Entscheidungsdatum
22.07.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W182 2244332-1/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Republik Jemen, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU) GmbH gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.05.2021, Zl. 1269571109/210362085, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerde wird Spruchpunkt I. des bekämpften Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I 2013/33 idgF, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der minderjährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Republik Jemen, gehört der arabischen Volksgruppe an, ist Sunnit, war im Herkunftsstaat zuletzt in der Hauptstadt Sanaa wohnhaft, reiste am 06.03.2021 u.a. mit seiner Mutter mit einem D-Visum legal ins Bundesgebiet ein und stellte am 16.03.2021 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Der BF brachte in einer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.03.2021 zu seinen Fluchtgründen befragt vor, dass er im Jemen zum Soldaten rekrutiert worden wäre, was er auf keinen Fall möchte. Es habe keinen konkreten Bedrohungsfall gegen ihn oder seine Familie gegeben. Doch wisse er vom Hörensagen, dass junge Männer rekrutiert werden. Deswegen seien sie aus dem Jemen geflohen. Seinem Vater komme in Österreich der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu.
In einer Einvernahme beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) am 07.05.2021 bracht der BF zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor, dass die Houthi in Sanaa von ihm verlangt hätten, dass er zur Armee gehen müsse. Daraufhin seien seine Mutter und Geschwister mit ihm zu Bauern in der Nähe von Sanaa geflüchtet, wobei sie den Jemen verlassen haben. Der BF habe sich im Jemen extrem unsicher gefühlt. Er habe Angst gehabt, dass sie ihn erwischen, er umgebracht werde oder jemanden umbringen müsse. Die Polizei habe ein paar Mal wegen des Militärdienstes nach ihm gefragt. Dies habe er von Nachbarn und anderen Leuten erfahren. Hätten sie ihn gefunden, hätten sie ihn mitgenommen. Der BF habe zuletzt im September 2020 den Jemen verlassen.
2. Mit dem nunmehr angefochtenen oben angeführten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag auf internationalen Schutz des BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 leg.cit. eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 06.05.2022 erteilt (Spruchpunkt III.).
Zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates wurde festgestellt: „Sie haben keine eigenen Fluchtgründe vorgebracht. Es konnte auch amtswegig nicht festgestellt werden, dass Sie im Herkunftsland einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein würden“.
Zur Situation im Fall einer Rückkehr wurde festgestellt: „Sie würden bei einer Rückkehr im Familienverband als Minderjähriger keiner relevanten Gefahr ausgesetzt sein. Jedoch wurde Ihrem Vater der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und wird Ihnen im Familienverfahren ebenfalls subisidiärer Schutz erteilt.“
Zur Situation im Herkunftsland wurden unter der Überschrift „Länderfeststellungen zu Jemen, Stand 31.05.21“ ausschließlich Berichte zitiert, die spätestens im November 2019 abgerufen wurden. Dabei wurde zur Situation von Kindern u.a. festgestellt: „Obwohl gesetzlich verboten, nahmen Kinder unter 18 Jahren auf Seiten der Hadi-Regierung, auf Seiten von Stammeskämpfern, Huthis und anderen bewaffneten Gruppierungen, wie der Security Belt Forces, am Konflikt teil. Schätzungen zufolge soll fast ein Drittel der Kämpfer im Jemen jünger als 18 Jahre sein. Das Fehlen eines einheitlichen Systems für die Geburtsregistrierung erschwert den Altersnachweis, was manchmal zur Rekrutierung von Minderjährigen für das Militär beiträgt. Allein im Jahr 2017 wurden 842 Fälle von Rekrutierung und Einsatz von Jungen verifiziert und dokumentiert, zwei Drittel der Fälle gingen auf Huthi-Kräfte zurück (USDOS 13.3.2019; vgl. HRW 17.1.2019).“ Zur Rekrutierungspraxis wurden keine Feststellungen getroffen.
Beweiswürdigend wurde „betreffend die Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats“ ausgeführt: „Sie haben keine eigenen Fluchtgründe glaubhaft gemacht. Bei Erstbefragung haben Sie angegeben, keine eigenen Fluchtgründe zu haben. Erst nach Rückübersetzung sprachen Sie davon, Angst zu haben, rekrutiert zu werden. Entsprechend den vorliegenden Länderfeststellungen gibt es keine Wehrpflicht. Es kam auch bei Ihrem bisherigen Aufenthalt im Herkunftsland zu keinen Übergriffen. Sie waren nie einer persönlichen Bedrohung ausgesetzt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie bei einer Rückkehr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt wären. Insofern Sie eine Rekrutierung befürchten, ist anzumerken, dass Sie “[Anmerkung: der letzte Satz wurde von der Behörde nicht vervollständigt].
