TE Bvwg Beschluss 2021/9/1 W189 2215417-2

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Veröffentlicht am 01.09.2021
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Entscheidungsdatum

01.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
BFA-VG §17
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §32 Abs1 Z2

Spruch


W189 2215417-2/4E
W189 2215419-2/4E

Beschluss

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. RIEPL als Einzelrichterin über die Anträge des 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb. XXXX , beide StA. Somalia, vertreten durch XXXX – „Asyl in Not“, Währinger Straße 59/2/1, 1090 Wien, auf Wiederaufnahme der mit Erkenntnis vom 14.05.2020, Zlen. 1. W189 2215417-1/14E und 2. W189 2215419-1/14E abgeschlossenen Verfahren:

A)

I. Die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren werden gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.

II. Die Anträge auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG werden als unzulässig zurückgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstwiederaufnahmewerber und der Zweitwiederaufnahmewerber (in der Folge: der WA1 und der WA2, bzw. zusammen: die WA), Staatsangehörige von Somalia, stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 28.09.2018 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurden am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

Die WA gaben zu Protokoll, in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) geboren zu sein und dort gelebt zu haben. Die Familie lebe in den VAE, eine Halbschwester in Schweden, der Vater sei verstorben.

Zu den Fluchtgründen brachte der WA1 vor, dass er sich in Somalia aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Midgan verfolgt fühle. Seine Familie lebe in Abu Dhabi. Der WA1 könne nicht in Somalia bleiben, weil er dort niemanden habe. Es sei dort nicht sicher. Der WA1 habe nicht in Abu Dhabi bleiben können, weil „wir“ dort illegal gewesen seien und keine Papiere gehabt hätten. Zu seinen Befürchtungen im Falle einer Rückkehr nach Somalia gab der WA1 an, dass er Angst um sein Leben habe, weil es dort nicht sicher sei. Er habe dort niemanden.

Der WA2 brachte zu den Fluchtgründen vor, dass in Somalia Krieg herrsche und er niemanden in Somalia habe. Die Volksgruppe des WA2 sei eine Minderheit. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen befragt, gab der WA2 an, Angst zu haben.

2. Am 16.10.2018 teilten die slowenischen Behörden mit, über keine Daten zu den WA zu verfügen.

3. Am 02.11.2018 teilten die kroatischen Behörden mit, ebenso über keine Daten zu den WA zu verfügen.

4. Am 18.12.2018 wurden die WA durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) niederschriftlich einvernommen.

Der WA1 gab darin zunächst Protokoll, dass sein Name XXXX sei. Der WA2 gab an, dass sein Name XXXX sei.

Der WA1 gab im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass die WA ein Problem mit dem Haus ihres Vaters gehabt hätten, als sie von Abu Dhabi nach Somalia abgeschoben worden seien. Die Mutter des WA1 habe gesagt, dass die WA in das Haus des Vaters in XXXX ziehen sollten. Dort hätten jedoch andere Leute gewohnt, die das Haus nicht verlassen hätten wollen. Der WA1 glaube, dass diese Leute falsche Besitzdokumente gehabt hätten. Dann habe es viele Probleme gegeben, diese habe jedoch der WA2 geregelt. Danach hätten Bekannte, Onkeln und Tanten die WA zu ihnen mitgenommen und sie hätten bei diesen Verwandten bis zur Ausreise gelebt. Mehr wisse der WA1 nicht, da der WA2 immer alles geregelt habe.

Der WA2 gab im Wesentlichen zu seinen Fluchtgründen an, dass er und der WA1 von Abu Dhabi nach Somalia abgeschoben worden seien, weil nach dem Tod des Vaters der Aufenthaltstitel nicht verlängert worden sei. Seine Mutter habe ihm gesagt, dass sein Vater in XXXX ein Haus habe und er dorthin gehen solle. Als die WA in XXXX angekommen seien, hätten andere Leute in diesem Haus gewohnt. Die WA hätten dennoch ein Zimmer im Haus bekommen. Die WA hätten mit den Leuten diskutiert und erklärt, dass das Haus ihrem Vater gehöre. Die Leute hätten das Haus nicht verlassen wollen. Dann hätten die WA mit den Dorfältesten gesprochen. Diese seien zu ihnen gekommen und hätten mit den Leuten sprechen wollen, die das Haus besetzt halten würden. Die Dorfältesten hätten den WA nicht helfen können, da diese Leute falsche Dokumente gehabt hätten und gesagt hätten, dass dies ihr Haus sei. Danach seien die WA von den Leuten bedroht worden, das Haus zu verlassen. Es habe Streitereien gegeben, Leute seien ins Gefängnis gegangen. Auch der Onkel des WA2 habe nicht helfen können. Die Dorfältesten hätten die WA aufgenommen. Der WA2 habe danach mit seiner Mutter gesprochen. Diese habe mit den Dorfältesten gesprochen, dass sie die WA unterstützen sollen, das Land zu verlassen. Danach seien die WA ausgereist.

5. Am 04.01.2019 legten die WA zwei Schulzeugnisse und eine Todesurkunde vor.

6. Mit Bescheiden des BFA vom 24.01.2019 wurden die Anträge auf internationalen Schutz der WA bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel gem. § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), und festgestellt, dass die Abschiebung nach Somalia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

7. Mit Schriftsatz vom 21.02.2019 erhoben die WA binnen offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde und brachten im Wesentlichen vor, dass das BFA aus dort genannten Gründen ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt habe, da die Länderfeststellungen mangelhaft seien, ebenso die Beweiswürdigung mangelhaft sei und daraus die inhaltliche Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide folge.

8. Das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge: BVwG) führte am 19.02.2020 eine (erste) öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Somali durch, an welcher die WA, ihre Rechtsvertretung und ein Vertreter des BFA teilnahmen. Die WA wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen. Aufgrund von vorgebrachten Verständigungsschwierigkeiten wurde die Verhandlung vertagt.

9. Mit Schriftsatz vom 24.02.2020 machte der WA2 eine Protokollrüge geltend.

10. Das BVwG führte am 06.03.2020 eine (zweite) öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines geeigneten Dolmetschers für die Sprache Arabisch durch, an welcher die WA, ihre Rechtsvertretung und ein Vertreter des BFA teilnahmen. Die WA wurden ausführlich zu ihrer Person und den Fluchtgründen befragt, und es wurde ihnen Gelegenheit gegeben, die Fluchtgründe umfassend darzulegen sowie zu den im Rahmen der Verhandlung in das Verfahren eingeführten und ihm mit der Ladung zugestellten Länderberichten Stellung zu nehmen. Der WA1 legte ein Empfehlungsschreiben vor.

