TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/15 W254 2218551-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.07.2021
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Entscheidungsdatum

15.07.2021

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W254 2218553-1/16E

W254 2218550-1/17E

W254 2218551-1/15E

W254 2218555-1/15E

W254 2218552-1/15E

W254 2218549-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr.in Tatjana CARDONA als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1) XXXX , geb. XXXX , 2) XXXX , geb. XXXX , 3) XXXX , geb. XXXX , 4) XXXX , geb. XXXX , 5) XXXX , geb. XXXX und 6) XXXX , geb. XXXX , alle StA. staatenlos, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.03.2019, 1) Zl. XXXX , 2) Zl. XXXX , 3) Zl. XXXX , 4) Zl. XXXX , 5) Zl. XXXX und 6) Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden werden hinsichtlich der Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide als unbegründet abgewiesen.

II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte bis zum 15.07.2022 erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkte III. - VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin (BF1) stellte am XXXX 2014 für sich und ihre vier minderjährigen Kinder (BF3-6) in Österreich Anträge auf internationalen Schutz.

2. Der Zweitbeschwerdeführer (BF2) stellte am XXXX 2014 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

3. Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: „BFA“ oder „belangte Behörde“) vom XXXX 2015 wurde den Anträgen der BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 (iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 bezüglich der BF3-6) stattgegeben und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 festgestellt, dass den BF kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

4. Am 03.09.2018 beantrage die BF1 für sich und die BF3-6 die Übernahme der Heimreisekosten für die freiwillige Rückkehr. Diesem Antrag wurde seitens des BFA mit Schreiben vom 17.10.2018 entsprochen.

5. Mit Schreiben vom 18.10.2018 teilte das BFA der BF1 mit, dass im Falle einer Rückkehr ein Aberkennungsverfahren gegen sie eingeleitet würde.

6. Am 29.10.2018 langte beim BFA eine Bestätigung über die Ausreise der BF1 und der BF3-6 nach Syrien am 24.10.2018 ein.

7. Mit Antrag vom 19.11.2018 begehrte der BF2 die Übernahme der Kosten für die freiwillige Rückkehr, welcher mit Schreiben vom XXXX 2018 genehmigt wurde.

8. Einer am 19.11.2018 ergangenen Ladung zu einer niederschriftlichen Einvernahme für den XXXX 2018, leistete der BF2 keine Folge.

9. Mit Schreiben vom XXXX 2018 teilte das BFA dem BF2 mit, dass im Falle einer Rückkehr ein Aberkennungsverfahren gegen ihn eingeleitet würde.

10. Am 07.01.2019 langte beim BFA eine Bestätigung über die Ausreise des BF2 nach Syrien am 19.12.2018 ein.

11. Mit Schreiben vom 06.03.2019 übermittelte die österreichische Botschaft in XXXX dem BFA ein Auskunftsersuchen der BF bezüglich ihres Asylstatus.

12. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des BFA wurden den BF der Status von Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aberkannt und festgestellt, dass ihnen die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 kraft Gesetzes nicht mehr zukommen würde (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wurde ihnen der Status von subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Syrien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI).

Zur Aberkennung des Status von Asylberechtigten wurde im Wesentlichen festgehalten, dass die Rückreise der BF freiwillig und mit der finanziellen Unterstützung Österreichs erfolgt sei. Ihre Rückkehr bzw. Aufenthalt in Syrien sei nicht vorübergehend, sondern sie hätten beabsichtigt, sich dauerhaft in Syrien niederzulassen. Sie hätten sich freiwillig dem Schutz ihres Heimatlandes bzw. dem Schutz der UNRWA unterstellt.

13. Gegen die oben genannten Bescheide wurde fristgerecht eine gemeinsame Beschwerde erhoben, welche am 03.05.2019 bei der belangten Behörde einlangte. In dieser wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die BF nach Syrien zurückgekehrt wären, weil sich dort noch zwei Töchter der BF aufhalten würden. Die BF1 habe im Spätsommer 2018 einen leichten Schlaganfall erlitten und sei seit diesem Ereignis unter Angst gestanden, dass sie die in Syrien aufhältigen Töchter nie mehr lebend sehen würde. Außerdem hätten die BF geglaubt, dass sich die Sicherheitslage beruhigt habe. Jedoch habe sich die Sicherheitslage in XXXX wieder extrem verschlechtert und daher würden die BF in Syrien nicht bleiben können. Sie hätten aufgrund der akuten Gefahr seit mehreren Wochen versucht Syrien wieder zu verlassen. Im Falle der BF könne Art. 1 Abschnitt C Z 1 nicht angewendet werden, da sie nicht die Staatsbürgerschaft Syriens besitzen würden, sondern staatenlos seien. Die BF seien nur nach Syrien zurückgekehrt, da sie angenommen hätten, dass sich die Sicherheitslage verbessert hätte. Da dies nicht der Fall sei, würden sie sich dort auch nicht niederlassen wollen, sondern wieder nach Österreich zurückkehren. Sohin sei die Entscheidung insofern aufzuheben, als die Flüchtlingseigenschaft der BF als weiterhin aufrecht anzusehen sei. Angesichts der prekären Sicherheitslage in Syrien, welche auch aus den Länderberichten der Behörde hervorgehe, hätte die belangte Behörde den BF zumindest den Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen müssen. Des Weiteren würden die BF über ein schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich verfügen, welches das öffentliche Interesse an einer Rückkehrentscheidung überwiegen würde. Die Rückkehrentscheidung hätte daher dauerhaft für unzulässig erklärt werden müssen.

14. Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom BFA vorgelegt und sind am 08.05.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

15. Mit Schreiben vom 21.09.2020 beantragten die BF die Einvernahme einer Zeugin, zum Beweis ihres schützenswerten Privat- und Familienlebens in Österreich. Außerdem wurden Integrationsunterlagen sowie medizinische Unterlagen betreffend die BF1 vorgelegt.

16. Am 21.09.2020 erstattete die belangte Behörde eine Stellungnahme, in der sie ausführte, dass sofort nach Bekanntwerden, dass die BF1 mit den BF3-6 freiwillig in den Herkunftsstaat zurückkehren würde, von Behördenseite ein Parteiengehör an die damalige Wohnadresse postalisch versendet worden sei. Bis zur Bescheiderlassung sei keine Antwort der Adressaten eingelangt. Zudem sei auch der BF2 behördlich geladen worden, dieser jedoch nicht zur Einvernahme erschienen. An den in Österreich verbliebenen volljährigen Sohn sei ebenfalls ein Parteiengehör zugesandt worden, jedoch sei die Beantwortung der darin gestellten Fragen nicht eingelangt. Darüber hinaus habe im Zuge des Ansuchens auf finanzielle Unterstützung explizit auch eine Belehrung über die Einleitung eines Aberkennungsverfahrens durch das BFA stattgefunden. Der Sinn einer finanziellen Unterstützung durch den Aufnahmestaat im Falle einer freiwilligen Rückkehr in den Verfolgerstaat sei, mit dem gewährten Geld ein Startkapital bzw. eine Überbrückungshilfe zu haben. Man habe davon ausgehen können, dass eine Rückkehr in den Staat, den man aufgrund der Bürgerkriegssituation verlassen habe müssen, wohlüberlegt und auf Dauer angelegt gewesen sein habe müssen.

17. Am XXXX 2020 wurde vom Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit der rechtsfreundlichen Vertretung der BF und unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch durchgeführt. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Darin wurden die BF ausführlich zur Asylaberkennung und ihren Gründen für die Rückkehr nach Syrien befragt. Die BF legten Kopien der ersten Seite der Pässe sowie der Seite mit dem Vermerk vor, die als Beilage ./A zum Akt genommen wurden. Weiters legten sie Berichte der United Nation General Assembly, Human Rights Council vom 14. August 2020 und von Syria Direct vom 27.07.2020 vor, welche als Beilage ./B bzw. Beilage ./C zum Akt genommen wurden.

