TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/23 G313 2245487-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2021
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Entscheidungsdatum

23.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §35 Abs3

Spruch


G313 2245487-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA.: Afghanistan, (BF), vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 06.08.2021, Zl. XXXX, und seine Anhaltung in Schubhaft ab 11.08.2021 zu Recht:

A)

I.        Die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid sowie die Anhaltung in Schubhaft am 11.08.2021 wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet abgewiesen.

II.     Der Beschwerde gegen die Anhaltung in Schubhaft ab 12.08.2021 wird gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und die Anhaltung des BF in Schubhaft vom 12.08.2021 bis 20.08.2021 für rechtswidrig erklärt.

III.    Der Antrag des BFA auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid des BFA vom 06.08.2021 wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet, und ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach Entlassung des BF aus der derzeitigen Haft eintreten.

2. Es wurde gegen diesen Bescheid und gegen die Anhaltung des BF in Schubhaft Beschwerde erhoben. Mit Beschwerde wurde ausdrücklich beantragt, eine mündliche Verhandlung zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durchzuführen, auszusprechen, dass die Anhaltung in Schubhaft seit 11.08.2021 (in eventu spätestens seit 16.08.2021) in rechtswidriger Weise erfolgte, und auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des BF nicht vorliegen.

3. Am 17.08.2021 wurde dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) die Beschwerde samt dazugehörigem Akt vorgelegt.

4. Seitens der BBU GmbH, der aufrechten Rechtsvertretung des BF, langte am 19.08.2021 eine schriftliche Stellungnahme ein, in welcher nach Bezugnahme auf die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes vom 18.08.2021, E 3115/2021-4) vorgebracht wurde:

„Der VfGH geht also davon aus, dass anhand der Länderinformationen zu Afghanistan, bereits am 04.08.2021 die Nichtdurchführbarkeit der Abschiebung erkennbar sein musste.“

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger von Afghanistan.

1.2. Er stellte am 11.04.2016 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.3. Mit Bescheid des BFA vom 27.01.2021 wurde dem BF das Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gem. § 13 AsylG rückwirkend mit 05.08.2017 entzogen. Dieser Bescheid erwuchs mit 27.02.2021 in Rechtskraft.

1.4. Mit Bescheid des BFA vom 14.10.2017 wurde der Antrag des BF sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Statuts des Asyl- als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen, ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und dem BF eine Frist für die freiwillige Ausreise von 2 Wochen ab Rechtskraft gewährt.

Nach Erhebung einer Beschwerde dagegen wurde dieser Bescheid mit Erkenntnis des BVwG vom 24.03.2021 bestätigt und ist das Erkenntnis des BVwG mit 26.03.2021 rechtskräftig geworden.

Der BF erklärte sich nicht zur Ausreise bereit. Die Frist für die freiwillige Ausreise ist am 09.04.2021 abgelaufen.

1.5. Am 23.04.2021 wurde ein Heimreisezertifikats- (HRZ-) Verfahren eingeleitet. Dieses wurde mit 19.05.2021 abgeschlossen.

Der BF wurde von der afghanischen Botschaft identifiziert. Die Ausstellung eines Laissez Passer (LP) wurde als „jederzeit möglich“ betitelt und sollte kurz vor der geplanten Abschiebung erfolgen.

Es war ein Charterflug für 07.09.2021 geplant, für welchen auch der BF vorgesehen war.

1.6. Mit Bescheid des BFA vom 06.08.2021 wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet, und ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach Entlassung des BF aus der derzeitigen Haft eintreten.

Der BF wurde am 06.08.2021 zur Verbüßung einer Verwaltungsstrafe in Verwaltungsstrafhaft und am 11.08.2021 in Schubhaft genommen. Auch derzeit befindet sich der BF noch in Schubhaft.

1.7. Der BF wurde in Österreich zweimal strafrechtlich verurteilt, und zwar mit

?        Urteil von August 2017, rechtskräftig mit August 2017, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, und mit

?        Urteil von Jänner 2021, rechtskräftig mit Jänner 2021, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten.

1.8. Der BF hat in Österreich eine Cousine, zu welcher er kein berücksichtigungswürdiges Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis (vorgebracht) hat, ansonsten jedoch keine Familienangehörigen bzw. Verwandte oder sonstige berücksichtigungswürdige Bezugspersonen.

Er ist in Österreich weder sozial noch beruflich verankert.

