TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/19 W284 2209685-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.08.2021
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Entscheidungsdatum

19.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W284 2209695-1/17E

W284 2209688-1/14E

W284 2209681-1/12E

W284 2209685-1/12E

W284 2209692-1/12E

W284 2209679-1/12E

W284 2209699-1/12E

W284 2232141-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. WAGNER-SAMEK als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX , 5. XXXX , geb. XXXX , 6. XXXX , geb. XXXX , 7. XXXX , geb. XXXX und 8. XXXX , geb. XXXX , alle StA. IRAK, vertreten durch RA Mag. Helmut BLUM, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29.10.2018 und vom 18.05.2020 (ad 8.), Zlen. 1098310805-151939464 (ad 1.), 1098311606-151939472 (ad 2.), 1098312407-151939570 (ad 3.), 1098312701-151939618 (ad 4.), 1098313306-151939642 (ad 5.), 1098313600-151939655 (ad 6.), 1105283610-160220892 (ad 7.) und 1260003503-200140000 (ad 8.), betreffend Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz und Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind irakische Staatsangehörige und miteinander verheiratet. Die Drittbeschwerdeführerin ist das Kind des Erstbeschwerdeführers aus erster Ehe, die Viert- bis Achtbeschwerdeführer sind die gemeinsamen Kinder der Erst- und Zweitbeschwerdeführer. Gemeinsam werden sie als „die Beschwerdeführer“ bezeichnet.

Die Erst- bis Sechstbeschwerdeführer reisten illegal in das Bundesgebiet ein und stellten am 06.12.2015 ihre jeweiligen Anträge auf internationalen Schutz. Es erfolgten am selben Tag Erstbefragungen der Erst- und Zweitbeschwerdeführer durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes.

2. Die Siebtbeschwerdeführerin ist am XXXX geboren und wurde für diese am 11.02.2016 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

3. Am 23.10.2018 wurden die Erst- und Zweitbeschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA bzw. belangte Behörde vor dem Bundesverwaltungsgericht) niederschriftlich einvernommen.

4. Mit Bescheiden des BFA, jeweils vom 29.10.2018, wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten sowie der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurden den Beschwerdeführern nicht erteilt. Gegen sie wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Den Beschwerdeführern wurde eine 14-tägige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gesetzt.

5. Gegen die angefochtenen Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Sie stützten sich auf die prekäre Sicherheitslage in Basra sowie die allgemein schlechte Versorgungslage, weshalb den Beschwerdeführern auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung stehe.

6. Am XXXX wurde die Achtbeschwerdeführerin im Bundesgebiet geboren und für diese am 04.02.2020 ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt, welcher mit Bescheid des BFA vom 18.05.2020 abgewiesen wurde. Dagegen wurde ebenfalls Beschwerde erhoben.

7. Auf Grund einer Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 14.01.2021 wurden die gegenständlichen Rechtssachen der seither zuständigen Gerichtsabteilung W284 zugewiesen.

8. Mit Eingabe der Rechtsvertretung vom 05.07.2021 wurden Integrationsunterlagen in Vorlage gebracht.

9. Am 13.07.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt und den Beschwerdeführern als Parteien die Möglichkeit gegeben, ihre Fluchtgründe ausführlich darzulegen. Neben den Eltern wurden die Dritt- und die Viertbeschwerdeführerin einvernommen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der Verhandlung und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Erstbeschwerdeführer, die XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Zweitbeschwerdeführerin, die XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Drittbeschwerdeführerin, die XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Viertbeschwerdeführerin, die XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Fünfbeschwerdeführerin, der XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Sechstbeschwerdeführer, die XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Siebtbeschwerdeführerin und die XXXX geborene und demnach XXXX -jährige Achtbeschwerdeführerin sind alle Staatsangehörige des Irak, Araber und schiitische Moslems.

Die Familie umfasst daher neben den beiden Elternteilen, fünf Kinder im Schulalter und ein Kleinkind. Die Identität sämtlicher Familienmitglieder steht fest.

Die Familie lebte gemeinsam im Haus des Bruders des Erstbeschwerdeführers in Basra, eine Stadt mit etwas mehr als 105.000 Einwohnern. Dieses Haus, welches sich im Eigentum des Bruders befindet, steht seit dem Wegzug der Familie aus dem Irak leer. Festgestellt wird, dass dieses Eigentumshaus seit Verlassen des Irak nicht verkauft wurde und der Familie im Falle der Rückkehr wieder zur Verfügung steht.

Der Erstbeschwerdeführer besuchte 5 Jahre die Grundschule und führte ein Geschäft für Haushaltsartikel, womit er den Großteil des Lebensunterhaltes der Familie bestritt. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte 7 Jahre die Grundschule und kümmerte sich um die Kinder. Die Drittbeschwerdeführerin besuchte den Kindergarten in Basra. Die Beschwerdeführer verließen den Herkunftsstaat auf legalem Weg am 16.11.2015 in die Türkei.

Die Beschwerdeführer erstatteten kein asylrelevantes Vorbringen, wobei nur der Erstbeschwerdeführer überhaupt Fluchtgründe geltend machte. Sie verließen den Irak aufgrund der allgemeinen schlechten Sicherheitslage im Land. Festgestellt wird, dass die Beschwerdeführer nicht von der Miliz Hisbollah verfolgt wurden bzw. bei einer Rückkehr würden.

Die Beschwerdeführer sind nicht lebensbedrohlich erkrankt und gehören keiner Risikogruppe für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung an. Die Zweit-, Dritt und Viertbeschwerdeführerinnen leiden an Kurzatmigkeit und nehmen hierfür Asthmasprays und Tabletten ein. Die restlichen Familienmitglieder sind gesund.

Den Beschwerdeführern droht für den Fall einer Rückkehr keine Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Ihnen wäre auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

Die älteste Tochter konnte vor Verlassen ihres Herkunftsstaates den Kindergarten in Basra regelmäßig besuchen, ohne dass es jemals zu sicherheitsrelevanten Vorfällen gekommen ist. Es ist auch im Falle der Rückkehr davon auszugehen, dass allen Kindern der Schul- oder Kindergartenbesuch möglich sein wird. Auch sonst ist die Sicherheitslage in Basra nicht auf einem derart hohen Niveau, dass (ohne Hinzutreten besonderer, risikoerhöhender Faktoren) gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Art. 2 und 3 EMRK zuwiderlaufenden Gefährdung ausgesetzt wäre.

Betreffend die Versorgungslage der Beschwerdeführer ist festzuhalten, dass das Haus, in dem die Familie wohnte, über einen Wasseranschluss verfügt und somit an das Versorgungsnetz (mit Salzwasser) angeschlossen ist. Trinkwasser muss jedoch in Flaschen erstanden werden. Versorgungsengpässe in Zusammenhang mit der Wasserversorgung sind im Fall der beschwerdegegenständlichen Familie weder zum Zeitpunkt des Verlassens des Iraks aufgetreten, noch wäre nunmehr damit zu rechnen. Auch eine Knappheit an Lebensmitteln hat besteht nicht.

