Entscheidungsdatum
11.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W167 2150422-2/32E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Daria MACA-DAASE als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste als unbegleiteter mündiger Minderjähriger unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am XXXX den einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag des damals bereits volljährigen Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt I) und erkannte dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zu.
3. Die gegen Spruchpunkt I erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht am XXXX , als unbegründet ab.
4. XXXX
5. Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung leitete die belangte Behörde ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich des subsidiären Schutzes ein.
6. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde im Rahmen des Aberkennungsverfahrens befragt. Der Beschwerdeführer gab Rückkehrbefürchtungen im Hinblick auf die Taliban an, bestätigte, dass ihm eine persönliche Gefahr nicht drohe und legte diverse Unterlagen betreffend seine Integration vor.
7. Am XXXX wurde der Beschwerdeführer neuerlich von der belangten Behörde befragt. Der Beschwerdeführer legte das Foto eines Schreibens vor und gab an, dass es sich um einen Drohbrief der Taliban handle, welchen seines Mutter im Jahr XXXX erhalten habe und machte Angaben dazu, wieso er ihn nicht schon früher vorgelegt hat.
8. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen ab (Spruchpunkt I), wies seinen Antrag vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG ab (Spruchpunkt II), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 (Spruchpunkt III), erließ eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer (Spruchpunkt IV), stellte fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V) und setzte eine Frist für seine freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI).
Ein Rechtsberater wurde dem Beschwerdeführer zur Seite gestellt.
9. Der vertretene Beschwerdeführer erhob fristgerecht gegen diesen Bescheid Beschwerde, in welcher er im Wesentlichen ausführte, dass sich keine wesentliche Verbesserung der Lage in Afghanistan zeige, die Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz lasse eine Rückkehr keinesfalls zu, in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat sie die Sicherheits- und Versorgungslage unzureichend und eine interne Fluchtalternative bestünde im Ergebnis mangels Zumutbarkeit nicht. Darüber hinaus verwies der Beschwerdeführer auf die Situation von Rückkehrer*innen unter Zitierung der UNHCR Richtlinien 2018 und betonte die besonderen Vulnerabilitäten des Beschwerdeführers. Zur Situation in Österreich wurde auf die Beziehung zu einer österreichischen Staatsangehörigen hingewiesen, deren zeugenschaftliche Einvernahme beantragt wurde. Es wurden Unterstützungsschreiben der Beschwerde angeschlossen, welche großteils bereits im Aberkennungsverfahren vorgelegt wurden.
10. Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.
11. Am XXXX fand unter Beiziehung eines Dolmetschs für die Sprache Paschtu eine mündliche Verhandlung statt, in welcher der Beschwerdeführer zu seinem Leben in Österreich und zur Situation in Afghanistan befragt wurde, auch die beantragte Zeugin wurde vernommen.
12. XXXX
13. Den Parteien wurde Gelegenheit gegeben zu den ins Verfahren eingebrachten Länderinformationen Stellung zu nehmen. Sie machten davon Gebrauch. Die Patin übermittelte ergänzend ein aktuelles Unterstützungsschreiben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Leben in Österreich
Der ledige kinderlose Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zum sunnitischen Islam. Seine Muttersprache ist die Afghanistan gebräuchliche Sprache Paschtu.
Er stammt aus der Provinz Maidan Wardak. Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan im Familienverband aufgewachsen und hat die fünfte Klasse in Afghanistan abgeschlossen. Der Beschwerdeführer hat mit seiner Familie ca. 1 bis 2 Jahre lang in Pakistan in der Stadt XXXX gelebt, bevor er nach Europa weitergereist ist. Der Beschwerdeführer ist daher mit den örtlichen und sozialen Gegebenheiten in Afghanistan vertraut. Er hat allerdings nie in Mazar-e Sharif gelebt. Familienangehörige des Beschwerdeführers leben in Afghanistan.
Der Beschwerdeführer ist ein junger, gesunder, arbeitsfähiger Mann im erwerbsfähigen Alter. Er verfügt über Arbeitserfahrung in Afghanistan in der Landwirtschaft und hat auch in der Türkei in einer Fabrik auf dem Weg nach Europa einige Monate gearbeitet. Auch in Österreich hat er seit der Zuerkennung von subsidiärem Schutz bereits in unterschiedlichen Bereichen Arbeitserfahrung erworben (siehe unten).
