TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/3 W102 2223027-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 03.09.2021
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Entscheidungsdatum

03.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W102 2223026-1/17E
W102 2223027-1/18E
W102 2223028-1/16E
W102 2222317-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Werner ANDRÄ als Einzelrichter über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , 2. XXXX , geb. XXXX , 3. XXXX , geb. XXXX , 4. XXXX , geb. XXXX StA. Afghanistan, vertreten durch Mag.a Julia KOLDA, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 1. 19.07.2019, Zl. XXXX - XXXX , 2. 19.07.2019, Zl. XXXX - XXXX , 3. 19.07.2019, Zl. XXXX - XXXX , 4. 05.07.2019, Zl. XXXX - XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.05.2021 zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerden werden hinsichtlich Spruchpunkte I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II.      Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. stattgegeben und XXXX , XXXX , XXXX und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der/des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.

III.    Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX , XXXX , XXXX und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführenden, nämlich die Erstbeschwerdeführerin, ihre beiden Söhne, der Zweitbeschwerdeführer und der damals minderjährigen Drittbeschwerdeführer, sowie ihr Neffe, den damals minderjährige Viertbeschwerdeführer, alle afghanische Staatsangehörige und Angehörige der Volksgruppe der Hazara, reisten unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich ein und stellten am 12.02.2016 erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 13.02.2016 gab die Erstbeschwerdeführerin zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, der Ehemann sei in Afghanistan Polizist gewesen und sie seien drei Jahre zuvor in den Iran geflüchtet, weil er deswegen dauernd bedroht worden sei. Im Iran hätten sie sich illegal aufgehalten und nachdem ihr Ehemann sieben Monate zuvor an Krebs verstorben war, hätte die iranische Regierung sie nach Afghanistan zurückgewesen. Dort sei in der Zwischenzeit auch der Bruder von den Taliban ermordet worden, deshalb habe sie es für zu gefährlich gehalten, zurückzukehren und sei mit ihren Söhnen und ihrem Neffen geflüchtet. Die Schwester habe den Neffen drei Monate zuvor in den Iran geschickt, weil sie um sein Leben gefürchtet habe. Bis zur Abreise nach Europa habe er bei ihnen gelebt.

Der Zweit- und Drittbeschwerdeführer gab in der Erstbefragung am selben Tag an, Onkel und Vater seien Polizisten gewesen, deswegen sei die Familie von den Taliban bedroht worden. Der Onkel sei von den Taliban ermordet worden, woraufhin die Familie beschlossen habe, in den Iran auszuwandern. Der Vater sei sieben Monate zuvor gestorben, daher habe die iranische Regierung sie nach Afghanistan zurückschicken wollen.

Der Viertbeschwerdeführer führte zum Fluchtgrund in seiner Erstbefragung am 13.02.2016 aus, der Onkel habe in Afghanistan als Polizist gearbeitet und sei von den Taliban ermordet worden. Die Mutter habe Angst um das Leben des Viertbeschwerdeführers gehabt und ihn deshalb zu seiner Tante in den Iran geschickt. Dort habe die Tante die Flucht nach Europa beschlossen, weil die Abschiebung nach Afghanistan gedroht habe.

Mit Beschluss des BG Baden vom 18.04.2016, 10 PS 86/16v, wurde der Erstbeschwerdeführerin in gesamtem Umfang die Obsorge für den Viertbeschwerdeführer übertragen.

Mit Bescheiden vom 27.10.2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführenden auf internationalen Schutz wegen der Zuständigkeit Kroatiens zurückgewiesen und die Außerlandesbringung angeordnet. Den hiergegen erhobenen Beschwerden gab das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 12.01.2017 statt und behob die Bescheide.

In der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.01.2018 führte die Erstbeschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen aus, ihr Mann sei Dorfältester gewesen und sei daher oft Besuch, auch von Kommandanten und wichtigen Personen bekommen. Die Taliban hätten wissen wollen, wer und wann zu ihnen komme. Sie hätten gemeinsam zu Mittag gegessen, als ein Auto gestoppt habe. Der Mann habe gedacht, es sei Besuch und sei hinausgegangen. Es seien Taliban gewesen, sie hätten angefangen, den Mann zu schlagen. Die Erstbeschwerdeführerin habe Angst bekommen, sei mit den Kindern in den Stall und habe sie dort versteckt, dann sei sie zurück ins Haus. Es sei verwüstet gewesen und ihre Kalaschnikows und das Geld nicht mehr da gewesen. Einer der Männer habe sie zu Boden geschubst, dabei habe sie sich am Finger verletzt. Sie sei ohnmächtig geworden. Als sie wieder zu sich gekommen sei, seien ihre Eltern dagewesen. Sie hätten gesagt, die Taliban hätten den Mann mitgenommen. In diesem Augenblick seien ihr ihre Söhne eingefallen und sie sei in den Stall und habe sie ins Haus gebracht. Die Dorfältesten der umliegenden Dörfer hätten sich versammelt und versucht, eine Lösung zu finden. Nach ca. einer Woche bis zehn Tagen sei der Mann wieder freigelassen worden. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin habe für ihn gebürgt und versprochen, dass keine wichtigen Personen zu ihnen kommen würden. Dem Man sei es sehr schlecht gegangen, er sei gefoltert worden und habe am ganzen Körper Wunden gehabt. Nach diesem Vorfall seien sie in den Iran geflüchtet. Der Mann habe Drohbriefe nach Hause erhalten, worin er aufgefordert worden sei, Kommandanten nicht mehr zu empfangen. Brüder, Vater und Schwager hätten auch Drohbriefe erhalten. Die Taliban hätten auch Personen zu ihrem Haus gesendet, die sie persönlich bedroht hätten oder sie seien auf der Straße aufgehalten worden. Sie sei auch bedroht worden. Die Taliban hätten zum Mann gesagt, wenn er die Adresse des Bruders der Erstbeschwerdeführerin nicht hergebe, würden sie seiner Familie etwas antun. Personen, die in Ghazni unterwegs gewesen seien, seien angehalten und gefragt worden, ob sie XXXX und seine Schwester kennen würden. Diese Personen hätten es erzählt und sie gewarnt. Der Mann habe die Adresse des Bruders bekanntgeben müssen. Er habe den Taliban versprochen, dass er sie benachrichtigen werde, wenn der Bruder wieder zu ihnen komme. Es sei insgesamt fünf Jahre gegangen, als der Bruder Polizei-Kommandant geworden sei, hätten die Drohungen zugenommen. Der Bruder sei von den Taliban entführt worden, er sei einen Monat in Gefangenschaft gewesen und danach getötet worden. Der Mann habe der Erstbeschwerdeführerin und den Kindern nichts erzählt, als er von den Taliban zurückgekommen sei. Sie habe einiges hören können, als er es dem Vater der Erstbeschwerdeführerin erzählt habe. Die Erstbeschwerdeführerin habe hinter der Tür gelauscht. Sie hätten ihn jede Nacht mit Stöcken geschlagen und ihm eine Kalaschnikow vor die Brust gehalten und gefragt, warum so viele Kommandanten zu ihnen nach Hause kommen würden. Er habe am ganzen Körper Wunden gehabt und sein Oberarm sei gebrochen gewesen. Die hätten den Mann beschuldigt, dass er für die Regierung arbeite oder ein Kommandant sei. Sie hätten aber nichts bei ihnen gefunden. Nach der Freilassung seien sie noch zwei bis vier Wochen in Afghanistan gewesen und hätten gewartet, bis es dem Mann bessergehe. In dieser Zeit seien ein paar Freunde und Kommandanten und Dorfälteste aus anderen Dörfern gekommen, um nach dem Mann zu fragen. Auch der Bruder sei gekommen. Der Mann habe ihm erzählt, dass er den Taliban versprochen habe, sich zu melden, falls der Bruder komme. Der Bruder habe den Mann beruhigt und einen Schlepper organisiert, der sie in den Iran gebracht habe. Der Schwager sei ca. zwei Jahre zuvor von den Nomaden getötet worden. Im Dorf gebe es Nomaden, sie würden gegen die Dorfbewohner kämpfen, dabei sei der Schwager von einer Kugel getroffen worden. Er sei ins Spital gebracht worden und dort gestorben. Die Leiche des Schwagers sei vom Krankenhaus in Ghazni Stadt zurück ins Dorf gebracht worden, davon habe der Bruder erfahren. Die Taliban hätten erfahren, dass er auf dem Weg sei. In dem Auto sei auch die Mutter gesessen. Es sei unterwegs gestoppt worden, der Bruder habe aussteigen müssen. Die Taliban hätten seinen Ausweis gefunden und die Mutter habe sie angefleht, ihm nichts zu tun. Sie hätten ihn mitgenommen, einen Monat hätten sie nichts von ihm gehört, dann sei seine Leiche gefesselt gefunden worden. Er sei erschossen worden. Ein weiterer Bruder sei Polizist und lebe in ständiger Gefahr. Die Taliban würden versuchen, ihre Söhne zu entführen, weil ihr Mann geflüchtet sei. Sie werde nie mehr nach Afghanistan zurückkehren. Sie habe keine guten Erinnerungen an Afghanistan. Sie sei 13 Jahre alt gewesen, als sie habe heiraten müssen, mit 14 habe sie ihr erstes Kind bekommen. In Österreich führe sie ein ruhiges Leben, ihre Kinder könnten zur Schule gehen. Sie besuche einen Deutschkurs, gehe einkaufen, fahre nach Wien und besuche Freunde.

