Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1Spruch
W114 2202043-1/48E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Bernhard DITZ über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 19.06.2018, Zl. 1098143402/151947700, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.03.2020 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
II. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 09.07.2022 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. XXXX , im Weiteren: Beschwerdeführer oder BF, ein afghanischer Staatsbürger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Moslem, stellte am 07.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.
2. Bei der am 08.12.2015 erfolgten Erstbefragung vor der Polizeiinspektion Traiskirchen gab der Beschwerdeführer an, am XXXX geboren zu sein. Er sei schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Tadschiken an. Er stamme aus dem Dorf XXXX , welches sich in der Provinz Baghlan befinde. Seine Muttersprache sei Dari. Er habe "bis zur 8. Klasse zu Hause einen Privatlehrer gehabt". Er habe eine Schwester und drei Brüder. Sein älterer Bruder sei bereits verstorben. Seine Familie besitze eine Landwirtschaft und ein Wohnhaus und habe ihren Lebensunterhalt aus Erträgnissen der Landwirtschaft und durch den Verkauf von Alkohol bestritten. Eineinhalb Monate bevor er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, sei der Beschwerdeführer schlepperunterstützt mit seiner Familie aus Afghanistan ausgereist. An der Grenze zu Pakistan habe er seine Eltern verloren. Von Pakistan aus sei er allein nach Österreich gereist.
Befragt nach seinen Fluchtgründen führte er aus, dass sein Bruder von den Taliban getötet worden sei. Sein Vater habe gemeinsam mit dem älteren Bruder des Beschwerdeführers Alkohol produziert und verkauft. Ein Bekannter habe den Vater telefonisch über den Tod seines ältesten Sohnes informiert. Daraufhin sei die gesamte Familie gemeinsam geflüchtet.
3. In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 16.05.2018 führte er aus, dass er aus dem Dorf XXXX , im Distrikt Baghlan-e-Markazi, in der Provinz Baghlan, stamme. Im Kleinkindalter sei er mit seiner Familie in den Iran auswandert und im Alter von sechs Jahren nach Pakistan gezogen. Mit etwa neun Jahren sei er wieder nach Afghanistan zurückgekehrt.
Der BF wiederholte dabei sein in der Ersteinvernahme begründetes Fluchtvorbringen.
Befragt zu seinem Gesundheitszustand führte der Beschwerdeführer damals aus, dass er an Schlafstörungen und an Bluthochdruck leide. Sein Blutdruck sei damals regelmäßig kontrolliert worden. Ob der BF wegen des Bluthochdrucks Medikamente nehmen müsse, war zum Zeitpunkt der damaligen Einvernahme beim BFA noch offen.
Der Beschwerdeführer legte im Rahmen der Einvernahme beim BFA einen Lehrvertrag mit der XXXX vom 13.12.2017 (Lehre abgebrochen), diverse Unterstützungserklärungen, eine Berufsschulbestätigung vom 20.03.2018, eine Stellungnahme des Landeskrankenhauses Rankweil, Abt. Kinder- und Jugendpsychiatrie, vom 02.05.2018, hinsichtlich einer diagnostizierten posttraumatischen Belastungsstörung [F43.1], samt Verordnungsblatt, womit damals die Einnahme von Trittico 150 mg ret. verschrieben wurde, eine Bestätigung einer Psychotherapeutin vom ifs Psychotherapie Institut für Sozialdienste vom 12.06.2017, womit bestätigt wurde, dass der BF vom 13.03.2016 bis 12.06.2017 zur Psychotherapie angemeldet war sowie die Beendigung der Therapie aufgrund des Pensionsantrittes der Therapeutin, eine Schulbesuchsbestätigung für das Schuljahr 2015/16 vom 08.07.2016, einen Startausweis des österreichischen Boxverbandes, diverse Kursbesuchsbestätigungen sowie Deutschkursteilnahmebestätigungen vor.
4. Mit einer Stellungnahme zu den Länderfeststellungen und zur Asylrelevanz des Vorbringens vom 25.05.2018, verwies der BF auf die schlechte allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan, insbesondere in der Provinz Baghlan sowie auf die mangelnde Schutzfähigkeit afghanischer Sicherheitsbehörden. Hinsichtlich der damals von ihm vorgetragenen posttraumatischen Belastungsstörung wies er damals darauf hin, dass er damals zur vulnerablen Gruppe der „psychisch Kranken“ gehört habe. Es sei – so der Beschwerdeführer damals - von einer allgemeinen Gruppenverfolgung der sozialen Gruppe der „psychisch Kranken“ auszugehen. In Afghanistan gebe es keine geeigneten Psychiater und Psychologen. Psychische Krankheiten würden lediglich mit inadäquaten Medikamenten behandelt werden. Weiter, so damals der BF, werde er wegen seiner damaligen Minderjährigkeit, seiner Volksgruppenzughörigkeit als Tadschike und weil er schiitischer Moslem sei, verfolgt. Durch den Alkoholverkauf des Vaters und seines Bruders, werde der BF bei einer Rückkehr aufgrund seiner Familienzugehörigkeit von den Taliban verfolgt werden. Aufgrund der Vernetzung der Taliban sei eine innerstaatliche Fluchtalternative für den BF nicht vorhanden. Eine erforderliche medizinische Versorgung des BF sei bei einer Rückkehr nach Afghanistan nicht gewährleistet.
5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich vom 19.06.2018, Zl. 1098143402/151947700, wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm.
§ 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Begründend wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft dargelegt habe. Nicht der Beschwerdeführer, sondern der Vater des BF habe die Entscheidung über die Flucht der Familie aus Afghanistan getroffen. Der Beschwerdeführer habe nie vorgebracht, persönlich bedroht worden zu sein, sodass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan keine Bedrohung zu befürchten hätte. Sein weiteres Fluchtvorbringen stütze sich lediglich auf die allgemeine schlechte Situation in Afghanistan. Der Beschwerdeführer sei, so damals das BFA, jung, gesund und arbeitsfähig, sodass ihm eine Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere nach Kabul zumutbar sei. In Kabul gebe es ebenfalls Behandlungsmöglichkeiten bei psychischen Problemen. Die gesundheitlichen Probleme des BF seien nicht lebensbedrohlich und würden kein Abschiebehindernis darstellen. Insbesondere habe sich der BF selbst als gesund und arbeitsfähig bezeichnet. Der Beschwerdeführer könne mit Unterstützung von in Afghanistan wohnhaften Angehörigen rechnen.
