TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/19 L525 2187956-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 19.08.2021
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Entscheidungsdatum

19.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


L525 2187956-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Johannes ZÖCHLING als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA: Pakistan, vertreten durch die BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.02.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.07.2021, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer - ein pakistanischer Staatsbürger - stellte am 05.03.2017 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, er sei von den Taliban aufgrund seiner Tätigkeit als Dolmetscher mit dem Tod bedroht worden. Einmal sei er von den Taliban entführt und gefoltert worden. Aus Angst um sein Leben habe er das Land verlassen. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er den Tod durch den Taliban. Konkrete Hinweise auf eine drohende unmenschliche Behandlung, unmenschliche Strafe oder die Todesstrafe in Pakistan gebe es nicht. Der Beschwerdeführer sei vor ca. einem Jahr legal nach Zypern ausgereist und am 05.03.2017 illegal nach Österreich gekommen, weil es hier sicher sei und er sich fortbilden möchte.

Am 10.01.2018 wurde der Beschwerdeführer durch das BFA niederschriftlich einvernommen. Er gab an, den Dolmetscher zu verstehen und sei psychisch und physisch in der Lage, Angaben zum Asylverfahren zu machen. Zu seinem Gesundheitszustand befragt gab der Beschwerdeführer an, im Zeitpunkt seiner Einreise nach Österreich ein paar Mal bewusstlos gewesen zu sein. Seit ca. einem Monat gehe es ihm wieder gut. Er nehme weder Medikamente noch Drogen oder anderwärtige Suchtmittel ein. Der Beschwerdeführer legte diesbezüglich zwei neurologische Befunde des Universitätsklinikums XXXX vom 08.07.2017 vor.

Hinsichtlich seiner Fluchtgründe bestätigte der Beschwerdeführer seine Angaben in der Erst-befragung und führte ergänzend aus, er habe im Swat einige Zeit als Dolmetscher auf einem international tätigen College gearbeitet. Als sich die Sicherheitslage wegen der Taliban Ende 2008, Anfang 2009 verschlechtert habe, hätten die Taliban das Büro, in welchem der Direktor, ein weiterer Mitarbeiter und er gearbeitet hätten, im Jahr 2012 oder 2013 mit einem Drohbrief bedroht. Sie sollten mit ihrer Arbeit aufhören und das Büro zusperren. Trotz des Drohbriefs hätten sie das Büro aber nicht geschlossen. Bei einem Seminar im Jahr 2013 oder 2014 sei der Chef des Beschwerdeführers bedroht worden. Am nächsten Tag seien der Chef, ein anderer Mitarbeiter und er von den Taliban entführt worden. Die Taliban hätten sie bedroht und ihnen gesagt, dass sie das Büro schließen und keinen Kontakt mit dem Ausland, insbesondere nicht zu England unterhalten sollten. Der Beschwerdeführer sei ca. 16 Tage bei den Taliban aufhältig gewesen und gefoltert worden. Nach seiner Freilassung sei er mit seiner Familie nach Mardan gezogen. Dort habe er ca. ein Jahr als Dolmetscher bei einer non-governmental organisation (im Folgenden kurz: „NGO“) für Frauenrechte gearbeitet und sich sicher gefühlt bis die Taliban ca. ein Jahr später wieder von seiner Beschäftigung bei der NGO erfahren hätten. Aus Angst vor den Taliban sei der Beschwerdeführer zu Verwandten gezogen. Am 10.02.2016 um 03.00 Uhr früh sei das Haus von seinem Schwager angegriffen worden, wobei sein Schwager, dessen Schwester und Mutter erschossen worden seien. Der Onkel des Schwagers sei ein bewaffneter Kommandant gewesen und habe den Beschwerdeführer für den Tod seiner Verwandten verantwortlich gemacht. Aus Angst vor dem Onkel seines Schwagers und den Taliban sei der Beschwerdeführer nach Zypern geflüchtet. Dort hätte er Angst vor einer Abschiebung gehabt und deshalb keinen Asylantrag gestellt. Er habe Zypern verlassen und sei illegal nach Österreich gereist.