Am 10.01.2018 führte der Zweitbeschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, die Taliban hätten gedacht, der Vater sei ein wichtiger Regierungsmitarbeiter, da er im Ort bekannt gewesen sei. Er sei Dorfältester gewesen und habe viel Besuch bekommen von anderen Dorfältesten, von Kommandanten und den Onkeln. Sie seien draußen gesessen und hätten gegessen, da hätten zwei Autos angehalten. Der Vater sei hinausgegangen und sie hätten viel Lärm gehört. Die Mutter habe sie im Stall versteckt. Er habe vom Stall aus Geschrei und Schüsse gehört. Nach ca. drei bis vier Stunden sei die Mutter zurückgekommen und sie seien zurück ins Haus gegangen. Der Mutter sei es schlecht gegangen, sie habe viel geweint und sei verletzt gewesen. Das Haus sei verwüstet gewesen. Die Großeltern seien auch dagewesen. Der jüngere Bruder sei in Ohnmacht gefallen. Er habe erst später erfahren, dass die Taliban den Vater mitgenommen hätten. Darauf sei er angesprochen worden, als er mit anderen Jungs draußen gespielt habe. Sie hätten ständig gefragt, wo sich der Vater befinde. Der Vater sei einige Zeit nicht zuhause gewesen und es habe keiner mit ihnen darüber geredet. Er könne sich erinnern, dass der Vater sehr verletzt gewesen sei, als er zurückgekommen sei. Er habe mit eigenen Augen gesehen, dass drei bis vier Personen ihn aus dem Auto heraus ins Haus hätten tragen müssen. Als es dem Vater bessergegangen sei, seien sie in den Iran gegangen. Der Vater sei bedroht worden. Man habe ihm gesagt, man werde die Familie entführen und umbringen. Er fürchte die Personen, die den Vater bedroht hätten. Den Onkel hätten sie schon getötet. Er wisse nicht, wohin er gehen solle. Er kenne sich kaum aus. Viele würden aufgrund der Volksgruppe und Religion bedroht.

Ebenso am 10.01.2018 gab der Drittbeschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen an, der Vater habe Probleme mit den Taliban gehabt. Er sei Dorfältester gewesen, daher hätten sie oft Besuch von Polizisten, Kommandanten und ihren Soldaten gehabt. Daher hätten die Taliban geglaubt, dass sie wichtige Personen seien und der Vater Regierungsmitarbeiter. Einmal seien die Taliban zu ihnen nach Hause gekommen, sie seien beim Essen gewesen und hätten Autos gehört. Der Vater sei hinausgegangen, weil er gedacht habe, es sei Besuch gekommen. Auf einmal sei Geschrei gewesen und die Mutter habe sie in den Stall gebracht. Er habe zwei bis drei Schüsse gehört. Die Mutter habe gesagt, dass sie vom Stall nicht rauskommen sollten. Er habe ca. eine Stunde das Geschrei der Menschen draußen gehört. Nach ca. vier Stunden sei die Mutter zurückgekommen und habe sie zurück ins Haus gebracht. Als er im Haus gewesen sei, habe er gesehen, dass alles verwüstet gewesen sei. Die Mutter sei verletzt gewesen und die Großeltern auch schon da. Er habe einen Schock bekommen und sei ohnmächtig geworden. Seit diesem Zeitpunkt habe er Angstzustände. Der Vater sei nicht mehr da gewesen, er sei festgenommen worden. Nach ca. einer Woche bis zehn Tagen sei der Vater zurückgekommen. Er sei verletzt gewesen, seine Hand sogar gebrochen, es sei ihm sehr schlecht gegangen. Sie hätten wieder viel Besuch bekommen, die Freunde des Vaters seien gekommen, um nach ihm zu sehen. Sie hätten ca. drei bis vier Wochen gewartet, bis es dem Vater besser gegangen sei und seien dann in den Iran gegangen.

Der Viertbeschwerdeführer führte in seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 07.01.2018 zum Fluchtgrund befragt im Wesentlichen aus, in ihrem Dorf würden hauptsächlich Hazara leben. Die Nomaden seien gekommen und hätten mit den Dorfbewohnern gekämpft. Sie würden Frauen und Kinder entführen. Während der Gefechte sei der Vater erschossen worden. Er sei ins Krankenhaus gebracht worden und dort gestorben. Der Onkel mütterlicherseits habe davon erfahren, er sei auf dem Weg nach Nawur gewesen und unterwegs von den Taliban entführt worden. Er sei einen Monat verschwunden, danach sei er getötet worden. Die Mutter habe Angst um sie gehabt und habe nicht gewollt, dass sie in den Krieg ziehen. Daher habe sie den Viertbeschwerdeführer zu seiner Tante in den Iran geschickt, von dort sei er nach Europa geflüchtet. Nachher habe die Mutter auch den jüngeren Bruder in den Iran geschickt, weil sie Angst gehabt habe, dass er im Krieg sterbe. Wäre er in Afghanistan geblieben, hätte er keine Wahl gehabt, als gegen die Nomaden zu kämpfen. Die Nomaden würden eine andere Sprache sprechen und wie Taliban ausschauen. Der Unterschied sei, dass sie mit Tieren kommen. Sonst würden sie Waffen tragen und Raketen auf Schulen schießen, Mienen auf den Straßen vergraben, Menschen töten und ihnen die Finger abschneiden. Der Viertbeschwerdeführer habe nicht an Kämpfen gegen die Nomaden teilgenommen, der Vater habe gegen sie gekämpft. Der andere Onkel sei Kommandant bei Checkpoints und ein weiterer habe für das Militär gearbeitet. Er sei jetzt aufgrund psychischer Probleme zuhause. Er habe Angst gehabt, von den Taliban entführt und über den Onkel ausgefragt zu werden. Als Schiit und Hazara könne man sich nicht frei bewegen.

