TE Bvwg Beschluss 2021/7/15 W240 2244287-1

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Veröffentlicht am 15.07.2021
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Entscheidungsdatum

15.07.2021

Norm

AsylG 2005 §5
BFA-VG §21 Abs3 Satz2
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W240 2244287-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. FEICHTER über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 25.06.2021,
Zl. 1279257907/210798649, beschlossen:

A)       Der Beschwerde wird gemäß § 21 Absatz 3, 2. Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

B)       Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, wurde am 18.06.2021 aufgrund einer Einreiseverweigerung seitens der deutschen Behörden von der PI Fremdenpolizei rückübernommen und gem. § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG festgenommen. Anschließend wurden er in ein österreichisches Polizeianhaltezentrum verbracht.

Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab einen EURODAC-Treffer über eine Asylantragstellung in Bulgarien am 29.01.2021.

Ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme wurde am 15.06.2021 eingeleitet.

Der BF wurde am 15.06.2021 niederschriftlich von einer österreichischen Landespolizeidirektion einvernommen.

Der BF gab im Rahmen der niederschriftlichen Basisbefragung vom 15.06.2021 an, er sei zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal und mittels LKW in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Er sei nicht im Besitz eines Reisepasses sowie nicht im Besitz eines notwendigen Visums oder Aufenthaltstitels.

Bei der niederschriftlichen Basisbefragung durch eine österreichische Polizeiinspektion Fremdenpolizei vom 15.06.2021 gab der BF an, dass er nach Frankreich reisen wolle. Er leide an keiner schwerwiegenden Krankheit, verfüge über keinen Wohnsitz in Österreich oder einem anderen Mitgliedstaat. Er habe keine Familienangehörige in Österreich oder einem anderen Mitgliedstaat. Er wolle in Österreich keinen Asylantrag stellen. Er verfüge über keine Barmittel. Er habe in Bulgarien um Asyl angesucht und kenne allerdings den Verfahrensstand nicht. Er besitze im österreichischen Bundesgebiet oder einem anderen Mitgliedstaat keinen Aufenthaltstitel. Bei einer möglichen Entlassung aus der Anhaltung würde er weiter nach Frankreich fahren

Aufgrund des Dublin Sachverhalts wurde der BF aus der Anhaltung entlassen, da zu diesem Zeitpunkt eine Dublinrückführung nach Bulgarien nicht durchführbar war.

Das BFA stellte dem BF eine mit 15.06.2021 datierte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zu, darin wurde dem BF mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw die Anordnung zur Außerlandesbringung beabsichtigt sei. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass der BF offenbar nicht rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei bzw. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Hinsichtlich der Länderinformationsblätter wurde der BF darauf hingewiesen, dass er diese während der Amtsstunden beim BFA einsehen könne. Der BF wurde ersucht, zahlreiche Fragen zu beantworten, für die Beantwortung der Fragen und für eine etwaige Stellungnahme wurden dem BF fünf Tage eingeräumt. Es langte keine Stellungnahme zu dieser Verständigung beim BFA ein bis dato.

Am 18.06.2021 wurde gegen den BF die Dublin–Schubhaft gem. Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung iVm § 76 Abs. 2 Z 3 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG erlassen.

Mit Schreiben vom 25.06.2021 erklärte Bulgarien sich damit einverstanden, den BF gemäß Art. 18 Abs. 1 lit d. Dublin III-VO rückzuübernehmen (AS 121).

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.06.2021 wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gem. § 61 Abs. 1 Z 2 FPG gegen diesen die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet. Demzufolge sei gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Bulgarien zulässig.