Dieser Bescheid wurde dem BF am 26.06.2018 zugestellt.
6. Gegen diese Entscheidung erhob der BF, vertreten durch die XXXX Beschwerde wegen eines mangelhaft durchgeführten Ermittlungsverfahrens, inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die Behörde habe bei der Einvernahme die Minderjährigkeit des BF nicht berücksichtigt und somit die gebotene Manuduktionspflicht unterlassen. Der BF verwies auch auf die UNHCR-Richtlinien. Eine innerstaatliche Fluchtalternative sei mangels familiärer Anknüpfungspunkte in Afghanistan nicht vorhanden. Die Familie der Tante würde den BF jedenfalls nicht unterstützen, falls sie erfahren würde, dass die Familie des BF Alkohol verkauft habe. Außerdem wären die in Afghanistan lebenden Verwandten wirtschaftlich nicht in der Lage den Beschwerdeführer zu unterstützen. Aufgrund der Zugehörigkeit zur Gruppe der „psychisch Kranken“, zur Gruppe der „Familienangehörigen“ seines Vaters und seines Bruders, sowie aufgrund seiner westlichen Gesinnung, würde er bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein. Er zähle insbesondere wegen seines jugendlichen Alters, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Zugehörigkeit zur schiitischen Minderheit zu einer besonders vulnerablen Gruppe.
7. Die Beschwerde und die Unterlagen des Verwaltungsverfahrens wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Schreiben des BFA vom 24.07.2018 am 27.07.2018 zur Entscheidung vorgelegt.
8. Am 27.02.2019 übermittelte der BF eine Schulbesuchsbestätigung des Bundesoberstufenrealgymnasiums Lauterach vom 21.02.2019, in der bestätigt wird, dass der BF den Lehrgang für Jugendliche mit geringer Kenntnis der Unterrichtssprache besucht habe.
Am 19.09.2019 und am 11.10.2019 übermittelte der BF weitere Kursbestätigungen und diverse Empfehlungsschreiben.
9. Gemeinsam mit der Ladung zur Beschwerdeverhandlung vom 08.01.2020 wurden dem Beschwerdeführer umfassend Länderberichtsinformationsmaterial zu Afghanistan zugänglich gemacht und ihm die Möglichkeit geboten, dazu eine Stellungnahme abzugeben.
10. Am 03.02.2020 übermittelte das BFA dem BVwG eine Mitteilung des Arbeitsmarktservice (AMS) vom 27.01.2020, wonach dem BF eine Beschäftigungsbewilligung für Arbeiten bei der XXXX für den Zeitraum vom 24.01.2020 bis 23.01.2021 ausgestellt worden sei.
11. Mit Schreiben vom 13.02.2020 legte die XXXX , die ihr erteilte Vertretungsvollmacht zurück.
12. In der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 11.02.2020 wurde der Beschwerdeführer, nunmehr vertreten von XXXX , zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen befragt. Die Verhandlung fand im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari statt. Das BFA nahm an der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG nicht teil.
Zu seinem Gesundheitszustand befragt, führte der BF damals aus, dass er an Schlafstörungen und Bluthochdruck leide. Diesbezüglich legte der BF mehrere Arztbriefe des Allgemeinmediziners XXXX vor, in denen hingewiesen wird, dass der BF an einer behandlungsbedürftigen juvenilen arteriellen Hypertonie leide. Er befinde sich „aufgrund dieser chronischen Diagnose" seit März 2018 in Behandlung. Er nehme die Dauermedikation "Enalapril 10 mg, Tbl. 1-0-0". Befragt nach seiner medizinischen bzw. therapeutischen Behandlung führte der BF aus, in einem Abstand von sechs bis acht Wochen seinen behandelnden Arzt aufzusuchen. Er messe täglich seinen Blutdruck. Die Aufzeichnungen lege er seinem Hausarzt vor. Bei Bedarf werde die Dosierung seines Medikaments angepasst. Er sei auch einmal bei einem Kardiologen gewesen. Dieser habe sein Herz, die Nieren sowie seinen Oberkörper untersucht. Der Beschwerdeführer konnte sich jedoch weder an den Namen dieses Kardiologen noch den Zeitpunkt, wann diese Untersuchungen durchgeführt wurden, erinnern.
Der Beschwerdeführer machte in der mündlichen Verhandlung einen wachen, klaren und selbstbewussten Eindruck.
Der Beschwerdeführer gab auch an, dass er eine in Österreich begonnene Lehre nach acht oder neun Monaten beendet habe.
In der mündlichen Verhandlung beantragte die Vertreterin des BF die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Psychiatrie, hinsichtlich des psychischen Zustandes des Beschwerdeführers und der Folgen einer möglichen Abschiebung nach Afghanistan.
13. Am 31.03.2020 übermittelte der BF ein ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung - Sprachniveau B1 vom 29.01.2020, in welchem bescheinigt wird, dass der BF "die B1-Prüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Sprachniveau B1 und Werte- und Orientierungswissen" bestanden habe.
14. Ausgehend davon, dass zum Zeitpunkt des Beginnes der Corona-Pandemie in Österreich im Frühjahr 2020 nach damaliger Auffassung des erkennenden Gerichtes in der zugänglichen nationalen und internationalen Berichterstattung die Lage in Afghanistan hinsichtlich der weltweit herrschenden Covid-19-Pandemie nicht ausreichend beurteilbar dargestellt wurde und angesichts des Umstandes, dass nach damaliger Auffassung des erkennenden Gerichtes nicht hinreichend valide beurteilbar gewesen ist, ob die beim Beschwerdeführer attestierte juvenile Hypertonie bei einer Infektion mit dem Corona-Virus zu relevanten Beeinträchtigung im Hinblick auf Art. 3 EMRK führen könnte, wurde dem BF mit Erkenntnis des BVwG vom 29.04.2020, GZ. W114 220243-1/16E, der Status eines subsidiären Schutzberechtigten zuerkannt. Gleichzeitig wurde jedoch vom erkennenden Gericht die Beschwerde des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen. Die bestätigende Entscheidung des erkennenden Gerichtes hinsichtlich der Nichtgewährung des Status eines Asylberechtigten wurde von niemandem angefochten und somit rechtskräftig bzw. ist nicht (mehr) anfechtbar.
