Entscheidungsdatum
03.08.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W180 2158758-1/31E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Georg PECH über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Mario ZÜGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.05.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 06.07.2021
A)
I. beschlossen:
Das Verfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des angefochtenen Bescheides wegen Zurückziehung der Beschwerde gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.
II. zu Recht erkannt:
1. Der Beschwerde wird hinsichtlich des Spruchpunktes III., zweiter und dritter Satz, des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 52 FPG in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.
2. XXXX wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.
3. Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 15.12.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. In seiner Erstbefragung am 16.12.2014 durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinem Fluchtgrund an, er habe wegen des Krieges in Afghanistan seine Heimat verlassen. Persönlich verfolgt oder bedroht werde er in seiner Heimat nicht. Das sei sein einziger Fluchtgrund, andere habe er nicht. Im Fall einer Rückkehr befürchte er, im Krieg getötet zu werden.
3. In der Folge führte die belangte Behörde beim Beschwerdeführer ein Altersfeststellungsverfahren durch, da dieser sein Alter bei der Erstbefragung mit 15 Jahren angegeben hatte. In einem medizinischen Sachverständigengutachten vom 21.02.2015 wurde festgestellt, dass das Mindestalter zum Untersuchungszeitpunkt (11.02.2015) mit 17,6 Jahren anzunehmen sei. Das daraus errechnete „fiktive“ Geburtsdatum laute XXXX . Damit habe er sich zum Zeitpunkt der Asylantragstellung nicht eindeutig jenseits seines vollendeten 18. Lebensjahres befunden und eine Minderjährigkeit könne für diesen Zeitpunkt nicht mit dem erforderlichen Beweismaß ausgeschlossen werden.
4. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 05.07.2016 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er stamme aus der Provinz Laghman, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , und habe dort mit seiner Familie gelebt. Er sei Paschtune und Sunnit und ledig. Er habe vier Jahre die Schule besucht. Gearbeitet habe er nicht. Seine Mutter sei bereits vor zehn Jahren an einer Krankheit verstorben. Er habe noch seinen Vater, zwei Brüder und eine Schwester. Seine Geschwister seien alle jünger als er. Sein Vater verkaufe Knöpfe und versorge die Familie. Er habe zu seiner Familie keinen Kontakt.
Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, den in der Erstbefragung angegebenen Fluchtgrund habe ihm ein Schlepper gesagt. Seine Mutter sei gestorben und sein Vater habe zum zweiten Mal geheiratet. Es sei ein Tausch gewesen, sein Vater habe die Schwester des Beschwerdeführers, die damals 13 Jahre alt gewesen sei, einem Mann versprochen und der Vater des Beschwerdeführers habe die Tochter dieses Mannes geheiratet. Anfangs habe dieser Mann gesagt, er würde warten, bis die Schwester älter wäre, aber nach der Heirat des Vaters des Beschwerdeführers habe dieser Mann trotzdem die Schwester heiraten wollen. Als der Beschwerdeführer davon erfahren habe, sei er traurig und wütend gewesen und er habe seiner Schwester helfen wollen. Der Beschwerdeführer habe seine Schwester nach Pakistan mitgenommen und sei geflüchtet. In Pakistan habe der Beschwerdeführer seinen Cousin kontaktiert, der dort lebe. Der Cousin habe dem Beschwerdeführer geholfen und seine Flucht nach Europa finanziert.
Zu diesem Zeitpunkt wurde die Einvernahme des Beschwerdeführers abgebrochen, da die Referentin der belangten Behörde und der Dolmetscher das Gefühl hatten, der Beschwerdeführer verstehe die Fragen nicht.
Der Beschwerdeführer legte Dokumente vor (u.a. Deutschkursbestätigungen, Teilnahme an einem Sprachencafé, Empfehlungsschreiben).
5. Am 03.05.2017 wurde der Beschwerdeführer erneut vor der belangten Behörde einvernommen, um die erste Einvernahme zu vervollständigen und abzuschließen. Der Beschwerdeführer gab dabei zunächst an, er sei gesund. Bei der ersten Einvernahme sei es ihm wegen des Ramadans nicht gut gegangen, er habe aber der Einvernahme folgen können und habe alles richtig beantwortet. Zu seiner Familie habe er keinen Kontakt, nur zu seiner Schwester, die in Pakistan lebe, das letzte Mal vor fünf Monaten.
