TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/23 W261 2182654-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2021
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Entscheidungsdatum

23.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
AsylG 2005 §9 Abs2 Z2
AsylG 2005 §9 Abs2 Z3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W261 2182654-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Kärnten, Außenstelle Klagenfurt, vom 15.03.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 22.10.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung von XXXX als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte nach Einreise als unbegleiteter Minderjähriger am 13.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Am 19.10.2015 erfolgte seine Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Dabei gab er zu seinen persönlichen Umständen im Wesentlichen an, er stamme aus dem Ort XXXX in der Provinz Maidan Wardak. Er habe dort vier Jahre die Grundschule besucht, sei Schüler gewesen und habe sonst nicht gearbeitet. Seine Eltern, drei Brüder und vier Schwestern würden noch in Afghanistan leben. Sein Vater habe einen Transporter und versorge damit die Familie, die finanzielle Situation der Familie sei gut.

2. Die Ersteinvernahme des minderjährigen Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden belangte Behörde) fand am 12.07.2017 statt. Dabei gab er zu seinen persönlichen Umständen im Wesentlichen an, dass er Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim sei. Er stamme aus dem Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak. Er habe vier Jahre die Grundschule und daneben eine Koranschule besucht. Er habe seinen Eltern in der Landwirtschaft geholfen. Seine Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern würden noch zusammen im Heimatdorf leben, zwei Schwestern seien verheiratet und ein Bruder sei seit ca. einem Jahr abgängig. Eine der verheirateten Schwestern würde im Heimatdistrikt, die andere in Herat leben. Er habe regelmäßig Kontakt mit seiner Familie. Sein Vater habe einen Lkw, mit dem er Transporte durchführe, und seine Familie bewirtschafte auch landwirtschaftliche Grundstücke. Eine Tante lebe in der Provinz Ghor, wo die restlichen Verwandten leben würden, wisse er nicht.

3. Mit Eingabe vom 26.07.2017 erstattete der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung eine Stellungnahme, in der im Wesentlichen ausgeführt wurde, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan begründete Furcht vor kinderspezifischer Verfolgung durch die Kutschi und Taliban hätte. Zudem gehöre er der Minderheit der schiitischen Hazara an und hätte als in Österreich sozialisierter Jugendlicher aufgrund seines westlichen Lebensstils und seiner westlichen Einstellung unweigerlich Verfolgung zu befürchten. Als alleinstehender Minderjähriger sei er extrem vulnerabel und der extrem kinderfeindlichen Situation in Afghanistan schutzlos ausgeliefert.

4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.12.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 08.12.2018 erteilt (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die Behörde zur Zuerkennung subsidiären Schutzes im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei aufgrund seines Alters als Minderjähriger anzusehen. IOM setze bei der Rückkehr von Minderjährigen die Zustimmung des/der Obsorgeberechtigten, die Zustimmung des Minderjährigen sowie die Zustimmung der Familie des Minderjährigen im Rückkehrland voraus. Da es zum Entscheidungszeitpunkt nicht möglich sei, die vorangeführten Punkte sicherzustellen, nicht gewährleistet sei, dass er in Afghanistan durch einen Obsorgeberechtigten in Kabul übernommen würde, bei welchem er auch Unterkunft beziehen könnte, und komplementäre Auffangmöglichkeiten im Herkunftsstaat nicht ersichtlich seien, könne nicht ausgeschlossen werden, dass eine Rückführung zum aktuellen Zeitpunkt zu einer konkreten Gefahr einer Verletzung im Besonderen der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte führen könnte. Es könne daher nicht in ausreichendem Maße ausgeschlossen werden, dass er aufgrund der fehlenden Unterkunftsmöglichkeit in seinem Heimatland „nicht“ schutzbedürftig iSd § 8 AsylG wäre.

5. Eine vom Beschwerdeführer mit Eingabe vom 05.01.2018 gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.02.2019, Zl. W194 2182654-1/10E, als unbegründet abgewiesen.

6. Mit Eingabe vom 14.11.2018 beantragte der Beschwerdeführer durch seine gesetzliche Vertretung die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Die Gründe seien nach wie vor gegeben. Er mache seit August 2018 eine Lehre als Koch.

7. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.11.2018 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers bis zum 08.12.2020 verlängert. Die Voraussetzungen für die Verlängerung würden vorliegen, eine nähere Begründung entfalle gemäß § 58 Abs. 2 AVG.

8. Mit Aktenvermerk vom 04.09.2019 leitete die belangte Behörde betreffend den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren ein. Aus der Behörde zugegangenen Informationen betreffend einen Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX wegen Verdachts auf Einbruchsdiebstahl würden sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine mögliche Aberkennung des subsidiären Schutzes zu prüfen sei. In weiterer Folge wäre der Gesamtakt zu sichten.

9. Mit Aktenvermerk vom 21.10.2019 hielt die belangte Behörde fest, dass die Ermittlungen ergeben hätten, dass die ursprünglich vermuteten Voraussetzungen zur Aberkennung des Status derzeit nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit vorliegen würden. Die begangenen Straftaten würden keine Verbrechen iSd § 17 StGB darstellen und nach Abschluss des Prüfverfahrens hätten sich keine weiteren Aberkennungsgründe ergeben. Daher sei das Aberkennungsverfahren einzustellen gewesen.

10. Mit Eingabe vom 22.10.2020 beantragte der Beschwerdeführer erneut die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Die Gründe für die Zuerkennung seien nach wie vor gegeben.