15. Die Entscheidung des BVwG hinsichtlich der befristeten Gewährung von subsidiärem Schutz und die damit verbundene Aufenthaltsberechtigung wurden vom BFA im Rahmen einer Amtsrevision mit außerordentlicher Revision am 12.05.2020 bekämpft.
16. Mit Erkenntnis vom 13.01.2021 hob der VwGH zu Ra 2020/19/0171 das Erkenntnis des BVwG vom 29.04.2020, GZ. W114 2202043-1/16E, hinsichtlich der angefochtenen Spruchpunkte A) II. bis IV. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf. Begründend führte der Gerichtshof aus, dass nach den wiedergegebenen Informationen des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutznämlich eine „chronische Erkrankung“ das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf gerade nicht erhöhe, wobei als Beispiel Personen genannt werden würden, deren hoher Blutdruck gut mit Medikamenten eingestellt sei. Würden hingegen Personen mit einer „schweren chronischen Grunderkrankung“ zusätzlich an Covid-19 erkranken, sei das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes erhöht. Der Beschwerdeführer, der nach den nicht beanstandeten Feststellungen des angefochtenen Erkenntnisses des BVwG an Bluthochdruck leide, zähle daher nicht zu den in den Informationen des BMSGPK beispielhaft angeführten Gruppen von Personen mit einer „schweren chronischen Grunderkrankung“.
Das BVwG lasse offen, ob die medikamentöse Behandlung der arteriellen Hypertonie des Beschwerdeführers bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiterhin möglich sei. Wenn das BVwG aber ausführe, dem Beschwerdeführer drohe selbst dann, wenn eine solche medikamentöse Behandlung in seinem Herkunftsstaat möglich wäre, die aktuelle Gefahr einer schweren, unter den dortigen medizinischen Gegebenheiten nicht behandelbaren Erkrankung und daher ein Eingriff in seine Rechte nach Art. 2 EMRK, setze es sich mit den oben genannten Feststellungen in Widerspruch, dass bei Personen, deren Bluthochdruck gut mit Medikamenten eingestellt sei, eine chronische Erkrankung das Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes gerade nicht erhöhe.
Dieses Erkenntnis des VwGH vom 13.01.2021 wurde dem BVwG am 22.01.2021 zugestellt.
17. Im Zuge der Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens betreffend die Spruchpunkte II. bis VI. des vom BF angefochtenen Bescheides des BFA vom 19.06.2018, Zl. 1098143402/151947700, wurde der BF mit Schreiben des BVwG vom 26.02.2021 aufgefordert aktuelle medizinische Unterlagen hinsichtlich seines aktuellen Gesundheitszustandes vorzulegen. Mit diesem Schreiben wurde auch das damals aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Afghanistan zur Kenntnisnahme übermittelt und darüber hinaus Gelegenheit zu einem allfälligen ergänzenden Vorbringen eingeräumt.
18. In einer Stellungnahme vom 29.03.2021 wies der Beschwerdeführer hin, dass er nach einer COVID-Infektion zusätzlich zu einer bestehenden arteriellen Hypertonie und Schlafstörungen unter anhaltenden funktionalen Herzbeschwerden und einem Long Covid Syndrom leide. Seine juvenile Hypertonie werde nach wie vor mit einer täglichen Einnahme von 10mg Enalapril behandelt. Er wies darauf hin, dass er in der darauffolgenden Woche (KW 14/2021) einen weiteren Untersuchungstermin bei einem Facharzt für Innere Medizin habe. Dazu legte er ein Attest des Allgemeinmediziners XXXX vom 16.03.2021 vor, in welchem Folgendes ausgeführt wird:
„Bei Herrn XXXX besteht eine arterielle Hypertonie, sowie eine anhaltende Dyscardie bei st.p. COVID Infektion sowie ein long Covid Syndrome. Herr XXXX benötigt laufend Medikamente zur Behandlung der juvenilen Hypertonie und Kontrolluntersuchungen.“
Zusätzlich wurde ein mit 24.03.2021 datiertes Rezept bezüglich der Verschreibung von Enalapril 10 mg samt Dosierungsanleitung, wonach 10 mg Enalapril täglich in der Früh eingenommen werden sollen, vorgelegt.
In dieser Stellungnahme wurde – ohne Bezugnahme auf weitere nachvollziehbare relevante medizinisch Unterlagen – vom BF behauptet, dass der BF aufgrund seiner Vorerkrankungen zur Risikogruppe der durch das Covid-19 Virus besonders gefährdeten Personen gehöre, die von einer Reinfektion durch verschiedene Virusvarianten betroffen sein könnten. Die medizinische Versorgungslage in Afghanistan habe sich tendenziell Pandemie-bedingt weiter verschlechtert. Die vom BF aufgrund seiner Grunderkrankungen benötigte medizinische Versorgung sei nicht gesichert. Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie seien in Afghanistan katastrophal.
Der BF sei vor dem Hintergrund der katastrophalen Versorgungssituation in Afghanistan und mangels gesicherter medizinischer Versorgung sowie mangels eines sozialen Netzwerks nicht in der Lage Unterkunft und Arbeit zu finden. Es könne somit im konkreten Fall davon ausgegangen werden, dass der BF im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat in eine derart ausweglose Lage geraten würde, die ihm jegliche Existenzgrundlage entzogen wäre. Dem BF sei eine Ansiedlung in den Städten Herat und Mazar-e Sharif daher nicht zumutbar.
In eventu werde eine Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig zu erklären und dem BF ein Aufenthaltstitel gem. § 55 AsylG zu erteilen sein. Er halte sich bereits mehr als fünf Jahre in Österreich auf. Nur bei einer kürzeren Aufenthaltsdauer als fünf Jahre sei nach der Rechtsprechung des VwGH das Erfordernis einer „außergewöhnlichen Konstellation“ (von der Beschwerdeführervertreterin ist offensichtlich damit das Vorliegen außergewöhnlicher Integrationsschritte gemeint) zu erfüllen. Nur bei einer Aufenthaltsdauer von unter fünf Jahren sei eine strenge Interessenabwägung vorzunehmen. Nach der Rechtsprechung des VwGH könne ab einer Aufenthaltsdauer von fünf Jahren somit vielmehr regelmäßig von einem Überwiegen der privaten Interessen an einem Verbleib in Österreich ausgegangen werden, sofern sonstige integrative Elemente erfüllt seien und andere Aspekte des Familienlebens nach Art 8 EMRK als gegeben erachtet werden könnten.