Zu seinem Fluchtgrund gab der Beschwerdeführer an, bei der Erstbefragung habe er nicht die Wahrheit gesagt und den Vorfall mit seiner Schwester nicht erwähnt, aus Angst, nach Bulgarien abgeschoben zu werden. Sein Vater habe zum zweiten Mal geheiratet und dafür die Schwester des Beschwerdeführers jemandem versprochen. Ein bis zwei Jahre nach der Hochzeit des Vaters habe die neue Familie der Schwester die Hochzeit gewünscht. Die Schwester des Beschwerdeführers sei sehr jung gewesen und habe diesen älteren Mann nicht heiraten wollen. Alle anderen seien mit der Hochzeit einverstanden gewesen, nur der Beschwerdeführer habe gedacht, wie könnte seine kleine Schwester diesen alten Mann heiraten. Der Beschwerdeführer sei mit dieser Situation alleine gewesen und habe keine Möglichkeit gehabt, sich an jemanden um Hilfe zu wenden. Der zukünftige Ehemann der Schwester sei ein Taliban gewesen, er habe zum Beschwerdeführer gesagt, wenn er seine Schwester nicht hergebe, würden die Taliban den Beschwerdeführer und seine Schwester töten. Schlussendlich sei der Beschwerdeführer mit seiner Schwester nach Pakistan gegangen und diese sei bei seinem Onkel mütterlicherseits geblieben. Der Beschwerdeführer habe aber auch nicht in Pakistan bleiben können, er habe Angst gehabt, dass sie ihn dort finden und töten würden. Sein Cousin habe ihm geholfen, die Reise nach Europa zu organisieren.
Der Beschwerdeführer legte weitere Dokumente vor (u.a. Deutschzertifikat Niveau A2).
6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 08.05.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
7. Mit Schreiben vom 19.05.2017 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang gegen den genannten Bescheid. Er beantragte nach Darlegung der Beschwerdegründe die Gewährung des Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten, jedenfalls die Rückkehrentscheidung aufzuheben, in eventu die Zurückverweisung, sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
8. Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der zuvor zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und der Gerichtsabteilung W180 am 12.02.2020 neu zugewiesen.
9. Der Beschwerdeführer reichte mit mehreren Schreiben verschiedene Integrationsunterlagen nach, zuletzt mit Schreiben seines Rechtsvertreters vom 14.03.2020 sowie vom 22.04.2021 (u.a. Deutschkursbestätigung, Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Niveau Deutsch B1, Teilnahme am Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss, Zeugnisse über verschiedene Abschlussprüfungen der Pflichtschulabschluss-Prüfung, Beschäftigungsbewilligungen als Küchengehilfe, Lohnzettel, Werkvertrag als Zeitungsverteiler, Einkommensteuerbescheide, Bestätigung der Caritas über den Nichtbezug von Grundversorgungsleistungen aufgrund Selbsterhaltungsfähigkeit, Bestätigungen über ehrenamtliche Tätigkeiten, Mietverträge, Empfehlungsschreiben). In den genannten Schreiben wurde auf die gute Integration des Beschwerdeführers in Österreich und seine bereits über fünfjährige Aufenthaltsdauer hingewiesen, weshalb sein Interesse an der Fortsetzung seines Privatlebens mittlerweile die öffentlichen Interessen überwiege.
10. Am 06.07.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, bei welcher der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung einvernommen wurde. Die belangte Behörde blieb der Verhandlung entschuldigt fern. Der Beschwerdeführer legte weitere Unterlagen zu seinen Integrationsbemühungen vor. Im Rahmen der Verhandlung zog der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. erster Satz (§ 57 AsylG), zurück.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen und dem Stamm XXXX an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Paschtu, er kann in dieser Sprache lesen und schreiben. Weiters kann er in Dari lesen und er spricht Englisch und gut Deutsch. Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos.
Der Beschwerdeführer stammt aus der afghanischen Provinz Laghman, Distrikt XXXX , Dorf XXXX , wo er mit seiner Familie gelebt und auch vier Jahre lang die Schule besucht hat. Er hat in Afghanistan nicht gearbeitet. Seine Mutter ist bereits vor längerer Zeit verstorben. Sein Vater hat noch einmal geheiratet. Sein Vater, seine Stiefmutter und seine zwei Brüder befinden sich nach wie vor im Heimatdorf. Drei Onkel väterlicherseits befinden sich im Heimatdistrikt des Beschwerdeführers. Die Schwester des Beschwerdeführers hält sich bei einem Onkel mütterlicherseits in Pakistan auf. Ein zweiter Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers lebt auch in Pakistan. Der Beschwerdeführer hat zu seiner Kernfamilie Kontakt, der letzte Kontakt liegt allerdings bereits länger zurück.
