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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
EO §1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger sowie den Hofrat Dr. Thoma und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der F GmbH & Co KG in D, Deutschland, vertreten durch die Eisenberger & Herzog Rechtsanwalts GmbH in 1100 Wien, Wienerbergstraße 11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Mai 2021, W101 2231911-1/2E, betreffend Gerichtsgebühren (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Präsidentin des Handelsgerichts Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den Bescheid der Präsidentin des Handelsgerichts Wien vom 4. Mai 2020, mit dem der Antrag der Revisionswerberin auf Rückzahlung der halben Pauschalgebühr aus Anlass des Grundverfahrens zu 33Cg 3/20w des Handelsgerichts Wien abgewiesen worden war, als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.
2 Das BVwG stellte fest, der Revisionswerberin seien mit Einbringung einer Klage in einem insolvenzrechtlichen Verfahren zu 33Cg 3/20w beim Handelsgericht Wien Pauschalgebühren nach Tarifposten (TP) 1 GGG in Höhe von EUR 21.274,-- entstanden, die durch Gebühreneinzug entrichtet worden seien. Die Klage der Revisionswerberin sei am 20. Januar 2020 an den Verfahrensgegner zugestellt worden. Die Klagsrückziehung sei am 12. Februar 2020 aufgrund eines Vergleichs vor der ersten Tagsatzung erfolgt.
3 In der Begründung führte das BVwG zusammengefasst aus, eine Ermäßigung der Pauschalgebühr nach Anmerkung 2 zu TP 1 GGG trete nicht ein, wenn die Zurückziehung aufgrund eines vorprozessualen Vergleiches erfolgt sei. Ein vorprozessualer Vergleich sei nicht einem in der ersten Tagsatzung vom Verhandlungsleiter protokollierten Vergleich gleich zu setzen. Der gegenständliche Rückzahlungsantrag könne auch nicht auf Anm. 3 zu TP 1 GGG gestützt werden, weil die Klage erst nach Zustellung an die beklagte Partei zurückgezogen worden sei. Der Rückzahlungsanspruch erweise sich demnach als nicht berechtigt und der darauf gerichtete Antrag sei gemäß § 6c Abs. 2 GEG abzuweisen.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die dem Verwaltungsgerichtshof vom BVwG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.
5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision in einem nach
§ 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
6 Gemäß Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein in einem Gerichtsverfahren bereits vor der vorbereitenden Tagsatzung abgeschlossener Vergleich, der die Rechtssache endgültig erledige, den Kläger zur Rückerstattung der halben Pauschalgebühr im Sinne der Anmerkung 2 zu TP 1 GGG berechtige. Es könne dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden, dass er Vergleiche, die vor einer vorbereitenden Tagsatzung rechtswirksam abgeschlossen und den Klagsanspruch auch materiell erledigen würden, nicht mit der Ermäßigung der Pauschalgebühr fördern zu wollen, obwohl eine solche Vorgehensweise die Gerichte deutlich mehr entlaste als ein Vergleich in der vorbereitenden Tagsatzung.
9 Die Revision ist zulässig. Die Revisionswerberin ist mit ihrem Vorbringen aber nicht im Recht.
10 Gemäß § 1 Z 1 Gerichtliches Einbringungsgesetz (GEG) sind Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren von Amts wegen einzubringen. Die Rückzahlung der nach § 1 GEG einzubringenden Beträge ist - soweit für den vorliegenden Fall relevant - von Amts wegen oder auf Antrag der Partei, die die Beträge entrichtet hat, zu verfügen, soweit sich in der Folge ergibt, dass ein geringerer Betrag geschuldet wurde. Insoweit sich jedoch der Rückzahlungsanspruch als nicht berechtigt erweist, ist er von der Behörde mit Bescheid abzuweisen (§ 6c Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 GEG).
