TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 W253 2153891-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28

Spruch


W253 2153891-1/27E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Jörg C. BINDER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2017, Zl. 1052538709 – 150214542/BMI-BFA_STM_AST_01_TEAM_01, nach öffentlicher, mündlicher Verhandlung am 30.09.2020, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.07.2022 erteilt.

III. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 26.02.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 27.02.2015 wurde der Beschwerdeführer durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes befragt. Zusammengefasst gab er an, dass er ledig und in XXXX , Maidan Wardak, Afghanistan geboren worden sei. Er habe ein Jahr die Grundschule ebendort besucht und sei zuletzt als Hilfsarbeiter tätig gewesen. Seine Eltern seien verstorben, er habe einen Bruder und drei Schwestern, unbekannten Alters. Eine Schwester lebe seit sechs Jahren in Dänemark und eine seit sechs Jahren in Deutschland. Die dritte Schwester lebe im Herkunftsland oder einem anderen Drittstaat. Afghanistan verlassen habe er aus religiösen Gründen . Er sei als Moslem geboren und habe Sachen machen müssen, die er nicht gemocht habe. Er wolle seine Religion wechseln und dazu habe er in Afghanistan keine Möglichkeit. Sonst habe er keine weiteren Fluchtgründe. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst getötet zu werden.

3.       Am 22.03.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich einvernommen. Zusammengefasst gab er Folgendes an:

Die Erstbefragung sei ihm nicht rückübersetzt worden, der Dolmetscher habe gesagt, dass er diese unterschreiben soll. Vielleicht habe dieser ihm die Niederschrift doch rückübersetzt, der Beschwerdeführer wisse es nicht mehr. Er sei vor ein paar Wochen beim Arzt gewesen. Er sei aber gesund. Der Beschwerdeführer gab nachfolgend an, dass er krank und nicht so gesund sei. Er könne keinen Deutschkurs besuchen, er habe Kopfweh. Er führe den Haushalt und schaue fern. Er sei afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und ohne religiöses Bekenntnis. Er sei in Maidan Wardak geboren worden und habe zuletzt für zwei Jahre in Kabul gelebt und dort in einem Hotel als Geschirrwäscher gearbeitet. Verwandte in Afghanistan habe der Beschwerdeführer nicht. Seine Eltern seien gestorben und er habe nur zwei Schwestern. Er wisse nicht, wo seine Onkel und Tanten seien. Diese seien schiitische Moslems und er habe kein Interesse daran, mit diesen in Kontakt zu treten. Als er ein Kind gewesen sei, habe er mit seiner Mutter die Moschee besucht. Dort hätten die Leute nach schiitischer Tradition geweint und er habe schon damals nichts damit anfangen können. Der Beschwerdeführer habe ein Jahr lang die Schule besucht. Er habe nicht so viel gearbeitet, manchmal habe er in einer Schneiderei als Lehrling gearbeitet. Er habe nicht so viel verdient, habe aber etwas zu essen bekommen. Als er 15 Jahre alt gewesen sei, habe er seine Eltern verloren und dann nur bei seiner Schwester gewohnt. Sie hätten damals in einem kleinen Haus gewohnt, danach habe er dort geschlafen, wo er gearbeitet habe, z.B. in der Schneiderei. Er habe in der Damenschneiderei zwei Jahre als Lehrling gearbeitet.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er als Kind kein Interesse am schiitischen Glauben gehabt habe, als er Jugendlich gewesen sei habe er sich vom Glauben abgewendet. Er sei nie in eine Moschee gegangen. Seine Mutter habe ihn mit Gewalt in die Moschee gezerrt. Langsam sei die Beziehung mit den schiitischen Moslems immer schlechter geworden. Eines Tages sei er dann von diesen geschlagen und mit einem Messer in den Kopf gestochen worden. Seitdem sei er auch nicht ganz normal und müsse oft zum Arzt gehen. Er könne nicht klar denken und auch nicht gut lernen. Er könne die Einvernahme schon weiterführen, er könne nur nicht lernen, da er nicht so viel Geduld habe. Er sei in Tiesak im Alter von ca. sieben oder acht Jahren vor einer schiitischen Moschee von mehreren Leuten geschlagen, getreten und mit dem Messer gestochen worden. Genauere Angaben könne er dazu nicht machen. Er wisse die Namen der Leute nicht, es sei schon lange her, aber alle seien Schiiten gewesen. Er sei danach bewusstlos gewesen und wisse nicht, was dann passiert sei. Das sei schon alles sehr lange her und vielleicht habe er es vergessen. Er habe dann eine Anzeige gemacht, aber keiner habe ihn unterstützt. Er habe sich alleine gefühlt, aber das Leben sei weiter gegangen. Die Anzeige habe er als Jugendlicher gemacht, er sei ein paar Jahre nach dem Vorfall zur Polizeistation in Tiesak gegangen, dies sei ca. 2009 gewesen. Er habe keine Anzeige erhalten, er habe nur mit den Leuten gesprochen. Er habe sich dann Gelegenheitsarbeiten gesucht, manchmal habe er eine gefunden, manchmal nicht. Danach sei nichts passiert, außer das einmal jemand mit einer Pistole geschossen habe in Kabul in den letzten zwei Jahren, der Beschwerdeführer höre gut, aber ab und zu tue es weh. Es sei mit der Pistole geschossen worden, da der Beschwerdeführer kein Interesse an den Glauben gehabt habe. Er habe geschlafen, es sei in der Nacht gewesen. Er habe dann irgendetwas bemerkt und aus dem Fenster geschaut, das Glas sei kaputt gewesen und sein Ohr habe geblutet. Er habe nur diese Feinde, sonst niemanden. Maidan Wardak habe er vor ca. fünf oder sechs Jahren verlassen. Es sei nicht so schwer gewesen den Beschwerdeführer in Kabul zu finden, man könne in Afghanistan jeden finden. Seine Feinde seien eine politische Partei namens Harakat gewesen. Der Führer heiße Mohaqeq und Khalili. Es sei eine politische Partei, dies seien aber alle Schiiten. Er sei verfolgt worden, weil er keine Religion habe. Als er in Kabul gearbeitet habe, habe er immer Angst gehabt und dann habe er sich gedacht, dass das nicht mehr geht. Sein Leben sei dort in Gefahr gewesen. Vom letzten Vorfall bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan sei ca. ein Monat vergangen. Der Beschwerdeführer sei von Maidan Wardak nach Kabul gegangen und habe dann fünf Monate im Iran gelebt. Aus dem Iran sei er abgeschoben worden und habe dann zwei Jahre in Kabul verbracht. Abschließend gab der Beschwerdeführer noch an, dass Muslime gegen Ungläubige seien. Nachgefragt, an was der Beschwerdeführer glaube gab dieser an, dass er bis jetzt keinen Glauben gewählt habe, er müsse erst schauen, welcher Glaube gut sei. Er esse kein Schweinefleisch, da im Asylheim Moslems seien. Er sei das letzte Mal als Kind in der Moschee gewesen, seine Mutter habe ihn mitgenommen, er habe dort nie hingewollt. Bei ihnen müsse man einmal im Jahr 12 Tage lang in die Moschee gehen und sich selbst schlagen und weinen, dass habe der Beschwerdeführer nicht machen wollen. Er möge den Islam allgemein nicht und auch deswegen, da sie die Leute zwingen gläubig zu sein.