2.       Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 19.07.2019, zugestellt am 30.07.2019, hinsichtlich des Viertbeschwerdeführers vom 05.07.2019, zugestellt am 18.05.2019, wies die belangte Behörde die Anträge der Beschwerdeführenden hinsichtlich der Zuerkennung des Status der bzw. des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte den Beschwerdeführenden keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführenden gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, das Fluchtvorbringen sei nicht glaubhaft. Die Erstbeschwerdeführerin sei nicht westlich orientiert. Die Beschwerdeführenden könnten sich in Herat niederlassen und hätten familiäre Anknüpfungspunkte. Die Erstbeschwerdeführerin könne von ihren Söhnen versorgt werden.

3.       Am 07.08.2019 langte die vollumfängliche Beschwerde des Viertbeschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde in, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Vater sei im Krieg gegen die Kutschi getötet worden. Beim Transport der Leiche des Vaters sei der Onkel des Viertbeschwerdeführers, welcher Kommandant für die Regierung gewesen sei, von den Taliban entführt, einen Monat festgehalten und getötet worden. In der Folge sei der Viertbeschwerdeführer von der Mutter aus Angst um seine Sicherheit zur Tante in den Iran geschickt worden. Aufgrund der Familienangehörigkeit zu einem afghanischen Militärkommandanten sei der Viertbeschwerdeführer einer asylrelevanten Verfolgung aufgrund einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung ausgesetzt. Der Vater habe am bewaffneten Kampf gegen Kutschis teilgenommen und sei im Zuge der Kämpfe getötet worden. Der Viertbeschwerdeführer habe als ältester Sohn ebenfalls die Verpflichtung, gegen die Kutschis zu kämpfen. Ein zweiter Onkel sei nach wie vor aktiver Kommandant. Versorgungs- und Sicherheitslage seien schlecht, eine innerstaatliche Fluchtalternative nicht zumutbar. „Gescheiterte“ Rückkehrer würden stigmatisiert und dem Verdacht unterliegen, sich der europäischen Kultur und Lebensweise angepasst zu haben. Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen seien Risikogruppe. Der Viertbeschwerdeführer sei als Minderjähriger nach Österreich gekommen, Alter und Entwicklungsstand seien bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht verletzt, weil sie das angebotene Youtube-Video nicht angenommen habe. Die Erstbefragung des minderjährigen Viertbeschwerdeführer sei ohne gesetzlichen Vertreter erfolgt. Der Vater sei gezwungen gewesen, sich dem Kampf gegen die hereinbrechenden Kutschis zu stellen. Es bestehe eine gesellschaftliche Verpflichtung zur Teilnahme an den Kämpfen. Auch der Viertbeschwerdeführer hätte an den Kämpfen gegen die Kutschis teilnehmen und sich der Gefahr einer Tötung aussetzen müssen. Der Viertbeschwerdeführer werde wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und der westlich wahrgenommenen Rückkehrer verfolgt. Der Viertbeschwerdeführer sei besonders vulnerabel, er habe keinen Kontakt mehr zur Familie. Der Viertbeschwerdeführer könne keine Unterstützung erwarten, der Onkel müsse neben der Familie des verstorbenen Onkels bereits die Familie des Viertbeschwerdeführers zusätzlich mitversorgen. Der Viertbeschwerdeführer sei bereits lange aus Afghanistan abwesend, habe keine Ortskenntnisse außerhalb Ghaznis, keine finanziellen Mittel und keine brauchbare Berufserfahrung. Die Versorgungssituation in den großen Städten sei schlecht. Der Viertbeschwerdeführer sei gut integriert.

Am 23.08.2019 langte die Beschwerden der Erstbeschwerdeführerin und des Zweit- und Drittbeschwerdeführers gegen die oben dargestellten Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl ein, in denen im Wesentlichen ausgeführt wird, Die Einvernahme sei eineinhalb Jahre zuvor erfolgt. Der Vater der Erstbeschwerdeführerin sei mittlerweile verstorben, die Mutter zuletzt schwer krank gewesen. Kontakt zu den Familienangehörigen bestehe nicht mehr. Die Integration habe sich weiter verfestigt. Die Erstbeschwerdeführerin habe starken Blutdruck, Schmerzen in der linken Körperhälfte und Zahnprobleme; sie nehme Medikamente und sei in ärztlicher Behandlung. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- und Drittbeschwerdeführer seien psychisch sehr stark belastet und litten an Schlafstörungen. Es sei kein Parteiengehör zu den aktuellen Länderberichten gewährt worden. Die vorgelegten Beweismittel seien nicht gewürdigt worden. Aufgrund der Familienangehörigeneigenschaft zu einem afghanischen Kommandanten seien die Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- und Drittbeschwerdeführer asylrelevanter Verfolgung aufgrund einer zumindest unterstellten politischen Gesinnung ausgesetzt. Die Erstbeschwerdeführerin sei eine Frau mit westlicher Orientierung, seitens der Behörde sei sie dazu nicht befragt worden. Sonst hätte sie angeben können, dass sie in Österreich erstmals eine Ausbildung (Deutschkurs) machen könne und berufstätig sein wolle. Sie träume davon, als Krankenschwester oder Pflegerin arbeiten zu können. Sie könne sich in Österreich erstmals frei bewegen und das Haus ohne männliche Begleitung verlassen. Sie könne selbst Gewand für sich kaufen und entscheiden, was sie anziehe. Die Länderfeststellungen seien mangelhaft da unvollständig. Familienangehörige von Mitgliedern der Sicherheitskräfte würden angegriffen. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht. Die Versorgungslage sei schlecht. Gescheiterte Rückkehr würden stigmatisiert, als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen seien bei UNHCR als Risikogruppe angeführt. Die Erstbeschwerdeführerin und der Zweit- und Drittbeschwerdeführer wären gefährdet, dass ihnen pauschal Abtrünnigkeit vom Islam unterstellt würde. Die besondere Vulnerabilität ende nicht rein formalistisch mit der Vollendung des 18. Lebensjahres. Das Fluchtvorbringen sein glaubhaft, die Beweiswürdigung mangelhaft. Die Erstbeschwerdeführerin müsse zusätzlich als Mitglied der sozialen Gruppe der westlichen orientierten Frauen und der Zweit- und Drittbeschwerdeführer als Mitglieder der sozialen Gruppe der Rückkehrer Verfolgung fürchten. Sie seien auch als Angehörige einer ethnischen und sozialen Minderheit einem erhöhten Verfolgungsrisiko ausgesetzt. Es würden mehrere Asylgründe vorliegen, die für sich alleine genommen jedoch jedenfalls in Kumulation zur Zuerkennung des Asylstatus zu führen hätten. Die Sicherheitslage sei prekär. Es bestehe kein Kontakt mehr zu den Angehörigen. Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin könne nicht seine Familie, die des getöteten Bruders, die Eltern und die Erstbeschwerdeführerin und ihre Söhne mitversorgen.

Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.

Mit Beschluss vom 14.04.2021 verband das Bundesverwaltungsgericht die Verfahren der Beschwerdeführenden gemäß § 17 VwGVG iVm § 39 Abs. 2 AVG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung.

Mit Ladungen vom 15.04.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht folgende Länderberichte in das Verfahren ein:

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung: 31.03.2021

?        EASO COI Report: Afghanistan. Security situation von September 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Key socio-economic indicators. Focus on Kabul City, Mazar-e Sharif and Herat City von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. State Structure and Security Forces von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020

?        EASO COI Report: Afghanistan. Criminal law, customary justice and informal dispute resolution von Juli 2020

?        EASO, Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance)

?        UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien)

?        EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017

?        Dr. Antonio Giustozzi, AREU, Nomad-settler conflict in Afghanistan today von Oktober 2019 (abrufbar unter https://areu.org.af/publication/nomad-settler-conflict-in-afghanistan-today/)

?        ACCORD Anfragebeantwortung zu Afghanistan: Lage der Hazara, Zugang zu staatlichem Schutz und Hintergründe des Konfliktes zwischen Kuchis und Hazara [a-9737-V2] vom 2. September 2016 (abrufbar unter https://www.ecoi.net/de/dokument/1027207.html)

?        EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017

und gab den Beschwerdeführenden und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Das Bundesverwaltungsgericht führte zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes am 25.05.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführenden, deren bevollmächtigte Rechtsvertreterin und eine Dolmetscherin für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

Im Zuge der mündlichen Verhandlung wurden die Beschwerdeführenden zu ihren Fluchtgründen befragt und hielt ihr Vorbringen im Wesentlichen aufrecht.

Am 02.06.2021 langte eine Stellungnahme der Beschwerdeführenden am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, die Zugehörigkeit der Beschwerdeführenden zur diskriminierten Ethnie der Hazara sei bei der Abwägung einer Gefahr der Verfolgung mit zu bedenken. Psychisch Kranke seien der Gefahr von Stigmatisierung und deren Folgen ausgesetzt. Die Erstbeschwerdeführerin sei vor geschlechtsspezifischer Verfolgung geflohen, die ihr bei einer Rückkehr neuerlich drohe, weil sie als alleinstehende, viele Jahre im Iran und in Europa lebende Frau ohne Aussicht auf Unterstützung durch Familienangehörige oder sonstige Netzwerke, darüber hinaus psychisch krank und außergewöhnlich vulnerabel sei und keine Rechte habe. Es bestehe die Gefahr der Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der psychisch Kranken.

Mit Schreiben vom 14.06.2021 brachte das Bundesverwaltungsgericht das aktuelle

?        Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 11.06.2021 (in der Folge: Länderinformationsblatt)

In das Verfahren ein und gab den Beschwerdeführenden und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen der Beschwerdeführerr

Die Erstbeschwerdeführerin wurde im Jahr XXXX geboren. Sie ist die Mutter des im Jahr XXXX geborenen Zweitbeschwerdeführers und des im Jahr XXXX geborenen Drittbeschwerdeführers. Der Viertbeschwerdeführer wurde im Jahr XXXX geboren. Er ist Neffe der Erstbeschwerdeführerin. Alle Beschwerdeführenden sind Staatsangehörige der Islamischen Republik Afghanistan, Angehörige der Volksgruppe der Hazara und bekennen sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache der Beschwerdeführerenden ist Dari.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in XXXX im Distrikt Ghazni, Provinz Nawur geboren. Sie ist verwitwet, ihr Ehemann betrieb im Herkunftsdorf eine Landwirtschaft. Die Erstbeschwerdeführerin hat keine Schule besucht und war Hausfrau. Neben den Zweit- und Drittbeschwerdeführern hat die Beschwerdeführerin noch einen älteren Sohn, er ist verheiratet und im Iran aufhältig.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung mit chronischem Verlauf und einer andauernden Persönlichkeitsänderung

Der Zweitbeschwerdeführer wurde ebenso in XXXX geboren. Er hat im Herkunftsstaat einige Jahre Unterreicht beim Mullah erhalten. Im Iran hat er etwa ein Jahr eine private Schule besucht und als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Auch der Drittbeschwerdeführer wurde in XXXX geboren und hat zwei bis drei Jahre beim Mullah Unterricht erhalten und im Iran zwei Jahre die Schule besucht.

Die Familie zog etwa drei Jahre vor der Ausreise nach Europa in den Iran. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin verstarb dort nach etwa zweieinhalb Jahren an Krebs.

Die Erstbeschwerdeführerin hat fünf Schwestern und vier Brüder. Ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin ist verstorben, die übrigen Brüder sind verheiratet, zwei leben in XXXX , einer lebt im Iran. Eine der Schwestern, nämlich die Mutter des Viertbeschwerdeführers, lebt ebenso in XXXX . Die anderen Schwestern sind verheiratet, zu ihnen besteht seit langem kein Kontakt.

Der Viertbeschwerdeführer wurde ebenso in XXXX geboren und ist dort aufgewachsen. Er hat drei Brüder und zwei Schwestern. Der Vater ist verstorben. Die Familie lebt von der Landwirtschaft. Ein Bruder des Viertbeschwerdeführers ist im Iran aufhältig, Mutter und übrige Geschwister sind im Herkunftsdorf aufhältig. Kontakt besteht unregelmäßig. Der Viertbeschwerdeführer hat in Afghanistan fünf Jahre die Schule besucht. Mit etwa 15 Jahre reiste der Beschwerdeführer in den Iran aus und lebte etwa drei Monate bis zur Ausreise nach Europa im Haushalt seiner Tante.

Die Beschwerdeführenden sind in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Die Beschwerdeführerenden halten sich seit ihrer Einreise im Februar 2016 durchgehend im Bundesgebiet auf. Sie leben seither durchgehend im gemeinsamen Haushalt.

Die Erstbeschwerdeführerin hat an regelmäßig an den Treffen einer Deutsch-Lerngruppe teilgenommen und Deutschkurse besucht. Außerdem hat sie an einem Frauen-Gesundheitsprojekt und einem Gesundheitskreis teilgenommen und leistet in ihrem Grundversorgungsquartier Reinigungsarbeiten. Ansonsten kümmert sie sich um den Haushalt, ist in einem Handarbeitskreis und hat soziale Kontakte geknüpft. Ihre Freundinnen und Bekannten kommen etwa zum Tee oder zum Essen auf Besuch. Sie würde gerne als Näherin arbeiten, hat diesbezüglich allerdings noch keine konkreten Schritte unternommen.

