Entscheidungsdatum
04.08.2021Norm
AsylG 2005 §10Spruch
W241 1417160-2/8E
W241 1417160-3/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerden von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. XXXX , gegen die Bescheide vom 10.10.2018, Zl. 800712008/180937635/BMI-BFA_WIEN_RD, und vom 04.12.2018, Zl. 800712008/1288325, zu Recht erkannt:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I. bis IV. des Bescheides vom 10.10.2018 werden ersatzlos behoben.
II. Der Spruch des Bescheids vom 04.12.2018 wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 02.11.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung von XXXX als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert wird.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte am 10.08.2010 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 10.12.2010 den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005.
3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde mehrmals verlängert, zuletzt mit Bescheid vom 08.11.2016 bis zum 09.12.2018.
4. Der BF wurde am 20.11.2014 wegen §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und siebter Fall SMG (versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt, unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zehn Monate bedingt, verurteilt.
5. Der BF wurde am 18.12.2014 wegen §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4, 269 Abs. 1 StGB (versuchte schwere Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt) zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat bedingt verurteilt.
6. Am 01.09.2017 wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall, 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.
7. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.10.2018 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) den mit Bescheid vom 10.12.2010 zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.) und entzog die mit Bescheid vom 10.12.2010 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.). Dem BF wurde kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde eine Rückkehrentscheidung gegen den BF gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 9 Abs. 2 AsylG iVm § 52 Abs. 9 FPG unzulässig sei (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bestimmt (Spruchpunkt VI.).
Dabei führte die belangte Behörde begründend aus, dass der BF wegen Vergehens gegen das Suchtmittelgesetz und Widerstand gegen die Staatsgewalt verurteilt worden sei und daher eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
8. Mit Schreiben vom 02.11.2018 erhob der BF fristgerecht Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis IV. des gegenständlichen Bescheids.
9. Mit Schreiben vom 02.11.2018 stellte der BF den Antrag, seine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 zu verlängern.
10. Mit Bescheid vom 04.12.2018 wurde der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen.
Begründend wurde auf den Bescheid vom 10.10.2018 verwiesen.
11. Mit Schriftsatz vom 02.01.2019 wurde gegen diesen Bescheid ebenfalls Beschwerde erhoben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zum Verfahrensgang:
1.1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 10.08.2010 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 10.12.2010 den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 bis zum 05.08.2013.
1.1.2. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde mehrmals verlängert, zuletzt mit Bescheid vom 08.11.2016 bis zum 09.12.2018.
1.2. Zum Beschwerdeführer:
1.2.1. Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX geboren.
1.2.2. Für den BF wurde am 21.07.2016 ein Sachwalter für die Vertretung vor Gerichten, Behörden und Sozialversicherungsträgern, Verwaltung von Einkünften, Vermögen und Verbindlichkeiten bestellt.
1.2.3. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich mehrfach straffällig und ist wie folgt gerichtlich (rechtskräftig) verurteilt worden:
Der BF wurde am 20.11.2014 wegen §§ 15, 269 Abs. 1 StGB, 27 Abs. 1 Z 1 erster, zweiter und siebter Fall SMG (versuchter Widerstand gegen die Staatsgewalt, unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zehn Monate bedingt, verurteilt.
Der BF wurde am 18.12.2014 wegen §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 4, 269 Abs. 1 StGB (versuchte schwere Körperverletzung, Widerstand gegen die Staatsgewalt) zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat bedingt verurteilt.
Am 01.09.2017 wurde der BF wegen §§ 27 Abs. 2a zweiter Fall, 27 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall SMG (unerlaubter Umgang mit Suchtgiften) zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
2.2. Die Feststellungen hinsichtlich der Person des BF beruhen auf dem Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes.
Die Bestellung eines Sachwalters für den BF ergibt sich aus der mit der Beschwerde vorgelegten Urkunde.
Die Verurteilungen des BF ergeben sich aus einem Strafregisterauszug, die Strafurteile wurden vom BFA am 02.07.2021 nachgereicht.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Rechtsgrundlagen:
§ 9 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet wie folgt:
„Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
(1) Einem Fremden ist der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen;
2. er den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat oder
3. er die Staatsangehörigkeit eines anderen Staates erlangt hat und eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen neuen Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention oder für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs. 1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(3) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 oder 2 wahrscheinlich ist.
