Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EMRK Art5Leitsatz
Verletzung im Recht auf Freiheit und Sicherheit durch Verhängung der Schubhaft über einen afghanischen Staatsangehörigen; mangelhafte Auseinandersetzung mit der extremen Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan sowie mit der vorläufigen Maßnahme des EGMR - des Verbots, den Beschwerdeführer außer Landes zu bringen; keine Berücksichtigung der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und den Taliban bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der SchubhaftSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein am 1. Jänner 1999 geborener Staatsangehöriger Afghanistans, der der Volksgruppe der Hazara angehört und sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam bekennt. Er stamme nach eigenen Angaben aus der Provinz Helmand und sei im Alter von 15 Jahren allein in den Iran ausgereist. Am 4. Dezember 2015 stellte der Beschwerdeführer in Österreich erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte er zu diesem Antrag im Wesentlichen aus, dass er als Angehöriger der Hazara von den Taliban verfolgt werde.
2. Mit Bescheid vom 15. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 7. August 2020 als unbegründet ab.
3. Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3. Juli 2019 wurde der Beschwerdeführer wegen Suchtgifthandels nach §28a Abs1 SMG sowie wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach §27 Abs1 Z1 und Abs2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt, wobei ein Teil von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
4. Mit Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 18. Mai 2020 wurde der Beschwerdeführer wegen Vorbereitung zum Suchtgifthandel nach §28 Abs1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Die mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 3. Juli 2019 ausgesprochene Strafnachsicht wurde widerrufen.
5. Am 2. Dezember 2020 stellte der Beschwerdeführer aus der Strafhaft einen (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz. Mit Bescheid vom 17. Februar 2021 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigen wegen entschiedener Sache zurück und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Ferner wurde erneut eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei. Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gesetzt. Zudem wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 iVm Abs3 Z1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 17. März 2021 als unbegründet ab.
6. Am 6. April 2021 wurde der Beschwerdeführer in Schubhaft genommen. Aus der Schubhaft stellte der Beschwerdeführer am 19. April 2021 einen weiteren (dritten) Antrag auf internationalen Schutz.
Die niederschriftliche Einvernahme vor dem BFA erfolgte am 3. Mai 2021. Am Ende dieser Einvernahme hob das BFA mit mündlich verkündetem Bescheid den faktischen Abschiebeschutz des Beschwerdeführers gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 auf. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11. Mai 2021 wurde die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.
7. Am 23. Juli 2021 legte das BFA dem Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs4 BFA-VG den Verwaltungsakt zur amtswegigen Überprüfung der weiteren Anhaltung in Schubhaft über das vierte Monat hinaus vor. Der vierte Monat der Anhaltung in Schubhaft wurde am 6. August 2021 erreicht.
8. Am 30. Juli 2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht die auf §22a Abs1 Z3 BFA-VG gestützte Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers ein. Daraufhin stellte das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. August 2021 das amtswegige Überprüfungsverfahren nach §22a Abs4 BFA-VG ein. Ferner wurde am 2. August 2021 dem BFA die Schubhaftbeschwerde zur Stellungnahme übermittelt. Mit Stellungnahme vom selben Tag teilte das BFA mit, dass eine begleitete Abschiebung des Beschwerdeführers für den 3. August 2021 fixiert worden und dies dem Beschwerdeführer am 29. Juli 2021 mitgeteilt worden sei. Der Beschwerdeführer habe die Durchführung des für eine Flugabschiebung notwendigen PCR-Tests auf COVID-19 verweigert, weshalb er nun am 14. September 2021 nach Afghanistan abgeschoben werden sollte.
9. Am 1. August 2021 stellte der Beschwerdeführer beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR) einen Antrag auf Erlass einer vorläufigen Maßnahme (Art39 der Verfahrensordnung des EGMR).