Der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer zog im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.07.2021 seine Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. erster Satz (§ 57 AsylG) des angefochtenen Bescheides zurück.
Der Beschwerdeführer hält sich nachweislich seit 15.12.2014 durchgehend in Österreich auf. Er hat in Österreich keine Familienangehörigen. Der Beschwerdeführer hat zunächst mehrere Deutschkurse besucht, an einem Sprachencafé teilgenommen und das Deutschzertifikat auf dem Niveau A2 und schließlich die Integrationsprüfung auf dem Niveau Deutsch B1 abgelegt. Er spricht bereits gut Deutsch und konnte in der mündlichen Verhandlung die Fragen zu seinem Leben in Österreich auf Deutsch beantworten. Künftig möchte er seine Sprachkenntnisse noch weiter verbessern und den Kurs und die Prüfung auf dem Niveau B2 ablegen. Er hat einen zweisemestrigen Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss besucht und die Pflichtschulabschluss-Prüfung absolviert, lediglich im Gegenstand Mathematik hat er nicht bestanden. Er möchte die nicht bestandene Prüfung nachholen. Der Beschwerdeführer arbeitet seit Dezember 2018 als Neuer Selbständiger auf Werkvertragsbasis als Zeitungsausträger. Zudem hat er ab Dezember 2019 bis September 2020 und von Jänner bis März 2021 ganztägig als Küchengehilfe bzw. Abwäscher in einem Gastronomiebetrieb gearbeitet. Neben der fortwährenden selbständigen Tätigkeit als Zeitungsausträger, bei der er Einnahmen in wechselnder Höhe erzielt – zurzeit monatlich ca. EUR 600 – 800 (wobei davon aber Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten sind) –, arbeitet er seit Mai 2021 wieder unselbständig als Küchengehilfe bzw. Koch in einem Gastronomiebetrieb, wo er zuletzt im Juni 2021 EUR 1.478,03 netto verdiente. In der Zeit des Lockdowns im Mai 2021 befand sich der Beschwerdeführer in Kurzarbeit. Sein Arbeitgeber hat zugesichert, den Beschwerdeführer auch künftig im Betrieb weiter zu beschäftigen. Der Beschwerdeführer ist selbsterhaltungsfähig und bezieht aufgrund seiner Arbeitstätigkeit bereits seit 01.12.2018 keine Grundversorgungsleistungen mehr. Er bewohnt ein von der Caritas zur Verfügung gestelltes Zimmer in einer Asylwerberunterkunft, das er selbst bezahlt. Er spart Geld für zukünftige Anschaffungen. Für die Zukunft plant er, eine Lehre als Koch zu machen und die Führerscheinprüfung zu absolvieren.
Der Beschwerdeführer hat sich in Österreich bereits mehrfach ehrenamtlich betätigt. Er war über ein Jahr lang für ca. drei Stunden in der Woche ehrenamtlich beim Verein „Tischlein deck dich“ beim Einsammeln von Lebensmitteln und Vorsortieren der Waren zur Verteilung an Bedürftige tätig. Künftig will er diese Tätigkeit weiterführen, soweit es seine Berufstätigkeit zulässt. Er hat auch Remunerantentätigkeiten für die Caritas im Ausmaß von ca. 370 Stunden geleistet, hat sich an einem Nachbarschaftshilfeprojekt der Caritas beteiligt, an einem Freiwilligentag teilgenommen und einige Stunden freiwillig auf einer Tennissportanlage mitgearbeitet. Zudem unterstützt er andere Asylwerber in seiner Unterkunft, etwa durch Dolmetscherdienste. Der Beschwerdeführer hat in Österreich vielfältige soziale Kontakte, darunter auch viele Österreicher, mit denen er Feste, Veranstaltungen und einen Tanzkurs besucht. In seiner Freizeit macht der Beschwerdeführer auch immer wieder Ausflüge nach Wien, um einen Freund zu besuchen und sich die Stadt anzuschauen. Der Beschwerdeführer wird als zuverlässig, hilfsbereit, fleißig, höflich, zuvorkommend, offen und humorvoll beschrieben.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweis erhoben durch die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers in der Erstbefragung und vor der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in die vorgelegten Urkunden und sonstigen Unterlagen.
Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des Verfahrensaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, zum Religionsbekenntnis, zur Herkunft, zu den Sprachkenntnissen und persönlichen Verhältnissen, den Lebensumständen in Afghanistan (wie etwa Wohnort, Schulbesuch) und zur familiären Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus dessen diesbezüglich im Wesentlichen gleichbleibenden und insofern glaubhaften Angaben. Im Verfahren hat sich nichts ergeben, das an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers zweifeln ließe.
Die Feststellung zur Zurückziehung der Beschwerde des Beschwerdeführers hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. erster Satz (§ 57 AsylG) des angefochtenen Bescheides beruht auf der unmissverständlichen Aussage des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.07.2021 (Verhandlungsprotokoll vom 06.07.2021 [VH] S. 23). Die Beschwerde wurde nur mehr hinsichtlich der Rückkehrentscheidung und den Folgeaussprüchen aufrechterhalten.
Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich ergeben sich aus seinen widerspruchsfreien und glaubwürdigen Angaben während des Verfahrens und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Untermauert und belegt werden seine Ausführungen auch durch die von ihm vorgelegten Integrationsunterlagen (u.a. OZ 16-18, 20, 23 und 25 sowie die Beilagen zum Verhandlungsprotokoll vom 06.07.2021, darunter etwa das Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Niveau Deutsch B1, der Werkvertrag als Zeitungsausträger, Lohnzettel und Einkommensteuerbescheide). Der Beschwerdeführer ist nunmehr seit 2018 selbständig als Zeitungsausträger und seit 2019 fast durchgehend unselbständig in der Gastronomie beschäftigt. Dabei ist bemerkenswert, dass die Beschäftigungen in der Gastronomie immer beim gleichen Arbeitgeber, lediglich in verschiedenen Betrieben bzw. Arbeitsorten, bestanden. Dies zeigt, dass sich der Beschwerdeführer als Arbeitskraft bewährt hat und sein Arbeitgeber hat auch in zwei Empfehlungsschreiben seine Zufriedenheit mit dem Beschwerdeführer als zuverlässige Arbeitskraft betont und ausgeführt, dass der Beschwerdeführer bei seinen Kollegen sehr beliebt sei. Der Arbeitgeber hat auch seine Bereitschaft ausgedrückt, dem Beschwerdeführer einen langjährigen Arbeitsvertrag zu geben. Auch die selbständige Tätigkeit des Beschwerdeführers als Zeitungsausträger besteht immer noch beim gleichen Unternehmen. Der Gebietsleiter und der Vertriebsleiter des Unternehmens haben ebenfalls in einem Schreiben ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Arbeit sehr verlässlich und zur vollsten Zufriedenheit ausführe. Damit ist die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers auch für die Zukunft gesichert. Dem Beschwerdeführer ist es auch gelungen, trotz der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie insbesondere auf die Beschäftigungssituation in der Gastronomie beim gleichen Arbeitgeber zu bleiben und er wurde teilweise auch in Zeiten des Lockdowns in Kurzarbeit behalten. Wie hoch derzeit sein Verdienst ist, hat er in der mündlichen Verhandlung angegeben (VH S. 16, dies wird auch durch aktuelle Lohnzettel belegt). Bereits seit Ende des Jahres 2018 bezieht der Beschwerdeführer keine Grundversorgung mehr, dies ergibt sich aus seinen eigenen Angaben, aus einer Bestätigung der Caritas und aus einer Abfrage des Betreuungsinformationssystems – GVS. Besonders hervorzuheben ist, dass der Beschwerdeführer auf seine Selbsterhaltungsfähigkeit sehr großen Wert legt. Er hat in der mündlichen Verhandlung mehrfach betont, als er nach Österreich gekommen sei, sei es sein Wunsch gewesen, keine staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen zu müssen, denn er wolle nicht von anderer Leute Steuern leben, dieses Geld solle lieber an Pensionisten gehen, die ihr ganzes Leben gearbeitet hätten (VH S. 15). Über seine Berufstätigkeit hinaus hat sich der Beschwerdeführer auch bereits vielfältig ehrenamtlich engagiert und möchte dies auch künftig tun. Dabei ist insbesondere auf seine freiwillige Tätigkeit für einen Tafel-Verein zu verweisen, wo der Beschwerdeführer gespendete Lebensmittel für die Verteilung an Bedürftige vorbereitet hat. In der Verhandlung hat der Beschwerdeführer ausgeführt, diese ehrenamtliche Tätigkeit gebe ihm die Gelegenheit, mit Leuten ins Gespräch zu kommen, wozu er in der Arbeit wenig Gelegenheit habe (VH S. 20). Der Beschwerdeführer ist auch abseits seiner Berufstätigkeit gut integriert, er hat viele, vor allem österreichische, Freunde und Bekannte, mit denen er Unternehmungen macht und die sich in mehreren Empfehlungsschreiben für seinen Verbleib in Österreich ausgesprochen haben.