Die erkennende Richterin brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Syrien vom Oktober 2019 (Beilage I.), den UNHCR „Interimsleitfaden zum internationalen Schutzbedarf Asylsuchender aus Syrien: Aufrechterhaltung der UNHCR-Positon aus dem Jahr 2017“ (Beilage II.), die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien Staatlicher Schutz für UNRWA-Mitglieder (Beilage III.) sowie die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation, Syrien, UNRWA Lage, Registrierung, Versorgung, 15.07.2019 (Beilage IV.), in das Verfahren ein.

18. Am 05.10.2020 erging seitens der BF eine Stellungnahme, in welcher sie im Wesentlichen anführten, dass sich aus der Judikatur des VwGH ergeben würde, dass ipso-facto-Flüchtlingen – wenn von einem Wegfall des Schutzes von UNRWA ausgegangen werden müsse, weil dem Betroffenen im Einsatzgebiet von UNRWA beispielsweise eine Verletzung von Artikel 3 EMRK droht – der Status von Asylberechtigen und nicht von subsidiär Schutzberechtigten zukomme. Während ihres Aufenthaltes in Syrien könne davon ausgegangen werden, dass die BF nicht mehr ipso-facto-Flüchtlinge gewesen seien. Da die BF aber aufgrund der äußerst unsicheren Lage erneut gezwungen gewesen wären, Syrien und damit das Einsatzgebiet von UNRWA zu verlassen, hätten sie die ipso-facto-Flüchtlingseigenschaft wieder erworben. Solange eine Rückkehr in das Einsatzgebiet des UNRWA unzumutbar sei, würde auch die Flüchtlingseigenschaft nicht erlöschen. Eine Rückführung der BF nach Syrien würde die reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK bedeuten bzw. für die BF als Zivilpersonen eine ernsthafte Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Da im Falle der BF zum Entscheidungszeitpunkt weder Ausschluss- noch Erlöschensgründe ihrer ipso-facto-Flüchtlingseigenschaft vorliegen würden, hätten sie weiterhin einen Anspruch auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten bzw. sei die Aberkennung dieses Status unzulässig. Darüber hinaus legten die BF die UNRWA „Family Registration Card“ vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens folgende Beweismittel der Beurteilung zugrunde gelegt:

-        Die Akten der Behörde, insbesondere darin die Erstbefragung vor der Polizei, die niederschriftlichen Einvernahmen vor der belangten Behörde,

-        die in der mündlichen Verhandlung vom XXXX 2020 eingebrachten Länderberichte, auf die bereits teilweise mit der Ladung hingewiesen wurden, welche im Verfahrensgang beschrieben sind,

-        der Inhalt der mündlichen Verhandlung am XXXX 2020,

-        sämtliche vorgelegte Beweismittel

-        Einsichten in den Datenbanken (Zentrales Melderegister, Grundversorgungs-Informationssystem, Strafregisterauskunft etc.).

1.1.    Zu den Personen der BF:

Die BF sind staatenlose Palästinenser und gehören der arabischen Volksgruppe sowie dem sunnitischen Glauben an. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Ihre Identitäten stehen fest. Die BF1 ist mit dem BF2 verheiratet, sie sind die Eltern der BF3, BF4, BF5 und BF 6. Die BF1 und der BF2 haben des Weiteren einen volljährigen Sohn, welcher sich in Österreich befindet sowie zwei volljährige Töchter in Syrien.

Die BF1 leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und damit einhergehenden körperlich-gesundheitlichen Problemen und befindet sich deshalb in regelmäßiger psychotherapeutischer Behandlung. Abgehsehn davon ist sie gesund. Ebenso sind die anderen BF gesund. Die BF sind strafgerichtlich unbescholten.

Die BF stammen aus XXXX in Syrien. Dieses Gebiet befindet sich derzeit unter der Kontrolle des syrischen Regimes.

Die BF sind bei der UNRWA registriert.

Die BF haben am XXXX 2014 (bzw. am XXXX 2014, BF2) in Österreich jeweils Anträge auf internationalen Schutz gestellt. Mit Bescheiden vom XXXX 2015 wurde diesen Anträgen auf internationalen Schutz entsprochen und den BF der Status von Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG 2005 (iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 bezüglich der BF3-6) zuerkannt.

Mit Bescheiden vom 08.03.2019 wurde den BF der Schutzstatus aberkannt.

1.2. Zu den Gründen für die Aberkennung des Status von Asylberechtigten und der Rückkehr der BF in den Herkunftsstaat:

Am 03.09.2018 stellte die BF1 für sich und die BF3-6 einen Antrag auf Übernahme der Heimreisekosten für die freiwillige Rückkehr nach Syrien. Mit Schreiben vom 17.10.2018 teilte die belangte Behörde mit, dass die Kosten für die Rückkehr der BF1 und BF3-6 übernommen werden.

Am 24.10.2018 reiste die BF1 mit den BF3-6 mit ihren in Syrien ausgestellten Reisepässen freiwillig von Österreich über den Flughafen XXXX nach Syrien. Sie wohnten in XXXX bei der Schwester des BF2.

Der BF2 beantragte am 19.11.2018 die Übernahme der Heimreisekosten für die freiwillige Rückkehr nach Syrien. Mit Schreiben vom XXXX 2018 teilte das BFA mit, dass die Kosten für die Rückkehr des BF2 übernommen werden.

Der BF2 reiste am 19.12.2018 mit seinem in Syrien ausgestellten Reisepass freiwillig von Österreich über den Flughafen XXXX nach Syrien und wohnte in weiterer Folge bei den anderen BF.

Am 09.05.2020 kehrten die BF nach Österreich zurück.

1.3. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr:

Es wird festgestellt, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach Syrien in eine lebensgefährliche Situation gelangen würden.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Syrien:

Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.05.2019 mit Aktualisierungen bis 17.10.2019:

Sicherheitslage

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Luftunterstützung für Assads Streitkräfte sowie die erheblich ausgeweitete indirekte Bodenintervention des Iran in Form eines Einsatzes ausländischer Milizen konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Mitte des Jahres 2016 kontrollierte die syrische Regierung ca. ein Drittel des syrischen Staatsgebietes, inklusive der „wichtigsten“ Städte im Westen, in denen der Großteil der Syrer lebt (Reuters 13.4.2016).

Am Beginn des Jahres 2019 sind noch drei größere Gebiete außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung: die Provinz Idlib und angrenzende Gebiete im Westen der Provinz Aleppo und Norden der Provinz Hama; die Gebiete im Norden und Osten Syriens, die unter Kontrolle der kurdisch dominierten Syrian Democratic Forces (SDF) stehen; außerdem die Konfliktschutzzone (de-confliction zone) bei Tanf in Homs bzw. in der Nähe des Rukban Flüchtlingslagers (UNHRC 31.1.2019).

Trotz weitreichender militärischer Erfolge des syrischen Regimes und seiner Unterstützer sind Teile Syriens noch immer von Kampfhandlungen betroffen, allen voran die Provinzen Idlib, Teile Aleppos, Raqqas und Deir ez-Zours (AA 13.11.2018).

