Entscheidungsdatum
04.08.2021Norm
BFA-VG §9Spruch
W285 2222083-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Polen, vertreten durch Mag. Alfons UMSCHADEN, MBA, M.B.L., gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2019, Zahl: 1208079607-180920228, betreffend den Ausspruch der Ausweisung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 zu Recht:
A) Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA), Regionaldirektion Niederösterreich, wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 FPG 2005 iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und es wurde ihr gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit der Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin sei polnische Staatsbürgerin, welche seit 18.06.2014 durchgehend mit einem Wohnsitz im Bundesgebiet gemeldet sei, jedoch über keine Anmeldebescheinigung verfüge. Diese habe bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft einen Antrag auf Ausgleichszulage gemäß § 292 ASVG gestellt; sie könne die für ihren Unterhalt in Österreich notwendigen finanziellen Mittel nicht nachweisen, da sie lediglich über eine monatliche Pension in Höhe von EUR 236,16 verfügen würde. Da sie zudem seit 26.06.2014 weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige erwerbstätig sei und über keinen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen würde, sei ihr Aufenthalt mangels Erfüllung der Voraussetzungen des § 51 NAG nicht rechtmäßig. Ein schützenswertes Familien- oder Privatleben im Bundesgebiet sei nicht festzustellen gewesen.
Mit dem am 05.08.2019 per E-Mail bei der belangten Behörde eingelangten Schriftsatz der bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführerin wurde gegen den oben angeführten Bescheid fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Darin wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen und den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass die Beschwerdeführerin zum Aufenthalt berechtigt sei und dieser gemäß § 55 Abs. 4 NAG die Dokumentation über das Aufenthaltsrecht auszustellen sei, in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und die Sache zur Verfahrensergänzung an die belangte Behörde zurückverweisen.
Die Beschwerdevorlage und der Bezug habende Verwaltungsakt langten am 07.08.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Mit Eingabe vom 22.08.2019 wurden durch den bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin eine (unvollständige) Kopie einer e-card zum Nachweis des Krankenversicherungsschutzes der Beschwerdeführerin sowie ein Auszug aus dem Zentralen Melderegister zum Beleg der Haushaltsgemeinschaft der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter im Bundesgebiet übermittelt.
Das Bundesverwaltungsgericht beraumte für den 23.03.2021 eine mündliche Beschwerdeverhandlung an. Mit Schreiben vom 22.03.2021 hat der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin bekannt gegeben, dass der Beschwerdeführerin eine Teilnahme an der am folgenden Tag stattfindenden Verhandlung nicht möglich sein werde, da ihr eine Einreise aus Polen aufgrund gesundheitlicher Probleme momentan nicht möglich wäre. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte bereits mit Schreiben vom 03.03.2021 mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten.
Im Zuge der am 23.03.2021 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin durchgeführten mündlichen Verhandlung gab der bevollmächtigte Vertreter der Beschwerdeführerin an, dass diese aus Sorge um ihre Gesundheit angesichts der Covid-19-Pandemie nicht aus Polen zur Verhandlung nach Österreich angereist wäre. Zum Beweis, dass die Beschwerdeführerin im Familienverband leben und unterstützt werden würde, wurde die Einvernahme der Tochter der Beschwerdeführerin als Zeugin beantragt. Der Beschwerdeführerin wurde die Möglichkeit eingeräumt, binnen dreiwöchiger Frist eine schriftliche Stellungnahme zu ihren familiären Umständen in Polen und in Österreich abzugeben.
Mit schriftlicher Eingabe vom 31.03.2021 wurde durch den bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass die Beschwerdeführerin im Bundesgebiet im Haushalt ihrer Tochter unentgeltlich wohne und von dieser verpflegt werde. Sie unterstütze diese im Haushalt, koche für die Familie und beaufsichtige fallweise die minderjährigen Kinder ihres Sohnes. Die Beschwerdeführerin habe in Polen eine Pension in Höhe von 753,- zl monatlich, dies entspreche aufgrund des momentanen Wechselkurses EUR 175,35; seit 01.03.2018 beziehe sie 776,43 zl, also EUR 180,57. Beiliegend übermittelt wurde ein Pensionsbescheid in polnischer Sprache.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Polens (vgl. etwa Fremdenregisterauszug vom 19.03.2021; darüber hinaus unstrittig).