Nachgefragt, weshalb er nicht in den Punjab gezogen sei, meinte er, er könne wegen den Verwandten seines Schwagers nirgendwo leben. Wegen der Taliban vielleicht schon, wegen dem Onkel seines Schwagers nicht. Im Falle seiner Rückkehr nach Pakistan hätte der Beschwerdeführer Angst um sein Leben, insbesondere vor den Taliban und dem Onkel seines Schwagers. Österreich sei sein Zielland gewesen, damit er sich hier fortbilden und weiter studieren könne. Weder seine Familie noch er hätten je wirtschaftliche Probleme in Pakistan gehabt. Er wolle in Österreich bleiben, weil sein Leben in Gefahr sei und er hier Schutz bekomme. Nach Pakistan könne er nur zurückkehren, wenn dort keine Gefahr mehr für sein Leben bestünde. Persönliche Probleme aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, Religion, mit staatlichen Behörden, Gerichten oder der Polizei habe der Beschwerdeführer bisher nicht gehabt.

Im Zuge der Einvernahme legte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über das abgelegte Österreichische Sprachdiplom Deutsch A2 vom 05.10.2017, zwei Integrationsschreiben vom 03.08.2017 und 11.08.2017, ein Schreiben betreffend die Beschäftigung des Beschwerde-führers bei der NGO „ XXXX “ (kurz: „ XXXX “) in Mardan, Unterlagen betreffend ausländische Austauschprogramme (Englischkurse) des „ XXXX “ für pakistanische Studenten u.a. in Zypern, England und Australien sowie drei Ausdrucke in der Sprache Urdu vor. Am 11.01.2018 übermittelte der Beschwerdeführer außerdem eine Kopie des besagten Drohbriefs der Taliban vom 26.06.2013 samt deutscher Übersetzung.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 09.02.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Pakistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer hätte weder eine Verfolgung seiner Person durch die Taliban noch durch die Familie seines Schwagers oder eine wohlbegründete Furcht vor einer derartigen Verfolgung, die Duldung einer solchen durch staatliche Behörden oder Dritte in Pakistan glaubhaft machen können. So sei der Beschwerdeführer nie konkret von der Familie seines Schwagers bedroht worden und habe dieses Vorbringen auch nicht in der Erstbefragung erwähnt. Die persönliche Verfolgung durch die Taliban sei nicht glaubhaft, da sich der Beschwerdeführer mehrere Jahre unbehelligt in Mardan aufhalten habe können, ohne persönlich bedroht worden zu sein. Abgesehen davon hätte eine Anfrage an die Staatendokumentation ergeben, dass Drohbriefe nicht an die herkömmliche Bevölkerung, sondern nur an Personen mit Einfluss auf die Regierung und Verwaltung (Gemeinden) verschickt werden würden, wozu der Beschwerdeführer nicht gehöre. Stichhaltige Gründe für die Annahme einer unmenschlichen Behandlung, Strafe
oder Todesstrafe im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan seien überdies nicht vorgelegen. Da auch kein Familienleben, schutzwürdiges Privatleben oder eine berücksichtigungswürdige Integration in Österreich stattgefunden habe, sei auch kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen und der Beschwerdeführer nach Pakistan abzuschieben gewesen.

Mit Schriftsatz vom 23.02.2018 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an
das Bundesverwaltungsgericht. Darin brachte er erneut die genannten Fluchtgründe vor und führte ergänzend aus, während seiner Beschäftigung bei der NGO einmal Opfer von Misshandlungen durch die Taliban geworden zu sein. Zudem wies er auf die schlechte Sicherheitslage in Pakistan aufgrund der Terrorakte durch die Taliban hin. Im Falle seiner Abschiebung sei sein Leben oder die Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines innerstaatlichen Konflikts nach Art. 2 und 3 EMRK ernsthaft bedroht. Im Falle seiner Rückkehr sei der Beschwerdeführer ständiger Bedrohung, struktureller Gewalt und unmittelbaren Einschränkungen sowie einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Der Beschwerdeführer lerne in Österreich Deutsch um eines Tages einer Beschäftigung nachgehen zu können. Er besuche die Schule und habe sich integriert, weshalb ihm zumindest der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen sei. Aufgrund unzureichender Sachverhaltsermittlungen beantrage der Beschwerdeführer erneut die Darlegung und Glaubhaftmachung seiner Fluchtgründe im Rahmen einer mündlichen Verhandlung.

