TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/19 W136 2203303-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.08.2021
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Entscheidungsdatum

19.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W136 2203303-1/48E

Schriftliche Ausfertigung des am 20.05.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte HABERMAYER-BINDER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.07.2018, Zl. 13-820641109-170229277 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2021, zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der bekämpfte Bescheid hinsichtlich seiner Spruchpunkte I bis VII ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt VIII. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend geändert, dass dem Antrag vom 16.04.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 Asylgesetz 2005 stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 28.01.2022 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der damals minderjährige Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 24.05.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer im Beisein eines damals ihm aufgrund seiner Minderjährigkeit zur Seite gestellten Rechtsberaters sowie eines Dolmetschers für die Sprache Dari zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er im Iran geboren sei und dort mit seiner Familie bis zur Ausreise vor ca. 8 Monaten gelebt habe. Sein Vater habe vom Iran die Ausreise bis nach Griechenland organisieren lassen und sie seien zunächst mit Hilfe eines Schleppers in die Stadt Van in der Türkei gereist. Nach ihrer Ankunft sei das große Erdbeben (am 23.10.2011) passiert, dabei sei er von seiner Familie getrennt worden. Danach sei er von den Schleppern bis nach Istanbul gebracht worden. Dort sei er nur einen Tag geblieben und danach zur türkisch-griechischen Grenze gebracht worden. Die Grenze nach Griechenland habe er mit anderen mitgereisten Leuten mit einem Schlauchboot überquert. Er sei von der Polizei aufgegriffen und dann wieder frei gelassen worden. Daraufhin sei er nach Athen gegangen, und habe bis 5 Tage vor seiner Ankunft in Österreich bei einem Schlepper gewohnt und bei ihm gearbeitet.

2. Am 08.11.2012 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) unter Beisein seines gesetzlichen Vertreters (Jugendwohlfahrt Tirol) sowie einer Vertrauensperson (Betreuer aus damaligem Wohnheim) und einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen.

Der Beschwerdeführer gab zu seinen Fluchtgründen befragt an, dass er in Teheran (Iran) geboren und dort mit seinen Eltern aufgewachsen sei. Er habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Er sei dann mit seinen Eltern und seinen drei Geschwistern ausgereist, hätte diese aber zuletzt in der Türkei gesehen. Er sei noch nie in Afghanistan gewesen und habe dort keine Verwandten oder Familienangehörigen, die ihm helfen könnten und würde somit auch über keine Unterkunft verfügen.

3. Mit Bescheid vom 28.01.2013 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.01.2014 erteilt (Spruchpunkt III.). Begründend wurde diesbezüglich ausgeführt, dass mangels eines tauglichen Fluchtvorbringens nicht festgestellt werden könne, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan eine Verfolgung oder Bedrohung zu befürchten hätte. Zur Situation im Fall einer Rückkehr wurde festgehalten, dass der Beschwerdeführer keine Verwandten oder Familienangehörigen in Afghanistan habe, die ihm helfen könnten und auch dort über keine Unterkunft verfüge. Im Hinblick auf die Lage im Herkunftsland und unter Berücksichtigung individueller in der Person des Beschwerdeführers gelegener Faktoren, würde dem Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention drohen oder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen Konflikts mit sich bringen, weshalb festgestellt wurde, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan nicht zulässig und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung zuzuerkennen sei.

4. Mit Urteil des Bezirksgerichtes (BG) Kufstein vom 24.02.2015, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen des Diebstahls (§ 127 StGB) und des Betruges (§§ 15, 146 StGB) zu einer Geldstrafe iHv 60 Tagessätzen zu je € 4,00 verurteilt (Jugendstraftat).

5. Am 05.03.2015 war dem BFA ein Abschlussbericht der Landespolizeidirektion (LPD) Tirol übermittelt worden, in welchem der Beschwerdeführer einer Übertretung nach dem Suchtgiftgesetz gemäß § 27 Abs. 1 SMG verdächtigt wurde. Am 30.06.2016 langte der entsprechende Strafantrag beim BFA ein. Die diesbezüglichen Ermittlungen wurden sodann eingestellt und der Rücktritt von der Verfolgung dem BFA mit Schreiben vom 01.08.2017 mitgeteilt.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes (LG) Innsbruck vom 04.08.2015, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der dauernden Sachentziehung (§ 135 Abs. 1 StGB), Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs. 1 StGB) und des schweren Diebstahls (§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB), zu einer Geldstrafe iHv 150 Tagessätzen zu je € 4,00 verurteilt (Jugendstraftat).

7. Am 30.08.2015 wurde gegen den Beschwerdeführer eine Wegweisung/Betretungsverbot aus einer Schutzzone gemäß § 36a SPG erlassen.

8. Am 12.03.2016 langte ein Abschlussbericht der LPD Tirol beim BFA ein, in welchem der Beschwerdeführer der Vergehen des Raufhandels und des Diebstahls verdächtig wurde.

9. Am 05.11.2017 langte ein weiterer Abschlussbericht der LPD Tirol beim BFA ein, in welchem Beschwerdeführer der Vergehen der Veruntreuung und der Nötigung verdächtigt wurde.

10. Am 23.11.2017 langte ein Strafantrag gegen den Beschwerdeführer beim BFA ein, in welcher er der Vergehen nach § 133 StGB und § 105 StGB verdächtigt wurde.