Der BF ging im Bundesgebiet nie einer Erwerbstätigkeit nach, verfügt nicht über ausreichend Barmittel, um seinen Aufenthalt zu finanzieren bzw. seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, und lebt im Bundesgebiet lediglich von sozialer Unterstützung.

Ein gesicherter Wohnsitz in Österreich liegt zudem nicht vor.

1.9. Es kam zu einer zunehmenden Verschlechterung der Sicherheitslage in Afghanistan:

Die Taliban haben am 12.08.2021 die Stadt Herat und am 14.08.2021 Mazar-e Sharif eingenommen. Am 15.08.2021 besetzten die Taliban die Hauptstadt Kabul.

Von einer zeitnah möglichen Abschiebung des BF – innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer – konnte aufgrund der sich erheblich verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan in Zusammenhang mit der durch die radikalislamistischen Taliban ab 12.08.2021 im Land erfolgten Machtübernahme nicht ausgegangen werden.

2. Beweiswürdigung:

2.2.1. Der Verfahrensgang und die Feststellungen P. 1.1. bis 1.8. beruhen auf dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

2.2.2. Von der unter Punkt II.1.9. festgestellten sich in Afghanistan zunehmend verschlechterten Sicherheitslage wurde laufend in öffentlichen Medien berichtet.

Es ist zudem amtsbekannt, dass eine für 03.08.2021 in Kooperation mit Deutschland geplant gewesene Charterabschiebung nach Afghanistan nicht durchgeführt werden konnte, da von Afghanistan keine Landegenehmigung erteilt wurde.

Wie im Erkenntnis des BVwG vom 19.08.2021, Zl. W282 2242837-2, festgehalten, wurde – wie Medienberichten zu entnehmen ist – von afghanischen Behörden als Grund für die Absage des Charterfluges am 03.08.2021 die COVID-19 Situation genannt. Der Lageeinschätzung der Staatendokumentation vom 02.08.2021 ist noch nicht zu entnehmen, dass die größten Städte Afghanistans vor dem Fall an die Taliban stünden. Es wurde nur festgehalten, dass die Regierung mehr Truppen nach Herat entsende, um die Taliban dort aufzuhalten. Dass der Eroberungsfeldzug der Taliban derart schnell von Statten gehen würde, konnte die belangte Behörde nicht vorausahnen, geht doch aus Medienberichten hervor (z.B.: https://www.zdf.de/nachrichten/politik/afghanistan-sicherheit-evakuierung-kaim-100.html, (15.08.2021); https://www.srf.ch/news/international/vormarsch-der-taliban-ex-nato-general-fall-von-kabul-ist-nur-eine-frage-der-zeit (13.08.2021), dass selbst US-amerikanische Geheimdienste von der Schnelligkeit des Vormarsches der Taliban überrascht waren und bis zum Fall der größten Städte bzw. bis den Fall von Kabul frühestens in einem Zeitraum von 3 bis 4 Monaten erwartet hätten. Auch die vom Bundesamt betriebene Staatendokumentation gab bis dato keine neue Lageeinschätzung seit 02.08.2021 ab.

Somit war nicht ersichtlich, warum schon zum 04.08.2021 – nach Absage des für 03.08.2021 geplant gewesenen Charterfluges – für das BFA die absolute Unmöglichkeit der Durchführung von Abschiebungen erkennbar gewesen sein sollte.

Nach Absage des für 03.08.2021 geplanten Charterfluges fanden weitere Bemühungen um einen neuen Charterflug statt. Ein solcher war für 07.09.2021 vorgesehen.

Erst mit der rapiden Verschlechterung der Sicherheitslage durch Eroberung der größten Städte Herat und Mazar-e-Sharif wurde letztlich offenkundig, dass die Kampfmoral der afghanischen Armee vollständig gebrochen war und diese auch nicht mehr in Lage war, Bevölkerungszentren und die Hauptstadt Kabul vor den Taliban zu schützen.

Da insbesondere die Städte Herat und Mazar-e-Sharif als Hauptzielpunkte für innerstaatliche Fluchtalternativen (IFA) für sog „young able men“ in Afghanistan dienen (unter weiteren in der EASO Country Guidance genannten Voraussetzungen), wird davon ausgegangen, dass mit dem raschen Fall der Stadt Herat im Nordwesten des Landes am 12.08.2021 jener Punkt erreicht war, an dem die belangte Behörde von der Unmöglichkeit der Durchführung von zeitnahen Abschiebungen innerhalb der gesetzlichen Schubhafthöchstgrenzen ausgehen müssen hätte.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A)

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

§ 77 Gelinderes Mittel

Gemäß § 77 Abs. 1 FPG hat das Bundesamt bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1 FPG.