Am 2. August 2021 hat der EGMR entsprechend dem Antrag eine vorläufige Maßnahme erlassen und angeordnet, dass der Beschwerdeführer bis zum 31. August 2021 nicht außer Landes gebracht werden soll. Ferner wurde der Beschwerdeführer aufgefordert darzulegen, ob er alle ihm zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe ausgeschöpft hat, mit welchen er die jüngsten Änderungen der Sicherheitslage in Afghanistan vorbringen und ihre Auswirkungen auf seine Rechte nach der EMRK in Bezug auf die ihm drohende Abschiebung nach Afghanistan überprüfen lassen könnte. Zudem wurde die österreichische Bundesregierung eingeladen, zur Zulässigkeitsvoraussetzung der Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe sowie zur tatsächlichen Möglichkeit einer Abschiebung – insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Entwicklungen bezüglich der Sicherheitslage in Afghanistan seit Anfang Juli 2021 – Stellung zu nehmen.
10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 4. August 2021 wurde die Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid und die Anhaltung in Schubhaft bis 4. August 2021 als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A I.). Ferner wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt A II.). Zudem wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Aufwandersatz abgewiesen (Spruchpunkt A III.) und ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer dem Bund (Bundesminister für Inneres) Aufwendungen iHv € 426,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen hat (Spruchpunkt A IV.).
10.1. Zur Sicherheitslage in Afghanistan stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, dass keine derart nachhaltige Verschlechterung eingetreten sei, die zum Entscheidungszeitpunkt eine dauerhafte Unmöglichkeit von Abschiebungen indizieren würde. Dies ergebe sich aus der jüngsten Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA zur Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan mit Stand 2. August 2021, wonach die Kampfhandlungen zwar deutlich zugenommen hätten, jedoch die Taliban im Juli 2021 erklärt hätten, dass sie der afghanischen Regierung im August ihren Friedensplan vorlegen wollten. Es könnte daher eine baldige Entspannung der Lage und ein Abflauen der Kämpfe eintreten. Ferner würden mit 2. August 2021 die Flughäfen von Kabul und Mazar-e Sharif weiterhin national und international angeflogen. Der Flughafen von Herat sei national erreichbar.
10.2. Zur tatsächlichen Möglichkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers, welche Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft sei, hält das Bundesverwaltungsgericht fest, dass diese keine Probleme bereite. Dem Beschwerdeführer sei im Juni 2021 ein Heimreisezertifikat ausgestellt worden. Die längere Dauer der Anhaltung in Schubhaft sei allein auf das Verhalten des Beschwerdeführers selbst zurückzuführen, weil er seine Abschiebung im Juni durch Vorspiegelung der Absicht zur freiwilligen Ausreise verhindert habe und sodann Anfang Juli 2021 die bereits organisierte freiwillige Ausreise im letzten Moment widerrufen habe. Die geplante Abschiebung am 3. August 2021 habe er durch die Verweigerung, einen PCR-Test auf COVID-19 durchzuführen, verhindert. Im Hinblick auf die Sicherheitslage in Afghanistan verweist das Bundesverwaltungsgericht nochmals darauf, dass zum Entscheidungszeitpunkt nicht von einer dauerhaften Unmöglichkeit von Abschiebungen auszugehen sei. Die Schubhaft bis 4. August 2021 sei daher insgesamt als verhältnismäßig zu beurteilen.
10.3. Aus diesen Gründen erweise sich für das Bundesverwaltungsgericht auch die fortgesetzte Anhaltung in Schubhaft als verhältnismäßig. Die Dauer der weiteren Anhaltung in Schubhaft sei zeitlich begrenzt, weil der Beschwerdeführer bereits für die nächste Sammelabschiebung Mitte September 2021 vorgesehen sei. Die bloßen Behauptungen in der Beschwerde, es sei völlig ungewiss, wann Abschiebungen nach Afghanistan wegen der Verschlechterung der Sicherheitslage überhaupt wieder durchführbar wären, seien nicht stichhaltig. Das Bundesverwaltungsgericht habe diesbezüglich keine Zweifel an den glaubhaften Angaben des BFA. Es könne zwar sein, dass einzelne Charterflüge wegen der Sicherheitslage terminlich verschoben, abgesagt oder die Zielflughäfen geändert würden, von einer bereits vorliegenden generellen und dauerhaften Unmöglichkeit von Flugabschiebungen nach Afghanistan sei die derzeitige Situation aber noch hinreichend entfernt. Ferner sei gemäß §22a Abs4 BFA-VG sichergestellt, dass eine neuerliche Prüfung der Schubhaft im vierwöchigen Rhythmus erfolge.