Laut UNMAS (United Nations Mine Action Service) sind 43% der besiedelten Gebiete Syriens mit Mienen und Fundmunition kontaminiert (AA 13.11.2018). Es kommt immer wieder zu Zwischenfällen mit derartigen Hinterlassenschaften des bewaffneten Konfliktes zum Beispiel im Osten der Stadt Aleppo, Ost-Ghouta und im Osten Hamas (DIS/DRC 2.2019).

Der sogenannte Islamische Staat (IS) kontrollierte im Sommer 2014 große Teile Syriens und des Irak (FAZ 10.3.2019). Ende März 2019 wurde mit Baghuz die letzte Bastion des IS von den oppositionellen „Syrian Democratic Forces“ erobert. Der IS ist zwar zerschlagen, verfügt aber noch immer über militärische Einheiten, die sich in den Wüstengebieten Syriens und des Irak versteckt halten (DZO 24.3.2019). Schläferzellen des IS sind sowohl im Irak als auch in Syrien weiterhin aktiv (FAZ 10.3.2019). Gegenwärtig sollen im Untergrund mehr als 20.000 IS-Kämpfer auf eine Gelegenheit zur Rückkehr warten (FAZ 22.3.2019).

US-Präsident Donald Trump kündigte im Dezember 2018 an, alle 2.000 US-Soldaten aus Syrien abziehen zu wollen (Qantara 28.2.2019). Nachdem Trump Anfang Oktober 2019 erneut ankündigte, die US-amerikanischen Truppen aus der syrisch-türkischen Grenzregion abzuziehen, startete die Türkei am 9. Oktober 2019 eine Luft- und Bodenoffensive im Nordosten Syriens (CNN 11.10.2019). Durch den Abzug der US-Streitkräfte aus Nordsyrien und die türkische Offensive und damit einhergehende Schwächung der kurdischen Sicherheitskräfte wird ein Wiedererstarken des IS befürchtet (DS 13.10.2019, DS 17.10.2019).

Die NGO Syrian Network for Human Rights (SNHR) versucht die Zahlen ziviler Todesopfer zu erfassen, für die einzelnen Monate des Jahres 2018 finden sich deren Daten in der unten befindlichen Grafik. Getötete Kämpfer werden in dem Bericht nicht berücksichtigt. Betont wird außerdem, dass die Organisation in vielen Fällen Vorkommnisse nicht dokumentieren konnte, besonders im Fall von „Massakern“, bei denen Städte und Dörfer komplett abgeriegelt wurden. Die hohe Zahl solcher Berichte lässt darauf schließen, dass die eigentlichen Zahlen ziviler Opfer weit höher als die unten angegebenen sind (SNHR 1.1.2019).

Versöhnungsabkommen

Die sogenannten Versöhnungsabkommen sind Vereinbarungen, die ein Gebiet, das zuvor unter der Kontrolle einer oppositionellen Gruppierung stand, offiziell wieder unter die Kontrolle des Regimes bringen (BFA 8.2017). Der Abschluss der sogenannten „Reconciliation Agreements“ folgt in der Regel einem Muster, das mit realer Versöhnung wenig gemeinsam hat (ÖB 7.2019). Die Regierung bietet, meist nach schwerem Beschuss oder Belagerung, ein Versöhnungsabkommen an, das an verschiedene Bedingungen geknüpft ist. Diese Bedingungen unterscheiden sich von Abkommen zu Abkommen (BFA 8.2017). Zivilisten bzw. Kämpfer können in den Gebieten bleiben oder jene, die sich nicht den Bedingungen der Vereinbarung unterwerfen wollen, können mit ihren Familien nach Idlib oder in andere von der Opposition kontrollierte Gebiete evakuiert werden (FIS 14.12.2018). Die übrigen Personen können 6 Monate lang eine Amnestie nutzen und können sich in dieser Zeit stellen, um den Militärdienst abzuleisten (AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Die Wehrpflicht war bisher meist ein zentraler Bestandteil der Versöhnungsabkommen (AA 13.11.2018). Manche Vereinbarungen besagen, dass Männer nicht an die Front geschickt werden, sondern stattdessen bei der örtlichen Polizei eingesetzt werden, oder dass sich Personen verpflichten müssen, der Regierung z.B. für Spionage zur Verfügung zu stehen (BFA 8.2017).

Im Rahmen von Versöhnungsvereinbarungen gemachte Garantien der Regierung, gegenüber Individuen oder Gemeinschaften, werden jedoch nicht eingehalten (EIP 6.2019; vgl. AA 13.11.2018, FIS 14.12.2018). Glaubhafte Berichte von Organisationen aus zuletzt zurückeroberten Gebieten wie Dara‘a im südlichen Syrien und Ost-Ghouta nahe Damaskus sprechen von Verhaftungen sowie Zwangsrekrutierungen ehemaliger Oppositionskämpfer binnen kurzer Zeit (AA 13.11.2018; vgl. ÖB 7.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Gebiete unter Regierungskontrolle inkl. Damaskus und Umland, Westsyrien

Seit Mai 2018 hat sich die allgemeine Sicherheitslage in den von der Regierung kontrollierten Gebieten Syriens, darunter finden sich auch die wichtigsten Städte wie Lattakia, Homs, Hama, Tartous und Damaskus, deutlich verbessert. Im Allgemeinen kam es im Vergleich mit den Zahlen vor Juli 2018 zu einem signifikanten Rückgang der militärischen Auseinandersetzungen und der sicherheitsrelevanten Vorfälle in von der Regierung kontrollierten Gebieten. Die Situation bleibt in einigen Gegenden jedoch angespannt, wie im Osten der Provinz Lattakia, im Westen der Provinz Aleppo und im Norden der Provinz Hama. In Bezug auf die Art der sicherheitsrelevanten Vorfälle gibt es Berichte von Beschuss, bewaffneten Zusammenstößen, Entführungen sowie Explosionen von Kampfmittelresten (DIS/DRC 2.2019).

Die Küstenregion wurde im Großen und Ganzen vom militärischen Konflikt verschont. Der Norden sieht sich gleichwohl mit einem gelegentlichen „Spillover“ von Idlib aus konfrontiert. So gibt es aktuell im ländlichen Lattakia Auseinandersetzungen zwischen syrischer Armee und Rebellen. In den größeren Städten und deren Einzugsgebieten wie Damaskus und Homs stellt sich die Sicherheitslage als relativ stabil dar, auch wenn es immer wieder zu gezielten Anschlägen zumeist auf regierungsnahe Personen kommt (ÖB 7.2019).

Die Regierung besitzt nicht die nötigen Kapazitäten, um alle von ihr gehaltenen Gebiete auch tatsächlich zu kontrollieren. Daher greift die Regierung auf unterschiedliche Milizen zurück, um manche Gegenden und Checkpoints in Aleppo, Lattakia, Tartous, Hama, Homs und Deir ez-Zour zu kontrollieren. Es gibt auch Berichte, wonach es in einigen Gebieten zu Zusammenstößen sowohl zwischen den unterschiedlichen Pro-Regierungs-Milizen als auch zwischen diesen und Regierungstruppen gekommen ist (DIS/DRC 2.2019).