Vorgelegt wurden ein Laborbefund (datiert mit 02.03.2017), ein Ambulanzbericht aus dem LKH Judenburg-Knittelfeld (datiert mit 22.02.2017), ein Attest Drs. Pilz (datiert mit 21.03.2017) sowie ein Ambulanzbericht aus dem LKH Rottenmann-Bad Aussee (datiert mit 03.03.2017).

4.       Mit Bescheid vom 28.03.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers bezüglich des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt und gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Weiters wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt IV.).

Festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer jung und arbeitsfähig sei und weder an einer schweren körperlichen Krankheit noch an einer schweren psychischen Störung leide. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland Afghanistan einer konkreten, individuellen und aktuellen Bedrohung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten ausgesetzt gewesen sei bzw. habe er keine derartige Bedrohung glaubhaft machen können. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer nach der Rückkehr in sein Herkunftsland in eine bedrohliche Situation geraten werde. Die allgemeine Sicherheitslage in seinem Herkunftsland sei nicht so schlecht, dass eine Rückkehr dorthin als generell unmöglich einzustufen sei. Er sei jung, gesund, arbeitsfähig und könne nach der Rückkehr eine Arbeit aufnehmen. Es lägen keine weiteren Anhaltspunkte vor, dass er nach einer Rückkehr in eine ausweglose Situation geraten könnte.