Insgesamt zeigt sich, dass der Beschwerdeführer sowohl beruflich, als auch sozial und gesellschaftlich sehr gut integriert ist und seinen Platz in Österreich gefunden hat.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister. Der Beschwerdeführer wurde zwar, wie aus einem früheren Strafregisterauszug bzw. aus dem im Akt einliegenden Strafurteil (OZ 25) hervorgeht, mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 08.01.2016, Zl XXXX , rechtskräftig wegen des Vergehens der Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von 80 Tagessätzen à EUR 4,- verurteilt (Jugendstraftat), dabei wurde ein Teil der Geldstrafe von 40 Tagessätzen bedingt nachgesehen. Als mildernd wurde die Unbescholtenheit, als erschwerend kein Umstand gewertet. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer am 15.05.2015 versucht hatte, ein Mädchen durch Gewalt zur Duldung seiner Küsse zu nötigen. Der Beschwerdeführer hat den unbedingten Teil der Geldstrafe bezahlt. Da er sich seither wohlverhalten hat, wurde der bedingt verhängte Teil der Strafe endgültig nachgesehen. Die Verurteilung ist mittlerweile aber seit 24.05.2021 getilgt, sodass der Beschwerdeführer jetzt wieder unbescholten ist. In der mündlichen Verhandlung hat der Beschwerdeführer mehrfach glaubhaft angegeben, dass ihm die Tat sehr leid tue, es sei ein Fehler gewesen und er schäme sich dafür (vgl. VH S. 21 f). Davon abgesehen trat der Beschwerdeführer strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung.
3. Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Normen (VwGVG, BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 59 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (siehe insbesondere § 1 BFA-VG).
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.
3.1. Zu A)
3.1.1. Zu den Spruchpunkten I., II. und III. erster Satz, des angefochtenen Bescheides (Einstellung des Verfahrens wegen Zurückziehung der Beschwerde)
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
Der Beschwerdeführer hat im Wege seines Rechtsvertreters, durch ausdrückliches Begehren in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 06.07.2021, die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III. erster Satz (§ 57 AsylG) des bekämpften Bescheides zurückgezogen. Im Übrigen wurde die Beschwerde aufrechterhalten.
Mit der Zurückziehung ist das Rechtsschutzinteresse des Beschwerdeführers weggefallen, womit einer Sachentscheidung die Grundlage entzogen ist, sodass die Einstellung des betreffenden Verfahrens – in dem von der Zurückziehung betroffenen Umfang – auszusprechen ist (siehe Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte2 [2017], Rz 20 zu § 7 VwGVG; Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2013], K 5 ff zu § 7 VwGVG).
Da im gegenständlichen Fall eine ausdrückliche und unmissverständliche Erklärung des anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers frei von Willensmängeln vorliegt, war das Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Spruchpunkte I., II. und III., erster Satz, des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG einzustellen.
3.1.2. Zur Beschwerde gegen die Spruchpunkte III., zweiter und dritter Satz, sowie IV. des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.
Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.
Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
§ 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet:
(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates und die damit verbundene Verpflichtung, allenfalls von einer Aufenthaltsbeendigung Abstand zu nehmen, je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362).
Bei dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen das Einwanderungsrecht, Erfordernisse der öffentlichen Ordnung sowie die Frage, ob das Privat-und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, zu berücksichtigen (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07; 12.06.2007, B 2126/06; VwGH 26.06.2007, 2007/01/479; 17.12.2007, 2006/01/0216; Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention2, 194; Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl-und Fremdenrecht K15 ff zu § 9 BFA-VG).