In den ersten Monaten des Jahres 2018 erlebte Ost-Ghouta, nahe der Hauptstadt Damaskus, die heftigste Angriffswelle der Regierung seit Beginn des Bürgerkrieges (Presse 1.4.2018). Mitte April 2018 wurde die Militäroffensive der syrischen Armee auf die Rebellenenklave von Seiten der russischen Behörden und der syrischen Streitkräfte für beendet erklärt (DS 15.4.2018; vgl. SD 12.4.2018). Ende Mai 2018 zogen sich die letzten Rebellen aus dem Großraum Damaskus zurück, wodurch die Hauptstadt und ihre Umgebung erstmals wieder in ihrer Gesamtheit unter der Kontrolle der Regierung standen (DSO 21.5.2018; vgl. ISW 1.6.2018). Seitdem hat sich die Sicherheitslage in Damaskus und Damaskus-Umland (Rif Dimashq) deutlich verbessert (DIS/DRC 2.2019). Im Januar kam es zu zwei Bombenanschlägen in Damaskus Stadt. Einem in der Nähe eines Büros des Militärischen Nachrichtendienstes im Süden mit mehreren Todesopfern, und einem mittels einer Autobombe in der Nähe der russischen Botschaft mit Verletzten (DIS/DRC 2.2019; vgl. TN 20.1.2019). Einer internationalen humanitären Organisation zufolge ist es weniger wahrscheinlich, dass Angriffe dieser Art in Damaskus (im Gegensatz zu anderen großen Städten) passieren, weil die Hauptstadt durch Sicherheitskräfte schwer bewacht ist (DIS/DRC 2.2019).

Seit 2012 führte Israel dutzende Luftschläge auf syrischem Staatsgebiet durch, hauptsächlich auf Orte oder Konvois in der Nähe der libanesischen Grenze, die mit Waffenlieferungen an die Hizbollah in Verbindung stehen (CRS 2.1.2019), bzw. generell auf iranische Ziele und Ziele mit dem Iran verbündeter Milizen (AJ 5.2.2019). Es soll etwa ein bis zweimal im Monat zu Angriffen der israelischen Luftwaffe auf Ziele in der Provinz Damaskus kommen (Jane‘s 14.1.2019). Bis Ende Januar 2019 äußerte sich die israelische Armee nicht oder nur selten und erst nach einiger Zeit über Spekulationen zu Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet, für die die israelische Armee verantwortlich sein soll. Ende Januar berichteten die israelischen Streitkräfte beinahe zeitgleich über einen Angriff auf iranische Ziele in Syrien (DS 21.1.2019). Laut dem pensionierten Generalstabsschef der israelischen Streitkräfte Gadi Eisenkot hätte Israel sogar tausende Luftangriffe durchgeführt. Seit 2017 soll es nahezu täglich zu israelischen Angriffen kommen. Im Jahr 2018 wurden demnach 2.000 Bomben abgeworfen (TNYT 11.1.2019). Syrischen Staatsmedien zufolge wurden Anfang Juli 2019, bei israelischen Luftangriffen nahe der Hauptstadt Damaskus und in der Provinz Homs, vier Zivilisten getötet und 21 Personen verletzt (DS 1.7.2019).

Südsyrien

Mit 19. Juni 2018 startete die syrische Regierung eine Offensive zur Rückeroberung der Provinzen Quneitra und Dara‘a im Süden Syriens. In der Provinzhauptstadt Dara‘a waren 2011 die ersten Proteste gegen das Assad-Regime ausgebrochen. Im Juli 2017 wurde dort eine sogenannte Deeskalationszone eingerichtet (DS 5.7.2018). Die beiden Provinzen wurden durch die Regierung zurückerobert und Ende Juli 2018 wurden auch die letzten Dörfer, die sich noch unter Kontrolle einer mit dem sogenannten Islamischen Staat (IS) in Verbindung stehenden Gruppierung befanden, erobert. Die meisten dieser Städte und Dörfer kapitulierten unter sogenannten Versöhnungsabkommen, wobei Kämpfern und Zivilisten die Möglichkeit gegeben wurde, in von oppositionellen Gruppen kontrollierte Gebiete im Norden Syriens zu ziehen (TG 31.7.2018). In al-Suweida im Süden Syriens wurde im Juli 2018 ein Terroranschlag durch den IS verübt, bei dem fast 250 Menschen getötet wurden, die meisten von ihnen Drusen (ORF 31.7.2018). Daraufhin starteten regierungstreue Milizen eine erneute Offensive, um den IS aus der Gegend zu vertreiben. Durch Siege und Evakuierungen konnten die regierungstreuen Einheiten ihre Kontrolle festigen (UNHRC 31.1.2019). Insbesondere in der Region Dara‘a kommt es immer wieder zu lokal begrenzten Auseinandersetzungen zwischen der syrischen Armee und Angehörigen von Rebellengruppen, mit denen „Versöhnungsabkommen“ geschlossen wurden. Auch der IS ist in der Region aktiv; Ende Juli kam es zu einem Selbstmordanschlag auf eine Einheit der syrischen Armee, der mehrere Tote forderte (ÖB 7.2019).

In Dara‘a kam es außerdem einer internationalen Sicherheitsorganisation zufolge zu zahlreichen zivilen Opfern durch Blindgänger, daher führen dort Einheiten der syrischen Regierung Entminungen durch (DIS/DRC 2.2019).

Mit der Rückeroberung der Gebiete in Südsyrien erlangte die syrische Regierung außerdem die Kontrolle über die syrisch-jordanische Grenze zurück (ISW 15.7.2018).

Sicherheitsbehörden und regierungstreue Milizen

Die Regierung hat zwar die effektive Kontrolle über die uniformierten Polizei-, Militär- und Staatssicherheitskräfte, nicht jedoch über ausländische und einheimische militärische oder paramilitärische Einheiten, z.B. russische Streitkräfte, Hisbollah, Islamische Revolutionsgarden und nicht uniformierte Milizen wie die National Defense Forces (NDF) (USDOS 13.3.2019). Der Präsident stützt seine Herrschaft auf die Loyalität der Streitkräfte sowie der militärischen und zivilen Geheimdienste. Die Befugnisse dieser Dienste, die von Verwandten oder engen Vertrauten des Präsidenten geleitet werden und sich auch gegenseitig kontrollieren, unterliegen keinen definierten Beschränkungen (AA 13.11.2018). Straflosigkeit unter den Sicherheitsbehörden bleibt ein weit verbreitetes Problem. Das Generalkommando der Armee und der Streitkräfte kann im Fall von Verbrechen von Militäroffizieren, Mitgliedern der internen Sicherheitskräfte oder Zollpolizeioffizieren im Rahmen ihrer beruflichen Pflichten, einen Haftbefehl ausstellen. Solche Fälle müssen vor einem Militärgericht verhandelt werden. In der Praxis sind keine Fälle von Strafverfolgung oder Verurteilung von Polizei- und Sicherheitskräften hinsichtlich Misshandlung und Korruption bekannt. Die Sicherheitskräfte operieren unabhängig und im Allgemeinen außerhalb der Kontrolle des Justizwesens. Es gibt auch keine Berichte von Maßnahmen der Regierung, um die Einhaltung der Menschenrechte durch die Sicherheitskräfte zu verbessern (USDOS 13.3.2019).

Russland, Iran, die libanesische Hizbollah und Einheiten mit irakischen Kämpfern unterstützen die syrische Regierung, unter anderem mit Einsätzen an der Seite der syrischen Streitkräfte (KAS 4.12.2018a).

Es ist schwierig Informationen über die Aktivitäten von spezifischen Regierungs- oder regierungstreuen Einheiten zu spezifischen Zeiten oder an spezifischen Orten zu finden, weil die Einheiten seit dem Beginn des Bürgerkrieges oft nach Einsätzen organisiert („task-organized“) sind oder aufgeteilt oder für spezielle Einsätze mit anderen Einheiten zusammengelegt werden. Berichte sprechen oft von einer speziellen Militäreinheit an einem bestimmten Einsatzort (z.B. einer Brigade) wobei die genannte Einheit aus Teilen mehrerer verschiedener Einheiten nur für diesen speziellen Einsatz oder eine gewisse Zeit zusammengesetzt wurde (Kozak 28.12.2017).