(4) Die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu verbinden. Der Fremde hat nach Rechtskraft der Aberkennung Karten, die den Status des subsidiär Schutzberechtigten bestätigen, der Behörde zurückzustellen.“
§ 17 Strafgesetzbuch (StGB) lautet:
Einteilung der strafbaren Handlungen
(1) Verbrechen sind vorsätzliche Handlungen, die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht sind.
(2) Alle anderen strafbaren Handlungen sind Vergehen.
§ 27 Suchtmittelgesetz (SMG) lautet:
Unerlaubter Umgang mit Suchtgiften
(1) Wer vorschriftswidrig
1. Suchtgift erwirbt, besitzt, erzeugt, befördert, einführt, ausführt oder einem anderen anbietet, überlässt oder verschafft,
2. Opiummohn, den Kokastrauch oder die Cannabispflanze zum Zweck der Suchtgiftgewinnung anbaut oder
3. psilocin-, psilotin- oder psilocybinhältige Pilze einem anderen anbietet, überlässt, verschafft oder zum Zweck des Suchtgiftmissbrauchs anbaut,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer jedoch die Straftat ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begeht, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2a) Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren ist zu bestrafen, wer vorschriftswidrig in einem öffentlichen Verkehrsmittel, in einer dem öffentlichen Verkehr dienenden Anlage, auf einer öffentlichen Verkehrsfläche, in einem öffentlichen Gebäude oder sonst an einem allgemein zugänglichen Ort öffentlich oder unter Umständen, unter denen sein Verhalten geeignet ist, durch unmittelbare Wahrnehmung berechtigtes Ärgernis zu erregen, Suchtgift einem anderen gegen Entgelt anbietet, überlässt oder verschafft.
(3) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ist zu bestrafen, wer eine Straftat nach Abs. 1 Z 1, Z 2 oder Abs. 2a gewerbsmäßig begeht.
(4) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren ist zu bestrafen, wer
1. durch eine Straftat nach Abs. 1 Z 1 oder 2 einem Minderjährigen den Gebrauch von Suchtgift ermöglicht und selbst volljährig und mehr als zwei Jahre älter als der Minderjährige ist oder
2. eine solche Straftat als Mitglied einer kriminellen Vereinigung begeht.
(5) Wer jedoch an Suchtmittel gewöhnt ist und eine Straftat nach Abs. 3 oder Abs. 4 Z 2 vorwiegend deshalb begeht, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen, ist nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zu bestrafen.
3.2. Zu Spruchpunkt I. des Bescheides vom 10.10.2018, Aberkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005:
3.2.1. Gegenständlich liegen keine Hinweise vor, dass der BF einen der Aberkennungstatbestände gemäß § 9 Abs. 1 AsylG 2005 verwirklicht hätte, welche jenen des Abs. 2 leg.cit. vorgehen. Es ist im Folgenden daher näher zu prüfen, ob bzw. welcher Teil von Abs. 2 im konkreten Fall anzuwenden ist:
Hinweise, dass beim BF einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegen könnte (Kriegsverbrechen, schweres nichtpolitisches Verbrechen außerhalb des Aufnahmelandes) liegen nicht vor. § 9 Abs. 2 Z 1 AsylG ist daher nicht erfüllt.
3.2.2. Bei den Verurteilungen des BF handelt es sich um Vergehen. Da die Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedoch eine Verurteilung wegen eines Verbrechens iSd § 17 StGB erfordert, ist die genannte Bestimmung gegenständlich nicht anzuwenden.
Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung des subsidiären Schutzes bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Abs. 1 leg.cit. zu erfolgen, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt.
Entsprechende Vorschriften sehen auch Art. 19 Abs. 3 lit. a iVm Art. 17 Abs. 1 lit. d Statusrichtlinie vor, die mit der zitierten nationalen Regelung umgesetzt worden sind.
Abweichend von der in § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 geforderten formalen Grenze des „Verbrechens (§ 17 StGB)“, kann der Aberkennungstatbestand der Z 2 leg.cit. auch dann erfüllt sein, wenn mehrere minderschwere Straftaten vorliegen, welche für sich das Kriterium der Z 3 nicht erfüllen (vgl. ErläutRV 330 BlgNR 24. GP 9).
Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und in Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 14.03.2019, Ra 2018/20/0387, Rz 13, mwN).