Im Herkunftsstaat befinden sich die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin und ein Bruder des Erstbeschwerdeführers. Auch leben weitschichtige Verwandte im Irak, etwa mehrere Tanten väterlicherseits der Zweitbeschwerdeführerin. Die Zweitbeschwerdeführerin steht im Kontakt zu ihrer Mutter und können die Beschwerdeführer den Kontakt zu ihren sonstigen im Irak lebenden Verwandten wiederherstellen. Zudem hat die Zweitbeschwerdeführer eine Tochter aus erster Ehe im Irak.

Die Beschwerdeführer befinden sich seit Dezember 2015 im Bundesgebiet. Ein Bruder und zwei Neffen des Erstbeschwerdeführers befinden sich in Österreich; der Bruder genießt subsidiären Schutz, dagegen befinden sich seine zwei Neffen ebenfalls im offenen Asylverfahren.

Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin haben Deutschkurse A1 besucht und können sich auf Deutsch verständigen. Der Erstbeschwerdeführer engagiert sich freiwillig beim Verein SOMA, bei der Caritas und beim Verein Wohnen; er verfügt über einen Arbeitsvorvertrag für eine Vollzeitbeschäftigung als Fahrer „nach Erhalt einer Arbeitserlaubnis“. Die Zweitbeschwerdeführerin arbeitete bei der Diakonie beim „Verein Wohnen“ und verdient dabei monatlich EUR 25,- dazu. Die Beschwerdeführer sind nicht selbsterhaltungsfähig, sondern beziehen durchgehend Leistungen aus der Grundversorgung.

Die Dritt- bis Fünftbeschwerdeführer besuchen die Volksschule, die Sechst- und Siebtbeschwerdeführer den Kindergarten, die Achtbeschwerdeführerin befindet sich in der Obhut ihrer Mutter.

Die in Österreich strafrechtlich unbescholten Beschwerdeführer haben zwar Freundschaften und Bekanntschaften im Bundesgebiet geknüpft, eine besondere Verwurzelung in Österreich bzw. völlige Entwurzelung den Irak betreffend hat sich aber nicht ergeben.

1.2. Zur Lage im Irak:

Im Juni 2014 startete der sog. Islamische Staat Irak (IS) oder Da'esh, einen erfolgreichen Angriff auf Mossul, die zweitgrößte Stadt des Irak. Der IS übernahm daraufhin die Kontrolle über andere Gebiete des Irak, einschließlich großer Teile der Provinzen Anbar, Salah al-Din, Diyala und Kirkuk. Im Dezember 2017 erklärte Premierminister Haider al-Abadi den endgültigen Sieg über den IS, nachdem die irakischen Streitkräfte die letzten Gebiete, die noch immer an der Grenze zu Syrien unter ihrer Kontrolle standen, zurückerobert hatten. Der IS führt weiterhin kleine Angriffe vorwiegend auf Regierungstruppen und Sicherheitspersonal an Straßenkontrollpunkten aus.

Obwohl sich die Sicherheitslage seit Dezember 2017 verbessert hat (FH 4.3.2020) und sich Ende 2018 die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete befanden (USDOS 1.11.2019), ist es staatlichen Stellen derzeit nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

Die Mehrheit der Bevölkerung von Bagdad sind Schiiten, insbesondere Vororte wie Sadr City, Abu Dashir und Al Dora. Sunniten leben hauptsächlich im Westen, Norden und im Zentralirak. Die Anzahl der in Bagdad als gemischt betrachteten Gebiete nimmt ab. In einigen Bezirken Bagdads gibt es immer noch bedeutende sunnitische Gemeinden, darunter Abu Ghraib. Die Bezirke A'adamia, Rusafa, Za'farania, Dora und Rasheed haben kleinere Gebiete sunnitischer Gemeinschaften. Gemischte sunnitische-schiitische Gemeinden leben in den Bezirken Rusafa und Karada, kleinere gemischte Gemeinden auch in den Bezirken Doura, Rasheed, Karkh, Mansour und Kadhimiya.

Die Verfassung garantiert das Recht auf Gesundheitsfürsorge und es gibt ein staatliches Gesundheitswesen und Behandlungsmöglichkeiten sind vom Staat bereitzustellen. Der Irak verfügt über öffentliche und private Krankenhäuser. Die medizinische Grundversorgung erfolgt sowohl in privaten als auch in öffentlichen Kliniken. Die Gesundheitsinfrastruktur hat unter jahrzehntelangen Konflikten gelitten. Das Gesundheitswesen ist begrenzt, insbesondere in von Konflikten betroffenen Gebieten und in Gegenden mit einer großen Anzahl von Binnenvertriebenen.

Die irakische Verfassung garantiert grundlegende Menschenrechte einschließlich Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit vor dem Gesetz, Chancengleichheit, Privatsphäre und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Zugehörigkeit, der Nationalität, der Herkunft, der Hautfarbe, der Religion, der Meinung, des wirtschaftlichen oder sozialen Status.

Die Verfassung macht den Islam zur offiziellen Religion des Staates. Es garantiert die Glaubens- und Religionsfreiheit für alle Personen, einschließlich Christen, Yazidis und Sabäer-Mandäer. Auf der Scharia beruhende Regelungen verbieten zwar eine Konversion vom islamischen Glauben, doch ist keine Strafverfolgung hierfür bekannt. Nach irakischem Recht wird ein Kind unter 18 Jahren automatisch zum Islam konvertiert, wenn auch einer seiner nicht-muslimischen Eltern konvertiert ist.

Nach der Absetzung von Saddam Hussein und der (von Sunniten dominierten) Ba'ath-Partei aus der Regierung fühlten sich viele Sunniten ausgegrenzt. Das US-Außenministerium und internationale Menschenrechtsgruppen berichten von regierungsnahen Streitkräften, die sunnitische Männer anzugreifen versuchen, die aus IS-kontrollierten Gebieten fliehen und verhindern, dass Sunniten die von der Regierung kontrollierten Gebiete verlassen. Außerhalb der vom IS kontrollierten Gebiete wurden Sunniten in der Form belästigt und diskriminiert, dass sie bei Kontrollpunkten in aufdringlicher Weise kontrolliert wurden und Dienste minderer Qualität in sunnitischen Gebieten bereitgestellt werden. Sunniten sind außerhalb von Gebieten, die kürzlich vom IS kontrolliert wurden, aufgrund ihrer Religion einem geringen Risiko gesellschaftlicher Gewalt ausgesetzt. In Gebieten, in denen sie eine Minderheit sind, sind Sunniten einem mäßigen Risiko von Diskriminierung durch die Behörden und der Gesellschaft ausgesetzt. Das Risiko der Diskriminierung variiert je nach lokalem Einfluss und Verbindungen.

