TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/10 W282 2245013-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W282 2245013-1/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA im am 04.08.2021 amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , geboren am XXXX Alias XXXX , geboren XXXX , Staatsangehörigkeit: Volksrepublik China, in Schubhaft seit XXXX 2021 zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1. Verfahrensgang:

1.1 Der Beschwerdeführer (BF), ein chinesischer StA. reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2016 unrechtmäßig unter Nutzung gefälschter Dokumente in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 26.01.2018 wurde der BF in einem chinesischen Restaurant in Vorarlberg bei einer illegalen Beschäftigung betreten, wobei er sich mit einem gefälschten slowakischen Personalausweis auswies. Im Rahmen der Kontrolle stellte der BF unter seiner Alias-Identität XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Der BF wurde daraufhin vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) einvernommen und in die Grundversorgung aufgenommen, verzichtete aber am 06.02.2018 auf alle Leistungen aus der Grundversorgung und verließ das Quartier nach Ausstellung seiner Asylwerberkarte gem. § 51 AsylG 2005.

1.3. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX 2019 zur VZ. XXXX wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz abgewiesen, ihm kein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen und seine Abschiebung nach China für zulässig erklärt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft.

1.4. Der BF blieb tauchte daraufhin im März 2019 unter, veranlasste seine behördliche Abmeldung und hielt sich ohne behördliche Meldung bis April 2021 im Verborgenen und unrechtmäßig weiter im Bundesgebiet auf. Im April 2021 kontaktierte der BF die BBU und gab an, er wolle mittels der Rückkehrhilfe der BBU nach China zurückkehren. Er vereinbarte einen Termin zur Feststellung seiner Identität für den 13.04.2021. Der BF begab sich an diesem Tag jedoch irrtümlich zum Bundesamt statt zur Niederlassung der BBU und wies sich dort zuerst mit der ihm ausgestellten Asylwerberkarte lautend auf XXXX aus. In Folge wies sich der BF aber zusätzlich mit seinem noch bis Jänner 2026 gültigen chinesischen Reisepass, ausgestellt auf seinen tatsächlichen Namen XXXX , geboren am XXXX , aus. Der BF wurde in Folge festgenommen und in ein Polizeianhaltezentrum verbracht. Bei seiner Einvernahme gestand der BF zu, absichtlich falsche Angaben gemacht zu haben, damit ihm möglicherweise Asyl gewährt würde. Sein Ziel sei es gewesen, einer (illegalen) Erwerbstätigkeit nachzugehen, nun wolle er aber nach China zurück, weil er keinen Job mehr finde.

1.5. Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX 2021 zur im Spruch genannten Zahl wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt und dem BF der Bescheid an diesem Tage übergeben. Der Beschwerdeführer wird seit XXXX 2020 in Schubhaft angehalten.

1.6. Eine für Mai 2021 organisierte Abschiebung des BF nach China scheiterte aufgrund eines positiven Tests des BF auf COVID-19 und der dadurch notwendigen Quarantäne samt wiederholter Tests. Die Abschiebung des BF ist nun unter Einhaltung der notwendigen Quarantäne und Tests auf COVID-19 für 20.08.2021 vorgesehen. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikates (HRZ) entfällt, das der BF über einen gültigen Reisepass verfügt.

1.7. Die Schubhaftprüfungen gemäß § 80 Abs. 6 FPG wurden vom Bundesamt am 12.05.2021, am 09.06.2021 und am 07.07.2021 durchgeführt und durch Aktenvermerke dokumentiert. Zwischenzeitlich war der BF in das Anhaltezentrum Vordernberg und von dort in ein PAZ nach Wien verlegt worden.

1.8. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht am 04.08.2021 die Akten gemäß §22a Abs. 4 BFA-VG zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft über das vierte Monat der Anhaltung hinaus vor und erstattete eine Stellungnahme.

1.9 Die Stellungnahme des Bundesamtes wurde dem BF zum Parteiengehör übermittelt. Es langte keine Stellungnahme des BF ein.

