TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/23 W250 2175390-3

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Veröffentlicht am 23.07.2021
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Entscheidungsdatum

23.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art133 Abs4
Dublin III-VO Art28
FPG §76
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35 Abs1
VwGVG §35 Abs2

Spruch


W250 2175390-3/31E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Michael BIEDERMANN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. staatenlos, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.11.2017, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben, der Schubhaftbescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.11.2017, Zl. XXXX sowie die Anhaltung in Schubhaft von 08.11.2017 bis 18.12.2017 für rechtswidrig erklärt.

II. Der Bund hat dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters Aufwendungen in Höhe von EUR 1.659,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein aus dem Gaza-Streifen stammender staatenloser Palästinenser, reiste am 31.08.2017 aus Italien kommend unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein, wurde von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes aufgegriffen, auf Grund eines Festnahmeauftrages des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge als Bundesamt bezeichnet) gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz – BFA-VG festgenommen und zur beabsichtigten Anordnung der Schubhaft einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er im Jahr 2012 seinen Herkunftsstaat verlassen habe und im Juli oder August 2014 nach Italien eingereist und nach kurzer Zeit zum ersten Mal nach Österreich weitergereist sei. Von hier sei er nach Italien zurückgeschoben worden, habe jedoch abermals Italien verlassen und sei durch Österreich nach Deutschland gereist. Dort habe er um internationalen Schutz angesucht, den Ausgang des Verfahrens jedoch nicht abgewartet, sondern sei nach etwa einem Jahr nach Dänemark gereist. Dänemark habe er nach zwei Monaten wieder verlassen und sei nach Italien gereist, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Der Beschwerdeführer habe in Italien Asyl bekommen, aufgrund dessen ihm ein „permesso“ für fünf Jahre ausgestellt worden sei, doch sei ihm dieses dann wegen eins Problems im Camp weggenommen worden. Er sei drei Monate in Haft gewesen und habe zuletzt einen Bescheid erhalten, wonach er Italien binnen sieben Tagen verlassen müsse. Aus diesem Grund sei er nach Österreich gereist um einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Er habe einen abgelaufenen palästinensischen Reisepass, der ihm jedoch in Italien abgenommen worden sei. In Österreich oder der EU habe er keine Angehörigen oder engen Freunde, seine Familie befinde sich in Palästina. Er sei gesund und verfüge weder über einen Wohnsitz in Österreich noch über Geld.

Während dieser Einvernahme stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Der Beschwerdeführer wurde am 11.11.2014 in Deutschland, am 19.12.2015 in Dänemark und am 11.03.2016 in Italien erkennungsdienstlich behandelt.

3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 31.08.2017 wurde über den Beschwerdeführer gemäß Artikel 28 Abs. 1 und 2 der Verordnung EU Nr. 604/2013 (Dublin-III-VO) iVm § 76 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 31.08.2017 durch persönliche Übernahme zugestellt. Beschwerde hat der Beschwerdeführer gegen diesen Bescheid nicht erhoben.

4. Am 01.09.2017 wurde die Erstbefragung des Beschwerdeführers auf Grund seines Antrags auf internationalen Schutz durchgeführt.

5. Die vom Bundesamt am 01.09.2017 an Deutschland und am 05.09.2017 an Dänemark gerichteten Anfragen auf Wiederaufnahme des Beschwerdeführers wurden von Deutschland mit Schreiben vom 05.09.2017 und von Dänemark mit Schreiben vom 06.09.2017 abgelehnt. Ein am 06.09.2017 an Italien gerichtetes Wiederaufnahmegesuch blieb innerhalb der Frist des Art. 25 Abs. 1 Dublin-III-VO unbeantwortet. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 21.09.2017 wurde Italien vom Zuständigkeitsübergang auf Grund des Fristablaufes in Kenntnis gesetzt.

6. Am 03.10.2017 wurde der Beschwerdeführer vom Bundesamt im Asylverfahren einvernommen. Dabei gab er an, dass er nicht nach Italien, sondern in seinen Herkunftsstaat ausreisen wolle. Konkrete Schritte für eine freiwillige Rückkehr habe er noch nicht unternommen.

7. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 03.10.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 2005 – AsylG zurückgewiesen und festgestellt, dass Italien für das Asylverfahren des Beschwerdeführers zuständig ist. Es wurde gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Italien zulässig ist.

8. Die italienischen Behörden teilten in der Folge mit Note vom 23.10.2017 mit, dass dem Beschwerdeführer in Italien Asyl gewährt wurde, weshalb seine Verbringung nach Italien nur im Rahmen von „Polizeiübereinkommen“ in Betracht komme.

9. Daraufhin hat das Bundesamt mit Bescheid vom 25.10.2017 einen neuerlichen Schubhaftbescheid, nunmehr gestützt auf § 76 Abs. 2 Z 1 FPG, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung erlassen. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer am 03.11.2017 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht erhoben, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17.02.2021 stattgegeben wurde. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass das Bundesamt bei der Anordnung der Schubhaft eine falsche Rechtsgrundlage angewendet hat.

10. In Hinblick auf die Note der italienischen Behörden vom 23.10.2017 hob das Bundesamt mit Bescheid vom 30.10.2017 den Zurückweisungsbescheid vom 03.10.2017 gemäß § 68 Abs. 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 – AVG 1991 auf. Mit weiterem Bescheid des Bundesamtes vom 30.10.2017 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 4a AsylG zurück, stellte fest, dass sich der Beschwerdeführer nach Italien zurückbegeben muss und ordnete abermals seine Außerlandesbringung nach Italien an. Der Beschwerdeführer hat am 30.10.2017 auf die Einbringung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid verzichtet.

11. Am 07.11.2017 wurde der Beschwerdeführer nach Italien überstellt, wo ihm jedoch am Flughafen Venedig die Einreise verweigert wurde. Der Beschwerdeführer kehrte daher mit den ihn begleitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes nach Österreich zurück, wurde auf Grund eines Festnahmeauftrages des Bundesamtes festgenommen und wieder in das Polizeianhaltezentrum eingeliefert.

12. Mit Note vom 07.11.2017 hat Italien die Verweigerung der Übernahme des Beschwerdeführers am 07.11.2017 damit begründet, dass ihm am 29.07.2016 in Italien internationaler Schutz zugesprochen wurde, ihm jedoch in weiterer Folge am 28.04.2017 von der zuständigen Asylkommission der Asylstatus aberkannt wurde, weshalb für den Beschwerdeführer keine rechtlichen Gründe für eine Rückübernahme nach Italien bestehen. Es sei daher entsprechend der Dublin-III-VO vorzugehen.

13. Mit Schreiben des Bundesamtes vom 08.11.2017 wurde der italienischen Dublin-Behörde mitgeteilt, dass Italien auf Grund des Ablaufes der Frist zur Beantwortung des Übernahmeersuchens vom 06.09.2017 seit 21.09.2017 nach wie vor zur Übernahme des Beschwerdeführers verpflichtet sei.

14. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 08.11.2017 wurde gemäß § 68 Abs. 2 AVG 1991 nunmehr auch der Zurückweisungsbescheid nach § 4a AsylG vom 30.10.2017 aufgehoben. Mit weiterem Bescheid vom 08.11.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurückgewiesen und festgestellt, dass für die Prüfung des Antrages Italien zuständig ist sowie neuerlich die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Italien angeordnet. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer am 24.11.2017 Beschwerde erhoben.

15. Noch am 08.11.2017 ordnete das Bundesamt erneut, nunmehr wieder gestützt auf Art. 28 der Dublin-III-VO in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft des Beschwerdeführers zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung an. Begründend wurde nach einer Schilderung des bisherigen Verfahrensverlaufes im Wesentlichen ausgeführt, dass auf Grund des Kriteriums des § 76 Abs. 3 Z 6 lit. a FPG, auf Grund des bisherigen Verhaltens des Beschwerdeführers und seiner fehlenden Verankerung in Österreich, Fluchtgefahr vorliege. Die Anordnung der Schubhaft sei auch verhältnismäßig und könne mit der Anordnung eines gelinderen Mittels nicht das Auslangen gefunden werden.

16. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer am 23.11.2017 Beschwerde erhoben. Darin beantragte er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Einvernahme des Beschwerdeführers, die Behebung des Schubhaftbescheides samt dem Ausspruch, dass die bisherige Anhaltung zu Unrecht erfolgt ist, den Ausspruch, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorliegen sowie den Ersatz der Aufwendungen gemäß der Verwaltungsgerichts-Aufwandersatzverordnung sowie der Kommissionsgebühren und Barauslagen.

Der Beschwerdeführer brachte im Wesentlichen vor, dass eine Erreichung des Sicherungszweckes – die Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien – nicht erreicht werden könne, da die italienischen Behörden dem Beschwerdeführer bereits am 07.11.2017 die Einreise verweigert hätten. Die belangte Behörde gehe ohne konkrete Einzelfallprüfung von einer Fluchtgefahr des Beschwerdeführers aus und habe allgemein gehaltene Textbausteine zur Begründung herangezogen, was sich insbesondere daran zeige, dass in der Begründung des angefochtenen Bescheides von einem weiteren Überstellungsversuch nach Kroatien die Rede sei. Die Behörde beziehe sich auf die fehlende soziale Verankerung, lasse jedoch unberücksichtigt, dass der Beschwerdeführer seit seiner Einreise am 31.08.2017 in Schubhaft sei. Die fehlende soziale Verankerung sei ein Umstand, der bei einer „Dublin-Konstellation“ geradezu typisch sei. Auch die Äußerung des Beschwerdeführers, nicht nach Italien zurückkehren zu wollen, begründe kein nur durch Schubhaft abzudeckendes Sicherungsbedürfnis. Auch die Bezugnahme der belangten Behörde auf ein massives strafrechtliches Verhalten des Beschwerdeführers sei im vorliegenden Fall unzutreffend, da der Beschwerdeführer in Österreich unbescholten sei. Ebenso wenig sei er – entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid – bei der Verrichtung von Schwarzarbeit angetroffen worden. Die belangte Behörde begründe zwar, weshalb Fluchtgefahr vorliege, doch sei sie dabei von einem falschen Maßstab ausgegangen, da in Dublin-Fällen das Vorliegen von erheblicher Fluchtgefahr erforderlich sei. Eine Begründung für das Vorliegen erheblicher Fluchtgefahr sei der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid nicht gelungen.

Selbst wenn man davon ausginge, dass Fluchtgefahr bestehe, sei die belangte Behörde verpflichtet gewesen, ein gelinderes Mittel anzuordnen. Eine Begründung, warum ein gelinderes Mittel nicht zur Anwendung gekommen sei, sei der Behörde nicht gelungen. Der Beschwerdeführer würde im Fall der Entlassung aus der Schubhaft einem gelinderen Mittel Folge leisten.

17. Mit der Beschwerde hat der Beschwerdeführer unter Anschluss eines Vermögensverzeichnisses einen Antrag auf Verfahrenshilfe im Umfang der einstweiligen Befreiung von den Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren eingebracht.

18. Das Bundesamt hat am 24.11.2017 den Verwaltungsakt vorgelegt und eine Stellungnahme abgegeben, aus der sich im Wesentlichen ergibt, dass das deutsche Bundeskriminalamt vom spanischen Bundeskriminalamt informiert worden sei, dass der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit terroristischen Aktivitäten stehen könnte. Der Beschwerdeführer habe seinen Reisepass des autonomen Gebietes Palästina in der Hinsicht verfälscht, dass aus dem Reisepass mehrere Seiten entfernt worden seien um weitere Reisewege zu verschleiern. Es lasse sich daher auf ein Gefährdungspotential schließen und wäre die öffentliche Ordnung und Sicherheit im österreichischen Bundesgebiet gefährdet. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft werde der Beschwerdeführer mit Sicherheit in die Anonymität untertauchen, wodurch eine Überstellung nach Italien nicht mehr gesichert wäre.

Die Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien sei nach Durchführbarkeit des Bescheides vom 08.11.2017 zeitnah geplant.