11. Am 20.10. wurde der Beschwerdeführer festgenommen und am 22.10.2017 wurde gegen ihn Untersuchungshaft verhängt.

12. Am 14.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer ein Parteiengehör mit einem Fragebogen bezüglich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten übermittelt. Mit am 29.12.2017 eingelangtem Schreiben erstatte der Beschwerdeführer die entsprechende Stellungnahme und führte darin im Wesentlichen aus, dass er im Iran geboren sei und nicht wisse was ihn in Afghanistan erwarte. Er würde bereuen, was er getan habe und wolle nie wieder Probleme mit der Polizei oder dem Gericht haben.

13. Am 07.02.2018 langte ein Abschlussbericht gegen den Beschwerdeführer beim BFA ein, in welchem er der Verbrechen der Vorbereitung zum Suchtgifthandel und des Suchtgifthandels nach §§ 28 Abs. 1 Abs. 2 und Abs. 3 sowie § 28a Abs. 1 und 2 SMG verdächtigt wurde.

14. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde insgesamt zweimal, mit Bescheid vom 27.01.2014 bis zum 28.01.2016 und zuletzt mit Bescheid vom 08.06.2016 bis zum 28.01.2018, verlängert. Beweiswürdigend wurde dazu ausgeführt, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat in Verbindung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers bzw. seinem Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig erachtet werde.

15. Am 16.04.2018 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter.

16. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 13.04.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall und Abs. 2 Z 3 SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG, zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten unter einer Bestimmung der Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen.

17. Daraufhin leitete das BFA aufgrund der unter Punkt 16. genannten Straffälligkeit des Beschwerdeführers ein Aberkennungsverfahren gemäß § 9 Abs. 3 AsylG 2005 ein.

18. Zu der beabsichtigten Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde der Beschwerdeführer vom BFA am 13.06.2018 unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass er seine Straftaten bereue und sich nun nach seiner Haftentlassung in Österreich ein neues Leben aufbauen wolle. Seine Eltern und seine Geschwister würden auch in Österreich leben und er habe eine Freundin hier. Er habe den Pflichtschulabschluss gemacht, eine Lehre zum Koch abgebrochen und suche nun eine andere Stelle. Er lebe momentan von € 210,00 aus der Grundversorgung und wohne bei seinen Eltern. Er spreche Dari und Farsi und sehr gut Deutsch. Befragt nach seinem Herkunftsland gab der Beschwerdeführer an, dass er im Iran geboren und noch nie in Afghanistan gewesen sei. Er habe in Afghanistan bis letztes Jahr noch Verwandte gehabt, die seien jedoch mittlerweile alle ausgereist. Im Iran habe er noch einen Onkel und eine Tante sowie seine Großeltern, mit denen er auch in Kontakt stehe. Seine Familie habe nie in Afghanistan gewohnt, sein Vater sei selbst als kleines Kind in den Iran gezogen und er selbst sei dort geboren habe bis zu seinem 12. Lebensjahr dort gewohnt. Dann seien sie als Familie gemeinsam ausgereist und er habe seine Familie in der Türkei bei einem Erdbeben verloren. Er sei mit den Schleppern weiter nach Griechenland gereist und habe dort gearbeitet und sich die weitere Flucht selbst finanziert. Befragt inwiefern er sich noch in die Gesellschaft seines Herkunftsstaates integriert fühle, gab er an, dass man dort anders denke als hier und er wegen seiner Tattoos Probleme haben und aufgrund seines schiitisches Glaubens verfolgt werden würde. Er könne nicht nach Afghanistan zurück, zumal er niemanden dort kenne und nie dort gelebt habe. Seine Familie sei damals aus Afghanistan geflüchtet, weil sie dort Probleme gehabt hätten. Eigene Fluchtgründe habe er keine, jedoch habe er Angst, dass er bei einer Rückkehr auch Probleme bekomme, wie seine Familie früher.

19. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 10.07.2018 wurde der dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 28.01.2013 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag des Beschwerdeführers vom 16.04.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AslyG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Der Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden. Die subjektive Lage des Beschwerdeführers habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als ihm subsidiärer Schutz gewährt worden sei, geändert (er sei nunmehr volljährig, arbeitsfähig und habe einen Pflichtschulabschluss) und es bestehe eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative, die sich insbesondere aus dem Vorhandensein einer Vielzahl an internationalen Einrichtungen, die Rückkehrer unterstützen würden, ableiten lasse. Die Herkunftsprovinz des Vaters des Beschwerdeführers, Ghazni, weise zwar immer noch eine maßgebliche Gefährdungslage auf, der Beschwerdeführer könne seinen Lebensunterhalt jedoch in Herat bestreiten und würde ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden. Daher könne angenommen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in keine lebensbedrohliche Notlage geraten würde, zumal schwierige Lebensumstände für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht ausreichen würde. Zur Integration des BF in Österreich wurde ausgeführt, dass sein Privatleben mangels Vorliegens tiefgehender sozialer Anknüpfungspunkte als wenig ausgeprägt anzusehen und auch nicht zu erkennen sei, dass der Beschwerdeführer in Österreich ein Privatleben führe, dass er in Afghanistan nicht führen könne. Des Weiteren würde die für die Integration wesentliche soziale Komponente durch die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten erheblich beeinträchtigt.

20. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch die ihm damals zur Seite gestellte Rechtsberatung fristgerecht Beschwerde.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde mangelhafte Länderfeststellungen getroffen habe, da nicht von einer maßgeblichen Änderung im Herkunftsland ausgegangen werden könne und eine Niederlassung in Herat für den Beschwerdeführer nicht zumutbar sei. Überdies habe das BFA die bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenen Maßnahmen zwingend vorzunehmende Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK mangelhaft durchgeführt. So habe die belangte Behörde nicht oder unzureichend berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer seit sechs Jahren in Österreich aufhalte, er im gemeinsamen Haushalt mit seinen Eltern und seinen Geschwistern lebe, welche ihn auch regelmäßig während seiner Haft in der Justizanstalt besucht hätten. Der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Sozialisierung in Österreich stark integriert, wohingegen er keinerlei Bindungen zu seinem Heimatstaat unterhalte.

21. Die gegenständliche Beschwerde und der Verwaltungsakt wurden vom BFA vorgelegt und sind am 13.08.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

22. Mit Urteil des LG Innsbruck vom 21.08.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG, des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten verurteilt.

23. Mit weiterem Urteil des LG Innsbruck vom 17.01.2019, XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Begünstigung nach den §§ 15, 299 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB in Anwendung der §§ 28 StGB und 19 JGG nach dem zweiten Strafsatz des § 297 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 8 Monaten verurteilt.

24. Mit Schreiben vom 15.01.2020 wurden der Beschwerdeführer und das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.02.2020 geladen, welche jedoch aufgrund der damaligen Verbüßung der Strafhaft des Beschwerdeführers bis voraussichtlich August 2020 in der Folge wieder abberaumt worden war.

25. Mit Stellungnahme vom 03.02.2020 führte das BFA noch einmal aus, dass sich die Gründe die zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten geführt haben maßgeblich verändert hätten und beantragte die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde.

26. Mit Schreiben vom 23.06.2020 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die Justizanstalt Innsbruck im Rahmen der Amtshilfe um Übermittlung eines Berichts über das Verhalten des Beschwerdeführers während der dortigen Anhaltung, insbesondere, über Auskunft, ob der Beschwerdeführer einer Arbeit nachgegangen oder einer Ausbildung zugeführt worden sei und ob gegen ihn Ordnungsstrafen verhängt oder von diesem eine Ordnungswidrigkeit begangen worden sei.

27. Daraufhin übermittele die Justizanstalt Innsbruck dem Bundesverwaltungsgericht am 26.06.2020 eine Äußerung des Anstaltsleiters sowie eine Vollzugsinformation betreffend den Beschwerdeführer, aus der im Wesentlichen hervorging, dass der Beschwerdeführer ein gutes Anstalts- und Sozialverhalten aufweise, eine gute Arbeitsleistung in der Anstaltsküche verrichte und regelmäßigen Besuch von Bekannten, Familienangehörigen und Betreuern bekomme. Des Weiteren wurde angeführt, dass gegen den Beschwerdeführer zwei Ordnungsstrafverfügungen erlassen wurden, einmal am 04.04.2018 wegen unerlaubten Handybesitzes und am 27.03.2019 wegen eines positiven Harntests auf Benzodiazepine.

28. Mit Schreiben vom 08.09.2020 wurden der Beschwerdeführer und das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 29.09.2020 geladen, woraufhin die ehemalige Rechtsvertretung die Auflösung des Vollmachtsverhältnisses mitteilte und zu der weder das BFA noch der BF selbst erschienen. Dieser habe nach Auskunft seines Betreuers und der am 28.09.2020 eingebrachten Stellungnahme zwar Kenntnis von der Ladung gehabt, sei jedoch obdachlos und habe kein Geld für die Anreise, weshalb die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt wurde.

29. Am 16.10.2020 wurden Kopien der neuen Hauptsitzmeldung des Beschwerdeführers (eine Obdachlosenmeldung) und eine neue Asylkarte übermittelt.

30. Mit Schreiben vom 21.04.2021 wurden der Beschwerdeführer und das BFA zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.05.2021 geladen.

31. In weiterer Folge wurde dem Bundesverwaltungsgericht ein Auszug über die verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen des Beschwerdeführers vom 26.04.2021 vorgelegt, dem insgesamt fünf Vormerkungen zu entnehmen sind, davon viermal wegen Schwarzfahrens und einmal wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes gemäß § 11 Abs. 1 Landespolizeigesetz.

32. Am 20.05.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Vertreters des BFA, einer Dolmetscherin für die Sprache Farsi sowie mit dem Beschwerdeführer und dessen nunmehriger Rechtsberatung eine mündliche Verhandlung durch, bei der der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen persönlichen Umständen, insbesondere zu seiner Straffälligkeit, seiner Lebenssituation und Integration in Österreich befragt wurde.