Der gesunde Beschwerdeführer fällt im Hinblick auf die derzeit bestehende COVID-19 Pandemie nicht unter die Risikogruppe der älteren Personen bzw. der Personen mit erheblichen chronisch-internistischen Vorerkrankungen.
Der Beschwerdeführer reiste am XXXX als mündiger Minderjähriger in Österreich unrechtmäßig ein. Mit Bescheid vom XXXX wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig zuerkannt. Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX rechtskräftig abgewiesen; ein Rechtsmittel hat der Beschwerdeführer dagegen nicht erhoben. Mit dem beschwerdegegenständlichen Aberkennungsbescheid wurde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nach XXXX Jahren aberkannt und sein Antrag auf Verlängerung unter einem abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich. Er lebt allerdings XXXX mit einer Unterbrechung von knapp 3 Monaten XXXX mit einer namentlich genannten Frau zusammen, welche österreichische Staatsbürgerin ist und die er im XXXX islamisch geheiratet hat. Eine standesamtliche Eheschließung ist in Kürze geplant, wurde aber bis dato nicht nachgewiesen. Gegenseitige finanzielle Abhängigkeiten wurden nicht vorgebracht.
In Österreich besteht zudem seit ca fünf Jahren ein besonderes Naheverhältnis des Beschwerdeführers zu seiner österreichischen Patin und deren Familie. Seine Patin bescheinigt auch im aktuellsten Unterstützungsschreiben, dass der Beschwerdeführer ein selbständiger junger Mann geworden ist, bei ihr und ihrer Familie ein gern gesehener Gast ist und nach wie vor ein ausgesprochen vertrauensvolles Verhältnis zueinander besteht. Die mit der Beschwerde vorgelegten Unterstützungsschreiben aus dem Jahr XXXX wurden mit Ausnahme eines Schreibens bereits im ursprünglichen Asylverfahren vorgelegt (vergleiche VwAkt S. 123 ff.); von der Patin wurde auch ein ergänzendes Schreiben aus dem Jahr XXXX vorgelegt. Die im Aberkennungsverfahren vorgelegten Dienstzeugnisse bringen eine Wertschätzung für den Beschwerdeführer als Mitarbeiter und Kollegen zum Ausdruck und bestätigten, dass er seine Arbeit gut macht. Der Beschwerdeführer verfügt auch über gute Deutschkenntnisse und hat u.a. mit der Beschwerde ein ÖSD Zertifikat A2 aus dem Jahr XXXX vorgelegt. Er hat weiters eine von ihm unterfertigte Integrationserklärung aus dem Jahr XXXX vorgelegt.
In Österreich hat der Beschwerdeführer seit Zuerkennung des subsidiären Schutzes in folgenden Bereichen gearbeitet: als Küchenhilfe, Bauhelfer, Fahrradbote und Lagerarbeiter und hat dabei überwiegend deutlich über der Geringfügigkeit verdient und war selbsterhaltungsfähig. Er hat es immer wieder aus eigener Kraft geschafft Arbeit zu finden, damit er für sich sorgen kann. Der Beschwerdeführer legte einen mit XXXX datierten Dienstvertrag für Arbeiter gemäß § 11 Abs. 4 AÜG für die Vollzeittätigkeit als Lagerarbeiter vor. Das Dienstverhältnis wurde zwar auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, der Beschwerdeführer befindet sich jedoch zum Entscheidungszeitpunkt gerade noch in der vereinbarten Probezeit. Zum Entscheidungszeitpunkt ist der Beschwerdeführer selbsterhaltungsfähig. In den Jahren XXXX hat der Beschwerdeführer immer wieder Arbeitslosengeld und Notstandshilfe, Überbrückungshilfe bezogen.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich bescholten: XXXX
1.2. Bescheid mit welchem der Status eines Subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde
Die belangte Behörde stellte u.a. fest, dass der Beschwerdeführer behauptet am XXXX geboren zu sein, aus der Provinz Maiden Wardak stamme, 6 Jahre eine Schule besucht und auch in der Landwirtschaft gearbeitet hat, seine Mutter bei der Familie seiner Schwester in der Provinz Kabul lebe (Zuerkennungsbescheid S. 9) und dass dem Beschwerdeführer „bei einer Rückkehr in sein Heimatland die Lebensgrundlage nicht gänzlich entzogen [wäre] zumal [er] noch über soziale und familiäre Netzwerke in Afghanistan verfüge. Es konnte jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass [er] bei einer Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der prekären Lage in [seiner] Heimatprovinz nicht einer besonderen Gefährdungslage ausgesetzt wäre. Eine Rückführung nach Afghanistan erscheint demnach derzeit nicht zumutbar, weil sie mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen würde.“ (Zuerkennungsbescheid S. 10)
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat stützten sich auf das Länderinformationsblatt in der Fassung der KI vom 19.12.2016 (Zuerkennungsbescheid S. 11 ff.).