11. Mit Schriftsatz vom selben Tag brachte das BFA eine Stellungnahme ein.

12. Mit Schriftsatz vom 11.03.2020 brachten die WA eine Stellungnahme zu den Länderberichten ein.

13. Mit Erkenntnis vom 14.05.2020, Zlen. 1. W189 2215417-1/14E und 2. W189 2215419-1/14E wies das BVwG die Beschwerden der WA gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005, § 8 Abs. 1 AsylG 2005, § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 FPG, § 52 Abs. 9 FPG sowie § 55 Abs. 1 FPG, als unbegründet ab.

Die tragenden
Entscheidungsgründe dieses Erkenntnis des BVwG vom 14.05.2020 seien hier auszugsweise, soweit sie für die gegenständliche Antragstellung auf Wiederaufnahme der Verfahren von Relevanz sind, in Grundzügen - wiedergegeben:

„1.      Feststellungen:

1.1. Zur Person der BF

Die BF sind volljährige, somalische Staatsangehörige sunnitisch-muslimischen Glaubens. Die BF  sind    nicht   der     Volksgruppe  der     Madhibaan  (Midgan)  zugehörig. Die Volksgruppenzugehörigkeit kann im Übrigen nicht festgestellt werden. Die BF sprechen Somali, Arabisch und ein wenig Englisch. Die BF können jedenfalls Somali und Arabisch ebenso lesen und schreiben. Der BF1 hat elf Jahre die Schule besucht. Der BF2 hat zwölf Jahre die Schule besucht und abgeschlossen. Die BF sprechen nicht Deutsch.

Die BF wurden in Abu Dhabi, VAE, geboren und sind dort aufgewachsen. Vor ihrer Ausreise nach Europa lebten sie in XXXX , Somalia, im Haus des Vaters. Die BF haben eine Unterkunft in XXXX . Sie haben nie gearbeitet. Der Vater der BF ist verstorben, die Mutter, zwei Brüder und fünf Schwestern leben in Abu Dhabi. Eine Halbschwester lebt in Schweden. Ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits sowie ein Onkel väterlicherseits leben mit ihren Familien in XXXX in der Nähe des väterlichen Hauses. Die BF stehen in Kontakt mit ihrer Familie in Abu Dhabi und können jedenfalls dadurch Kontakt mit ihrer Verwandtschaft in XXXX herstellen.

Die BF sind ledig, kinderlos und gesund.

Sie sind strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zum Fluchtvorbringen der BF

Die BF wurden in XXXX nicht aufgrund von Eigentumsstreitigkeiten über das väterliche Haus bedroht. Sie werden nicht aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit bedroht.

1.3. Zur maßgeblichen Situation in Somalia

Aus     den     ins      Verfahren  eingeführten  und     im       Länderinformationsblatt  der Staatendokumentation vom 17.09.2019 (in der Folge: LIB) zitierten Länderberichten zur Lage in Somalia ergibt sich Folgendes:

[ … ]


1.3.3. Berufsständische Minderheiten

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung. Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen aber nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können. Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet. Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v.a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S.14ff).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe auf oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S.43f). In XXXX sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potentiell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S.3).

Zur Diskriminierung berufsständischer Kasten trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S.44ff). Insgesamt sei die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z.B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S.44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S.49).

[ … ]

1.4. Zur Situation der BF im Falle einer Rückkehr

Den BF – jungen, gesunden, arbeitsfähigen Männern – ist die Rückkehr nach Somalia, und zwar nach XXXX , wo die BF vor der Ausreise gelebt haben, wo sie ein Haus und somit Unterkunft besitzen, und wo sich nahe Verwandte aufhalten, zumutbar.

Im Falle einer Rückkehr würden sie in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es würde ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen werden.

Sie laufen nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten.

Im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat sind die BF nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.

Außergewöhnliche Gründe, die eine Rückkehr ausschließen, konnten nicht festgestellt werden.

[ … ]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der BF

2.1.1. Die Identität konnte mangels Vorlage von Dokumenten nicht bewiesen werden, weshalb hinsichtlich der Namen und der Geburtsdaten Verfahrensidentität vorliegt. Vielmehr waren die Angaben der BF zu diesen Daten von Widersprüchen geprägt. Während der BF1 in der Erstbefragung am 28.09.2018 noch zu Protokoll gab, XXXX zu heißen (AS 1), behauptete er in der Einvernahme am 18.12.2018, dass sein Name XXXX sei (AS 31). Seine Mutter in Abu Dhabi besitze Dokumente und er könne diese besorgen (AS 49). In der Folge legte der BF1 lediglich die Kopie eines Schulzeugnisses auf den Namen „ XXXX “ vor, dem zudem kein Geburtsdatum zu entnehmen ist (AS 67). In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2020 rechtfertigte der BF1 sich damit, dass die BF ihre Dokumente auf der Reise verloren hätten. Sein Bruder, der BF2, hätte die Dokumente in Serbien verloren (Niederschrift der mündlichen Verhandlung (in der Folge: NSV) vom 19.02.2020, S. 5). Dies ist aber insoweit nicht glaubhaft, als der BF1 in der Erstbefragung angab, mit einem gefälschten somalischen Reisepass ausgereist zu sein, den er in der Türkei weggeworfen habe (AS 5). Weiters gab der BF1 in jener mündlichen Verhandlung an, dass seine Mutter gedacht habe, dass ein Schulzeugnis zur Vorlage ausreiche (NSV vom 19.02.2020, S. 5f). Der – rechtlich vertretene – BF1 legte aber auch seit jener Verhandlung keine Identitätsdokumente oder zumindest Kopien von diesen vor, obwohl er regelmäßig in Kontakt mit seiner Mutter stehe (AS 47). Der BF2 wiederum gab in der Erstbefragung an, XXXX zu heißen und am XXXX geboren zu sein (AS 1), behauptete aber sodann in der Einvernahme, dass sein Name XXXX sei, wobei er bei seinem Geburtsdatum blieb (AS 25). Auch er gab an, dass seine Mutter in Abu Dhabi auf ihn ausgestellte Identitätsdokumente besitze und er diese besorgen könne (AS 39). Der BF2 legte in der Folge ebenso lediglich die Kopie eines Schulzeugnisses auf den Namen „ XXXX “ vor, dem jedoch das Geburtsdatum 16.08.1993 zu entnehmen ist (AS 57). In der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2020 wandte der BF2 gegen die Niederschrift ein, dass er nicht am 18.06.1993, sondern am 06.08.1993 geboren sei (NSV vom 19.02.2020, S. 11). In einer Protokollrüge vom 24.02.2020 merkte der BF2 an, dass er angegeben habe, am 16.08.1993 geboren zu sein und bei der Protokollierung wohl ein Tippfehler unterlaufen sei (OZ 8). In der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2020 gab der BF2 aber wiederum an, am 18.06.1993 geboren zu sein. Auf Vorhalt der Diskrepanz rechtfertigte der BF2 sich damit, dass er sein Geburtsdatum unabsichtlich verwechselt habe. Auch bei der Erstbefragung sei er nervös gewesen, wodurch er nicht sein richtiges Geburtsdatum nennen habe können. Darüber hinaus habe er in der Erstbefragung aufgrund seiner Nervosität auch seinen Spitznamen statt seinen richtigen Namen genannt (NSV vom 06.03.2020, S. 4). Es ist allerdings völlig lebensfremd, dass der BF2 aus behaupteter Nervosität mehrfach ein falsches Geburtsdatum und zudem auch einen falschen Namen angeben würde. Der BF2 gab in der mündlichen Verhandlung an, dass er sein Geburtsdatum nach der Erstbefragung nicht mehr ausbessern habe können, weil ihm in der Einvernahme gesagt worden sei, dass die Richterin bei der Verhandlung darüber entscheiden müsse (NSV vom 06.03.2020, S. 4f), was aber schon deshalb nicht glaubhaft ist, weil es ihm in jener Einvernahme auch möglich war, einen anderen Namen anzugeben und dieser entsprechend protokolliert wurde. Hätte er ein anderes Geburtsdatum angegeben, wäre daher auch dieses entsprechend protokolliert worden. In der mündlichen Verhandlung befragt, weshalb er bisher keine Identitätsdokumente vorlegte, wich der BF2 aus, dass er diese vorlegen könne, wenn das Gericht diese brauche (NSV vom 06.03.2020, S. 6). Aber auch seit dieser Verhandlung langten keine Dokumente oder zumindest Kopien dieser ein.