Begründet wurden die getroffenen Feststellungen damit, dass der Beschwerdeführer angegeben habe, dass er keine Verwandte mehr im Heimatland habe, da er aufgrund des Glaubens der Angehörigen angeblich kein Interesse daran gehabt habe, Kontakt mit diesen zu haben. Dies sei nicht plausibel, zumal der Beschwerdeführer mit seiner Familie (Eltern, Schwestern) im selben Haushalt zusammengelebt habe und auch nie Probleme mit den Verwandten behauptet habe. Dies lasse den Verdacht zu, dass es sich um eine Schutz- und Zweckbehauptung handele. Da entgegenstehende Informationen nicht vorlägen, gehe das BFA davon aus, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich gesund sei, also weder an einer schweren Erkrankung leide, noch ein längerfristiger Pflege- und Rehabilitationsbedarf bestehe. Die Erzählungen des Beschwerdeführers den Vorfall vor der Moschee betreffend seien gänzlich unglaubwürdig, da, wenn er tatsächlich die berichteten Verletzungen davon getragen hätte, eine medizinische Versorgung obligat gewesen wäre. Nicht nachvollziehbar sei auch, wieso dem Beschwerdeführer sein Alter bei diesem Vorfall so in Erinnerung geblieben sei, er aber keine Personenbeschreibungen abgeben könne und er auch nicht wisse, ob er in ein Krankenhaus gekommen sei. Er habe dies damit begründet, dass dieser Vorfall schon so lange her sei. Es sei glaubhaft, dass der Beschwerdeführer ein fiktives Vorbringen erstattet habe um Asyl zu erlangen. Der Beschwerdeführer habe nachfolgend Maidan Wardak verlassen und sei nach Kabul gezogen und hätte dort nach Gelegenheitsarbeiten gesucht. In Kabul sei er ein Monat geblieben und danach für fünf Monate in den Iran gegangen. Dort sei er als Steinmetz tätig gewesen. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso der Beschwerdeführer in ein Land gezogen sei, in dem Schiiten leben und dort fünf Monate gelebt und gearbeitet habe, wenn er doch angeblich von diesen verfolgt werde. Er habe einerseits eine derart große Bedrohung durch die schiitischen Moslems behauptet, andererseits habe der Beschwerdeführer aber fünf Monate im Iran arbeiten und leben können. Von Vorfällen im Iran habe er nichts berichtet. Er habe danach, nach seiner Abschiebung nach Afghanistan, zwei Jahre in Kabul gelebt. Er sei dort angegriffen worden, der Grund sei gewesen, dass er kein Interesse am Glauben gehabt habe. Aufgrund der unschlüssigen und detailarmen Angaben sei deutlich gewesen, dass der Beschwerdeführer keinen Erlebnisbericht erstattet habe, sondern versucht ein fiktives Konstrukt zu vermitteln. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wieso der Beschwerdeführer in Kabul gefunden worden sei, in Afghanistan gebe es kein Meldewesen. Auch den Führer der Partei, die den Beschwerdeführer angegriffen habe, habe er nicht korrekt bezeichnen können. Der Beschwerdeführer habe erzählt, nur das zerbrochene Fenster und den Schuss bemerkt zu haben, es sei nicht nachvollziehbar, wieso er den Namen der Angreifer nennen habe können, wo er diese Personen doch gar nicht gesehen habe. Dies lasse den Verdacht zu, dass diese Erzählung nur der Asylerlangung dienen solle. Es sei auch unglaubwürdig, dass die schiitischen Moslems in einer Stadt wie Kabul mitbekommen haben sollen, wie intensiv der Beschwerdeführer seinen Glauben ausübe. In Zusammenschau aller Angaben des Beschwerdeführers sei die Behörde davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer versucht habe, eine fiktive Fluchtgeschichte zu entwickeln, die nur der Asylerlangung dienen solle.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Kabul sei für einen jungen, arbeitsfähigen, männlichen Antragsteller sowohl aus objektiver als auch aus subjektiver Sicht zumutbar. Eine medizinische Versorgung in Kabul sei möglich und der Beschwerdeführer leide nachweislich an keiner schweren psychischen oder physischen Erkrankung. Er habe angegeben, ein Jahr lang in die Schule gegangen zu sein, er könne im Falle einer Rückkehr an einer staatlichen Schule eine Ausbildung beginnen. Er habe in seinem Heimatland wertvolle Berufserfahrung sammeln können. Auch wenn eine Rückkehr nach Maidan Wardak nicht möglich sei, könne er sich z.B. in Kabul wieder eine Existenz aufbauen, wo er auch schon gearbeitet habe. Es sei für das BFA auch denkbar, dass die Verwandten des Beschwerdeführers, die offensichtlich ohne Probleme im Heimatland leben würden, diesen wirtschaftlich unterstützen könnten. Auch könne er bei einer Rückkehr Unterstützung von anderen Institutionen erlangen.