Der Verfassungsgerichtshof sprach in seinem Erkenntnis vom 13.12.2011, U 1907/19 (VfSlg. 19591), aus, dass eine Gefahr für die Sicherheit und Allgemeinheit eines Landes nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen. Zur Begründung verwies er darauf, dass § 9 Abs. 2 (Z 2) AsylG 2005 in Umsetzung der Statusrichtlinie ergangen sei und daher richtlinienkonform interpretiert werden müsse. Gemäß Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie seien Personen vom Genuss des subsidiären Schutzes auszuschließen, die Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (lit. a) bzw. schwere Straftaten (lit. b) begangen hätten oder sich Handlungen zuschulden kommen ließen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen (lit. c). Angesichts der schweren Natur dieser Ausschluss- bzw. Aberkennungstatbestände könne nach dem Grundsatz der richtlinienkonformen Interpretation Art. 17 Abs. 1 lit. d leg. cit. (Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit eines Landes) nur dahingehend verstanden werden, dass zur Verwirklichung dieser Bestimmung zumindest die Begehung einer Straftat von vergleichbarer Schwere wie die in lit. a bis c der Statusrichtlinie genannten Handlungen vorliegen müsse. Diese Sicht werde auch dadurch bestätigt, dass die Statusrichtlinie selbst bzw. die Materialien zur Statusrichtlinie auf die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) Bezug nehmen würden und sich aus der zu den einschlägigen Bestimmungen der GFK ergangenen Judikatur bzw. Literatur ergebe, dass eine „Gefahr für die Sicherheit oder für die Allgemeinheit eines Landes“ nur dann gegeben sei, wenn die Existenz oder territoriale Integrität eines Staates gefährdet sei oder wenn besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße (z.B. Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Drogenhandel, bewaffneter Raub) vorlägen (vgl. auch VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 19).
Auch der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seiner Rechtsprechung erkannt, dass nur ein Flüchtling, der wegen einer „besonders schweren Straftat“ rechtskräftig verurteilt wurde, als eine „Gefahr für die Allgemeinheit eines Mitgliedstaats“ angesehen werden könne (EuGH vom 24.06.2015, C-373/13, H.T. gegen Land Baden-Württemberg, ECLI:EU:C:2015:413).
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich diesen zitierten rechtlichen Erwägungen angeschlossen, wonach ein Fremder jedenfalls dann eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 darstellt, wenn sich diese aufgrund besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstöße prognostizieren lässt. Als derartige Verstöße kommen insbesondere qualifizierte Formen der Suchtgiftdelinquenz (wie sie beispielsweise in § 28a SMG unter Strafe gestellt werden) in Betracht, zumal an der Verhinderung des Suchtgifthandels ein besonderes öffentliches Interesse besteht (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155 mit Verweis auf VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556).
Unter Berücksichtigung der Rechtskraftwirkungen der Zuerkennungsentscheidung wäre es zwar nicht zulässig, die Aberkennung nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 auszusprechen, obwohl sich der Sachverhalt seit der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. der erfolgten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (die nur im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung erteilt werden darf) nicht geändert hat. Soweit aber neue Sachverhaltselemente hinzutreten, die für die Gefährdungsprognose nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 von Bedeutung sein können, hat die Behörde eine neue Beurteilung des Gesamtverhaltens des Fremden vorzunehmen und nachvollziehbar darzulegen, warum sie davon ausgeht, dass der subsidiär Schutzberechtigte nun eine Gefahr für die Allgemeinheit (oder für die Sicherheit des Staates) darstellt. Dabei ist es ihr nicht verwehrt, auch vor der Zuerkennung des subsidiären Schutzes bzw. vor Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung begangene Straftaten in ihre Gesamtbeurteilung einfließen zu lassen (siehe VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0155, Rz 25).
Im vorliegenden Fall weist der BF drei rechtskräftige Verurteilungen auf, wovon zwei (unter anderem) wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln erfolgt sind.
Der ersten Verurteilung am 20.11.2014 lag zugrunde, dass der BF einer anderen Person Marihuana zum Kauf angeboten und über einen nicht feststellbaren Zeitraum zum Eigengebrauch besessen hatte. Weiters hatte er einen Polizeibeamten mit einem Schlag an einer Amtshandlung, nämlich seiner Anhaltung und Identitätsfeststellung, zu hindern versucht. Er wurde deshalb wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, versuchten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 siebter Fall SMG und unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von 15 Monaten, davon zehn Monate bedingt, verurteilt.