Bei der Einreise in den Irak über die internationalen Flughäfen, einschließlich der Region Kurdistan, werden Personen, die illegal ausgereist sind, nicht festgenommen. Es werden jene Iraker bei der Rückkehr festgenommen, die eine Straftat begangen haben und gegen die ein Haftbefehl erlassen worden war. Um den Irak zu verlassen, sind gültige Dokumente (in der Regel ein Pass) und eine entsprechende Genehmigung (z. B. ein Visum) für die Einreise in das vorgesehene Ziel erforderlich. Eine illegale Ausreise aus dem Irak ist rechtswidrig, jedoch sind keine Strafverfahren gegen Einzelpersonen wegen illegaler Ausreise bekannt. Iraker, die einen irakischen Pass verloren haben oder nicht haben, können mit einem laissez-passer in den Irak einreisen. Die Einreise mit einem laissez passer-Dokument ist üblich und Personen, die damit einreisen, werden weder gefragt, wie sie den Irak verlassen haben, noch werden sie gefragt, warum sie keine anderen Dokumente haben. Dem britischen Innenministerium zufolge können Grenzbeamte am Flughafen Bagdad ein Schreiben ausstellen, um die Verbringung an den Herkunftsort oder die Umsiedlung einer Person im Irak zu erleichtern. (Australian Government – Department of Foreign Affairs and Trade, Country Information Report Iraq, 09.10.2018)

Um in die Provinzen Erbil und Sulaimaniya einzureisen, wird kein Sponsor benötigt. Bestimmungen bezüglich einer erforderlichen Bürgschaft, um in die Verwaltungsbezirke Erbil und Sulaimaniya auf dem Luftweg oder über Binnengrenzen einzureisen, wurden Anfang 2019 aufgehoben. In den Provinzen Erbil und Sulaimaniya müssen Personen, die nicht aus der Autonomen Region Kurdistan stammen, den lokalen Asayish in jenem Viertel aufsuchen, in dem sie sich niederlassen möchten, um eine Aufenthaltskarte zu erhalten. Sie brauchen keinen Sponsor. Ledige arabische und turkmenische Männer benötigen jedoch eine feste Anstellung und müssen einen Unterstützungsbrief ihres Arbeitgebers einreichen, um eine erneuerbare Aufenthaltskarte für ein Jahr zu erhalten. All jene, die keine feste Anstellung haben, erhalten lediglich eine erneuerbare Aufenthaltskarte, die für einen Monat ausgestellt ist.

In Bezug auf die Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabischsunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen. (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, Mai 2019)

Basra

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die Wasserversorgung wird zudem von der schlechten Stromversorgung in Mitleidenschaft gezogen. Außerdem fehlt es weiterhin an Chemikalien zur Wasseraufbereitung. Die völlig maroden und teilweise im Krieg zerstörten Leitungen führen zu hohen Transportverlusten und Seuchengefahr. Im gesamten Land verfügt heute nur etwa die Hälfte der Bevölkerung über Zugang zu sauberem Wasser (AA 12.1.2019). Im Südirak und insbesondere Basra führten schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass im Jahr 2018 mindestens 118.000 Menschen wegen Magen-Darm Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden mussten (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019).

Trotz konfliktbedingter Einschränkungen und Überschwemmungen entlang des Tigris (betroffene Gouvernements: Diyala, Wasit, Missan und Basra), die im März 2019 aufgetreten sind, wird die Getreideernte 2019 wegen günstiger Witterungsbedingungen auf ein Rekordniveau von 6,4 Millionen Tonnen geschätzt (FAO 31.2.2020).

Im Südirak und insbesondere Basra führen schlechtes Wassermanagement und eine unzureichende Regulierung von Abwasser und die damit einhergehende Verschmutzung dazu, dass Landwirte ihre Flächen mit verschmutztem und salzhaltigem Wasser bewässern, was zu einer Degradierung der Böden und zum Absterben von Nutzpflanzen und Vieh führt (HRW 22.7.2019; vgl. HRW 14.1.2020; AA 12.1.2019)

Basrah (Auszug aus der EASO Orientierungshilfe zum Irak, Stand Jänner 2021)

„[Security situation 2020, 4.1]

Basrah has internal borders with Muthanna, Dhi Qar and Missan governorates. Basrah has international borders with Iran to the east and Kuwait to the south. The capital of the governorate is Basrah City. The governorate is divided into seven districts: Abu Al-Khaseeb, Al-Midaina, Al-Qurna, Al-Zubair, Basrah, Fao, and Shatt Al-Arab. The governorate has an estimated population of 2 985 073, with the majority being Shia Arabs.

Basrah governorate is under the control of Basrah Operations Command, however, they have not been able to assert command over the governorate due to lack of manpower. Presence of PMU was also confirmed. In 2019 and 2020, mass protests erupted in Iraq’s southern governorates, during which excessive use of force by ISF and PMU was reported, leading to casualties. Security incidents in Iraq’s southern governorates resulted mainly from (intra-)tribal disputes and/or criminal activity, including trafficking and drug smuggling. Local sources suggest that intra-Shia violence predominantly affects those who are actively involved in a militia or tribal group. However, one source indicated that the worst violence was normally due to tribal feuding, which could turn to armed street battles with civilian injuries and fatalities. It is not easy for the ISF to intervene in clan disputes. Eruption of explosive devices was also reported.

ACLED reported a total of 156 security incidents (average of 1.9 security incidents per week) in Basrah governorate in the reference period, the majority of which coded as riots. Battles, explosions/remote violence and violence against civilians were also reported in this period. Security incidents occurred in all districts of the governorate, with the largest overall number being recorded in the district of Basrah. UNAMI recorded 19 armed conflict related incidents, 17 taking place in 2019, and 2 from 1st January until 31st July 2020 (average of 0.2 security incidents per week for the full reference period).

In the reference period, UNAMI recorded a total of 12 civilian casualties (9 deaths and 3 injured) in the aforementioned armed conflict related incidents. More specifically, 9 casualties were reported in 2019 and 3 casualties were reported from 1st January until 31st July 2020. Compared to the official figures for the population in the governorate, this represents less than 1 civilian casualty per 100 000 inhabitants for the full reference period.

As of 15 June 2020, 6 528 IDPs were registered in Basrah, the largest group of whom originated from Salah al-Din. No IDPs originating from Basrah were registered elsewhere in the country. Basrah was not listed among the governorates with a presence of returnees.

In 2019, it was reported that Basrah was among those southern governorates most affected by remnants of cluster munitions dating back to the 1991 Gulf War and the 2003 invasion.

Looking at the indicators, it can be concluded that indiscriminate violence is taking place in the governorate of Basrah at such a low level that in general there is no real risk for a civilian to be personally affected by reason of indiscriminate violence within the meaning of Article 15(c) QD. However, individual elements always need to be taken into account as they could put the applicant in risk-enhancing situations.“

Sicherheitslage Bagdad

Das Gouvernement Bagdad ist das kleinste und am dichtesten bevölkerte Gouvernement des Irak mit einer Bevölkerung von mehr als sieben Millionen Menschen. Die Mehrheit der Einwohner Bagdads sind Schiiten. In der Vergangenheit umfasste die Hauptstadt viele gemischte schiitische, sunnitische und christliche Viertel, der Bürgerkrieg von 2006-2007 veränderte jedoch die demografische Verteilung in der Stadt und führte zu einer Verringerung der sozialen Durchmischung sowie zum Entstehen von zunehmend homogenen Vierteln. Viele Sunniten flohen aus der Stadt, um der Bedrohung durch schiitische Milizen zu entkommen. Die Sicherheit des Gouvernements wird sowohl vom „Baghdad Operations Command“ kontrolliert, der seine Mitglieder aus der Armee, der Polizei und dem Geheimdienst bezieht, als auch von den schiitischen Milizen, die als stärker werdend beschrieben werden (OFPRA 10.11.2017).