Der Beschwerdeführer habe im Jänner 2018 eine „Deutschprüfung“ auf dem Niveau B1 abgelegt. Der BF habe sich in der Zwischenzeit bestens integriert. Seit November 2020 habe der BF durchgehend bei einem Vorarlberger Unternehmen mit einem monatlichen Bruttoverdienst von € 1900.-- vollzeitbeschäftigt. Der BF sei somit selbsterhaltungsfähig. Der BF habe es außerdem geschafft, sich während seiner Aufenthaltsdauer in Österreich ein soziales Netz aufzubauen. Er sei strafrechtlich unbescholten.
Mit diesem Schreiben legte der BF neben den beiden vorgenannten medizinischen Unterlagen auch einen Arbeitsvertrag hinsichtlich eines seit 09.11.2020 laufenden Beschäftigungsverhältnisses, diverse Gehaltsbestätigungen, ein bereits bekanntes ÖIF-Zeugnis zur Integrationsprüfung - Sprachniveau B1 vom 29.01.2020 sowie zwei Schreiben von XXXX und von XXXX vor, in denen der BF als aufgeschlossener, höflicher, kommunikativer, hilfsbereiter, freundlicher und interessierter junger Mann beschrieben wird.
19. Diese Stellungnahme wurde an das BFA zum Parteiengehör übermittelt, welches sich dazu in weiterer Folge jedoch nicht äußerte.
20. Da für das erkennende Gericht mangels einschlägiger fachmedizinischer Kenntnisse nicht beurteilbar war, inwieweit der Beschwerdeführer krank ist, und ob eine allfällige Erkrankung bei einer Rückkehr nach Afghanistan dazu führen könnte, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan unter Berücksichtigung von Art. 2 EMRK in eine besorgniserregende Situation geraten würde, wurde nach vorheriger Durchführung des Parteiengehörs mit Beschluss vom 26.05.2021, GZ W114 2202043-1/40Z, XXXX , XXXX , zum nichtamtlichen Sachverständigen bestellt. Unter einem wurde er ersucht, den Beschwerdeführer zu untersuchen und dabei alle erforderlichen Untersuchungsmaßnahmen und Konsultationen durchzuführen, um folgende Fragen in seinem Gutachten zu beantworten:
1) Welches Krankheitsbild weist der BF nach durchgeführter Untersuchung aktuell auf?
2) Ist aus fachmedizinischer Sicht das bei der Untersuchung festgestellte Krankheitsbild beim BF derart außergewöhnlich, dass bei einer Nichtbehandlung dieses Krankheitsbildes damit eine reale Gefährdung des Lebens, ein reales Auftreten von Leiden oder eine reale Verkürzung der Lebenserwartung des BF erwartet werden muss oder erwartet werden kann?
3) Welche Behandlung ist aus fachmedizinischer Sicht erforderlich, um hinsichtlich des festgestellten Krankheitsbildes beim BF mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sicherzugehen, dass dadurch eine reale Gefährdung des Lebens, ein reales Auftreten von Leiden oder eine reale Verkürzung der Lebenserwartung des BF nicht eintritt?
4) Ist diese erforderliche Behandlung aus fachmedizinischer Sicht in Österreich gewährleistet und verfügbar?
5) Ist diese erforderliche Behandlung aus fachmedizinischer Sicht – allenfalls auch mit gleichwertigen Behandlungsmethoden auch in Afghanistan (abgesehen von zentralen Krankenhäusern in der Hauptstadt Kabul auch in Krankenhäusern in Provinzhauptstädten) gewährleistet und verfügbar?
6) Ist aus fachmedizinischer Sicht in Afghanistan eine arterielle Hypertonie bzw. eine juvenile Hypertonie behandelbar?
7) Handelt es sich beim in Österreich verschriebenen Medikament Enalapril 10 mg um ein Medikament, das auch in Afghanistan erhältlich ist oder gibt es in Afghanistan hinsichtlich des darin enthaltenen Wirkstoffes Enalapril gleichwertige Medikamente?
21. Die Untersuchung des Beschwerdeführers durch XXXX fand am 16.06.2021 im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari in dessen Ordination statt.
22. Am 23.06.2021 langten im BVwG Befund und Gutachten vom 19.06.2021 zu den vom BVwG an XXXX gestellten Fragen mit folgendem Inhalt ein:
„Befund
Grundlagen
Die Befunderhebung wurde aus folgenden Dokumenten erstellt: Stellungnahme von XXXX vom 16.03.2021, Stellungnahme von XXXX vom 19.02.2021, Stellungnahme von XXXX vom 02.05.2018; darüber hinaus aus Befunderhebung mit Anamnese, Status, EKG und Echokardiographie in meiner Ordination am 16.06.2021 unter Beiziehung einer vom BVwG bestellten Sachverständigen. Weiters wurde die rezenteste Fachliteratur studiert, insbesondere in Bezug auf die Verfügbarkeit der notwendigen Therapie in Afghanistan.
Aktuelle Befunde und zusammenfassende Sachverhaltsdarstellung
Aktuelle Anamnese im Beisein der Dolmetscherin ( XXXX XXXX ): „…Ich leide unter Bluthochdruck, ich habe ausgeprägte Schlafstörungen; im Dezember 2020 bin ich an Corona erkrankt und seither habe ich immer wieder "Herzschmerzen". Nach der Erkrankung an Corona waren die Schmerzen regelmäßig für drei bis vier Monate, seit einem Monat nur manchmal. Ich messe zu Hause regelmäßig Blutdruck, dabei komme ich auf Werte von ca. 150/100 mmHg im Durchschnitt unter Enalapril Therapie.“
FK: juvenile Hypertonie
Derzeitige Medikation: ENALAPRIL SAN TBL 10MG 1-0-0
Status: Blutdruck 182/90 mmHg; Puls: rhythmisch, normofrequent, über dem Herzen findet sich eine rhythmische, normofrequente Herzaktion mit erhaltenen Herztönen, kein pathologisches Herzgeräusch, über der Lunge Vesikuläratmung; Das Abdomen ist im Thoraxniveau, ist weich ohne Resistenz oder Defense; die unteren Extremitäten sind schlank und warm, die peripheren Pulse palpabel.
EKG: SR, normofrequent, regelrechte P Wellen, PQ normal, schlanke QRS Komplexe in normaltypischer Achse, regelrechte R-Progression, positive Sokolow Lyon Kriterien für Linksventrikelhypertrophie, unauffällige Repolarisation.