Am 28.02.2018 legte die belangte Behörde den Akt dem Bundesverwaltungsgericht vor.


Am 27.05.2021 übermittelte das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer die aktuellen Länderinformationen zu Pakistan mit der Möglichkeit, bis spätestens eine Woche vor der mündlichen Verhandlung eine Stellungnahme abzugeben.

In der Stellungnahme vom 01.07.2021 brachte die rechtsfreundliche Vertretung wiederholt die Verfolgung des Beschwerdeführers durch die Familie seines Schwagers und die Taliban vor, wobei sie insbesondere auf die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers als Dolmetscher und die - von den Taliban unterstellte - oppositionelle politische Gesinnung hinwies. So sei der Beschwerdeführer nur deshalb bedroht und gefoltert worden, weil er in Swat auf einem College gearbeitet habe, welches vom Ausland unterstützt worden sei. Auch in Mardan sei der Beschwerdeführer von den Taliban aufgrund seiner Beschäftigung bei einer NGO für Frauenrechte verfolgt und deshalb seien mehrere Verwandte getötet worden. Der Beschwerdeführer sei daher aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch die Taliban sowie den Onkel des getöteten Schwagers, welcher ihn für den Tod seiner Verwandten verantwortlich mache, geflüchtet. Zudem werde der Beschwerdeführer in Pakistan aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Paschtunen diskriminiert. Angesichts der angespannten humanitären Lage aufgrund der Covid-19-Pandemie sei überdies nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in eine hoffnungslose existentielle Notlage gerate.

In der mündlichen Verhandlung am 09.07.2021 erschienen der Beschwerdeführer mit seiner rechtsfreundlichen Vertretung sowie eine gerichtlich bestellte Dolmetscherin für die Sprache Paschto. Der Behördenvertreter erschien entschuldigt nicht. Im Zuge der Verhandlung brachte das erkennende Gericht der rechtsfreundlichen Vertretung die aktuellen Zahlen der WHO zur Covid-19-Pandemie in Pakistan zur Kenntnis. Eine Stellungnahme erfolgte diesbezüglich nicht. Die rechtsfreundliche Vertretung legte überdies folgende Unterlagen vor: drei Bestätigungen über die erfolgreiche Teilnahme des Beschwerdeführers an der österreichischen Cricket Bundesliga von 2019 bis 2021, eine Rechnung samt Einzahlungsbestätigung betreffend die Anmeldung zur Integrationsprüfung B1 am 19.08.2021, eine Einstellungszusage betreffend die Beschäftigung bei der Firma „ XXXX “, diverse Unterlagen betreffend die Anmeldung und Endigung von Gewerbeberechtigungen des Beschwerdeführers in Österreich, Entgeltabrechnungen der Firma „ XXXX “ für den Zeitraum September bis November 2019 sowie eine Einstellungszusage der Firma „ XXXX “ betreffend die Beschäftigung des Beschwerdeführers als Küchenhelfer.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, ein pakistanischer Staatsbürger, trägt den im Spruch angeführten Namen und wurde am dort angeführten Datum geboren. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer bekennt sich zum sunnitischen Islam und zur Volksgruppe der Paschtunen. Er stammt aus Mardan, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, und ist in der Stadt Mingora in der Region Swat aufgewachsen. Seine Familie lebt in Pakistan. Er ist gesund.

Der Beschwerdeführer besuchte insgesamt vierzehn Jahre lang die Schule, wobei er auch ein College besuchte. Er arbeitete als Dolmetscher auf einem College in Swat. Von 15.01.2015 bis 05.02.2016 war er als Dolmetscher in einer NGO in Mardan tätig.