Das Bundesamt beantragte die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Verhängung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Ein Antrag auf Kostenersatz wurde nicht gestellt.

19. Am 29.11.2017 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Arabisch eine mündliche Verhandlung durch. In der Verhandlung brachte die Vertreterin des Beschwerdeführers insbesondere vor, dass sich der Beschwerdeführer in seinem gesamten Verfahren in Österreich kooperativ verhalten habe und richtige Angaben gemacht habe, was im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu berücksichtigen sei. Die Überstellungsfrist des Art. 28 Abs. 3 der Dublin-III-VO sei abgelaufen. Nach dieser Bestimmung seien Personen, die sich zum Zweck der Sicherstellung des Überstellungsverfahrens in Haft befänden, freizulassen, wenn die Überstellung nicht innerhalb von sechs Wochen stattfände. Die Möglichkeit der neuerlichen Schubhaftverhängung nach Ablauf der sechswöchigen Frist bei nicht durchführbarer Abschiebung sei nicht vorgesehen und widerspreche dem Wortlaut des Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-VO. Die Überstellung im gegenständlichen Fall sei nicht durch den Beschwerdeführer verzögert oder behindert worden, der Beschwerdeführer habe bereits im Rahmen seiner Einvernahme am 31.08.2017 angegeben, dass er den früher in Italien gewährten Schutzstatus nicht mehr habe. Dem Beschwerdeführer könne daher kein Verschulden an der gescheiterten Überstellung angelastet werden. Die Fortsetzung der Schubhaft nach Ablauf der Frist sei rechtswidrig.

Eine Vertreterin des Bundesamtes nahm an der Verhandlung teil und brachte insbesondere vor, dass die Verfristung am 21.09.2017 eingetreten sei, weshalb eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien bis 21.03.2018 möglich sei. Der Beschwerdeführer befinde sich erst seit 08.11.2017 gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 der Dublin-III-VO in Verbindung mit § 76 Abs. 2 Z 2 FPG in Schubhaft und sei somit die Frist von sechs Wochen noch nicht überschritten. Der Beschwerdeführer habe in der Einvernahme vom 03.10.2017 angegeben, freiwillig heimkehren zu wollen, diese Möglichkeit habe er bisher nicht genutzt und keine Schritte in diese Richtung gesetzt.

Der Beschwerdeführer gab bei seiner Befragung im Wesentlichen an, dass er im Juli oder August 2014 in Deutschland um Asyl angesucht habe, Deutschland jedoch vor Abschluss dieses Verfahrens verlassen und in Dänemark einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Nach zwei Monaten habe er auch Dänemark vor Abschluss seines Asylverfahrens verlassen. Daraufhin habe er in Italien um internationalen Schutz angesucht, wo er im Februar 2016 anerkannter Flüchtling geworden sei. Er sei danach nach Belgien gereist und habe sich dort vier Monate lang aufgehalten. Nach seiner Rückkehr nach Italien sei er festgenommen und für drei Monate in Schubhaft angehalten worden. Ungefähr sechs Tage vor seiner Anhaltung durch die Polizei in Österreich sei er in Italien aus der Schubhaft entlassen worden. In Italien habe er ein Schreiben erhalten, wonach er binnen sieben Tagen in seinen Herkunftsstaat zurückkehren müsse. Seine Familie befinde sich in seinem Herkunftsstaat, in Österreich und der EU habe er keine Familienangehörigen, er verfüge über kein Vermögen und habe in Österreich weder eine Wohnmöglichkeit noch eine Möglichkeit sich seinen Lebensunterhalt zu finanzieren.

Nach Schluss der Verhandlung wurde das Erkenntnis samt den wesentlichen
Entscheidungsgründen gemäß § 29 Abs. 2 VwGVG mündlich verkündet und Rechtsmittelbelehrung erteilt. Dem Antrag auf vorläufige Befreiung von Gerichtsgebühren und anderen bundesgesetzlich geregelten staatlichen Gebühren wurde stattgegeben (Spruchpunkt A.1.). Die Beschwerde wurde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.2.I.), festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen (Spruchpunkt A.2.II.) und der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG abgewiesen (Spruchpunkt A.2.III.). Die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt (Spruchpunkt B.).