Echokardiographie: Aorta unauffällig; linker Vorhof normal groß; Aortenklappe trikuspid, keine AS, keine AI; keine MI; normal dimensionierter LV, normal dimensioniertes Septum, normale LV Funktion, keine regionalen Wbstg; RV normal groß, normale RV Funktion, TK unauffällig, PK unauffällig, kein Perikarderguß.
Zusammenfassung des klinischen Bildes in der Ordination vom 16.06.2021:
Der Beschwerdeführer, Hr. XXXX , geb. XXXX , leidet an einem juvenilen Bluthochdruck, einer Hypertonie Grad III. Wie auch in der Tabelle der Behandlungsrichtlinien zusammenfasst (Siehe Abbildung 1), handelt es sich hierbei um die schwerste Form der Hypertonie.
Abbildung 1:
Verfügbarkeit der benötigten Medikamente in Afghanistan
Derzeit steht der Beschwerdeführer unter einer antihypertensiven Monotherapie (das heißt, er nimmt ein Präparat gegen den Bluthochdruck) nämlich Enalapril 10 mg 1x täglich, diese Dosierung ist aufgrund der vorgelegten Heimblutdruckmessungen sowie der Blutdruckmessung in der Ordination eindeutig nicht ausreichend. Es ist davon auszugehen, dass zumindest eine Dreifachkombination notwendig ist, möglicherweise vier Blutdruckmittel einzusetzen sind, um die Hypertonie zu kontrollieren, das heißt unter einen Durchschnittswert von 130/80mmHg zu drücken. Ausgehend von einer vierfach antihypertensiven Therapie mit Enalapril, Amlodipin, Atenolol und Hydrochlorothiazid, die preislich die günstigsten Medikamente in Niedrigeinkommen-Ländern (Low income Countries) laut WHO Bericht sind, ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer ausgehend vom Durchschnittseinkommen, 16 Tage des Monats in Afghanistan arbeiten müsste, um die Monatsdosis dieser vier Präparate erwerben zu können. Darüber hinaus ist nicht nur die Leistbarkeit der Medikamente zu betrachten, sondern auch die Verfügbarkeit in Afghanistan zu sehen. Wie wohl Enalapril sowie die anderen genannten antihypertensiven Substanzen grundsätzlich verfügbar sind, ist laut rezentem WHO und UN-Bericht eine Verfügbarkeit nur in 3,2 bis 11,9% für kardiovaskuläre Medikamente im Bereich der Hypertonie gegeben. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit für ein Individuum, Monat für Monat verlässlich die Medikamente erwerben zu können, liegt zwischen 3 und 12%. Ich verweise dahingehend auf die Arbeiten von Dr. Husain, publiziert in Journal of the American Heart Association sowie die Arbeit von Dr. Ewen publiziert in PLoS One. Auszüge daraus sind unterhalb dieses Textes als Abbildung 2 und 3 zu sehen.
Abbildung 2
Muhammad Jami Husain. Journal of the American Heart Association. Access to Cardiovascular Disease and Hypertension Medicines in Developing Countries: An Analysis of Essential Medicine Lists, Price, Availability, and Affordability, Volume: 9, Issue: 9, DOI: (10.1161/JAHA.119.015302)
Abbildung 3
Ewen M, Zweekhorst M, Regeer B, Laing R. Baseline assessment of WHO's target for both availability and affordability of essential medicines to treat non-communicable diseases. PLoS One. 2017 Feb 7;12(2):e0171284. doi: 10.1371/journal.pone.0171284. PMID: 28170413; PMCID: PMC5295694.
Prognostische Bedeutung einer unbehandelten juvenilen Hypertonie
Die prognostische Bedeutung einer unbehandelten juvenilen Hypertonie liegt in dem Auftreten von lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Schlaganfall, Nierenversagen bis zur Dialysepflicht und koronare Herzkrankheit, sowie Herzinfarkt. Das Risiko an einem kardiovaskulären Ereignis zu versterben, verdoppelt sich mit der Erhöhung um 20 mmHg des oberen Blutdruckwertes und 10mmHg des unteren Blutdruckwertes, ausgehend von 120/80 mmHg. Somit ist in diesem Falle durch das Vorliegen eines in der Ordination gemessenen Blutdrucks von 180/90mmHg von einem 4 bis 6-Fach höheren Risiko des Eintretens eines akuten kardiovaskulären Ereignisses auszugehen. Insbesondere emotionale Belastung in extremem Ausmaße kann als Katalysator eines Akutereignisses unter diesen Voraussetzungen fungieren.
Gutachten
Medizinische Grundlagen
Bluthochdruck im jugendlichen Alter ist mit einer schlechten Prognose vergesellschaftet, unbehandelt kommt es zu einer deutlichen Reduktion der Lebenserwartung, beziehungsweise einer deutlichen Reduktion der Lebensjahre ohne körperliche Einschränkung, sog. DALYs (Disability Adjusted Life Years). Als Komplikationen der juvenilen Hypertonie sind allen voran juveniler Schlaganfall, Herzinfarkt sowie Nierenschwäche zu nennen. Auch die Entwicklung einer Herzschwäche ist bei unbehandelter juveniler Hypertonie zu erwarten. Diese Krankheiten führen zu einer deutlichen Einschränkung der Lebensqualität und wie oben erwähnt, zu einer deutlichen Verkürzung der Lebenserwartung. Während die Hauptproblematik in dem chronischen Zustandsbild liegt, mit der Entwicklung dieser Ereignisse über Jahre und Jahrzehnte, ist bei Hypertonie Grad III, wie in diesem Falle vorliegend, auch in extremen Belastungssituationen, in denen Blutdruckspitzen über 220, 230 zu erwarten sind, eine akute Bedrohung des Gesundheitszustandes nicht auszuschließen. Bei einer adäquaten Therapie, in diesem Falle ist mit einer 3 bis 4-Fach Kombinationstherapie zu rechnen, um den Blutdruck adäquat kontrollieren zu können, kann von einer nahezu normalen Lebenserwartung und guten Prognose in Bezug auf die Vermeidung der kardiovaskulären Ereignisse ausgegangen werden.
Zu den Fragen des Gerichtes
1. Welches Krankheitsbild weist der Beschwerdeführer nach durchgeführter Untersuchung aktuell auf?
Es handelt sich bei dem vorliegenden Krankheitsbild um eine juvenile Hypertonie Grad III, der schwersten Form der Hypertonie, da der systolische Blutdruck >180 beträgt und der diastolische Blutdruck über 90 zu liegen kommt.