Am 28.02.2016 reiste der Beschwerdeführer legal mit einem bis 28.09.2016 gültigen (nicht weiter verlängerten) Studentenvisum nach Zypern. Am 19.11.2016 verließ er Moldawien mit dem Flugzeug. Am 05.03.2017 reiste der Beschwerdeführer illegal nach Österreich ein.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Pakistan einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Verfolgung, Bedrohung oder sonstigen Gefährdung ausgesetzt war oder er im Falle seiner Rückkehr dorthin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer solchen ausgesetzt wäre. Es steht auch nicht fest, dass der Beschwerdeführer um sein Leben zu fürchten hat.

Weiters kann unter Berücksichtigung aller bekannten Umstände nicht festgestellt werden, dass eine Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Pakistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit mit sich bringen würde.

1.3. Zum Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit März 2017 in Österreich. Er ist ledig, hat keine Kinder und befindet sich aktuell in keiner Lebensgemeinschaft. Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich, sehr wohl aber soziale Kontakte hier. Er ist arbeitsfähig.

Seit 14.03.2017 bezieht der Beschwerdeführer Leistungen aus der Grundversorgung. Von September 2019 bis November 2019 war er als Umzugshelfer und Autowäscher für die Firma „ XXXX “ selbständig erwerbstätig. Aktuell verfügt der Beschwerdeführer über zwei Einstellungszusagen der Firmen „ XXXX “ (Arbeiter im Bereich Abbruch und Entsorgung, Umzug und Entrümpelung) und „ XXXX “ (Küchenhilfe).

Am 05.10.2017 absolvierte der Beschwerdeführer einen A2 Deutschkurs. Derzeit ist er für die Ablegung der Integrationsprüfung B1 angemeldet. Der Beschwerdeführer spielt Cricket, trainiert ehrenamtlich eine Mädchenmannschaft und hat in den Jahren 2019 bis 2021 an der österreichischen Cricket Bundesliga teilgenommen. Er ist unbescholten.

1.4. Länderfeststellungen:

Politische Lage


Pakistan ist ein Bundesstaat mit den vier Provinzen Punjab, Sindh, Belutschistan und Khyber-

Pakhtunkhwa sowie dem Hauptstadtterritorium Islamabad (AA 25.9.2020). Die vormaligen FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete unter Bundesverwaltung) sind nach einer Verfassungsänderung im Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa eingegliedert worden (ET 25.5.2018). Daneben kontrolliert Pakistan die Gebiete Gilgit-Baltistan und Azad Jammu & Kashmir auf der pakistanisch verwalteten Seite Kaschmirs (AA 25.9.2020).


Pakistan ist gemäß seiner Verfassung eine parlamentarische Demokratie. Seit der Unabhängigkeit wurde die demokratische Entwicklung jedoch mehrfach von längeren Phasen der Militärherrschaft unterbrochen. Zuletzt kehrte Pakistan 2008 zur Demokratie zurück. Bei den Parlamentswahlen am 25.7.2018 gewann die bisherige Oppositionspartei Pakistan Tehreek-e-Insaf (PTI). Seit August 2018 führt PTI-Chef Imran Khan als Premierminister eine Koalitionsregierung an (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Die Wahlbeobachtermission der EU beurteilte den Wahlverlauf am Wahltag als transparent und gut durchgeführt. Allerdings waren Journalisten und Medien von starken Einschränkungen und Beschneidungen der Meinungsfreiheit betroffen, was zu einem außerordentlichen Maß an Selbstzensur geführt hat. Auch wurde im Vorfeld der Wahl systematisch versucht, die frühere Regierungspartei durch Fälle von Korruption, Missachtung des Gerichts und Anschuldigungen gegen ihre Führer und Kandidaten zu untergraben (EU-EOM 27.7.2018). Unabhängige Beobachter berichten von technischen Verbesserungen beim Wahlablauf, jedoch war die Vorwahlzeit geprägt von Einflussnahmen durch Militär und Nachrichtendienste (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 28.7.2018). Zudem wurde die Wahl überschattet von einer Reihe gewalttätiger Zwischenfälle in verschiedenen Provinzen; von Strafverfahren, die gegen Mitglieder der Regierungspartei eingeleitet worden waren; und vom Vorwurf des Premierministers, das Militär habe sich eingemischt (EASO 10.2019).