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid insbesondere festgehalten, dass sich die Feststellungen zur Einleitung und zum Abschluss des Konsultationsverfahrens sowie zum zuständigkeitsbegründenden Sachverhalt aus dem unbedenklichen Akteninhalt ergeben würden. Anhand einer durchgeführten EURODAC-Behandlung habe festgestellt werden können, dass der BF in Bulgarien einen Asylantrag gestellt habe. Die Zuständigkeit Bulgariens habe sich durch die Zustimmung am 25.06.2021 ergeben. Dass offensichtlich keine besondere Integrationsverfestigung der Person des BF in Österreich bestehe, ergebe sich einerseits aus der Kürze des bisherigen Aufenthalts in Österreich in Verbindung mit dem Umstand, dass der BF seit seiner illegalen Einreise nach Österreich – unter objektiven Gesichtspunkten betrachtet – realistischer Weise zu keinem Zeitpunkt seines Aufenthalts in Österreich davon ausgehen hätte können, dass ihm ein Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen würde. Auch habe der BF im Verfahren nicht dargelegt, dass in seinem Fall besonders gewichtige Interessen an einem Verbleib in Österreich vorliegen würden. Unter diesen Gesichtspunkten sei praktisch auszuschließen, dass bislang eine Integrationsverfestigung seiner Person in Österreich erfolgen hätte können. Seine illegale Einreise in das Bundesgebiet ergebe sich aus dem Umstand, dass der BF die Voraussetzungen für eine legale Einreise und einen legalen Aufenthalt in Österreich offensichtlich nicht erfülle und auch nicht zu jenem Personenkreis zu zählen sei, welchem aufgrund sonstiger rechtlicher Bestimmungen ein Einreise- oder Aufenthaltsrecht in Österreich zukommen würde. Insbesondere sei seine Einreise nach Österreich offensichtlich auch nicht an einer Grenzkontrollstelle unter Vorlage der erforderlichen Reisedokumente erfolgt.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes richtet sich die eingebrachte Beschwerde. Darin wurde insbesondere vorgebracht, dass der BF erstmals am 15.06.2021 ins Bundesgebiet eingereist sei. Ihm sei zum EAM-Verfahren ein Parteiengehör ausgefolgt worden, dieses in deutscher Sprache, nur allgemein gehalten und unter Verweis auf die Möglichkeit, in Länderinformationsblätter während der Amtsstunden des BFA Einsicht halten zu können. Am 18.06.2021 sei der BF an der deutschen Grenze von der dortigen Polizei zurückgewiesen sowie in weiterer Folge ein Festnahmeauftrag erlassen worden und sei der BF in ein österreichisches PAZ verbracht worden. Nach Einleitung eines Konsultationsverfahrens am 18.06.2021 „mit dem zuständigen Mitgliedsstaat“ habe Bulgarien einer Rückübernahme des BF am 25.06.2021 zugestimmt. Ohne Durchführung einer Einvernahme wurde gegenständlich angefochtener Bescheid per 25.06.2021 erlassen. Mit diesem sei dem BF kein Aufenthaltstitel auf berücksichtigungswürdigen Gründen gem. §57 AsylG erteilt worden und die Außerlandesbringung nach Bulgarien angeordnet worden. Eine Abschiebung nach Bulgarien sei für zulässig erklärt worden. Die belangte Behörde habe es unterlassen, dem BF ein Parteiengehör zur beabsichtigten Anordnung zur Außerlandesbringung nach Bulgarien zu gewähren. Wie bereits eingangs kurz erwähnt, sei dem BF am 15.06.2021 eine „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ ausgefolgt worden, welche jedoch nur allgemeiner Natur gewesen sei und in keiner Weise eine Zuständigkeit Bulgariens angeführt habe. Darüber hinaus sei die „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ zur Gänze auf Deutsch gehalten, was es dem BF aufgrund seiner Sprach- und Rechtsunkundigkeit unmöglich gemacht habe, eine entsprechende Stellungnahme abzugeben. Die belangte Behörde sei ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, zumal sie dem BF überhaupt keine adäquate Möglichkeit geboten habe, zur beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen. Weiters wäre die Behörde aufgrund ihrer Ermittlungspflicht dazu angehalten gewesen, sich sowohl mit der rechtlichen als auch mit der tatsächlichen, aktuellen Situation in Bulgarien auseinanderzusetzen und den BF zu seinem Vorbringen diesbezüglich detailliert persönlich einzuvernehmen und zu befragen. Die Entscheidung der Behörde sei sohin mangelhafterweise ohne die Durchführung einer mündlichen Einvernahme im Hinblick auf die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen worden. Dies stelle einen groben Verfahrensmangel dar und verletze den BF in seinen Rechten. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass der BF rechts- sowie sprachunkundig sei und gar nicht wissen hätte können, auf welche rechtlichen Umstände es bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet ankomme. Im Rahmen einer Einvernahme hätte der rechtsunkundige BF daher angeleitet werden müssen, alle Angaben zu machen, welche für die Beurteilung des maßgeblichen Sachverhaltes von Relevanz sei. Im Verfahren vor dem BFA sei daher der Grundsatz des Parteiengehörs gem. § 45 Abs. 3 AVG verletzt worden. Dahingehend sei in einem ähnlich gelagerten Fall auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 12.04.2021 zur Zahl W175 2241199-1/3E zu verweisen. Dementsprechend hätte es jedenfalls zu einem mündlichen Parteiengehör durch die belangte Behörde kommen müssen. Wie bereits erwähnt habe es die belangte Behörde auch nicht für notwendig erachtet, dem BF ein persönliches Parteiengehör unter Beiziehung eines Dolmetschers zu gewähren. Sofern die belangte Behörde festhalte, der BF habe „trotz Einräumung einer angemessenen Frist zur Abgabe einer Stellungnahme“ von seinem „Recht auf Parteiengehör nicht Gebrauch gemacht“, obwohl ihm „ausdrücklich mitgeteilt worden sei, dass diesfalls die Behörde ohne Anhörung auf Basis der Aktenlage eine Beurteilung treffen muss“, so habe sie dabei die Sprach- und Rechtsunkundigkeit des BF gänzlich ignoriert und ihm dadurch überhaupt keine angemessene Möglichkeit eines Parteivorbringens gewährt. Insbesondere vor dem Hintergrund entsprechender Berichte wäre der BF persönlich zu seinen Erlebnissen und Befürchtungen hinsichtlich Bulgarien einzuvernehmen gewesen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der BF ist volljährig und ist nach eigenen Angaben afghanischer Staatsangehöriger. Er hat zu Österreich keine familiären, beruflichen oder privaten Bindungen.