Entscheidend für das Verständnis der Sicherheitslage Bagdads und der umliegenden Gebiete sind sechs mehrheitlich sunnitische Regionen (Latifiya, Taji, al-Mushahada, al-Tarmia, Arab Jibor und al-Mada'in), die die Hauptstadt von Norden, Westen und Südwesten umgeben und den sogenannten „Bagdader Gürtel“ (Baghdad Belts) bilden (Al Monitor 11.3.2016). Der Bagdader Gürtel besteht aus Wohn-, Agrar- und Industriegebieten sowie einem Netz aus Straßen, Wasserwegen und anderen Verbindungslinien, die in einem Umkreis von etwa 30 bis 50 km um die Stadt Bagdad liegen und die Hauptstadt mit dem Rest des Irak verbinden. Der Bagdader Gürtel umfasst, beginnend im Norden und im Uhrzeigersinn die Städte: Taji, Tarmiyah, Baqubah, Buhriz, Besmaja und Nahrwan, Salman Pak, Mahmudiyah, Sadr al-Yusufiyah, Fallujah und Karmah und wird in die Quadranten Nordosten, Südosten, Südwesten und Nordwesten unterteilt (ISW 2008).

Fast alle Aktivitäten des Islamischen Staate (IS) im Gouvernement Bagdad betreffen die Peripherie der Hauptstadt, den „Bagdader Gürtel“ im äußeren Norden, Süden und Westen (Joel Wing 5.8.2019; vgl. Joel Wing 16.10.2019; Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 5.3.2020), doch der IS versucht seine Aktivitäten in Bagdad wieder zu erhöhen (Joel Wing 5.8.2019). Die Bestrebungen des IS, wieder in der Hauptstadt Fuß zu fassen, sind Ende 2019 im Zuge der Massenproteste ins Stocken geraten, scheinen aber mittlerweile wieder aufgenommen zu werden (Joel Wing 3.2.2020; vgl. Joel Wing 5.3.2020).

Dabei wurden am 7.und 16.9.2019 jeweils fünf Vorfälle mit „Unkonventionellen Spreng- und Brandvorrichtungen“ (IEDs) in der Stadt Bagdad selbst verzeichnet (Joel Wing 16.10.2019). Seit November 2019 setzt der IS Motorrad-Bomben in Bagdad ein. Zuletzt detonierten am 8. und am 22.2.2020 jeweils fünf IEDs in der Stadt Bagdad (Joel Wing 5.3.2020).

Für den Zeitraum von November 2019 bis Jänner 2020 wurden im Gouvernement Bagdad 60 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 42 Toten und 61 Verletzten verzeichnet (Joel Wing 2.12.2019; vgl. Joel Wing 6.1.2020; Joel Wing 3.2.2020), im Februar 2020 waren es 25 Vorfälle mit zehn Toten und 35 Verletzten (Joel Wing 5.3.2020). Die meisten dieser sicherheitsrelevanten Vorfälle werden dem IS zugeordnet, jedoch wurden im Dezember 2019 drei dieser Vorfälle pro-iranischen Milizen der Volksmobilisierungskräfte (PMF) zugeschrieben, ebenso wie neun Vorfälle im Jänner 2020 und ein weiterer im Februar (Joel Wing 6.1.2020; vgl Joel Wing 5.3.2020)

Die Ermordung des iranischen Generals Suleimani und des stellvertretenden Kommandeurs der PMF, Abu Muhandis, durch die USA führte unter anderem in der Stadt Bagdad zu einer Reihe von Vergeltungsschlägen durch pro-iranische PMF-Einheiten. Es wurden neun Raketen und Mörserangriffe verzeichnet, die beispielsweise gegen die Grüne Zone und die darin befindliche US-Botschaft sowie das Militärlager Camp Taji gerichtet waren (Joel Wing 3.2.2020).

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements, darunter auch in Bagdad, zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Volksmobilisierungskräfte (PMF) / al-Hashd ash-Sha‘bi

Der Name „Volksmobilisierungskräfte“ (al-hashd al-sha‘bi, engl.: popular mobilization forces bzw. popular mobilization front, PMF oder popular mobilization units, PMU), bezeichnet eine Dachorganisation für etwa 40 bis 70 Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen (Süß 21.8.2017; vgl. FPRI 19.8.2019; Clingendael 6.2018; Wilson Center 27.4.2018). Die PMF wurden vom schiitischen Groß-Ayatollah Ali As-Sistani per Fatwa für den Kampf gegen den Islamischen Staat (IS) ins Leben gerufen (GIZ 1.2020a; vgl. FPRI 19.8.2019; Wilson Center 27.4.2018) und werden vorwiegend vom Iran unterstützt (GS 18.7.2019). PMF spielten eine Schlüsselrolle bei der Niederschlagung des IS (Reuters 29.8.2019). Die Niederlage des IS trug zur Popularität der vom Iran unterstützten Milizen bei (Wilson Center 27.4.2018).

Die verschiedenen unter den PMF zusammengefassten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat. Sie werden grob in drei Gruppen eingeteilt: Die pro-iranischen schiitischen Milizen, die nationalistisch-schiitischen Milizen, die den iranischen Einfluss ablehnen, und die nicht schiitischen Milizen, die üblicherweise nicht auf einem nationalen Level operieren, sondern lokal aktiv sind. Zu letzteren zählen beispielsweise die mehrheitlich sunnitischen Stammesmilizen und die kurdisch-jesidischen „Widerstandseinheiten Schingal“. Letztere haben Verbindungen zur Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) in der Türkei und zu den Volksverteidigungseinheiten (YPG) in Syrien (Clingendael 6.2018). Die PMF werden vom Staat unterstützt und sind landesweit tätig. Die Mehrheit der PMF-Einheiten ist schiitisch, was die Demografie des Landes widerspiegelt. Sunnitische, jesidische, christliche und andere „Minderheiten-Einheiten“ der PMF sind in ihren Heimatregionen tätig (USDOS 11.3.2020; vgl. Clingendael 6.2018). In einigen Städten, vor allem in Gebieten, die früher vom IS besetzt waren, dominieren PMF die lokale Sicherheit. In Ninewa stellen sie die Hauptmacht dar, während die reguläre Armee zu einer sekundären Kraft geworden ist (Reuters 29.8.2019).