Laut Beweiswürdigung betreffend die Feststellungen im Falle der Rückkehr des Beschwerdeführers ergibt sich der festgestellte Sachverhalt aus der Vernehmung des Beschwerdeführers und den Feststellungen zur Lage in seinem Herkunftsland (Zuerkennungsbescheid S. 61).
In der rechtlichen Beurteilung betreffend die Zuerkennung des Status des Subsidiär Schutzberechtigten führte die belangte Behörde aus:
„Anhand der im Verfahren herangezogenen Länderdokumente ist derzeit die allgemeine Sicherheitslage in der Provinz Kabul aufgrund der derzeitigen Unruhen in jüngster Zeit nicht als ausreichend stabil zu bewerten. Zwar verfügen Sie dort noch über familiäre Anknüpfungspunkte, jedoch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass Ihre Familie auch noch Sie mitzutragen vermag. Darüber hinaus verfügen Sie an keinem anderen Ort in Afghanistan über familiäre bzw. soziale Anknüpfungspunkte, zudem verfügen Sie über keine besonderen beruflichen Qualifikationen und würden Sie nach einem Auslandsaufenthalt ohne Kenntnisse der örtlichen Verhältnisse zurückkehren, sodass Sie nach den Länderfeststellungen mit Schwierigkeiten im existenzgefährdenden Ausmaß zu rechnen hätten. Es ist sohin nicht ersichtlich, wie Sie im Falle einer Rückkehr - auf sich alleine gestellt - in einem der übrigen Landesteile in der Lage sein soll, für sich eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen. Sohin ist es - auch unter Heranziehung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs - Ihnen derzeit nicht zuzumuten, in Ihre Heimatregion zurückzukehren, da Sie für den Fall einer Abschiebung nach Afghanistan aufgrund der derzeitig prekären Lage in Ihrer Heimatprovinz und mangels eines tragfähigen sozialen Netzes und entsprechender beruflicher Qualifikationen in eine aussichtlose Situation kommen würden, sodass diese im Blickwinkel des Artikels 3 EMRK unzulässig ist.“ (Zuerkennungsbescheid S. 65 f.)
1.3. Bescheid mit welchem der Status eines Subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde
Zur Person des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde u.a. fest:
„[…] Sie stammen aus der Provinz Maidan Wardak und haben ebendort den Großteil Ihres Lebens verbracht. Sie sind sunnitischer Moslem. Sie verfügen über Schulbildung und Arbeitserfahrung. Sie haben familiäre/soziale Kontakte in Afghanistan. […]“ (Aberkennungsbescheid S. 15)
Beweiswürdigung: „Ebenso konnte festgestellt werden, dass Sie eine fünfjährige Schulbildung genossen haben, sowie über Arbeitserfahrung verfügen, da Sie angaben, als Verkäufer sowie in einer Glasherstellungsfabrik tätig gewesen zu sein.“ (Aberkennungsbescheid S. 113)
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Situation des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr führte die belangte Behörde aus:
„Die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen nicht mehr vor. Ihre subjektive Lage hat sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als Ihnen subsidiärer Schutz gewährt wurde, geändert. Eine aktuelle und individuelle Furcht vor Verfolgung in Bezug auf ganz Afghanistan konnten Sie nicht glaubhaft machen. Es liegt in Ihrem Fall eine Gefährdungslage in Bezug auf Ihre unmittelbare Heimatprovinz – nicht aber Afghanistan allgemein - vor. In Ihrem Fall besteht eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Sie können Ihren Lebensunterhalt in Herat oder Mazar-e Sharif bestreiten und würden ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.“ (Aberkennungsbescheid S. 15)
Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt in der Fassung der KI vom 29.10.2018 (Aberkennungsbescheid S. 16 f.)