Die erkennungsdienstliche Behandlung ergab einen EURODAC-Treffer über eine Asylantragstellung in Bulgarien am 29.01.2021.

Dem BF wurde kein hinreichendes Parteiengehör zur beabsichtigten Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 2 FPG nach Bulgarien gewährt.

Es kann nicht festgestellt werden, ob der BF in Hinblick auf seine persönliche Situation im Falle einer aktuellen Überstellung nach Bulgarien Gefahr liefe, in seinen von der EMRK eingeräumten Rechten verletzt zu werden.


2.       Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.

Die dem Verfahren zugrunde gelegte Identität ergibt sich aus der niederschriftlichen Basisbefragung durch eine österreichische Polizeiinspektion Fremdenpolizei vom 15.06.2021.

Die erkennungsdienstliche Behandlung des BF in Bulgarien ergibt sich aus dem Eurodac-Treffer, erstellt am 29.01.2021.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das BVwG durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBL I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und

Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt. In Asylverfahren tritt das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an die Stelle des Bundesasylamtes (vgl. § 75 Abs. 18 AsylG 2005 idF BGBGl. I 2013/144).

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) idgF lauten:

„§ 61. (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn

1.dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder ….

(2)      Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.

(3)      Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.

(4)      Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.

(5)      Eine Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung ist binnen einer Woche einzubringen.“

§ 21 Abs. 3 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF lautet:

„§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint.“

Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:

„Art. 3

Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz

(1)      Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.

(2)      Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.

Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.

(3)      Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.

Artikel 5

Persönliches Gespräch

(1)      Um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zu erleichtern, führt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat ein persönliches Gespräch mit dem Antragsteller. Dieses Gespräch soll auch das richtige Verständnis der dem Antragsteller gemäß Artikel 4 bereitgestellten Informationen ermöglichen.