20. Mit Schreiben vom 01.12.2017, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 06.12.2017, beantragte der Beschwerdeführer die schriftliche Ausfertigung des am 29.11.2017 mündlich verkündeten Erkenntnisses. Die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses vom 15.12.2017 wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers am 18.12.2017 zugestellt.

21. Am 18.12.2017 wurde der Beschwerdeführer nach Italien überstellt.

22. Der Beschwerdeführer erhob vertreten durch einen Rechtsanwalt gegen Spruchpunkt A.2. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes fristgerecht ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof und brachte vor, dass das Bundesamt und das Bundesverwaltungsgericht die Grenzen des ihnen eingeräumten Ermessens überschritten hätten. Selbst wenn ein Sicherungsbedarf angenommen worden sei, hätte das Bundesverwaltungsgericht weitere Erhebungen zur Möglichkeit von gelinderen Mitteln im Rahmen der mündlichen Verhandlung vornehmen und die Unverhältnismäßigkeit und Rechtswidrigkeit der Schubhaft feststellen müssen. Der Beschwerdeführer sei dadurch in seinem Recht auf persönliche Freiheit verletzt. Zudem habe es das Bundesverwaltungsgericht verkannt, dass ein gescheiterter Überstellungsversucht nicht als Überstellung iSd Art. 28 Abs. 3 Dublin-III-VO zu verstehen sei. Das Scheitern des (ersten) Überstellungsversuch sei nicht dem Beschwerdeführer zurechenbar. Verzögerungen in Verwaltungsverfahren, die nicht dem Antragsteller zuzurechnen sind, rechtfertigen keine Fortdauer der Haft. Jedenfalls endete die sechswöchige Frist des Art. 28 Abs. 3, 4. Unterabsatz der Dublin-III-VO am 02.11.2018 und die darüber hinausgehende Anhaltung in Schubhaft, wie auch der Ausspruch über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung durch das Bundesverwaltungsgericht seien rechtswidrig. Auch die bescheidmäßige Änderung der Rechtsgrundlage könne an der Rechtswidrigkeit der Schubhaft nichts ändern, weil sich am Faktum der Inhaftierung nichts geändert habe.

23. Der Verwaltungsgerichtshof hob das bekämpfte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt A.2.) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der unter Punkt I. geschilderte Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

1.2. Der Beschwerdeführer ist volljährig, nicht österreichischer Staatsbürger und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Seine Identität steht fest.

1.3. Der Beschwerdeführer wurde von 31.08.2017 bis 18.12.2017 in Schubhaft angehalten.

Von 31.08.2017 bis 25.10.2017 erfolgte die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft auf Grundlage des Mandatsbescheides vom 31.08.2015 gemäß Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 2 FPG.

Die Anhaltung von 25.10.2017 bis 07.11.2017 erfolgte aufgrund des Mandatsbescheides des Bundesamtes vom 25.10.2017 gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG und jene ab 08.11.2017 aufgrund des Mandatsbescheides des Bundesamtes vom 08.11.2017 gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG.

1.4. Das Scheitern des (ersten) Überstellungsversuches des Beschwerdeführers am 07.11.2017 ist nicht dem Beschwerdeführer zurechenbar.

Am 18.12.2017 wurde der Beschwerdeführer nach Italien überstellt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Bundesamtes, in den vorliegenden Akt des Bundesverwaltungsgerichtes, in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Zentrale Melderegister und in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

2.2. Die Feststellungen zum Verfahrensgang ergeben sich aus dem Verfahrensakt des Bundesamtes und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes zur Zahl 2175390-1, die Beschwerde gegen den Bescheid vom 25.10.2017 betreffend. Diesen Feststellungen wurde weder in der Beschwerde noch in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten.

2.2. Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers gründen sich auf den vorgelegten Akt des Bundesamtes sowie auf das Gutachten des Bayerischen Landeskriminalamtes vom 11.04.2017, aus dem sich ergibt, dass der dem Beschwerdeführer abgenommene Reisepass ein Originaldokument ist.