Im Rahmen der Verhandlung wurde eine Stellungnahme des Vereins Neustart betreffend die Bemühungen des BF seit seiner Haftentlassung vom 20.05.2021 vorgelegt, aus welcher im Wesentlichen hervorgeht, dass sich der Beschwerdeführer seit seiner Haftentlassung durchgehend wohlverhalten habe und intensiv engagiert sei eine Arbeit und eine Wohnung zu finden. Er habe keinen Kontakt mehr mit den Personen aus der Zeit, in der er straffällig geworden ist, sei gewillt sich zu integrieren und seinem Leben den Stoß in die richtige Richtung zu geben. Seinen Lebensunterhalt habe er nach seiner Entlassung aus der Haft zunächst mit dem Entlassungsgeld und caritativen Unterstützungen sowie der Hilfe seines Vaters bestritten, danach von 01.02.2021 bis 12.04.2021 Grundversorgung des Landes Tirol bezogen. Mit 13.04.2021 sei dem Beschwerdeführer nun ein Arbeitslosengeld (Tagessatz iHv € 28,20) bewilligt worden, worüber eine Bestätigung zur Einsicht vorgelegt wurde.

Das Bundesverwaltungsgericht verkündete gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG nach der Verhandlung das gegenständliche Erkenntnis.

33. Mit Schriftsatz vom 21.05.2021 wurde vom BFA ein Antrag auf schriftliche Ausfertigung gestellt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zu Person des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist schiitischer Moslem. Er wurde am XXXX in Teheran, im Iran, geboren. Er lebte dort bis zu seiner Ausreise im Alter von 12 Jahren und besuchte dort die Schule.

Zunächst reiste er im Jahr 2011 mit seinen Eltern und seinen Geschwistern mit Hilfe eines Schleppers in die Stadt Van in der Türkei. Dort wurde er aufgrund eines Erdbebens am 23.10.2011 von seiner Familie getrennt und reiste alleine weiter mit einem Schlauchboot nach Griechenland, wo er ca. ein halbes Jahr bei dem Schlepper gewohnt und durch Arbeit für diesen seine weitere Flucht finanziert hat. Anschließend gelangte er über ihm unbekannte Länder nach Österreich, wo er am 24.05.2012 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte.

Die leiblichen Eltern des BF haben sich im Iran getrennt als der Beschwerdeführer ca. 8 Jahre alt war. Zu seiner leiblichen Mutter hat der Beschwerdeführer keinen Kontakt und auch keine Information über ihren Aufenthalt.

Die Eltern (Stiefmutter und Vater) des Beschwerdeführers und seine Geschwister (leiblicher Bruder ca. 18 Jahre, Stiefbruder ca. 8/9 Jahre und Stiefschwester ca. 2/3 Jahre) halten sich seit 2016 auch in Österreich auf und leben als Asylberechtigte in Wien.

Die Stiefmutter und der leibliche Vater des BF haben sich mittlerweile auch getrennt. Der Vater wohnt in einer kleinen Einzimmerwohnung in Wien. Sein Bruder wohnt in einer Wohnung des SOS-Kinderdorf. Der Beschwerdeführer schläft 2-3 Mal in der Woche bei seinem Vater und die restlichen Tage bei einem Freund. Er ist aktuell auf Wohnungssuche.

Der Beschwerdeführer verfügt über kein familiäres Netzwerk in Afghanistan. Lediglich der Onkel seiner Stiefmutter, den der Beschwerdeführer nicht persönlich kennt, lebt in Afghanistan. Der Beschwerdeführer selbst war noch nie dort.

Seine Großeltern und sein Onkel väterlicherseits (vs) leben noch im Iran.

Mit seinen Verwandten im Iran hat der Beschwerdeführer kaum Kontakt, er hat zuletzt als er im Jahr 2016 seine Familie gesucht hat und im einmal Jahr 2018 mit seinem Onkel kommuniziert. Mit den Großeltern hat er einmal über Facebook und Whatsapp kommuniziert, jedoch hat er kein gutes Verhältnis zu ihnen. Diese melden sich nur bei seinem jüngeren Bruder und nicht bei ihm.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass Familienangehörige des Beschwerdeführers, insbesondere der Onkel der Stiefmutter in Afghanistan oder seine Großeltern bzw. sein Onkel vs im Iran, in der Lage und willens sind, den Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan zu unterstützen. Ebensowenig ist von der Familie des Beschwerdeführers in Österreich eine hinreichende Unterstützung aus der Ferne zu erwarten.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer stellte am 24.05.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid des BFA vom 28.01.2013 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 28.01.2014 erteilt. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers wurde in der Folge antragsgemäß mit Bescheid der belangten Behörde vom 27.01.2014 bis zum 28.01.2016 und zuletzt mit Bescheid vom 08.06.2016 bis zum 28.01.2018 verlängert. Am 16.04.2018 stellte er erneut einen Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, der mit dem angefochtenen Bescheid abgewiesen wurde.

Der Beschwerdeführer befand sich seit seiner Antragstellung im Mai 2012 auf Grund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 und befindet sich seit Jänner 2013 aufgrund einer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer hat im Jahr 2014 in Kufstein seinen Pflichtschulabschluss gemacht und spricht sehr gut Deutsch.

Der Beschwerdeführer weist folgende strafrechtlichen Verurteilungen auf:

-        Mit rechtskräftigem Urteil des BG Kufstein vom 24.02.2015, XXXX , wurde der Beschwerdeführer der Vergehen des Diebstahls (§ 127 StGB) und des Betruges (§§ 15, 146 StGB) für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe iHv 60 Tagessätzen zu je € 4,00 verurteilt (Jugendstraftat).