Es gibt große, gut ausgerüstete Milizen, quasi militärische Verbände, wie die Badr-Organisation, mit eigenen Vertretern im Parlament, aber auch kleine improvisierte Einheiten mit wenigen Hundert Mitgliedern, wie die Miliz der Schabak. Viele Milizen werden von Nachbarstaaten, wie dem Iran oder Saudi-Arabien, unterstützt. Die Türkei unterhält in Baschika nördlich von Mossul ein eigenes Ausbildungslager für sunnitische Milizen. Die Milizen haben eine ambivalente Rolle. Einerseits wäre die irakische Armee ohne sie nicht in der Lage gewesen, den IS zu besiegen und Großveranstaltungen wie die Pilgerfahrten nach Kerbala mit jährlich bis zu 20 Millionen Pilgern zu schützen. Andererseits stellen die Milizen einen enormen Machtfaktor mit Eigeninteressen dar, was sich in der gesamten Gesellschaft, der Verwaltung und in der Politik widerspiegelt und zu einem allgemeinen Klima der Korruption und des Nepotismus beiträgt (AA 12.1.2019). Vertreter und Verbündete der PMF haben Parlamentssitze inne und üben Einfluss auf die Regierung aus (Reuters 29.8.2019).

Die PMF unterstehen seit 2017 formal dem Oberbefehl des irakischen Ministerpräsidenten, dessen tatsächliche Einflussmöglichkeiten aber weiterhin als begrenzt gelten (AA 12.1.2019; vgl. FPRI 19.8.2019). Leiter der PMF-Dachorganisation, der al-Hashd ash-Sha‘bi-Kommission, ist Falah al-Fayyad, dessen Stellvertreter Abu Mahdi al-Mohandis eng mit dem Iran verbunden war (Al-Tamini 31.10.2017). Viele PMF-Brigaden nehmen Befehle von bestimmten Parteien oder konkurrierenden Regierungsbeamten entgegen, von denen der mächtigste Hadi Al-Amiri ist, Kommandant der Badr Organisation (FPRI 19.8.2019). Obwohl die PMF laut Gesetz auf Einsätze im Irak beschränkt sind, sollen sie, ohne Befugnis durch die irakische Regierung, in einigen Fällen Einheiten des Assad-Regimes in Syrien unterstützt haben. Die irakische Regierung erkennt diese Kämpfer nicht als Mitglieder der PMF an, obwohl ihre Organisationen Teil der PMF sind (USDOS 13.3.2019).

Alle PMF-Einheiten sind offiziell dem Nationalen Sicherheitsberater unterstellt. In der Praxis gehorchen aber mehrere Einheiten auch dem Iran und den iranischen Revolutionsgarden. Es ist keine einheitliche Führung und Kontrolle der PMF durch den Premierminister und die ISF feststellbar, insbesondere nicht der mit dem Iran verbundenen Einheiten. Das Handeln dieser unterschiedlichen Einheiten stellt zeitweise eine zusätzliche Herausforderung in Bezug auf die Sicherheitslage dar, insbesondere - aber nicht nur - in ethnisch und religiös gemischten Gebieten des Landes (USDOS 13.3.2019).

In vielen der irakischen Sicherheitsoperationen übernahm die PMF eine Führungsrolle. Als Schnittstelle zwischen dem Iran und der irakischen Regierung gewannen sie mit der Zeit zunehmend an Einfluss (GS 18.7.2019).

Am 1.7.2019 hat der irakische Premierminister Adel Abdul Mahdi verordnet, dass sich die PMF bis zum 31.7.2019 in das irakische Militär integrieren müssen (FPRI 19.8.2019; vgl. TDP 3.7.2019; GS 18.7.2019), oder entwaffnet werden müssen (TDP 3.7.2019; vgl GS 18.7.2019). Es wird angenommen, dass diese Änderung nichts an den Loyalitäten ändern wird, dass aber die Milizen aufgrund ihrer nun von Bagdad bereitgestellte Uniformen nicht mehr erkennbar sein werden (GS 18.7.2019). Einige Fraktionen werden sich widersetzen und versuchen, ihre Unabhängigkeit von der irakischen Regierung oder ihre Loyalität gegenüber dem Iran zu bewahren (FPRI 19.8.2019). Die Weigerung von Milizen, wie der 30. Brigade bei Mossul, ihre Posten zu verlassen, weisen auf das Autoritätsproblem Bagdads über diese Milizen hin (Reuters 29.8.2019).

Die Schwäche der ISF hat es vornehmlich schiitischen Milizen, wie den vom Iran unterstützten Badr-Brigaden, den Asa‘ib Ahl al-Haqq und den Kata’ib Hisbollah, erlaubt, Parallelstrukturen im Zentralirak und im Süden des Landes aufzubauen. Die PMF waren und sind ein integraler Bestandteil der Anti-IS-Operationen, wurden jedoch zuletzt in Kämpfen um sensible sunnitische Ortschaften nicht an vorderster Front eingesetzt. Es gab eine Vielzahl an Vorwürfen bezüglich Plünderungen und Gewalttaten durch die PMF (AA 12.1.2019).

Die PMF gehen primär gegen Personen vor, denen eine Verbindung zum IS nachgesagt wird, bzw. auch gegen deren Familienangehörigen. Betroffen sind meist junge sunnitische Araber und in einer Form der kollektiven Bestrafung sunnitische Araber im Allgemeinen. Es kann zu Diskriminierung, Misshandlungen und auch Tötungen kommen (DIS/Landinfo 5.11.2018; vgl. USDOS 21.6.2019). Einige PMF gehen jedoch auch gegen ethnische und religiöse Minderheiten vor (USDOS 11.3.2020).

Die PMF sollen, aufgrund guter nachrichtendienstlicher Möglichkeiten, die Fähigkeit haben jede von ihnen gesuchte Person aufspüren zu können. Politische und wirtschaftliche Gegner werden unabhängig von ihrem konfessionellen oder ethnischen Hintergrund ins Visier genommen. Es wird als unwahrscheinlich angesehen, dass die PMF über die Fähigkeit verfügen, in der Kurdischen Region im Irak (KRI) zu operieren. Dementsprechend gehen sie nicht gegen Personen in der KRI vor. Nach dem Oktober 2017 gab es jedoch Berichte über Verstöße von PMF-Angehörigen gegen die kurdischen Einwohner in Kirkuk und Tuz Khurmatu, wobei es sich bei den angegriffenen zumeist um Mitglieder der politischen Partei KDP und der Asayish gehandelt haben soll (DIS/Landinfo 5.11.2018).

Frauen

Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17% (AA 12.1.2019; vgl. Frontline 12.11.2019). Jene rund 85% der Frauen, die nicht an der irakischen Arbeitswelt teilhaben, sind einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt, selbst wenn sie in der informellen Wirtschaft mit Arbeiten wie Nähen oder Kunsthandwerk beschäftigt sind (Frontine 12.11.2019). Die genauen Zahlen unterscheiden sich je nach Statistik und Erhebungsmethode (FIS 22.5.2018).