Der Zweitbeschwerdeführer hat einige Deutschkurse besucht und im Schuljahr 2016/2017 den Übergangslehrgang einer BHAK und BHAS. Anschließend besuchte er ab dem Schuljahr 2017/2018 als ordentlicher Schüler die Handelsakademie für Berufstätige. Von September 2020 bis Juni 2021 hat der Zweitbeschwerdeführer einen Pflichtschulabschlusskurs besucht. Der Zweitbeschwerdeführer ist außerdem in seiner Grundversorgungseinrichtung als ehrenamtlicher Dolmetscher im Einsatz, hat sich von 2017 bis 2018 ehrenamtlich beim Roten Kreuz als Schülerlotse engagiert und in seiner Wohnsitzgemeinde gemeinnützige Arbeit im Bereich der Landschaftspflege geleistet. Seit dem Jahr 2020 arbeitet der Zweitbeschwerdeführer jede Woche mehrmals ehrenamtlich im „ XXXX “ mit, wo er insbesondere in der Landwirtschaft und der Betreuung des samstäglichen Marktstandes tätig ist. Auch für das Rote Kreuz ist der Beschwerdeführer weiterhin aktiv, wo er seit dem Jahr 2019 bei einem Flohmarkt mitarbeitet. Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse zumindest auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Drittbeschwerdeführer hat einige Deutschkurse besucht und im Schuljahr 2016/2017 den Übergangslehrgang einer BHAK und BHAS. Anschließend besuchte er ab dem Schuljahr 2017/2018 als ordentlicher Schüler die Handelsakademie für Berufstätige. Der Drittbeschwerdeführer hat außerdem gemeinnützige Arbeit in seiner Wohnsitzgemeinde geleistet, nämlich im Bereich der Landschaftspflege. Außerdem war er in seiner Grundversorgungseinrichtung als ehrenamtlicher Dolmetscher im Einsatz. Er verfügt über Deutschkenntnisse zumindest auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen. Seit Februar 2021 besucht der Drittbeschwerdeführer einen Pflichtschulabschlusskurs.

Der Viertbeschwerdeführer lebt seit seiner Ausreise in den Iran im Haushalt seiner Tante, ihr wurde auch mit Beschluss des BG Baden vom 18.04.2016, 10 PS 86/16v, in gesamtem Umfang die Obsorge für den Viertbeschwerdeführer übertragen. Es besteht ein enges Verhältnis.

Er hat seit seiner Einreise einige Deutschkurse und einen Basisbildungskurs besucht. Im Schuljahr 2017/2018 hat der Beschwerdeführer die Übergangsstufe einer HTL besucht. Der Beschwerdeführer hat zudem an einem Werte- und Orientierungskurs teilgenommen. Er hat die Pflichtschulabschlussprüfung bestanden. In seiner Freizeit arbeitet der Viertbeschwerdeführer im „ XXXX “ mit, wo er insbesondere in der Landwirtschaft mithilft. Er betreibt außerdem viel Sport. Der Viertbeschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse zumindest auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

1.2.    Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführenden

Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater des Zweit- und Drittbeschwerdeführers war Dorfältester im Herkunftsdorf. Deshalb hatte er oft Gäste, darunter andere Älteste und Kommandanten der Hezb-e Wahdat. Deshalb wurde der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin von den Taliban entführt und das Haus der Familie verwüstet. Er wurde von den Taliban misshandelt. Nach etwa einer Woche konnte mithilfe anderer Ältester die Freilassung des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin erwirkt werden. Er musste den Taliban zudem zusagen, Informationen an sie weiterzugeben. Etwa vier Wochen nach seiner Freilassung reiste der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin mit seinem ältesten Sohn in den Iran aus. Die Erstbeschwerdeführerin folgte etwa ein Jahr später mit dem Zweit- und Drittbeschwerdeführer in den Iran.

Dass der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweit- und Drittbeschwerdeführer deshalb Gefahr von Seiten der Taliban droht, wird nicht festgestellt.

Der Bruder der Erstbeschwerdeführerin und Onkel mütterlicherseits der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer war etwa an dem Jahr 2011 für die afghanischen Sicherheitsbehörden tätig. Er wurde nach der Ausreise der Beschwerdeführenden auf dem Weg ins Herkunftsdorf in der Provinz Ghazni von den Taliban entführt und ermordet. Etwa einen Monat später wurde der Leichnam gefunden.

Ein zweiter Bruder der Erstbeschwerdeführerin war ebenso in der Provinz Ghazni für die Sicherheitsbehörden tätig, der dritte Bruder ist ehemaliger Polizist und übt diesen Beruf krankheitsbedingt nicht mehr aus.

Dass den Beschwerdeführenden deshalb Übergriffe durch die Taliban drohen, wird nicht festgestellt.

Im Herkunftsstaat besteht ein langanhaltender Konflikt zwischen Kutschi-Nomaden und im Hazaradschat sesshaften Hazara, dessen Wurzeln bis in das Ende des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Bei dem Konflikt geht es ursprünglich um lokale Ressourcen. Im Zuge der jährlichen Wanderungen der Kutschi-Nomaden zu im Hazaradschat gelegenem Weideland kommt es insbesondere saisonal zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Kutschi und Hazara. Der Konflikt ist bislang ungelöst. Bewaffnete Gruppierungen nutzen den Konflikt und beteiligen sich an Plünderungen. Konfliktgegenstand ist auch die territoriale Kontrolle durch eine Bevölkerungsgruppe. Der Konflikt wird von unterschiedlicher Seite politisch Instrumentalisiert und befeuert ethnische Spannungen. Die Routen der Kutschi-Nomaden führen auch durch den Herkunftsdistrikt.

Der Vater des Viertbeschwerdeführers wurde bei Gefechten im Zuge des Konfliktes verletzt und starb in der Folge an seinen Verletzungen.

Dass der Viertbeschwerdeführer deshalb ausreiste bzw. einer Gefahr ausgesetzt ist, wird nicht festgestellt.

Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus, Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Maidan Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten. Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.

Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung.

Die Hazara wurden während der Taliban-Herrschaft 1996-2001 besonders verfolgt. Seit 2001 hat sich ihre Lage grundsätzlich verbessert und Hazara bekleideten zunehmend prominente Stellen in Regierung und öffentlichem Leben. Die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, genießt seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Hazara waren in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert.

Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, ist jedoch in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul und Herat. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.

Es kam in der Vergangenheit auch zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür konnte jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter. Eine systematische Vorgehensweise der Taliban gegen schiitische Hazara bzw. vermehrte Übergriffe sind aktuell nicht dokumentiert.

„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Sie werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen, was zu Diskriminierung und Isolierung führt. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa.

Es kam in der Vergangenheit zu Übergriffen regierungsfeindlicher Gruppen auf aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückgekehrte Personen, diese wurden bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, „Ausländer“ geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten.

Afghanische Frauen, die sich an Freiheiten und Unabhängigkeit im Westen gewöhnt haben, können Schwierigkeiten haben, sich an die sozialen Restriktionen in Afghanistan anzupassen. Frauen, die außerhalb des Hauses arbeiten, am öffentlichen Leben teilnehmen oder über höhere Bildung verfügen, können als „verwestlicht“ betrachtet werden. Sie könnten als gegen kulturelle, soziale und religiöse Normen verstoßend wahrgenommen werden und Opfer von Gewalt ihrer Familie, konservativer Elemente oder Aufständischer werden.