Gemäß § 77 Abs. 2 FPG ist Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

Gemäß § 77 Abs. 3 FPG sind gelindere Mittel insbesondere die Anordnung, (Z 1) in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, (Z 2) sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder (Z 3) eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.

Kommt der Fremde gemäß § 77 Abs. 4 FPG seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.

Gemäß § 77 Abs. 5 FPG steht die Anwendung eines gelinderen Mittels der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

Gemäß § 77 Abs. 6 FPG hat sich zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

Gemäß § 77 Abs. 7 FPG können die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

Gemäß § 77 Abs. 8 FPG ist das gelindere Mittel mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

Gemäß § 77 Abs. 9 FPG können die Landespolizeidirektionen betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Der mit „Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft“ überschriebene § 22a des BFA-Verfahrensgesetzes lautet:

㤠22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn

1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,

2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder

3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.

(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig.“

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

3.1.3. Der BF, afghanischer Staatsangehöriger, besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG.

Im vorliegenden Fall wurde mit Bescheid des BFA vom 06.08.2021 gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung angeordnet, und ausgesprochen, dass die Rechtsfolgen dieses Bescheides nach Entlassung des BF aus der Haft eintreten.

Nach § 76 Abs. 2. Z. 2 FPG darf die Schubhaft nur angeordnet werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist.

Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft sind das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Durchführung bestimmter Verfahren oder der Abschiebung, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt darüber hinaus nur dann in Betracht, wenn die Abschiebung auch tatsächlich im Raum steht.

Mit einer Abschiebung des BF konnte zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft insofern gerechnet werden, als eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vorlag und seitens der afghanischen Botschaft der BF identifiziert und die Ausstellung eines Laissez-Passer (LP) als „jederzeit möglich“ betitelt worden ist und folglich mit dem Erhalt eines solchen vor der geplanten Abschiebung zu rechnen war. Es war ein Charterflug für 07.09.2021 geplant, für welchen auch der BF vorgesehen war.

Bei der Beurteilung ob Fluchtgefahr vorliegt, ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat. Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021).

Zum Zeitpunkt der Anordnung der Schubhaft mit Bescheid des BFA vom 06.08.2021 lag mit der im Wege der negativen Asylentscheidung des BFA vom 14.10.2017 ergangenen mit Zustellung des Erkenntnisses des BVwG vom 24.03.2021 am 26.03.2021 rechtskräftig gewordenen Rückkehrentscheidung eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor. Der BF hat bei einem Rückkehrberatungsgespräch seine Nichtausreisebereitschaft offen kundgetan.

Bei der Beurteilung der Fluchtgefahr ist gemäß § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG auch der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Im gegenständlichen Fall liegt kein gesicherter Wohnsitz im Bundesgebiet vor und hat der BF in Österreich nur eine Cousine, zu welcher jedoch kein Nahe- bzw. Abhängigkeitsverhältnis besteht bzw. glaubhaft gemacht werden konnte, ansonsten jedoch keine Familienangehörigen bzw. Verwandten.

Der BF ist im österreichischen Bundesgebiet zudem weder sozial noch beruflich verankert, und ist in Österreich nie einer legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen und verfügt nicht über ausreichend Existenzmittel um seinen Aufenthalt finanzieren bzw. seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können.

Im gegenständlichen Fall war daher von Fluchtgefahr iSv § § 76 Abs. 3 Z. 3 FPG und § 76 Abs. 3 Z. 9 FPG auszugehen.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF wurde in Österreich insgesamt zweimal – jeweils wegen Suchtgiftdelikten – strafrechtlich verurteilt, und zwar mit

?        Urteil von August 2017, rechtskräftig mit August 2017, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, und mit

?        Urteil von Jänner 2021, rechtskräftig mit Jänner 2021, wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften und Suchtgifthandels zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten.

Die Straffälligkeit des BF im Bundesgebiet hat dazu geführt, dass ihm das Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet entzogen worden ist, und zwar mit Bescheid des BFA vom 27.01.2021, rechtskräftig geworden mit 27.02.2021.