Gesamt betrachtet war daher davon auszugehen, dass die von den BF angegebenen Identitäten hinsichtlich Namen und Geburtsdatum falsch sind und die BF aus diesem Grund absichtlich keine Identitätsdokumente vorlegten.

[ … ]

2.1.3. Dass die BF der Volksgruppe der Madhibaan angehören, war nicht glaubhaft.

Zwar gaben die BF im Laufe des Verfahrens durchgehend an, dieser Volksgruppe anzugehören. Jedoch gab der BF2 in der Einvernahme ebenso an, dass sein Vater einen Universitätsabschluss gehabt habe (AS 47). Zwar führte er in der mündlichen Verhandlung am 06.03.2020 aus, dass sein Vater in Abu Dhabi studiert habe, bestätigte aber, dass er zuvor eine entsprechend gute Ausbildung genossen habe, um dadurch in den VAE die Berechtigung für ein Hochschulstudium zu erlangen (NSV vom 06.03.2020, S. 13). Vor dem Hintergrund der unter Punkt 1.3. zitierten Länderberichte, wonach Angehörige der Madhibaan noch zur Jahrtausendwende nicht einmal die Schule besuchen konnten, ist aber nicht nachvollziehbar, wie der Vater der BF – laut vorgelegter Sterbeurkunde im Jahr 2015 im Alter von 62 Jahren verstorben (AS 61 zum BF2) – eine derart gute Bildung erreichen habe können, dass er sogar zu einem Universitätsstudium in den VAE zugelassen worden sei. Zudem brachte der BF2 – wenn auch nicht glaubhaft (s. Punkt 2.2) – in der Einvernahme vor, dass aufgrund der behaupteten Eigentumsstreitigkeiten die Dorfältesten eingeschaltet worden seien (AS 41f). Auch dies würde bei Wahrunterstellung darauf hindeuten, dass es eine entsprechende Anzahl an Clanangehörigen an jenem Ort leben würden, was aber eher für einen Mehrheitsclan sprechen würde, zumal die Mahdibaan laut zitierten Länderberichten weniger strikt organisiert sind und in allen Teilen Somalias verstreut leben.

Gesamt betrachtet und in Zusammenhang mit der auch sonst festzustellenden Unglaubwürdigkeit der BF war daher festzustellen, dass die BF nicht der Volksgruppe der Madhibaan angehören, wobei nicht festgestellt werden kann, welcher Volksgruppe sie im Übrigen tatsächlich angehören.

[ … ]

2.2. Zum Fluchtvorbringen

2.2.1. Die Feststellung, dass die BF in Somalia nicht aufgrund von Eigentumsstreitigkeiten bedroht wurden und ebenso aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit nicht bedroht werden, ergibt sich daraus, dass das Fluchtvorbringen des BF nicht glaubhaft ist. Insoweit mangelt es bereits in hohem Maße an der persönlichen Glaubwürdigkeit der BF. Aber auch unabhängig davon ergaben sich erhebliche Ungereimtheiten.

[ … ]

2.2.6. Soweit die BF noch in der Erstbefragung vorbrachten, aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit bedroht zu sein (AS 6 jeweils zum BF1 und zum BF2), ist dies schon deshalb nicht glaubhaft, weil bereits die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Mahdibaan selbst nicht glaubhaft war (s. Punkt 2.1.3.). Weiters gaben die BF in der Einvernahme ausdrücklich an, nur wegen der Eigentumsstreitigkeiten am Haus Somalia verlassen zu haben und sonst keine anderen Fluchtgründe zu haben, bzw. sie weder aus ethnischen Gründen in Somalia eine Verfolgung oder Bedrohung zu befürchten hätten noch aufgrund ihrer Volksgruppe jemals mit dem Tod bedroht oder verfolgt worden seien (AS 51f zum BF1; AS 43f zum BF2). In den Beschwerden wurden zwar Ausführungen über die Volksgruppe der Madhibaan getätigt; dass die BF selbst bedroht worden seien, wurde jedoch ebenso nicht behauptet (AS 219ff zum BF1; AS 221ff zum BF2). Im weiteren Verfahren brachte nur mehr der BF2 im Zuge der mündlichen Verhandlung vom 06.03.2020 – und auch dies nur auf entsprechenden Vorhalt – vor, der Volksgruppe der Madhibaan anzugehören (NSV vom 06.03.2020, S. 13). Konkrete Befürchtungen oder Probleme brachte er aber nicht vor. Zumal die BF auch offenkundig ihr Fluchtvorbringen zwischen Erstbefragung und Einvernahme austauschten (s. Punkt 2.2.2.), die Volksgruppenzugehörigkeit ebenso für sich genommen nicht glaubhaft war (s. Punkt 2.1.3.), war daher auch eine Bedrohung aufgrund dieser Zugehörigkeit nicht glaubhaft und nicht anzunehmen.

