TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/7 W112 2244896-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.09.2021
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Entscheidungsdatum

07.09.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
FPG §76 Abs2 Z2
VwGVG §29 Abs5

Spruch


W112 2244896-1/18E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 06.08.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Elke DANNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX auch XXXX alias XXXX auch XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA ALGERIEN, vertreten durch die BBU, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.07.2021, Zl. XXXX , und die Anhaltung in Schubhaft seit 23.07.2021 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen den Bescheid vom 23.07.2021 wird gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG stattgegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft von 23.07.2021 bis 06.08.2021 für rechtswidrig erklärt.

II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Wesentliche

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer erhob mit Schriftsatz vom 30.07.2021 durch seine Rechtsberaterin Beschwerde gegen den Mandatsbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) vom 23.07.2021 und die Anhaltung in Schubhaft seit 23.07.2021 und beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den angefochtenen Mandatsbescheid beheben, aussprechen, dass die Anordnung von Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft in rechtswidriger Weise erfolgt seien, im Rahmen einer „Habeas Corpus Prüfung“ aussprechen, dass die Voraussetzungen zur weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorlagen, die Verfahrenshilfe gewähren und die Gebühren erlassen und in eventu der belangten Behörde den Ersatz der Aufwendung des Beschwerdeführers sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen, für die der Beschwerdeführer aufzukommen habe, auferlegen.

Das Bundesamt legte am 02.08.2021 den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Stellungnahme, in der es beantragte, das Bundesverwaltungsgericht möge die Beschwerde als unbegründet abweisen bzw. als unzulässig zurückweisen, feststellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und den Beschwerdeführer zum Ersatz der Kosten iHv Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand verfällen.

Am 06.08.2021 fand die hg. mündliche Verhandlung statt, an der der Beschwerdeführer, seine Rechtsberaterin und ein Dolmetscher für die Sprache ARABISCH teilnahmen. Die Niederschrift wurde dem Bundesamt am 09.08.2021 elektronisch übermittelt. Keine der Parteien stellte einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des am 06.08.2021 mündlich verkündeten Erkenntnisses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Feststellungen:

Der volljährige Beschwerdeführer war XXXX , geb. XXXX in XXXX , ALGERISCHER Staatsangehöriger. Er reiste 2018 unter Verwendung seines Reisepasses legal in die TÜRKEI und von dort illegal über GRIECHENLAND und den Balkan nach SLOWENIEN, wo er am 15.07.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er wartete sein Verfahren in SLOWENIEN nicht ab und reiste über ITALIEN und die SCHWEIZ, wo er am 23.07.2019 ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, allerdings unter Angabe einer Alias-Identität und ebenfalls das Verfahren nicht abwartete, nach FRANKREICH, wo er ungefähr von AUGUST bis NOVEMBER 2019 unrechtmäßig aufhältig war und ohne Arbeitsbewilligung Schwarzarbeit nachging. Unzufrieden mit den Arbeitsbedingungen kehrte er in die SCHWEIZ zurück, wo sein Antrag auf internationalen Schutz wegen der Zuständigkeit SLOWENIENS zurückgewiesen wurde. Ca. im JÄNNER 2020 schob die SCHWEIZ den Beschwerdeführer nach SLOWENIEN ab, wo er ca. einen Monat lang blieb. Er wartete den Ausgang des Verfahrens nicht ab und reiste nach ITALIEN weiter, wo er ca. 10 Monate lang blieb und den Lebensunterhalt durch Schwarzarbeit bestritt. Als er keine Arbeit mehr fand, reiste er trotz einer Zurückweisung an der Grenze und einer Verwaltungsstrafe von 100 Euro in einem zweiten Versuch nach Österreich weiter, wo er sich seit ca. DEZEMBER 2020 unrechtmäßig und unangemeldet in der Wohnung eines Freundes in der XXXX , XXXX WIEN, aufhielt. Auch dieser Freund war dort nicht gemeldet. Es konnte nicht festgestellt werden, wovon er seinen Lebensunterhalt bestritt. Er war in dieser Zeit einmal wegen XXXX im Krankenhaus, die Krankenversicherung hatte er von XXXX . Seit einem Autounfall vor 7 Jahren war der Beschwerdeführer XXXX -abhängig. Im Übrigen war er gesund.

Da er die Miete nicht mehr bezahlen konnte, suchte der Beschwerdeführer am 22.07.2021 um Aufnahme in der Notschlafstelle für Männer in XXXX WIEN an. Da er keine Dokumente hatte, wurde er beamtshandelt. Dabei wurde er aggressiv und aus diesem Grund festgenommen. Das Bundesamt verfügte die Vorführung vor das Bundesamt. Der Beschwerdeführer wurde noch am selben Tag in das Polizeianhaltezentrum XXXX eingeliefert und wegen Aggressivität und Gefahr der Selbstverletzung in einer sog. „Gummizelle“ angehalten, seit 26.07.2021 in einer einfachen Sicherheitszelle, seither in einer Gemeinschaftszelle.