2. Ist aus fachmedizinischer Sicht das bei der Untersuchung festgestellte Krankheitsbild beim Beschwerdeführer derart außergewöhnlich, dass bei einer Nichtbehandlung dieses Krankheitsbildes damit eine reale Gefährdung des Lebens, ein reales Auftreten von Leiden oder eine reale Verkürzung der Lebenserwartung des Beschwerdeführers erwartet werden muss, oder erwartet werden kann?
Aus fachmedizinischer Sicht ist, wie auch oben dargelegt, eine Nichtbehandlung dieses Krankheitsbildes potentiell mit einer Gefährdung des Lebens, einem realen Auftreten von Leiden oder einer realen Verkürzung der Lebenserwartung zu rechnen, da eine unbehandelte Hypertonie Grad III immer mit schweren chronischen und möglicherweise mit akuten Folgeerscheinungen vergesellschaftet ist.
3. Welche Behandlung ist als fachmedizinischer Sicht erforderlich, um hinsichtlich des festgestellten Krankheitsbildes beim Beschwerdeführer mit hinreichender Wahrscheinlichkeit sicher zu gehen, dass dadurch eine reale Gefährdung des Lebens, ein reales Auftreten von Leiden oder eine reale Verkürzung der Lebenserwartung des Beschwerdeführers nicht eintritt?
Aus fachmedizinischer Sicht ist eine pharmakologische Kombinationstherapie erforderlich, aus der klinischen Erfahrung ist mit einer 3 bis 4-Fach-Kombination zu rechnen, um die Hypertonie adäquat zu kontrollieren. Darüber hinaus ist die juvenile Hypertonie auch differentialdiagnostisch auf das Vorliegen einer sekundären Hypertonie zu untersuchen.
4. Ist diese erforderliche Behandlung aus fachmedizinischer Sicht in Österreich gewährleistet und verfügbar?
Ja, die erforderlichen Behandlungen sind aus fachmedizinischer Sicht in Österreich gewährleistet und verfügbar.
5. Ist diese erforderliche Behandlung aus fachmedizinischer Sicht allenfalls auch mit gleichwertigen Behandlungsmethoden auch in Afghanistan, abgesehen von zentralen Krankenhäusern in der Hauptstadt Kabul und auch in Krankenhäusern in Provinzhauptstädten gewährleistet und verfügbar?
Nein, die erforderliche Dauerbehandlung ist aus fachmedizinischer Sicht nicht verfügbar bzw. de facto nicht verfügbar, da der Beschwerdeführer 16 Tage pro Monat allein für die Medikamentenkosten arbeiten müsste und selbst bei möglicher Finanzierung die Verfügbarkeit oder die garantierte Verfügbarkeit diese Medikamente Monat für Monat, die zwingend notwendig sind, nicht gegeben ist, da laut WHO-Report lediglich 3 bis 12 % der Patienten mit einer großen Verlässlichkeit und Sicherheit Monat für Monat die notwendigen Medikamente zur Verfügung haben.
6. Ist aus fachmedizinischer Sicht in Afghanistan eine arterielle Hypertonie bzw. eine juvenile Hypertonie behandelbar?
Ich möchte mich hier auf die Antwort der Vorfrage beziehen. Es ist grundsätzlich eine arterielle Hypertonie und auch eine juvenile Hypertonie behandelbar, da die Medikamente zugelassen sind und theoretisch verfügbar sind. Allerdings ist die tatsächliche Verfügbarkeit als nicht gegeben anzusehen, da sie im rezenten WHO Report nur 3 bis 12 % der Patienten mit Sicherheit Monat für Monat die stets benötigte Therapie erhalten.
7. Handelt es sich beim in Österreich verschriebenen Medikament Enalapril 10 mg um ein Medikament das auch in Afghanistan erhältlich ist, oder gibt es in Afghanistan hinsichtlich des darin enthaltenen Wirkstoffes Enalapril gleichwertige Medikamente?
Enalapril 10 mg ist in Afghanistan grundsätzlich zu erhalten, ebenso wie die alternativen Wirkstoffe Amlodipin, Hydrochlorothiazid oder Atenolol. Allerdings müssten alle vier Medikamente regelmäßig und in Kombination eingenommen werden, um die arterielle Hypertonie zu kontrollieren. Wie unter Punkt 5 und 6 dargelegt, ist eine verlässliche Verfügbarkeit dieser Medikamente in Afghanistan nicht gewährleistet.
Zusammenfassung
Zusammenfassend kann die notwendige Behandlung der in diesem Fall bestehenden juvenilen Hypertonie Grad III in Afghanistan aus heutiger Sicht nicht gewährleistet werden, es ist eine Pharmakotherapie in Afghanistan zwar theoretisch verfügbar und zugelassen, allerdings ist die Zugänglichkeit der zur Abwendung einer realen Gefährdung des Lebens notwendigen, regelmäßigen, ständigen und sicheren Medikamentenversorgung, wie aus der Literatur eindeutig zu entnehmen, nicht gegeben.
Literatur
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4. Bryan Williams, Giuseppe Mancia, Wilko Spiering, Enrico Agabiti Rosei, Michel Azizi, Michel Burnier, Denis L Clement, Antonio Coca, Giovanni de Simone, Anna Dominiczak, Thomas Kahan, Felix Mahfoud, Josep Redon, Luis Ruilope, Alberto Zanchetti, Mary Kerins, Sverre E Kjeldsen, Reinhold Kreutz, Stephane Laurent, Gregory Y H Lip, Richard McManus, Krzysztof Narkiewicz, Frank Ruschitzka, Roland E Schmieder, Evgeny Shlyakhto, Costas Tsioufis, Victor Aboyans, Ileana Desormais, ESC Scientific Document Group, 2018 ESC/ESH Guidelines for the management of arterial hypertension: The Task Force for the management of arterial hypertension of the European Society of Cardiology (ESC) and the European Society of Hypertension (ESH), European Heart Journal, Volume 39, Issue 33, 01 September 2018, Pages 3021–3104, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehy339
5. Österreichischer Blutdruckkonsens 2020; Austrian Consensus on High Blood Pressure 2020; Wiener klinische Wochenschrift 131(S6):489-590“
23. Nach Einlangen dieses Gutachtens im BVwG wurde dieses mit Schreiben vom 24.06.2021, GZ W114 2202043-1/47Z, sowohl an den Beschwerdeführer als auch an das BFA zum Parteiengehör übermittelt und ersucht eine allfällige Stellungnahme ehestmöglich, längstens jedoch bis 07.07.2021 an das BVwG zu übermitteln.