2.4. Zur Rückkehrsituation des BF

2.4.1. Die BF verfügen in XXXX über Verwandtschaft, nämlich einen Onkel und eine Tante mütterlicherseits sowie einen Onkel väterlicherseits mit ihren jeweiligen Familien, die in der Nähe des väterlichen Hauses leben (AS 45f zum BF1; AS 37 zum BF2). Der BF1 gab im Übrigen darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2020 an, „viele Familienmitglieder“ in XXXX zu haben (NSV vom 19.02.2020, S. 8). Weiters besitzen die BF in XXXX ein Haus, das von ihrem verstorbenen Vater erbaut wurde, und in dem sie schon vor ihrer Ausreise aus Somalia gewohnt haben (s. Punkt 2.1.6.). Die Mutter, zwei Brüder und fünf Schwestern der BF leben in Abu Dhabi (AS 3 jeweils zum BF1 und zum BF2) und es besteht regelmäßiger Kontakt zu ihnen (AS 47 zum BF1; AS 39 zum BF2). Die Mutter der BF wiederum steht jedenfalls in Kontakt mit der Verwandtschaft in XXXX (NSV vom 19.02.2020, S. 7; NSV vom 06.03.2020, S. 10) und konnte dieser schon bisher Geld überweisen (NSV vom 06.03.2020, S. 10). Die Frau eines Bruders der BF in Abu Dhabi geht einer Arbeit nach (AS 47 zum BF1; AS 37 zum BF2), ebenso wie die Ehemänner der Schwestern der BF (AS 47 zum BF2). Die Mutter hat bereits die Schleppung der BF bezahlt (s. bspw. AS 49 zum BF1; AS 39 zum BF2). Zumal das Fluchtvorbringen nicht glaubhaft war, sind keine Anhaltspunkte dafür hervorgekommen, dass die BF im Falle einer Rückkehr nach XXXX auf dieses soziale Netz und die damit verbundene Unterkunft und finanzielle Hilfe nicht mehr zugreifen könnten, zumal die BF schon vor ihrer Ausreise aus Somalia in jener Unterkunft lebten und selbst angaben, „sehr gut“ mit Lebensmitteln versorgt gewesen zu sein (AS 53 zum BF1; AS 45 zum BF2). Darüber hinaus verfügen die BF über eine gute Schulbildung, sprechen neben Somali auch Arabisch und ein wenig Englisch (AS 35 zum BF1; AS 29 zum BF2), sind im erwerbsfähigen Alter und auch bereit, einfache manuelle Tätigkeiten auszuüben (NSV vom 06.03.2020, S. 16).

2.4.2. Dass im Falle einer Abschiebung in den Herkunftsstaat die BF in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären, ist – zumal aufgrund der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens – anhand der Länderberichte nicht objektivierbar.

2.4.3. Sonstige außergewöhnliche Gründe, die einer Rückkehr entgegenstehen, haben die BF nicht angegeben und sind auch vor dem Hintergrund der zitierten Länderberichte nicht hervorkommen.

[ … ]“

14. Mit Beschluss des VwGH vom 10.09.2020, Zlen. Ra 2020/01/0215 bis 0216-6, wurde die gegen das Erkenntnis erhobene außerordentliche Revision der WA zurückgewiesen. Mit Beschluss des VfGH vom 24.11.2020, Zlen. E 3433/2020-7, E 3459/2020-6, wurde die Behandlung der gegen das Erkenntnis erhobenen Beschwerde der WA abgelehnt.

15. Die WA beantragten mit an das BVwG, unter Bezugnahme auf die GZ W189 2215419-1/14E, gerichteten, je gleichlautenden Eingaben vom 08.07.2021 die Wiederaufnahme der mit Erkenntnis des BVwG abgeschlossenen Asylverfahren und stützten sie sich auf § 69 Abs. 1 Z 2 AVG. Weiters beantragten die WA die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG. Abschließend beantragten die WA, die vollständige Ermittlung des Sachverhalts, durch eine ergänzende Befragung, und die Erstellung eines Gutachtens zur Situation der Madhibaan in Somalia.

Begründend führten sie unter der Überschrift „I. Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Asylverfahrens“ im Wesentlichen unter Bezugnahme auf § 69 AVG aus, es liege ein abgeschlossenes Verfahren vor, da am 14.05.2020 das Erkenntnis des BVwG erlassen worden sei, mit dem die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 24.01.2019, hinsichtlich Spruchpunkt I. und Spruchpunkt II., unbegründet abgewiesen worden sei. Weiters wurde im Wesentlichen ausgeführt, die den Anträgen beigelegten Zertifikate seien von einer norwegischen Organisation für somalische Minderheiten (Somali International Minorities of Norway) ausgestellt worden, welche die Zugehörigkeit der WA zur Volksgruppe der Madhibaan klar belegen würden. Der Antrag sei rechtzeitig iSd. § 69 Abs. 2 AVG eingebracht, da das Zertifikat erst am 15.06.2021 aus Norwegen abgeschickt worden sei und am 28.06.2021 ins Postfach der Rechtsvertretung Asyl in Not in der Währinger Straße 59/2/1, 1090 Wien, eingelangt sei. Die Kopie der Urkunden würden bezeugen können, dass sowohl der der WA1 als auch der WA2 der Volksgruppe der Madhibaan zugehörig seien. Das gesellschaftliche System in Somalia richte sich ausschließlich nach der ständischen Zugehörigkeit. Wie im Erkenntnis des BVwG oftmals hervorgehe, stünden berufsständische Gruppe an der untersten Stelle in der sozialen Hierarchie der Gesellschaft. Die WA hätten sowohl in der Einvernahme vom 18.12.2018 vor dem BFA, als auch bei den jeweiligen Verhandlungen am 19.02.2020 sowie am 06.03.2020 glaubhaft dargelegt, dass sie der Minderheit der Madhibaan angehören würden. Es sei durchwegs bekannt, dass Mitglieder der Madhibaan in XXXX sowie in ganz Somalia strukturell diskriminiert würden und deswegen eine erhöhte Gefahr von Verfolgung ausgehe. Aufgrund der neuen Beweislage seien die Feststellungen über die Identitäten der WA und die von diesen abgeleiteten rechtlichen Beurteilungen im dem Erkenntnis des BVwG vom 14.05.2020 nicht standhaft, weshalb das Verfahren wiederaufzunehmen und die Flüchtlingseigenschaft erneut zu prüfen sei.

Hinsichtlich der beantragten Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG wurde im Wesentlichen ausgeführt, gegenständlich sei, wie bereits ausgeführt, eine Verletzung von Art. 3 und Art. 8 EMRIK im Fall einer Außerlandesbringung der WA nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit auszuschließen, weshalb aufschiebende Wirkung zuerkannt werden müsse. Im Falle der WA, die der marginalisiertesten Berufsgruppe Somalias angehören würden, sei in jedem Fall von einer realen Gefahr der Verletzung der Art. 2, 3 und 8 EMRK auszugehen. Aufgrund der Vertreibung aus dem Haus der WA könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie über eine Unterkunft verfügen und sie wären einer großen existenziellen Not ausgesetzt. Eine Außerlandesbringung widerspräche dem Refoulement-Verbot. Ein besonderes Interesse der Republik an einer Außerlandesbringung sei in diesem Fall nicht zu erkennen und überwiege das persönliche Interesse der WA und Recht auf ein faires Asylverfahren.