11. Am 02.02.2021 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde zur Prüfung der Aberkennung des subsidiären Schutzes einvernommen. Dabei gab er im Wesentlichen an, dass er gesund und nicht in ärztlicher Behandlung sei. Seine Eltern, zwei Brüder und zwei Schwestern würden derzeit bei seinem Onkel väterlicherseits in der Stadt Kabul leben. Sein ältester Bruder sei seit fünf Jahren verschollen, zwei Schwestern seien verheiratet und würden in Kabul bzw. im Iran leben. Er habe regelmäßig Kontakt zu seiner Mutter. Sein Vater versorge die Familie, er habe einen Lkw. Die Familie sei vor ca. drei bis vier Jahren aufgrund der Sicherheitslage von Maidan Wardak nach Kabul gegangen. Das Haus im Heimatdorf sei teilweise abgebrannt. Seine Familie habe nichts, deshalb lebe sie bei seinem Onkel. Der Beschwerdeführer habe Angst vor seinem Onkel, sein Leben sei in Gefahr. Dieser werfe ihm vor, seinen Glauben gewechselt zu haben, weil er von der Familie getrennt lebe, hier nicht bete und Alkohol trinke. Er würde ihn bei seiner Rückkehr bestrafen. Der Beschwerdeführer sei im dritten Jahr seiner Lehre als Koch, er werde diese voraussichtlich heuer abschließen. Er habe eine eigene Wohnung und könne von seiner Lehrlingsentschädigung leben. Im Rahmen der Einvernahme legte er Integrationsunterlagen vor.

12. Mit Verfahrensanordnung im Rahmen der Einvernahme leitete die belangte Behörde betreffend den Beschwerdeführer ein Aberkennungsverfahren gemäß § 9 Abs. 1 AsylG ein. Nach derzeitigem Stand würde die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht mehr vorliegen. Dem Beschwerdeführer wurde die Möglichkeit einer Stellungnahme bis 17.02.2021 eingeräumt.

13. Mit verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 15.03.2021 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid vom 09.12.2017 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 22.10.2020 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.), es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde zur Aberkennung des Schutzstatus im Wesentlichen ausgeführt, dem Beschwerdeführer sei ausschließlich aufgrund seiner Minderjährigkeit subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Weitere Gründe seien nicht vorgelegen. Die Voraussetzungen für die weitere Zuerkennung würden nicht mehr vorliegen, es seien auch keine Umstände hinzugetreten, welche diese rechtfertigen würden. Der Beschwerdeführer sei seit XXXX volljährig. Er sei eine gesunde, volljährige Person im arbeitsfähigen Alter. Er spreche die Landessprache, habe in Afghanistan die Schule besucht und in Österreich Berufserfahrungen gesammelt. Er stehe in Kontakt mit seiner Kernfamilie, die inzwischen in Kabul lebe. Eine Rückkehr nach Kabul, wo sich seine Familie befinde, sei ihm zumutbar. Alternativ stünden ihm Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung. Der Beschwerdeführer wäre in Afghanistan keinerlei Verfolgung ausgesetzt. Hinweise auf eine westliche Orientierung seinerseits hätten sich nicht ergeben. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne für seinen Unterhalt grundsätzlich sorgen.

14. Mit Eingabe vom 02.04.2021 erhob der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid durch seine bevollmächtigte Vertretung fristgerecht Beschwerde. Er brachte darin im Wesentlichen vor, die belangte Behörde stütze sich in ihrer Begründung lediglich auf das Erreichen der Volljährigkeit. Der Eintritt der Volljährigkeit allein rechtfertige eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach der Judikatur jedoch nicht. Die Behörde habe entgegen richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG eine grundlegende und dauerhafte Änderung jener Umstände, die zu Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt hätten, nicht dargelegt. Tatsächlich habe sich die persönliche Situation des Beschwerdeführers, abgesehen von seiner nunmehrigen Volljährigkeit und seiner Integrationsverfestigung in Österreich, nicht verändert. Eine wesentliche und dauerhafte Veränderung der Sicherheitslage in Afghanistan sei jedenfalls nicht eingetreten, vielmehr habe sich die Sicherheitslage zum Schlechteren verändert. Auch Kabul, Mazar-e Sharif und Herat seien nicht ausreichend sicher. Bezüglich Kabul, wo sich die Familie des Beschwerdeführers aufhalte, gehe auch UNHCR nicht von der Verfügbarkeit einer internen Fluchtalternative aus. Die Versorgungslage sei in ganz Afghanistan äußerst prekär und es sei insbesondere von einer hohen Nahrungsmittelunsicherheit auszugehen. Durch die COVID-19-Pandemie habe sich die Situation weiter verschärft. Aufgrund von fehlenden Kontakten in Mazar-e Sharif oder Herat sei nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer dort ein Leben ohne unbillige Härten führen könne, sondern wahrscheinlicher, dass er grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Unterkunft nicht befriedigen werde können und folglich in eine ausweglose Situation gerate.

15. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 23.04.2021 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, dieses am 28.04.2021 einlangte. Im Rahmen der Beschwerdevorlage führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass entgegen der Behauptung in der Beschwerde im angefochtenen Bescheid sehr wohl auf die Umstände des Beschwerdeführers eingegangen worden sei. Im Zuge der Befragung sei festgestellt worden, dass seine Kernfamilie mittlerweile in Kabul lebe, womit eine Rückkehr dorthin möglich und vor allem auch zumutbar sei. Dadurch, dass der einzige Grund für den Verbleib in Österreich, die Minderjährigkeit, nicht mehr bestehe und sich seine Familie nach Kabul begeben habe, wo auch der Vater einer Arbeit nachgehe, sei zusätzlich als beständige und positive Änderung anzusehen, dass er nun in Kabul über ein intaktes soziales Netzwerk verfüge. Somit sei das einzige Rückkehrhindernis nicht mehr gegeben.

16. Mit Eingabe vom 09.06.2021 übermittelte die belangte Behörde einen Abschlussbericht der Polizeiinspektion XXXX vom 06.04.2021, wonach unter anderem der Beschwerdeführer verdächtig sei, am 09.11.2020 eine Sachbeschädigung begangen zu haben.

