TE Bvwg Beschluss 2021/8/2 W112 2215062-1

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Veröffentlicht am 02.08.2021
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Entscheidungsdatum

02.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGG §30 Abs2

Spruch


W112 2215062-1/40E
W112 2215057-1/30E
W112 2215080-1/27E
W112 2215079-1/21E
W112 2215078-1/21E
W112 2215061-1/21E
W112 2215077-1/19E
W112 2215060-1/17E
W112 2215075-1/17E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin in der Beschwerdesache von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX , 5. XXXX , geb. XXXX , 6. XXXX , geb. XXXX , 7. XXXX , geb. XXXX , 8. XXXX , geb. XXXX , 9. XXXX , geb. XXXX , alle StA. RUSSISCHE FÖDERATION, die Minderjährigen vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch RA Dr. Herbert POCHIESER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1. vom 15.01.2019, Zl. XXXX , 2. vom 17.01.2019, Zl. XXXX , 3. vom 18.01.2019, Zl. XXXX , 4. vom 18.01.2019, Zl. XXXX , 5. vom 18.01.2019, Zl. XXXX , 6. vom 18.01.2019, Zl. XXXX , 7. vom 18.01.2019, Zl. XXXX , 8. vom 18.01.2019, Zl. XXXX und 9. vom 18.01.2019, Zl. XXXX :

A.I.) Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 Abs. 2 VwGG wird wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen.

A.II.) Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung wird als unzulässig zurückgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Mit Erkenntnis vom 06.07.2021 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde der Antragsteller gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 15.01.2019, 17.01.2019 und 18.01.2019, mit denen dieses die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich des Status von subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen, ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt hatte, dass ihre Abschiebung in die RUSSISCHE FÖDERATION zulässig ist (Spruchpunkt V.) und ihnen eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumte hatte (Spruchpunkt VI.) als unbegründet ab. Das Gericht sprach aus, dass die Revision gegen dieses Erkenntnis nicht zulässig ist.

Das Erkenntnis wurde den Antragstellern am 12.07.2021 durch Hinterlegung zugestellt.

Beschwerde oder Revision erhoben die Antragsteller gegen dieses Erkenntnis bis dato nicht.

2. Mit Schriftsatz vom 29.07.2021 beantragten die Antragsteller durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter beim Bundesverwaltungsgericht die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 30 VwGG, in eventu die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht.

Zur Zulässigkeit der Anträge führen sie Folgendes aus:

„Bis zur Vorlage an den VwGH hat daher das BVwG die aufschiebende Wirkung auf Antrag unverzüglich zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende oder zumindest überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Gemäß dem Wortlaut des § 30 VwGG bedarf es zur Erteilung der aufschiebenden Wirkung durch das Bundesverwaltungsgericht lediglich eines Antrages, was bedeutet, dass dieser jederzeit unabhängig von der einzubringenden Revision bis zur Vorlage der Revision an den VwGH gestellt werden kann.

2. Zur Zulässigkeit des Antrages auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an das VwG:

Während § 85 VfGG ausdrücklich regelt, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung auf Antrag zuzuerkennen ist, ist die aufschiebende Wirkung gemäß § 30 VwGG unabhängig von der Revision oder Beschwerde, nämlich schlicht auf Antrag zu erteilen (hier fehlen die Worte „der Revision“ bzw „der Beschwerde“, die im VfGG den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die Beschwerde binden). Bezüglich der Revision regelt § 30 VwGG lediglich die zeitliche Abfolge, dass bis zur Vorlage der Revision das VwG, danach der Verwaltungsgerichtshof über die aufschiebende Wirkung entscheidet.

Dass das Verwaltungsgericht erst ab Einbringung der Revision, also nur zusammen mit der Revision über die aufschiebende Wirkung entscheiden könnte, ist anders als in § 30 VfGG in § 30 VwGG gerade nicht angeordnet. Die aufschiebende Wirkung kann vielmehr vom Revisionswerber bis zur Vorlage der Revision jederzeit beim VwG gemäß § 30 VwGG beantragt werden und hat das VwG darüber bis zur Vorlage der Revision zu entscheiden. Laut dem Gesetzeswortlaut spricht nichts dagegen, die aufschiebende Wirkung der Revision bereits mit dem Antrag auf Beigabe eines Verfahrenshelfers zur Einbringung eines Rechtsmittels gegen den angefochtenen Bescheid zu beantragen, um die in diesem Stadium des Verfahrens andernfalls bestehende Rechtsschutzlücke zu schließen. Nur so kann nämlich gewährleistet werden, dass der Revisionswerber nicht das Land verlassen muss, ohne dass über die aufschiebende Wirkung der Revision durch ein Gericht entschieden wurde.