Gewalt gegen Frauen ist ein in ganz Afghanistan unter allen Ethnien verbreitetes Problem. Die Taliban haben während ihres Regimes afghanischen Frauen und Mädchen Regeln aufoktroyiert, die auf ihren extremistischen Interpretationen des Islam beruhen, und die ihnen ihre Rechte - einschließlich des Rechts auf Schulbesuch und Arbeit - vorenthalten und Gewalt gegen sie gerechtfertigt haben. In Gebieten unter Kontrolle regierungsfeindlicher Kräfte wurden auch nach 2001 die Grundrechte von Frauen massiv eingeschränkt, darunter das Recht auf Bewegungsfreiheit, politische Teilhabe, Zugang zu medizinischer Versorgung und Bildung. Die von regierungsfeindlichen Kräften in den von ihnen kontrollierten Gebieten betriebene Paralleljustiz verletzt Berichten zufolge regelmäßig die Rechte von Frauen.

In Afghanistan werden psychisch Kranke häufig stigmatisiert, die Erkrankung wird gelegentlich als Wille Gottes betrachtet. Es kam zu Misshandlungen psychisch Kranker durch Gesellschaft oder Familienangehörige. Es gibt kaum Behandlungsmöglichkeiten bzw. sind diese nicht erreichbar.

1.3.    Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat

Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv und haben Afghanistan von 1996 bis 2001 regiert. Seit 2001 haben sie einige Grundprinzipien bewahrt, u. a. eine strenge Auslegung des Scharia-Rechts in den von ihr kontrollierten Gebieten. Sie haben sich als Schattenregierung positioniert, deren Kommissionen und leitenden Organe den Verwaltungsstellen einer typischen Regierung entsprechen. Sie haben im Land verschiedene Territorien erobert und in Besitz genommen und eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der örtlichen Gemeinschaften übernommen.

Der Taliban-Führungsrat besteht aus einer Gruppe der 20 wichtigsten Führer der Taliban. Höchster Führer der Bewegung ist Mullah Hibatullah Akhundzada, der auch dem Führungsrat, der Justiz- und der Exekutivkommission sowie „anderen Verwaltungsorganen“ vorsteht. Stellvertretende Führer sind der Erste Vertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Führer des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere Führer: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk.

In Gebieten unter ihrer Kontrolle haben die Taliban ein paralleles Justizsystem etabliert, das auf einer strengen Auslegung der Scharia basiert. Die Taliban-Gerichte werden als „Kangaroo Courts“ (Schnellverfahren) beschrieben. Viele Taliban-Kommandanten verhängen eigenmächtig Strafen. Die von den Taliban-Gerichten verhängten Strafen umfassen Hinrichtungen (öffentlich durch Steinigung und Erschießung), Verstümmelung, Amputation, Schläge und Auspeitschung. UNAMA dokumentiert für das Jahr 2019 vier Fälle, in denen die Taliban Frauen wegen Ehebruch oder unmoralischer Beziehungen bestraften, darunter eine Hinrichtung und drei Auspeitschungen. AIHRC dokumentiert für das Jahr 2019 13 Verfahren gegen „flüchtige“ Frauen. Quellen berichten auch von Frauen, die geschlagen wurden, weil sie ohne männliche Begleitung hinausgegangen sind oder weil ihr Gesicht nicht bedeckt war. Ebenso berichtet wird von einer schwangeren Frau, die hingerichtet wurde, weil sie den Krieg der Taliban als „illegitim“ bezeichnet hatte. Generell droht für Äußerungen gegen die Taliban die Hinrichtung.

Seit dem Beginn des Abzuges internationaler Truppen am 01.05.2021 konnten die Taliban ihre Gebietskontrolle zunehmend ausweiten. So standen am 03.06.2021 90 Distrikte unter ihrer Kontrolle, während sich mit Stand 19.07.2021 229 Distrikte in Händen der Taliban befanden. Im Juli wurden auch wichtige Grenzübergänge erobert. Ende Juli/Anfang August kämpfte die Regierung gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gar und Kandahar. Im August 2021 beschleunigte sich der Vormarsch der Taliban, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen. Am 15.08.2021 haben die Taliban größtenteils friedlich Kabul eingenommen, alle Regierungsgebäude und Checkpoints der Stadt besetzt, den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Der afghanische Präsident war zuvor außer Landes geflohen.

Mit dem Vormarsch der Taliban haben Kampfhandlungen und konfliktbedingte Todesopfer drastisch zugenommen. Zwischen 01.01.2021 und 30.06.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Mitte August wurden über 3.750 zivile Opfer dokumentiert. Im Mai und Juli führte die Zunahme von Kampfhandlungen zu über 23.000 konfliktbezogenen Vorfällen, das sind beinahe doppelt so viele wie im Zeitraum Jänner bis April. Im Jahr 2021 wurden 550.000 Menschen intern vertrieben, 400.000 davon zwischen 01.05.2021 und Mitte August.

Teile der afghanischen Streitkräfte und talibanfeindliche Milizen haben sich unter der Führung von unter anderem Amrullah Saleh (Vizepräsident der afghanischen Regierung), Bismillah Khan Mohammadi (Verteidigungsminister) und Ahmad Massoud im Panjshir-Tal gesammelt. Es kam zu Kämpfen.

Das tatsächliche Ausmaß der Kontrolle der Taliban in ländlichen Gebieten ist unbekannt. Es ist mit lokal auftretenden Konflikten zu rechnen. Im Nordosten des Landes kam es zu Kämpfen der Taliban gegen lokale Milizen. Es kam zu Anti-Taliban-Protesten in Kabul und anderen Städten. Die Taliban gehen mit Gewalt gegen Proteste und Personen, die versuchen, aus Afghanistan zu flüchten, vor. Die Taliban haben Checkpoints im Land errichtet und verstärken die Suche nach „Kollaborateuren“.

In von den Taliban eingenommenen Gebieten wird von gezielten Tötungen, Verschwindenlassen, Gewalt gegen Frauen und Kinder, Zwangsehen und Angriffen auf zivile Infrastruktur (darunter Wohnstätten, Gesundheitseinrichtungen und Schulen) berichtet.

Der rasche Kollaps der afghanischen Regierung und die Machtübernahme durch die Taliban haben zu einer Fragmentierung des Landes mit einer instabilen Verwaltung, deren zivile Mitarbeiter Vergeltung fürchten, geführt. Einerseits haben die Taliban Amnestien für Regierungsmitarbeiter ausgesprochen, um diese zu überzeugen, ihre Arbeit fortzusetzen. Andererseits kommt es zu Missbrauch, Bestrafung und Hinrichtungen in einigen Gebieten. Die Taliban verfügen wahrscheinlich nicht über Kapazitäten und Kompetenz, um die Grundversorgung sicherzustellen. Ein politisches Konzept für das ganze Land wurde noch nicht bekanntgegeben. Diesbezüglich scheint es innerhalb der Bewegung unterschiedliche Ansätze zu geben.

Chaotische Szenen haben sich am Flughafen in Kabul abgespielt, von wo diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder, sowie afghanische Ortskräfte evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Der Abzug internationaler Truppen und die militärisch unterstützen Evakuierungen wurde am 31.08.2021 abgeschlossen. Am 28.08.2021 kam es zu einem Selbstmordanschlag auf den Kabuler Flughafen, mindestens 95 Menschen starben, 150 wurden verletzt.

Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. In Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten treten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen auf. Dazu kommen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen.

IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen.

Die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Taliban auf die humanitäre Lage sind noch nicht klar. Bedingt durch im Jahr 2021 signifikant höhere Anzahl ziviler Opfer und Vertreibungen ist mit höherem humanitärem Bedarf zu rechnen. UN-Generalsekretär Guterres spricht von einer humanitären und ökonomischen Krise und warnt vor dem Zusammenbruch der Grundversorgung.