2. Zur Person des BF:

2.1 Der BF trägt die Identität XXXX , geboren am XXXX , StA.: China. Der BF verwendete bei seiner Asylantragstellung die Identität XXXX , geboren XXXX um die Behörden über seine wahre Identität zu täuschen. Seine Identität und Staatsangehörigkeit steht fest. Er verfügt über ein gültiges Reisedokument welches seine Identität zweifelsfrei bestätigt.

Der BF verfügt in Österreich weder über einen gesicherten Wohnsitz noch über wesentliche soziale oder familiäre Beziehungen. Der BF geht in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, hat in Österreich kein Einkommen und verfügt über kein zur Sicherung seiner Existenz ausreichendes Vermögen. Der BF verfügt aktuell über keine Barmittel (Stand 10.08.2021). Er hat in Österreich im Verborgenen Unterkunft genommen und sich nicht behördlich angemeldet.

2. Zu den Voraussetzungen der Schubhaft, zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

Der BF ist nicht Asylwerber oder subsidiär Schutzberechtigter.

Mit Mandatsbescheid des Bundesamtes vom XXXX 2021 wurde über den BF die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung verhängt und dem BF der Bescheid an diesem Tage übergeben. Der BF wird seit XXXX 2021 in Schubhaft angehalten.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX 2019 wurde dem BF kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach China zulässig ist und eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Es besteht gegen den Beschwerdeführer daher eine rechtskräftige und durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme.

Der BF ist nicht vertrauenswürdig und nicht zuverlässig. Der BF gesteht zu, seine wahre Identität und sein Reisedokument bei seiner Asylantragstellung verborgen zu haben, um sich nach Möglichkeit einen Asylstatus erschleichen zu können. Dem BF ging es dabei darum, im Bundegebiet eine illegale Beschäftigung ausüben zu können. Der BF ist somit als nicht kooperativ einzustufen. Der BF hat sich seinem Asylverfahren entzogen und ist nach negativem Ausgang des Verfahrens untergetaucht. Der BF war unter seiner Alias-Identität in Bregenz bis 11.03.2019 behördlich gemeldet, danach scheint keine Meldung mehr auf.

Der Beschwerdeführer ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung.

Der BF verfügt über einen gültigen chinesischen Reisepass. Der BF hätte bereits im Mai 2021 nach China abgeschoben werden sollen, er lieferte jedoch einen positiven COVID-19 Test ab und musste in Quarantäne verbleiben. Die Abschiebung musste deshalb storniert werden. Unter Einhaltung der Quarantäne- und Testbestimmungen für die Einreise nach China ist die Abschiebung des BF für den 20.08.2021 geplant.

Eine relevante Änderung der Umstände seit Verhängung der Schubhaft im Hinblick auf deren maßgeblichen Voraussetzungen und deren Verhältnismäßigkeit liegt nicht vor.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die Akten des Bundesamtes und durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Zentrale Melderegister, in das Grundversorgungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres, jeweils mit der tatsächlichen als auch mit der Alias-Identität des BF.

2.1 Zum BF selbst:

Die Feststellungen zu den in Österreich geführten Identitäten des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, dem Zentralen Fremdenregister und der Anhaltedatei des BMI. Der BF gestand bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX 2021 vor der Verhängung der Schubhaft überraschend ehrlich zu, dass er bei seiner Asylantragstellung bewusst gelogen habe, um sich möglicherweise einen Asylstatus erschleichen zu können. Auch gab er zu, bewusst eine falsche Identität angegeben zu haben und seinen Reisepass verborgen zu haben. Die Feststellungen zur gänzlich fehlenden sozialen und beruflichen Integration und dem fehlenden Wohnsitz ergeben sich ebenfalls aus seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am XXXX 2021. Die Feststellungen zu seinen finanziellen Verhältnissen ergeben sich aus der Anhaltedatei des BMI. Die Tatsache, dass der BF im Bundesgebiet nie (legal) berufstätig war, ergibt sich aus einem Versicherungsdatenauszug. Zwar sind dort geringfügige Beschäftigungen unter der falschen Identität des BF ersichtlich, jedoch hat der BF diese nur durch seinen gefälschten slowakischen Personalausweis erzielt.