Aufgrund der notorisch höchst gefährlichen Situation in Tschetschenien für die Menschenrechtsaktivisten und deren Familienangehörigen und der lebensbedrohlichen Lage abgeschobener ehemaliger Asylwerber aus Europa, im Besonderen wäre eine derartige Lücke im Rechtsschutz unzulässig, da eine Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung ohne aktueller Überprüfung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch ein Gericht das reale Risiko einer Verletzung der EMRK, also einen nicht wiedergutzumachenden Nachteil und somit die Ineffektivität der Revision im Sinne des Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC bedeuten würde.

Eine andere Auslegung wäre mit einem wirksamen Rechtsbehelf im Sinne der Verfahrensrichtlinie unvereinbar. Zwar gibt es keinen Anspruch auf eine weitere Überprüfung der Gerichtsentscheidung im Asylverfahren. Räumt die Rechtsordnung eine weitere Instanz jedoch ein, dann muss es sich dabei auch um einen wirksamen Rechtsbehelf handeln. Könnte die aufschiebende Wirkung erst zusammen mit der Revision beantragt werden, müsste der Revisionswerber zunächst nach Tschetschenien zurückkehren, um die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung dort abzuwarten.

Die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung würde sich dadurch erübrigen bzw. wäre nicht wirksam, weil sie nach der Rückkehr jedenfalls als zu spät erachtet werden muss: wenn sich bei der Entscheidung über die aufschiebende Wirkung herausstellt, dass die Lage in Tschetschenien für mich aktuell zu gefährlich ist, um dort die Entscheidung abzuwarten, kommt die aufschiebende Wirkung bereits zu spät: Es wäre mit Art 2 und 3 EMRK und Art 47 GRC unvereinbar, wenn die Entscheidung, ob die Rückkehr Art 2 und 3 EMRK verletzt, in Tschetschenien abgewartet werden muss.

Mit anderen Worten: Es kann nicht erst nach meiner Rückkehr nach Tschetschenien darüber entschieden werden, ob meine Rückkehr Art 2 und 3 EMRK verletzt. Rückführungen in höchstgefährliche Länder wie Tschetschenien sind daher unzulässig, bevor über die aufschiebende Wirkung der Revision abgesprochen wurde. Dies kann nur dann gewährleistet werden, wenn die aufschiebende Wirkung der Revision vor deren Einbringung beantragt werden kann.

Aufgrund möglicher Bedenken zur Frage, ab wann die aufschiebende Wirkung beim VwG beantragt werden kann, wird nachstehender Antrag gestellt:

Das Verwaltungsgericht möge dem Europäischen Gerichtshof gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorlegen:

Ist § 30 VwGG, wonach das VwG bis zur Vorlage der Revision über die aufschiebende Wirkung auf Antrag zu entscheiden hat, so auszulegen, dass der Antrag bereits vor der Einbringung der Revision gestellt werden kann, sodass das VwG bereits in der Entscheidung in der Sache selbst über die aufschiebende Wirkung der Revision zu entscheiden hat, sodass kein ungeschützter Zeitraum entsteht, in dem die Entscheidung vollstreckt werden könnte, bevor ein Gericht über die aufschiebende Wirkung der Revision entschieden hat, um mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 GRC und/oder nach Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC vereinbar zu sein oder

ob es mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 GRC und/oder nach Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26.Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC vereinbar ist, dass die aufschiebende Wirkung gemäß § 30 VwGG erst zugleich mit der Revision selbst, also mit der Einbringung der Revision beim Verwaltungsgericht, beantragt werden kann, wodurch sich ein unwirksamer Zeitraum der Revision zwischen der Entscheidung des VwG und der Einbringung der Revision ergibt.

3. In eventu: unmittelbare Anwendbarkeit von Art 47 iVm Art 18 GRC:

Das in Art 47 GRC festgelegte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gilt iVm Art 18 GRC auch für Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz. Nach der Rechtsprechung des EuGHs besteht ein Recht auf einstweiligen Rechtsschutz zur Sicherung unionsrechtlicher Ansprüche, also auch der Rechte aus Art 18 GRC. Der EuGH sieht in teleologischer Betrachtung den vorläufigen Rechtsschutz dann als erforderlich an, wenn er notwendig ist, um die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung sicherzustellen (vgl. EuGH 31. Juli 2003, Rs C-208/03, P-R, Le Pen, Rdnr. 81).