2.3. Dass der Beschwerdeführer von 31.08.2017 bis 18.12.2017 in Schubhaft angehalten wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt sowie den damit übereinstimmenden Eintragungen in der Anhaltedatei.

Die der Anhaltung in Schubhaft jeweils zugrundeliegenden Mandatsbescheide ergeben sich aus den Verwaltungsakten.

2.4. Dass dem Beschwerdeführer am 07.11.2017 am Flughafen Venedig von italienischen Behörden die Einreise nach Italien verweigert wurde, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt sowie den damit übereinstimmenden Eintragungen in der Anhaltedatei. Die italienischen Behörden begründeten in der Note vom 07.11.2017 die Verweigerung der Einreise des Beschwerdeführers nach Italien damit, dass ihm der am 29.07.2016 in Italien zugesprochene internationale Schutzstatus am 28.04.2017 von der zuständigen Asylkommission aberkannt wurde, weshalb für den Beschwerdeführer keine rechtlichen Gründe für eine Rückübernahme nach Italien bestehen. Dem Bericht vom 07.11.2017 über die (erfolgte) Abschiebung ist zu entnehmen, dass sich der Beschwerdeführer sich während der gesamten Dauer des Überstellungsversuches kooperativ und ruhig verhalten hat. Die Verweigerung der Einreise durch die italienischen Behörden ist somit nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen.

Dass der Beschwerdeführer am 18.12.2017 erfolgreich nach Italien überstellt wurde, ergibt sich aus der Anhaltedatei.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. - Spruchpunkt I.- Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

3.1.1. Gesetzliche Grundlagen

Art. 28 der Dublin-III-VO lautet auszugsweise wie folgt:

„Haft

(1) Die Mitgliedstaaten nehmen eine Person nicht allein deshalb in Haft, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegt.

(2) Zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren, dürfen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dieser Verordnung, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, nach einer Einzelfallprüfung die entsprechende Person in Haft nehmen und nur im Falle dass Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen.

(3) Die Haft hat so kurz wie möglich zu sein und nicht länger zu sein, als bei angemessener Handlungsweise notwendig ist, um die erforderlichen Verwaltungsverfahren mit der gebotenen Sorgfalt durchzuführen, bis die Überstellung gemäß dieser Verordnung durchgeführt wird.

Wird eine Person nach diesem Artikel in Haft genommen, so darf die Frist für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs einen Monat ab der Stellung des Antrags nicht überschreiten. Der Mitgliedstaat, der das Verfahren gemäß dieser Verordnung durchführt, ersucht in derartigen Fällen um eine dringende Antwort. Diese Antwort erfolgt spätestens zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Wird innerhalb der Frist von zwei Wochen keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.

Befindet sich eine Person nach diesem Artikel in Haft, so erfolgt die Überstellung aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat, sobald diese praktisch durchführbar ist und spätestens innerhalb von sechs Wochen nach der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person durch einen anderen Mitgliedstaat oder von dem Zeitpunkt an, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Artikel 27 Absatz 3 keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

Hält der ersuchende Mitgliedstaat die Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs nicht ein oder findet die Überstellung nicht innerhalb des Zeitraums von sechs Wochen im Sinne des Unterabsatz 3 statt, wird die Person nicht länger in Haft gehalten. Die Artikel 21, 23, 24 und 29 gelten weiterhin entsprechend.

(4) Hinsichtlich der Haftbedingungen und der Garantien für in Haft befindliche Personen gelten zwecks Absicherung der Verfahren für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat, die Artikel 9, 10 und 11 der Richtlinie 2013/33/EU.

Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) lautet wie folgt:

„Garantien für in Haft befindliche Antragsteller

(1) Ein Antragsteller wird für den kürzest möglichen Zeitraum und nur so lange in Haft genommen, wie die in Artikel 8 Absatz 3 genannten Gründe gegeben sind.