-        Mit rechtskräftigem Urteil des LG Innsbruck vom 04.08.2015, XXXX , wurde der Beschwerdeführer der Vergehen der dauernden Sachentziehung (§ 135 Abs. 1 StGB), Urkundenunterdrückung (§ 229 Abs. 1 StGB) und des schweren Diebstahls (§§ 15, 127, 128 Abs. 1 Z 1 StGB) für schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe iHv 150 Tagessätzen zu je € 4,00 verurteilt (Jugendstraftat).

-        Mit rechtskräftigem Urteil des LG Innsbruck vom 13.04.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall und Abs. 2 Z 3 SMG und des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten (in der Dauer von 12 Monaten unter einer Bestimmung der Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen) verurteilt.

-        Mit rechtskräftigem Urteil des LG Innsbruck vom 21.08.2018, XXXX , wurde der Beschwerdeführer des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG, §§ 27 Abs. 1 Z 1 1 und 2. Fall, 27 Abs. 2 SMG §§ 27 (1) Z 1 1. Fall, 27 (1) Z 1 2. Fall SMG für schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 4 Monaten verurteilt.

-        Mit rechtskräftigem Urteil des LG Innsbruck vom 17.01.2019, XXXX , wurde der Beschwerdeführer der Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB, der Begünstigung nach §§ 15 StGB, 299 Abs. 1 StGB sowie des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 2. Fall StGB, für schuldig erkannt zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt.

Dem Urteil des LG Innsbruck vom 13.04.2018, XXXX , liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Beschwerdeführer hat in Innsbruck und an anderen Orten im Zeitraum von Februar 2015 bis zu seiner Festnahme am 20.11.2017 Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen und zwar durch den gewinnbringenden Verkauf einer Gesamtmenge von zumindest 3.854,9 Gramm THC-haltigem Cannabiskraut mit einem gerichtsnotorischen Reinsubstanzgehalt von zumindest 8 % (308,32 Gramm reines Delta-9-THC entsprechend 15,41 Grenzmengen), einer Menge von zumindest 2 Gramm THC-haltigem Cannabisharz mit einem gerichtsnotorischem Reinsubstanzgehalt von zumindest 5 % (0,1 Gramm reines Delta-9-THC entsprechend 0,0005 Grenzmengen) sowie die Überlassung einer Menge von 1 Gramm Kokain mit einem gerichtsnotorischen Reinsubstanzgehalt von zumindest 40% (0,4 Gramm reines Kokain entsprechend 0,027 Grenzmengen) in mehreren Teilhandlungen an näher genannte Personen und dadurch das Verbrechen des Suchtgifthandels nach §§ 28a (1) 5. Fall, 28a (2) Z 3 SMG begangen.

Des Weiteren hat der Beschwerdeführer im Zeitraum von 2014 bis zu seiner Festnahme am 20.11.2017 Suchtgift ausschließlich zum eigenen Gebrauch erworben und besessen, und zwar durch den wiederholten Erwerb nicht näher bestimmbarer Mengen an THC-haltigem Cannabiskraut (zumindest 80 Gramm) und deren Besitz bis zum eigenen Konsum oder bis zur Sicherstellung und hat dadurch das Vergehen des unerlaubten Umganges mit Suchtgift nach § 27 (1) Z 1 1. und 2. Fall und Abs. 2 SMG begangen.

Der Beschwerdeführer wurde dafür zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt. Gemäß § 43a Abs. 3 StGB wurde ein Teil der Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten unter einer Bestimmung der Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. In der Folge wurde die bedingte Entlassung sowie der bedingt nachgesehene Teil der Freiheitsstrafe mit Urteil des LG Innsbruck vom 21.08.2018, XXXX , widderrufen.

Das LG Innsbruck stellte als erschwerend die Vorstrafen, das Zusammentreffen von einem Vergehen mit einem Verbrechen und die Tatwiederholungen fest. Als mildernd wurde das volle und reumütige Geständnis gewertet.

Dem Urteil des LG Innsbruck vom 21.08.2018, XXXX , liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Beschwerdeführer hat in Innsbruck vorschriftswidrig Suchtgift am 07.07.2018 erworben und besessen, und zwar durch den Erwerb einer Menge von cirka 0,85 g THC-hältigem Cannabiskraut bei einem Unbekannten und deren Besitz bis zur Weiterveräußerung und dadurch das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG begangen.

Weiters hat der Beschwerdeführer im Zeitraum von seiner Haftentlassung am 13.04.2018 bis zu seiner erneuten Festnahme am 07.07.2018 Suchtgift ausschließlich zum eigenen Gebrauch erworben und besessen, und zwar durch den wiederholten Erwerb nicht näher bestimmbarer Mengen an THC-hältigem Cannabiskraut (zumindest 0,85 g) und Cannabisharz bei Unbekannten und deren Besitz bis zum eigenen Konsum oder bis zur Sicherstellung und dadurch die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z erster und zweiter Fall und Abs 2 SMG.