Verwestlichung, westlicher bzw. nicht-konservativer Lebensstil

Sowohl Männer als auch Frauen stehen unter Druck, sich an konservative Normen zu halten, was das persönliche Erscheinungsbild betrifft (FH 4.3.2020). Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden auch nicht gesetzlich vorgeschriebene islamische Regeln, z.B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 12.1.2019). Einige Muslime bedrohen weiterhin Frauen und Mädchen, unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit, wenn sich diese weigern, den Hijab zu tragen, bzw. wenn sie sich in westlicher Kleidung kleiden oder sich nicht an strenge Interpretationen islamischer Normen für das Verhalten in der Öffentlichkeit halten (USDOS 21.6.2019).

Mädchen und Frauen haben immer noch einen schlechteren Zugang zu Bildung. Je höher die Bildungsstufe ist, desto weniger Mädchen sind vertreten. Häufig lehnen die Familien eine weiterführende Schule für die Mädchen ab oder ziehen eine „frühe Ehe" für sie vor (GIZ 1.2020b).

Sunnitische Araber

Die arabisch-sunnitische Minderheit, die über Jahrhunderte die Führungsschicht des Landes bildete, wurde nach der Entmachtung Saddam Husseins 2003, insbesondere in der Regierungszeit von Ex-Ministerpräsident Al-Maliki (2006 bis 2014), aus öffentlichen Positionen gedrängt. Mangels anerkannter Führungspersönlichkeiten fällt es den sunnitischen Arabern weiterhin schwer, ihren Einfluss auf nationaler Ebene geltend zu machen. Oftmals werden Sunniten einzig aufgrund ihrer Glaubensrichtung als IS-Sympathisanten stigmatisiert oder gar strafrechtlich verfolgt (AA 12.1.2019). Bei willkürlichen Verhaftungen meist junger sunnitischer Männer wird durch die Behörden auf das Anti-Terror-Gesetz verwiesen, welches das Recht auf ein ordnungsgemäßes und faires Verfahren vorenthält (USDOS 21.6.2019). Zwangsmaßnahmen und Vertreibungen aus ihren Heimatorten richten sich vermehrt auch gegen unbeteiligte Familienangehörige vermeintlicher IS-Anhänger (AA 12.1.2019).

Es gibt zahlreiche Berichte über Festnahmen und die vorübergehende Internierung von überwiegend sunnitisch-arabischen IDPs durch Regierungskräfte, PMF und Peshmerga (USDOS 11.3.2020). Noch für das Jahr 2018 gibt es Hinweise auf außergerichtliche Hinrichtungen von sunnitischen Muslimen in und um Mossul (USCIRF 4.2019).

IDPs und Flüchtlinge

Seit Jänner 2014 hat der Krieg gegen den Islamischen Staat (IS) im Irak die Vertreibung von ca. sechs Millionen Irakern verursacht, rund 15% der Gesamtbevölkerung des Landes (IOM 4.9.2018). Anfang 2019 waren noch etwa 1,8 Millionen Menschen intern Vertrieben (IDPs) (FIS 17.6.2019; vgl. HRW 14.6.2019). Anfang 2020 betrug die Zahl der IDPs noch 1,4 Millionen (IOM 28.2.2020; vgl. UNICEF 31.12.2019; UNOCHA 27.1.2020). Die Zahl der IDPs sinkt seit der zweiten Hälfte des Jahres 2017 sukzessive (IOM 28.2.2020); die Zahl der Rückkehrer ist gestiegen (IOM 10.2019). Die folgende Grafik zeigt die Entwicklung der Zahlen an IDPs im Irak von März 2014 bis Februar 2020. Das Diagramm mit den blauen Balken links unten veranschaulicht die Verteilung der IDPs auf die jeweiligen Gouvernements.

Grafiken ist zu entnehmen, dass die Gouvernements mit den höchsten Zahlen an IDPs Ninewa, gefolgt von Anbar, Salah ad-Din, Kirkuk, Diyala, Bagdad, Erbil und Dohuk sind (IOM 31.12.2019).

Verbesserungen in der Versorgung mit Elektrizität und Wasser haben die Lebensbedingungen für Rückkehrer in einigen Bezirken, darunter auch Ost-Mossul in Ninewa und Khanaqin in Diyala etwas verbessert (IOM 10.2019).

Massive Zerstörung von Wohnungen und Infrastruktur, die Präsenz konfessioneller- oder parteiischer Milizen, sowie die anhaltende Bedrohung durch Gewalt machten es vielen IDPs schwer, nach Hause zurückzukehren (FH 4.3.2020). In einigen Gebieten behindern Gewalt und Unsicherheit sowie langjährige politische, stammes- und konfessionelle Spannungen die Fortschritte bei der nationalen Aussöhnung und erschweren den Schutz von IDPs. Tausende Familien sahen sich aus wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Gründen mit einer neuerlichen Vertreibung konfrontiert. Zwangsvertreibungen, kombiniert mit dem langwierigen und weitgehend ungelösten Problem von Millionen von Menschen, die in den letzten Jahrzehnten entwurzelt wurden, belasten die Kapazitäten der lokalen Behörden (USDOS 11.3.2020).

Rückkehr

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).

Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).

Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).

Kinder

Die Hälfte der irakischen Bevölkerung ist unter 18 Jahre alt. Kinder waren und sind Opfer der kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahre. Sie sind einerseits in überproportionaler Weise von der schwierigen humanitären Lage, andererseits durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen (AA 12.1.2019). Laut UNICEF machen Kinder fast die Hälfte der durch den Konflikt vertriebenen Iraker aus (USDOS 11.3.2020). Im Dezember 2019 waren noch mehr als 1,4 Millionen Menschen, darunter 658.000 Kinder, IDPs, vor allem im Norden und Westen des Landes (UNICEF 31.12.2019).

Artikel 29 und 30 der irakischen Verfassung enthalten Kinderschutzrechte. Der Irak ist dem Zusatzprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention zum Schutz von Kindern in bewaffneten Konflikten beigetreten (AA 12.1.2019). Nach Artikel 41, Absatz 1 des Strafgesetzbuches haben Eltern das Recht, ihre Kinder innerhalb der durch Gesetz oder Gewohnheit vorgeschriebenen Grenzen zu disziplinieren (HRW 14.1.2020).

Einem Bericht aus 2018 zufolge sind fast alle irakischen Kinder (92%) in der Grundschule eingeschrieben, aber nur etwas mehr als die Hälfte der Kinder aus ärmeren Verhältnissen absolvieren die Grundschule (UNICEF 19.11.2018). Dabei ist die Grundschulbildung für Kinder mit irakischer Staatsbürgerschaft in den ersten sechs Schuljahren verpflichtend und wird für diese kostenfrei angeboten. In der Kurdischen Region im Irak (KRI) besteht die Schulpflicht bis zum Alter von 15 Jahren; auch dort kostenfrei. Der gleichberechtigte Zugang von Mädchen zu Bildung bleibt eine Herausforderung, insbesondere in ländlichen und unsicheren Gebieten (USDOS 11.3.2020). Die Sicherheitslage und die große Zahl zerstörter Schulen verhindern allerdings mancherorts den Schulbesuch, sodass die Alphabetisierungsrate in den letzten 15 Jahren drastisch gefallen ist (aktuell bei 79,7%), besonders in ländlichen Gebieten. Im Unterschied dazu sind in der KRI fast alle Menschen des Lesens und Schreibens mächtig (AA 12.1.2019). Mindestens 70% der Kinder von IDPs haben mindestens ein Jahr Schulunterricht verpasst (USDOS 11.3.2020). Mehr als 3,3 Millionen Kinder im Irak benötigen Unterstützung im Bildungsbereich (UNICEF 31.12.2019).