(2)      Auf das persönliche Gespräch darf verzichtet werden, wenn

a)       der Antragsteller flüchtig ist oder

b)       der Antragsteller, nachdem er die in Artikel 4 genannten Informationen erhalten hat, bereits die sachdienlichen Angaben gemacht hat, so dass der zuständige Mitgliedstaat auf andere Weise bestimmt werden kann. Der Mitgliedstaat, der auf das Gespräch verzichtet, gibt dem Antragsteller Gelegenheit, alle weiteren sachdienlichen Informationen vorzulegen, die für die ordnungsgemäße Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind, bevor eine Entscheidung über die Überstellung des Antragstellers in den nach Artikel 26 Absatz 1 zuständigen Mitgliedstaat ergeht.

(3)      Das persönliche Gespräch wird zeitnah geführt, in jedem Fall aber, bevor über die Überstellung des Antragstellers in den zuständigen Mitgliedstaat gemäß Artikel 26 Absatz 1 entschieden wird.

(4)      Das persönliche Gespräch wird in einer Sprache geführt, die der Antragsteller versteht oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass er sie versteht und in der er sich verständigen kann. Die Mitgliedstaaten ziehen erforderlichenfalls einen Dolmetscher hinzu, der eine angemessene Verständigung zwischen dem Antragsteller und der das persönliche Gespräch führenden Person gewährleisten kann.

(5)      Das persönliche Gespräch erfolgt unter Bedingungen, die eine angemessene Vertraulichkeit gewährleisten. Es wird von einer dafür qualifizierten Person gemäß dem innerstaatlichen Recht durchgeführt.

(6)      Der Mitgliedstaat, der das persönliche Gespräch führt, erstellt eine schriftliche Zusammenfassung, die zumindest die wesentlichen Angaben des Antragstellers aus dem Gespräch enthält. Diese Zusammenfassung kann in Form eines Berichts oder eines Standardformulars erstellt werden. Der Mitgliedstaat gewährleistet, dass der Antragsteller und/oder der ihn vertretende Rechtsbeistand oder sonstiger Berater zeitnah Zugang zu der Zusammenfassung erhält.

Art. 7

Rangfolge der Kriterien

(1)      Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.

(2)      Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.

(3)      Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.

Artikel 24

Wiederaufnahmegesuch, wenn im ersuchenden Mitgliedstaat kein neuer Antrag gestellt wurde

(1) Ist ein Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich eine Person im Sinne des Artikels 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d ohne Aufenthaltstitel aufhält und bei dem kein neuer Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, der Auffassung, dass ein anderer Mitgliedstaat gemäß Artikel 20 Absatz 5 und Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben b, c oder d zuständig ist, so kann er den anderen Mitgliedstaat ersuchen, die Person wieder aufzunehmen.“

Im gegenständlichen Fall wurde dem BVwG der bezughabende Verwaltungsakt durch das BFA durchnummeriert und offenbar unvollständig vorgelegt.

Gemäß Art. 5 Dublin III-VO ist die Behörde verpflichtet, ein persönliches Gespräch mit dem BF zuführen. Dies gilt auch für Personen, die keinen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet gestellt haben, da letztlich der ersuchte Mitgliedstaat unter anderem aufgrund dieser Angaben seine Zuständigkeit prüfen kann.

Auf das persönliche Gespräch darf nur verzichtet werden, wenn die betreffende Person flüchtig ist oder, nachdem sie die in Art. 4 Dublin III-VO genannten Informationen erhalten hat, bereits die erforderlichen sachdienlichen Angaben gemacht hat, so dass der zuständige Mitgliedstaat auf andere Weise bestimmt werden kann. Der Mitgliedstaat, der auf das Gespräch verzichtet, gibt der betroffenen Person Gelegenheit, alle weiteren sachdienlichen Informationen vorzulegen, die für die ordnungsgemäße Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats von Bedeutung sind, bevor eine Entscheidung über die Überstellung des Antragstellers in den nach Art. 26 Abs. 1 Dublin III-VO zuständigen Mitgliedstaat ergeht.