5.       Am 12.04.2017 wurde die gegenständliche Beschwerde gegen den Bescheid des BFA erhoben.

Begründet wurde diese damit, dass der Beschwerdeführer schiitischer Moslem sei, sich diesem Glauben aber nicht zugehörig fühle und auch überlege zu konvertieren. Der Beschwerdeführer habe sein Heimatland aus religiösen Gründen verlassen müssen. Er fühle sich nicht als schiitischer Moslem und habe diesem Glauben auch schon in jungen Jahren abgesagt. Er habe nie in die Moschee gehen wollen, sei aber von seiner Mutter dazu gezwungen worden. Die Beziehung zu anderen schiitischen Moslems sei mit der Zeit immer schlechter geworden und der Beschwerdeführer sei sogar mit einem Messer in den Kopf gestochen und geschlagen worden. Auch in Kabul sei er von Mitgliedern der Harakat-Partei beschossen worden, da diese herausgefunden hätten, dass er den Koran nicht lese. Dem Beschwerdeführer drohe in Afghanistan eine asylrelevante Verfolgung, er fürchte sich davor, weiter von Schiiten attackiert zu werden, da er in deren Augen ungläubig sei, da er sich nicht zum „Schiitentum“ bekenne und sogar vorhabe seinen Glauben zu wechseln. Weiters befürchte der Beschwerdeführer eine Verfolgung aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara. Der Beschwerdeführer habe kurzzeitig im Iran gelebt, auch vom IS und den Taliban würde ihm Gefahr drohen, da er sich nicht dazu bekenne Moslem zu sein. Der afghanische Staat sei nicht in der Lage bzw. nicht willens, dem Beschwerdeführer Schutz vor der genannten Verfolgung zu bieten. Es bestehe keine innerstaatliche Fluchtalternative für den Beschwerdeführer, da die ihm drohende Gefahr sich auf das gesamte Staatsgebiet erstrecke. Gerade die Taliban oder die Harakat-Partei könne ihn im gesamten Staatsgebiet ausfindig machen. Darüber hinaus stelle sich die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage im gesamten afghanischen Staatsgebiet als derart prekär dar, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr auch eine Verletzung in seinen von Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten drohe. Außerdem könnten sich Hazara nicht auf ein ausgeprägtes Stammesnetzwerk verlassen. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte mehr, da seine Eltern gestorben und seine Schwestern nach Deutschland bzw. Dänemark geflüchtet seien. Diese würden dort auch einen Asylstatus besitzen. Wie schon bei der Einvernahme vor dem BFA, habe der Beschwerdeführer auch beim Rechtsberatungsgespräch sehr fahrig und teilweise abwesend gewirkt. Er habe Schwierigkeiten sich länger zu konzentrieren und nehme auch Medikamente ein. Es wurde die Einholung eines psychologischen bzw. psychiatrischen Gutachtens beantragt um festzustellen, in welchem psychischen Gesundheitszustand sich der Beschwerdeführer befinde. Ohne ein solches Gutachten könne der maßgebliche Sachverhalt nicht festgestellt werden. Zitiert wurden einige Entscheidungen betreffend den Wechsel der Religion vom Islam zu Christentum, diese Entscheidungen würden aber auch Anwendung auf den Beschwerdeführer finden, da er sein ganzes Leben lang unglücklich mit seiner Religion gewesen sei und sich auch selbst als ohne Bekenntnis bezeichne. Dass der Beschwerdeführer bisher kein Schweinefleisch in Österreich gegessen habe, dürfe nicht zur Auslegung führen, dass er gar nicht vorhabe seine Religion zu wechseln. Das Christentum oder andere Religionen bloß auf den Konsum von gewissen Nahrungsmitteln zu reduzieren sei für eine abschließende Beurteilung nicht angemessen. Betreffend die erlassene Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer durch diese in seinen Rechten nach Art. 8 EMRK verletzt werde. Es sei eine mangelhafte Interessensabwägung vorgenommen worden. Der Beschwerdeführer sei strafgerichtlich unbescholten und gefährde durch seinen Aufenthalt weder die öffentliche Ruhe und Ordnung noch die nationale Sicherheit oder das wirtschaftliche Wohl. Der Eingriff in das schützenswerte Privatleben des Beschwerdeführers sei als unverhältnismäßig zu qualifizieren und daher auf Dauer unzulässig. Vor allem auf den gesundheitlichen Zustand des Beschwerdeführers sei zu wenig eingegangen worden, daher werde auch das psychiatrische Gutachten nötig sein, um abzuklären, ob der Beschwerdeführer als psychisch gesund einzustufen sei. Der Beschwerdeführer bemühe sich um eine Integration in Österreich, er sei dabei die deutsche Sprache zu erlernen und habe soziale Kontakte in Österreich gefunden.

6.       Am 18.04.2017, einlangend mit 24.04.2017, wurde die gegenständliche Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht – ohne von der Möglichkeit eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen – zur Entscheidung vorgelegt.