Bereits die erhöhte Konfliktintensität der letzten Monate hat zu Störungen in der Gesundheitsversorgung und gleichzeitig zu höherem Bedarf unter Verwundeten und intern Vertriebenen geführt. Die Konflikteskalation hat in Kombination mit Dürre und Überflutungen, der Coronavirus-Pandemie und konfliktbedingten Störungen des Zugangs zu humanitärer Hilfe die Lage im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung verschlechtert, über 9,1 Millionen Menschen sind akut von Mangelernährung betroffen. Der Zugang zu humanitärer Unterstützung bleibt weiter schwierig. Humanitäre Organisationen fürchten um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen, weswegen mit einer Unterbrechung ihrer Arbeit zu rechnen ist, bis Bedingungen mit den Taliban verhandelt sind.

2. Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, Muttersprache und familiären Verbindungen der Beschwerdeführerenden beruhen auf deren gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf ihrer Verfahren, die auch die belangte Behörde ihren Entscheidungen zugrunde legte.

Die Feststellungen zu Herkunft und Lebenswandel der Erstbeschwerdeführerin beruhen auf ihren umfassenden Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 08.01.2018.

Die Feststellung zur psychischen Erkrankung der Erstbeschwerdeführerin beruhen auf dem vorgelegten „Psychiatrischen Gutachten“ vom 21.08.2021 (OZ 11).

Die Feststellungen zu Herkunft und Lebenswandel des Zweitbeschwerdeführers beruhen auf seinen umfassenden Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 10.01.2018.

Die Feststellungen zu Herkunft und Lebenswandel des Drittbeschwerdeführers beruhen auf seinen umfassenden Angaben in seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 10.01.2018.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021 gaben Zweit- und Drittbeschwerdeführer an, die Ausreise aus Afghanistan in den Iran sei bereits im Jahr 2002 oder 2003 erfolgt (OZ 12, S. 8) bzw. seien sie bereits im Kindesalter in den Iran ausgereist (OZ 12, S. 8-9 und 10). Auf Vorhalt, dass diese Angaben nicht mit ihren bisherigen Angaben übereinstimmen würden, gab der Zweitbeschwerdeführer an, er sei bei der Erstbefragung verängstigt gewesen. Auf dem Fluchtweg hätten andere immer wieder erzählt, dass der Iran ein sicheres Land sei und man dorthin zurückgeschickt werden würde, wenn man lange dort gelebt hätte. Aus Angst davor habe er nicht die Wahrheit gesagt (OZ 12, S. 9). Der Drittbeschwerdeführer dagegen gab an, seine Mutter habe ihm gesagt, dass er das so angeben solle, ihm selbst sei es nicht gut gegangen (OZ 12, S. 10).

Wie bereits angemerkt steht die erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021 für etwa das Jahr 2002 oder 2003 datierte Ausreise nicht mit den bisherigen Angaben im Einklang. So gab der Zweitbeschwerdeführer in seiner Erstbefragung am 13.02.2016 an, er habe drei Jahre im Iran gelebt (AS 4). In seiner

niederschriftlichen Einvernahme am 10.01.2018 gab er an, seit ca. sechs bis sieben Jahren nicht mehr im Herkunftsdorf in Ghazni zu leben (AS 328), sowie, dass er 15 Jahre in Afghanistan gelebt habe (AS 329). Weiter schilderte der Beschwerdeführer sein Leben in Afghanistan detailliert und lebensnah und konnte auch – anders, als später in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021, wo er angab, noch sehr jung gewesen zu sein und erst später erfahren zu haben, dass sein Vater einer Bedrohung durch die Taliban ausgesetzt und von diesen gefangengenommen worden sei (OZ 12, S. 8) – konkretere Angaben zu den Ausreisegründen machen, die weitgehend im Einklang mit den Angaben seiner Mutter stehen (AS 331-333; hierzu noch unter 2.2.). Dass der Beschwerdeführer damals erst zwischen drei und fünf Jahre alt gewesen sein will erweist sich damit auch als nicht plausibel. Insbesondere scheint auch angesichts der Einbettung des damals angegebenen Ausreisedatums in die Angaben des Beschwerdeführers insgesamt nicht glaubhaft, dass er – wie in der mündlichen Verhandlung angegeben – damals nicht die Wahrheit gesagt haben will.

Auch der Drittbeschwerdeführer gab im Übrigen in seiner Erstbefragung an, er habe drei Jahre im Iran verbracht (AS 7) und schildert im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme am 10.01.2018 ebenso, sie hätten ca. drei Jahre im Iran verbracht und kann relativ detaillierte Angaben zu den Ausreisegründen machen und die Lebensverhältnisse der Familie in Afghanistan lebensnah schildert (AS 294-295). Dass er damals erst drei oder vier Jahre alt gewesen sein soll, wie im Zuge der mündlichen Verhandlung behauptet (OZ 12, S. 10), erscheint damit nicht glaubhaft. Mit der Erklärung, seine Mutter habe ihm gesagt, er solle es so angeben (OZ 12, S. 10), ist allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt, warum der Drittbeschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme noch umfassende Angaben zu Ausreisegründen und Lebensverhältnissen machen konnte, während er sich im Zuge der mündlichen Verhandlung auf Floskeln zurückzieht.

Das Bundesverwaltungsgericht folgt damit im Hinblick auf den Ausreisezeitpunkt den ursprünglichen Angaben und hat entsprechende Feststellungen getroffen.

Die Feststellungen zum Verbleib der Angehörigen der Erstbeschwerdeführerin beruhen auf deren Angabe im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, die mit ihren bisherigen Angaben und den Angaben der Zweit- bis Viertbeschwerdeführer in Einklang stehen. Zum Kontakt haben die Beschwerdeführenden im Lauf des Verfahrens wiederholt angegeben, dieser bestehe, sei aber wegen fehlender Telefonverbindungen in der Herkunftsprovinz schwierig.

Die Feststellungen zu Herkunft, Lebenswandel und Lebensverhältnissen des Viertbeschwerdeführers beruhen auf seinen plausiblen und gleichbleibenden Angaben im Lauf des Verfahrens. Auch zum Verbleib seiner Angehörigen hat der Viertbeschwerdeführer konsistente Angaben gemacht und auch laufend angegeben, immer wieder in Kontakt zu seinen Angehörigen zu stehen. Im Zuge der mündlichen Verhandlung gab er glaubhaft an, in den Dörfern bestehe keine Telefonverbindung, seine Mutter habe ihn sechs Monate zuvor zuletzt angerufen, als sie in der Stadt gewesen sei (OZ 12, S. 12).

Die Feststellung der strafgerichtlichen Unsbescholtenheit beruht auf dem im jeweiligen Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.

Das Datum der Antragstellung ist aktenkundig, während Hinweise auf eine zwischenzeitige Ausreise nicht hervorgekommen sind. Dass durchgehend ein gemeinsamer Haushalt bestand, wurde in der mündlichen Verhandlung mehrfacht bestätigt, geht aus dem zentralen Melderegister hervor und ist auch vor dem Hintergrund des sonstigen Akteninhaltes plausibel.