Die Beschwerdeführerin war von 17.06.2008 bis 17.03.2009 mit einem Hauptwohnsitz und von 18.06.2014 bis 08.09.2016 mit einem Nebenwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Seit 08.09.2016 liegt eine durchgehende Hauptwohnsitzmeldung im Bundesgebiet vor (vgl. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister vom 19.03.2021 und vom 22.08.2018). Eine Anmeldebescheinigung hat sie nie besessen (vgl. Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister vom 19.03.2021).
Die Beschwerdeführerin hat in Österreich eine volljährige Tochter und einen volljährigen Sohn sowie vier Enkelkinder. Die Beschwerdeführerin wohnt mit ihrer Tochter unentgeltlich im gemeinsamen Haushalt. Darüber hinaus wird sie durch ihre Kinder nicht finanziell unterstützt. Die Beschwerdeführerin unterstützt ihre Tochter im Haushalt, kocht für die Familie und betreut fallweise die beiden minderjährigen Kinder ihres Sohnes.
Die Beschwerdeführerin ist in Polen seit 01.12.2017 Bezugsberechtigte einer Pension in Höhe von zl 776,46 monatlich; seit 01.03.2018 beträgt ihr Pensionsanspruch zl 776,43 (entspricht nach derzeitigem Wechselkurs EUR 169,75) (vgl. Stellungnahme 30.03.2021). In Österreich hat sie seit 01.01.2018 Anspruch auf eine Alterspension in Höhe von EUR 57,16 monatlich (vgl. Bescheid der SVA vom 24.07.2018, AS 27).
Darüber hinaus konnte nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin über sonstige ausreichende Mittel zum Unterhalt verfügen würde oder ob, von wem und in welcher Höhe ihr Unterhalt von ihren Kindern allenfalls konkret gewährt wird. Eine Haftungserklärung liegt nicht vor.
Die Beschwerdeführerin war seit 2008 mit Unterbrechungen selbständig im Pflegebereich tätig, ihre Gewerbeberechtigung im Bereich Personenbetreuung wurde mit 15.05.2018 gelöscht (vgl. Niederschrift BH XXXX 05.09.2018, AS 21; Mitteilung der BH XXXX vom 15.05.2018, AS 25).
Die Beschwerdeführerin ist seit 01.01.2018 bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen im Rahmen ihres Alterspensionsbezugs versichert (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 19.03.2021). Sie beantragte im Jahr 2018 bei der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft eine Ausgleichszulage (vgl. Schreiben der SVA vom 01.08.2018, AS 11).
Zuvor war die Beschwerdeführerin von 01.06.2008 bis 31.08.2010 als selbständig Erwerbstätige sozialversichert. Von 18.06.2014 bis 26.06.2014 war diese als Arbeiterin sozialversichert erwerbstätig. Von 01.07.2014 bis 31.07.2014 sowie von 01.04.2015 bis 31.05.2018 war diese als gewerblich selbständig Erwerbstätige sozialversichert. Von 01.08.2014 bis 30.04.2015 lag eine KV-Weiterversicherung GSVG-Sachleistung vor (vgl. Sozialversicherungsdatenauszug vom 02.07.2019, AS 105 ff).
Ob die Beschwerdeführerin in Polen noch familiäre oder persönliche Beziehungen hat, konnte nicht festgestellt werden.
Die Beschwerdeführerin leidet an keinen schwerwiegenden Erkrankungen.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten (vgl. Auszug aus dem Strafregister vom 19.03.2021).