11 Die Anmerkungen 1, 2 und 3 zu TP 1 des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz - GGG), BGBl. Nr. 501/1984 , in der im Revisionsfall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 81/2019, lauten:
„Anmerkungen
1. Der Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 unterliegen alle mittels Klage einzuleitenden gerichtlichen Verfahren in bürgerlichen Rechtssachen, Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden gegen Erkenntnisse der Börsenschiedsgerichte, Bestandverfahren, Verfahren über Anträge auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls und Verfahren über Beweissicherungsanträge.
2. Die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 ist auch für prätorische Vergleiche (§ 433 ZPO) sowie für Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen und Europäischer Beschlüsse zur vorläufigen Kontenpfändung außerhalb eines Zivilprozesses zu entrichten; in diesen Fällen und wenn die Rechtssache in der ersten Verhandlung rechtswirksam verglichen wird, ermäßigt sich die Pauschalgebühr nach Tarifpost 1 auf die Hälfte. Für Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen nach den §§ 382b, 382e und 382g EO fallen keine Gebühren nach Tarifpost 1 an.
[...]
3. Wird die Klage oder ein in den Anmerkungen 1 oder 2 zur Tarifpost 1 angeführter Antrag vor Zustellung an den Verfahrensgegner zurückgezogen, so ermäßigen sich die Pauschalgebühren auf ein Viertel. Das gleiche gilt auch, wenn die Klage oder der Antrag - ausgenommen den Fall einer Überweisung nach § 230a ZPO - von vornherein zurückgewiesen wird. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.“
12 Nach den diesbezüglich unbestrittenen Feststellungen des BVwG erfolgte die Klagsrücknahme durch die Revisionswerberin nach Zustellung der Klage an die Prozessgegnerin. Der Klagsrücknahme lag ein außergerichtlicher Vergleich zu Grunde.
13 Nach dem Vorbringen der Revisionswerberin war der insolvenzrechtliche Prüfprozess durch die Klagsrückziehung nach Anerkenntnis der Forderung im Insolvenzverfahren, das durch Rückziehung der Forderungsbestreitung umgesetzt wurde, beendet. Anm 2 zu TP 1 GGG sei teleologisch so auszulegen, dass eine Refundierung der halben Pauschalgebühr auch im Fall eines außergerichtlich geschlossenen Vergleiches unter der Voraussetzung einer endgültigen Verfahrensbeendigung gewährt wird.
14 Die Ermäßigung der Pauschalgebühr gemäß Anmerkung 2 zu TP 1 GGG auf die Hälfte ist - soweit für den vorliegenden Fall relevant - im Fall eines prätorischen Vergleiches vorgesehen und wenn die Rechtssache in der ersten Verhandlung rechtswirksam verglichen wird. Der Tatbestand des rechtswirksamen Vergleiches in der ersten Verhandlung wurde mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 81/2019, in das GGG eingefügt. In den Materialien wird dazu ausgeführt (IA 80/A NR 26. GP 84):
„Wenn eine Rechtssache in der ersten Verhandlung verglichen wird, ist das von Aufwand und Ergebnis einem prätorischen Vergleich gleichzuhalten. Auch der Aufwand des Gerichts ist durch die halbe Pauschalgebühr abgedeckt.“
15 Den beiden Ermäßigungstatbeständen in Anmerkung 2 zu TP 1 GGG ist gemein, dass sie an den Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches anknüpfen. Der gerichtliche Vergleich existiert in zwei Formen: Als bereits vor Einleitung eines Prozesses möglicher, gerichtlicher (sog. prätorischer) Vergleich nach § 433 ZPO und als in § 204 ZPO vorgesehener Prozessvergleich (Klicka in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 §§ 204 - 206 ZPO Rz 2). Der gerichtliche Vergleich ist ein vor Gericht geschlossener prozessrechtlicher Vertrag, durch den die Parteien den Rechtsstreit gütlich beenden oder einzelne Streitpunkte bereinigen. Nach der Lehre von der Doppelnatur oder vom Doppeltatbestand des gerichtlichen Vergleiches ist zwischen seiner materiellen und seiner prozessualen Wirksamkeit zu unterscheiden (VwGH 8.2.1990, 89/16/0065, mwN). Der gerichtliche (prozessuale) Vergleich ist Rechtsgeschäft und Prozesshandlung und hat nach herrschender Ansicht Doppelfunktion