17. Mit Eingabe vom 24.06.2021 beantragte der Beschwerdeführer durch seine bevollmächtigte Vertretung die Einvernahme seines Paten bzw. Unterstützers XXXX als Zeugen in der mündlichen Verhandlung.

18. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.06.2021 eine mündliche Verhandlung durch, im Zuge derer der Beschwerdeführer zu seinen persönlichen Umständen und zur Situation im Falle einer Rückkehr befragt wurde. Als Zeuge zur Integration des Beschwerdeführers wurde XXXX einvernommen. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern, die Verhandlungsschrift wurde ihr übermittelt. Der Beschwerdeführer legte Integrationsunterlagen vor. Das Bundesverwaltungsgericht legte die aktuellen Länderinformationen vor, und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu eine Stellungnahme abzugeben.

19. Mit Eingabe vom 05.07.2021 übermittelte die belangte Behörde eine Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 01.07.2021, wonach gegen den Beschwerdeführer wegen § 125 StGB Anklage erhoben worden sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und schiitischer Muslim. Seine Muttersprache ist Dari, er spricht auch Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.

Er wurde im Dorf XXXX im Distrikt XXXX in der Provinz Maidan Wardak geboren. Sein Vater heißt XXXX und seine Mutter heißt XXXX , das Alter seiner Eltern ist ihm nicht bekannt. Sein Vater ist LKW-Fahrer. Er hat vier Schwestern, XXXX (ca. 27 Jahre), XXXX (ca. 24 Jahre), XXXX (ca. 20 Jahre) und XXXX (ca. 7 Jahre), sowie drei Brüder, XXXX (ca. 29 Jahre), XXXX (ca. 15 Jahre) und XXXX (ca. 13 Jahre).

Der Beschwerdeführer hat bis zu seiner Ausreise nach Europa in seinem Heimatdorf gelebt. Er hat im Ort XXXX in der Provinz Maidan Wardak für vier Jahre die Grundschule und nebenbei die Koranschule besucht sowie seinen Eltern in der Landwirtschaft geholfen. Seine Eltern besaßen landwirtschaftliche Grundstücke im Ausmaß von ca. zwei bis drei Jerib.

Die Familie des Beschwerdeführers lebt heute in XXXX im Iran. Seine Schwester XXXX und sein Bruder XXXX leben bereits länger im Iran, sie sind dort verheiratet. Auch seine Schwester XXXX ist bereits verheiratet. Der Rest der Familie zog vor zwei bis drei Monaten in den Iran, die vier jüngeren Geschwister leben mit seinen Eltern zusammen. Der Beschwerdeführer hat regelmäßigen Kontakt mit seiner Familie. Seine Familie ist nicht in der Lage, ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen.

In Afghanistan leben noch ein Onkel väterlicherseits in der Stadt Kabul und eine Tante in der Provinz Ghor. Von zwei weiteren Onkel väterlicherseits und zwei Onkel mütterlicherseits weiß der Beschwerdeführer nicht, wo sich diese aufhalten. Zu seinen Verwandten hat er keinen Kontakt.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

1.2. Zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Der Beschwerdeführer stellte am 13.10.2015 als unbegleiteter Minderjähriger einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.12.2017 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 08.12.2018 erteilt. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.11.2018 wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung bis 08.12.2020 verlängert.

Hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde der Antrag mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.12.2017 abgewiesen. Eine gegen diesen Bescheid am 05.01.2018 Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28.02.2019, Zl. W194 2182654-1/10E, als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat in Österreich mehrere Deutschkurse besucht und 2017 das Deutsch-Sprachzertifikat auf A2-Niveau erworben. Er verfügt mittlerweile über sehr gute Deutschkenntnisse. In den Schuljahren 2015/16 und 2016/17 (3. und 4. Klasse) hat er die Neue Mittelschule XXXX besucht. Im Schuljahr 2017/18 hat er an der Polytechnischen Schule XXXX den Pflichtschulabschluss absolviert.

Im Jahr 2016 hat er am Workshop „Richtig Bewerben“ XXXX teilgenommen. Von 10.07.2017 bis 08.09.2017 hat er am Sommerworkshop des „ XXXX “ in XXXX teilgenommen. Im Jahr 2019 hat er am „Projektunterricht – Religion“ an der Fachberufsschule XXXX mit dem Schwerpunkt „Wert der Arbeit – Würde des Lebens“ teilgenommen. Von 25.09.2019 bis 31.10.2019 hat er einen Erst-Hilfe-Grundkurs im Ausmaß von 16 Stunden in XXXX besucht.

Seit 01.08.2018 absolviert der Beschwerdeführer eine Lehre als Koch in der Zentralküche der „ XXXX “ gem. GmbH in XXXX und verdiente zuletzt (Monat Mai 2021) 1.160,60 Euro monatlich. Sein Lehrverhältnis dauert bis zum 31.07.2022. Die Schuljahre 2019/20 und 2020/21 (erste und zweite Fachklasse) an der Fachberufsschule für Tourismus XXXX hat er positiv abgeschlossen.

Er lebt in einer eigenen Mietwohnung. In seiner Freizeit geht er gerne ins Kino und macht Sport, er geht laufen, boxen, schwimmen und spielt Fußball. Er war Mitglied in einem Boxclub.

Der Beschwerdeführer wird von seinen Vertrauenspersonen als interessiert, wissbegierig, zuverlässig, sauber, selbstständig, pünktlich, ehrlich, vorbildlich, zielstrebig, fleißig, genau, gut integriert, höflich, zuverlässig, kreativ, hilfsbereit, vertrauenswürdig und empathisch beschrieben.

Er führt seit ca. sieben oder acht Monaten eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin. Familienangehörige hat er in Österreich nicht.