2. Beweiswürdigung:
Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl sowie des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Zur Person und zum Vorbringen der Beschwerdeführerin:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität und zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen in der gegenständlichen Beschwerde nicht entgegengetreten wurde.
Das Bundesverwaltungsgericht nahm weiters hinsichtlich der Beschwerdeführerin Einsicht in das Fremdenregister, die Sozialversicherungsdaten und das Zentrale Melderegister sowie das Strafregister und holte die aktenkundigen Auszüge ein.
Die Aufenthaltszeiträume der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet ergeben sich aus den Zeiten ihrer behördlichen Wohnsitzmeldung, in Zusammenschau mit ihren Angaben, seit Juni 2014 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich zu haben. Bereits der angefochtene Bescheid legte eine entsprechende Aufenthaltsdauer zugrunde. Die Feststellungen über die frühere (selbständige) Erwerbstätigkeit der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet und ihre Versicherungszeiten resultieren aus den aktenkundigen Sozialversicherungsdatenauszügen, den Schreiben der SVA und der BH XXXX sowie den Angaben der Beschwerdeführerin. Es ist unstrittig, dass die Beschwerdeführerin seit Dezember 2017 bzw. Jänner 2018 eine Alterspension bezieht und keine Erwerbstätigkeit mehr im Bundesgebiet ausübt.
Aus dem Akteninhalt und dem Vorbringen der Beschwerdeführerin ist nicht feststellbar, dass sie sich fünf Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, zumal diese zwischen 18.03.2009 und 18.06.2014 keinen gemeldeten Wohnsitz im Bundesgebiet besaß und ab Mitte Mai 2018 nicht mehr zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet berechtigt war. Die Höhe ihres Pensionsbezuges ergibt sich aus den diesbezüglich vorgelegten unbedenklichen Unterlagen. Ein Vorbringen zu darüberhinausgehenden finanziellen Mitteln wurde von der Beschwerdeführerin nicht erstattet.
Mangels diesbezüglicher Mitwirkung und Stellungnahme konnten keine abschließenden Feststellungen dazu getroffen werden, ob, von wem und in welcher Höhe die Beschwerdeführerin von ihren in Österreich lebenden Kindern allenfalls tatsächlich Unterhalt erhält. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass sie sonst über ausreichende finanzielle Mittel verfügt sowie welche familiären oder privaten Beziehungen sie in Polen noch hat und in welcher Häufigkeit sie sich während der letzten Jahre in ihrem Heimatland aufgehalten hat. Auch zu etwaigen Deutschkenntnissen konnten mangels Nachweisen keine näheren Feststellungen getroffen werden. Da sich die Beschwerdeführerin jedenfalls zum Zeitpunkt der für 23.03.2021 anberaumten Beschwerdeverhandlung in Polen aufhielt, steht fest, dass sie dort noch über Bindungen und eine Wohnmöglichkeit verfügt.
Da der gemeinsame Haushalt der Beschwerdeführerin und ihrer Tochter und deren familiäre Beziehung im Bundesgebiet bereits aufgrund der Aktenlage unstrittig sind, konnte die vom bevollmächtigten Vertreter der Beschwerdeführerin beantragte Einvernahme der Tochter als Zeugin unterbleiben.
Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin keinerlei substanziiertes und konkretes Vorbringen zu allfälligen familiären Bindungen in Polen erstattet.
Die übrigen Feststellungen ergeben sich aus den im Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt einliegenden Beweismitteln, welche jeweils in Klammer zitiert und von der Beschwerdeführerin zu keiner Zeit bestritten wurden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 8 FPG ist EWR-Bürger ein Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Der mit „Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate“ betitelte § 51 NAG lautet:
„§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.“
Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:
„§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.
(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.“
Der mit „Anmeldebescheinigung“ betitelte § 53 NAG lautet:
„§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;
2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;
3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;
4. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
5. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;
6. nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;
7. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen.“
Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthaltes von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:
„§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.