24. Innerhalb dieser Frist äußerten sich das BFA bzw. der Beschwerdeführer nicht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des erhobenen Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie der Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem BFA, der Stellungnahme des BF im Asylverfahren vom 25.05.2018, des angefochtenen Bescheides des BFA vom 19.06.2018, Zl. 1098143402/151947700, der dagegen erhobenen Beschwerde, der im Asyl- und Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente, der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 03.03.2020, des Erkenntnisses des BVwG vom 29.04.2020, der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision des BFA vom 12.05.2020, des teilweise aufhebenden Erkenntnisses des VwGH vom 13.01.2021, Ra 2020/19/0171, der Stellungnahmen des Beschwerdeführers im fortgesetzten Beschwerdeverfahren vom 29.03.2021 und vom 27.04.2021, insbesondere des eingeholten fachmedizinischen Gutachtens von XXXX vom 19.06.2021 und der Einsichtnahme in die Bezug habenden Unterlagen des Verwaltungsverfahrens, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister des BF sowie das Grundversorgungs-Informationssystem, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
Durch die Aufhebung der Spruchpunkte A II. bis IV. des Erkenntnisses des BVwG vom 29.04.2020, GZ. W114 2202043-1/16E, mit Erkenntnis des VwGH vom 13.01.2021 zu Ra 2020/19/0171 befindet sich das Beschwerdeverfahren hinsichtlich dieser Spruchpunkte wieder im Status vor der diesbezüglichen Entscheidung dieser Spruchpunkte.
1.1. Zum Beschwerdeführer:
1.1.1. Der volljährige Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Tadschiken und schiitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari, eine in Afghanistan sehr weit verbreitete Sprache. Der Beschwerdeführer stammt aus dem Dorf XXXX , im Distrikt Baghlan-e-Markazi, in der Provinz Baghlan. Im Kleinkindalter ist er mit seiner Familie in den Iran auswandert und im Alter von sechs Jahren nach Pakistan gezogen. Mit etwa neun Jahren ist er gemeinsam mit seiner Familie nach Afghanistan, in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Er genoss eine schulische Ausbildung.
1.1.2. Der Beschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder.
1.1.3. Der Beschwerdeführer leidet an einer lebensbedrohlichen Krankheit. Es handelt sich beim vorliegenden Krankheitsbild um eine juvenile Hypertonie Grad III, der schwersten Form der Hypertonie, da der systolische Blutdruck >180 beträgt und der diastolische Blutdruck über 90 zu liegen kommt.
Eine Nichtbehandlung dieses Krankheitsbildes gefährdet das Leben des Beschwerdeführers. Bei einer Nichtbehandlung würde der Beschwerdeführer leiden und es wäre zu erwarten, dass es zu einer realen Verkürzung seiner Lebenserwartung kommen würde, da eine unbehandelte Hypertonie Grad III immer mit schweren chronischen und möglicherweise mit akuten Folgeerscheinungen vergesellschaftet ist.
Aus fachmedizinischer Sicht ist eine pharmakologische Kombinationstherapie erforderlich, aus der klinischen Erfahrung ist mit einer 3 bis 4-Fach-Kombination zu rechnen, um die Hypertonie adäquat zu kontrollieren. Darüber hinaus ist beim Beschwerdeführer die juvenile Hypertonie auch differentialdiagnostisch auf das Vorliegen einer sekundären Hypertonie zu untersuchen.
Diese letztlich erforderlichen Behandlungen fanden bislang auch in Österreich nicht statt. Der Behandlungsbedarf wurde erst im Zuge des verfahrensgegenständlichen Beschwerdeverfahrens infolge der fachärztlich gebotenen Abklärung durch XXXX festgestellt. Die erforderlichen Behandlungen sind in Österreich aus fachmedizinischer Sicht gewährleistet und verfügbar.
Diese erforderlichen Behandlungen sind jedoch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit für den Beschwerdeführer in Afghanistan – allenfalls auch mit gleichwertigen Behandlungsmethoden –nicht gewährleistet oder verfügbar, da der Beschwerdeführer 16 Tage pro Monat allein für die Medikamentenkosten arbeiten müsste und selbst bei möglicher Finanzierung die Verfügbarkeit oder die garantierte Verfügbarkeit dieser Medikamente Monat für Monat, die zwingend notwendig sind, nicht gegeben ist, da laut WHO-Report lediglich 3 bis 12 % der Patienten mit einer großen Verlässlichkeit und Sicherheit Monat für Monat die notwendigen Medikamente zur Verfügung haben.
Der BF ist daher im Fall einer Rückführung nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einem realen Risiko einer ernsthaften Bedrohung seiner Gesundheit, seiner Lebenserwartung und damit seines Lebens ausgesetzt.
1.1.4. Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Inhalt der dem BVwG vom BFA vorgelegten Unterlagen im gegenständlichen Beschwerdeverfahren.
2.2. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers, zu seiner Volljährigkeit, zu seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, zu seinem Religionsbekenntnis als schiitischer Moslem, zu seiner Herkunft, zu seinem Familienstand und, dass der BF keine Kinder hat, stützen sich auf dessen insoweit im Asylverfahren gleichbleibende und glaubhaften Angaben, die im Übrigen auch nicht bestritten wurden. Das BVwG konnte sich in den mündlichen Verhandlungen davon überzeugen, dass der Beschwerdeführer Dari, eine in Afghanistan weit verbreitete Sprache, spricht. Zu seiner Schulbildung hat der BF unterschiedliche Angaben getätigt, sodass das erkennende Gericht angesichts der widersprüchlichen Angaben, dazu keine exakten Feststellungen zweifelsfrei treffen konnte. Das erkennende Gericht geht zweifelsfrei davon aus, dass der BF Schulunterricht genossen hat, da er lesen und schreiben kann. Die Feststellung zur Unbescholtenheit des BF stützt sich auf die eingeholte Strafregisterauskunft.
2.3. Die Feststellungen zur gesundheitliche Situation des Beschwerdeführers und deren Auswirkungen im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan ergeben sich aus dem im Auftrag des BVwG eingeholten Sachverständigengutachten vom 19.06.2021 von XXXX . Befund und Gutachten sind vollständig und in sich schlüssig bzw. nachvollziehbar. Fragen, die im Rahmen einer neuerlichen mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten, stellten sich dem erkennenden Gericht dabei nicht. Auch das BFA, dem Befund und Gutachten zum Parteiengehör übermittelt wurden, äußerten sich innerhalb der ausreichend zugestandenen Frist dazu nicht.
