TE Bvwg Beschluss 2021/8/16 W129 2245239-1

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Veröffentlicht am 16.08.2021
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Entscheidungsdatum

16.08.2021

Norm

AVG §58 Abs2
AVG §60
B-VG Art133 Abs4
SchPflG 1985 §11
StGG Art17
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W129 2245239-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter DDr. Markus GERHOLD über die Beschwerde von XXXX , als gesetzliche Vertreterin der mj. Schülerin XXXX gegen den Bescheid der Bildungsdirektion für Tirol vom 22.07.2021, Zl. 800.10/0149-allg/2021:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Tirol zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Mit einem von der belangten Behörde aufgelegten Formular zeigte die Beschwerdeführerin am 20.04.2021 die Teilnahme ihrer am XXXX geborenen Tochter XXXX (Kind) am häuslichen Unterricht (4. Schulstufe bzw. 4. Klasse Volksschule) für das Schuljahr 2021/2022 an.

2. Mit dem bekämpften Bescheid untersagte die belangte Behörde den angezeigten häuslichen Unterricht und verfügte, dass das Kind im Schuljahr 2021/2022 seine Schulpflicht an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule zu erfüllen habe. Begründend wird zusammengefasst ausgeführt, dass aus der Anzeige nicht hervorgehe, dass häuslicher Unterricht erteilt werde, da in der Anzeige angeführt werde, dass der Unterricht „in einer Lerngemeinschaft“ stattfinden solle. Die belangte Behörde habe Grund zur Annahme, dass es sich um eine Privatschule handle, für die keine Errichtungsanzeige erfolgt sei. Aus diesem Grund sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Unterricht nicht mit jenem an einer öffentlichen oder mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten Schule gleichwertig sei.

3. Mit Schreiben vom 29.07.2021 erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig die verfahrensgegenständliche Beschwerde. Begründend monierte die Beschwerdeführerin zusammengefasst, dass die belangte Behörde keinerlei Ermittlungen getätigt habe und ihre Entscheidung rechtswidrig auf haltlose Annahmen gestützt habe. Lerngemeinschaft bedeute eine lose Verbindung von Eltern, deren Kinder sich im häuslichen Unterricht befänden und nicht, dass Unterricht in einer privaten Unterrichtsanstalt geplant sei.

4. Einlangend mit 11.08.2021 legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin zeigte am 20.04.2021 die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 an. In dem von der belangten Behörde aufgelegten Formular wurde zur Planung der Unterrichts Folgendes angeführt: „Lehrpläne nach BMBWF/ris[k].bka.gv.at; Bestellung regulärer Schulbücher; Meine Tochter […] wird in einer Lerngemeinschaft unterrichtet. Die Lernbegleiter/innen besitzen hervorragende und vielseitige Qualifikationen.“

In einer weiteren Formularanzeige am 26.07.2021 übermittelte die Beschwerdeführerin das Jahres- und Abschlusszeugnis des Kindes über die 3. Klasse Volksschule, ergänzte als Personen, die den häuslichen Unterricht durchführen: „Mutter, Vater, Familienverband, bei Bedarf Nachhilfepädagogen“ und führte weiter aus: „Wir lernen nach den geltenden Lehrplänen des Bildungsministeriums in Kombination mit den Schulbüchern. Bestellung der regulären Schulbücher in der Sprengelschule.“

Im behördlichen Verfahren wurden notwendige Ermittlungen des Sachverhalts nicht einmal ansatzweise geführt. Ein abschließender, für die Beurteilung der verfahrensgegenständlichen Rechtslage relevanter Sachverhalt konnte nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem von der belangten Behörde vorgelegten rudimentären Verwaltungsakt. Neben dem bekämpften Bescheid besteht der Akt, abschließend aufgezählt, aus der Bescheidbeschwerde, einem Zustellnachweis des bekämpften Bescheides, dem verfahrensmaßgeblichen Antragsformular der Beschwerdeführerin samt Schulnachricht, sowie der nachgereichten Anzeige vom 26.07.2021 samt Jahreszeugnis des Kindes über die 3. Klasse Volksschule.

Die Feststellungen zum rechtserheblichen Sachverhalt konnten aufgrund der Aktenlage nicht erfolgen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten kommt im Verfahren nach dem Schulpflichtgesetz Parteistellung zu (siehe Jonak/Kövesi Das Österreichische Schulrecht14, Anm. 2 zu § 6 SchPflG, S. 491).