Mit Urteil des Bezirksgerichts XXXX als Jugendgericht vom 27.02.2019, rechtskräftig seit 04.03.2019, ZI. XXXX , wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1, § 15 StGB zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 4,00 EUR (240,00 EUR), im Falle der Nichterbringung zu einer Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 30 Tagen, verurteilt.

Des Weiteren wurde der Beschwerdeführer verdächtigt, am 24.10.2016 das Vergehen der Körperverletzung, zwischen 01.07.2016 und 31.08.2016 sowie zwischen 01.01.2017 und 30.01.2017 Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, am 04.12.2016 das Vergehen des Raufhandels, zwischen 01.04.2019 und 30.08.2019 sowie zwischen 01.08.2019 und 01.09.2019 Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz begangen zu haben. Aufgrund dieser Verdächtigungen kam es zu keinen Anklagen.

Am 01.07.2021 wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX gegen den Beschwerdeführer wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB Anklage erhoben. Er wird verdächtigt, am 09.11.2020 gegen die Stoßstange eines Pkw getreten zu haben.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des Beschwerdeführers und der aktuellen Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan wird festgestellt, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom 09.12.2017 bzw. der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 26.11.2018 nicht wesentlich und nachhaltig verbessert haben.

Insbesondere ist aus den getroffenen Länderfeststellungen im Vergleich zu den bei Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten herangezogenen Länderberichten keine Verbesserung der Sicherheits- oder Versorgungslage in Afghanistan, sondern zuletzt sogar vielmehr eine Verschlechterung sowohl der Sicherheits- als auch der Versorgungslage ersichtlich, und auch keine maßgebliche Änderung der individuellen Situation des Beschwerdeführers eingetreten.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

?        Länderinformation der Staatendokumentation Afghanistan mit Stand 11.06.2021, Version 4 - auszugsweise (LIB)

?        UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan, August 2021 (UNHCR 2021)

?        Kurzinformation der Staatendokumentation, Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan, Stand 20.08.2021 (KI Staatendokumentation)

?        Homepage der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/question-and-answers-hub/q-a-detail/coronavirus-disease-covid-19 abgerufen am 23.08.2021 und https://covid19.who.int/region/emro/country/af, abgerufen am 23.08.2021 (WHO)

1.4.1   Allgemeine aktuelle Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (LIB).

Als Folge des Rückzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan hat sich die Sicherheits- und Menschenrechtslage in großen Teilen des Landes rapide verschlechtert. Die Taliban haben in einer schnell wachsenden Anzahl an Provinzen die Kontrolle übernommen, wobei sich ihr Vormarsch im August 2021 nochmals beschleunigte, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen und schließlich den Präsidentenpalast in Kabul unter ihre Kontrolle brachten. Die stark zunehmende Gewalt hat schwerwiegende Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, einschließlich Frauen und Kindern (UNHCR 2021).

Aufgrund des Konflikts sind seit Anfang 2021 Schätzungen zufolge über 550.000 Afghan*innen innerhalb des Landes neu vertrieben worden, davon 126.000 neue Binnenvertriebene allein zwischen 7. Juli und 9. August 2021. Während es bis dato noch keine genauen Zahlen gibt, wie viele Afghan*innen das Land aufgrund der Kampfhandlungen und Menschenrechtsverletzungen verlassen haben, haben Berichten zufolge zehntausende Afghan*innen in den letzten Wochen die Landesgrenzen überschritten. (UNHCR 2021)

Die Spitzenpolitiker der Taliban sind aus Katar, wo viele von ihnen im Exil lebten, nach Afghanistan zurückgekehrt. Frauen werden Rechte gemäß der Scharia [islamisches Recht] genießen, so der Sprecher der Taliban. Nach Angaben des Weißen Hauses haben die Taliban versprochen, dass Zivilisten sicher zum Flughafen von Kabul reisen können. Berichten zufolge wurden Afghanen auf dem Weg dorthin von Taliban-Wachen verprügelt. Lokalen Berichten zufolge sind die Straßen von Kabul ruhig. Die Militanten sind in der ganzen Stadt unterwegs und besetzen Kontrollpunkte (KI Staatendokumentation).

Die internationalen Evakuierungsmissionen von Ausländerinnen und Ausländern sowie Ortskräften aus Afghanistan gehen weiter, immer wieder gibt es dabei Probleme. Die Angaben darüber, wie viele Menschen bereits in Sicherheit gebracht werden konnten, gehen auseinander, die Rede ist von 2.000 bis 4.000, hauptsächlich ausländisches Botschaftspersonal. Es mehren sich aktuell Zweifel, dass auch der Großteil der Ortskräfte aus dem Land gebracht werden kann. Bei Protesten gegen die Taliban in Jalalabad wurden unterdessen laut Augenzeugen drei Menschen getötet (KI Staatendokumentation).

Jalalabad wurde kampflos von den Taliban eingenommen. Mit ihrer Einnahme sicherte sich die Gruppe wichtige Verbindungsstraßen zwischen Afghanistan und Pakistan. Am Mittwoch (18.8.2021) wurden jedoch Menschen in der Gegend dabei gefilmt, wie sie zur Unterstützung der alten afghanischen Flagge marschierten, bevor Berichten zufolge in der Nähe Schüsse abgefeuert wurden, um die Menschenmenge zu zerstreuen. Das von den Taliban neu ausgerufene Islamische Emirat Afghanistan hat bisher eine weiße Flagge mit einer schwarzen Schahada (Glaubensbekenntnis) verwendet. Die schwarz-rot-grüne Trikolore, die von den Demonstranten verwendet wurde, gilt als Symbol für die abgesetzte Regierung. Der Sprecher der Taliban erklärte, dass derzeit Gespräche über die künftige Nationalflagge geführt werden, wobei eine Entscheidung von der neuen Regierung getroffen werden soll (KI Staatendokumentation).