„Betreffend die Feststellungen zu Ihrer Situation im Fall Ihrer Rückkehr“ wurde weiters argumentiert: „Es konnte nicht festgestellt werden, dass Sie bei einer Rückkehr ins Herkunftsland in eine ausweglose oder gar lebensbedrohende Situation geraten könnten. Sie haben immer im Familienverband, zuletzt mit Ihrer Mutter und den Geschwistern gelebt. Jedoch stehen Sie zu Ihrer Bezugsperson in Österreich im Familienverband in einem besonderen Abhängigkeitsverhältnis. Sie sind minderjährig und Ihnen ist daher ebenfalls keine Rückkehrentscheidung zu erlassen und bezugnehmend auf Ihren Vater der Status des Subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen“.
3. Gegen Spruchpunkt I. des Bescheides wurde innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben. Darin wurden bemängelt, dass das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren grob mangelhaft gewesen sei, da sie ihrer nach §§ 37, 39 Abs 2 AVG bestehenden, in § 18 Abs 1 AsylG 2005 konkretisierten Verpflichtung, zur amtswegigen Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts nicht nachgekommen sei. Die im vorliegenden Bescheid getroffenen Länderfeststellungen seien unvollständig und würden das vom BF geschilderte Bedrohungsszenario einer Zwangsrekrutierung außer Acht lassen. Zu Zwangsrekrutierungen seitens der Houthi-Milizen würden sich insbesondere in einer ACCORD Anfragebeantwortung unter Zugrundelegung von Quellen, die überwiegend unter saudi-arabischen Einfluss stehen, Hinweise auf Rekrutierungsbeauftragte und partielle, in bestimmten Gebieten bzw. Regionen durchgeführte Zwangsrekrutierungen, die insbesondere Minderjährige betreffen würden, finden. In seiner bisherigen Rechtsprechung habe der Verwaltungsgerichtshof von der -nicht asylrelevanten -Zwangsrekrutierung durch eine Bürgerkriegspartei (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203, VwGH 21.09.2000, Zl. 99/20/0373, VwGH 26.09.2007, Zl. 2006/19/0387) jene Verfolgung unterschieden, die an die tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung anknüpft, die in der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, gesehen werde. Auf das Auswahlkriterium für die Zwangsrekrutierung selbst komme es in einem solchen Fall nicht an (Vgl. VwGH 31.05.2001, Zl. 2000/20/0496). Entscheidend sei, mit welchen Reaktionen der Betroffene aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen müsse und ob in seinem Verhalten eine - sei es auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt werde (vgl. VwGH 10.12.2014, Zl. Ra 2014/18/0103). Dies werde auch ausdrücklich im Art. 9 Abs. 2 lit e der Richtlinie 2011/95/EU als asylrelevante Verfolgung festgehalten. Daher sei eine (drohende) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Art. 12 Abs. 2 der genannten Richtlinie fallen, eine (drohende) asylrelevante Verfolgung darstellen. Es sei daher davon auszugehen, dass ein reales Risiko bestehe, dass insbesondere männliche Jemeniten, die in den Jemen zurückkehren (müssten), dem Wehrdienst zugeführt werden, da man dieser Personen unmittelbar nach der Einreise bereits habhaft werde und diese darüber hinaus - außerhalb des Familienverbandes und ohne Zugang zu anderer Art sozialer Unterstützung - in der Phase der Einreisemodalitäten den staatlichen bzw. regierenden Akteuren ausgeliefert seien. Die Ausführungen zu dem den BF treffenden Zwang im Falle seiner Rückkehr einen Wehrdienst anzutreten, würden sich sich aus den vorliegenden Feststellungen ergeben. Unter Zugrundelegung der Berichte zum Herkunftsland erweise sich die Gefahr einer Verfolgung immer noch als aktuell. Aufgrund des bereits zukommenden Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Jemen komme die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht in Betracht. Es bestehe bei der spezifischen Gewalt- und Bürgerkriegssituation im Jemen sohin die konkrete Gefahr, als Mann mit dem Profil des BF zum Wehrdienst eingezogen zu werden und folglich sei die Flucht vor einer derartigen Gefahrensituation asylrelevant.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Zu Spruchteil A):
2.1. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat. Zur Anwendung des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG durch die Verwaltungsgerichte hat der Verwaltungsgerichtshof ausgehend von einem prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht durch das Verwaltungsgericht präzisierend wie folgt festgehalten (VwGH 26.06.2014, Zl. Ro 2014/03/0063):
"Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f)."