In der Beweiswürdigung hielt die belangte Behörde fest (Aberkennungsbescheid S. 115-117):
„Ihnen wurde mit Bescheid des BFA […] der Status des subsidiär Schutzberechtigten lediglich zuerkannt, weil Ihre familiären und sozialen Netzwerke, über die Sie in Afghanistan noch verfügen, Sie nicht mitzutragen vermögen, Sie zudem über keine besonderen beruflichen Qualifikationen verfügten und Sie somit im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan (zum Entscheidungszeitpunkt) vorerst vollkommen auf sich alleine gestellt und jedenfalls gezwungen wären, nach einem Wohnraum zu suchen, ohne jedoch über ausreichende Kenntnisse der örtlichen und infrastrukturellen Gegebenheiten in Afghanistan zu verfügen; aufgrund dessen ist die Behörde davon ausgegangen, dass Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt gewesen wären.
Ihre ganz persönliche, subjektive Lage hat sich jedoch im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend geändert, dass Ihnen nunmehr eine IFA (innerstaatliche Fluchtalternative) mit Herat oder Mazar-e Sharif zur Verfügung stünde, die sich insbesondere nun (neuerdings) aus dem Vorhandensein einer Vielzahl an internationalen Einrichtungen, die Rückkehrer unterstützen, ableiten lässt; laut der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 01.02.2018 zählen zu den unterstützenden Akteuren neben der afghanischen Regierung auch internationalen Organisationen wie IOM (Internationale Organisation für Migration), die UN-Agentur UNHCR, US-amerikanische Organisationen wie USAID (Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung) und lokale Nichtregierungsorganisationen wie IPSO (International Psycho-Social Organisation) und AMASO (Afghanistan Migrants Advice & Support Organisation), an welchen Sie sich freilich im Falle Ihrer Rückkehr bedienen könnten. Weiters kann auch eine finanzielle Rückkehrhilfe als Startkapital für Ihren Neubeginn im Heimatland gewährt werden, wobei Sie vom ersten Informationsgespräch bis zur tatsächlichen Rückreise in einer Einrichtung beraten, begleitet und umfassend unterstützt werden.
[…]
Dass Sie schließlich den Lebensunterhalt in Herat oder Mazar-e Sharif bestreiten könnten, ist eindeutig den diesbezüglichen Länderinformationen zu entnehmen. Darüber hinaus könnten Sie selbstverständlich im Falle der Rückkehr zum einen von Ihren in Afghanistan aufhältigen Familienangehörigen (zumindest) finanzielle Unterstützung erwarten, und zum anderen - wie den Feststellungen zum Herkunftsland klar hervorgeht - zum Zwecke des Bestreitens des Lebensunterhaltes Unterstützungen, insbesondere in Zusammenhang mit einer Rückkehr, vom UNHCR oder IOM in Anspruch nehmen.
Im Gegensatz zum Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes ist derzeit von einer Situation auszugehen, die kein familiäres Netzwerk erfordert, um die Sicherstellung des Lebensunterhaltes zu gewährleisten. Vielmehr können die genannten nationalen und internationalen Hilfsorganisationen gerade in der Anfangszeit wertvolle Unterstützungen leisten und dem Rückkehrer durch ihre Verbindungen und Netzwerke dabei hilfreich sein, die Hürden solch einer neuen Ansiedlung in Herat oder Mazar-e Sharif zur Seite zu räumen.
[…]“
1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr
Der Beschwerdeführer war und ist im Falle seiner Rückkehr persönlich in Afghanistan keiner Verfolgung und damit einhergehenden physischen und/oder psychischen Gewalt wegen seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit oder wegen seines Aufenthalts im (westlichen) Ausland ausgesetzt. Insbesondere das (neuerliche) Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend eine Verfolgung durch die Taliban entspricht im Wesentlichen seinem Vorbringen im rechtskräftig negativ abgeschlossenen Verfahren betreffend seinen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz als Asylberechtigter. Eine aktuelle Verfolgung durch die Taliban oder von anderer Seite konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen. Es droht ihm auch keine Verfolgung als Rückkehrer aus Europa. Auch sonst haben sich im Verfahren keine Hinweise auf eine dem Beschwerdeführer in Afghanistan individuell drohende Verfolgung durch staatliche Organe oder von staatlichen Organen geduldet durch Private ergeben, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung.
Der junge, gesunde Beschwerdeführer im erwerbsfähigen Alter kann zwar aufgrund der derzeitigen Sicherheitslage nicht in seine Herkunftsprovinz zurückkehren. Es ist ihm allerdings möglich in anderen Teilen Afghanistans, insbesondere in Mazar-e Sharif zu leben. In den genannten Städten ist die Sicherheits-, Versorgungs- und Wirtschaftslage ausreichend. Dem Beschwerdeführer ist es möglich, dort zu leben und sich durch eine berufliche Tätigkeit selbst zu erhalten, ohne Gefahr zu laufen, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können bzw. in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation zu geraten. Es sind keine außergewöhnlichen, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Umstände hervorgekommen, die dem entgegenstehen. Er hat zudem die Möglichkeit finanzielle Hilfe in Form von Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen.