Während auf dem Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul weiter der Ausnahmezustand herrscht, hat es bei einer Kundgebung in einer Provinzhauptstadt erneut Tote gegeben. In der Stadt Asadabad in der Provinz Kunar wurden nach Angaben eines Augenzeugen mehrere Teilnehmer einer Kundgebung zum afghanischen Nationalfeiertag getötet. Widerstand bildete sich auch im Panjshirtal, eine Hochburg der Tadschiken nordöstlich von Kabul. In der „Washington Post“ forderte ihr Anführer Ahmad Massoud, Chef der Nationalen Widerstandsfront Afghanistans, Waffen für den Kampf gegen die Taliban. Er wolle den Kampf für eine freiheitliche Gesellschaft fortsetzen (KI Staatendokumentation).

Einem Geheimdienstbericht für die UN zufolge verstärken die Taliban die Suche nach "Kollaborateuren". In mehreren Städten kam es zu weiteren Anti-Taliban-Protesten. Nach Angaben eines Taliban-Beamten wurden seit Sonntag mindestens 12 Menschen auf dem Flughafen von Kabul getötet. Westliche Länder evakuieren weiterhin Staatsangehörige und Afghanen, die für sie arbeiten. Der IWF erklärt, dass Afghanistan keinen Zugang mehr zu seinen Geldern haben wird (KI Staatendokumentation).

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichtete, dass in Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen aufträten. Dazu kämen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen. Die WHO habe zwei mobile Gesundheitsteams bereitgestellt, aber der Einsatz müsse wegen der Sicherheitslage immer wieder unterbrochen werden (KI Staatendokumentation).

Priorität für die Vereinten Nationen (VN) hat derzeit, dass die UNAMA-Mission in Kabul bleibe. Derzeit befindet sich ein Teil des VN-Personals am Flughafen, um einen anderen Standort (unklar ob in AF) aufzusuchen und von dort die Tätigkeit fortzuführen. Oberste Priorität der VN sei es die Präsenz im Land sicherzustellen. Zwecks Sicherstellung der humanitären Hilfe werde auch mit den Taliban verhandelt (? Anerkennung). Ein Schlüsselelement dabei ist die VN-Sicherheitsrat Verlängerung des UNAMA-Mandats am 17. September 2021 (KI Staatendokumentation).

1.4.2 Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Während in ländlichen Gebieten bis zu 60 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben, so leben in urbanen Gebieten rund 41,6 % unter der nationalen Armutsgrenze (LIB).

1.4.3. Ethnische Gruppen

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge sind 40 bis 42 % Paschtunen, 27 bis 30 % Tadschiken, 9 bis 10 % Hazara, 9% Usbeken, ca. 4 % Aimaken, 3 % Turkmenen und 2 % Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB).

Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (LIB)

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB).

Die schiitische Minderheit der Hazara macht etwa 9 bis 10% der Bevölkerung aus. Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat [zentrales Hochland] umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz (Maidan) Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben (LIB).

Viele Hazara leben unter anderem in Stadtvierteln im Westen der Stadt Kabul, insbesondere in Kart-e Se, Dasht-e Barchi sowie in den Stadtteilen Kart-e Chahar, Deh Buri , Afshar und Kart-e Mamurin (LIB).

Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten, auch bekannt als Jafari Schiiten. Eine Minderheit der Hazara, die vor allem im nordöstlichen Teil des Hazaradjat lebt, ist ismailitisch. Ismailitische Muslime, die vor allem, aber nicht ausschließlich, Hazara sind, leben hauptsächlich in Kabul sowie den zentralen und nördlichen Provinzen Afghanistans (LIB).

Die Hazara-Gemeinschaft/Gesellschaft ist traditionell strukturiert und basiert auf der Kernfamilie bzw. dem Klan. Sollte der dem Haushalt vorstehende Mann versterben, wird die Witwe Haushaltsvorständin, bis der älteste Sohn volljährig ist. Es bestehen keine sozialen und politischen Stammesstrukturen (LIB).

Hazara neigen sowohl in ihren sozialen, als auch politischen Ansichten dazu, liberal zu sein, was im Gegensatz zu den Ansichten sunnitischer Militanter steht. Berichten zufolge halten Angriffe durch den ISKP (Islamischer Staat Khorasan Provinz) und andere aufständische Gruppierungen auf spezifische religiöse und ethno-religiöse Gruppen - inklusive der schiitischen Hazara – an (LIB).

1.4.4. Taliban

In Afghanistan sind unterschiedliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (LIB).

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv. Die Taliban-Führung regierte Afghanistan zwischen 1996 und 2001, als sie von US-amerikanischen/internationalen Streitkräften entmachtet wurde; nach ihrer Entmachtung hat sie weiterhin einen Aufstand geführt. Seit 2001 hat die Gruppe einige Schlüsselprinzipien beibehalten, darunter eine strenge Auslegung der Scharia in den von ihr kontrollierten Gebieten. Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert, welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (LIB).

Die Taliban sind eine religiös motivierte, religiös konservative Bewegung, die das, was sie als ihre zentralen "Werte" betrachten, nicht aufgeben wird. Wie sich diese Werte in einer künftigen Verfassung widerspiegeln und in der konkreten Politik einer eventuellen Regierung der Machtteilung, die die Taliban einschließt, zum Tragen kommen, hängt von den täglichen politischen Verhandlungen zwischen den verschiedenen politischen Kräften und dem Kräfteverhältnis zwischen ihnen ab. Sie sehen sich nicht als bloße Rebellengruppe, sondern als eine Regierung im Wartestand und bezeichnen sich selbst als "Islamisches Emirat Afghanistan", der Name, den sie benutzten, als sie von 1996 bis zu ihrem Sturz nach den Anschlägen vom 11.9.2001 an der Macht waren (LIB).