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrmals ausgesprochen, es sei nicht ausgeschlossen, auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht – über die im kassatorischen System der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgegebene Möglichkeit, der gegen einen Bescheid erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben, hinaus – einstweilige Anordnungen mit der Wirkung zu treffen, dem Antragsteller eine Rechtsposition vorläufig einzuräumen, deren Einräumung mit dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage einer (möglicherweise dem Unionsrecht widersprechenden) nationalen Rechtsvorschrift verweigert wurde (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 13. Oktober 2010, 2010/12/0169, sowie vom 4. Oktober 2013, 2013/10/0171, jeweils mwN u.a. auf Rechtsprechung des EuGH). Diese Rechtsprechung ist auch auf die ab 1. Jänner 2014 geschaffene neue Rechtslage des VwGG weiterhin sinngemäß anzuwenden. Zur Rechtslage des VwGG vor der Einführung der mehrstufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit hat der Verwaltungsgerichtshof nach der vorzitierten Rechtsprechung seine eigene Zuständigkeit zur Erlassung einstweiliger Anordnungen angenommen. Nach der Einführung der mehrstufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nunmehr das Verwaltungsgericht in unmittelbarer Anwendung von Unionsrecht zur Entscheidung über Anträge auf Erlassung einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren zuständig (VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069).

Ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht ist daher nach der Rsp des VwGH vom BVwG als ‚sachnächstes Gericht‘ zu entscheiden (VwGH VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0611).

Der Zweck der Erlassung unmittelbar auf Unionsrecht gegründeter einstweiliger Anordnungen ist die Sicherung der vollen Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache. Hauptsache ist jene, in der die Entscheidung ergeht, deren volle Wirksamkeit durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden soll (VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0611). Mit dem an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof leite ich die Überprüfung der Entscheidung des BVwG ein. Die Entscheidung in der Hauptsache ist somit die Entscheidung über die Abtretung der Beschwerde zwecks Einbringens einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof bzw über einen darauffolgenden und mit der Revision verbundenen Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Bis zu dieser Entscheidung ist eine einstweilige Anordnung zur Sicherung deren Wirksamkeit auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht zu gewähren.

Die einstweilige Anordnung ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig: Andernfalls würde eine mit Unionsrecht nicht zu vereinbarende Lücke im Rechtschutz bestehen, da aufgrund der höchst gefährlichen Situation in Tschetschenien eine Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung ohne aktuelle Überprüfung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch ein Gericht das reale Risiko einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK, also einen nicht wiedergutzumachenden Schadens und somit die Ineffektivität der Revision im Sinne des Art 46 Richtlinie 2013/32/EU des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl L 180/ 60 vom 29.06.2013, in Verbindung mit Art 47 GRC, bedeuten würde.“

II. Erwägungen

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung, des Agrarverfahrensgesetzes und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A.I.) Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

1. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts hat gemäß § 30 Abs. 1 VwGG keine aufschiebende Wirkung. Dasselbe gilt für den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsfrist. Bis zur Vorlage der Revision hat gemäß § 30 Abs. 2 VwGG das Verwaltungsgericht, ab Vorlage der Revision hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch auf Antrag des Revisionswerbers die aufschiebende Wirkung mit Beschluss zuzuerkennen, wenn dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien mit dem Vollzug des angefochtenen Erkenntnisses oder mit der Ausübung der durch das angefochtene Erkenntnis eingeräumten Berechtigung für den Revisionswerber ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung bedarf nur dann einer Begründung, wenn durch sie Interessen anderer Parteien berührt werden. Wenn sich die Voraussetzungen, die für die Entscheidung über die aufschiebende Wirkung der Revision maßgebend waren, wesentlich geändert haben, ist von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei neu zu entscheiden.

2. Die Antragsteller gehen davon aus, dass die aufschiebende Wirkung gemäß § 30 VwGG unabhängig von der Revision oder Beschwerde, nämlich schlicht auf Antrag zu erteilen sei, weil in § 30 Abs. 2 VwGG die Worte „der Revision“ bzw „der Beschwerde“, die im VfGG den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung an die Beschwerde binden, fehlen. Bezüglich der Revision regle § 30 VwGG lediglich die zeitliche Abfolge, dass bis zur Vorlage der Revision das VwG, danach der Verwaltungsgerichtshof über die aufschiebende Wirkung entscheide.