Hervorzuheben ist in Zusammenhang mit den vom BF begangenen Suchtgiftdelikten die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, weshalb das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer wiegt, als das gegenläufige private Interesse des Fremden (vgl. VwGH 14.01.1993, 92/18/0475). In diesem Sinne hat auch der EGMR Suchtgift drastisch als "Geißel der Menschheit" bezeichnet; der Oberste Gerichtshof verwendete die Diktion "gesellschaftlichen Destabilisierungsfaktor" (vgl. OGH 27.4.1995, 12 Os 31, 32/95), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte die verheerende Wirkung von Drogen auf das gesellschaftliche Leben (vgl. EGMR 23.6.2008,1638/03, Maslov gegen Österreich [GK]) und schließlich streicht der VwGH die der Suchmittelkriminalität inhärenten, besonders ausgeprägten Wiederholungsgefahr hervor (vgl. VwGH 29.09.1994, 94/18/0370; VwGH 22.05.2007, 2006/21/0115). In Hinblick auf die "verheerende Wirkung von Drogen auf das Leben von Menschen" brachte auch der EGMR wiederholt sein Verständnis für das restriktive Vorgehen der Mitgliedstaaten gegenüber Personen, die an der Verbreitung von Drogen aktiv mitwirken, zum Ausdruck (vgl. EGMR, 19.02.1998, Dalia gegen Frankreich, Nr. 154/1996/773/974; EGMR vom 30.11.1999, Baghli gegen Frankreich, Nr. 34374/97).

Hingewiesen wird an dieser Stelle zudem darauf, dass gerade Suchtgiftdelinquenzen ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellen, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist, und an deren Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (vgl. VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556, mwN).

Bezüglich dieser vom BF in Zusammenhang mit Suchtgift begangenen für die Gesundheit der Menschen besonders gefährlichen Straftaten wird festgehalten, dass der BF nach seiner ersten rechtskräftigen strafrechtlichen Verurteilung während einer offenen Probezeit von 3 Jahren erneut straffällig geworden ist und seine Straftaten an Schweregrad zugenommen haben und der BF nicht nur wie zuvor durch unerlaubten Umgang mit Suchtgiften sich selbst sondern durch den von ihm dann auch betriebenem Suchtgifthandel andere Personen in ihrer Gesundheit erheblich gefährdet hat.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Anordnung der Schubhaft über den BF jedenfalls als verhältnismäßig iSv § 76 Abs. 2a FPG.

Der BF verfügt in Österreich über keinen gesicherten Wohnsitz, keine Mittel zur Finanzierung seines Aufenthaltes und keine nahen Familienangehörigen oder sonstigen berücksichtigungswürdigen Bezugspersonen und würde sich außerdem bei niemandem bzw. an keiner bestimmten Adresse freiwillig für die Behörden bereithalten wollen, hat er doch seine Nichtausreisewilligkeit im Zuge eines verpflichtenden Rückkehrberatungsgesprächs am 05.05.2021 offen dargelegt.

Die Prüfung, ob auch durch ein gelinderes Mittel iSv § 77 Abs. 3 FPG – insbesondere die Anordnung, in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen, sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen, der Zweck der Schubhaft erreicht werden könnte, ergab, dass dies nicht der Fall ist.

Es war von einer beträchtlichen Gefahr des Untertauchens des BF auszugehen, welcher wirksam nur mit der Verhängung der Schubhaft begegnet werden konnte.

Seitens des BFA war geplant, den BF im Zuge des für 07.09.2021 vorgesehenen Charterfluges nach Afghanistan abzuschieben.

Seitens der afghanische Botschaft konnte der BF identifiziert werden und wurde die Ausstellung eines LP als „jederzeit möglich“ angesehen bzw. vor der geplant gewesenen Abschiebung in Aussicht gestellt.

Die Anordnung der Schubhaft über den BF mit Bescheid des BFA vom 06.08.2021 erfolgte wegen Sicherungsbedarfs zu Recht.

In Afghanistan kam es zu einer zunehmenden Verschlechterung der Sicherheitslage.

Davon wurde laufend in öffentlichen Medien berichtet.

Die Taliban haben am 12.08.2021 die Stadt Herat und am 14.08.2021 Mazar-e Sharif eingenommen. Am 15.08.2021 besetzten die Taliban die Hauptstadt Kabul.

Von einer zeitnah möglichen Abschiebung des BF – innerhalb der zulässigen Schubhafthöchstdauer – konnte aufgrund der sich erheblich verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan in Zusammenhang mit der durch die radikalislamistischen Taliban ab 12.08.2021 im Land erfolgten Machtübernahme nicht ausgegangen werden.