Eine Million Kinder unter 18 Jahren hatte Ende 2019 humanitären Bedarf an Wasser, sanitären Einrichtungen und Hygiene (UNICEF 31.12.2019). Über ein Viertel aller Kinder im Irak lebt in Armut. Dabei waren, über die letzten Jahrzehnte, Kinder im Süden des Landes und in ländlichen Gebieten am stärksten betroffen (UN News 19.1.2018; vgl UNICEF 31.1.2017). 22,6% der Kinder im Irak sind unterernährt (AA 12.1.2019). Ein Viertel aller Kinder unter fünf Jahren sind physisch unterentwickelt bzw im Wachstum zurückgeblieben (UNICEF 31.1.2017).

Gewalt gegen Kinder bleibt ein großes Problem (USDOS 11.3.2020). Berichten zufolge verkaufen Menschenhändlernetze irakische Kinder zur kommerziellen sexuellen Ausbeutung. Letztere erfolgt im In- und Ausland. Verbrecherbanden sollen Kinder zwingen, im Irak zu betteln und Drogen zu verkaufen (USDOS 20.6.2019). Auch Kinderprostitution ist ein Problem, insbesondere unter Flüchtlingen. Da die Strafmündigkeit im Irak in den Gebieten unter der Verwaltung der Zentralregierung neun Jahre beträgt und in der KRI elf, behandeln die Behörden sexuell ausgebeutete Kinder oft wie Kriminelle und nicht wie Opfer (USDOS 11.3.2020).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. In den Gebieten, die unter die Zuständigkeit der Zentralregierung fallen, beträgt das Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre. Versuche der Regierung Kinderarbeit zB durch Inspektionen zu überwachen, blieben erfolglos. Kinderarbeit, auch in ihren schlimmsten Formen, kam im ganzen Land vor (USDOS 11.3.2020).

Kindersoldaten, Rekrutierung von Kindern

Die Regierung und schiitische religiöse Führer verbieten Kindern unter 18 Jahren ausdrücklich den Kriegsdienst. Es gibt keine Berichte, wonach Kinder von staatlicher Seite zum Dienst in den Sicherheitskräften einberufen oder rekrutiert werden. Der Regierung mangelt es jedoch an Kontrolle über einige PMF-Einheiten, sie kann die Rekrutierung von Kindern durch diese Gruppen nicht verhindern, darunter die Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH), Harakat Hezbollah al-Nujaba (HHN) und die Kata'ib Hizbollah (KH) (USDOS 11.3.2020). Es gibt auch keine diesbezüglichen Untersuchungen (USDOS 20.6.2019).

2. Beweiswürdigung:

Aufgrund von Vorlage irakischer Identitätsdokumente (Personalausweise und Staatsbürgerschaftsnachweise) konnte die Identität der Beschwerdeführer festgestellt werden.

Die Feststellungen zur Herkunft, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, den Lebensumständen (die im Folgenden, insbesondere mit Blick darauf, ob den Beschwerdeführern subsidiärer Schutz zu erteilen ist, noch näher beleuchtet werden) und der Schulbildung der Beschwerdeführer, der beruflichen Tätigkeit des Erstbeschwerdeführers, sowie ihren Gesundheitszustand betreffend, weshalb sie auch mit Blick auf COVID-19 keiner Risikogruppe angehören, basieren auf den im Verfahren gleichgebliebenen und daher als glaubwürdig erachteten Angaben der Beschwerdeführer und den vorgelegten den Gesundheitszustand betreffenden Unterlagen.

Die strafrechtliche Unbescholtenheit der strafmündigen Beschwerdeführer sowie der Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung, sind den (mit Stand jeweils vom 05.02.2021) aktuell eingeholten Strafregister- und GVS-Auszügen zu entnehmen.

Die Deutschkenntnisse der Erst- und Zweitbeschwerdeführer lediglich auf A1-Niveau ergeben sich aus den letztgültig einliegenden ÖSD-Zertifikaten und den in der mündlichen Verhandlung festgestellten Deutschkenntnissen (Verhandlungsniederschrift, S. 15 und 16). Die Erst- und Zweitbeschwerdeführer beantworteten die an sie auf Arabisch gestellten Fragen teilweise auf Deutsch und ist eine Verständigung in deutscher Sprache in Grundzügen möglich. Die einvernommenen Dritt- und Viertbeschwerdeführerinnen wiesen gute Deutschkenntnisse auf, die sich aus ihren Schulbesuchen erschließen lassen. Die innerfamiliäre Kommunikation erfolgt jedoch auf Arabisch, wie sich aufgrund des Umgangs der Beschwerdeführer untereinander bzw. in den Verhandlungspausen oder in den Warteperioden vor und nach der mündlichen Verhandlung erschloss.

Die Feststellungen zum freiwilligen Engagement ergeben sich aus den diesbezüglichen im Verfahren vorgelegten Unterlagen und ihren einhelligen und daher glaubhaften Angaben in der mündlichen Verhandlung. Selbiges ergibt sich zu den Schul- und Kindergartenbesuchen der Dritt- bis Siebtbeschwerdeführer. Die Bekannt- und Freundschaften der Beschwerdeführer und die für sie verfassten Empfehlungsschreiben resultieren vordergründig aus ihrem Umfeld und den Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Damit wurden jedoch völlig durchschnittliche Kontakte dargetan, die weder durch Intensität noch Quantität besonders herausragen.

Dass die Beschwerdeführer in Österreich besonders verwurzelt wären, insbesondere in beruflicher Hinsicht, hat sich gerade nicht ergeben. Die besuchten Kurse bzw. freiwilligen Tätigkeiten wurden jeweils nur über kurze Zeiträume ausgeübt bzw. fällt die Quantität des Engagements einerseits in Relation zum mehrjährigen Aufenthalt in Österreich und andererseits verglichen mit ähnlich gelagerten Fällen gering aus.

Dass sich der Bruder des Erstbeschwerdeführers und zwei seiner Neffen in Österreich befinden und ihr Aufenthaltsstatus, ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung. Zu keinem Zeitpunkt wurde ein gemeinsamer Haushalt oder eine besondere Abhängigkeit in finanzieller oder sonstiger Weise zu diesem geltend gemacht.

Festzustellen war, dass sich im Irak noch ein Bruder des Erstbeschwerdeführers, die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin und mehrere Tanten väterlicherseits befinden (VNS, S. 7, 15 und 16). Es bestehen daher - zahlreiche - familiäre Verbindungen zum Irak. Die Zweitbeschwerdeführerin gab auch an, Kontakt zu ihrer Mutter zu pflegen (VNS, S. 16).