Den Eingaben waren jeweils Kopien von, im Antrag als „Zertifikate“ bezeichnete, Beweismittel, datiert mit 03.06.2021, in englischer Sprache beigefügt, welche von einer norwegischen Organisation für somalische Minderheiten (Somali International Minorities of Norway) ausgestellt worden seien und welche insbesondere die Zugehörigkeit der WA zur Volksgruppe der Madhibaan klar belegen würden. Im Übrigen waren als „CERTIFICATE OF RECOGNITION“ von der nämlichen Organisation, datiert mit nämlichem Tag, den Anträgen jeweils beigelegt.

16. Beweis wurde erhoben durch die Einsichtnahme in den verwaltungsgerichtlichen Akt unter zentraler Zugrundelegung der schriftlichen Angaben der WA und der vorgelegten Beweismittel.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter I. getroffenen Ausführungen.

2. Beweiswürdigung:

Der gegenständlich relevante Verfahrensgang und die relevanten Feststellungen ergeben sich ohne entscheidungswesentliche Widersprüche aus dem unbedenklichen Inhalt des Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens und der Gerichtsakten des BVwG, sodass sich eine eingehende Beweiswürdigung erübrigt.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/3, idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.).

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Zu Spruchteil A)

3.2. Spruchpunkt I.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Wiederaufnahme bei Fehlen der Prozessvoraussetzungen zurückzuweisen. Liegt der geltend gemachte Wiederaufnahmegrund nicht vor, ist der Antrag abzuweisen (bzw. ihm nicht stattzugeben), anderenfalls zu bewilligen (bzw. dem Antrag stattzugeben). In welcher Erledigungsform das Verwaltungsgericht zu entscheiden hat, ist gesetzlich nicht angeordnet. Der allgemeinen Systematik des VwGVG folgend ist anzunehmen, dass sämtliche Entscheidungen über Wiederaufnahmeanträge – als selbständige Erledigungen – in Beschlussform erfolgen (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren2 § 32 VwGVG Anm. 13 mwN. (Stand 1.10.2018, rdb.at)).

3.2.1. Die WA richteten ihre als „Wiederaufnahme meines Asylverfahrens nach §69 Abs 1 2. AVG“ bezeichnete Anbringen an das BVwG, jeweils unter Bezugnahme auf die „GZ: W189 2215419-1/14E“.

Nach der Rechtsprechung des VwGH sind die §§ 69 ff AVG auf durch Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte abgeschlossenen Verfahren nicht anwendbar, ihre Wiederaufnahme kann ausschließlich mit einem Antrag gemäß § 32 VwGVG angestrebt werden (vgl. VwGH vom 21.12.2016, Ra 2016/12/0106).

Der VwGH hat in Zusammenhang mit einem durch Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahren, in welchem nach Verfahrensabschluss ein Wiederaufnahmeantrag gestützt auf § 69 AVG an die erstinstanzliche Behörde gerichtet wurde, insbesondere ausgesprochen, dass sich ein von einem Rechtsvertreter ausdrücklich auf § 69 AVG gestützter Antrag auf Wiederaufnahme als unzulässig erweise. Ein Wiederaufnahmeantrag nach § 32 VwGVG sei der "Sache" nach mit dem gestellten nach § 69 AVG nicht ident, sodass nicht von der Einbringung eines Antrages nach § 32 VwGVG bei der hiefür unzuständigen erstinstanzlichen Behörde auszugehen gewesen sei (vgl. VwGH vom 28.02.2019, Ra 2019/12/0010).

Im Zusammenhang mit einem asyl- bzw. fremdenrechtlichen Verfahren hat der VwGH in der Konstellation, in der ein durch Erkenntnis des BVwG abgeschlossenes Verfahren vorlag, ausgesprochen, dass der von der Rechtsvertretung des Revisionswerbers ausdrücklich auf § 69 AVG gestützte Wiederaufnahmeantrag, in dem überdies explizit die Zuständigkeit des BFA zur Entscheidung über diesen Antrag geltend gemacht wurde, als unzulässig zu beurteilen war (vgl. VwGH vom 04.03.2020, Ra 2020/18/0069).

Nach stRsp des VwGH sind Parteienerklärungen im Verfahren ausschließlich nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen. Entscheidend ist, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei der Ermittlung von Rechtsqualität und Inhalt eines Anbringens kommt es nach der Rsp nicht auf die Bezeichnung durch den Einschreiter bzw. auf „zufällige Verbalformen“, sondern auf den Inhalt der Eingabe an, also auf das daraus erkenn- und erschließbare Ziel (Begehren) des Einschreiters. Bei antragsbedürftigen Verwaltungsakten ist es unzulässig, entgegen dem erklärten Willen der Partei ihrem Begehren eine Deutung zu geben, die aus dem Wortlaut des Begehrens nicht unmittelbar erschlossen werden kann, auch wenn das Begehren, so wie es gestellt wurde, von vornherein aussichtslos oder gar unzulässig sein mag. Es ist der Behörde nicht gestattet, einem unklaren Antrag von vornherein einen für den Antragsteller ungünstigen Inhalt zu unterstellen. Es darf im Zweifel nicht davon ausgegangen werden, dass eine Partei einen von vornherein sinnlosen oder unzulässigen Antrag gestellt hat oder einen Antrag an eine unzuständige Behörde richtet. Besondere Vorsicht ist bei der Auslegung einer Parteienerklärung dahingehend geboten, dass die Partei nicht um ihren Rechtsschutz gebracht wird. Diese ist nur dann zulässig, wenn die entsprechenden Erklärungen der Partei keine Zweifel offenlassen. Gegebenenfalls hat die Behörde auch hier eine Klarstellung durch die Partei herbeizuführen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 13 (Stand 1.1.2014, rdb.at) Rz 38 f mwN.)