7.       Am 26.08.2020 langte ein mit Beweisantrag Zeugeneinvernahme Dringend – mündliche Verhandlung am 01.09.2020 datiertes Schreiben beim Bundesverwaltungsgericht ein. Dieser Beweisantrag wurde zum Beweis der Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich in einem psychisch instabilen Zustand befinde, wodurch sich eine verminderte Anpassungs- und Selbsterhaltungsfähigkeit sowie ein erhöhter Betreuungsbedarf ergebe, gestellt. Der beantragte Zeuge arbeite in der Asylunterkunft des Beschwerdeführers als Betreuer und unterstütze und betreue den Beschwerdeführer regelmäßig. Der beantragte Zeuge habe sohin eigene Wahrnehmungen zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht. Ebenso wurde beantragt, dass der Zeuge den Beschwerdeführer zur Verhandlung begleiten solle, da der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, eigenständig nach Wien zu fahren und zur Verhandlung zu erscheinen. Sollte eine gesonderte Ladung aus Zeitgründen nicht mehr rechtzeitig erfolgen können, werde der Zeuge durch den Beschwerdeführer stellig gemacht.

8.       Am 01.09.2020 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seines Vertreters, eines Zeugen sowie eines Dolmetschers eine öffentliche mündliche Verhandlung statt.

In dieser Verhandlung gab der Vertreter des Beschwerdeführers eingangs an, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines psychischen Zustandes einer engmaschigen persönlichen Betreuung bedürfe. Der erkennende Richter wies den Beschwerdeführer darauf hin, dass er davon ausgehe, dass der Beschwerdeführer zumindest psychisch beeinträchtigt sei. Nach einer erfolgten Toilettenpause musste der Beschwerdeführer von seinem Begleiter (dem Zeugen) zurück in den Saal gebracht werden.

Der Beschwerdeführer gab an, dass er sein Geburtsdatum nicht wisse, dieses stehe auf dem Ausweis. Er sei aus Afghanistan und dort geboren, wo genau wisse er nicht. Er habe die meiste Zeit in Afghanistan verbracht. Er wisse nicht, welches Jahr gerade sei. Er sei Schiite. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er habe in Afghanistan nicht die Schule besucht, er könne als Maler und Anstreicher arbeiten, dies habe er vor ein paar Tagen schon gemacht für die Gemeinde. Der Beschwerdeführer habe in Afghanistan bei seiner Mutter und seinem Vater gelebt, er wisse nicht wovon die Familie gelebt habe. Er sei ca. 15 Jahre alt gewesen, als er Afghanistan verlassen habe. Seine Eltern seien mittlerweile verstorben. Er habe zwei Schwestern, eine lebe in Dänemark, eine in Deutschland. Verwandte in Afghanistan habe er nicht. Sein Bruder sei im Iran, es bestehe kein Kontakt, auch zu seinen Schwestern habe der Beschwerdeführer seit langem keinen Kontakt mehr. Er sei gemeinsam mit seinen Geschwistern aus Afghanistan in den Iran gereist, dort sei der Beschwerdeführer einige Zeit aufhältig gewesen, dann sei er nach Afghanistan zurückgeschoben worden. Die Schwestern hätten dann auch den Iran verlassen.

Afghanistan habe er verlassen, da es dort sehr unsicher sei. Er habe dort nicht in Sicherheit leben können. Es sei in ihrem Ort zu Kämpfen gekommen. Die Taliban seien gekommen und dann seien sie weggegangen. Der Ort habe Behsud oder auch Tezak geheißen. Es könne sein, dass Behsud der Name des Distriktes sei. Andere Probleme habe der Beschwerdeführer nicht. Auf Vorhalt, dass er bei der Erstbefragung und auch in der Einvernahme durch das BFA gänzlich andere – nämlich religiösbedingte – Fluchtgründe angeben habe, gab der Beschwerdeführer an, dass er sich daran nicht erinnere. Dazu wurde richterlicherseits festgehalten, dass der Beschwerdeführer teilweise abwesend, in sich gekehrt und abwesend wirkte.

Zu seinem Leben in Österreich befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er kein Deutsch könne. Deutschkurse gebe es im Moment nicht. Er habe sich bei der Gemeinde angemeldet, wenn es ab und zu Arbeit gibt, mache er diese. Darüber hinaus gehe er keiner Beschäftigung nach. Er koche für sich selbst und versorge sich selbst. Er gehe selber einkaufen.

Abschließend gab der Rechtsvertreter eine Stellungnahme ab, die wie folgt zusammengefasst wird:

Der Beschwerdeführer leide nachweislich, wie sich aus den vorgelegten Arztunterlagen ergebe, an einer schweren psychischen Krankheit, einer psychotischen Störung mit Symptomen einer Schizophrenie, ohne Krankheitseinsicht. Der Beschwerdeführer mache einen verwirrten Eindruck und könne sich an viele zentrale Dinge nicht mehr erinnern. Auch aus der Stellungnahme der Heimleiterin ergebe sich dieser Eindruck. Aus den Länderberichten ergebe sich, dass psychisch Erkrankte in Afghanistan höchst stigmatisiert und Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt seien. Aus den UNHCR-RL ergebe sich, dass Personen mit psychischen Erkrankungen ein Risikoprofil erfüllen würden. Es sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer einen faktischen Zugang zur notwendigen und medizinischen Behandlung in Afghanistan hätte. Er verfüge auch über keine familiäre Unterstützung. Weiters wurde auf die verschärfte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan hingewiesen. Es sei nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in Afghanistan decken könne und in eine ausweglose und eine existenzbedrohende Lage geraten würde.