Es war insbesondere nicht glaubwürdig, dass der Bruder des Erstbeschwerdeführers das Haus verkauft haben soll, in welchem die Beschwerdeführer gelebt haben. Zunächst einmal waren die Angaben zum Verbleib dieses Bruders, dem das Haus gehört habe, nicht nachvollziehbar, vage und wurden vom Erstbeschwerdeführer bewusst verschleiert. In der Einvernahme vor dem BFA am 23.10.2018 behauptete der Erstbeschwerdeführer, dass er das letzte Mal vor einem Jahr Kontakt zu seinem älteren Bruder gehabt habe und dieser nicht mehr „dort“ wohne, was ihm seine in London wohnhafte Schwester mitgeteilt habe (Akt Erstbeschwerdeführer, AS 179). In der mündlichen Verhandlung gab er aber an, dass er gar nicht wisse, wo sich sein Bruder aufhalte, dieser aber den Irak verlassen habe (VNS, S. 8). Woher der Beschwerdeführer aber genau wissen will, ob sein Bruder den Irak verlassen hat, blieb offen und gründen sich seine Angaben auf bloße Mutmaßungen. Auch können seine Angaben rein rechnerisch nicht stimmen, da er bereits in der Einvernahme am 23.10.2018 angab, seit einem Jahr keinen Kontakt zu Bruder zu haben, in der mündlichen Einvernahme jedoch ebenso von ein- bis eineinhalb Jahren sprach, obwohl es sich dabei um fast drei Jahren handeln müsste, in denen er keinen Kontakt zu seinem Bruder gehabt haben will. Zudem gab der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, dass er eigentlich gar nicht wisse, „welches Haus“ sein Bruder verkauft haben soll, was aber gleichzeitig impliziert, dass es mehrere Häuser geben muss, die im Eigentum des Bruders stehen und auf die die Beschwerdeführer für den Fall einer Rückkehr zurückgreifen könnten (VNS, S. 7). Dass die Zweitbeschwerdeführerin ihrerseits zwar einerseits angeben kann, dass es das Haus im Irak nicht mehr gäbe, gleichzeitig aber nicht wissen will, seit wann oder etwa wieso (VNS, S. 15), deutet ebenso auf eine konstruierte Geschichte hin, da sich ein Mensch, der sein Haus und seine Existenz verloren hat dafür interessieren würde, was damit geschehen ist. Wie der Bruder zudem das (angeblich) schwer durch Autobomben beschädigte Haus (VNS, S. 7) einfach verkauft haben will, lässt sich ebenso wenig nachvollziehbar erklären und ist auch daraus zu schlussfolgern, dass bereits die bis zur Verhandlung geltend gemachte variante, wonach das Haus zerbombt worden sei, schlichtweg nicht zugetroffen hat. Obwohl die verhandlungsführende Richterin darum bemüht war, die Umstände durch Befragung einfühlsam aber umfassend zu ermitteln, zeigten die Eltern keinerlei Interesse daran, an der Aufklärung der Gegebenheiten mitwirken zu wollen. Es ergab sich aufgrund der unterschiedlichen und wenig plausiblen Angaben in den Befragungen, aber auch wegen des persönlich vermittelten Eindrucks der Erst- und Zweitbeschwerdeführer daher, dass ihre Angaben zu ihrer wohnlichen Situation nicht der Wahrheit entsprachen und sie die Existenz des Hauses zu verschleiern versuchten, weshalb davon auszugehen wird, dass das Haus nach wie vor existiert und den Beschwerdeführern im Falle der Rückkehr zur Verfügung stehen würde.

Dass die Beschwerdeführer bestrebt waren, ihre (Lebens-)Situation in Basra möglichst undurchsichtig oder schlechter dazustellen, zeigte sich noch anhand der Frage danach, ob die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin das familieneigene Haushaltswarengeschäft fortführen würde (VNS, S. 16). Auch hierzu gestaltete sich die Einvernahme zäh und überzeugte die Beantwortung nicht. Die Zweitbeschwerdeführerin zog sich nämlich darauf zurück, lediglich telefonischen Kontakt in den Irak zu halten, weshalb derartiges nicht Thema der Gespräche sei. Dies entbehrt jeglicher Lebenserfahrung. Es liegt auf der Hand, dass Gespräche über das Fortbestehen jenes Geschäfts, welches der Familie jahrelang den Lebensunterhalt sicherte, ebenso Bestandteil der Kommunikation sein müssten, wie die Frage nach dem Befinden der Familie in Österreich, wie es die Beschwerdeführerin als Schutzbehauptung vorschob. Auch dieses wenig nachvollziehbare, gar lebensfremde Aussageverhalten, spricht gegen eine wahrheitsgetreue Beschreibung der Umstände, welche die Beschwerdeführer bei Rückkehr in den Irak zu erwarten hätten und nährt daher die Annahme, dass die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in den Irak sehr wohl für ihren Lebensunterhalt sorgen könnten, sei es durch Fortführung ihres Geschäftes oder durch Verrichtung von Gelegenheitsjobs.

Gerade die Situation, welche die Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Basra vorfinden würden, wurde im Zuge der mündlichen Verhandlung durch eingehende Befragung hierzu und in Zusammenschau mit den Länderfeststellungen ermittelt. Befragt zu sicherheitsrelevanten Vorfällen in Basra betreffend die (Schul- oder Kindergartenbesuche der) Kinder, hat sich durch die Einvernahme der Eltern (VNS, S. 8 und 15) klar ergeben, dass konkrete Vorfälle/Übergriffe, etwa durch Milizen, zu keinem Zeitpunkt Platz gegriffen haben. Der Erstbeschwerdeführer hat die Kinder hingebracht und machte in diesem Zusammenhang keine konkreten Vorfälle geltend. Auch die Mutter wurde zur Lage befragt und schilderte keine konkreten Einschnitte betreffend die Sicherheitslage, welche sich auf die Kinder ausgewirkt hätten, weshalb in Zusammenschau mit den herangezogenen Länderberichten nicht gesagt werden kann, dass gleichsam jedes Kind, mögen sie als Minderjährige auch – dies wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes keineswegs verkannt – eine per se vulnerable Gruppe darstellen, einem Sicherheitsrisiko ausgesetzt wäre. Auch die Conclusio der EASO Orientierungshilfe, welche aufgrund ihrer Aktualität (Stand Jänner 2021) verlässlich herangezogen werden darf, lautet dahingehend, dass sich die Sicherheitslage in Basra derzeit auf einem vergleichsweise niedrigeren Gewalt-Level eingependelt hat.

Dass die älteste Tochter, die Drittbeschwerdeführerin, im Irak in den Kindergarten gegangen ist, ergibt sich aus den übereinstimmenden Angaben der Erst- und Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung (VNS, S. 8 und 15).

Vor dem Hintergrund, dass es in der Vergangenheit zu keinerlei sicherheitsrelvanten Vorfällen bzw. Beeinträchtigungen gekommen ist, hätte es nunmehr eines konkreteren Vorbringens bedurft, weshalb sich die Lage nunmehr, worauf es abzustellen gilt, anders darstellen sollte. Weder der Erst- noch die Zweitbeschwerdeführerin äußerten jedoch

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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