1.4. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat:
1.4.1. Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:
- Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Version 4 (veröffentlicht 11.06.2021)
- Homepage der WHO: https://www.who.int und https://covid19.who.int/region/emro/country/af (WHO)
- EASO Bericht Afghanistan Netzwerke, Stand Jänner 2018 (EASO Netzwerke)
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO 2019)
- EASO Country Guidance: Afghanistan vom Dezember 2020 (EASO 2020)
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Masar-e Sharif und Umgebung; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 30.04.2020 (ACCORD Masar-e Sharif)
- ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lokale Sicherheits- und Versorgungslage in der Stadt Herat; Besonderheiten aufgrund der Corona-Pandemie vom 23.04.2020 (ACCORD Herat)
- ACCORD Afghanistan: Covid-19 (allgemeine Informationen; Lockdown-Maßnahmen; Proteste; Auswirkungen auf Gesundheitssystem, Versorgungslage, Lage von Frauen und RückkehrerInnen; Reaktionen der Taliban; Stigmatisierung) vom 05.06.2020 (ACCORD)
- Analyse der Staatendokumentation „Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh“ vom 21.7.2020
- ecoi.net-Themendossier zu Afghanistan: Sicherheitslage und sozioökonomische Lage in Herat und Masar-e Scharif vom 16.10.2020 (ECOI Oktober 2020)
- UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)
- Arbeitsübersetzung Landinfo Report "Afghanistan: Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" vom 23.08.2017 (Landinfo 1)
- Arbeitsübersetzung Landinfo Report „Afghanistan: Rekrutierung durch die Taliban“ vom 29.06.2017 (Landinfo 2)
1.4.2. Zur aktuellen Situation in Afghanistan werden folgende Feststellungen getroffen:
COVID-19
Letzte Änderung: 10.06.2021
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).
Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Dazu WHO: Im Zeitraum 03.01.2020 bis 10.08.2021 wurden der WHO 151.013 bestätigte Covid-Fälle mit 6.961 Toten gemeldet. Am 09.08.2021 waren insgesamt 1,767,239 Impfdosen verabreicht.
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).
Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).
Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).
Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).
Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).
Frauen, Kinder und Binnenvertriebene
Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).
Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).
Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).
Dazu WHO, auszugsweise:
COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 20 % der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen (60 Jahre oder älter) und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Bluthochdruck, Herz- und Lungenproblemen, Diabetes, Fettleibigkeit oder Krebs) auf., einschließlich Verletzungen von Herz, Leber oder Nieren.
Friedens- und Versöhnungsprozess
Letzte Änderung: 11.06.2021
Die afghanischen Regierungskräfte und die US-Amerikaner können die Taliban, die über rund 60.000 Mann verfügen, nicht besiegen. Aber auch die Aufständischen sind nicht stark genug, die Regierungstruppen zu überrennen, obwohl sie rund die Hälfte des Landes kontrollieren oder dort zumindest präsent sind. In Afghanistan herrscht fast zwei Jahrzehnte nach dem Sturz des Taliban-Regimes durch die USA eine Pattsituation (NZZ 20.4.2020). 2020 fanden die ersten ernsthaften Verhandlungen zwischen allen Parteien des Afghanistan-Konflikts zur Beendigung des Krieges statt (HRW 13.1.2020). Das lang erwartete Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban wurde Ende Februar 2020 unterzeichnet (AJ 7.5.2020; vgl. NPR 6.5.2020, EASO 8.2020a) - die afghanische Regierung war an dem Abkommen weder beteiligt, noch unterzeichnete sie dieses (EASO 8.2020a). Das Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban enthält das Versprechen der US-Amerikaner, ihre noch rund 13.000 Armeeangehörigen in Afghanistan innerhalb von 14 Monaten abzuziehen. Auch die verbliebenen nicht-amerikanischen NATO-Truppen sollen abgezogen werden (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020; REU 6.10.2020). Der Abzug der ausländischen Truppenangehörigen, von denen die meisten Beratungs- und Ausbildungsfunktionen wahrnehmen, ist abhängig davon, ob die Taliban ihren Teil der Abmachung einhalten. Sie haben im Abkommen zugesichert, terroristischen Gruppierungen wie etwa Al-Qaida keine Zuflucht zu gewähren. Die Taliban verpflichteten sich weiter, innerhalb von zehn Tagen nach Unterzeichnung, Gespräche mit einer afghanischen Delegation aufzunehmen (NZZ 20.4.2020; vgl. USDOS 29.2.2020, EASO 8.2020a). Die Taliban haben die politische Krise im Zuge der afghanischen Präsidentschaftswahlen derweil als Vorwand genutzt, um den Einstieg in Verhandlungen hinauszuzögern. Sie werfen der afghanischen Regierung vor, ihren Teil der am 29.2.2020 von den Taliban mit der US-Regierung geschlossenen Vereinbarung weiterhin nicht einzuhalten, und setzten ihre militärische Kampagne gegen die afghanischen Sicherheitskräfte mit hoher Intensität fort (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).