Gegenständlich deutet die BVwG gegenständlichen Anbringen als Anträge auf Wiederaufnahme durch Erkenntnis des BVwG abgeschlossene Verfahren iSd. § 32 VwGVG, denn die WA haben, im Gegensatz zur obig zitierten Rechtsprechung des VwGH, ihr Anbringen an das BVwG, und nicht an das BFA als erstinstanzliche Behörde, gerichtet. Darüber hinaus bezogen sich die WA in jenen Anbringen auf die GZ: W189 2215419-1/14E – jene ist unter anderem auf der gemeinsamen Ausfertigung des verfahrensbeendeten Erkenntnisses angeführt. In den Anbringen erfolgte weiters ein Bezug auf das Erkenntnis vom 14.05.2020, wodurch in den Anbringen offenkundig von durch Erkenntnis abgeschlossenen Verfahren ausgegangen wird. Zu berücksichtigen ist auch, dass seitens der WA abschließend ausgeführt wurde, dass aufgrund der neuen Beweislage die Feststellungen über die Identitäten der Antragsteller und die von diesen abgeleiteten rechtlichen Beurteilungen in dem Erkenntnis des BVwG vom 14.05.2020 nicht standhaft seien, weshalb das Verfahren wiederaufzunehmen und die Flüchtlingseigenschaft erneut zu prüfen sei. Ebenso deutet – vor dem Hintergrund, dass jenes Anbringen an das BVwG gerichtet ist, die Beantragung der vollständigen Ermittlung des Sachverhalts, durch eine ergänzende Befragung, darauf hin, dass das bereits abgeschlossene Verfahren durch das BVwG neuerlich durchgeführt werden soll. Die Bezeichnung der Überschrift in der Begründung der Anbringen mit „I. Wiederaufnahme des erstinstanzlichen Asylverfahrens“ vermag daran nichts zu ändern, zumal in keiner Weise eine neuerliche Entscheidung durch das BFA, als erstinstanzliche Behörde, begehrt wird. Im Übrigen entspricht der Wiederaufnahmegrund des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG im Administrativverfahren dem des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG im verwaltungsgerichtlichen Verfahren (Wiederaufnahmegrund der neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismittel) und kann aus alledem gegenständlich als erkennbares bzw. zu erschließendes Ziel des Parteischrittes nur die Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gedeutet werden. Die WA haben sich offenkundig bloß in der korrekten Bezeichnung der Rechtsgrundlage verbal vergriffen. Eine Deutung der Anbringen als an das BVwG gerichteten Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 69 AVG würde den WA die Rechtsverteidigungsmöglichkeiten nehmen, weil sich hierdurch gegenständliche Anbringen aufgrund der vorliegenden Aktenlage sowie Rechtslage als unzulässig erweisen würden. Eine Deutung als Antrag auf Wiederaufnahme gemäß § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG kann aufgrund der obigen Ausführungen aus dem Erklärten in jenen Anbringen erfolgen und wahrt die Rechtsverteidigungsmöglichkeiten der WA.

3.2.2. Die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens in § 32 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG idgF lauten wie folgt:

„Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1.       das Erkenntnis durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2.       neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3.       das Erkenntnis von Vorfragen (§ 38 AVG) abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. vom zuständigen Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde oder

4.       nachträglich ein Bescheid oder eine gerichtliche Entscheidung bekannt wird, der bzw. die einer Aufhebung oder Abänderung auf Antrag einer Partei nicht unterliegt und die im Verfahren des Verwaltungsgerichtes die Einwendung der entschiedenen Sache begründet hätte.

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Das Verwaltungsgericht hat die Parteien des abgeschlossenen Verfahrens von der Wiederaufnahme des Verfahrens unverzüglich in Kenntnis zu setzen.

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“

3.2.3. In der Regierungsvorlage zum Verwaltungsgerichtsbarkeits-Ausführungsgesetz 2013 (ErläutRV 2009 BlgNR 24. GP) ist festgehalten, dass die Bestimmungen über die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im VwGVG weitgehend den Bestimmungen der §§ 69 bis 72 AVG mit den entsprechenden Anpassungen auf Grund der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz entsprechen. Durch den Ausschluss der Anwendung des IV. Teiles des AVG in § 17 VwGVG ist das AVG in diesem Bereich für unanwendbar erklärt worden, wobei auf Grund der inhaltlichen Übereinstimmung und ähnlichen Formulierung der Bestimmung des § 32 Abs. 1 bis 3 VwGVG mit § 69 AVG die bisher ergangenen höchstgerichtlichen Entscheidungen sinngemäß anzuwenden sind bzw. die bisherigen Judikaturrichtlinien zu § 69 AVG herangezogen werden können. In diesem Sinne hielt der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 31.08.2015, Ro 2015/11/0012 (vgl. auch VwGH 28.06.2016, Ra 2015/10/0136), unter Verweis auf die Materialien zu § 32 VwGVG fest, dass die Wiederaufnahmegründe des § 32 Abs. 1 VwGVG denjenigen des § 69 Abs. 1 AVG nachgebildet seien und daher auf das bisherige Verständnis dieser Wiederaufnahmegründe zurückgegriffen werden könne.

Voraussetzung für die Stattgabe des Wiederaufnahmeantrags ist nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG insbesondere, dass die neuen Tatsachen oder Beweismittel ohne Verschulden der Partei nicht schon im wiederaufzunehmenden Verfahren geltend gemacht werden konnten (vgl. VwGH vom 10.11.2020, Ra 2020/01/0195, mwN).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen und Beweismittel (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen; gleiches gilt nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für neu entstandene Beweismittel, sofern sie sich auf "alte" - d.h. nicht erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene - Tatsachen beziehen (vgl. etwa VwGH vom 18.01.2017, Ra 2016/18/0197 mwN. ). Die Wiederaufnahme des Verfahrens setzt u.a. die Eignung der neuen Tatsachen oder Beweismittel voraus, dass diese allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Ergebnis herbeigeführt hätten. Ob diese Eignung vorliegt, ist eine Rechtsfrage, die im Wiederaufnahmeverfahren zu beantworten ist; ob tatsächlich ein anderes Ergebnis des Verfahrens zustande kommt, ist sodann eine Frage, die im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären ist. Tauglich ist ein Beweismittel als Wiederaufnahmegrund (ungeachtet des Erfordernisses der Neuheit) also nur dann, wenn es nach seinem objektiven Inhalt und unvorgreiflich der Bewertung seiner Glaubwürdigkeit die abstrakte Eignung besitzt, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG entweder die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung oder zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat (vgl. etwa VwGH vom 14.04.2021, Ra 2020/18/0526; vgl. VwGH vom 19.04.2007, 2004/09/0159).

Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Entscheidungen nicht entgegensteht (vgl. VwGH vom 25.02.2019, Ra 2018/19/0611, VwGH vom 14.3.2019, Ra 2018/18/0403; VwGH vom 21.5.2019, Ra 2018/19/0510; jeweils mwN).

Der Wiederaufnahmewerber hat den Grund, auf den sich das Wiederaufnahmebegehren stützt, in seinem Antrag aus eigenem Antrieb konkretisiert und schlüssig darzulegen (vgl. VwGH vom 14.3.2019, Ra 2018/18/0403, mwN).