(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.“
Der mit „Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate“ betitelte § 55 NAG lautet:
„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“
Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
Gemäß § 70 Abs. 1 FPG werden die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
Gemäß § 70 Abs. 3 FPG ist EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
Fallbezogen ergibt sich daraus:
Die Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige Polens und damit EWR-Bürgerin im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG bzw. Unionsbürgerin der Europäischen Union.
Wie sich aus den Feststellungen und der Beweiswürdigung ergibt, ist die Beschwerdeführerin zum Entscheidungszeitpunkt des Bundesverwaltungsgerichtes in Österreich weder Arbeitnehmerin oder Selbstständige (§ 51 Abs. 1 Z 1 NAG) oder ist der Hauptzweck ihres Aufenthaltes eine Ausbildung iSd § 51 Abs. 1 Z 3 NAG.
Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs. 1 Z 2 und Z 3 NAG ist (unter anderem) zu beurteilen, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedsstaats in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genügt, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel, sodass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen – etwa dem Elternteil des betroffenen Unionsbürgers – stammen können (vgl VwGH vom 12.12.2017, Ra 2015/22/0149, mit Verweis auf EuGH vom 19.10.2004, Zhu und Chen, C-200/02; EuGH vom 16.07.2015, Singh u., C-218/14).
Bei der Beurteilung, ob ein Unionsbürger über ausreichende Existenzmittel verfügt, um ein Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 lit. B der Freizügigkeitsrichtlinie – in Österreich umgesetzt durch § 51 Abs. 1 Z 2 NAG 2005 – in Anspruch nehmen zu können, ist eine konkrete Prüfung der wirtschaftlichen Situation jedes Betroffenen vorzunehmen, ohne die beantragten Sozialleistungen zu berücksichtigen, was notwendig impliziert, dass die Beantragung von Sozialleistungen und allenfalls ein Bezug derselben nicht schon per se bedeutet, dass keine ausreichenden Existenzmittel vorliegen (vgl. VwGH vom 21.12.2017, Ra 2017/21/0132, mit Verweis auf EuGH vom 11.11.2014, Dano, C-333/13; EuGH vom 19.09.2013, Brey, C-140/12).
Der EuGH hat in seinem Urteil vom 29.04.2004, Skalka, C-160/02, Rn. 26, festgehalten, dass die österreichische Ausgleichszulage Sozialhilfecharakter hat, soweit sie dem Empfänger im Fall einer unzureichenden Rente ein Existenzminimum gewährleisten soll. Im Urteil vom 19.09.2013, Brey, C-140/12, Rn. 60 ff, hat der EuGH dargelegt, dass die Ausgleichszulage als "Sozialhilfeleistung" (im Sinn des Art. 7 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG) angesehen werden kann. Der Umstand, dass ein EWR-Bürger zum Bezug dieser Leistung berechtigt ist, könne einen Anhaltspunkt dafür darstellen, dass er nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt (Rn. 63).
Verfügt der Antragsteller nicht über ausreichende Existenzmittel, so kann er kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmemitgliedsstaat nach der Unionsbürgerrichtlinie geltend machen und sich daher auch nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 der zitierten Richtlinie berufen (vgl VwGH vom 24.10.2017, Ra 2016/10/0031, mit Verweis auf EuGH vom 11.11.2014, Dano, C-333/13).
Die Beschwerdeführerin verfügt in Polen über einen monatlichen Pensionsanspruch von rund EUR 169,75, in Österreich bezieht sie eine monatliche Alterspension in Höhe von EUR 57,16. Der Pensionsbezug der Beschwerdeführerin erreicht demnach jedenfalls nicht den Richtsatz des § 293 ASVG für Einzelpersonen nach § 293 Abs. 1 lit a sub lit bb ASVG, welcher für das Jahr 2021 EUR 1.000,48 beträgt.