Die Verwaltungsverfahren in Bezug auf die in Artikel 8 Absatz 3 genannten Gründe für die Inhaftnahme werden mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt. Verzögerungen in den Verwaltungsverfahren, die nicht dem Antragsteller zuzurechnen sind, rechtfertigen keine Fortdauer der Haft.“

Der mit „Schubhaft“ betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 lautete in der Fassung BGBl. I Nr. 145/2017 zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides:

Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

3.1.2. Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft, er ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z. 1 FPG. Er war weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter in Österreich, weshalb die Verhängung der Schubhaft über den Beschwerdeführer grundsätzlich - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen- möglich war.

Voraussetzung für die Verhängung der Schubhaft sind das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes hinsichtlich der Durchführung bestimmter Verfahren oder der Abschiebung, das Bestehen von erheblicher Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft.

3.1.3. Im gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung sowie zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers angeordnet.

3.1.4. Die in Art. 28 Abs. 4 der Dublin III-VO angesprochene Aufnahmerichtlinie enthält in ihrem Art. 8 Abs. 3 jene Gründe, aus denen ein Asylwerber in Haft genommen werden darf. Gemäß der lit. f dieses Absatzes ist das u. a. dann der Fall, wenn die Haftnahme mit Art. 28 der Dublin III-VO in Einklang steht.

3.1.5. Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 2 Dublin III-VO verkürzt für Personen, die nach Art. 28 Dublin III-VO in Haft genommen worden sind, die in Art. 21, 23 und 24 Dublin III-VO vorgesehenen Fristen für die Stellung eines Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuches auf einen Monat ab Stellung des Antrages auf internationalen Schutz und die in Art. 22 bzw. Art. 25 Dublin III-VO normierte Frist für die Antwort auf dieses Gesuch bzw. für den Eintritt der Zustimmungsfiktion durch Verschweigung auf zwei Wochen nach Eingang des Gesuchs. Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 Dublin III-VO verkürzt in diesen Fällen die in Art. 29 Dublin III-VO vorgesehene Frist für die Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat auf sechs Wochen. Die sechswöchige Frist beginnt mit der stillschweigenden oder ausdrücklichen Annahme des Gesuchs auf Aufnahme oder Wiederaufnahme oder mit dem Zeitpunkt, ab dem der Rechtsbehelf oder die Überprüfung gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO keine aufschiebende Wirkung mehr hat.

An diese verkürzten Fristen nach Art. 28 Abs. 3 Dublin III-VO knüpft Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 4 Dublin III-VO an, indem er anordnet, dass die Haft bei Überschreiten der Fristen nicht aufrechterhalten werden darf (VwGH 26.4.2018, Ro 2017/21/0010, Rn. 12 und 14).

3.1.6. Insoweit enthält die Dublin III-VO also zeitliche Grenzen für die Anhaltung in Schubhaft. Eine weitere Grenze ergibt sich - unabhängig von der Einhaltung der in Art. 28 Abs. 3 Dublin III-VO festgelegten Fristen - aber aus Art. 28 Abs. 4 der Verordnung iVm Art. 9 Abs. 1 der Aufnahmerichtlinie. Demnach rechtfertigen Verzögerungen in den Verwaltungsverfahren, die nicht dem Antragsteller zuzurechnen sind, keine Fortdauer von Schubhaft, sodass also dem Dublin-Regime unterliegende Personen im Fall derartiger, die Unverhältnismäßigkeit der Anhaltung bewirkender Verzögerungen, nicht weiter in Schubhaft belassen werden dürfen.

3.1.7. Da Italien innerhalb von zwei Wochen ab Stellung des österreichischen Wiederaufnahmegesuches keine Antwort erteilt hat, ist es mit Ablauf des 20.09.2017 zur stillschweigenden Annahme dieses Gesuchs gekommen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Beschwerdeführer bereits in Schubhaft, weshalb die sechswöchige Überstellungs- bzw. Haftfrist nach Art. 28 Abs. 3 Unterabs. 3 und 4 Dublin III-VO mit 21.09.2017 zu laufen begonnen hatte (siehe EuGH 13.9.2017, Amayry, C-60/16, Rn. 39). Innerhalb dieser sechswöchigen Frist - mit Bescheid vom 03.11.2017 - wurde dann zwar der vom Beschwerdeführer gestellte Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen, jedoch hat das Bundesamt mit Bescheid vom 30.10.2017 diesen Zurückweisungsbescheid, die Basis für eine Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien gemäß der Dublin III-VO, gemäß § 68 Abs. 2 AVG wieder aufgehoben. Erst am 08.11.2017 ist das Bundesamt zur Anwendung der Dublin III-VO „zurückgekehrt“, und zwar einerseits durch Erlassung eines neuen Bescheides nach § 5 AsylG 2005 samt Anordnung der Außerlandesbringung des Beschwerdeführers nach Italien und andererseits durch nochmalige Verhängung von Schubhaft nach Art. 28 Dublin III-VO. Dabei hat sich das Bundesamt zur Begründung der italienischen Zuständigkeit - nach wie vor - auf die mit 21.09.2017 eingetretene „Zuständigkeit infolge Verfristung“ berufen.