3. Diese Auffassung findet in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Deckung:

Wurde noch keine Revision eingebracht, steht infolge dessen das Recht, einen Antrag zu stellen, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht zu (vgl. VwGH 10.10.2017, Ra 2017/20/0321; vgl. auch VwGH 15.10.2015, Ra 2015/20/0226, 0227, mwN; 04.08.2016, Ra 2016/20/0164).

Im vorliegenden Fall wurde jedoch eine Revision – schon nach dem Vorbringen der Antragsteller – gerade (noch) nicht eingebracht, sodass den Antragstellern infolge dessen das Recht, einen Antrag zu stellen, der Revision aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, nicht zusteht. Eine gesetzliche Regelung, wonach der Verwaltungsgerichtshof losgelöst von einem Revisionsverfahren aufschiebende Wirkung zuerkennen könnte, existiert nicht (VwGH 09.09.2020, So 2020/02/0001).

4. Gleiches gilt für das Bundesverwaltungsgericht.

Der Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist daher wegen Unzulässigkeit zurückzuweisen.

5. Der EuGH hielt im Urteil 26.9.2018, Rs. X und Y, C-180/17 fest, dass Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die für ein Rechtsmittel gegen ein die Rückkehrentscheidung bestätigendes Erkenntnis eines Gerichts keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes vorsieht. Ausgehend davon sieht sich das Bundesverwaltungsgericht auch nicht veranlasst, dem Europäischen Gerichtshof – wie von den Antragstellern angeregt – die im Antrag angeführten Rechtsfragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (VwGH 20.12.2018, Ra 2018/14/0348; 24.10.2018, Ra 2018/14/0107, mwN).

Zu A.II.) Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung

1. Die Antragsteller beantragen in eventu die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht für die Gewährung eines vorläufiges Aufenthaltsrechts bis zur Entscheidung über Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision.

Dazu führen die Beschwerdeführer aus, dass der EuGH in teleologischer Betrachtung den vorläufigen Rechtsschutz dann als erforderlich ansehe, wenn er notwendig sei, um die volle Wirksamkeit der künftigen Endentscheidung sicherzustellen (vgl. EuGH 31. Juli 2003, Rs C-208/03, P-R, Le Pen, Rdnr. 81). Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits mehrmals ausgesprochen, es sei nicht ausgeschlossen, auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht – über die im kassatorischen System der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgegebene Möglichkeit, der gegen einen Bescheid erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben, hinaus – einstweilige Anordnungen mit der Wirkung zu treffen, dem Antragsteller eine Rechtsposition vorläufig einzuräumen, deren Einräumung mit dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage einer (möglicherweise dem Unionsrecht widersprechenden) nationalen Rechtsvorschrift verweigert wurde (vgl. etwa die hg. Beschlüsse vom 13. Oktober 2010, 2010/12/0169, sowie vom 4. Oktober 2013, 2013/10/0171, jeweils mwN u.a. auf Rechtsprechung des EuGH). Ein Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach Unionsrecht ist nach der Rsp des VwGH vom BVwG als „sachnächstes Gericht“ zu entscheiden (VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0611).

Der Zweck der Erlassung unmittelbar auf Unionsrecht gegründeter einstweiliger Anordnungen sei die Sicherung der vollen Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache. Hauptsache sei jene, in der die Entscheidung ergehe, deren volle Wirksamkeit durch eine einstweilige Anordnung gesichert werden solle (VwGH 25.2.2019, Ra 2018/19/0611). Mit dem an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof leite er die Überprüfung der Entscheidung des BVwG ein. Die Entscheidung in der Hauptsache sei somit die Entscheidung über die Abtretung der Beschwerde zwecks Einbringens einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof bzw über einen darauffolgenden und mit der Revision verbundenen Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Bis zu dieser Entscheidung ist eine einstweilige Anordnung zur Sicherung deren Wirksamkeit auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht zu gewähren.

Die einstweilige Anordnung sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig: Andernfalls würde eine mit Unionsrecht nicht zu vereinbarende Lücke im Rechtschutz bestehen, da aufgrund der höchst gefährlichen Situation in Tschetschenien eine Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung ohne aktuelle Überprüfung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch ein Gericht das reale Risiko einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK, also einen nicht wiedergutzumachenden Schadens und somit die Ineffektivität der Revision iSd Art 46 VerfahrensRL (RL 2013/32/EU) iVm Art 47 GRC, bedeuten würde.