Weiters hat der Beschwerdeführer am 07.07.2018 auf einer öffentlichen Verkehrsfläche öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, anderen gegen Entgelt überlassen, indem er eine näher genannte Person auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, in Anwesenheit von zumindest 12 Personen sowie unter den Blicken mehrerer Passanten, damit öffentlich und unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, eine Menge von cirka 0,85 g Cannabiskraut aus seinem Besitz übergab und dafür das vereinbarte Entgelt in Höhe von EUR 10,-- entgegen nahm und dadurch das Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 2a zweiter Fall SMG begangen.

Der Beschwerdeführer wurde dafür zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von vier Monaten verurteilt.

Bei der Strafzumessung stellte das LG Innsbruck als erschwerend eine einschlägige Vorstrafe samt einem sehr raschen Rückfall und das Zusammentreffen von mehreren Vergehen. Als mildernd wurden das Geständnis und das Alter (unter 21 Jahre) des Beschwerdeführers gewertet.

Dem Urteil des LG Innsbruck vom 17.01.2019, XXXX , liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Beschwerdeführer hat in Innsbruck jeweils vor dem LG Innsbruck als Zeuge bei seinen nachfolgend angeführten förmlichen Vernehmungen zur Sache falsch ausgesagt, und zwar am 13.09.2018 im Verfahren XXXX und am 21.09.2018 im Verfahren XXXX und dadurch die Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB begangen.

Weiters hat der Beschwerdeführer durch die angeführten Angaben versucht, andere, die mit Strafe bedrohte Handlungen, nämlich je das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall ff SMG begangen haben, absichtlich der Verfolgung zumindest zum Teil zu entziehen, und zwar am 13.09.2018 im Verfahren XXXX und am 21.09.2018 im Verfahren XXXX und dadurch die Vergehen der versuchten Begünstigung nach den §§ 15, 299 Abs. 1 StGB begangen.

Weiters hat der Beschwerdeführer eine näher genannte Person der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, dass er ihn von Amts wegen zu verfolgender, mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohter Handlungen, nämlich des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB sowie zugleich des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB in Form der Bestimmungstäterschaft nach § 12 zweiter Fall StGB, falsch verdächtigte, wobei er wusste (§ 5 Abs. 3 StGB), dass die Verdächtigungen falsch sind und dadurch das Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 zweiter Fall StGB begangen hat.

Der Beschwerdeführer wurde dafür zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten verurteilt.

Bei der Strafzumessung stellte das LG Innsbruck als erschwerend eine Vorstrafe sowie das Zusammentreffen von 1 Verbrechen mit 2 Vergehen, der Umstand, dass mehrere Personen begünstigt waren sowie Tatwiederholungen fest. Als mildernd wurden das Geständnis und das Alter (im Tatzeitraum unter 21 Jahre) des Beschwerdeführers gewertet.

Während seiner Haft von 08.07.2018 bis 21.08.2020 hat der Beschwerdeführer gutes Anstands- und Sozialverhalten gezeigt und in der Anstaltsküche eine gute Arbeitsleistung erbracht. Er hat jedoch zwei Geldbußen wegen Ordnungswidrigkeiten bekommen, einmal wegen unerlaubten Handybesitzes und einmal, weil er positiv auf Benzodiazepine getestet wurde.

Der Beschwerdeführer hat vor seiner Inhaftierung selbst Suchtgift konsumiert (Marihuana und Kokain) und hat in der Justizanstalt einen Entzug gemacht.

Der Beschwerdeführer wurde während seiner Haft regelmäßig von seinen Angehörigen, Sozialbetreuern und Bekannten besucht.

Der Beschwerdeführer ist insgesamt 5 Mal verwaltungsstrafrechtlich in Erscheinung getretenen, wobei er einmal im Jahr 2017 und dreimal im Jahr 2018 wegen Schwarzfahrens und im Jahr 2017 einmal wegen Verletzung des öffentlichen Anstandes gemäß § 11 Abs. 1 Landespolizeigesetz zu einer Geldstrafe verpflichtet wurde.

Der Beschwerdeführer ist derzeit nicht erwerbstätig, bemüht sich jedoch aktuell intensiv um eine Arbeitsstelle und erhält dafür Unterstützung vom Verein NEUSTART. Er möchte gerne eine Lehre als Koch machen, ihm wurde von einem Freund auch eine Empfehlung für eine Stelle im Einzelhandel in Aussicht gestellt und ihm gesagt, er könne sich bei der Post bewerben, zumal jemand neben seinem Vater für die Bearbeitung der Lieferscheine gesucht werde.

Nach seiner Entlassung aus der Haft am 21.08.2020 hat er seinen Lebensunterhalt zunächst mit dem Entlassungsgeld und caritativen Unterstützungen sowie der Hilfe seines Vaters bestritten und danach von 01.02.2021 bis 12.04.2021 Grundversorgung des Landes Tirol iHv € 227,50 bezogen. Seit 13.04.2021 bezieht der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld in Höhe eines Tagessatzes von € 28,20 (Leistungsanspruch von 13.04.2021 bis 30.08.2021).

Er hat Kontakt mit seinem Freund, bei dem er übernachtet und seinem Bruder. Er besucht seinen Bruder drei bis vier Mal die Woche und holt ihn manchmal von der Schule ab. Er hat auch regelmäßigen Kontakt zu seinem Betreuer vom Verein Neustart, der ihm hilft eine Arbeit und eine Wohnung zu finden.