Im gesamten Verfahren ist – insbesondere mangels entsprechender Mitwirkung der Beschwerdeführerin – nicht hervorgekommen, dass sie darüber hinaus über erspartes Vermögen verfügt oder allenfalls tatsächlich und nachweislich von ihren in Österreich lebenden volljährigen Kindern, wobei sie mit ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt lebt, finanziell derart unterstützt wird, dass sie über ausreichende Existenzmittel verfügt. Es liegen keine ausreichenden Nachweise dahingehend vor, dass die Kinder der Beschwerdeführerin tatsächlich in der Lage sind, für den Unterhalt der Beschwerdeführerin nachweislich aufzukommen. Haftungserklärungen wurden ebenso bisher nicht abgegeben.
Nach Ansicht des erkennenden Gerichtes konnte die Beschwerdeführerin im Entscheidungszeitpunkt nicht nachweisen, dass bei ihr die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 2 NAG vorliegen.
Der Tatbestand des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG 2005 entspricht Art. 2 Nr. 2 lit d Unionsbürger-Richtlinie. Dieser Tatbestand setzt voraus, dass es sich bei Angehörigen des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers um einen Verwandten in gerader aufsteigender Linie handeln muss, dem von diesem „Unterhalt (tatsächlich) gewährt“ wird. Zum Erfordernis der tatsächlichen Unterhaltsgewährung ist der Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass sich die Eigenschaft als Familienangehöriger, dem der aufenthaltsberechtigte Unionsbürger „Unterhalt gewährt“, aus einer tatsächlichen Situation ergibt, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Familienangehörige vom Aufenthaltsberechtigten materiell unterstützt wird (vgl VwGH vom 12.12.2017, Ra 2015/22/0149).
Darauf aufbauend – und insbesondere aufgrund des Umstandes, dass mit Ausnahme des Verweises auf das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes mit ihrer volljährigen Tochter keinerlei Angaben und Nachweise zur allfälligen finanziellen Unterstützung der Beschwerdeführerin durch ihre Kinder erstattet wurden – liegt gegenständlich auch kein Fall des § 52 Abs. 1 Z 3 NAG (Verwandter eines EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird) vor.
Zum Entscheidungszeitpunkt liegen hinsichtlich der Beschwerdeführerin weder die Voraussetzungen des § 51 NAG noch jene des § 52 NAG vor. Es fehlt damit weiters an den Voraussetzungen für eine Anmeldebescheinigung gemäß § 53 NAG. Die Beschwerdeführerin hält sich eigenen Angaben nach seit Mitte Juni 2014 durchgehend im Bundesgebiet auf, wobei sie spätestens seit 15.05.2018 keine selbständige Erwerbstätigkeit mehr ausübte. Mangels eines rechtmäßigen, fünf Jahre hindurch bestehenden Aufenthalts sind daher auch die Voraussetzungen des § 53a Abs. 1 NAG nicht erfüllt, sodass die Beschwerdeführerin auch kein Daueraufenthaltsrecht erworben hat. Ebensowenig hat sich ergeben, dass die Beschwerdeführerin, welche zwar zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht hatte, das unionsrechtliche Daueraufenthaltsrecht nach § 53a Abs. 3 Z 1 NAG erworben hat, zumal diese keine Nachweise hinsichtlich einer zuvor während eines zwölfmonatigen Zeitraums tatsächlich ausgeübten Erwerbstätigkeit vorlegte.
Jedoch steht auch die Erlassung einer Ausweisung gemäß § 66 FPG unter dem Vorbehalt des § 9 BFA-VG. Nach § 66 Abs. 2 FPG und § 9 BFA-VG ist die Erlassung einer auf § 66 FPG gestützten Ausweisung nur zulässig, wenn diese zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der somit auch im vorliegenden Fall vorzunehmenden Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer Ausweisungen einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr nach Art. 8 EMRK geschütztes Recht darstellt, ist nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0362, mit Verweis auf VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456, Rn. 13, und VwGH 25.04.2019, Ra 2019/19/0114, Rn. 13).