Kurz darauf, nämlich am 18.12.2014, wurde der BF erneut wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, versuchter schwerer Körperverletzung und Körperverletzung verurteilt. Er hatte eine Polizeibeamtin durch einen Stoß an einer Amtshandlung zu hindern versucht und zu einem Schlag gegen den Kopfbereich ausgeholt, was als versuchte schwere Körperverletzung gewertet wurde. Weiters hatte er eine andere Person leicht verletzt, indem er sie mit Glasscherben bewarf. Unter Bedachtnahme auf das Urteil vom 20.11.2014 wurde eine Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat bedingt verhängt.
Diese beiden Verurteilungen erfolgten vor der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung des BF durch das BFA am 08.11.2016.
Der letzten Verurteilung am 01.09.2017 lag zugrunde, dass der BF einer anderen Person an einem öffentlichen Ort eine geringe Menge (1,3 Gramm) Marihuana gegen Entgelt überlassen hatte. Weiters hatte er weitere 1,4 Gramm zum nicht ausschließlich persönlichen Gebrauch besessen. Der BF wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten und einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Als erschwerend wurden die einschlägige Vorstrafe, die Tatbegehung während zweier offener Probezeiten und das Zusammentreffen von zwei Vergehen, als mildernd das reumütige Geständnis und die Sicherstellung des Suchtgiftes gewertet.
Im vorliegenden Fall wurde der BF also nicht wegen Suchtgifthandels nach § 28a SMG, sondern wegen unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 SMG verurteilt. Eine qualifizierte Suchtgiftdelinquenz iSd oben zitierten Judikatur des VwGH liegt daher nicht vor.
Zusätzlich ist darauf hinzuweisen, dass gegen den BF nur bei seiner ersten Verurteilung 2014 eine teilbedingte Haftstrafe verhängt wurde. Die weiteren Haftstrafen wurden zur Gänze bedingt nachgesehen.
Es ist daher nicht ersichtlich, dass der BF durch seine Straftaten besonders qualifizierte strafrechtliche Verstöße verwirklicht hätte, die eine Gefahr für die Allgemeinheit iSd Art. 17 Abs. 1 der Statusrichtlinie darstellen würden.
Das BFA hat es zudem unterlassen, eine Beurteilung des Gesamtfehlverhaltens des BF vorzunehmen und eine Gefährdungsprognose zu erstellen. Eine Einvernahme des BF fand nicht statt, sondern stützte sich das BFA nur auf die Verurteilungen des BF, ohne auf das diesen zugrundeliegende Fehlverhalten näher einzugehen. Das BFA hat es auch unterlassen, näher darzulegen, weshalb der BF nach seiner letzten Verurteilung am 01.09.2017 (bei der er nur zu einer bedingten Haftstrafe verurteilt wurde) nunmehr eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt.
Schließlich ist noch in die Beurteilung miteinzubeziehen, dass die Straftat des BF nunmehr vier Jahre zurückliegt und er sich seither wohlverhalten hat. Eine vom BF ausgehende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ist auch aus diesem Grund nur mehr in geringem Maße als gegeben anzusehen.
3.2.3. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 liegen sohin gegenständlich nicht vor. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides über die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war daher ersatzlos zu beheben.
3.3. Zu den Spruchpunkten II. bis IV. des Bescheides vom 10.10.2018:
Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde – ersatzlos behoben wurde, waren auch die weiteren, damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte II. bis IV.) ersatzlos zu beheben, zumal sie schon infolge der Behebung der amtswegigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ihre rechtliche Grundlage verlieren.
3.4. Zum Bescheid vom 04.12.2018:
Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist die gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre zu verlängern.
Da keine Gründe für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten vorliegen, liegen die Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vor.
In Stattgabe der Beschwerde gegen den Bescheid vom 04.12.2018 war sohin die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF auf zwei weitere Jahre zu verlängern.
Zu Spruchteil B):
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 2 Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung Gefährdungsprognose Körperverletzung Rückkehrentscheidung behoben strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt Voraussetzungen wesentliche Änderung Widerstand gegen die StaatsgewaltEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W241.1417160.2.00Im RIS seit
14.10.2021Zuletzt aktualisiert am
14.10.2021