Die Anführer der Taliban

Mit der Eroberung Kabuls haben die Taliban 20 Jahre nach ihrem Sturz wieder die Macht in Afghanistan übernommen. Dass sie sich in ersten öffentlichen Statements gemäßigter zeigen, wird von internationalen Beobachtern mit viel Skepsis beurteilt. Grund dafür ist unter anderem auch, dass an der Spitze der Miliz vor allem jene Männer stehen, die in den vergangenen Jahrzehnten für Terrorangriffe und Gräueltaten im Namen des Islam verantwortlich gemacht werden. Geheimdienstkreisen zufolge führen die Taliban derzeit Gespräche, wie ihre Regierung aussehen wird, welchen Namen und Struktur sie haben soll und wer sie führen wird. Demzufolge könnte Abdul Ghani Baradar einen Posten ähnlich einem Ministerpräsidenten erhalten („Sadar-e Asam“) und allen Ministern vorstehen. Er trat in den vergangenen Jahren als Verhandler und Führungsfigur als einer der wenigen Taliban Führer auch nach außen auf (KI Staatendokumentation).

Wesentlich weniger international im Rampenlicht steht der eigentliche Taliban-Chef und „Anführer der Gläubigen“ (arabisch: amir al-mu’minin), Haibatullah Akhundzada. Er soll die endgültigen Entscheidungen über politische, religiöse und militärische Angelegenheiten der Taliban treffen. Der religiöse Hardliner gehört ebenfalls zur Gründergeneration der Miliz, während der ersten Taliban-Herrschaft fungierte er als oberster Richter des SchariaGerichts, das für unzählige Todesurteile verantwortlich gemacht wird (KI Staatendokumentation).

Der Oberste Rat der Taliban ernannte 2016 zugleich Mohammad Yaqoob und Sirajuddin Haqqani zu Akhundzadas Stellvertretern. Letzterer ist zugleich Anführer des für seinen Einsatz von Selbstmordattentätern bekannten Haqqani-Netzwerks, das von den USA als Terrororganisation eingestuft wird. Es soll für einige der größten Anschläge der vergangenen Jahre in Kabul verantwortlich sein, mehrere ranghohe afghanische Regierungsbeamte ermordet und etliche westliche Bürger entführt haben. Vermutet wird, dass es die TalibanEinsätze im gebirgigen Osten des Landes steuert und großen Einfluss in den Führungsgremien der Taliban besitzt. Der etwa 45-jährige Haqqani wird von den USA mit einem siebenstelligen Kopfgeld gesucht (KI Staatendokumentation).

Zur alten Führungsriege gehört weiters Sher Mohammad Abbas Stanikzai. In der Taliban Regierung bis 2001 war er stellvertretender Außen- und Gesundheitsminister. 2015 wurde er unter Mansoor Akhtar Büroleiter der Taliban. Als Chefunterhändler führte er später die Taliban-Delegationen bei den Verhandlungen mit den USA und der afghanischen Regierung an (KI Staatendokumentation).

Ein weiterer offenkundig hochrangiger Taliban ist der bereits seit Jahren als Sprecher der Miliz bekannte Zabihullah Mujahid. In einer ersten Pressekonferenz nach der Machtübernahme schlug er, im Gegensatz zu seinen früheren Aussagen, versöhnliche Töne gegenüber der afghanischen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft an (KI Staatendokumentation).

Stärke der Taliban-Kampftruppen

Obwohl in den vergangenen Jahren 100.000 ausländische Soldaten im Land waren, konnten die Taliban-Führer eine offenkundig von ausländischen Geheimdiensten unterschätzte Kampftruppe zusammenstellen. Laut BBC geht man derzeit von rund 60.000 Kämpfern aus, mit Unterstützern aus anderen Milizen sollen fast 200.000 Männer aufseiten der Taliban den Sturz der Regierung ermöglicht haben. Völlig unklar ist noch, wie viele Soldaten aus der Armee

1.4.5. Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf verschiedene Lebensbereiche

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf., einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren (WHO).

Aktuelle Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (LIB).

Die Delta-Variante treibt Beobachtern zufolge die COVID-19-Infektionen in Afghanistan in die Höhe, wobei die Dunkelziffer an Fällen weiterhin als sehr hoch geschätzt wird. Krankenhäuser kommen weiterhin an ihre Belastungsgrenze und es sind nicht genug Betten vorhanden um neue Covid-19 Patienten zu behandeln. Gesundheitseinrichtungen berichten auch von Engpässen bei medizinischem Material und Sauerstoff. Schulen und Universitäten sind weiterhin geschlossen und es gibt Berichte, wonach sich Menschen nicht streng an die Vorgaben halten und häufig keine Masken tragen. Anfang Juli erreichten mehr als 1,4 Millionen Impfdosen des Herstellers Johnson & Johnson Afghanistan. Die Impfraten in Afghanistan sind nach wie vor extrem niedrig, weniger als 4% der Bevölkerung sind geimpft (LIB).

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN – d.s. ca. € 37,-) (LIB).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt. Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (LIB).

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor der belangten Behörde, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation in Afghanistan und im Iran, seiner Schulbildung und seiner Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen bzw. nachvollziehbar aktualisierten Aussagen zu zweifeln.

Dass die Familie des Beschwerdeführers nicht in der Lage ist, ihn im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell zu unterstützen, ergibt sich aus deren von ihm glaubhaft beschriebenen wirtschaftlichen Verhältnissen. Sein Vater arbeitet zwar nach wie vor als Lkw-Fahrer, muss mit diesem Einkommen aber bereits die Mutter und vier jüngere Geschwister des Beschwerdeführers versorgen. Bereits in der Einvernahme vor der belangten Behörde, als seine Familie noch in Afghanistan lebte, gab er an, dass sie „nichts“ habe (vgl. AS 860).