2. Soweit sich das Vorbringen auf einen an den Verfassungsgerichtshof gerichteten Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, mit dem er die Überprüfung der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einleite, weshalb die Entscheidung in der Hauptsache somit die Entscheidung über die Abtretung der Beschwerde zwecks Einbringens einer außerordentlichen Revision an den Verwaltungsgerichtshof bzw. über einen darauffolgenden und mit der Revision verbundenen Antrag, dieser die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, sei, bezieht, steht sie in keinem Konnex zum hg. Verfahren, da die Antragsteller ihrem Vorbringen zufolge noch gar keine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben haben.

3. Der Verwaltungsgerichtshof nimmt eine Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts zur Entscheidung über Anträge auf Erlassung – unionsrechtlich gebotener – einstweiliger Anordnungen im Revisionsverfahren an (Mayrhofer/Metzler, Das Verfahrensrecht des VwGH, in Fischer/Pabel/Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit [Stand 30.10.19] Rz 111; VwGH 26.9.2005, AW 2005/10/0029; 20.3.2006, AW 2005/17/0016; 13.10.2010, 2010/12/1069.).

Die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht kann mangels einer innerstaatlicher Umsetzung nur in unmittelbarer Anwendung des Unionsrechts erfolgen. So hat der Verwaltungsgerichtshof – der Rechtsprechung des EuGH folgend – bereits mehrmals ausgesprochen, es sei nicht ausgeschlossen, auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht – über die im kassatorischen System der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgegebene Möglichkeit, der gegen einen Bescheid erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben, hinaus – einstweilige Anordnungen mit der Wirkung zu treffen, dem Antragsteller eine Rechtsposition vorläufig einzuräumen, deren Einräumung mit dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage einer (möglicherweise dem Unionsrecht widersprechenden) nationalen Rechtsvorschrift verweigert wurde (VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069; 13.10.2010, 2010/12/0169).

Nach der Rechtsprechung des EuGH können die nationalen Gerichte einstweilige Anordnungen nur unter den Voraussetzungen erlassen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof gelten. Zu diesen Voraussetzungen gehören die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehenden Interessen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, sodass der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen ist, wenn eine von ihnen fehlt (VwGH 13.10.2010, 2010/12/0169).

4. Das Vorbringen der Antragsteller, die Erlassung einer einstweiligen Anordnung sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht notwendig, weil sonst eine mit Unionsrecht nicht zu vereinbarende Lücke im Rechtschutz bestehen würde, da aufgrund der höchst gefährlichen Situation in Tschetschenien eine Vollstreckung der angefochtenen Entscheidung ohne aktuelle Überprüfung der aufschiebenden Wirkung der Revision durch ein Gericht das reale Risiko einer Verletzung von Art 2 und 3 EMRK, also einen nicht wiedergutzumachenden Schadens und somit die Ineffektivität der Revision iSd Art 46 VerfahrensRL (RL 2013/32/EU) iVm Art 47 GRC, bedeuten würde, ist wohl in der Hinsicht zu verstehen, dass die Antragsteller davon ausgehen, dass es aus diesen Gründen der Erlassung einer einstweiligen Verfügung bedarf, die befristet bis zu einer allfälligen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß § 30 Abs. 3 VwGG über die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts über den mit einer Revision verbundenen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gilt und den Beschwerdeführern bis dahin ein vorläufiges Aufenthaltsrecht einräumt.

5. Dieses Vorbringen trifft nicht zu:

Art. 47 GRC lautet:

„Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht

Jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, hat das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen.

Jede Person hat ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Fristverhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.

Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, wird Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.“

Art. 46 VerfahrensRL (RL 2013/32/EU), der das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vorsieht, lautet auszugsweise:

„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht haben gegen […]

a) eine Entscheidung über ihren Antrag auf internationalen Schutzes, einschließlich der Entscheidung, i) einen Antrag als unbegründet in Bezug auf die Flüchtlingseigenschaft und/oder den subsidiären Schutzstatus zu betrachten; […]

(3) Zur Einhaltung des Absatzes 1 stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der wirksame Rechtsbehelf eine umfassende Ex-nunc-Prüfung vorsieht, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt und bei der gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95/EU zumindest in Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht beurteilt wird. […]

(5) Unbeschadet des Absatzes 6 gestatten die Mitgliedstaaten den Antragstellern den Verbleib im Hoheitsgebiet bis zum Ablauf der Frist für die Ausübung des Rechts der Antragsteller auf einen wirksamen Rechtsbehelf und, wenn ein solches Recht fristgemäß ausgeübt wurde, bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf. […]“

Der EuGH hat dazu in seinem Urteil vom 26.09.2018, Rs. X und Y, C-180/17, ausgeführt:

„23 Somit verpflichten die Bestimmungen der Richtlinien 2013/32 und 2008/115 die Mitgliedstaaten zwar, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen vorzusehen; keine dieser Bestimmungen sieht jedoch vor, dass die Mitgliedstaaten internationalen Schutz beantragenden Personen, deren Klage gegen die Ablehnung ihres Antrags und die Rückkehrentscheidung abgewiesen wurde, ein Rechtsmittel gewähren müssen, und erst recht nicht, dass ein solches Rechtsmittel kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung haben muss.