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass die persönliche Einvernahme weder im Ermessen der Behörde liegt, noch von einem „Ersuchen um persönliche Vorsprache“ abhängig ist.

Aus dem vorgelegten Akt ist ersichtlich, dass der BF allgemein im Rahmen der niederschriftlichen Basisbefragung durch eine österreichische Polizeiinspektion Fremdenpolizei vom 15.06.2021 einvernommen wurde. Das BFA stellte dem BF in weiterer Folge einzig eine mit 15.06.2021 datierte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zu, darin wurde dem BF ganz allgemein mitgeteilt, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung bzw die Anordnung zur Außerlandesbringung beabsichtigt sei. Darin wurde insbesondere ausgeführt, dass der BF offenbar nicht rechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet eingereist sei bzw. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte. Hinsichtlich der Länderinformationsblätter wurde der BF darauf hingewiesen, dass er diese während der Amtsstunden beim BFA einsehen könne. Der BF wurde ersucht, zahlreiche Fragen zu beantworten, für die Beantwortung der Fragen und für eine etwaige Stellungnahme wurden dem BF fünf Tage eingeräumt.

Nachdem keine Stellungnahme auf die vorzitierte - lediglich in deutscher Sprache verfasste -Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme einlangte, erließ das BFA den nunmehr angefochtenen Bescheid vom 25.06.2021, mit welchem dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wurde und gem. § 61 Abs. 1 Z 2 FPG gegen diesen die Anordnung der Außerlandesbringung angeordnet wurde. Demzufolge sei gem. § 61 Abs. 2 FPG dessen Abschiebung nach Bulgarien zulässig.

Gegen den Bescheid des Bundesamtes richtet sich die eingebrachte Beschwerde. Darin wurde insbesondere darauf verwiesen, dass der BF erstmals am 15.06.2021 ins Bundesgebiet eingereist sei. Ihm sei zum EAM-Verfahren ein Parteiengehör ausgefolgt worden, dieses in deutscher Sprache, nur allgemein gehalten und unter Verweis auf die Möglichkeit, in Länderinformationsblätter während der Amtsstunden des BFA Einsicht halten zu können. Ohne Durchführung einer Einvernahme wurde gegenständlich angefochtener Bescheid per 25.06.2021 erlassen. Die dem BF am 15.06.2021 ausgefolgte „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ sei nur allgemeiner Natur und habe keine Zuständigkeit Bulgariens angeführt. Darüber hinaus sei die „Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme“ zur Gänze auf Deutsch gehalten. Die belangte Behörde sei ihrer Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, zumal sie dem BF überhaupt keine adäquate Möglichkeit geboten habe, zur beabsichtigten Entscheidung Stellung zu nehmen. Weiters wäre die Behörde aufgrund ihrer Ermittlungspflicht dazu angehalten gewesen, sich sowohl mit der rechtlichen als auch mit der tatsächlichen, aktuellen Situation in Bulgarien auseinanderzusetzen und den BF zu seinem Vorbringen diesbezüglich detailliert persönlich einzuvernehmen und zu befragen. Die Entscheidung der Behörde sei sohin mangelhafterweise ohne die Durchführung einer mündlichen Einvernahme im Hinblick auf die aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen worden. Im Verfahren vor dem BFA sei daher der Grundsatz des Parteiengehörs gem. § 45 Abs. 3 AVG verletzt worden. Das BFA habe es nicht für notwendig erachtet, dem BF ein persönliches Parteiengehör unter Beiziehung eines Dolmetschers zu gewähren. Insbesondere vor dem Hintergrund entsprechender Berichte wäre der BF persönlich zu seinen Erlebnissen und Befürchtungen hinsichtlich Bulgarien einzuvernehmen gewesen.

Eine spezifische Äußerung des rechtsunkundigen BF konkret zur Erlassung einer Außerlandesbringung und insbesondere zur Überstellung nach Bulgarien kann aufgrund dieser pauschalen Belehrung nicht erwartet werden.