Streitkräfte

Die syrischen Streitkräfte bestehen aus dem Heer, der Marine, der Luftwaffe und den Geheimdiensten (CIA 15.1.2019). Vor dem Konflikt soll die syrische Armee eine Mannstärke von geschätzt 295.000 Personen gehabt haben (UK HO 8.2016). Der Aufbau der syrischen Armee basiert auf dem sogenannten Quta‘a-System [arab. Sektor, Landstück]. Hierbei wird jeder Division (firqa) ein bestimmtes Gebiet (quta‘a) zugeteilt. Mit diesem System wurde in der Vergangenheit verhindert, dass Offiziere überlaufen. Gleichzeitig gab die Armee dem Divisionskommandeur für den Fall eines Zusammenbruchs der Kommunikation oder für Notfälle, freie Hand über dieses Gebiet. Gleichzeitig kann dadurch der Präsident den Einfluss einzelner Divisionskommandeure einschränken, indem er sie gegeneinander ausspielt (CMEC 14.3.2016). Im Zuge des Konfliktes hat das Regime loyale Einheiten in größere Einheiten eingegliedert, um eine bessere Kontrolle ausüben und ihre Effektivität im Kampf verbessern zu können (ISW 8.3.2017).

Zivile und militärische Sicherheits- und Nachrichtendienste, Polizei

Die zahlreichen syrischen Sicherheitsbehörden arbeiten autonom und ohne klar definierte Grenzen zwischen ihren Aufgabenbereichen. Das Innenministerium kontrolliert vier verschiedene Abteilungen der Polizei: Notrufpolizei, Verkehrspolizei, Nachbarschaftspolizei und Bereitschaftspolizei („riot police“) (USDOS 13.3.2019).

Es gibt vier Hauptzweige der Sicherheits- und Nachrichtendienste: den Militärischen Nachrichtendienst, den Luftwaffennachrichtendienst, das Direktorat für Politische Sicherheit und das Allgemeine Nachrichtendienstdirektorat (USDOS 13.3.2019; vgl. EIP 6.2019). Diese vier Dienste arbeiten unabhängig voneinander und größtenteils außerhalb des Justizsystems, überwachen einzelne Staatsbürger und unterdrücken oppositionelle Stimmen innerhalb Syriens (GS 11.2.2017). Jeder Geheimdienst unterhält eigene Gefängnisse und Verhöreinrichtungen, bei denen es sich de facto um weitgehend rechtsfreie Räume handelt. Die Geheimdienste haben ihre traditionell starke Rolle im Zuge des Konfliktes verteidigt oder sogar weiter ausgebaut (AA 13.11.2018). Vor 2011 war die vorrangige Aufgabe der Nachrichtendienste die syrische Bevölkerung zu überwachen. Seit dem Beginn des Konfliktes nutzte Assad den Sicherheitssektor, um die Kontrolle zu behalten. Diese Einheiten überwachten, verhafteten, folterten und exekutierten politische Gegner sowie friedliche Demonstranten. Um seine Kontrolle über die Sicherheitsdienste zu stärken, sorgte Assad künstlich für Feindschaft und Konkurrenz zwischen ihnen. Um die Loyalität zu sichern wurde einzelnen Behörden bzw. Beamten die Kontrolle über alle Bereiche des Staatswesens in einem bestimmten Gebiet überlassen, was für diese eine enorme Geldquelle darstellt (EIP 6.2019).

Die Sicherheitskräfte nutzen eine Reihe an Techniken, um Bürger einzuschüchtern oder zur Kooperation zu bringen. Diese Techniken beinhalten im besten Fall Belohnungen, andererseits jedoch auch Zwangsmaßnahmen wie Reiseverbote, Überwachung, Schikanen von Individuen und/oder deren Familienmitgliedern, Verhaftungen, Verhöre oder die Androhung von Inhaftierung. Die Zivilgesellschaft und die Opposition in Syrien erhalten spezielle Aufmerksamkeit von den Sicherheitskräften, aber auch ganz im Allgemeinen müssen Gruppen und Individuen mit dem Druck der Sicherheitsbehörden umgehen (GS 11.2.2017; vgl. USDOS 13.3.2019).

Der Sicherheitssektor stellt die allgegenwärtige Kontrolle über die Gesellschaft (sowohl informell als auch formell) wieder her. Festnahmen und Inhaftierungen werden genutzt, um Informationen zu erhalten, jene, die als illoyal gesehen werden, zu bestrafen und um Geld für die Freilassung der Inhaftierten zu erpressen (EIP 6.2019).

Volkskomitees, National Defence Forces, Viertes Korps, Fünftes Korps

Die National Defence Forces (NDF) sind eine Dachorganisation für verschiedene Pro-Regime-Milizen und wurden aus sogenannten Volkskomitees gegründet (FIS 14.12.2018). Der Iran und die libanesische Hizbollah spielten eine wichtige Rolle bei der Gründung der NDF nach dem Vorbild der iranischen paramilitärischen Basij-Einheiten (ISW 8.3.2017; vgl. JTF 24.3.2017). Die NDF sind nicht Teil der syrischen Armee, aber offiziell als „Verbündete“, als legitime Institutionen anerkannt, die Waffen tragen dürfen und zudem operative und logistische Unterstützung durch die syrische Armee erhalten (FIS 14.12.2018; vgl. USDOS 13.3.2019).

Die regierungstreuen Milizen stellen für die Regierung jedoch auch eine Konkurrenz dar, z.B. im Zusammenhang mit Rekrutierung, da die Milizen teilweise über bessere Finanzierung verfügen und somit höheren Sold bezahlen können. Manche der bewaffneten Gruppen kritisieren die syrische Regierung und ihre Geheimdienste auch vergleichsweise offen. Laut Expertenmeinungen wird die syrische Regierung diese Konkurrenz um Rekruten und Ressourcen nach Ende der Kampfhandlungen nicht mehr tolerieren (FIS 14.12.2018).

Im Oktober 2015 wurde das sogenannte Vierte Korps (Fourth Storming Corps/Fourth Assault Corps) und im November 2016 das Fünfte Korps (Fifth Storming Corps/Fifth Assault Corps) gegründet (Kozak 3.2018). Ähnlich wie die NDF sollten auch diese beiden Einheiten Strukturen bieten, in denen regierungstreue Milizen integriert und so unter die Kontrolle der Regierung gebracht werden können (CEIP 12.12.2018). Zudem sollte das Fünfte Korps um freiwillige Rekruten werben. Rekruten können, ähnlich wie bei den NDF, ihren Wehrdienst anstatt in der regulären syrischen Armee, auch im Fünften Korps, ableisten (FIS 14.12.2018).

Ausländische Kämpfer, bzw. Angehörige ausländischer Streitkräfte, auf Seiten des Regimes

Die militärische Intervention Russlands und die damit einhergehende Unterstützung mit fortschrittlichen Waffentechnologien, Spezialeinheiten und aus der Luft, sowie die ausgeweitete Bodenintervention des Iran konnten 2015 den Zusammenbruch des syrischen Regimes abwenden (KAS 4.12.2018a). Die iranische Koalition besteht aus iranischen Kämpfern (Teileinheiten aus dem Islamic Revolutionary Guard Corps und Mitgliedern der regulären iranischen Streitkräfte – sogenannte „Artesh“-Kämpfer) und ausländischen Kämpfern (ISW 8.3.2017), darunter Pakistanis und Afghanen (KAS 4.12.2018a). Zudem unterstützt der Iran auch lokale paramilitärische Gruppen. Diese Koalition stellt einen überproportionalen Anteil der Infanterie, die in größeren Operationen auf Seiten der Regierung eingesetzt wird (ISW 8.3.2017).

