere Gebiete, darunter Garoowe (BMLV 25.2.2021).

Andere Akteure: Auch der Konflikt um Ressourcen (Land, Wasser etc.) führt regelmäßig zu Gewalt (BS 2020, S.31). Es kommt immer wieder auch zu Auseinandersetzungen somalischer Milizen untereinander (AA 3.12.2020). Auch somalische und regionale Sicherheitskräfte töteten Zivilisten und begingen sexuelle Gewalttaten – v.a. in und um die Region Lower Shabelle (USDOS 11.3.2020, S.30). Zusätzlich wird die Sicherheitslage durch die große Anzahl lokaler und sogar föderaler Milizen verkompliziert (BS 2020, S.7). Es gibt immer wieder bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Milizen einzelner Subclans bzw. religiöser Gruppierungen wie Ahlu Sunna Wal Jama’a (AA 2.4.2020, S.17f).

Seit dem Jahr 1991 gibt es in weiten Landesteilen kaum wirksamen Schutz gegen Übergriffe durch Clan- und andere Milizen sowie bewaffnete kriminelle Banden (AA 2.4.2020, S.17f). Bei durch das Clansystem hervorgerufener (teils politischer) Gewalt kommt es zu Rachemorden und Angriffen auf Zivilisten. Im Jahr 2019 kam es bei Zusammenstößen zwischen Clanmilizen sowie zwischen diesen und al Shabaab in Puntland, Galmudug, Lower und Middle Shabelle, Lower Juba, Hiiraan und Bay zu Todesopfern. Zusätzlich kommt es zu Kämpfen zwischen Clans und Subclans, v.a. im Streit um Wasser und Land. Im Jahr 2019 waren davon v.a. die Regionen Hiiraan, Galmudug, Lower und Middle Shabelle sowie Sool betroffen (USDOS 11.3.2020, S.3/11; vgl. ÖB 3.2020, S.10). Derartige Kämpfe sind üblicherweise lokal begrenzt und dauern nur kurze Zeit, können aber mit großer – generell gegen feindliche Kämpfer gerichteter – Gewalt verbunden sein (LI 28.6.2019, S.8).

Der sogenannte Islamische Staat bleibt in Somalia in Puntland konzentriert, in Mogadischu gibt es nur eine minimale Präsenz. Größere Aktivitäten des IS gab es in Puntland in den Jahren 2016 und 2017. In Mogadischu richtet sich der IS mit gezielten Tötungen v.a. gegen Sicherheitskräfte (JF 14.1.2020). Für den Zeitraum Mai-August 2020 werden dem IS allerdings nur zwei Attacken – beide in Mogadischu – zugeschrieben (UNSC 13.8.2020, Abs.24). Im Zeitraum August-Oktober 2020 (UNSC 13.11.2020, Abs.16) sowie November 2020-Feber 2021 gab es keine Aktivitäten (UNSC 17.2.2021, Abs.17).

Zivile Opfer: Al Shabaab ist für einen Großteil der zivilen Opfer verantwortlich (siehe Tabelle weiter unten). Allerdings greift al Shabaab Zivilisten nicht spezifisch an. Doch auch wenn die Gruppe eigentlich andere Ziele angreift, enden oft Zivilisten als Opfer, da sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befunden haben (NLMBZ 3.2020, S.17/37).

Insgesamt werden die Zahlen ziviler Opfer (Tote und Verletzte) wie folgt angegeben:

Bei einer geschätzten Bevölkerung von rund 15,4 Millionen Einwohnern (WHO 12.1.2021) lag die Quote getöteter oder verletzter Zivilisten in Relation zur Gesamtbevölkerung für Gesamtsomalia zuletzt bei 1:12035.