10.4. Hinsichtlich der vom EGMR am 2. August 2021 erlassenen vorläufigen Maßnahme führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass diese nur ein temporäres Abschiebehindernis darstelle. Die vorläufige Maßnahme sei bis 31. August 2021 befristet und diene nur der Verhinderung nicht mehr reversibler Maßnahmen – wie eben der Abschiebung des Beschwerdeführers – für diesen Zeitraum, damit der EGMR iSd Art35 EMRK prüfen könne, ob die Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt seien.
Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes werde der EGMR die Beschwerde des Beschwerdeführers mit hoher Wahrscheinlichkeit zurückweisen, weil der innerstaatliche Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft sei und dem Beschwerdeführer bei Bestehen einer realen Gefahr der Verletzung von Art2 und 3 EMRK den Verfassungsgerichtshof anrufen könne, welcher einer Beschwerde gemäß §85 Abs2 VfGG aufschiebende Wirkung zuerkennen könne. Angesichts dessen stehe die vorläufige Maßnahme des EGMR der Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Entscheidungszeitpunkt nicht entgegen.
11. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass zum Entscheidungszeitpunkt auf Grund der vom EGMR erlassenen vorläufigen Maßnahme ein Abschiebehindernis gemäß §50 Abs3 FPG vorgelegen und noch nicht absehbar gewesen sei, ob der EGMR die befristete Maßnahme erstrecken werde. Ferner habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob der angedachte Abschiebetermin am 14. September 2021 tatsächlich durchführbar sein würde. Gegen die Durchführbarkeit hätten zum Entscheidungszeitpunkt aktuelle Medienberichte gesprochen, wonach Frontex bereits am 17. Juli 2021 den Mitgliedstaaten mitgeteilt habe, dass Abschiebungen nach Afghanistan bis auf weiteres gestoppt würden. Da dem angefochtenen Erkenntnis keine näheren Angaben dazu zu entnehmen seien, wann die angebliche Auskunft des BFA zur Durchführbarkeit der Abschiebung erteilt wurde, sei davon auszugehen, dass die dem Erkenntnis zugrunde liegenden Informationen veraltet seien. Hätte das Bundesverwaltungsgericht ein vollständiges Ermittlungsverfahren geführt, hätte es zum Entscheidungszeitpunkt feststellen müssen, dass in näherer Zukunft keine Abschiebungen nach Afghanistan stattfinden würden und daher die Schubhaft mangels konkreten Sicherungszweckes zumindest seit 17. Juli 2021 unrechtmäßig gewesen sei. Insbesondere hätte das Bundesverwaltungsgericht feststellen müssen, dass die Voraussetzungen für eine weitere Anhaltung des Beschwerdeführers nicht vorliegen.
12. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der den Beschwerdebehauptungen zusammengefasst entgegengehalten wird, dass im Falle einer Verlängerung der vorläufigen Maßnahmen durch den EGMR die nächste Haftüberprüfung gemäß §22a Abs4 BFA-VG Anfang September 2021 fällig gewesen wäre. Hinsichtlich der Behauptung, das Bundesverwaltungsgericht hätte die dauerhafte Unmöglichkeit von Abschiebungen nach Afghanistan bereits zum Entscheidungszeitpunkt am 4. August 2021 gleichsam apodiktisch vorhersehen müssen, sei auf die im Gerichtsakt einliegenden Informationen des BFA zur Lage in Afghanistan zu verweisen. Erst nach dem Entscheidungszeitpunkt habe sich um den 11. bis 12. August 2021 die Sicherheitslage mit dem Fall der größten Städte Herat und Mazar-e Sharif an die Taliban derart verschlechtert, dass aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls von der Unmöglichkeit von Abschiebungen auf absehbare Zeit auszugehen gewesen sei.
II. Rechtslage
1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl 684/1988, idF BGBl I 2/2008 lauten wie folgt:
"Artikel 1
(1) Jedermann hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit).
(2) Niemand darf aus anderen als den in diesem Bundesverfassungsgesetz genannten Gründen oder auf eine andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden.
(3) Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nur gesetzlich vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist; die persönliche Freiheit darf jeweils nur entzogen werden, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.