24 Solche Anforderungen lassen sich auch nicht aus der Systematik und dem Zweck dieser Richtlinien ableiten. Deren Hauptziel ist nämlich, wie aus dem zwölften Erwägungsgrund der Richtlinie 2013/32 hervorgeht, die Weiterentwicklung der Normen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung internationalen Schutzes im Hinblick auf die Einführung eines gemeinsamen Asylverfahrens in der Union und, wie sich aus den Erwägungsgründen 2 und 4 der Richtlinie 2008/115 ergibt, die Einführung einer wirksamen Rückkehr- und Rückübernahmepolitik unter vollständiger Achtung der Grundrechte und der Würde der Betroffenen (vgl. zur Richtlinie 2008/115 Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Den Erwägungsgründen dieser Richtlinien lässt sich dagegen nicht entnehmen, dass diese die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines zweiten Rechtszugs verpflichten sollen.

25 Ferner bezieht sich, was die Richtlinie 2013/32 betrifft, die Vorgabe, dass der Rechtsbehelf wirksam sein muss, nach Art. 46 Abs. 3 dieser Richtlinie ausdrücklich auf „Rechtsbehelfsverfahren vor einem erstinstanzlichen Gericht“. Soweit danach eine umfassende Ex?nunc-Prüfung erforderlich ist, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt, betrifft diese Vorgabe ausschließlich den Ablauf des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens. Sie kann daher nicht mit Blick auf das Ziel dieser Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass die Mitgliedstaaten zur Schaffung eines zweiten Rechtszugs verpflichtet wären oder dass dieser in bestimmter Weise auszugestalten wäre.

26 Somit hindert das Unionsrecht, wie das Wort „zumindest“ in Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Bezug auf Entscheidungen, mit denen ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wird, bestätigt, die Mitgliedstaaten zwar nicht daran, für Rechtsbehelfe gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen einen zweiten Rechtszug vorzusehen. Die Richtlinien 2013/32 und 2008/115 enthalten jedoch keine Vorschriften über die Schaffung und Ausgestaltung eines solchen Rechtszugs. Insbesondere lassen, wie der Generalanwalt in Nr. 41 seiner Schlussanträge ausführt, weder der Wortlaut noch die Systematik oder der Zweck dieser Richtlinien den Schluss zu, dass, wenn ein Mitgliedstaat einen zweiten Rechtszug gegen derartige Entscheidungen vorsieht, das damit geschaffene Rechtsmittelverfahren dem vom Antragsteller eingelegten Rechtsmittel zwingend kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung verleihen muss.

27 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2008/115 ebenso wie die Richtlinie 2013/32, wie sich aus dem 24. Erwägungsgrund der Ersteren und dem 60. Erwägungsgrund der Letzteren ergibt, unter Beachtung der insbesondere in der Charta anerkannten Grundrechte und Grundsätze auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 51).

28 Wenn ein Staat entscheidet, eine Person, die internationalen Schutz beantragt, in ein Land abzuschieben, bei dem ernsthafte Gründe befürchten lassen, dass tatsächlich die Gefahr einer Art. 18 der Charta in Verbindung mit Art. 33 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge in der durch das entsprechende Protokoll geänderten Fassung oder Art. 19 Abs. 2 der Charta widersprechenden Behandlung dieser Person besteht, verlangt das in Art. 47 der Charta vorgesehene Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Antragsteller über einen Rechtsbehelf mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung gegen den Vollzug der Maßnahme verfügt, die seine Abschiebung ermöglicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 54).

29 Der Gerichtshof hat ferner präzisiert, dass bei einer Rückkehrentscheidung und einer etwaigen Abschiebungsentscheidung der mit dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung verbundene Schutz dadurch zu gewährleisten ist, dass der Person, die internationalen Schutz beantragt hat, das Recht zuzuerkennen ist, vor mindestens einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, der kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat. Außerdem haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass der Rechtsbehelf gegen die Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz seine volle Wirksamkeit entfaltet, indem sie während der Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs und, falls er eingelegt wird, bis zur Entscheidung über ihn alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung aussetzen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 56, 58 und 61 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 5. Juli 2018, C u. a., C?269/18 PPU, EU:C:2018:544, Rn. 50).