2.2. Im gegenständlichen Fall liegt eine Mangelhaftigkeit im Sinne des § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vor.
Der BF machte im Wesentlichen geltend, von den Houthi als Kind gegen seinen Willen und unter Zwang zum Militärdienst im Bürgerkrieg herangezogen zu werden. Die belangte Behörde hat jedoch weder aussagekräftige Länderfeststellungen zu dem Vorbringen erhoben, noch den BF im Rahmen der Einvernahme zur Glaubhaftigkeit seiner Angaben näher befragt. Die vom Bundesamt zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates getroffenen Feststellungen, wonach der BF „keine eigenen Fluchtgründe“ vorgebracht hätte stehen im gänzlichen Widerspruch zum Akteninhalt, lassen sich aber auch nicht mit der Beweiswürdigung in Einklang bringen. Letztere enthält wiederum keinen nennenswerten Begründungswert. Nachvollziehbare Argumente, warum den Befürchtungen des BF hinsichtlich einer Zwangsrekrutrierung durch die Houthi offenbar kein Glauben geschenkt wurde, wurden nicht dargetan, lassen sich aber auch aus dem Ermittlungsergebnis der Behörde nicht ableiten, zumal – wie bereits ausgeführt – entsprechende Ermittlungsschritte gänzlich unterlassen wurden.
Das Bundesamt hat sohin im Ergebnis das Vorbringen des BF völlig ignoriert. Dies erweist sich umso schwerwiegender, als den im Bescheid getroffener Feststellungen jedenfalls zu entnehmen ist, dass die Rekrutierung und der Einsatz von Minderjährigen - insbesondere auch durch die Houthi - im Jemen dokumentiert seien. Erhebungen zum konkreten Vorbringen des BF, die Feststellungen zur konkreten Rekrutierungspraxis der Houthi ermöglichen, wurden dennoch gänzlich unterlassen. Derartige Erhebungen wären jedoch unbedingt erforderlich gewesen, um das Vorbringen des BF sowohl hinsichtlich der Glaubwürdigkeit als auch im Hinblick auf die Asylrelevanz auch nur annähernd beurteilen zu können.
Der Verwaltungsgerichtshof erkennt etwa in seiner ständiger Rechtsprechung, dass einer (versuchten) Zwangsrekrutierung dann Asylrelevanz zukommt, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist, mit welchen Reaktionen der Betroffene aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte - politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl. etwa VwGH 28.01.2015, Zl. 2014/18/0090, VwGH 28.11.2014, Zl. Ra 2014/01/0094, VwGH 10.12.2014, Zlen. Ra 2014/18/0103 bis 0106). Nach der Judikatur sind für die Beurteilung des Vorbringens eines Asylwerbers zu Zwangsrekrutierungen durch nicht staatliche Akteure die Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat einzubeziehen. (Vgl. VwGH 27.01.2015, Zl. Ra 2014/19/0112). Für eine Asylrelevanz würde aber hier zusätzlich der Umstand sprechen, dass es sich um die Rekrutierung von „Kindersoldaten“ handeln würde.
Hinzu kommt, dass die aktuellsten vom Bundesamt herangezogenen Berichte zur Situation im Jemen vom November 2019 stammen, sohin über eineinhalb Jahre veraltet sind. Gerade im Fall einer aus allgemein zugänglichen Informationsquellen bekannten instabilen Sicherheitslage, die im Bürgerkriegsland Jemen als notorisch bekannt vorauszusetzen ist, ist nach höchstgerichtlicher Judikatur jedenfalls eine Auseinandersetzung mit aktuellen Situationsberichten erforderlich (vgl. dazu etwa VwGH 13.12.2016, Zl. Ra 2016/20/0098, aber auch VfGH 21.09.2017, Zl. E 1323/2017-24).