Fallgegenständlich ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin seit 08.09.2016, sohin seit knapp fünf Jahren, durchgehend mit einem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet im Haushalt ihrer volljährigen Tochter gemeldet ist; zuvor war diese bereits seit 18.06.2014 mit einem Nebenwohnsitz gemeldet und hatte seit diesem Zeitpunkt, sohin nunmehr seit mehr als sieben Jahren, ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet. Die Beschwerdeführerin ging bis 2018 einer selbständigen gewerblichen Tätigkeit im Bereich der Pflege nach und war in diesem Rahmen im Bundesgebiet sozialversichert. Sie hat seit 01.12.2017 in Polen sowie seit 01.01.2018 in Österreich Anspruch auf eine Alterspension.
Wenngleich die 64-jährige Beschwerdeführerin sich in den letzten Jahren in nicht konkret festzustellenden Zeiträumen immer wieder in Polen aufgehalten haben mag, so hat sie durch ihre volljährige Tochter, ihren volljährigen Sohn und ihre vier Enkelkinder offensichtlich ihre engsten familiären Bindungen im Bundesgebiet. Die besondere Beziehungsintensität insbesondere mit ihrer Tochter ergibt sich aus dem mehrjährigen Bestehen eines gemeinsamen Haushaltes und der wechselseitigen Unterstützung bei der Haushaltsführung. Unter Berücksichtigung des mehr als siebenjährigen Aufenthalts, der einige Jahre im Bundesgebiet ausgeübten selbständigen Erwerbstätigkeit, des Lebensalters der Beschwerdeführerin von 64 Jahren sowie der im Bundesgebiet bestehenden Bindungen zu ihren volljährigen Kindern und Enkelkindern, erweist sich eine Ausweisung unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK nicht mehr als verhältnismäßig.
Anzumerken ist, dass der angefochtene Bescheid keine Feststellungen zu den privaten und familiären Bindungen der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet enthält, sondern lediglich darauf verwiesen hat, dass ein schwerwiegender und unverhältnismäßiger Eingriff in ihr Privat- und Familienleben nicht zu erkennen sei, da die Ausweisung im Moment der Ausreise als konsumiert gelte und einer sofortigen Wiedereinreise nichts entgegenstünde; dieser Umstand entbindet die Behörde nach dem eindeutigen Wortlaut des § 66 Abs. 2 FPG jedoch nicht davon, die Zulässigkeit der Ausweisung unter Berücksichtigung insbesondere der Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, des Alters, Gesundheitszustands, der familiären und wirtschaftlichen Lage, der sozialen und kulturellen Integration im Bundesgebiet und des Ausmaßes ihrer Bindung zum Herkunftsstaat zu beurteilen.
Insgesamt ist demnach im gegenständlichen Fall insbesondere der familiären Beziehung der 64-jährigen Beschwerdeführerin zu ihren im Bundesgebiet lebenden volljährigen Kindern und ihren Enkelkindern gemäß § 9 BFA-VG iVm. Art. 8 EMRK Fall der Vorrang einzuräumen, sodass sich die Ausweisung diesbezüglich als rechtswidrig erweist. In der Folge waren die Ausweisung wie auch der darauf aufbauende Ausspruch eines Durchsetzungsausspruchs aufzuheben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, umfangreichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch ist diese Rechtsprechung als uneinheitlich zu bewerten. Vielmehr hat sich das Bundesverwaltungsgericht bei der Beurteilung des gegenständlichen Falles an der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber auch des Europäischen Gerichtshofes orientiert und diese – soweit erforderlich – auch in der Entscheidungsbegründung zitiert. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der gegenständlich zu lösenden Rechtsfragen liegen nicht vor.
Schlagworte
Aufenthaltsdauer Aufenthaltsrecht Ausgleichszulage Ausweisung Ausweisung aufgehoben Behebung der Entscheidung bestehendes Familienleben Durchsetzungsaufschub EuGH Interessenabwägung Lebensalter Pension soziale Bedürftigkeit Unionsbürger Unionsrecht Verhältnismäßigkeit VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W285.2222083.1.00Im RIS seit
13.10.2021Zuletzt aktualisiert am
13.10.2021