Die iranischen Offiziere unterstützen Einheiten der syrischen Armee, regierungstreue Milizen, die Hizbollah und irakische schiitische Milizen bei der Planung und Koordination von Einsätzen. Die afghanischen und pakistanischen Kämpfer werden von den iranischen Einheiten rekrutiert, ausgebildet, versorgt und ihre Führung im Kampf wird von iranischer Seite organisiert (KAS 4.12.2018a). Die Truppenstärke der afghanischen Fatemiyoun-Brigade, die seit Ende 2013 in Syrien eingesetzt wird, beläuft sich je nach Quelle auf 2.000-4.000 (ISW 8.3.2017) bzw. 6.000-10.000 Kämpfer (KAS 4.12.2018a). Die aus pakistanischen Kämpfern zusammengesetzte Einheit der Zainabiyoun-Brigade, die seit 2015 in Syrien eingesetzt wird, besitzt eine wahrscheinliche Truppenstärke von durchschnittlich unter 1.000 Kämpfern (KAS 4.12.2018a).

Hochrangige syrische Funktionäre erlebten durch die iranische und russische Dominanz einen Machtverlust, der wiederholt zu Spannungen in der iranisch-russisch-syrischen Militärkooperation führte (KAS 4.12.2018a). Im Zuge dessen kam es auch zu „Säuberungen, Exekutionen und Versetzungen“ von niederrangigen oder auch höherrangigen syrischen Offizieren, die sich gegen die Ausweitung des iranischen Einflusses wehrten (ISW 8.3.2017).

Allgemeine Menschenrechtslage

Schätzungen besagen, dass etwa eine halbe Million Menschen im syrischen Bürgerkrieg getötet wurden (BS 2018).

Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Die Methoden der Folter, des Verschwindenlassens und der schlechten Bedingungen in den Haftanstalten sind keine Neuerung der letzten Jahre seit Ausbruch des Konfliktes, sondern waren bereits zuvor gängige Praxis der unterschiedlichen Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden in Syrien (SHRC 24.1.2019).

Russland, der Iran und die Türkei haben im Zusammenhang mit den Astana-Verhandlungen wiederholt zugesagt, sich um die Missstände bezüglich willkürlicher Verhaftungen und Verschwindenlassen zu kümmern. Im Dezember 2017 gründeten sie eine Arbeitsgruppe zu Inhaftierungen und Entführungen im syrischen Konflikt, es waren bisher jedoch nur geringe Fortschritte zu verzeichnen (HRW 17.1.2019).

Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen, derer das Regime und seine Verbündeten beschuldigt werden, sind willkürliche und absichtliche Angriffe auf Zivilisten, darunter auch der Einsatz von chemischen Waffen; Massaker und Vergewaltigungen als Kriegstaktik; Einsatz von Kindersoldaten sowie übermäßige Einschränkungen der Bewegungs-, Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, inklusive Zensur. Die Regierung überwacht die Kommunikation im Internet, inklusive E-Mails, greift in Internet- und Telefondienste ein und blockiert diese. Die Regierung setzt ausgereifte Technologien und Hunderte von Computerspezialisten für Überwachungszwecke ein (USDOS 13.3.2019).

Orte, die im Laufe der vergangenen Jahre wieder unter die Kontrolle der Regierung gelangt sind, erlebten organisierte und systematische Plünderungen durch die bewaffneten Einheiten der Regierung (SHRC 24.1.2019). Berichten zufolge sind Personen in Gebieten, die erst vor kurzer Zeit durch die Regierung wiedererobert wurden, aus Angst vor Repressalien oft zurückhaltend über die Situation in diesen Gebieten zu berichten (USDOS 13.3.2019).

Bewaffnete terroristische Gruppierungen, wie die mit al-Qaida in Verbindung stehende Gruppe Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS), sind für weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen wie Massaker, Beschuss, Entführung, unrechtmäßige Inhaftierung, Folter, Tötung und Zwangsvertreibung auf Basis der Konfession Betroffener, verantwortlich. Der sogenannte Islamische Staat (IS) agiert(e) mit Brutalität gegenüber Bewohnern des von ihm kontrollierten Territoriums. Ihm werden u.a. vorgeworfen: außergerichtliche Hinrichtungen und Verhaftungen, Haft unter unmenschlichen Bedingungen, Folter, Verschwindenlassen und Anwendung von Körperstrafen. Frauen erleb(t)en in vom IS gehaltenen Gebieten willkürliche und schwere Bestrafungen, inklusive Hinrichtung durch Steinigung (USDOS 13.3.2019). Sexuelle Versklavung und Zwangsverheiratung sind zentrale Elemente der Ideologie des IS. Mädchen und Frauen wurden zur Heirat mit Kämpfern gezwungen. Frauen und Mädchen, die Minderheiten angehören, wurden sexuell versklavt, zwangsverheiratet und anderen Formen sexueller Gewalt ausgesetzt (USDOS 20.6.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Im Bezug auf Kampfhandlungen wird dem IS der Einsatz von Kindersoldaten sowie von Zivilisten als menschliche Schutzschilde vorgeworfen. Außerhalb der (ehemals) kontrollierten Gebiete verübte der IS Entführungen und Anschläge (USDOS 13.3.2019).

Auch die oppositionellen bewaffneten Gruppen der Syrian Democratic Forces (SDF) werden für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht, darunter die kurdischen Volksverteidigungskräfte (YPG). Es gibt Berichte über Verschwindenlassen von Gegnern der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD) und deren Familien, unrechtmäßige Verhaftungen, Folter von politischen Gegnern, sowie vereinzelte Berichte über Festnahmen von Journalisten, Mitgliedern von Menschenrechtsorganisationen und Oppositionsparteien und Personen, die sich weigerten mit den kurdischen Gruppen zu kooperieren (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 10.9.2018). Familienmitglieder von gesuchten Aktivisten, darunter auch Verwandte von Mitgliedern des IS, sollen von den SDF in den von ihnen kontrollierten Gebieten gefangen genommen worden sein, um Informationen zu erhalten oder um Druck auszuüben. Weiters gibt es Berichte über vermehrte Verhaftungen von Männern für versuchte Wehrdienstverweigerung und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit in den befreiten Gebieten (USDOS 13.3.2019).

Berichten zufolge kam es 2017 auch zur Vertreibung von arabischen Bewohnern aus Gegenden, die durch kurdische Einheiten vom IS befreit worden waren (USDOS 20.4.2018; vgl. AA 13.11.2018).

Die YPG gehört seit 2014 zu den vom VN-Generalsekretär gelisteten Konfliktparteien, die Kindersoldaten einsetzen und Kinderrechte verletzen (AA 13.11.2018). Nach Berichten zu Rekrutierungen von Kindern, auch unter Zwang, durch die SDF, verabschiedeten diese ein Verbot der Rekrutierung und Verwendung von Personen unter 18 Jahren zum Kampf. Verboten sind, unter Androhung von Strafen für die Befehlshaber, auch Hilfsdienste wie Ausspähen, Wach- und Versorgungsdienste. Die kurdischen Gruppen erklärten ihre volle Unterstützung der Anordnung. Im Dezember 2018 wurden 56 unter-18-jährige ihren Eltern übergeben (USDOS 13.3.2019).

Die menschenrechtliche Situation in den kurdisch kontrollierten Gebieten stellt sich insgesamt deutlich weniger gravierend dar, als in den Gebieten, die sich unter Kontrolle des syrischen Regimes oder islamistischer bis jihadistischer Gruppen befinden (AA 13.11.2018).