Zu Deutschlerngruppe (AS 281, 441), Deutschkursen (AS 435, 437), Frauen-Gesundheitsprojekt (AS 439), Gesundheitskreis (AS 755) und Mitarbeit im Grundversorgungsquartier hat die Erstbeschwerdeführerin Bestätigungen vorgelegt. Die Feststellungen zum Alltag und den sozialen Kontakten der Erstbeschwerdeführerin beruhen insbesondere auf ihren Angaben im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021 (OZ 12, S. 9-10). Zur mündlichen Verhandlung wurde die Erstbeschwerdeführerin auch von einer ihrer Freundinnen begleitet. Sie zu ihrem Berufswunsch allerdings noch keine konkreten Angaben machen.

Zu Deutschkursen (AS 91-103, 351-359), Schulbesuch (AS 341, 345, 349, 361), gemeinnütziger Arbeit (AS 643) ehrenamtlicher Tätigkeit als Dolmetscher (AS 339, 623) und Schülerlotse (AS 343), Pflichtschulabschlusskurs (Beilage zu OZ 12), „ XXXX “ (Belage zu OZ 12) und Rotem Kreuz (Beilage zu OZ 12) hat der Drittbeschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt. Zudem schilderte der Beschwerdeführer seine diversen Aktivitäten im Zuge der mündlichen Verhandlung am 25.05.2021 (OZ 12, S. 8). Auch sein ÖSD-Zertifikat B1 hat der Zweitbeschwerdeführer in Vorlage gebracht (AS 363).

Zu Deutschkursen (AS 321, 331-335), Schulbesuch (AS 317-321, 323-329; OZ 2), gemeinnütziger Arbeit (AS 337), ehrenamtlicher Tätigkeit als Dolmetscher (AS 597) und Pflichtschulabschlusskurs (Beilage zu OZ 12) hat der Drittbeschwerdeführer Bestätigungen vorgelegt. Auch sein ÖSD-Zertifikat A2 hat er in Vorlage gebracht (AS 315).

Die Feststellungen zum Verhältnis des Viertbeschwerdeführers zu seiner Tante beruhen auf den Angaben des Viertbeschwerdeführers im Zuge der mündlichen Verhandlung am 25.05.2021 (OZ 12, S. 12), die sich stringent in die sonstigen Angaben im Lauf des Verfahrens einfügen.

Zu Deutschkursen (AS 121-131, 195-197, 325, 331-333, 339), Basisbildungskurs (AS 337,319), Schulbesuch (AS 341-345, 549), Werte- und Orientierungskurs (AS 514), Pflichtschulabschlussprüfung (AS 543) und „ XXXX “ (Beilage zu OZ 12) hat der Beschwerdeführer Bestätigungen und Zeugnisse vorgelegt. Außerdem hat der Beschwerdeführer seine ÖSD-Zertifikate für das Niveau A1 (AS 315), A2 (AS 317) und B1 (AS 553) in Vorlage gebracht.

2.2.    Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführenden

Die Feststellungen zur Entführung des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin beruhen auf der im Kern gleichbleibenden Schilderung der Erstbeschwerdeführerin in ihrer niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 08.01.2018 sowie in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.05.2021, die im Wesentlichen mit den Angaben des Zweit- und Drittbeschwerdeführers in ihren Einvernahmen durch die belangte Behörde am 10.01.2018 übereinstimmen. Diese behaupteten zwar später in der mündlichen Verhandlung am 25.05.2021, sie seien noch sehr klein gewesen und könnten sich nicht erinnern. Dies wertet das Bundesverwaltungsgericht jedoch – wie bereits unter 2.1. ausgeführt – als nicht glaubhaft. Zudem erweist sich die Schilderung der Erstbeschwerdeführerin auch vor dem Hintergrund der Länderberichte als plausibel.

So geht aus den UNHCR-Richtlinien hervor, dass regierungsfeindliche Kräfte lokale traditionelle Führer wie Stammesälteste angreifen, die ihrer Wahrnehmung nach die Regierung oder die internationale Gemeinschaft unterstützen bzw. die regierungsfeindlichen Kräfte nicht unterstützen (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe g) Stammesälteste und religiöse Führer, S. 51). Auch aus dem EASO COI Report: Afghanistan, Gezielte Gewalt bewaffneter Akteure gegen Individuen von Dezember 2017 geht hervor, dass die Taliban vermeintlich regierungstreue lokale Stammesälteste angreifen. Dies betreffe in erster Linie Gebiete, wo die Taliban nicht die gesamte Kontrolle über das Gebiet ausüben würden. Beispielhaft angeführt werden hier nicht nur gezielte Tötungen, sondern auch Entführungen (1.2.7 Stammesälteste, S. 50-51). Ebenso berichtet die EASO Country Guidance, dass Älteste zu den Angriffszielen der Taliban zählen (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.2 Government officials, including judges, prosecutors, and judicial staff; and those perceived as supporting the government, S. 59-60).

Nicht nachvollziehbar ist jedoch, dass der Erstbeschwerdeführerin und dem Zweit- und Drittbeschwerdeführer deshalb Gefahr von Seiten der Taliban droht. So ist der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin selbst ihren Angaben zufolge noch einige Wochen im Herkunftsdorf verblieben, ohne, dass es nochmals zu einem Angriff der Taliban gekommen wäre. Auch nach dessen Ausreise verblieb die Erstbeschwerdeführerin ihren eigenen Angaben zufolge (OZ 12, S. 5), noch etwa ein Jahr im Herkunftsdorf und reiste erst dann mit Zweit- und Drittbeschwerdeführer aus, ohne, dass es zu einem weiteren Vorfall gekommen wäre. Auch die Schilderung der Erstbeschwerdeführerin und ihrer Söhne selbst vom Vorfall weist nicht auf ein Interesse der Taliban an ihnen hin. So schilderte die Erstbeschwerdeführerin selbst, sie sei, nachdem sie aus dem Stall zurückgekommen sei, einem Talib, der die Schachtel mit dem Geld der Familie in der Hand gehabt habe hinterhergelaufen, dieser habe sie zu Boden geschubst und sei ohnmächtig geworden (AS 426). Sie habe ihm die Schachtel wegnehmen wollen (AS 427). Hierin manifestiert sich allerdings kein konkretes Interesse an der Erstbeschwerdeführerin, sondern lediglich die Abwehr ihres Versuches, den Talib aufzuhalten. Weitere Handlungen der Taliban, die sich konkret gegen die Erstbeschwerdeführerin gerichtet hätten, schildert sie nicht. Auch bestand – nachdem das Haus nicht weiter nach diesen durchsucht wurde – offenkundig kein Interesse der Taliban an Zweit- und Drittbeschwerdeführer. So gab der Drittbeschwerdeführer in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 10.01.2018 an, wenn jemand in den Stall gekommen wäre, hätte er sie gesehen (AS 296) und gab auch an, es habe einen „Inneneingang“ zum Stall gegeben (AS 295). Auch der Zweitbeschwerdeführer beschreibt, der Stall habe zwei Eingänge, darunter ein Tor direkt zum Haus und bestätigt, dass man sie gesehen hätte, wenn jemand hereingekommen wäre (AS 332). Demnach wären der Zweit- und Drittbeschwerdeführer für die Taliban auch leicht zu finden gewesen. Insgesamt deutet am geschilderten Angriff nichts darauf hin, dass dieser abgesehen vom Ehemann der Erstbeschwerdeführerin auch dessen Angehörigen galt. Der Zweitbeschwerdeführer gibt zur behaupteten Bedroh

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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