Der Zeuge gab zusammengefasst an, dass er als Betreuer und Hausmeister in der Flüchtlingsunterkunft arbeite. Er habe dort selbst gelebt. Seit er den Beschwerdeführer kenne, gehe es diesem nicht gut. Wenn man ihn auf seine gesundheitlichen Probleme anspreche, sage er, dass er nicht krank sei. Er benehme sich manchmal irrational und lache oder weine ohne Grund. Manchmal verlasse er auch nachts die Unterkunft und sei nicht auf dem Handy erreichbar. Wenn der Beschwerdeführer dann zurückkehre wirke er abwesend. Der Beschwerdeführer sei selbst nicht in der Lage jemanden anzurufen. Manchmal verlasse er auch acht bis neun Stunden die Unterkunft und niemand wisse wo der Beschwerdeführer sich aufhalte. Der Beschwerdeführer habe auch keine Freunde in der Unterkunft. Er verbringe viel Zeit in seinem Zimmer und schlafe auch tagsüber sehr viel. Der Zeuge sei zur Verhandlung mitgekommen, da der Beschwerdeführer es nicht schaffe alleine nach Wien zu reisen. Richterlicherseits wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer während der Aussage des Zeugen abwesend wirkte, auf dem Sessel hin und her rutschte und sich die Augen mit den Handflächen verdeckte. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer an, dass es ihm gut gehe.

Vorgelegt wurden ein Ambulanzbrief aus dem LKH Rottenmann-Bad Aussee vom 12.07.2019, ein ambulanter Arztbrief aus dem LKH Graz II (Abteilung für Psychiatrie) – diesem ist als Diagnose eine akute polymorphe Störung mit Symtomen einer Schizophrenie, F23.1 zu entnehmen -, eine Stellungnahme der Leiterin der Flüchtlingsunterkunft, eine Teilnahmebestätigung für einen „Werte- und Orientierungskurs“ und eine ACCORD-Anfragebeantwortung „Gesellschaftliche Wahrnehmung von Personen mit psychischen Erkrankungen“ vom 07.05.2020. Im Laufe der Verhandlung wurde ergänzend ein Schreiben der Gemeinde über die Erbringung von Hilfstätigkeiten sowie die Tazkira des Beschwerdeführers vorgelegt.

9.       Mit Schreiben vom 01.09.2020 wurde den Parteien mitgeteilt, dass beabsichtigt sei Univ. Prof. Dr. Kurt NIEDERKORN als Sachverständigen im Verfahren zu bestellen. Hinsichtlich dieser Bestellung wurden keine Einwände durch die Parteien erhoben und der Sachverständige mit Beschluss 15.09.2020 als Sachverständiger aus dem Fachgebiet Psychiatrie und Neurologie bestellt.

10.      Am 09.10.2020, einlangend mit 15.10.2020, wurde dem Bundesverwaltungsgericht durch das Bezirksgericht Bruck an der Mur mitgeteilt, dass gegen den Beschwerdeführer ein Erwachsenenschutzverfahren eingeleitet wurde.

11.      Dem Sachverständigengutachten, erstellt durch Univ.-Prof. Dr. Kurt NIEDERKORN, datiert mit 20.11.2020, ist die an diesen gestellten Fragen betreffend wie folgt zu entnehmen:

1.       Liegt beim Beschwerdeführer eine krankheitswertige, psychische Störung oder eine posttraumatische Belastungsstörung vor? Wenn ja, welche?

„Siehe psychiatrische Diagnose“.

2.       Ist diese behandelbar? Wenn ja, in welcher Form? Bitte um Bekanntgabe der Medikamente bzw. der Art der Therapie.

„Eine Behandelbarkeit ist gegeben, diese erfordert eine fachärztlich-psychiatrisch verschriebene und kontrollierte psychopharmakologische Behandlung, z.B. mit der vom LKH-Graz II, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie 1, Standort Süd, empfohlene Behandlung mit dem Medikament Zyprexa sowie auch eine antidepressive Behandlung, z.B. mit dem Medikament Escitalopram“.

3.       Falls eine psychische Erkrankung vorliegt, wie lange ist eine Behandlung erforderlich?

„Die Behandlungsdauer ist mit mindestens sechs Monaten anzusetzen um einen adäquaten Therapieerfolg beurteilen zu können.

Eine langfristige psychiatrische Behandlung über Jahre ist ebenfalls erforderlich“.

4.       Ist eine allfällige psychische Störung auf die Erlebnisse im Zusammenhang mit der Flucht zu sehen oder hat diese schon im Herkunftsland bestanden?