Er konnte mangels Einvernahmefähigkeit vor der Schubhaft nicht einvernommen werden, im Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde ihm wegen der Unterbringung in der Sicherheitszelle nur schriftlich Parteiengehör eingeräumt, am 02.08.2021 wurde er einvernommen, ein Bescheid wurde noch nicht erlassen.

Der Beschwerdeführer wollte wegen der Erkrankung seiner Mutter nach ALGERIEN zurückkehren. Er war nicht mehr im Besitz seines Reisepasses, es konnte nicht festgestellt werden, wo dieser verblieben war. Der Beschwerdeführer wandte sich am 30.06.2021 an die BBU Rückkehrberatung und meldete am 09.07.2021 den Reisepass bei der Algerischen Botschaft verloren. Es konnte nicht festgestellt werden, ob er bei der ALGERISCHEN Botschaft einen Reisepass oder einen Notpass oder ein LAISSEZ PASSER beantragte. Er erteilte der BBU am 15.07.2021 Vollmacht und wurde am selben Tag von der ALGERISCHEN BOTSCHAFT interviewt und legte dabei auch Dokumentenkopien vor. Dem Beschwerdeführer wurde noch kein Dokument ausgestellt. Im Entscheidungszeitpunkt gab es keine direkte Flugverbindung Österreich – ALGERIEN. Dem Beschwerdeführer würde jedenfalls sobald es Direktflüge gäbe ein Heimreisezertifikat ausgestellt.

Mit einem Reisepass, der aber einen Aufenthaltstitel in Österreich voraussetzte, könnte der Beschwerdeführer auch mit Zwischenlandung nach ALGERIEN zurückkehren, mit einem Heimreisezertifikat nur mit einem Direktflug. Es konnte nicht festgestellt werden, ob er auch mit einem Notpass mit Zwischenlandung nach ALGERIEN zurückfliegen könnte.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen gründeten auf dem Verwaltungsakt, den Schriftsätzen des hg. Verfahrens, den amtsärztlichen Unterlagen sowie der hg. mündlichen Verhandlung.

3. Rechtliche Beurteilung:

Der Beschwerdeführer wurde gemäß § 76 Abs. 1, Abs. 2 Z 2 FPG in Schubhaft angehalten. Er war ein volljähriger, unrechtmäßig aufhältiger Fremder.

Es lag Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG vor, weil der Beschwerdeführer in Österreich keine Arbeit, keine Wohnung und keine Familie hatte, aber ein soziales Netz, das ihm bisher den Aufenthalt im Verborgenen im Bundesgebiet ermöglichte, und gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 FPG, weil er durch seinen mehrmonatigen Aufenthalt im Verborgenen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vereitelte.

Das Gericht verkannte nicht, dass der Beschwerdeführer den zweiten Asylantrag in der SCHWEIZ unter falschem Namen stellte, sich seinem Asylverfahren in SLOWENIEN trotz Abschiebung dorthin durch die SCHWEIZ entzog, seit drei Jahren unrechtmäßig im Schengenraum aufhältig und er bei der Festnahme aggressiv war, allerdings war glaubhaft, dass der Beschwerdeführer nach ALGERIEN zurückkehren wollte, bereits vor der Verhängung der Schubhaft Rückkehrberatung in Anspruch nahm und einen Reisepass beantragte. Vor diesem Hintergrund und dem Umstand, dass noch keine Rückkehrentscheidung erlassen wurde und eine Abschiebung des Beschwerdeführers mangels direkter Flugverbindung trotz der vom Beschwerdeführer auf freiem Fuß bewirkten Ausstellung eines HRZ derzeit nicht möglich war und das Bundesamt trotz der mit der Beschwerde vorgelegten Unterlagen noch nicht erhoben hatte, ob eine Ausreise mit Zwischenlandung bei Vorliegen eines Notpasses möglich war, war die Anhaltung in Schubhaft jedoch unverhältnismäßig. Es konnte mit der Verhängung des gelinderen Mittels das Auslangen gefunden werden. Dies bezog sich auf den gesamten Zeitraum der Anhaltung, weil das Bundesamt ausweislich des übermittelten Aktes bereits vor Schubhaftverhängung über den Antrag auf unterstützte freiwillige Ausreise in Kenntnis war. Diese Entscheidung stand einer Schubhaftverhängung bei Änderung der Sachlage nicht entgegen.

Der Abspruch über den Barauslagenersatz und die Kostenanträge wurde einer separaten Entscheidung vorbehalten.

Die Rechtslage zu § 76 Abs. 3 FPG war auf Grund des Erkenntnisses VwGH 11.05.2017, Ro 2016/21/0021, geklärt.

4. Begründung der gekürzten Ausfertigung

Gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn von den Parteien auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt wird. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.

Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 06.08.2021 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG, da ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch die hiezu Berechtigten innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht gestellt wurde.

Schlagworte

gekürzte Ausfertigung gelinderes Mittel Rechtswidrigkeit Schubhaft Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W112.2244896.1.00

Im RIS seit

15.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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