Selbst wenn der BF auf die Bedeutung des Schreibens aufmerksam gemacht worden wäre und er sie Möglichkeit gehabt hätte, sich von dem Inhalt Kenntnis zu verschaffen, wäre der BF nicht in der Lage gewesen, Angaben zu seinem Aufenthalt in Bulgarien zu machen, da er weder über die Existenz des Eurodac-Treffers noch über eventuelle Konsultationen mit irgendeinem Mitgliedstaat in Kenntnis gesetzt wurde und daher auch nicht darauf schließen konnte, dass die Behörde beabsichtigte ihn gerade nach Bulgarien zu überstellen, da das Schreiben lediglich eine Aufzählung diverser fremdenrechtlicher Möglichkeiten enthält, ohne dem BF ein konkretes Ermittlungsergebnis oder ein beabsichtigten Vorgehen bekanntzugeben.

Somit ist aus den dem BVwG vorliegenden Unterlagen weder der Ansatz eines mit einem Mindestmaß an Sorgfalt geführten Ermittlungsverfahren der belangten Behörde, noch eine Kontaktaufnahme mit Bulgarien oder ein dem BF gewährtes hinreichendes Parteiengehör zu entnehmen.

Auch aus dem angefochtene Bescheid ergibt sich lediglich aus dem Spruch und aus dem Verfahrensgang, dass das BFA beabsichtigt, den BF nach Bulgarien abzuschieben. Eine rechtliche Beurteilung ist jedoch mangels konkreter Angaben (insbesondere zum Konsultationsverfahren) nicht möglich.

Hinsichtlich der Länderfeststellungen zu Bulgarien ist festzuhalten, dass diese dem BF - wie ausgeführt - nicht korrekt vorgehalten wurden. Auch sind die im Bescheid befindlichen Länderfeststellungen nicht ausreichend, um eine umfassende Prüfung zu ermöglichen. Weitere Feststellungen befinden sich auch nicht im Akt.

Insgesamt hat die Behörde im gegenständlichen Verfahren somit weder ein aktenkundiges und überprüfbares Beweisverfahren geführt, noch zu irgendeinem Zeitpunkt des Verfahrens Parteiengehör gewährt oder den BF über die Verfahrensschritte ausreichend in Kenntnis gesetzt.

Dies wird unter Einhaltung der Mindestvoraussetzungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens nunmehr durchzuführen sein. Danach wird gegebenenfalls der vollständige, chronologisch geordnete Akt dem BVwG erneut zur Beurteilung vorzulegen sein.

Es ist nicht Sinn und Zweck eines beschleunigten Verfahrens, durch die hier gewählte Vorgehensweise das BVwG dazu zu verhalten, selbst umfangreiche Ermittlungen nicht nur zum Verfahrensgang, sondern zum gesamten entscheidungsrelevanten Sachverhalt zu führen und die daraus erzielten Ermittlungsergebnisse den Parteien zur Wahrung des Parteiengehörs (erstmals) zur Stellungnahme vorzulegen.

Wie dargelegt wurde im gegenständlichen Fall der entscheidungsrelevante Sachverhalt trotz bestehenden Möglichkeiten nicht ausreichend ermittelt und festgestellt, weshalb gemäß
§ 21 Abs. 3 zweiter Satz BFA-VG zwingend vorzugehen war.

Eine mündliche Verhandlung konnte gem. § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG idgF unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 Satz 1 B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wurde.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Die Entscheidung liegt in der Bewertung der Asyl- und Aufnahmesituation im Mitgliedsstaat, welche bereits durch umfassende und im Detail bzw. in der fachlichen Substanz unwidersprochen gebliebene Feststellungen festgehalten wurde und demgemäß in einer Tatbestandsfrage.

Hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes konnte sich das Bundesverwaltungsgericht sowohl auf umfangreiche Judikatur des EGMR sowie auf eine ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten der angefochtenen Bescheide wiedergegeben.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Parteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W240.2244287.1.00

Im RIS seit

15.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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