Die Feststellung zur Unterkunftnahme im Verborgenen ergibt sich aus dem ZMR, da mit seiner tatsächlichen Identität keine Meldung des BF – außer der Anhaltung im Polizeianhaltezentrum - aufscheint. Mit seiner Alias-Identität war der BF bis 19.03.2019 in Bregenz gemeldet, danach tauchte er nach negativem Ausgang des Asylverfahrens unter und veranlasste er bewusst seine behördliche Abmeldung. Demnach begründet auch das Zimmer in dem vom BF bei seiner Einvernahme erwähnten Gasthof, in dem er zeitweise gewohnt hat keinen gesicherten Wohnsitz, da der BF dort niemals gemeldet war.

2.2 Zum Verfahrensgang und zu den Voraussetzungen der Schubhaft:

Anhaltspunkte dafür, dass der BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, in Österreich Asylberechtigter oder subsidiär Schutzberechtigter ist, finden sich weder im Akt des Bundesamtes noch in den Akten des Bundesverwaltungsgerichtes. Es sind auch keine Ermittlungsergebnisse hervorgekommen, dass der BF nicht volljährig wäre.

Die Feststellungen zum Schubhaftbescheid und der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung mit ergeben sich widerspruchsfrei aus dem Verwaltungsakt.

Die Feststellung, wonach der BF haftfähig ist und keine die Haftfähigkeit ausschließende gesundheitliche Beeinträchtigungen oder Erkrankungen vorliegen, ergibt sich aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres, gegenteiliges wurde vom BF auch nicht vorgebacht.

2.3 Zum Sicherungsbedarf, zur Fluchtgefahr und zur Verhältnismäßigkeit:

Der genaue Einreisezeitpunkt lässt sich zwar nicht mehr genau feststellen, da der BF hierzu nur ungenaue Angaben macht. Es ist aber davon auszugehen, dass der BF im Laufe des Jahres 2016 unter Nutzung seines gefälschten slowakischen Personalausweises eingereist ist.

Der BF macht kein Geheimnis daraus, dass er die Behörden angelogen hat, um zu versuchen, sich unter einer falschen Identität einen Asylstatus zu erschleichen. Auch gesteht der BF in einer Einvernahme weiters zu, dass es ihm nur darum ging, im Bundesgebiet einer illegalen, gegen das AuslBG verstoßenden Beschäftigung nachgehen zu können, bei der er letztlich im Jänner 2018 auch betreten wurde. Seine falschen Angaben hiernach dienten nur dazu, seinen Aufenthalt und die illegale Beschäftigung zu verlängern. Als sein Asylverfahren negativ entschieden wurde, tauchte der BF sofort unter und entzog sich dem weiteren Verfahren, dies ebenfalls erneut mit dem Vorsatz weiter illegal erwerbstätig zu sein, wie der BF bei seiner Einvernahme am XXXX 2021 zugesteht. Der BF schreckte auch nicht davor zurück, einen gefälschten slowakischen Personalausweis zu nutzen um einer illegalen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Der BF ist daher angesichts dieser Vorgeschichte als nicht vertrauenswürdig und als unzuverlässig einzustufen.

Dass der Beschwerdeführer nicht gewillt ist, mit den Behörden zu kooperieren und sich an die Rechtsordnung in Österreich zu halten, ergibt sich aus seinem festgestellten bisherigen Verhalten und aus den unrichtigen Angaben zu seiner Identität. Das Gericht geht daher davon aus, dass der Beschwerdeführer bei einer Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und sich erneut vor den Behörden verborgen halten wird, soweit sich ihm die Möglichkeit zu einer erneuten illegalen Beschäftigung eröffnet. Die jetzige Kooperationsbereitschaft ist nämlich merkbar nur Ausfluss der Tatsache, dass der BF – wie er selbst bei seiner Einvernahme. vor dem Bundesamt angab – nun in Folge der Corona-Krise keine Anstellung mehr findet. Dies hat im BF nun doch den Wunsch zum Vorschein gebracht, nach China zurückkehren zu wollen. Für den Fall, dass der BF allerdings doch wieder eine Möglichkeit (bei einer Entlassung aus der Schubhaft) findet, einer illegalen Beschäftigung nachzugehen, geht das BVwG davon aus, dass sich diese Kooperationsbereitschaft so schnell wieder „in Luft auflöst“, wie sie entstanden ist.