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VwGH 31.08.2006, 2006/21/0140; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247; 07.09.2016, Ra 2016/19/0168; 02.09.2019, Ra 2019/20/0407). Der Verfassungsgerichtshof und der Verwaltungsgerichtshof haben in ihrer Judikatur ein öffentliches Interesse in dem Sinne bejaht, als eine über die Dauer des Asylverfahrens hinausgehende Aufenthaltsverfestigung von Personen, die sich bisher bloß auf Grund ihrer Asylantragsstellung im Inland aufhalten durften, verhindert werden soll (VfSlg. 17.516 und VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479).
Das bedeutet für den konkreten Fall:
Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Vom Prüfungsumfang des Begriffes des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt.
Der Beschwerdeführer hat keine Familienangehörigen in Österreich und es sind auch keine Hinweise für eine sonstige ausreichend intensive Beziehung des Beschwerdeführers zu einer ihm in Österreich besonders nahestehenden Person hervorgekommen, sodass ein schützenswertes Familienleben des Beschwerdeführers im oben dargestellten Sinn nicht vorliegt.
Darüber hinaus ist zum in Österreich entstandenen Privatleben iSd Art. 8 EMRK festzuhalten:
Unter „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EuGRZ 2006, 554, Sisojeva u.a./Lettland). Art. 8 EMRK schützt unter anderem sowohl die individuelle Selbstbestimmung und persönliche Identität, als auch die freie Gestaltung der Lebensführung. In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Bei der Beurteilung der Frage, ob der Beschwerdeführer in Österreich über ein schützenswertes Privatleben verfügt, spielt die zeitliche Komponente eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541).
Die bisherige Rechtsprechung legt grundsätzlich keine Jahresgrenze fest, sondern nimmt eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vor (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff). Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378), und geht im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, „dass der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters zum Ausdruck gebracht, dass einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung zukommt (vgl. dazu VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 10.11.2010, 2008/22/0777; 23.06.2015, Ra 2015/22/0026; 30.07.2015, Ra 2014/22/0055; 23.10.2019, Ra 2019/19/0289).
Im vorliegenden Fall hält sich der Beschwerdeführer nachweislich seit 15.12.2014, somit seit über sechseinhalb Jahren im Bundesgebiet auf, wo er über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht verfügt.
Auf der Grundlage der dargestellten Rechtsprechung übersieht das Bundesverwaltungsgericht nicht, dass die Dauer des Aufenthaltes des Beschwerdeführers in Österreich von mehr als sechseinhalb Jahren nicht allein maßgebliches Kriterium in der durchzuführenden Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK sein darf. Es berücksichtigt jedoch, dass das persönliche Interesse eines Fremden an einem weiteren Verbleib in Österreich mit der Dauer des bisherigen Aufenthaltes zunimmt, der Beschwerdeführer im hier vorliegenden Fall bereits mehr als sechseinhalb Jahre lang rechtmäßig in Österreich aufhältig ist und der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit erfolgreich dazu genützt hat, sich vielfältig und nachhaltig sozial und beruflich zu integrieren. In dieser Zeit entwickelte der Beschwerdeführer ein schützenswertes Privatleben in Österreich, von dessen Bestehen sich das Bundesverwaltungsgericht insbesondere im Rahmen der durchgeführten mündlichen Verhandlung durch die Befragung des Beschwerdeführers und die Einsichtnahme in die vorgelegten Beweismittel überzeugen konnte:
Der Beschwerdeführer hat sich bereits gute Deutschkenntnisse angeeignet, die er auch weiterhin verbessern möchte, und die Integrationsprüfung auf dem Niveau Deutsch B1 abgelegt. Er hat den Vorbereitungslehrgang für den Pflichtschulabschluss besucht und die Pflichtschulabschluss-Prüfung absolviert, lediglich im Gegenstand Mathematik hat er nicht bestanden, er möchte die nicht bestandene Prüfung aber nachholen. Der Beschwerdeführer arbeitet seit Ende 2018 als selbständiger Zeitungsausträger. Nach Tätigkeiten in der Gastronomie von Dezember 2019 bis September 2020 und von Jänner bis März 2021 ist der Beschwerdeführer – neben der fortwährenden selbständigen