Luftangriffe: Im Jahr 2017 führten die USA 35 Luftschläge in Somalia durch, 2018 waren es 47 und 2019 63. Im Jahr 2020 ist die Zahl auf 51 gesunken. Die Luftangriffe auf al Shabaab und den IS, bei denen seit 2017 ca. 1.000 Kämpfer getötet worden sind (HIPS 2021, S.21) konzentrierten sich vor allem auf die Regionen Lower Shabelle, Lower Juba, Middle Juba, Gedo und Bari (UNSC 13.8.2020, Abs.24). Die Luftangriffe werden in der Regel mit bewaffneten Drohnen geflogen (PGN 10.2020, S.8). Neben den offiziell bekannt gegebenen Luftschlägen kommen noch verdeckte hinzu. Zusätzlich führt auch die kenianische Luftwaffe Angriffe durch, vorwiegend in Gedo und Lower Juba (PGN 10.2020, S.15ff). Insgesamt gab es demnach 2020 72 Luftangriffe, bei welchen die USA als Angreifer bestätigt sind oder vermutet werden (PGN 2.2021, S.11).

Rechtsschutz, Justizwesen

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 30.03.2021

Im somalischen Kulturraum existieren drei Rechtsquellen: traditionelles Recht (Xeer), islamisches Schariarecht (v. a. für familiäre Angelegenheiten) sowie formelles Recht (SEM 31.5.2017, S.31; vgl. BS 2020, S.16; USDOS 11.3.2020, S.8). Nach dem Kollaps des Staates im Jahr 1991 kollabierte in weiten Teilen des Landes auch das formelle Recht. Gleichzeitig stieg die Bedeutung von Scharia und Xeer. Die Scharia hat es als Grundlage allen Rechts in die Übergangsverfassung und in die Verfassung von Puntland geschafft (BS 2020, S.9).

In Süd-/Zentralsomalia sowie in Puntland sind die Grundsätze der Gewaltenteilung in der Verfassung niedergeschrieben. Allerdings ist die Verfassungsrealität eine andere (AA 2.4.2020, S.8; vgl. USDOS 11.3.2020, S.8). Al Shabaab untergräbt die Rechtsstaatlichkeit durch die Einhebung von Steuern und Durchsetzung von Urteilen eigener Gerichte. Der mangelnde (Rechts-)Schutz durch die Regierung führt dazu, dass sich Staatsbürger der Schutzgelderpressung durch al Shabaab beugen (HI 10.2020, S.9f). Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, die „Regelung“ wird grundsätzlich den Clans selbst überlassen. Aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage sowie mangels Kompetenz der staatlichen Sicherheitskräfte und Justiz muss der staatliche Schutz in Zentral- und Südsomalia als schwach bis nicht gegeben gesehen werden. Staatliche Sicherheitskräfte können und wollen oftmals nicht in Clankonflikte eingreifen. Befinden sich Angehörige eines bestimmten Clans oder von Minderheiten in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Schutz gewährleistet ist (ÖB 3.2020, S.10). Andererseits ist auch bekannt, dass staatliche Sicherheitskräfte manchmal bei Clankonflikten Partei ergreifen (BS 2020, S.34).

Formelle Justiz - Kapazität: In den vergangenen zehn Jahren haben unterschiedliche Regierungen in Mogadischu und anderen Städten Gerichte auf Bezirksebene errichtet. U.a. gibt es zwei Bezirksgerichte in HirShabelle, sechs im SWS, acht in Jubaland und eines in Galmudug. Sie sind für Straf- und Zivilrechtsfälle zuständig. In Mogadischu gibt es außerdem ein Berufungsgericht und ein Oberstes Gericht (Supreme Court) (BS 2020, S.16). Generell sind Gerichte aber nur in größeren Städten verfügbar (BS 2020, S.9). Vielen Richtern und Staatsanwälten mangelt es an Qualifikation (BS 2020, S.17; vgl. LIFOS 1.7.2019, S.4). Oft werden diese nicht aufgrund ihrer Qualifikation ernannt (SIDRA 11.2019, S.5), und ernannte Richter erhielten keine Ausbildung (BS 2020, S.17). Aufbau, Funktionsweise und Effizienz des Justizsystems entsprechen nicht den völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes. Es gibt zwar einen Instanzenzug, aber in der Praxis werden Zeugen eingeschüchtert und Beweismaterial nicht ausreichend herbeigebracht und gewürdigt (AA 2.4.2020, S.4/13). Das Justizsystem ist zersplittert und unterbesetzt (FH 4.3.2020a, F1), in vielen Landesteilen gar nicht vorhanden. Einige Regionen haben lokale Gerichte geschaffen, die vom dort dominanten Clan abhängen (USDOS 11.3.2020, S.8).