„Auf einen Zusammenhangs mit Erlebnissen während der finden sich aufgrund des bisherigen Wissenstandes keine sicheren Hinweise.

Aufgrund des neurologischen Befundes Dris Mihale vom 17.3.2015 – anamnestisch Depressive Verstimmung mit fragliche psychotische Zügen – ist das Vorhandensein einer ähnlichen psychischen Störung im Herkunftsland nicht ausschliessbar“.

5.       Besteht bei dem Beschwerdeführer eine beschränkte Wiedergabefähigkeit bzw. ist er grundsätzlich in der Lage das Erlebte wiederzugeben?

„Die Wiedergabefähigkeit ist beim Beschwerdeführer im Rahmen der derzeitigen psychischen Beschwerdesymptomatik teilweise eingeschränkt“.

6.       Besteht bei dem Beschwerdeführer eine beschränkte Wahrnehmungsfähigkeit?

„Die Wahrnehmungsfähigkeit ist aufgrund der derzeitigen psychischen Beschwerdesymptomatik des Untersuchten teilweise herabgesetzt“.

7.       Besteht bei dem Beschwerdeführer eine beschränkte Erinnerungsfähigkeit bzw. Gedächtnisleistung?

„Hinweise für eine signifikant beschränkte Erinnerungsfähigkeit bzw. HErabesetzung der Gedächtnisleistung sind nicht gegeben“.

8.       Ist der Beschwerdeführer grundsätzlich zeitlich, örtlich, situativ zur Person derart orientiert, dass er in der Lage ist, schlüssige und widerspruchsfreie Angaben zu tätigen?

„Diesbezüglich wird auf den psychischen Befund auf Seite 17 des Gutachtens hingewiesen.

Die zeitliche Orientierung ist eingeschränkt, ebenso bestehe Einschränkungen der Orientierung zur Person – das Alter kann nur ungefähr angegeben werden. Diesbezüglich ist anzumerken, dass der Untersuchte sein Alter bereits – wie auch aktuell – in der Niederschrift vom 22.03.2017 mit ca. 25 Jahren angegeben hat“.

9.       Wenn nein, wie wirkt sich dies auf das Verfahren aus und hat sich dies auf die bisherigen Vernehmungen ausgewirkt? Bei welchen Fragestellungen kann eine schlüssige und widerspruchsfreie Angabe erwartet werden?

„Bezüglich früherer Niederschriften kann vom unterzeichneten Sachverständigen keine sichere Aussage getätigt werden.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2020 bestand jedoch aufgrund der psychischen Beschwerdesymptomatik eine deutlich eingeschränkte Aussagefähigkeit des Untersuchten.“.

10.      Ist der Beschwerdeführer in der Lage, an einer Beschwerdeverhandlung teilzunehmen bzw. ist er einvernahmefähig? Unter welchen Voraussetzungen wäre der Beschwerdeführer in der Lage, an einer Verhandlung teilzunehmen?

„Der Beschwerdeführer ist ohne ausreichende psychiatrische Behandlung derzeit nicht in der Lage an einer Beschwerdeverhandlung teilzunehmen und ist derzeit nicht einvernahmefähig.

Nach Einleitung einer adäquaten psychiatrischen Therapie wäre im Rahmen einer psychiatrischen Verlaufskontrolle – frühestens in sechs Monaten – neuerlich zu prüfen ob Verhandlungsfähigkeit und Einvernahmefähigkeit gegeben sind“.

11.      Leidet der Beschwerdeführer an einer psychischen Krankheit bzw. Störung, die ihn daran hindert, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens über internationalen Schutz und der prozessualen Vorgänge, die sich dabei ereignen, zu erkennen, zu verstehen und sich – durch aktive Verfahrenshandlungen oder Unterlassungen – den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten?

„Dies ist zu bejahen“.

12.      Ist der Beschwerdeführer aufgrund einer psychischen Krankheit oder Störung in der Lage, alle oder einzelne seiner Angelegenheiten ohne die Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen?

„Aufgrund seine psychischen Beschwerdesymptomatik ist der Beschwerdeführer nicht in der Lage alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteiles für sich selbst zu erledigen.

Einfache Alltagsfragen kann der Beschwerdeführer offensichtlich jedoch selbst wahrnehmen“.

13.      Wirkt sich die Krankheit des Beschwerdeführers auf seine Arbeitsfähigkeit aus?

Die Arbeitsfähigkeit ist im Sinne einer Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Rahmen einer ganztägigen Beschäftigung aufgrund der psychischen Beschwerdesymptomatik nicht gegeben.

Offensichtlich war der Beschwerdeführer jedoch in der Lage, vereinzelt Hilfsarbeiten auszuführen“.

14.      Ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer zukünftig aufgrund seiner Erkrankung Schwierigkeiten bei der Arbeit bzw. bei der Hausarbeit haben wird?