Tätigkeit als Zeitungsausträger – nunmehr seit Mai 2021 wieder als Küchengehilfe bzw. Koch in einem Gastronomiebetrieb beschäftigt. Der Beschwerdeführer hat sich während seines Aufenthaltes in Österreich somit in wirtschaftlicher Hinsicht durch legale Erwerbstätigkeit eine tragfähige Existenz aufgebaut. Der Beschwerdeführer befindet sich bereits seit Jahren nicht mehr in der Grundversorgung und ist seit Beginn seiner Tätigkeit als Zeitungszusteller und bis heute selbsterhaltungsfähig. Die Arbeitgeber des Beschwerdeführers sind mit seinen Leistungen sehr zufrieden und haben angegeben, ihn auch künftig weiter beschäftigen zu wollen. Aus diesem Grund und auch mit Blick auf die persönliche Einstellung des Beschwerdeführers, dem seine finanzielle Unabhängigkeit und Selbsterhaltungsfähigkeit sehr wichtig sind, ist jedenfalls davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch in Zukunft selbsterhaltungsfähig sein wird und in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen zu bestreiten. Er bezahlt seine Unterkunft selbst und spart Geld für zukünftige Anschaffungen. Weiters hat er auch Pläne für die Zukunft: Er möchte eine Lehre als Koch machen und die Führerscheinprüfung absolvieren. Auch im sozialen und gesellschaftlichen Bereich hat der Beschwerdeführer einen hohen Grad an Integration erreicht. Er hat sich in Österreich bereits mehrfach ehrenamtlich betätigt, unter anderem bei einem Tafel-Verein, der gespendete Lebensmittel an bedürftige Personen verteilt. Künftig will er diese Tätigkeit weiterführen, soweit es seine Berufstätigkeit zulässt, da er dadurch die Gelegenheit hat, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Der Beschwerdeführer hat viele, vor allem österreichische, Freunde und Bekannte, bei denen er aufgrund seiner freundlichen und humorvollen Art beliebt ist und die durchwegs seine gute Integration in Österreich bescheinigen.
Durch das Streben des Beschwerdeführers, sich durch legale Arbeit die Mittel zu seinem Unterhalt selbst zu beschaffen, ein eigenständiges und von Sozialleistungen unabhängiges Leben führen zu können, seine bisherigen – von Erfolg gekrönten – Bemühungen um das Erlernen der deutschen Sprache und seine vorliegenden sozialen Verflechtungen hat der Beschwerdeführer zum Ausdruck gebracht, dass er seine Integration in die österreichische Gesellschaft intensiv und nachhaltig betreibt und auch bereits von einem hohen Grad an Integration ausgegangen werden kann.
Der Beschwerdeführer ist zwar nicht die gesamte Zeit hindurch strafrechtlich unbescholten geblieben, die von ihm oben beschriebene Straftat, die er noch als Minderjähriger begangen hat, führte jedoch nur zu einer teilbedingten Geldstrafe, die er bereits bezahlt hat, und der Beschwerdeführer hat glaubhaft angegeben, seine Tat zu bereuen. Die Straftat ist insgesamt als nicht besonders schwerwiegend zu werten. Der Beschwerdeführer hat sich seitdem wohlverhalten und ist strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten. Die Verurteilung ist mittlerweile bereits getilgt, sodass der Beschwerdeführer unbescholten ist. Aufgrund des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers, seines seitdem an den Tag gelegten Wohlverhaltens und seines reuigen Eingestehens der Tat kann jedenfalls eine positive Zukunftsprognose ausgestellt werden und ist eine künftige strafrechtliche Auffälligkeit nicht anzunehmen.
Was die zu berücksichtigenden Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat anlangt, ist festzuhalten, dass diese nicht besonders stark ausgeprägt sind. Der Beschwerdeführer hat zwar immerhin in etwa die ersten 17 Jahre seines Lebens in Afghanistan verbracht und dort auch die Schule besucht, er beherrscht auch eine afghanische Landessprache. Seine Kernfamilie hält sich noch im Heimatdorf auf. Dennoch hat der Beschwerdeführer nur sporadisch Kontakt zu seiner Familie, der letzte Kontakt liegt bereits länger zurück. Der Beschwerdeführer hält sich nunmehr bereits seit über sechseinhalb Jahren in Österreich auf. Er hat sich hier sehr gut eingelebt, hat hier soziale Kontakte und finanziert seinen Unterhalt aus seiner Berufstätigkeit. Der Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers hat sich unzweifelhaft in das österreichische Bundesgebiet verlagert, sodass diesbezüglich von einer zusätzlichen Abschwächung der ohnehin nicht besonders ausgeprägten Bindungen zum Herkunftsstaat gesprochen werden kann.