Die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel dürfen ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sein. Es ist zwar notwendig, aber nicht ausreichend, dass die Tatsachen (Beweismittel) im wiederaufzunehmenden Verfahren nicht geltend gemacht worden sind; es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass sie - allenfalls auch im Verfahren vor einer höheren Instanz - nicht geltend gemacht werden konnten und dass die Partei daran kein Verschulden trifft. Jegliches Verschulden, das die Partei an der Unterlassung ihrer Geltendmachung trifft, auch leichte Fahrlässigkeit, schließt somit den Rechtsanspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens aus (VwGH 19.03.2003, 2000/08/0105). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 69 AVG - die wie oben ausgeführt auf die Bestimmungen des § 32 VwGVG anzuwenden sind - handelt es sich beim "Verschulden" im Sinne des Abs. 1 Z 2 um ein Verschulden im Sinne des § 1294 ABGB. Bei der Beurteilung des Verschuldens im Zusammenhang mit einer Wiederaufnahme ist das Maß dafür ein solcher Grad des Fleißes und der Aufmerksamkeit, welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (siehe § 1297 ABGB). Konnte die wiederaufnahmewerbende Partei eine Tatsache oder ein Beweismittel bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit schon im Verwaltungsverfahren geltend machen, unterließ sie es aber, liegt ein ihr zuzurechnendes Verschulden vor, das eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausschließt (VwGH 08.04.1997, 94/07/0063; 10.10.2001, 98/03/0259). Ob die Fahrlässigkeit leicht oder schwer ist (§ 1294 ABGB), ist irrelevant (vgl. Walter/Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht9 [2011] Rz 589; Hengstschläger/Leeb, AVG § 69 Rz 36 ff). Es ist Sache des Wiederaufnahmewerbers darzutun, dass die von ihm behaupteten neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (vgl. VwGH vom 24.06.2015, 2012/10/0243). Die Wiederaufnahme eines Verfahrens dient jedenfalls nicht dazu, Versäumnisse während eines Verwaltungsverfahrens zu sanieren (vgl. VwGH 27.07.2001, Zl. 2001/07/0017; 22.12.2005, Zl. 2004/07/0209).

3.2.4. Fallbezogen ergibt sich somit Folgendes:

Die WA beantragten die Wiederaufnahme der mit Erkenntnis des BVwG vom 14.05.2020, Zlen. 1. W189 2215417-1/14E und 2. W189 2215419-1/14E, rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren; der rechtskräftige Abschluss dieser Verfahren ist unbestritten.

Die WA stellten am 08.07.2021 die vorliegenden, wie oben ausgeführt, auf § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG gestützten Anträge auf Wiederaufnahme der mit Erkenntnis des BVwG vom 14.05.2020 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren.

Ausgehend von der (dem Akteninhalt nach nachvollziehbaren) Einlassung der WA, wonach ihnen die als „Zertifikate“ bezeichneten Beweismittel am 28.06.2021 bei ihrer Rechtsvertretung eingelangt sind, ist die in § 32 Abs. 2 VwGVG geforderte Frist von zwei Wochen ab Kenntniserlangung des Wiederaufnahmegrundes erfüllt, weshalb der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens als rechtzeitig eingebracht anzusehen ist.

Die gegenständlichen Anträge zielen darauf ab, das mit Erkenntnis des BVwG vom 14.05.2020 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund neuer Beweismittel (betreffend die Volksgruppenzugehörigkeit der WA) iSd § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG wiederaufzunehmen.

Der VwGH vertritt die Auffassung, dass neu entstandene Beweismittel, wie nachträgliche Zeugenaussagen oder Sachverständigengutachten, als Wiederaufnahmegrund dann in Betracht kommen, wenn sie sich auf „alte“ – dh nicht ebenfalls erst nach Abschluss des wiederaufzunehmenden Verfahrens entstandene – Tatsachen beziehen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 70 Rz 35 (Stand 1.1.2020, rdb.at) mwN., insbesondere VwGH vom 19.04.2007, 2004/09/0159).

Zwar handelt es sich bei den von den WA vorgelegten als „Zertifikaten“ bezeichneten Beweismittel vom 03.06.2021 nicht um ein Sachverständigengutachten iSd AVG, sondern um Privaturkunden.

Dennoch sind Rechtsprechung und Lehre zum Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes nach Ansicht des erkennenden Gerichtes zumindest insoweit auf den vorliegenden Fall übertragbar, als die WA mit Blick auf die Begründung ihrer Anträge und des im Rahmen der Verhandlung erstatteten – vom Gericht jedoch nicht festgestellten – Vorbringens zur Volksgruppenzugehörigkeit sowie die Bedrohung aufgrund dessen der Auffassung sind, dass in den nunmehr vorgelegten Beweismitteln bereits zur Zeit der Sachverhaltsverwirklichung bestandene Tatsachen erwiesen werden (sollen).

Nach § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG setzt die Wiederaufnahme des Verfahrens voraus, dass die neu hervorgekommenen Tatsachen und Beweismittel ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht worden sind.

Im vorliegenden Fall erweisen sich die von den WA neu vorgelegten Beweismittel in Form einer Privaturkunde, aus denen die Volksgruppenzugehörigkeit der WA hervorgehen soll, schon deshalb als ungeeignet, eine Wiederaufnahme zu rechtfertigen, weil den im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vertretenen WA die Vorlage einer solchen Privaturkunde im Beschwerdeverfahren vor dem BVwG durchaus möglich und zumutbar gewesen wäre.

Vorliegend haben die WA in ihren Anträgen nämlich in keiner Weise dargetan, weshalb die von ihnen behaupteten Beweismittel im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ohne ihr Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten. Im Zuge der mündlichen Verhandlungen vor dem BVwG, in welchen die WA vertreten gewesen sind, wurde u.a. auch die mögliche Vorlage von Dokumenten sowie Beweismitteln zum Beweis der Identität der WA thematisiert. Auch bestehen keine Anhaltspunkte und wurde nicht vorgebracht, dass die jungen, gesunden WA (vgl. Erkenntnis vom 14.05.2020, S. 21) aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Fähigkeiten im Verfahren nicht in der Lage gewesen sind, die nunmehr im Wiederaufnahmeverfahren behaupteten neuen Tatsachen und Beweise dem Verwaltungsgericht an die Hand zu geben, was zu einem Ausschluss des Verschuldens iSd. § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG führen könnte (vgl. VwGH 30.06.1998, 98/05/0033). Aus alledem war die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es den WA somit bei gehöriger Aufmerksamkeit und gebotener Gelegenheit möglich gewesen wäre, das entsprechende Beweismittel im Beschwerdeverfahren geltend zu machen, wodurch ein ihnen zurechenbares Verschulden vorliegt, das eine Wiederaufnahme der Verfahren ausschließt. Es ist nämlich Sache des Wiederaufnahmewerbers darzutun, dass die von ihm behaupteten neuen Tatsachen oder Beweismittel im Verfahren ohne sein Verschulden nicht geltend gemacht werden konnten (vgl. die oben zitierte Rechtsprechung des VwGH).

Auch erweisen sich die vorgelegten Privaturkunden als ungeeignet, jene Tatsachen in Zweifel zu ziehen, auf welche das BVwG die den Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens bildende Entscheidung bzw. zumindest die zum Ergebnis dieser Entscheidung führende Beweiswürdigung tragend gestützt hat. Zu fragen ist, ob jene die Berücksichtigung jener Beweismittel entweder allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten.