„Zur Entwicklung der Arbeitsfähigkeit kann derzeit nicht definitiv Stellung genommen werden, dazu muss die Wirksamkeit einer einzuleitenden fachärztlich-psychiatrischen Behandlung abgewartet werden“.

15.      Ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer für sich oder andere eine Gefahr darstellt?

„Auf Basis des aktuell erhobenen psychischen Befundes bestehen keine Hinweise für Selbst- oder Fremdgefährdung“.

12.      Mit Schreiben vom 27.11.2020 wurden die Parteien vom Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt.

13.      Am 01.12.2020 wurden der Beschluss des Bezirksgerichtes Bruck an der Mur betreffend die Bestellung eines Erwachsenenvertreters für den Beschwerdeführer sowie eine aktualisierte Vollmacht der Rechtsvertretung – abgeschlossen mit dem Erwachsenenvertreter für den Beschwerdeführer – vorgelegt.

14.      Am 11.12.2020 wurde seitens des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zum Ergebnis der Beweisaufnahme übermittelt. Dieser ist wie folgt zusammengefasst zu entnehmen:

Das eingeholte Sachverständigengutachten bestätige, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Beschwerdesymptomatik nicht in der Lage sei alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu erledigen und des Weiteren nicht in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens über internationalen Schutz und der prozessualen Vorgänge, die sich dabei ergeben zu erkennen und zu verstehen und sich dementsprechend zu verhalten. Es wurde für den Beschwerdeführer ein Erwachsenenvertreter bestellt.

Es ergebe sich daraus, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner psychischen Erkrankung in Kombination mit seinem objektiv erkennbaren, auffälligen Verhalten in Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt sei.

15.      Am 28.12.2020 wurde eine Urkunde, ausgestellt vom Bezirksgericht Bruck an der Mur, vorgelegt aus der hervorgeht, dass für den Beschwerdeführer Mag. Harald Terler, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, als gerichtlicher Erwachsenenvertreter für die Vertretung im Asylverfahren und im fremdenrechtlichen Verfahren bestellt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht auf Grundlage der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie durch ein Organ des BFA, dessen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem fest. Aus den diesbezügliche Angaben und Informationen werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem dort angegebenen Datum geboren worden. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an. Seine Muttersprache ist Dari. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.

Es kann nicht festgestellt werden ob der Beschwerdeführer sich zu einem religiösen Glauben bekennt und falls doch, zu welchem.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer leidet an einer massiven psychischen Beeinträchtigung (polymorphe psychotische Störung mit Symptomen einer Schizophrenie), welche die Notwendigkeit ergab für diesen einen Erwachsenenvertreter zu bestellen. Dem Beschwerdeführer ist es nicht möglich einfachste Dinge des alltäglichen Lebens alleine zu bestreiten.

Der Beschwerdeführer hat in Afghanistan keine familiären oder sonstigen Anknüpfungspunkte, die ihm eine Unterstützung bei einer Rückkehr zukommen lassen könnten. Seine Eltern sind verstorben, eine Schwester des Beschwerdeführers lebt in Deutschland, eine weitere in Dänemark. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt im Iran, zu diesem hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt.

1.2. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Eine Verfolgung in Afghanistan konnte der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahrens – nicht zuletzt aufgrund seiner psychischen Beeinträchtigung - nicht glaubhaft machen. Ob eine solche besteht kann nicht festgestellt werden.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan steht dem Beschwerdeführer nicht zur Verfügung. Eine Rückkehr nach in Afghanistan ist dem Beschwerdeführer aufgrund seiner individuellen Umstände in Zusammenschau mit der Lage in Afghanistan nicht zumutbar.

Dem Beschwerdeführer ist es selbst in einer sicheren Umgebung wie Österreich nicht möglich sich selbst zu versorgen. Alleine aufgrund dieser Tatsache ist nicht davon auszugehen, dass es dem Beschwerdeführer in Afghanistan ganz auf sich alleine gestellt möglich sein wird sich um die Beschaffung von Wohnraum zu kümmern bzw. sich eine Arbeitstätigkeit zu suchen, die es ihm ermöglicht seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.

Aufgrund der vorgängigen Ausführungen zu den individuellen Umständen des Beschwerdeführers kann nicht davon ausgegangen werden, dass es diesem möglich ist, nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten in Afghanistan Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härte zu führen, wie dies anderen Landsleuten möglich ist. Bei einer Ansiedelung ebendort liefe der Beschwerdeführer Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

Aus dem Länderinformationsblatt für Afghanistan wird auszugsweise, soweit gegenständlich maßgeblich, wie folgt angeführt:

1.3.1. COVID-19

Letzte Änderung: 10.06.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten

mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).

Frauen, Kinder und Binnenvertriebene

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).

Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung dur

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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