Damit diente die Schubhaft des Beschwerdeführers der Sache nach durchgehend - zumal sich die Tatsachengrundlage ungeachtet der irreführenden italienischen Auskunft vom 23.10.2017 in Wahrheit nicht geändert hatte - der Effektuierung der schon ab 21.09.2017 in die Wege leitbaren Überstellung des Beschwerdeführers nach Italien gemäß der Dublin III-VO. Jedenfalls im Hinblick auf die Kassation des ersten Zurückweisungsbescheides nach § 5 AsylG 2005 vom 3.10.2017, der am 8.11.2017 „wiederholt“ werden musste, liegen dann aber maßgebliche ins Gewicht fallende Verzögerungen in den Verwaltungsverfahren vor, die nicht dem Antragsteller zuzurechnen sind und die die Haft insgesamt als unverhältnismäßig erscheinen lassen, zumal solche Verzögerungen gemäß Art. 9 Abs. 1 der Aufnahmerichtlinie keine Fortdauer der Haft rechtfertigen. Eine Haftverlängerung - und sei es auch im Wege eines wiederholten Schubhaftbescheides - war somit in der vorliegenden Konstellation schon deshalb nicht zulässig, ohne dass die Auswirkungen des dargestellten Verfahrensganges auf die mit 21.09.2017 zu laufen begonnen habende sechswöchige Überstellungsfrist näher untersucht werden müssten.

3.1.8. War der Schubhaftbescheid rechtswidrig, so muss das auch für die auf den Schubhaftbescheid gestützte Anhaltung gelten (VwGH vom 11.06.2013, 2012/21/0114). Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft von 08.11.2017 bis 18.12.2017 war daher rechtswidrig.

3.2. Zu Spruchteil A. - Spruchpunkt II. - Kostenersatz

3.2.1. Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (VwGH vom 11.05.2017, Ra 2015/21/0240).

3.2.2. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.

Im gegenständlichen Verfahren wurde sowohl gegen den im Spruch genannten Schubhaftbescheid als auch gegen die Anhaltung in Schubhaft Beschwerde erhoben. Der Beschwerdeführer beantragte den Mandatsbescheid und die Anhaltung für rechtswidrig zu erklären. Das Bundesamt beantrage die Abweisung der Beschwerde.

Der Beschwerdeführer hat einen Antrag auf Kostenersatz im Sinne des § 35 VwGVG gestellt, das Bundesamt begehrte keinen Kostenersatz. Da der Beschwerde stattgegeben und sowohl der angefochtene Bescheid als auch die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig erklärt werden, ist der Beschwerdeführer die obsiegende Partei. Ihm gebührt daher gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV Kostenersatz in der Höhe von EUR 1.659,60.

Lediglich der Vollständigkeit halber wird festgehalten, dass gegen Spruchpunkt A.1. des am 29.11.2017 mündlich verkündeten und am 15.12.2017 schriftlich ausgefertigten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes keine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben wurde.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal der vorliegende Fall vor allem im Bereich der Tatsachenfragen anzusiedeln ist. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Anhaltung Außerlandesbringung Dublin III-VO Frist Kostenersatz Rechtsanschauung des VwGH Rechtswidrigkeit Schubhaft Überstellung Verzögerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W250.2175390.3.00

Im RIS seit

14.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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