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers folgen seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung (vgl. Niederschrift vom 28.06.2021, S. 3) und vor der belangten Behörde (vgl. AS 856) sowie den Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist. Die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus seinem Alter, seinem Gesundheitszustand und seiner laufenden Erwerbstätigkeit in Österreich.

2.2. Zu den Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zur Antragstellung, zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, zur Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung und zur Abweisung des Antrages hinsichtlich des Status des Asylberechtigten ergeben sich aus dem Verfahrensakt.

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zu seinen Schul- und Kursbesuchen, abgelegten Prüfungen, seiner Lehre, seinem sonstigen Privatleben und seinen (fehlenden) familiären Anknüpfungspunkten in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, die vorgelegten Nachweise und auf die Angaben des Beschwerdeführers sowie des Zeugen XXXX in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie vor der belangten Behörde. Seine Erwerbstätigkeit und sein Einkommen ergeben sich auch aus einem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten AJ-WEB-Auskunftsverfahren vom 23.06.2021.

Von den sehr guten Deutschkenntnissen des Beschwerdeführers konnte sich die erkennende Richterin in der mündlichen Verhandlung selbst überzeugen. Er beantwortete fast alle an ihn gerichteten Fragen auf Deutsch. Auch die Einvernahmeleiterin der belangten Behörde hatte bereits festgehalten, dass der Beschwerdeführer gutes Deutsch spricht (vgl. AS 864).

Die Feststellungen zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers ergeben sich aus dem Strafregister. Die Verdächtigungen gegen ihn ergeben sich aus einer von der belangten Behörde eingeholten Auskunft aus dem Kriminalpolizeilichen Aktenindex vom 02.02.2021 (vgl. AS 839-841). Die Anklageerhebung ergibt sich aus der vorliegenden Verständigung der Staatsanwaltschaft XXXX vom 01.07.2021 (vgl. OZ 10).

2.3. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Die Feststellung, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid der belangten Behörde vom 09.12.2017 bzw. seit der letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid der belangten Behörde vom 26.11.2018 nicht wesentlich und nachhaltig verbessert haben, wurde aufgrund eines Vergleichs der individuellen Situation des Beschwerdeführers sowie der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zum Zeitpunkt der Zuerkennung bzw. letztmaligen Verlängerung einerseits und zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides sowie dieser Entscheidung andererseits getroffen (siehe dazu noch in der rechtlichen Beurteilung).

Dabei erfolgte insbesondere eine Gegenüberstellung des Inhalts der dem Bescheid vom 09.12.2017 zugrunde gelegten Länderfeststellungen (vgl. AS 206-300) mit jener Berichtslage, die die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides herangezogen hat (vgl. AS 942-1026), und der zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung bestehenden Lage im Herkunftsstaat (siehe Punkt 1.4.).

2.4. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Die Lage in Afghanistan hat sich im August 2021 maßgeblich verändert, die afghanische Regierung ist nicht mehr im Amt und die Taliban haben die Macht übernommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat demgemäß die aktuellsten Länderinformationen mit Stand 20.08.2021 zur Entscheidungsfindung herangezogen. Diese Informationen sind allgemein zugänglich und waren auch Gegenstand umfangreicher medialer Berichterstattung in den letzten Wochen, weswegen auf eine gesonderte Übermittlung dieser Informationen an die Parteien dieses Verfahrens im Rahmen des Parteiengehörs verzichtet wurde. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind jedenfalls durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten (auszugsweise):

„§ 8 (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,

1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder

2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,

wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

[…]

(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht.

[…]

§ 9 (1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;

[…]

(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn

1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;

2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.

(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.

3.1.1. Die Bestimmung des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG verfolgt das Ziel, sicherzustellen, dass nur jenen Fremden, die die Voraussetzungen für die Zuerkennung von subsidiärem Schutz erfüllen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt. Während der erste Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG die Konstellation erfasst, in der der Fremde schon im Zeitpunkt der Zuerkennung von subsidiärem Schutz die dafür notwendigen Voraussetzungen nicht erfüllt hat, betrifft § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG jene Konstellationen, in denen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nachträglich weggefallen sind (vgl. VwGH 14.08.2019, Ra 2016/20/0038 mit Verweis auf VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 77).

Vorauszuschicken ist, dass sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausdrücklich auf den Aberkennungstatbestand nach § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG bezog. Die Frage, ob die Aberkennung des Schutzstatus auf den ersten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, demzufolge die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht vorliegen“, oder auf den zweiten Fall des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG, demzufolge die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht mehr vorliegen“, gestützt wurde, ist anhand der konkretisierenden Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde zu beantworten, wonach die Aberkennung erfolge, weil die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten „nicht mehr vorliegen“ (vgl. AS 1033).

3.1.2. Für eine unionsrechtskonforme Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG sind nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Art. 16 und 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 (im Folgenden: Statusrichtlinie) heranzuziehen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 75 ff.).

Nach dem mit „Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzstatus“ übertitelten Art. 19 Abs. 1 Statusrichtlinie erkennen die Mitgliedstaaten den zuerkannten subsidiären Schutz ab, bzw. beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Art. 16 Statusrichtlinie nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann. Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

Damit stellt § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG in richtlinienkonformer Interpretation auf eine Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.

3.1.3. Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkung von Bescheiden ist es nicht zulässig, die Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung nicht geändert hat (VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0353). Auch der Verfassungsgerichtshof hat zu § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG bereits ausgesprochen, dass diese Bestimmung keine Neubewertung eines rechtskräftig entschiedenen Sachverhaltes erlaubt, sondern eine Aberkennung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG lediglich in Frage kommt, wenn sich die Umstände nach der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten maßgeblich geändert haben (VfGH 24.09.2019, E 2330/2019).