(4) Wer festgenommen oder angehalten wird, ist unter Achtung der Menschenwürde und mit möglichster Schonung der Person zu behandeln und darf nur solchen Beschränkungen unterworfen werden, die dem Zweck der Anhaltung angemessen oder zur Wahrung von Sicherheit und Ordnung am Ort seiner Anhaltung notwendig sind.
Artikel 2
(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
1. wenn auf Grund einer mit Strafe bedrohten Handlung auf Freiheitsentzug erkannt worden ist;
2. wenn er einer bestimmten, mit gerichtlicher oder finanzbehördlicher Strafe bedrohten Handlung verdächtig ist,
a) zum Zwecke der Beendigung des Angriffes oder zur sofortigen Feststellung des Sachverhalts, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, daß er einen bestimmten Gegenstand innehat,
b) um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen, oder
c) um ihn bei einer mit beträchtlicher Strafe bedrohten Handlung an der Begehung einer gleichartigen Handlung oder an der Ausführung zu hindern;
3. zum Zweck seiner Vorführung vor die zuständige Behörde wegen des Verdachtes einer Verwaltungsübertretung, bei der er auf frischer Tat betreten wird, sofern die Festnahme zur Sicherung der Strafverfolgung oder zur Verhinderung weiteren gleichartigen strafbaren Handelns erforderlich ist;
4. um die Befolgung einer rechtmäßigen Gerichtsentscheidung oder die Erfüllung einer durch das Gesetz vorgeschriebenen Verpflichtung zu erzwingen;
5. wenn Grund zur Annahme besteht, daß er eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung ansteckender Krankheiten sei oder wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährde;
6. zum Zweck notwendiger Erziehungsmaßnahmen bei einem Minderjährigen;
7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.
(2) Niemand darf allein deshalb festgenommen oder angehalten werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen.
[…]
Artikel 6
(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.
(2) Im Fall einer Anhaltung von unbestimmter Dauer ist deren Notwendigkeit in angemessenen Abständen durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde zu überprüfen."
2. §22a BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 70/2015 lautet wie folgt:
"Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft
§22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs1 gelten die für Beschwerden gemäß Art130 Abs1 Z2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
(2) Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über die Fortsetzung der Schubhaft hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung des Fremden hätte vorher geendet. Hat das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.
(3) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.
(4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs1 bereits eingebracht wurde.
(5) Gegen die Anordnung der Schubhaft ist eine Vorstellung nicht zulässig."
3. Die maßgeblichen Bestimmungen des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 56/2018 lauten wie folgt:
"Verbot der Abschiebung
§50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr 210/1958, oder das Protokoll Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art33 Z1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl Nr 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
[…]
8. Abschnitt
Schubhaft und gelinderes Mittel
Schubhaft
§76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß §67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§59 Abs5), so steht dies der Anwendung der Z1 nicht entgegen. In den Fällen des §40 Abs5 BFA-VG gilt Z1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs2 und Art28 Abs1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs2 Z1 oder 2 oder im Sinne des Art2 litn Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß §46 Abs2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß §46 Abs2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§3 Abs3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund §34 Abs3 Z1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§52a, 56, 57 oder 71 FPG, §38b SPG, §13 Abs2 BFA-VG oder §§15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. §11 Abs8 und §12 Abs1 BFA-VG gelten sinngemäß.
Gelinderes Mittel
§77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in §76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt §80 Abs2 Z1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des §24 Abs1 Z4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt §80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs3 Z2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§7 Abs1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs3 Z3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß §57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß §57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs3 Z1 Vorsorge treffen.
[…]
Dauer der Schubhaft
§80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß §51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs2 Z2 und Abs3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des §76 Abs2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß §40 Abs5 BFA-VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß §22a Abs1 Z3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn es gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw Anhaltung verstößt, wenn es in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn es gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).
Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3. Gemäß §76 Abs2 Z2 FPG kann ein Fremder in Schubhaft genommen werden, wenn dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück des FPG oder der Abschiebung notwendig ist, sofern Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Bestimmung entspricht inhaltlich Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und verlangt im Einzelfall eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft (siehe VfSlg 14.981/1997, 17.288/2004, 18.145/2007, 19.365/2011). In diesem Sinne ist gemäß §80 Abs1 FPG darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
4. Die Verhängung der Schubhaft über einen Fremden kann nur dann als verhältnismäßig bewertet werden, wenn mit der Möglichkeit einer zeitnahen Abschiebung zu rechnen ist (vgl VwGH 11.5.2017, Ra 2016/21/0144; 12.1.2021, Ra 2020/21/0378). Dies bedeutet nicht, dass die Abschiebung als gewiss feststehen muss. Die Abschiebung muss aber nach Lage des Falles mit ausreichender Wahrscheinlichkeit möglich sein (zB VwGH 11.5.2017, Ra 2016/21/0369). Sofern das Ziel der Abschiebung aus faktischen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist, darf die Schubhaft nicht mehr aufrechterhalten werden (vgl VfSlg 17.891/2006, 18.145/2007). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn durch eine Abschiebung Art2 oder 3 EMRK verletzt würde und die Durchführung der Abschiebung somit gemäß §50 Abs1 FPG verboten ist.
5. Das Bundesverwaltungsgericht legt seinen Feststellungen zur Möglichkeit einer zeitnahen Realisierbarkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Lage in Afghanistan lediglich eine Kurzinformation der Staatendokumentation vom 2. August 2021 zugrunde. Ferner hält es fest, dass es keine Zweifel an den glaubhaften Angaben des BFA (konkret der Abteilung B/II) zur Durchführbarkeit von Abschiebungen nach Afghanistan hege. Das Beschwerdevorbringen, wonach völlig ungewiss sei, wann Abschiebungen nach Afghanistan vor dem Hintergrund der volatilen Sicherheitslage wieder möglich sein werden, sei daher als nicht stichhaltig zu qualifizieren.
6. In der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Kurzinformation der Staatendokumentation vom 2. August 2021 wird einleitend Folgendes festgehalten (Hervorhebungen nicht im Original):
"Die hier angeführten Informationen verstehen sich als Ergänzung zu den Länderinformationen aus dem Country of Origin – Content Management System (COICMS) - Afghanistan, Version 4 – und können nicht unabhängig von diesen verwendet werden. Diese Kurzinformation gilt bis zum Erscheinen der nächsten Version im COICMS.
Aufgrund der sich laufenden ändernden Situation ist es mit dem COI-CMS allein (rund 400 Distrikte auf über 200 Seiten) nicht mehr möglich eine adäquate und zeitnahe Aufbereitung der benötigten Informationen zu gewährleisten."
Zur Sicherheitslage finden sich in der Kurzinformation vom 2. August 2021 auszugsweise folgende Informationen:
"In Afghanistan ist die Zahl der konfliktbedingten Todesopfer derzeit so hoch wie nie zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNHCR, mit durchschnittlich 500-600 Sicherheitsvorfällen pro Woche. Berichten zufolge liegt die Gebietskontrolle der Regierung auf dem niedrigsten Stand seit 2001 (UNHCR 20.7.2021).
[…]
Die Regierungstruppen kämpfen aktuell (Ende Juli / Anfang August 2021) gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gah und Kandahar, dessen Flughafen von den Taliban bombardiert wurde. Seit 1.8.2021 gibt es keine Flüge mehr zu und von dem Flughafen (AJ 1.8.2021). Von den 17 Distrikten Herats sind nur Guzara und die Stadt Herat unter Kontrolle der Regierung. Die übrigen Bezirke werden von den Taliban gehalten, die versuchen, in das Zentrum der Stadt vorzudringen (TN 31.7.2021; vgl ANI 2.8.2021). Die afghanische Regierung entsendet mehr Truppen nach Herat, da die Kämpfe mit den Taliban zunehmen (ANI 2.8.2021; vgl AJ 1.8.2021).
[…]
Zwischen 1.1.2021 und 30.6.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen (IEDs) durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Juni 2021 gab es nach Angaben von UNAMA fast soviele zivile Opfer wie in den vier Monate davor (UNAMA 26.7.2021).
[…]
UNOCHA zufolge wurden zwischen 1.1.2021 und 18.7.2021 294.703 Menschen in Afghanistan durch den Konflikt vertrieben (UNOCHA 22.7.2021)."
7. Der Verfassungsgerichtshof weist darauf hin, dass bereits die im Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes verfügbaren Länderinformationen, insbesondere das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 11. Juni 2021, die Gefahr einer das ganze Land betreffenden kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Taliban und Regierungstruppen und damit eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit in Folge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konfliktes für Angehörige der Zivilbevölkerung wie den Beschwerdeführer erkennen ließ (siehe VfGH 24.9.2021, E3047/2021).