Im September 2020 starteten die Friedensgespräche zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban in Katar (REU 6.10.2020; vgl. AJ 5.10.2020, BBC 22.9.2020). Der Regierungsdelegation gehörten nur wenige Frauen an, aufseiten der Taliban war keine einzige Frau an den Gesprächen beteiligt. Auch Opfer des bewaffneten Konflikts waren nicht vertreten, obwohl Menschenrechtsgruppen dies gefordert hatten (AI 7.4.2021).
Die Gewalt hat jedoch nicht nachgelassen, selbst als afghanische Unterhändler zum ersten Mal in direkte Gespräche verwickelt wurden (AJ 5.10.2020; vgl. AI 7.4.2021). Insbesondere im Süden, herrscht trotz des Beginns der Friedensverhandlungen weiterhin ein hohes Maß an Gewalt, was weiterhin zu einer hohen Zahl von Opfern unter der Zivilbevölkerung führt (UNGASC 9.12.2020; vgl. AI 7.4.2021). Ein Waffenstillstand steht ganz oben auf der Liste der Regierung und der afghanischen Bevölkerung (BBC 22.9.2020; vgl. EASO 8.2020a) wobei einige Analysten sagen, dass die Taliban wahrscheinlich noch keinen umfassenden Waffenstillstand vereinbaren werden, da Gewalt und Zusammenstöße mit den afghanischen Streitkräften den Aufständischen ein Druckmittel am Verhandlungstisch geben (REU 6.10.2020). Die Rechte der Frauen sind ein weiteres Brennpunktthema. Die Taliban sind wiederholt danach gefragt worden und haben wiederholt darauf bestanden, dass Frauen und Mädchen alle Rechte erhalten, die "innerhalb des Islam" vorgesehen sind (BBC 22.9.2020). Frauenrechtlerinnen in Afghanistan haben jedoch seit vielen Jahren Bedenken geäußert, dass die Regierung die Rechte der Frauen eintauschen wird, um eine Einigung mit den Taliban zu erreichen. Die afghanische Regierung hat sich oft dagegen gewehrt, Frauen in Friedensgespräche einzubeziehen. Im Juni 2015 verabschiedete die afghanische Regierung einen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325 des Sicherheitsrats für den Zeitraum 2015 bis 2022, der auch das Ziel enthielt, die effektive Beteiligung von Frauen am Friedensprozess zu gewährleisten, doch dem Plan fehlten Details und er wurde nicht sinnvoll umgesetzt (HRW 22.3.2021).
Am Tag der Wiederaufnahme der Verhandlungen in Doha am 5.1.2021 wurde nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kabul in mindestens 22 von 34 Provinzen des Landes gekämpft (Ruttig 12.1.2021; vgl. TN 9.1.2021).
Die neue amerikanische Regierung warf den Taliban im Januar 2021 vor, gegen das im Februar 2020 geschlossene Friedensabkommen zu verstoßen und sich nicht an die Verpflichtungen zu halten, ihre Gewaltakte zu reduzieren und ihre Verbindungen zum Extremistennetzwerk Al-Qaida zu kappen. Ein Pentagon-Sprecher gab an, dass sich der neue Präsident Joe Biden dennoch an dem Abkommen mit den Taliban festhält, betonte aber auch, solange die Taliban ihre Verpflichtungen nicht erfüllten, sei es für deren Verhandlungspartner "schwierig", sich an ihre eigenen Zusagen zu halten (FAZ 29.1.2020; vgl. DZ 29.1.2021). Jedoch noch vor der Vereidigung des US-Präsidenten Joe Biden am 19.1.2021 hatte der designierte amerikanische Außenminister signalisiert, dass er das mit den Taliban unterzeichnete Abkommen neu evaluieren möchte (DW 29.1.2020; vgl. BBC 23.1.2021).