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung privater Kontakte in Österreich dadurch geschwächt ist, dass er sich bei seinem Aufenthalt im Bundesgebiet stets seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste und dadurch das durch eine soziale Integration erworbene Interesse an einem Verbleib in Österreich in seinem Gewicht gemindert ist (vgl. etwa VwGH 03.10.2017, Ra 2016/22/0056). Der Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA-VG („Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren“) darf aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht in unverhältnismäßiger Weise in den Vordergrund gestellt werden. Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Sinn wiederholt klargestellt, dieser Aspekt habe schon vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht zur Konsequenz, dass der während unsicheren Aufenthalts erlangten Integration überhaupt kein Gewicht beizumessen sei und ein solcherart begründetes privates und familiäres Interesse nie zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen könne (vgl. etwa VwGH 05.03.2021, Ra 2020/19/0147).
Den stark ausgeprägten privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehen auch die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen gegenüber. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt den Normen, die die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regeln, aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. etwa VwGH 31.08.2006, 2006/21/0140; 15.12.2015, Ra 2015/19/0247; 07.09.2016, Ra 2016/19/0168; 02.09.2019, Ra 2019/20/0407).
Insgesamt würden jedoch die Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers vor dem Hintergrund seiner bisher unternommenen, erfolgreichen Anstrengungen und des sich daraus entwickelten, schützenswerten Privatlebens in Österreich schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Im gegenständlichen Fall kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit nicht genützt hätte, um sich sozial und beruflich zu integrieren. Zudem vermag das Verhalten des Beschwerdeführers nicht nahezulegen, dass von einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch ihn auszugehen ist. Er hat einen hohen Grad der Integration in wirtschaftlicher, sprachlicher und gesellschaftlicher Hinsicht erreicht, der sich vor allem in der vielfältigen Teilnahme am sozialen und beruflichen Leben manifestiert.
Das Bundesverwaltungsgericht geht daher nach Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK fallbezogen maßgeblichen Aspekte im vorliegenden Einzelfall von einer derartigen Verdichtung der persönlichen Interessen des Beschwerdeführers aus, dass es unter gewichtender Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten Interessen des Beschwerdeführers in Form einer Gesamtbetrachtung zu einem Überwiegen des privaten Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet kommt.
Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.
Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die drohende Verletzung des Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind. Es war daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auszusprechen, dass die Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.
Somit wurde auch eine Frist zur (freiwilligen) Ausreise im Bescheid zu Unrecht ausgesprochen und war Spruchpunkt IV. ersatzlos zu beheben.
Zur Erteilung des Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“:
Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 ASVG) erreicht wird.
Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005 ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.
Der Beschwerdeführer hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er derzeit aus seiner unselbständigen Beschäftigung EUR 1.478,03 netto verdient, was er durch in der Verhandlung vorgelegte Lohnzettel auch belegen konnte. Hinzu kommen Einkünfte aus selbständiger Beschäftigung in wechselnder Höhe von monatlich ca. EUR 600 – 800.
Ein Beschäftigungsverhältnis gilt gemäß § 5 Abs. 2 ASVG als geringfügig, wenn daraus im Kalendermonat kein höheres Entgelt als (im Jahr 2021) EUR 475,86 brutto gebührt. Im vorliegenden Fall besteht somit im Entscheidungszeitpunkt schon alleine aufgrund der unselbständigen Tätigkeit eine erlaubte Erwerbstätigkeit, mit deren Einkommen die Geringfügigkeitsgrenze deutlich überschritten wird.
Die Voraussetzungen gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sind im gegenständlichen Fall daher gegeben, weshalb dem Beschwerdeführer gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen ist.
Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen; der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.
3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltsdauer Deutschkenntnisse Integration Interessen Privatleben Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Teileinstellung teilweise BeschwerderückziehungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W180.2158758.1.00Im RIS seit
13.10.2021Zuletzt aktualisiert am
13.10.2021