Das pakistanische Parlament besteht gemäß der Verfassung von 1973 aus zwei Kammern. Die Nationalversammlung hat insgesamt 342 Mitglieder, wobei 60 Sitze für Frauen und 10 für Nicht-Muslime reservierte sind. Die Sitze in der Nationalversammlung werden den einzelnen Provinzen auf der Grundlage der Bevölkerungszahl zugewiesen, die in der letzten vorher-gehenden Volkszählung offiziell veröffentlicht wurde (NAP o.D).

Das pakistanische Militär ist ein wichtiger Akteur in der pakistanischen Politik, insbesondere

in den Bereichen innere Sicherheit, Außenpolitik und Wirtschaft. In den ersten Monaten des

Jahres 2019 haben die wirtschaftlichen Probleme des Landes (höhere Steuern und steigende

Inflation) die Regierung unter Druck gesetzt. Anfang 2018 entstand in Pakistan die Paschtunische Tahafuz-(Schutz-)Bewegung (PTM), eine Bürgerrechtsbewegung, die sich für die Rechte der paschtunischen Minderheit des Landes einsetzt (EASO 10.2019).

Die im September gegründete PDM (Demokratische Bewegung Pakistan) plant landesweite Proteste gegen die Regierung unter Premierminister Imran Khan. Elf Parteien unterschiedlicher politischer Strömungen haben sich dem Bündnis angeschlossen. Die Politiker fordern unter anderem eine Neuwahl und Khans Rücktritt (ORF 25.10.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (25.9.2020): Pakistan: Politisches Porträt, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/politisches-portraet/205010; Zugriff 15.10.2020

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BBCbe_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_ %28Stand _Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 15.10.2020

• EASO – European Asylum Support Office (10.2019): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2019113/2019_EASO_Pakistan_Security_Situation_Report.pdf , Zugriff 16.10.2020

• EUEOM – European Union Election Observation Mission Islamic Republic of Pakistan (27.7.2018): Preliminary Statement - Positive changes to the legal framework were overshadowed by restrictions on freedom of expression and unequal campaign opportunities, https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/eu_eom_pakistan_2018_-_preliminary_statement_ on_25_july_elections.pdf, Zugriff 15.10.2020

• ET – The Express Tribune (25.5.2018): Senate passes FATA-KP merger bill with 71-5 vote, https://tribune.com.pk/story/1718734/1-ppp-pti-set-throw-weight-behind-k-p-fata-merger-bill-senate/, Zugriff 15.10.2020

• HRW – Human Rights Watch (28.7.2018): Controversial Election in Pakistan, https://www.hrw.org/news/2018/07/28/controversial-election-pakistan, Zugriff 15.10.2020

• NAP – National Assembly of Pakistan [Pakistan] (o.D): About the National Assembly, http://www.na.gov.pk/en/composition.php, Zugriff 15.10.2020

• ORF (25.10.2020): Zehntausende versammeln sich in Pakistan gegen Regierung, https://orf.at/stories/3186671/, Zugriff 27.10.2020

• USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026342.html, Zugriff 15.10.2020

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Sicherheitslage in Pakistan ist landesweit unterschiedlich und wird von verschiedenen Faktoren wie politischer Gewalt, Gewalt von Aufständischen, ethnischen Konflikten und konfessioneller Gewalt beeinflusst. Die Sicherheitslage im Inneren wird auch von Auseinandersetzungen mit den Nachbarländern Indien und Afghanistan beeinflusst, die gelegentlich gewalttätig werden (EASO 10.2020).