Da der BF über ein gültiges Reisedokument verfügt (Kopie AS 45), ist keine HRZ-Beschaffung notwendig. Eine bereits organisiere Abschiebung für Mai 2021 musste aufgrund eines positiven COVID-19 Tests abgesagt werden (Anhaltedatei). Der BF wird nur für seine am 20.08.2021 geplante Abschiebung erneut einer Quarantäne samt Tests auf COVID-19 unterzogen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch

3.1.1. §§ 76 und 77 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

Schubhaft (FPG)


„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1.         in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2.         sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2.         eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

Dauer der Schubhaft (FPG)

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,
1.         drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2.         sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,
1.         die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2.         eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3.         der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4.         die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde

Anwendungsbereich (Rückführungsrichtlinie)

Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

Inhaftnahme (Rückführungsrichtlinie)

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, (…)

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf. 

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:
a.         mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,
b.         Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

3.1.2. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

3.2 Zum konkret vorliegenden Fall:

Aufgrund des § 22a Abs. 4 BFA-VG hat das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Nach rezenter Judikatur des VwGH (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0099, Rn. 14f) ist die Frist für das viermonatige Überprüfungsintervall nach § 22a Abs. 4 S 1 BFA-VG unter Außerachtlassung des § 32 Abs. 2 AVG unter Einrechnung des Tages der Inschubhaftnahme zu berechnen. Der BF wurde am XXXX 2021 in Schubhaft genommen und wird seitdem durchgehend in Schubhaft angehalten. Jener Tag an dem die Schubhaftdauer von vier Monaten im Sinne des ersten Satzes des § 22a Abs. 4 BFA-VG „überschritten“ wird ist somit der 13.08.2021. Die ggst. Überprüfung hat spätestens am Tag danach, also spätestes am 14.08.2021 zu ergehen. Gleichzeitig verbleibt dem BVwG ein Spielraum zur Entscheidung von einer Woche vor diesem Termin (VwGH aaO. Rn. 15). Die gegenständliche Entscheidung kann bzw. muss daher zwischen dem 07.08.2021 und dem 14.08.2021 ergehen.

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

3.2.1 Zu Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf:
Es liegt beim BF fortgesetzt Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf iSd § 76 Abs. 3 FPG vor.

Der Beschwerdeführer achtet die österreichische Rechtsordnung nicht, er ist im Hinblick auf seine Vorgeschichte nicht als kooperativ einzustufen. Der BF hat bewusst eine falsche Identität angegeben, um sich nach Möglichkeit damit einen Asylstatus zu erschleichen. Dabei ging es dem BF nur darum, eine illegale Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet ausüben zu können. Als sein Asylverfahren negativ beschieden wurde, tauchte der BF sofort unter und verblieb im Verborgenen im Bundesgebiet. Der BF schreckte auch nicht davor zurück, einen gefälschten slowakischen Personalausweis zu nutzen. § 73 Abs. 3 Z 1 FPG ist daher erfüllt.

Auch hat sich der BF seinem Asylverfahren nach dessen erstinstanzlich negativer Entscheidung durch Untertauchen im März 2019 entzogen, um im Verborgenen weiter eine illegale Erwerbstätigkeit ausüben zu können. Für den Fall dass der BF erneut Gelegenheit zu einer solchen Beschäftigung bekommt, ist davon auszugehen, dass er erneut untertauchen wird.
§ 76 Abs. 3 Z 3 FPG ist daher ebenfalls fortgesetzt erfüllt.

Der BF verfügt über keine substanziellen sozialen Beziehungen im Bundesgebiet. Er hat in Österreich keinen Wohnsitz, sondern hat bisher ausschließlich im Verborgenen gelebt. Er geht und ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit nach, hat kein Einkommen und verfügt über kein zur Sicherung seiner Existenz ausreichendes Vermögen. § 73 Abs. 3 Z 9 FPG ist daher ebenfalls fortgesetzt erfüllt.

Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem Beschwerdeführer ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. Der BF hat seine in diesem Fall ausgeprägte Vertrauensunwürdigkeit und seine Unzuverlässigkeit durch sein unkooperatives Verhalten demonstriert.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.2.3 Zur Verhältnismäßigkeit

Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich weder sozial noch familiär verankert. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Er ist beruflich nicht verwurzelt und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz.