Es wird folglich die Anhaltung des BF in Schubhaft am 11.08.2021 für rechtmäßig, ab Bekanntwerden der sich maßgeblich verschlechterten Lage in Afghanistan mit der Einnahme der Stadt Herat durch die Taliban am 12.08.2021 bis zur Entlassung des BF aus der Schubhaft am 20.08.2021 um 12:00 Uhr jedoch für rechtswidrig erklärt, konnte die belangte Behörde nach Bekanntwerden der sich maßgeblich verschlechterten Sicherheitslage in Afghanistan rund um die Machtübernahme durch die radikalislamistischen Taliban ab 12.08.2021 doch auf keinen Fall mehr von einer zeitnahen die gesetzlichen Höchstgrenzen der Anhaltung in Schubhaft berücksichtigenden möglichen Abschiebung des BF ausgehen.

Der Verfassungsgerichtshof erkannte in einer am Mittwoch, dem 18.08.2021, ergangenen Entscheidung einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des BVwG vom 04.08.2021, womit seitens des BVwG die Fortsetzung der Schubhaft weiterhin als verhältnismäßig erachtet wurde, die aufschiebende Wirkung zu und begründete dies wörtlich wie folgt:

„Vor dem Hintergrund der aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan ist für den VfGH nicht zu erkennen, dass eine zeitnahe – die gesetzlichen Höchstgrenzen der Anhaltung in Schubhaft berücksichtigende – Abschiebung des Antragstellers in seinen Herkunftsstaat möglich ist. Die Verhängung und Aufrechterhaltung der Schubhaft (und der damit einhergehende Freiheitsentzug) erweisen sich jedoch nur dann als verhältnismäßig, wenn das zu sichernde Verfahren letztlich zu einer Abschiebung führen kann.“ (VfGH-Beschluss E 3115/2021-4 vom 18.08.2021)

Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht, sofern die Anhaltung noch andauert, jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Der BF, der am 11.08.2021 in Schubhaft genommen wurde, befindet sich nunmehr nicht mehr in Schubhaft. Er wurde am 20.08.2021 um 12:00 Uhr aus der Schubhaft entlassen.

Da der BF sich nunmehr nicht mehr in Schubhaft befindet, ist mit gegenständlicher Entscheidung nicht (mehr) festzustellen, ob zum Zeitpunkt dieser Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

3.1.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn (Z 1) der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder (Z 2) die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist. Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Das Verwaltungsgericht kann gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG konnte trotz Beantragung einer solchen gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 VwGVG unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichtslage – eindeutig – geklärt erschien und auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Fall zu keinem anderen Entscheidungsergebnis führen können hätte.

3.1.5. Zu einem Kostenersatz

3.1.5.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Gemäß § 35 Abs. 7 VwGVG ist auf Antrag der Partei Aufwandersatz zu leisten. Der Antrag kann bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung gestellt werden.

3.1.5.2. Im gegenständlichen Verfahren wurde mit Schubhaftbeschwerde vom 17.08.2021 sowohl gegen den im Spruch genannten Schubhaftbescheid als auch gegen die Anhaltung in Schubhaft Beschwerde erhoben.

Mit Schubhaftbeschwerde vom 17.08.2021 wurde beantragt, eine mündliche Verhandlung zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durchzuführen, auszusprechen, dass die Anhaltung in Schubhaft seit 11.08.2021 (in eventu spätestens seit 16.08.2021) in rechtswidriger Weise erfolgte, und auszusprechen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des BF nicht vorliegen.

Das BFA hat einen Antrag auf Kostenersatz im Sinne des § 35 VwGVG gestellt, der BF mit Schubhaftbeschwerdeschreiben vom 17.08.2021 nicht.

Die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid sowie gegen die Anhaltung des BF in Schubhaft am 11.08.2021 wurde zwar abgewiesen, gleichzeitig wurde jedoch der Beschwerde gegen die Anhaltung des BF ab 12.08.2021 stattgegeben und die Anhaltung des BF in Schubhaft vom 12.08.2021 bis 20.08.2021 für rechtswidrig erklärt.

Sowohl der BF als auch das BFA sind somit hinsichtlich eines Teiles der zu beurteilenden Schubhaft als endgültig unterlegen zu betrachten. Das steht einem Kostenersatz nach dem gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG auch im Schubhaftbeschwerdeverfahren anwendbaren § 35 VwGVG entgegen (vgl. VwGH vom 26.04.2018, Ra 2017/21/0240). Das Kostenbegehren des BFA wird daher abgewiesen.

3.2. Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufhebung Dauer der Maßnahme mangelnder Anknüpfungspunkt Schubhaft Schubhaftbeschwerde Schubhaftverfahren strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2245487.1.00

Im RIS seit

15.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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