Das BVwG erhielt in der mündlichen Verhandlung durch die Einvernahme des BF einen persönlichen Eindruck. Psychische Auffälligkeiten waren dabei nicht feststellbar. Auch war bzw. ist der BF auch aktuell weder in psychiatrischer noch in psychotherapeutischer Behandlung. Der Antrag der Vertreterin des BF auf Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich Psychiatrie im Zuge der mündlichen Verhandlung am 03.03.2020 hinsichtlich des psychischen Zustandes des BF und der Folgen einer möglichen Abschiebung nach Afghanistan, erfolgte - nach Auffassung des erkennenden Gerichts - damals ohne nachvollziehbare Erfordernisse. Darüber hinaus hatte der BF selbst ausreichend Zeit, entsprechende Unterlagen oder Gutachten vorzulegen. Die Einholung des beantragten Gutachtens aus dem Fachbereich Psychiatrie ist zur einwandfreien Feststellung des Gesundheitszustandes des BF, weder zweckdienlich noch erforderlich.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den hier maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt somit in gegenständlicher Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu Spruchteil A)
Vorweg wird hingewiesen, dass mit Erkenntnis des BVwG vom 29.04.2020, GZ. W114 2202043-1/16E, die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des BFA vom 19.06.2018, Zl. 1098143402/151947700, abgewiesen wurde. Diese Entscheidung wurde weder vom BFA noch vom Beschwerdeführer angefochten, sodass sie rechtskräftig wurde. Damit wird an dieser Stelle hinsichtlich des vom Beschwerdeführer ursprünglich gestellten Antrages vom 07.12.2015 auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten lediglich erklärend hingewiesen, dass dieser Antrag mit Erkenntnis des BVwG vom 29.04.2020, GZ. W114 2202043-1/16E, rechtskräftig abgewiesen wurde und daher nicht Gegenstand der gegenständlichen Entscheidung ist.
3.1. Zu Spruchpunkt I. – Stattgabe der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
3.1.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
3.1.2. Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Das BVwG hat somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, 95/18/0049; 05.04.1995, 95/18/0530; 04.04.1997, 95/18/1127; 26.06.1997, 95/18/1291; 02.08.2000, 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, 98/01/0122; 25.01.2001, 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich der Art. 2 und 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, 95/21/0294; 25.01.2001, 2000/20/0438; 30.05.2001, 97/21/0560).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 30.09.2019, Ra 2018/01/0068, RZ 11; 21.02.2017, Ra 2016/18/0137; 10.08.2017, Ra 2016/20/0369-11 mwN sowie die Rechtsprechung des EGMR und EuGH).
Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 31.10.2019, Ra 2019/20/0309, RZ 14; 14.08.2019, Ra 2019/20/0347, RZ 6; 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, RZ 35). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 2 EMRK in Verbindung mit § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. vs. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059).
3.1.3. Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 2 und 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 2 oder 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137).
3.1.4. Neben der Sicherheitslage im Herkunftsland können das Vorhandensein einer Unterkunft und die Möglichkeit der Versorgung im Zielstaat unter dem Gesichtspunkt der Art. 2 oder 3 EMRK relevant sein. Dies insbesondere dann, wenn es sich um Antragsteller handelt, bei denen individuelle Gründe bestehen, die die Annahme einer besonderen Schutzbedürftigkeit rechtfertigen, wie z.B. Personen mit Erkrankungen, Familien mit Kleinkindern oder schwangeren Frauen (VfGH 14.12.2011, U2495/2010 mit Verweis auf VfGH 07.10.2010, U694/2010).
Laut den oben zitierten Richtlinien des UNHCR müssen auch die schlechten Lebensbedingungen sowie die prekäre Menschenrechtslage von intern vertriebenen afghanischen Staatsangehörigen bei der Prüfung der Zumutbarkeit berücksichtigt werden, wobei angesichts des Zusammenbruchs des traditionellen sozialen Gefüges der Gesellschaft auf Grund jahrzehntelang währender Kriege, massiver Flüchtlingsströme und interner Vertreibung hierfür jeweils eine Einzelfallprüfung notwendig ist (zur Indizwirkung von UNHCR-Richtlinien vgl. u.a. VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0278; 22.09.2017, Ra 2017/18/0166; 10.12.2014, Ra 2014/18/0103).
Für die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan reicht es nämlich nicht aus, sich bloß auf eine allgemein schlechte Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan zu berufen, sondern es müssen vom Betroffenen auch individuelle Umstände glaubhaft gemacht werden, die im Fall der Rückkehr nach Afghanistan eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK für maßgeblich wahrscheinlich erscheinen lassen. Solche Umstände vermochte der Beschwerdeführer im Verfahren darzulegen:
Ausgehend von einem im Beschwerdeverfahren eingeholten fachmedizinischen Gutachten von XXXX vom 19.06.2021, steht für das erkennende Gericht fest, dass der Beschwerdeführer, dessen Antrag auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten abgewiesen wurde, bei einer Zurückweisung oder Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr nach Afghanistan einer reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK ausgesetzt wäre.
Ausgehend von der Beantwortung von an XXXX im Rahmen der Gutachtenserstellung herangetragenen Fragen des BVwG liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte vor, dass der Beschwerdeführer aufgrund seiner Erkrankung einer derartigen Gefahr ausgesetzt ist.
Nach anerkannter ständiger Rechtsprechung hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Nach der Rechtsprechung zu Art 2 EMRK wäre es zwar unerheblich, wenn etwa die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver wäre als im abschiebenden Staat, soweit der Betroffene tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung hat (EGMR 27.09.2005, 17416/05, Hukic gegen Schweden). Dabei sind aber auch die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen (EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien). Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 2 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (EGMR 13.12.2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, oder EGMR 03.05.2007, 31246/06, Goncharova und Alekseytev).).
Unter Berücksichtigung der Ausführungen im Gutachten vom 19.06.2021 von XXXX , liegen in der gegenständlichen Angelegenheit genau diese außergewöhnlichen Umstände vor. Die Rückkehr des Beschwerdeführers nach Afghanistan zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung würde unter Berücksichtigung der nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen des Gutachtens vom 1