Formelle Justiz - Qualität und Unabhängigkeit: In der Verfassung ist die Unabhängigkeit der Justiz vorgesehen (BS 2020, S.9). In den tatsächlich von der Regierung kontrollierten Gebieten sind die Richter einer vielfältigen politischen Einflussnahme durch staatliche Amtsträger ausgesetzt (AA 2.4.2020, S.7; vgl. USDOS 11.3.2020, S.8). Nicht immer respektiert die Regierung Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020, S.8). Außerdem sind Urteile von Clan- oder politischen Überlegungen seitens der Richter beeinflusst (BS 2020, S.16; vgl. USDOS 11.3.2020, S.9; FH 4.3.2020a, F2). Die meisten der in der Verfassung vorgesehenen Rechte für ein faires Verfahren werden bei Gericht nicht angewendet (USDOS 11.3.2020, S.8f). Nationales oder internationales Recht werden bei Fest- oder Ingewahrsamnahme sowie beim Vor-Gericht-Stellen von Tatverdächtigen nur selten eingehalten (AA 2.4.2020, S.9).

Auch Korruption behindert den Zugang zu fairen Verfahren (USDOS 11.3.2020, S.9; vgl. FH 4.3.2020a, F1; FIS 7.8.2020, S.21). Verfahren dauern sehr lang (FIS 7.8.2020, S.21). Von Richtern oder Staatsanwälten werden Bestechungsgelder verlangt. Verdächtige und Verurteilte werden gegen Geld, oder weil sie einem bestimmten Clan angehören, auf freien Fuß gesetzt (SIDRA 11.2019, S.5). Zusätzlich halten sich Staatsbedienstete bzw. Behörden nicht an gerichtliche Anordnungen (USDOS 11.3.2020, S.8; vgl. BS 2020, S.16; FH 4.3.2020a, F1). Folglich ist das Vertrauen der Menschen in die formelle Justiz gering. Sie wird als teuer, ineffizient und manipulierbar wahrgenommen (BS 2020, S.16). Insgesamt stehen Zivilisten ernsthaften Mängeln beim Rechtsschutz gegenüber (FIS 7.8.2020, S.21). Bürger wenden sich aufgrund der Mängel im formellen Justizsystem oft an die traditionelle oder die islamische Rechtsprechung (FH 4.3.2020a, F1).

Formelle Justiz - Militärgerichte: Die von der Bundesregierung geschaffenen Militärgerichte verhandeln und urteilen weiterhin über Fälle jeglicher Art. Darunter fallen auch zivilrechtliche Fälle, die eigentlich nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen (AA 2.4.2020, S.8; vgl. BS 2020, S.16; vgl. FH 4.3.2020a, F2), bzw. wo unklar ist, ob diese in ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Ein Grund dafür ist, dass zivile Richter oftmals Angst haben, bestimmte – zivile – Fälle zu verhandeln (USDOS 11.3.2020, S.8f). Verfahren vor Militärgerichten entsprechen nicht den international anerkannten Standards für faire Gerichtsverfahren (AA 2.4.2020, S.8; vgl. USDOS 11.3.2020, S.2; HRW 13.1.2021; FH 4.3.2020a, F2). Angeklagten wird nur selten das Recht auf eine Rechtsvertretung oder auf Berufung zugestanden (USDOS 11.3.2020, S.9).