Der Beschwerdeführer hatte bereits eine österreichische Freundin und möchte in Österreich eine Familie gründen.

Der Beschwerdeführer hat sich in den Jahren 2015/2016 ein Schwert am linken Unterarm, einen Löwen am linken Oberarm und einen Stern auf der Schulter tätowiert. Das Schwert gehört zum Propheten Ali, die Tätowierungen haben laut Beschwerdeführer jedoch keine Bedeutung.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan einschließlich der Städte Herat und Mazar-e Sharif konnte nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des BFA vom 28.01.2013 wesentlich und nachhaltig verändert haben.

Insbesondere ist aus den getroffenen Länderfeststellungen im Vergleich zu den bei Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten herangezogenen Länderberichten keine Verbesserung der Sicherheits- oder Versorgungslage in Afghanistan, sondern unter Berücksichtigung der Folgen der COVID-19-Pandemie zuletzt sogar vielmehr eine Verschlechterung der Versorgungslage ersichtlich, und auch keine maßgebliche Änderung der individuellen Situation des Beschwerdeführers eingetreten

1.2. Zur Lage in Afghanistan

Aus dem ins Verfahren eingeführten Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (COI) zu Afghanistan, Stand 02.04.2021, Version 3, ergibt sich:

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen bis 39 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 4).

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die Afghan National Defense Security Forces aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen um Provinzhauptstädte herum stationierte Koalitionstruppen. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen. Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (LIB, Kapitel 5).

Drei Ministerien verantworten die Sicherheit in Afghanistan: Das afghanische Innenministerium (Afghanistan’s Ministry of Interior - MoI), das Verteidigungsministerium (Ministry of Defense - MoD) und der afghanische Geheimdienst (NDS). Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die ANP (Afghan National Police) und die ALP (Afghan Local Police). Die ANA (Afghanische Nationalarmee) untersteht dem Verteidigungsministerium und ist für die externe Sicherheit zuständig, ihre primäre Aufgabe ist jedoch die Bekämpfung der Aufständischen innerhalb Afghanistans. Das National Directorate of Security (NDS) fungiert als Geheimdienst und ist auch für die Untersuchung von Kriminalfällen zuständig, welche die nationale Sicherheit betreffen. Die Ermittlungsabteilung des NDS betreibt ein Untersuchungsgefängnis in Kabul. Die afghanischen Sicherheitskräfte werden teilweise von US-amerikanischen bzw. Koalitionskräften unterstützt (LIB, Kapitel 8).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB, Kapitel 6).

1.5.1.1. Aktuelle Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft

Vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013. Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.02.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (LIB, Kapitel 4).

Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind (LIB, Kapitel 4).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum „vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte“ gemacht. Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer „strategischen Pattsituation“, die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (LIB, Kapitel 5).

Vom 01.01.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (LIB, Kapitel 5).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (LIB, Kapitel 5).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffen waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (LIB, Kapitel 5).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (LIB, Kapitel 5)

Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner „schwierig“, sich an ihre eigenen Zusagen zu halten. Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.02.2021 in Katar wiederaufgenommen worden (LIB, Kapitel 4)

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6% unter der nationalen Armutsgrenze (LIB, Kapitel 23.1).

Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 23.1).

Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan. Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert. 80% der afghanischen Arbeitskräfte befinden sich in „prekären Beschäftigungsverhältnissen“, mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen, wobei schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten Tagelöhner sind. Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pandemie wieder steigen ebenso wie die Anzahl der prekär beschäftigten, auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (LIB, Kapitel 23.3).

Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (LIB, Kapitel 23.3).

Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich. Während Frauen am afghanischen Arbeitsmarkt eine nur untergeordnete Rolle spielen, stellen sie jedoch im Agrarsektor 33% und im Textilbereich 65% der Arbeitskräfte (LIB, Kapitel 23.3).

Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke, ist die Arbeitssuche schwierig. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB, Kapitel 23.3).

Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag. Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner (LIB, Kapitel 23.3).

Die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul liegt durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard muss zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden. Auch in Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Dies gilt auch für Rückkehrer. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankt unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich. Einer anderen Quelle zufolge liegen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließendem Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat. Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden. Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel. Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (LIB, Kapitel 23.2).

Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls sind höher. In ländlichen Gebieten kann man mit mind. 50% weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (LIB, Kapitel 23.2).

Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt, und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist (LIB, Kapitel 23.5).

Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen. Es gibt kein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (LIB, Kapitel 23.5).

Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert. Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor. Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder Sozialbeihilfen kommt (LIB, Kapitel 23.5).

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach Folgendem fragen: Ausweisdokument (Tazkira), zwei Passfotos und 1.000 bis 5.000 AFN als Mindestkapital für das Bankkonto. Geld kann auch über das Hawala System (Form des Geldtausches) transferiert werden. Dieses System funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich und wird von verschiedenen Bevölkerungsschichten verwendet (LIB, Kapitel 23.6).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück. Trotz der im Entwicklungsländervergleich relativ hohen Ausgaben für Gesundheit ist die Gesundheitsversorgung im ganzen Land sowohl in den von den Taliban als auch in den von der Regierung beeinflussten Gebieten generell schlecht. Zum Beispiel gibt es in Afghanistan 2,3 Ärzte und fünf Krankenschwestern und Hebammen pro 10.000 Menschen, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 13 bzw. 20 (LIB, Kapitel 24).

Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten. Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Mio. Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren (LIB, Kapitel 24).

Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan, und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt. Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt (LIB, Kapitel 24)

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden. Durch dieses Vertragssystem wird die primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsversorgung bereitgestellt, Primärversorgungsleistungen auf Gemeinde- oder Dorfebene, Sekundärversorgungsleistungen auf Distriktebene und Tertiärversorgungsleistungen auf Provinz- und nationaler Ebene. Es mangelt jedoch an Investitionen in die medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während es in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken gibt, ist es für viele Afghanen schwierig, in ländlichen Gebieten eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Nach Berichten von UNOCHA haben rund zehn Mio. Menschen in Afghanistan nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung (LIB, Kapitel 24).

Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten, den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (LIB, Kapitel 24).

Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen. Die Kosten für Diagnose und Behandlung variieren dort sehr stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden, was den privaten Sektor sehr vielfältig macht mit einer uneinheitlichen Qualität der Leistungen, die oft unzureichend sind oder nicht dem Standard entsprechen (LIB, Kapitel 24).

Die Sicherheitslage hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsdienste. Trotz des erhöhten Drucks und Bedarfs an ihren Dienstleistungen werden Gesundheitseinrichtungen und -mitarbeiter weiterhin durch Angriffe sowie Einschüchterungsversuche von Konfliktparteien geschädigt, wodurch die Fähigkeit des Systems, den Bedarf zu decken, untergraben wird. Seit Beginn der Pandemie gab es direkte Angriffe auf Krankenhäuser, Entführungen von Mitarbeitern des Gesundheitswesens, Akte der Einschüchterung, Belästigung und Einmischung, Plünderungen von medizinischen Vorräten sowie indirekte Schäden durch den anhaltenden bewaffneten Konflikt. Das direkte Anvisieren von Gesundheitseinrichtungen und Personal führt nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen und Verletzungen, sondern zwingt viele Krankenhäuser dazu, lebenswichtige medizinische Leistungen auszusetzen oder ganz zu schließen (LIB, Kapitel 24).

Eine begrenzte Anzahl von staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenlose medizinische Versorgung an. Voraussetzung für die kostenlose Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft durch einen Personalausweis oder eine Tazkira. Alle Bürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten. Allerdings gibt es manchmal einen Mangel an Medikamenten. Daher werden die Patienten an private Apotheken verwiesen, um verschiedene Medikamente selbst zu kaufen, oder sie werden gebeten, für medizinische Leistungen, Labortests und stationäre Behandlungen zu zahlen. Medikamente können auf jedem afghanischen Markt gekauft werden, und die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produkts. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern unterscheiden sich von den lokalen Marktpreisen. Private Krankenhäuser befinden sich meist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar, und die medizinische Ausstattung ist oft veraltet oder nicht vorhanden. Eine Unterbringung von Patienten ist nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf (LIB, Kapitel 24.1).

Die Haupthindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung in Afghanistan sind die hohen Behandlungskosten, der Mangel an Ärztinnen, die großen Entfernungen zu den Gesundheitseinrichtungen und eine unzureichende Anzahl an medizinischem Personal in den ländlichen Gebieten, Korruption und Abwesenheit des Gesundheitspersonals sowie Sicherheitsgründe (LIB, Kapitel 24.1).

Viele Staatsangehörige - die es sich leisten können - gehen zur medizinischen Behandlung ins Ausland nach Pakistan oder in die Türkei - auch für kleinere Eingriffe. In Pakistan zum Beispiel ist dies zumindest für die Mittelschicht vergleichsweise einfach und erschwinglich (LIB, Kapitel 24.1).

Sowohl die Quantität als auch die Qualität von essenziellen Medikamenten sind eine große Herausforderung für das afghanische Gesundheitssystem. Da es keine nationale Regulierungsbehörde gibt, sind Medikamente, Impfstoffe, biologische Mittel, Labormittel und medizinische Geräte nicht ordnungsgemäß reguliert, was die Gesetzgebung und die Durchsetzung von Gesetzen fast unmöglich macht (LIB, Kapitel 24.2)

Die Patienten müssen für alle Medikamente bezahlen, außer für Medikamente in der Primärversorgung, die in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos sind. Für bestimmte Arten von Medikamenten ist ein Rezept erforderlich. Obwohl es in Afghanistan viele Apotheken gibt, sind Medikamente nur in städtischen Gebieten leicht zugänglich, da es dort viele private Apotheken gibt. In ländlichen Gebieten ist dies weniger der Fall. Auf den afghanischen Märkten sind mittlerweile alle Arten von Medikamenten erhältlich, aber die Kosten variieren je nach Qualität, Firmennamen und Hersteller. Die Qualität dieser Medikamente ist oft gering; die Medikamente sind abgelaufen oder wurden unter schlechten Bedingungen transportiert (LIB, Kapitel 24.1).

Viele Menschen innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden unter verschiedenen psychischen Erkrankungen als Folge des andauernden Konflikts, Naturkatastrophen, endemischer Armut und der COVID-19-Pandemie. Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig. Gemäß der „Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023“ erhalten weniger als 10% der Bevölkerung d

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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