Nach einer mehr als einmonatigen Verzögerung inmitten eskalierender Gewalt sind die Friedensgespräche zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung am 22.2.2021 in Katar wieder aufgenommen worden (RFE/RL 23.2.2021b; vgl. AP 23.2.2021).
Am 18.3.2021 empfing die russische Regierung Vertreter der afghanischen Regierung, der Taliban und von Partnerländern zu einem Gipfeltreffen, das die Friedensgespräche voranbringen sollte. Der 12-köpfigen afghanischen Regierungsdelegation gehörte eine Frau, Dr. Habiba Sarabi, an - ein Rückschritt gegenüber der Teilnahme von vier Frauen unter den 20 Mitgliedern beim innerafghanischen Dialog in Doha, Katar, im September 2020. Die 10-köpfige Taliban-Delegation war wie in der Vergangenheit ausschließlich männlich. Afghanische Frauenrechtsaktivistinnen haben die Sorge geäußert, dass Frauen von den geplanten Friedensgesprächen in der Türkei weitgehend ausgeschlossen werden, wodurch die Rechte der Frauen bei einer endgültigen Einigung stark gefährdet sind (HRW 22.3.2021).
Beobachter sehen bei den Taliban eine bewusste Strategie des Teilens und Herrschens am Werk, die Einladungen zu privaten Gesprächen an verschiedene regionale Warlords und Herrscher verschickt haben. Offenbar ist das Ziel, Präsident Ghani zu isolieren (BAMF 10.5.2021).
Die USA versuchten, in Istanbul eine Konferenz zu organisieren, um an einer Einigung zwischen den Taliban-Aufständischen und der afghanischen Regierung zu arbeiten, indem sie beide Parteien und andere wichtige internationale und regionale Akteure zusammenbrachten (AAN 1.5.2021; vgl. REU 20.4.2021. Die Taliban zeigten, wie sie selbst sagten, kein Interesse an dem Treffen und erklärten nach der Biden-Ankündigung zu den Truppen, dass sie nicht teilnehmen würden. Die Taliban nannten die Konferenz einen Versuch, "die Taliban, ob sie wollen oder nicht, zu einer überstürzten Entscheidung zu drängen, die von Amerika benötigt wird" (AAN 1.5.2021; vgl. VOJ 20.4.2021, AP 21.4.2021)
Die USA, die Türkei, Katar und Pakistan versuchten Berichten zufolge, die Taliban zur Teilnahme an der Konferenz zu bewegen, die für den 24.4.2021 bis 4.5.2021 geplant war, aber scheiterte. Sie wurde offiziell nicht abgesagt, sondern verschoben (AAN 1.5.2021; vgl. TN 22.4.2021). Die Taliban haben die Teilnahme an einem zukünftigen Gipfel in der Türkei nicht ausgeschlossen (RFE/RL 12.5.2021a).
Auf der Kabuler Seite zog die politische Klasse auch nach dem klaren Signal der USA, die Truppen abzuziehen, nicht an einem Strang, weder um ernsthaft mit den Taliban zu verhandeln noch um eine alternative Strategie zu beschließen und zu verfolgen (AAN 1.5.2021).
Abzug der Internationalen Truppen
Im April kündigte US-Präsident Joe Biden den Abzug der verbleibenden Truppen (WH 14.4.2021; vgl. RFE/RL 19.5.2021, AAN 1.5.2021, BBC 23.4.2021) - etwa 2.500-3.500 US-Soldaten und etwa 7.000 NATO-Truppen - bis zum 11.9.2021 an, nach zwei Jahrzehnten US-Militärpräsenz in Afghanistan (RFE/RL 19.5.2021). Er erklärte weiter, die USA würden weiterhin "terroristische Bedrohungen" überwachen und bekämpfen sowie "die Regierung Afghanistans" und "die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte weiterhin unterstützen" (WH 14.4.2021), allerdings ist nicht klar, wie die USA auf wahrgenommene Bedrohungen zu reagieren gedenken, sobald ihre Truppen abziehen (AAN 1.5.2021). Die Taliban zeigten sich von der Ankündigung eines vollständigen und bedingungslosen Abzugs nicht besänftigt, sondern äußerten sich empört über die Verzögerung, da im Doha-Abkommen der 30.4.2021 als Datum für den Abzug der internationalen Truppen festgelegt worden war. In einer am 15.4.2021 veröffentlichten Erklärung wurden Drohungen angedeutet: Der "Bruch" des Doha-Abkommens "öffnet den Mudschaheddin des Islamischen Emirats den Weg, jede notwendige Gegenmaßnahme zu ergreifen, daher wird die amerikanische Seite für alle zukünftigen Konsequenzen verantwortlich gemacht werden, und nicht das Islamische Emirat" (AAN 1.5.2021; vgl. VOJ 20.4.2021).