(5 Ob 199/08p = SZ 2008/176, mwN). In dem Umfang, in dem im Zuge eines gerichtlichen Prozessvergleiches eine Einigung über den Gegenstand des Rechtsstreits erfolgt ist, kommt dem Prozessvergleich unmittelbar prozessbeendende Wirkung zu (Klicka in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 §§ 204 - 206 ZPO Rz 16). Einem außerprozessualen Vergleich kommt keine unmittelbare prozessbeendende Wirkung zu (Klicka in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 §§ 204 - 206 ZPO Rz 17). Gerichtliche Vergleiche, welche über privatrechtliche Ansprüche vor Zivil- oder Strafgerichten abgeschlossen wurden, sind gemäß § 1 Z 5 Exekutionsordnung (RGBl. Nr. 79/1896, in der im Revisionsfall maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 148/2020 - EO) Exekutionstitel (zur prozessbeendenden Wirkung des gerichtlichen Vergleiches vgl. auch VwGH 18.5.2020, Ra 2019/16/0142, mwN).
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes knüpft die Gebührenpflicht bewusst an formale äußere Tatbestände an, um eine möglichst einfache Handhabung des Gesetzes zu gewährleisten. Eine ausdehnende oder einschränkende Auslegung des Gesetzes, die sich vom Wortlaut insoweit entfernt, als sie über das Fehlen eines Elements des im Gesetz umschriebenen formalen Tatbestands, an den die Gebührenpflicht oder die Ausnahme hievon anknüpft, hinwegsieht, würde diesem Prinzip nicht gerecht werden (vgl. VwGH 6.10.2020, Ra 2020/16/0126, mit Verweis auf die bei Dokalik, Gerichtsgebühren13, § 1 E 13 angeführte hg. Judikatur).
17 Die gebührenrechtlichen Ermäßigungstatbestände (prätorischer Vergleich und gerichtlicher Vergleich in der ersten Verhandlung) knüpfen jeweils an den Abschluss eines gerichtlichen Vergleiches an. Ein Prozessvergleich hat im Umfang der Einigung unmittelbar prozessbeendende Wirkung und bildet gemäß § 1 Z 5 EO einen Exekutionstitel. Außergerichtliche Vergleiche erfordern zur Prozessbeendigung hingegen weitere Prozesshandlungen, wie z.B. die Klagsrückziehung. Soweit sie formlos abgeschlossen werden, sind sie keine Exekutionstitel im Sinne des § 1 EO. Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber außergerichtliche Vergleiche Prozessvergleichen gebührenrechtlich gleichstellen wollte. Eine analoge Anwendung des Ermäßigungstatbestandes „wenn die Rechtssache in der ersten Verhandlung rechtswirksam verglichen wird“ auf einen vor der mündlichen Verhandlung abgeschlossenen außergerichtlichen Vergleich kommt somit nicht Betracht.
18 Da im gegenständlichen Fall ein Prozessvergleich nicht abgeschlossen wurde, erweist sich der Rückzahlungsanspruch der Revisionswerberin gemäß § 6c Abs. 2 GEG in Verbindung mit Anmerkungen 2 zu TP 1 GGG als nicht berechtigt.
19 Vor diesem Hintergrund kommt es auf die Feststellung der Rückziehung der Forderungsbestreitung der Insolvenzverwalterin nicht an, so dass die von der Revisionswerberin vorgebrachte Aktenwidrigkeit nicht zu erkennen ist.
20 Da schon der Inhalt der Revision erkennen lässt, dass die behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen, war die Revision ohne weiteres Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 23. September 2021
Schlagworte
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021160051.L00Im RIS seit
15.10.2021Zuletzt aktualisiert am
09.11.2021