Traditionelles Recht (Xeer): Das Xeer behandelt Vorbringen von Fall zu Fall und wird von Ältesten implementiert (BS 2020, S.16). Die traditionelle Justiz dient im ganzen Land bei der Vermittlung in Konflikten (USDOS 11.3.2020, S.8). Xeer ist insbesondere in jenen ländlichen Gebieten wichtig, wo Verwaltung und Justiz nur schwach oder gar nicht vorhanden sind. Aber auch in den Städten wird Xeer oft zur Konfliktlösung – z.B. bei Streitfragen unter Politikern und Händlern – angewendet (SEM 31.5.2017, S.34). Zur Anwendung kommt Xeer auch bei anderen Konflikten und bei Kriminalität (BFA 8.2017, S.100). Es kommt also auch dort zu tragen, wo Polizei und Justizbehörden existieren. In manchen Fällen greift die traditionelle Justiz auf Polizei und Gerichtsbedienstete zurück (LIFOS 9.4.2019, S.7), in anderen Fällen behindert der Einsatz des Xeer Polizei und Justiz. Jedenfalls wiegt eine Entscheidung im Xeer schwerer als ein Urteil vor einem formellen Gericht. Im Zweifel zählt die Entscheidung im Xeer (LIFOS 1.7.2019, S.4). Frauen werden im Xeer insofern benachteiligt, als sie in diesem System nicht selbst aktiv werden können und auf ein männliches Netzwerk angewiesen sind (LIFOS 1.7.2019, S.14).

Clanschutz im Xeer: Maßgeblicher Akteur im Xeer ist der Jilib – die sogenannte Diya/Mag/Blutgeld-zahlende Gruppe. Das System ist im gesamten Kulturraum der Somali präsent und bietet – je nach Region, Clan und Status – ein gewisses Maß an (Rechts-)Schutz. Die sozialen und politischen Beziehungen zwischen Jilibs sind durch (mündliche) Xeer-Verträge geregelt. Mag/Diya muss bei Verstößen gegen diesen Vertrag bezahlt werden. Für Straftaten, die ein Gruppenmitglied an einem Mitglied eines anderen Jilib begangen hat – z.B. wenn jemand verletzt oder getötet wurde – sind Kompensationszahlungen (Mag/Diya) vorgesehen (SEM 31.5.2017, S.8ff). Wenn einer Person etwas passiert, dann wendet sie sich nicht an die Polizei, sondern zuallererst an die eigene Familie und den Clan (FIS 7.8.2020, S.20). Dies gilt auch bei anderen (Sach-)Schadensfällen. Die Mitglieder eines Jilib sind verpflichtet, einander bei politischen und rechtlichen Verpflichtungen zu unterstützen, die im Xeer-Vertrag festgelegt sind – insbesondere bei Kompensationszahlungen. Letztere werden von der ganzen Gruppe des Täters bzw. Verursachers gemeinsam bezahlt (SEM 31.5.2017, S.8ff).

Der Ausdruck „Clanschutz“ bedeutet in diesem Zusammenhang also traditionell die Möglichkeit einer Einzelperson, vom eigenen Clan gegenüber einem Aggressor von außerhalb des Clans geschützt zu werden. Die Rechte einer Gruppe werden durch Gewalt oder die Androhung von Gewalt geschützt. Sein Jilib oder Clan muss in der Lage sein, Mag/Diya zu zahlen – oder zu kämpfen. Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson sind deshalb eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S.31). Aufgrund von Allianzen werden auch Minderheiten in das System eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya bei (SEM 31.5.2017, S.33). Allerdings haben schwächere Clans und Minderheiten oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S.14). Der Clanschutz funktioniert generell – aber nicht immer – besser als der Schutz durch den Staat oder die Polizei. Darum aktivieren Somalis im Konfliktfall (Verbrechen, Streitigkeit etc.) tendenziell eher Clanmechanismen. Durch dieses System der gegenseitigen Abschreckung werden Kompensationen üblicherweise auch ausbezahlt (SEM 31.5.2017, S.36). Dementsprechend wird etwa ein Tod in erster Linie durch die Zahlung von Blutgeld und nicht durch einen Rachemord ausgeglichen (GIGA 3.7.2018).

Aufgrund der Schwäche bzw. Abwesenheit staatlicher Strukturen in einem großen Teil des von Somalis besiedelten Raums spielen die Clans also auch heute eine wichtige politische, rechtliche und soziale Rolle (SEM 31.5.2017, S.8; vgl. ÖB 3.2020, S.10), denn die Konfliktlösungsmechanis

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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