Ein Charakteristikum des Bürgerkriegs in Syrien ist, dass in ganz Syrien bestimmte Personen aufgrund ihrer tatsächlichen oder wahrgenommenen bzw. zugeschriebenen politischen Meinung oder Zugehörigkeit direkt angegriffen werden oder ihnen auf andere Weise Schaden zugefügt wird. Diese Zuschreibung basiert oft nur auf den familiären Verbindungen der Person, ihrem religiösen oder ethnischen Hintergrund oder einfach auf ihrer Präsenz in oder Herkunft aus einem bestimmten Gebiet, das als „regierungsfreundlich“ oder „regierungsfeindlich“ gilt (UNHCR 11.2015).

Bewegungsfreiheit

Bewegungsfreiheit innerhalb Syriens

Die Regierung, der sogenannte Islamische Staat (IS) und andere bewaffnete Gruppen beschränken die Bewegungsfreiheit in Syrien und richteten Checkpoints zur Überwachung der Reisebewegungen in den von ihnen kontrollierten Gebieten ein (USDOS 13.3.2019).

Die Bewegungsfreiheit der syrischen Bevölkerung wird auch durch aktive Kampfhandlungen eingeschränkt (UNSC 23.10.2018), etwa durch Belagerungen, die auch zur Einschränkung der Versorgung der betroffenen Gebiete und damit zu Mangelernährung, Hunger und Todesfällen führten (USDOS 13.3.2019).

Seit der zweiten Hälfte des Jahres 2018 befinden sich jedoch weit weniger Gebiete unter Belagerung, nachdem die Regierung und sie unterstützende ausländische Einheiten die meisten Gebiete im Süden und Zentrum des Landes wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben (SHRC 24.1.2019). Laut USDOS sind mittlerweile sogar alle Belagerungen aufgehoben worden (USDOS 13.3.2019).

Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung, konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig, und an den Straßen befinden sich nach wie vor zahlreiche Checkpoints, an denen Soldaten regelmäßig Bestechungsgelder verlangen sollen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit anderen Phasen des Krieges, in denen viele Gebiete unerreichbar waren. Es ist jedoch noch immer schwierig von Rebellen gehaltene Gebiete, zum Beispiel in Idlib oder Nordaleppo, zu erreichen (Reuters 27.9.2018).

Die Fortbewegung in der Stadt Damaskus hat sich Berichten zufolge seit Mai 2018 und der damaligen Wiedereroberung von oppositionellen Gebieten durch die Regierung verbessert, da z.B. seither weniger Checkpoints in der Stadt betrieben werden. Die Checkpoints werden von den unterschiedlichen Sicherheitsbehörden bemannt. Personen können beim Passieren von Checkpoints genaueren Kontrollen unterliegen, wenn sie aus oppositionell-kontrollierten Gebieten stammen oder dort wohnen, oder auch wenn sie Verbindungen zu oppositionellen Gruppierungen haben. Männer im wehrfähigen Alter werden auch hinsichtlich des Status ihres Wehrdienstes gesondert überprüft. Auch eine Namensgleichheit mit einer gesuchten Person kann zu Problemen an Checkpoints führen (DIS/DRC 2.2019). Die Behandlung von Personen an einem Checkpoint kann recht willkürlich sein. Die fehlende Rechtssicherheit und die in Syrien im Verlauf des Konfliktes generell gestiegene Willkür verursacht auch Probleme an Checkpoints (FIS 14.12.2018).

Laut Human Rights Watch wird Personen, die aus vom IS gehaltenen Gebieten flüchten, der Zutritt in kurdisch kontrollierte Gebiete verweigert, wenn diese keinen kurdischen Fürsprecher (Sponsor) vorweisen können (HRW 1.8.2018).

Die vorherrschende Gewalt und der starke kulturelle Druck schränken die Bewegungsfreiheit von Frauen in vielen Gebieten Syriens erheblich ein. In den vom IS kontrollierten Gebieten war es Frauen allgemein nicht erlaubt, ohne einen nahen männlichen Verwandten zu reisen (USDOS 13.3.2019).

Ein- und Ausreise, Situation an Grenzübergängen

Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 13.3.2019).

Minderjährige Kinder können nicht ohne schriftliche Genehmigung ihres Vaters ins Ausland reisen, selbst wenn sie sich in Begleitung ihrer Mutter befinden (BFA 8.2017). Außerdem gibt es ein Gesetz, das bestimmten männlichen Verwandten erlaubt, Frauen das Reisen zu verbieten (USDOS 13.3.2019).

Einige in Syrien aufhältige Palästinenser brauchen für eine legale Ausreise aus Syrien eine Genehmigung und müssen sich zusätzlich einer weiteren Sicherheitskontrolle unterziehen, dies hängt jedoch von ihrem rechtlichen Status in Syrien ab (BFA 8.2017).

Jordanien: Im Juni 2016 hat die jordanische Regierung den Grenzübergang zu Syrien für syrische Flüchtlinge wegen Sicherheitsbedenken geschlossen und auch die Durchfahrt für Hilfsleistungen gestoppt, nachdem bei einem Selbstmordanschlag des sogenannten Islamischen Staats (IS) in dem Gebiet sieben jordanische Soldaten getötet worden waren (DS 5.10.2016). Nachdem er drei Jahre lang geschlossen war, wurde der Nassib-Grenzübergang zwischen Jordanien und Syrien Mitte Oktober 2018 eingeschränkt wiedereröffnet (ÖB 7.2019).

Israel: Auch der Grenzübergang Quneitra zwischen von Syrien und Israel kontrollierten Gebieten der Golanhöhen wurde im Oktober 2018 wieder geöffnet (TDSL 16.10.2018; vgl. BBC 15.10.2018). Laut des israelischen Militärs sind derzeit nur UNO-Peacekeeper berechtigt, den Grenzübergang zu benutzen (Reuters 15.10.2018). Syrien und Israel befinden sich offiziell noch im Kriegszustand (TJT 15.10.2018).

Türkei: Eine Einreise über die Landgrenze aus der Türkei nach Syrien ist möglich (DIS/DRC 2.2019). Von insgesamt 20 sind drei Grenzübergänge geöffnet: Cilvegözü - Bab al-Hawa, Öncüp?nar - Bab al-Salam und Karkam?? - Jarabulus (VB 7.3.2019). Auf syrischer Seite befinden sich die drei Grenzübergänge mit Stand März 2019 unter der Kontrolle von Hay‘at Tahrir al-Sham (Bab al-Hawa, Provinz Idlib) und von türkisch gestützten oppositionellen Gruppierungen bzw. der Freien Syrischen Armee (Bab al-Salam und Jarabulus, Provinz Aleppo) (Liveuamap 6.3.2019; vgl. ISW 8.2.2019). Berichten zufolge, ist die Grenze für syrische Flüchtlinge geschlossen. Beim Versuch die Grenze zu überqueren, wurden in der Vergangenheit auch schon syrische Flüchtige erschossen (HRW 9.10.2018; PAX 17.9.2018). Im April 2017 stellte die Türkei eine Grenzmauer zwischen Syrien und der Türkei fertig. Die Mauer erstreckt sich über mehr als die Hälfte der 911 Kilometer langen syrisch-türkischen Grenze (Spiegel 12.4.2017).

Irak: Der Zugang zur syrisch-irakischen Grenze war durch die Präsenz des IS seit 2014 eingeschränkt (Kozak 28.12.2017). Der Peshkhabour-Grenzübergang zwischen Irakisch-Kurdistan und kurdisch kontrollierten Gebieten in Nordsyrien war lange Zeit als einziger Grenzübergang zwischen Irak und Syrien de facto aktiv. Die Situation am Grenzübergang wurde in der Vergangenheit von politischen Auseinandersetzungen zwischen den syrisch-kurdischen Volksverteidigungskräften (YPG) und der Regionalregierung Kurdistan-Iraks (KRG) beeinflusst, was zu regelmäßigen Schließungen und Zugangsbeschränkungen für Syrer und Palästinenser aus Syrien führte (Kozak 28.12.2017).