Die Behörde hat im konkreten Fall gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (idF BGBl I Nr. 4/2008) determinierten Ermittlungspflichten verstoßen (vgl. dazu die inhaltlich nahezu unveränderte Fassung des § 18 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl I Nr. 68/2013). Mit § 18 Abs. 1 AsylG 2005 (wie auch schon mit der nahezu wortgleichen Vorgängerbestimmung des § 28 AsylG 1997) wurde die aus § 37 iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen, speziell für das Asylverfahren weiter konkretisiert (vgl. dazu VwGH 08.04.2003, Zl. 2002/01/0522). So verpflichtet § 18 Abs. 1 AsylG 2005 idgF das Bundesamt (zuvor Bundesasylamt), in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt werden, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt oder überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Beweismittel auch von Amts wegen beizuschaffen (zum Umfang der Ermittlungspflichten vgl. VwGH 14.12.2000, Zl. 2000/20/0494; VwGH 06.10.1999, Zl. 98/01/0311; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0222; VwGH vom 21.09.2000, Zl. 98/20/0361; VwGH 04.05.2000, Zl. 99/20/0599).
2.3. Im gegenständlichen Fall erweist sich der angefochtene Bescheid des Bundesamtes und das diesem zugrundeliegende Verfahren in besonders gravierender Weise als mangelhaft. Die Durchführung oder Wiederholung einer Einvernahme erscheint unvermeidlich. Der maßgebliche Sachverhalt stellt sich mangels entsprechender Ermittlungen – auch in Verbindung mit der Beschwerde - als ungeklärt dar. Das Verfahren vor dem Bundesamt ist - wie oben dargestellt – mit massiven Mängeln behaftet. Weitreichende Erhebungen, welche grundsätzlich von der belangten Behörde durchzuführen sind, wären demnach durch das Verwaltungsgericht erstmals zu tätigen. Indem das Bundesamt weder aktuelle Länderfeststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat des BF noch sonst nachvollziehbare Feststellungen zur Rekrutierungspraxis der Houthi getroffen hat und sich letztlich auch die Befragung des BF zu seine Fluchtgründen als völlig oberflächlich erweist, ist im Ergebnis davon auszugehen, dass die Behörde lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt bzw. bloß ansatzweise ermittelt hat, sodass vom Vorliegen besonders gravierender Ermittlungslücken auszugehen ist. Indem das Bundesamt das Vorbringen des BF im Ergebnis komplett ignoriert hat, steht mangels entsprechender Ermittlungen auch der maßgebliche Sachverhalt zur Gänze nicht fest (vgl. VwGH 17.05.2021, Ra 2021/18/0089).
Besondere Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Verwaltungsgerichts gegen eine Kassation des angefochtenen Bescheides sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar. So können keine Anhaltspunkte dafür erkannt werden, dass eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes in der Sache im Interesse der Raschheit gelegen wäre. Das Verfahren würde durch eine Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht keine Beschleunigung erfahren, zumal es auch nicht als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde anzusehen ist und die Verwaltungsbehörde durch die bei ihr eingerichtete Staatendokumentation wesentlich rascher und effizienter die notwendigen Ermittlungen nachholen kann. Aus der Aktenlage ergeben sich weiters auch keine Hinweise, wonach die Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Vielmehr ist angesichts der Einrichtung und Ausstattung des Bundesamtes als asyl- und fremdenrechtliche Spezialbehörde vom Gegenteil auszugehen.
Unter Zugrundelegung des unter Punkt II.2.2. im Detail Ausgeführten wird das Bundesamt erstmals aktuelle Länderfeststellungen zur Situation im Jemen sowie konkrete Feststellungen zur Rekrutierungspraxis der Houthi-Rebellen insbesondere im Hinblick auf Minderjährige und der Konsequenzen einer Verweigerung zu treffen haben. Auf dieser Basis wird der BF zu sämtlichen von ihm in der Einvernahme am 07.05.2021 geschilderten Vorfällen und Fluchtgründen nunmehr detailliert und ausführlich zu befragen sein.
2.4. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 leg. cit. kann eine Verhandlung entfallen, wenn u.a. bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Im gegenständlichen Fall sind beim erkennenden Gericht hinsichtlich der Aufhebung des Bescheids und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde mangels hinreichender Ermittlungen keinerlei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung aufgekommen. Wie der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung zu entnehmen ist (vgl. dazu die unter den Punkten II.2.1. f. zitierte Judikatur), weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen und auch auf die nunmehr geltende Rechtslage übertragbaren Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es zu irgendeinem Aspekt des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhaltes an einer relevanten Rechtsprechung. Auch ist die im gegenständlichen Fall maßgebende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Im Übrigen liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen vor.
Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Schlagworte
aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht Feststellungen individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W182.2244332.1.00Im RIS seit
15.10.2021Zuletzt aktualisiert am
15.10.2021