30 Allerdings schreibt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs Art. 47 der Charta im Licht der in ihrem Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 enthaltenen Garantien ebenso wenig wie Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 vor, dass es zwei Rechtszüge geben muss. Denn allein entscheidend ist, dass es einen Rechtsbehelf vor einem Gericht gibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Juli 2011, Samba Diouf, C?69/10, EU:C:2011:524, Rn. 69, und vom 19. Juni 2018, Gnandi, C?181/16, EU:C:2018:465, Rn. 57).

31 In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, dass mit Art. 52 Abs. 3 der Charta, soweit diese Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, die notwendige Kohärenz zwischen den in der Charta verankerten Rechten und den entsprechenden, durch die EMRK garantierten Rechten geschaffen werden soll, ohne dass dadurch die Eigenständigkeit des Unionsrechts und des Gerichtshofs der Europäischen Union berührt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 2016, N., C?601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 47, und vom 14. September 2017, K., C?18/16, EU:C:2017:680, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach den Erläuterungen zu Art. 47 der Charta stützt sich dessen Abs. 1 auf Art. 13 EMRK. Der Gerichtshof muss daher darauf achten, dass seine Auslegung von Art. 47 Abs. 1 der Charta ein Schutzniveau gewährleistet, das das in Art. 13 EMRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte garantierte Schutzniveau nicht verletzt (vgl. entsprechend Urteile vom 15. Februar 2016, N., C?601/15 PPU, EU:C:2016:84, Rn. 77, und vom 20. März 2018, Menci, C?524/15, EU:C:2018:197, Rn. 62).

32 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verlangt Art. 13 EMRK aber selbst dann, wenn geltend gemacht wird, dass die Abschiebung den Betroffenen einer echten Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung aussetzt, von den Hohen Vertragsparteien weder, zwei Rechtszüge zu schaffen, noch gegebenenfalls das Rechtsmittel mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung auszustatten (vgl. in diesem Sinne EGMR, 5. Juli 2016, A. M./Niederlande, CE:ECHR:2016:0705JUD002909409, Rn. 70).

33 Daraus folgt, dass sich der Schutz, den Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta einer internationalen Schutz beantragenden Person gegen eine Entscheidung gewährt, mit der ihr Antrag abgelehnt und ihr eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, auf einen einzigen gerichtlichen Rechtsbehelf beschränkt.

34 Die Schaffung eines zweiten Rechtszugs gegen abschlägige Entscheidungen über einen Antrag auf internationalen Schutz und gegen Rückkehrentscheidungen sowie die Entscheidung, ihn gegebenenfalls mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung auszustatten, sind – entgegen dem in Rn. 17 des vorliegenden Urteils angeführten Vorbringen der belgischen Regierung – Verfahrensmodalitäten zur Umsetzung des in Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 vorgesehenen Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen solche Entscheidungen. Solche Verfahrensmodalitäten unterliegen nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten zwar ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung, müssen aber, wie der Gerichtshof hervorgehoben hat, die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität wahren (vgl. entsprechend Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García, C?169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 31, 36 und 50 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss vom 16. Juli 2015, Sánchez Morcillo und Abril García, C?539/14, EU:C:2015:508, Rn. 33).

35 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs dürfen die Verfahrensmodalitäten für Klagen, die die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte schützen sollen, nicht weniger günstig sein als die für entsprechende innerstaatliche Klagen (Grundsatz der Äquivalenz) und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juni 2014, Kone u. a., C?557/12, EU:C:2014:1317, Rn. 25, und vom 6. Oktober 2015, Târ?ia, C?69/14, EU:C:2015:662, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36 Bei der Prüfung der Frage, ob die Anforderungen in Bezug auf die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität erfüllt sind, sind die Stellung der betroffenen Vorschriften im gesamten Verfahren, dessen Ablauf und die Besonderheiten dieser Vorschriften vor den verschiedenen nationalen Stellen zu berücksichtigen (Urteile vom 1. Dezember 1998, Levez, C?326/96, EU:C:1998:577, Rn. 44, und vom 27. Juni 2013, Agrokonsulting-04, C?93/12, EU:C:2013:432, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangt der Äquivalenzgrundsatz die Gleichbehandlung auf einen Verstoß gegen das nationale Recht gestützter Rechtsbehelfe und entsprechender, auf einen Verstoß gegen das Unionsrecht gestützter Rechtsbehelfe, nicht aber die Gleichwertigkeit nationaler Verfahrensvorschriften, die für Streitsachen unterschiedlicher Natur gelten (Urteil vom 6. Oktober 2015, Târ?ia, C?69/14, EU:C:2015:662, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