Für die Taliban ist die Errichtung einer "islamischen Struktur" eine Priorität. Wie diese aussehen würde, haben die Taliban noch nicht näher ausgeführt. Ähnliche Bedenken werden in Bezug auf die Auslegung der Scharia und die Rechte der Frauen geäußert. Die Verhandlungen mit den USA haben bei den Taliban ein Gefühl des Triumphs ausgelöst. Indem sie mit den Taliban verhandeln, haben die USA sie offiziell als politische Gruppe und nicht mehr als Terroristen anerkannt. Gleichzeitig haben die Verhandlungen aber auch die afghanische Regierung unterminiert, die von den Gesprächen zwischen den Taliban und den USA ausgeschlossen wurde (VIDC 26.4.2021). Der Abzug wird eine große Bewährungsprobe für die afghanischen Sicherheitskräfte sein. US-Generäle und andere Offizielle äußerten die Befürchtung, dass er zum Zusammenbruch der afghanischen Regierung und einer Übernahme durch die Taliban führen könnte (RFE/RL 19.5.2021).
Viele befürchten, dass mit dem Abzug der US-Truppen aus Afghanistan eine neue Phase des Konflikts und des Blutvergießens beginnen wird (VIDC 26.4.2021; vgl. AAN 1.5.2021, GM 18.5.2021). Mit dem Abzug der US-Truppen in den nächsten Monaten können die ANDSF mit einem Rückgang der Luftunterstützung und der Partner am Boden rechnen (AAN.1.5.2021; vgl. GM 18.5.2021), während die Taliban in jüngsten Äußerungen [Anm.: Ende April 2021] von einem bevorstehenden Sieg sprachen (RFE/RL 12.5.2021a; vgl. BBC 15.4.2021). Es gab auch einen Anstieg von tödlichen Selbstmordattentaten in städtischen Gebieten, die der islamistischen Gruppe angelastet werden (RFE/RL 12.5.2021a) und verstärkte Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen seit Beginn des Abzugs der internationalen Truppen im April (RFE/RL 12.5.2021a; cf. SIGAR 30.4.2021, BAMF 31.5.2021, LWJ 20.5.2021). Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens 12 Distrikte erobert (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021, LWJ 20.5.2021, VOA 7.6.2021).
Es wird erwartet, dass unter einer künftigen Taliban-Herrschaft die Rechte der Frauen im Land einen schweren Rückschlag erleiden werden (BAMF 10.5.2021; vgl. AI 24.5.2021, TD 25.5.2021, BBC 25.4.2021). Außerdem werden die Auswirkungen für Frauen in ländlichen Gebieten, in denen die Taliban die absolute Kontrolle haben, noch schlimmer sein als für Frauen in den großen städtischen Zentren wie Kabul (TD 25.5.2021). Im Mai 2021 warnte Human Rights Watch (HRW), dass sich die Gesundheitsversorgung für Frauen und Mädchen in Afghanistan aufgrund fehlender Spendengelder als Folge des Abzugs der internationalen Truppen und der unklaren Lage im Land verschlechtern wird (HRW 5.2021; vgl. BAMF 10.5.2021).
Viele der schätzungsweise 18.000 afghanischen Dolmetscher, Kommandosoldaten und andere, die mit den US-Streitkräften zusammengearbeitet haben, haben Visa beantragt, um in die USA auszuwandern - ein Prozess, der nach Angaben von Gesetzgebern mehr als zwei Jahre dauern könnte, was sie möglicherweise Racheakten der Taliban aussetzen würde (RFE/RL 19.5.2021). US-amerikanische, britische und deutsche Beamte sowie internationale NGOs wie Human Rights Watch (HRW) äußerten sich besorgt über die Sicherheit von ehemaligen Mitarbeitern der internationalen Streitkräfte (RFE/RL 19.5.202