3.2. Zu A)

3.2.1. Art. 17 Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger (StGG), RGBl. Nr. 142/1867, garantiert die Freiheit des häuslichen Unterrichts auf jedem theoretischen Wissensgebiet ohne jede Beschränkung (vgl. VfGH Slg. Nr. 4579 und 4990). Es ist dem Gesetzgeber verwehrt, die Erteilung häuslichen Unterrichts irgendwelchen Beschränkungen zu unterwerfen. Die Regelungen des Schulpflichtgesetzes beziehen sich daher ausschließlich auf die Frage, ob ein Kind durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht bereits seine Schulpflicht erfüllt, oder ob es dazu des Besuches einer allgemeinen Pflichtschule bedarf (vgl. VwGH 29.01.2009, 2008/10/0332 m.w.N.).

Nach § 11 Abs. 2 SchPflG kann die allgemeine Schulpflicht durch die Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht jenem an einer im § 5 genannten Schule – ausgenommen den Polytechnischen Lehrgang – mindestens gleichwertig ist.

Gemäß Abs. 3 leg. cit. haben die Eltern oder sonstige Erziehungsberechtigte die Teilnahme ihres Kinder am häuslichen Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor Beginn des Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die im Abs. 1 oder 2 geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichtes nicht gegeben ist oder wenn gemäß Abs. 2a eine öffentliche Schule oder eine mit dem Öffentlichkeitsrecht ausgestattete Schule mit gesetzlich geregelter Schulartbezeichnung zu besuchen ist.

3.2.2. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Diese Vorgangsweise setzt voraus, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht nicht im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Der angefochtene Bescheid ist aus folgenden Gründen mangelhaft:

In seinem Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Zl. Ro 2014/03/0063, hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG insbesondere dann in Betracht kommen wird, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, S. 127 und S. 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang [Hrsg], Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, S. 65 und S. 73 f.).

Die belangte Behörde hat keine entscheidungsrelevanten Feststellungen getroffen und somit willkürlich die Teilnahme des Kindes am häuslichen Unterricht im Schuljahr 2021/2022 untersagt. Das Begründungselement, wonach kein häuslicher Unterricht, sondern der Unterricht an einer nicht angezeigten Privatschule stattfinden soll, lässt sich aus dem Akteninhalt nicht nachvollziehen, die belangte Behörde geht dabei ohne nähere Beweisaufnahme von bloßen Annahmen aus.

Der Bescheid entspricht dabei auch nicht den sich aus § 58 Abs. 2 AVG und § 60 AVG ergebenden Erfordernissen, in der Begründung in eindeutiger, einer nachprüfenden Kontrolle zugänglichen Weise aufzuzeigen, von welchen konkreten Sachverhaltsannahmen die Behörde bei ihrem Bescheid ausgegangen ist und worauf sich die getroffene Tatsachenfeststellung im Einzelnen stützt (vgl. VwGH vom 02.04.1998, 96/10/0093).

3.2.3. Da somit die erforderlichen entscheidungswesentlichen Feststellungen nicht getroffen wurden, ist der Sachverhalt in wesentlichen Punkten ergänzungsbedürftig geblieben. Es kann auch nicht gesagt werden, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben.

Der Bescheid war daher nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Bildungsdirektion für Tirol zurückzuverweisen.

3.2.4. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde ein ordentliches Ermittlungsverfahren durchzuführen haben und iSd § 11 Abs. 3 SchPflG festzustellen haben, ob mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, ob der häusliche Unterricht in der geplanten Form, die gesetzlich geforderte Gleichwertigkeit aufweist. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist anzunehmen, dass die Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichtes im Vergleich zu dem in einer öffentlichen Schule nicht gegeben ist, wenn gewichtigere Gründe gegen die Gleichwertigkeit sprechen als für die Gleichwertigkeit. Ist mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der häusliche Unterricht dem an einer im § 5 Schulpflichtgesetz 1962 genannten Schule nicht gleichwertig ist, dann steht es im freien Ermessen der belangten Behörde, die Teilnahme am häuslichen Unterricht zu untersagen (siehe VwGH vom 25.02.1971, 2062/70).

3.2.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z. 1 VwGVG Abstand genommen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben war.

3.2.5. Mit der gegenständlichen Aufhebung des angefochtenen Bescheides erübrigt sich ein gesonderter Abspruch über die aufschiebende Wirkung.

3.4. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen - unter Punkt 3.2. dargestellten - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Ermittlungspflicht Gleichwertigkeit häuslicher Unterricht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W129.2245239.1.00

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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