Eine geänderte rechtliche Beurteilung, wonach jungen, gesunden und arbeitsfähigen Männern eine innerstaatliche Fluchtalternative auch ohne soziales Netzwerk offenstehe, rechtfertigt nicht die Annahme einer wesentlichen Änderung der Umstände im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG 2005, weil es sich dabei um eine Änderung des Sachverhaltssubstrates handeln muss (VwGH 06.10.2020, Ra 2020/19/0111).

Soweit allerdings neue Sachverhaltselemente hinzutreten, sind diese in einer neuen Gesamtbeurteilung zu berücksichtigen (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 97 ff. unter Verweis auf die zu § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG ergangene Entscheidung VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155). Dabei sind bei der Beurteilung nach § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn 102).

3.1.4. Die Aberkennung des subsidiären Schutzes stützt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid tragend darauf, dass der Beschwerdeführer nunmehr volljährig sei. Ihm sei ausschließlich aufgrund seiner Minderjährigkeit subsidiärer Schutz zuerkannt worden. Weitere Gründe seien nicht vorgelegen. Er sei nun eine gesunde, volljährige Person im arbeitsfähigen Alter, spreche die Landessprache, habe in Afghanistan die Schule besucht und in Österreich Berufserfahrungen gesammelt. Er stehe in Kontakt mit seiner Kernfamilie, die inzwischen in Kabul lebe. Eine Rückkehr nach Kabul, wo sich seine Familie befinde, sei ihm zumutbar. Alternativ stünden ihm Herat und Mazar-e Sharif zur Verfügung. Er sei wirtschaftlich genügend abgesichert und könne für seinen Unterhalt grundsätzlich sorgen (vgl. AS 940-941, 1028-1032, 1038-1040).

Es ist unstrittig, dass der am XXXX geborene Beschwerdeführer bei der Zuerkennung subsidiären Schutzes sowie Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung noch minderjährig war und seit XXXX volljährig ist. Auch entspricht es grundsätzlich der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass bei einem Fremden, dem als Minderjähriger subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, das Erreichen der Volljährigkeit für den Wegfall der Notwendigkeit, auf den Schutz eines anderen Staates angewiesen zu sein, eine Rolle spielen kann, etwa dadurch, dass im Lauf des fortschreitenden Lebensalters in maßgeblicher Weise Erfahrungen in diversen Lebensbereichen hinzugewonnen werden (vgl. VwGH 29.11.2019, Ra 2019/14/0449).

Im vorliegenden Fall haben sich die für die Gewährung subsidiären Schutzes maßgeblichen Umstände aber trotz Erreichens der Volljährigkeit insgesamt nicht so wesentlich verändert (im Sinne von verbessert), dass der Beschwerdeführer diesen nicht länger benötigen würde. Dieser war bei der – als Vergleichszeitpunkt maßgeblichen – letztmaligen Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung 16 Jahre alt und ist nunmehr 19 Jahre alt. Es wird zwar nicht verkannt, dass gerade in der Phase der Entwicklung auch bereits ein Zeitraum von wenigen Jahren mit einem großen Zugewinn an Reife und Erfahrung verbunden sein kann. Gegenständlich ist dies aber, insbesondere unter Berücksichtigung der Biografie des Beschwerdeführers, nicht ersichtlich. Dieser verließ Afghanistan im Alter von 13 Jahren und reiste allein nach Österreich, wo er keine Familienangehörigen oder sonstigen Kontakte hatte. Dennoch war es ihm zum Zeitpunkt der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung bereits gelungen, als regulärer Schüler eine polytechnische Schule abzuschließen und mit August 2018 eine Lehre als Koch zu beginnen, was der belangten Behörde auch bekannt war (vgl. AS 627, 637, 643). Darin zeigte sich ein schon zu diesem Zeitpunkt überaus hohes Maß an Selbstständigkeit und Reife, das durch das formale Erreichen der Volljährigkeit eineinhalb Jahre später keine wesentliche Änderung mehr erfahren hat.

Auch die im angefochtenen Bescheid hervorgehobene Arbeitsfähigkeit und -willigkeit des Beschwerdeführers trat nicht erst mit seiner Volljährigkeit ein, wie sich aus der im Zeitpunkt der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung bereits laufenden Lehre ergibt. Ähnlich wie in Österreich können auch in Afghanistan Jugendliche ab 15 Jahren einer Arbeit nachgehen, wenn diese unter anderem eine Form der Berufsausbildung darstellt (siehe Punkt 1.4.2.). Welche „in Österreich erworbenen Fähigkeiten und Kenntnisse“, die dem Beschwerdeführer bei der Arbeitssuche in Afghanistan nützlich sein könnten (vgl. AS 1029), seit diesem Zeitpunkt, als er wie ausgeführt die polytechnische Schule bereits abgeschlossen und seine Lehre bereits begonnen hatte, konkret hinzugekommen wären, erläuterte die belangte Behörde nicht. Die Lehre des Beschwerdeführers ist auch zum Entscheidungszeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Dass „ein erfolgreicher Lehrabschluss […] durchaus noch zeitlich im Bereich des Möglichen“ liege (gemeint offenbar: vor Durchsetzung der Rückkehrentscheidung, vgl. AS 1029), ist reine Spekulation. Diese würde jedenfalls noch die positive Absolvierung der dritten Fachklasse und der Lehrabschlussprüfung erfordern.

3.1.5. Zugleich ist zu berücksichtigen, dass sich die persönlichen, für die Situation im Fall einer Rückkehr maßgeblichen Umstände des Beschwerdeführers in einem wesentlichen Punkt auch verschlechtert haben. Seine gesamte Kernfamilie (Eltern und Geschwister) lebt heute, anders als bei Zuerkennung des subsidiären Schutzes und Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung, nicht

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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