Hinsichtlich der Beurteilung betreffend den Status des Asylberechtigten im zugrundeliegenden Erkenntnis wurde u.a. festgestellt, dass die WA nicht aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit bedroht werden.

Die behauptete Bedrohung aufgrund der Volksgruppenzugehörigkeit wurde – beweiswürdigend – im Wesentlichen deshalb verneint, weil bereits die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Mahdibaan selbst nicht glaubhaft war. Andererseits lässt sich der Beweiswürdigung entnehmen, dass die WA, nach der Erstbefragung, im Verfahren nicht mehr angegeben haben, etwa aus ethnischen Gründen in Somalia eine Verfolgung oder Bedrohung zu befürchten noch aufgrund ihrer Volksgruppe jemals mit dem Tod bedroht oder verfolgt worden zu seien. Insbesondere brachte im Zuge der mündlichen Verhandlung nur mehr der WA2 – und auch dies nur auf entsprechenden Vorhalt – vor, der Volksgruppe der Madhibaan anzugehören. Konkrete Befürchtungen oder Probleme brachte er aber nicht vor.

Selbst bei – der Privaturkunden entsprechender – Feststellung der Zugehörigkeit der WA zur Volksgruppe der Madhibaan kann aufgrund des zuvor Ausgeführten sowie vor dem Hintergrund der dem Erkenntnis zugrundeliegenden Länderinformationen, wonach es insbesondere keine gezielten Angriffe auf jene Minderheiten oder Misshandlungen jener gibt und wonach in XXXX Angehörige jener Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt sind, auch in Anbetracht der im Übrigen festgestellten Situation der WA, nicht davon ausgegangen werden, dass voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt würde.

Hinsichtlich der Beurteilung betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten im zugrundeliegenden Erkenntnis würde ebenfalls eine festgestellte Zugehörigkeit der WA zur Volksgruppe der Mahdibaan voraussichtlich kein im Hauptinhalt des Spruchs anderslautendes Erkenntnis herbeiführen. Maßgeblich für die Feststellung, dass den WA eine Rückkehr nach Somalia, und zwar nach XXXX , zumutbar ist, waren insbesondere der Umstand, dass es sich bei den WA um junge, gesunde, arbeitsfähige Männer mit guter Schulbildung handelt, die mit den Lebensgewohnheiten des Heimatlandes vertraut sind, handelt. Auch kann der Kontakt zur Verwandtschaft in Somalia hergestellt werden. Auch konnte festgestellt werden, dass ihnen eine Unterkunft zukünftig zur Verfügung steht. Aus alledem, in Zusammenschau mit den oben zitierten Länderinformationen, woraus sich im Übrigen etwa ergibt, dass jene Minderheiten erschwerten Zugang zur Bildung haben und in der Folge bei der Arbeitssuche benachteiligt sind – eine „schlechtere“ Bildung bei den WA jedoch gerade nicht festgestellt wurde, ist auch aus diesem Grund den Anträgen auf Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich der Beurteilung betreffend den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu entsprechen.

Ohne eine unzulässige, vorgreifende Beweiswürdigung vorzunehmen, ist auch auf die Tatsache hinzuweisen, dass jene vorgelegten Privaturkunden, aus welcher die Volksgruppenzugehörigkeit der WA hervorgehen soll, von einer privaten norwegischen Organisation stammen. So ist auch hervorzuheben, dass etwa die dem Antrag des WA1 beigelegte Urkunde auf „ XXXX “, geboren am XXXX , lautet. Der Antrag wird jedoch unter der Identität „ XXXX “, geboren am XXXX , gestellt. Jene dem Antrag des WA2 beigelegte Urkunde lautet auf „ XXXX “, geboren am XXXX . Der Antrag wird jedoch unter der Identität „ XXXX “, geboren am XXXX , gestellt. Eine Aufklärung der unterschiedlichen Identitätsangaben betreffend lässt sich den Anträgen nicht entnehmen. Den vorgelegten Privaturkunden ist weiters nicht zu entnehmen, aufgrund welcher konkreter Recherchetätigkeiten zu den Personen der WA deren Volksgruppenzugehörigkeit als erwiesen angesehen wird. Aus jenen Privaturkunden geht auch nicht hervor, dass mit den WA etwa persönliche Gespräche zwecks Nachweis der Volksgruppenzugehörigkeit geführt wurden oder weitere Dokumente durch die Organisation angefordert worden sind. Überhaupt lassen jene Privaturkunden jegliche Angaben zur verwendeten Methodik betreffend den Nachweis der Volksgruppenzugehörigkeit der WA vermissen. Dass die Organisation die WA offensichtlich bestmöglich unterstützen möchte, ist zwar zur Kenntnis zu nehmen, ist für vorliegendes Verfahren jedoch nicht von Relevanz. Im Hinblick auf die bereits erörterte geringe Beweiskraft der vorgelegten Beweismittel bzw. deren wenig vorhandene Tauglichkeit ist auch deshalb nicht davon auszugehen, dass diese voraussichtlich, insbesondere durch Nachweis der Volksgruppenzugehörigkeit der WA, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen würden.

3.2.5. Aus den dargelegten Erwägungen sind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG nicht erfüllt, weshalb die gegenständlichen Anträge auf Wiederaufnahme des Verfahrens spruchgemäß abzuweisen waren.

Den Anträgen der WA auf vollständige Ermittlung des Sachverhalts, durch eine ergänzende Befragung, und die Erstellung eines Gutachtens zur Situation der Madhibaan in Somalia, war im gegenständlichen Verfahren nicht zu entsprechen, weil jene Aspekte nicht im Wiederaufnahmeverfahren, sondern allenfalls im wiederaufgenommenen Verfahren zu klären wären.

3.3. Spruchpunkt II.

3.3.1. Der mit „Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde“ betitelte § 17 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG, idgF, lautet wie folgt:

„§ 17. (1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und

1.       diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder

2.       eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht

sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

(2) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1 oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.

(3) Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Art. 26 Abs. 2 und 27 Abs. 1 der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.

(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.“

3.3.2. Die WA beantragten mit den gegenständlichen Eingaben weiters die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 17 BFA-VG.

Jene Bestimmung bezieht sich dem klaren Wortlaut nach jedoch auf Beschwerden gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird, unter gewissen näher genannten Voraussetzungen, sowie auf Beschwerden gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG. Ein Wiederaufnahmeverfahren eines abgeschlossenen verwaltungsgerichtlichen Verfahren ist damit nicht angesprochen, wodurch sich jener Antrag als unzulässig erweist und daher zurückzuweisen war.

Im Übrigen kommt einem Antrag auf Wiederaufnahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens keine aufschi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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