[…]

43 Was den Effektivitätsgrundsatz betrifft, so verlangt dieser hier nicht mehr als die Wahrung der Grundrechte der Charta, insbesondere des Rechts auf einen wirksamen Rechtsschutz. Da sich aus Rn. 30 des vorliegenden Urteils ergibt, dass Art. 47 im Licht der Garantien in Art. 18 und Art. 19 Abs. 2 der Charta nur verlangt, dass eine internationalen Schutz beantragende Person, deren Antrag abgelehnt wurde und gegen die eine Rückkehrentscheidung ergangen ist, ihre Rechte vor einem Gericht wirksam geltend machen kann, lässt der bloße Umstand, dass ein im nationalen Recht vorgesehener zusätzlicher Rechtszug nicht kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat, nicht den Schluss zu, dass der Effektivitätsgrundsatz verletzt wurde.

44 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 im Licht von Art. 18, Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die zwar ein Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Urteil, das eine Entscheidung bestätigt, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt wird, vorsieht, diesen Rechtsbehelf jedoch nicht mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung ausstattet, obwohl der Betroffene die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung geltend macht.“

Es steht daher fest, dass im Gegensatz zum Vorbringen der Antragsteller weder Art. 47 GRC noch Art. 46 VerfahrensRL ein Rechtsmittel gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, mit dem ein Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen wird, fordert, noch, dass einem solchen, wenn es in der jeweiligen nationalen Rechtsordnung vorgesehen ist, Suspensivwirkung zukommt, sei es in Form der aufschiebenden Wirkung, sei es in Form einer einstweiligen Verfügung (s. dazu auch VwGH 25.02.2019, Ra 2018/19/0707).

6. Die österreichische Rechtsordnung sieht die Rechtsbehelfe vor, gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder Revision an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben; diesen kann aufschiebende Wirkung zuerkannt werden. Es ist daher im Sinne des Urteils zu prüfen, ob der Äquivalenz- oder der Effektivitätsgrundsatz dadurch verletzt werden, dass der – in concreto außerordentlichen – Revision die aufschiebende Wirkung nicht ex lege zukommt, sondern erst auf begründeten Antrag hin zuerkannt werden kann.

Dass der Äquivalenzgrundsatz verletzt wird, behaupten die Beschwerdeführer nicht, und ist auch nicht ersichtlich, weil § 30 VwGG (wie auch § 85 VfGG) für alle Verfahren gleichermaßen gilt. Im Übrigen sieht auch § 505 Abs. 3 ZPO vor, dass einer außerordentlichen Revision auch im Zivilverfahren nur eine den Eintritt der Rechtskraft hemmende Funktion zukommt, während die Vollstreckbarkeit der Entscheidung durch Erhebung einer solchen nicht gehemmt wird (siehe auch Zechner in Fasching/Konecny² § 505 ZPO, Rz 38f).

Das Vorbringen des rechtsfreundlichen Vertreters, das Fehlen der automatischen aufschiebenden Wirkung einer (außerordentlichen) Revision bewirke einen Verstoß gegen die unionsrechtlich gebotene Effektivität des Rechtsschutzes, verneinte der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach mit Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 26.9.2018, Rs. X und Y, C-180/17, in dem der dieser aussprach, dass Art. 46 der Richtlinie 2013/32 und Art. 13 der Richtlinie 2008/115 einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, die für ein Rechtsmittel gegen ein die Rückkehrentscheidung bestätigendes Erkenntnis eines Gerichts keine aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes vorsieht (VwGH 24.10.2018, Ra 2018/14/0107; 20.12.2018, Ra 2018/14/0348; 25.02.2019, Ra 2018/19/0707).

Dadurch, dass der (außerordentlichen) Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht ex lege die aufschiebende Wirkung zukommt, sondern erst nach Vorliegen einer Revision zuerkannt werden kann, werden sohin weder Effizienz- noch Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt.

7. Der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht für die Gewährung eines vorläufiges Aufenthaltsrechts bis zur Entscheidung über Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der Revision ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf einer klaren Rechtslage.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung - Entfall einstweilige Anordnung Revision Unionsrecht VwGH

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W112.2215062.1.01

Im RIS seit

15.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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