8. Ferner musste das Bundesverwaltungsgericht auch auf Grund der breiten medialen Berichterstattung über die Entwicklungen in Afghanistan, die für das Bundesverwaltungsgericht als notorisch gelten können (vgl VfGH 23.2.2015, E882/2014), davon ausgehen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan als extrem volatil einzustufen ist (zur Bedeutung dieses Umstandes für die Beurteilung des Vorliegens einer realen Gefahr im Sinne der Art2 und 3 EMRK siehe zB VfSlg 19.466/2011, 20.296/2018, 20.358/2019; VfGH 6.10.2020, E2406/2020; 24.9.2021, E3047/2021).
9. Zudem hat der EGMR am 2. August 2021 auf Antrag des Beschwerdeführers eine vorläufige Maßnahme gemäß Art39 seiner Verfahrensordnung erlassen und angeordnet, dass der Beschwerdeführer bis zum 31. August 2021 nicht außer Landes gebracht werden soll. Gemäß §50 Abs3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR entgegensteht.
Das Bundesverwaltungsgericht geht dennoch davon aus, dass mit einer zeitnahen Abschiebung des Beschwerdeführers – konkret am 14. September 2021 – zu rechnen sei, weil die vorläufige Maßnahme des EGMR mit 31. August 2021 befristet gewesen ist. Eine Verlängerung der vorläufigen Maßnahme schloss das Bundesverwaltungsgericht mit hoher Wahrscheinlichkeit aus und begründete dies damit, dass der Beschwerdeführer die zur Verfügung stehenden innerstaatlichen Rechtsbehelfe nicht ausgeschöpft habe und der EGMR seine Beschwerde wohl als unzulässig zurückweisen werde. Bei tatsächlichem Bestehen einer realen Gefahr der Verletzung von Art2 und 3 EMRK könne der Beschwerdeführer den Verfassungsgerichtshof anrufen, welcher einer Beschwerde gemäß §85 Abs2 VfGG aufschiebende Wirkung zuerkennen könne.
Das Bundesverwaltungsgericht hätte – unabhängig von der vorläufigen Befristung bis zum 31. August 2021 und der Frage, ob die Zulässigkeitskriterien einer Beschwerde an den EGMR gemäß Art35 EMRK erfüllt gewesen sind – nach dem Erlass der vorläufigen Maßnahme gemäß Art39 der Verfahrensordnung des EGMR zumindest von einer maßgeblichen Relativierung des Sicherungsbedarfs unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK und damit von einer möglichen Unverhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung ausgehen müssen (siehe VwGH 11.5.2017, Ra 2015/21/0188 ua; vgl ferner VwGH 18.4.2013, 2011/21/0042 ua).
10. Angesichts der verfügbaren Länderinformationen, die zum Entscheidungszeitpunkt eine extreme Volatilität der Sicherheitslage in Afghanistan indizierten, sowie der Erlassung der vorläufigen Maßnahme durch den EGMR am 2. August 2021 hätte das Bundesverwaltungsgericht davon ausgehen müssen, dass eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers mit Blick auf die Vorgaben des §50 Abs1 FPG bzw auf Grund der realen Gefahr einer Verletzung von Art2 und 3 EMRK nicht möglich sein wird.
Das Bundesverwaltungsgericht lässt jedoch in seiner Entscheidung eine nachvollziehbare Auseinandersetzung damit, ob eine zeitnahe Abschiebung des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in Afghanistan tatsächlich realisierbar und somit die Anhaltung in Schubhaft verhältnismäßig ist, vermissen. Somit hat das Bundesverwaltungsgericht dadurch, dass es die im Lichte des Art2 Abs1 Z7 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit gebotene einzelfallbezogene Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft unterlassen hat, die Rechtslage grob verkannt und den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt (vgl VfSlg 14.981/1997, 17.288/2004, 18.145/2007, 19.365/2011).
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.
Schlagworte
Schubhaft, Freiheit persönliche, AußerlandesbringungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:E3115.2021Zuletzt aktualisiert am
19.10.2021