Im Hinblick darauf, dass der BF zugesteht nur zur Aufnahme einer illegalen Erwerbstätigkeit eingereist zu sein, und nur zur Verlängerung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes zur weiteren Ausübung dieser illegalen Erwerbstätigkeit den Antrag auf internationalen Schutz gestellt zu haben, ist von einem erhöhten öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des BF auszugehen. Weiters hat der BF einen totalgefälschten slowakischen Personalausweis zum Nachweis des Zugangs zum Arbeitsmarkt verwendet und damit – ungeachtet der bisher nicht erfolgten Verurteilung durch ein Strafgericht – die Delikte der Urkundenfälschung bzw. Fälschung besonders geschützter Urkunden iSd §§ 223 Abs. 2 u. 224 StGB verwirklicht. Dabei ist gemäß § 76 Abs. 2a FPG jedes strafrechtlich relevante Fehlverhalten zu berücksichtigen und nicht nur tatsächliche strafrechtliche Verurteilungen.

Der BF wird seit XXXX 2021 in Schubhaft angehalten. Die Dauer der Anhaltung des BF in Schubhaft ist maßgeblich darauf zurückzuführen, dass eine bereits für Mai 2021 geplante Abschiebung abgesagt werden musste, weil der BF einen positiven Test auf COVID-19 abgeliefert hat, wie sich aus der Anhaltedatei ergibt. Der BF musste daraufhin bis Anfang Juni in Quarantäne. Unter Einhaltung der Reisebestimmungen für China wurde nun die Abschiebung des BF für den 20.08.2021 organisiert, der BF verfügt über einen gültigen Reisepass. Die absehbare weitere Dauer der Anhaltung in Schubhaft ist nach derzeitigem Stand - kooperatives Verhalten des BF vorausgesetzt - mit wenigen Tagen einzustufen und eine Abschiebung aus derzeitiger Sicht sohin innerhalb der gesetzlichen Schubhafthöchstdauer sehr zeitnah realistisch. Eine bereits jetzt klar sichtbare bestehende faktische Unmöglichkeit oder Unwahrscheinlichkeit der Abschiebung des BF ist aufgrund der oben erörterten Lageeinschätzung derzeit nicht gegeben.

Unter Berücksichtigung dieser weiteren Umstände bleibt im Zuge der durchzuführenden Abwägung festzuhalten, dass aufgrund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens (bewusst falsche Angaben bei seinem Asylantrag, Unwilligkeit mit den Behörden zu kooperieren, Untertauchen nach negativer Entscheidung seines Asylantrags zur Fortsetzung der illegalen Beschäftigung), das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung und eines geordneten Fremdenwesens das Interesse des BF am Schutz der persönlichen Freiheit seiner Person weiterhin überwiegt und auch der Gesundheitszustand des BF der weiteren Anhaltung in Schubhaft nicht entgegensteht.

Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung.

Das Bundesverwaltungsgericht geht sohin davon aus, dass die seit XXXX 2021 aufrechte Schubhaft im Entscheidungszeitpunkt auch weiterhin das Kriterium der Verhältnismäßigkeit erfüllt. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist zudem jedenfalls gewährleistet, dass eine allfällige weitere längere Anhaltedauer aufgrund Erfolglosigkeit oder Absage der Abschiebung am 20.08.2021 und damit auch die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft einer neuerlichen gerichtlichen Überprüfung zu unterziehen sein wird. Dabei wird abermals eine Prognoseentscheidung hinsichtlich einer zeitnahen Effektuierung der Außerlandesbringung des BF durchzuführen sein.

Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens und angesichts fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht, soweit der BF erneut Gelegenheit erhält, eine illegale Beschäftigung auszuüben. Darüber hinaus verfügt der BF auch nicht über nennenswerte Vermögenswerte oder Bargeld, die er als Sicherheit beibringen könnte.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, als eine gesicherte Außerlandesbringung des BF zu gewährleisten.

Zu B:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Dies ist der Fall wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Abschiebung falsche Angaben Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Identität illegale Beschäftigung Mittellosigkeit öffentliche Interessen Pandemie Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen Urkundenfälschung Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2245013.1.00

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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