Berichten zufolge wird die syrische Regierung über Ein- und Ausreise von syrischen Staatsangehörigen über die kurdisch kontrollierten Gebiete Syriens informiert (NRC 30.9.2018).

Seit dem 30. September 2019 ist der Grenzübergang zwischen Al Qa‘im (Irak) und Al Bukamal (Syrien) für den Personen- und Warenverkehr wieder geöffnet (Reuters 30.9.2019; vgl. Haaretz 30.9.2019). Die Öffnung der Grenze soll auch positive Auswirkungen auf die Handelsbeziehungen zwischen beiden Ländern haben (Haaretz 30.9.2019).

Libanon: Die Einreise über die syrisch-libanesische Grenze nach Syrien ist aktuell möglich und wird häufiger als Einreisemöglichkeit genutzt als der Flughafen in Damaskus (DIS/DRC 2.2019).

IDPs und Flüchtlinge

Die Zahl der Binnenvertriebenen beläuft sich im September 2018 auf insgesamt 6,2 Millionen Menschen (UNHCR 30.9.2018). Die meisten Binnenflüchtlinge suchen in Gastgebergemeinden, Sammelzentren, verlassenen Gebäuden oder informellen Lagern Schutz (USDOS 13.3.2019).

Die Verschiebung der Frontlinien und die daraus folgenden Veränderungen der Sicherheitslage zwangen Personen ein zweites, drittes oder viertes Mal weiterzuziehen. IDPs verließen bei einem Rückgang der Gewalt [in einem Gebiet] ihre Unterkünfte und kehrten in ihre Heimat zurück, nur um dann erneut zu fliehen, nachdem die Kämpfe wieder eskalierten (IDMC o.D.).

Das syrische Gesetz bietet die Möglichkeit den Flüchtlingsstatus zu gewähren. Das Gesetz garantiert Flüchtlingen nicht explizit das Recht auf Arbeit, außer Palästinensern mit einem bestimmten rechtlichen Status [Siehe dazu Abschnitt „15.1. Palästinensische Flüchtlinge“]. Die Regierung gewährt Nicht-Palästinensern selten Arbeitsgenehmigungen, und viele Geflüchtete finden im informellen Sektor Arbeit, z.B. als Wachpersonal, Bauarbeiter, Straßenhändler oder in anderen manuellen Berufen (USDOS 13.3.2019).

Laut Schätzungen von UNHCR sind mit Beginn der Angriffe des IS auf die Provinz Sinjar im Irak im Jahr 2014 zumindest 95.000 Personen, hauptsächlich irakische Jeziden, nach Syrien geflohen. Der Großteil dieser Personen kehrte in den Irak zurück (USDOS 20.4.2018). Die Regierung gewährte irakischen Flüchtlingen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, wie Gesundheitsversorgung und Bildung, doch Aufenthaltsgenehmigungen waren nur für jene erhältlich, die legal einreisten und einen gültigen Pass hatten. Diese Kriterien erfüllten nicht alle Flüchtlinge. Es wird geschätzt, dass sich 48.000 nicht-palästinensische Flüchtlinge in Syrien aufhalten. Diese waren mit wachsenden Risiken und verstärkten Sicherheitsmaßnahmen bei Checkpoints konfrontiert (USDOS 13.3.2019).

Palästinensische Flüchtlinge

Rechtlicher Status der palästinensischen Flüchtlinge in Syrien und das Mandat der UNRWA

Die United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East (UNRWA) ist entsprechend der Resolution 302 IV (1949) der Generalversammlung der Vereinten Nationen mit einem Mandat zur Förderung der menschlichen Entwicklung palästinensischer Flüchtlinge ausgestattet. Das Mandat wurde jüngst bis zum 30. Juni 2020 verlängert. Per definitionem sind palästinensische Flüchtlinge Personen, deren gewöhnlicher Aufenthaltsort zwischen 1. Juni 1946 und 15. Mai 1948 Palästina war und die sowohl ihr Zuhause wie auch ihre Mittel zur Lebenshaltung aufgrund des Konflikts von 1948 verloren haben. Dienste von UNRWA stehen all jenen Personen offen, die im Einsatzgebiet der Organisation leben, von der Definition umfasst und bei UNRWA registriert sind, sowie Bedarf an Unterstützung haben. Nachkommen männlicher palästinensischer Flüchtlinge können sich ebenfalls bei UNRWA registrieren. Darüber hinaus bietet UNRWA ihre Dienste auch palästinensischen Flüchtlingen und Vertriebenen des Arabisch-Israelischen Konflikts von 1967 und nachfolgender Feindseligkeiten an (BFA 8.2017).

Schon vor dem Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 waren die Palästinenser in Syrien eine vulnerable Bevölkerungsgruppe (BFA 8.2017).

In Syrien lebende Palästinenser werden in Abhängigkeit vom Zeitpunkt ihrer Ankunft in Syrien in verschiedene Kategorien eingeteilt, von denen jeweils auch ihre rechtliche Stellung abhängt. Zu unterscheiden ist zwischen jenen Palästinensern, die als palästinensische Flüchtlinge in Syrien anerkannt sind und jenen, die in Syrien keinen Flüchtlingsstatus genießen. Da Syrien nicht Vertragspartei der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 ist, richtet sich der Flüchtlingsstatus nach syrischem Recht (ÖB 7.2019).

Die größte Gruppe bilden Palästinenser, die bis zum oder im Jahr 1956 nach Syrien gekommen sind, sowie deren Nachkommen. Diese Palästinenser fallen unter die Anwendung des Gesetzes Nr. 260 aus 1956, welches Palästinenser, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes einen Wohnsitz in Syrien hatten, im Hinblick auf Arbeit, Handel, Militärdienst und Zugang zum öffentlichen Dienst syrischen Staatsbürgern gleichstellt. Ausgeschlossen ist diese Gruppe jedoch vom Wahlrecht, der Bekleidung öffentlicher Ämter sowie vom Erwerb landwirtschaftlicher Nutzflächen. Sie erhalten auch nicht die syrische Staatsbürgerschaft. Unter diese Kategorie fallende Personen sind bei der General Authority for Palestinian Arab Refugees (GAPAR) registriert. Für die Palästinenser, die sich nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 260 noch im Jahr 1956 in Syrien niedergelassen haben, gelten bestimmte Modifikationen und Einschränkungen (va. Anstellung im öffentlichen Dienst nur auf Grundlage zeitliche befristeter Verträge; keine Ableistung von Militärdienst). Sie sind aber ebenfalls bei GAPAR registriert. Diese Gruppen von Palästinensern und ihre Nachkommen sind somit als Flüchtlinge in Syrien anerkannt (ÖB 7.2019).

Die nach 1956, insbesondere ab 1967 nach Syrien gekommenen Palästinenser und deren Nachkommen umfassen ihrerseits eine Reihe weiterer Untergruppen: Unter anderem fallen darunter Personen, die nach 1970 aus Jordanien, nach 1982 aus dem Libanon und während der letzten beiden Dekaden aus dem Irak gekommen sind. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nicht bei GAPAR registriert und nicht als palästinensische Flüchtlinge anerkannt sind. In Syrien gelten sie als „Arabs in Syria“ und werden wie Staatsbürger anderer arabischer Staaten beh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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