Pakistan dient weiterhin als sicherer Hafen für bestimmte regional ausgerichtete terroristische

Gruppen. Es erlaubt Gruppen, die gegen Afghanistan gerichtet sind, einschließlich der afghanischen Taliban und der mit ihnen verbundenen HQN [Anm.: the Haqqani Network], sowie Gruppen, die gegen Indien gerichtet sind, einschließlich LeT [Anm.: Lashkar-e Taiba] und der mit ihr verbundenen Frontorganisationen und JeM [Anm.: Jaish-e Muhammad], von seinem Territorium aus zu operieren (USDOS 24.6.2020). Andererseits führen Armee und Polizei auch weiterhin Kampagnen gegen militante und terroristische Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; vgl. AA 29.9.2020). Die Operation Radd-ul-Fasaad des Militärs, die 2017 begonnen wurde, wurde das ganze Jahr 2019 über fortgesetzt. Radd-ul-Fasaad ist eine landesweite Antiterrorismuskampagne mit dem Ziel, die Errungenschaften der Operation Zarb-e-Azb (2014-2017) zu konsolidieren, mit der ausländische und einheimische Terroristen in den ehemaligen FATA bekämpft wurden. Die Sicherheitsbehörden schwächen terroristische Gruppen auch, indem sie mutmaßliche Terroristen und Bandenmitglieder festnehmen, welche den Militanten angeblich logistische Unterstützung leisten (USDOS 11.3.2020).

Terroristische Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch (nicht)-staatliche Akteure tragen zu Menschenrechtsproblemen bei. Angriffe von militanten und terroristischen Gruppen, darunter die pakistanischen Taliban (TTP; Tehrik-e-Taliban Pakistan), Lashkar-e-Jhangvi und die Provinz Chorasan im islamischen Staat (ISIS-K), richten sich gegen Zivilisten, Journalisten, Gemeindeführer, Sicherheitskräfte, Vollzugsbeamte und Schulen. Hunderte von Menschen wurden 2019 durch Sprengsätze, Selbstmordattentate und andere Formen der Gewalt getötet oder verletzt. Angriffe der genannten Gruppen richten sich häufig gegen religiöse Minderheiten (USDOS 11.3.2020).

Tatsächlich ist seit 2009 ein allmählicher Rückgang der Terroranschläge und der Zahl der Opfer zu verzeichnen. Kontinuierliche Einsatz- und Überwachungskampagnen der Sicherheitskräfte gegen militante Gruppen und polizeiliche Antiterrorabteilungen sowie einige Antiextremismusmaßnahmen im Rahmen des Nationalen Aktionsplans, haben dazu beigetragen, diesen rückläufigen Trend ab 2013 aufrechtzuerhalten (USDOS 24.6.2020). Auch 2019 war das Maß an Gewalt geringer, als in den vergangenen Jahren. Dies steht mit einem allgemeinen Rückgang der terroristischen Aktivitäten in Zusammenhang (USDOS 11.3.2020). Die Zahl sicherheitsrelevanter Zwischenfälle ist also weiter rückläufig, bei gleichzeitiger Stagnation in einigen Landesteilen.

Laut dem Think Tank Pakistan Institute for Peace Studies (PIPS) gab es im Jahr 2019 insgesamt

229 Terroranschläge in Pakistan (13% weniger verglichen mit 2018), bei denen 357 Personen

ums Leben gekommen sind (40% weniger als 2018). Größte Unruheherde bleiben die ehemaligen Stammesgebiete (besonders Nordwaziristan) und Belutschistan. Die aktivsten gegen den pakistanischen Staat gerichteten Terrorgruppen sind die TTP sowie belutschische Separatisten (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 24.6.2020). Beide verübten in den vergangenen Monaten eine Serie von tödlichen Anschlägen auf Sicherheitskräfte (AA 29.9.2020). Auch ISIS-K ist aktiv. Separatistische militante Gruppen führen Terroranschläge gegen verschiedene Ziele in den Provinzen Belutschistan und Sindh durch (USDOS 24.6.2020). Gewisse Teile von Belutschistan und dem pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet sind weiter nicht gänzlich unter staatlicher Kontrolle. Dies begünstigt neben dem Terrorismus auch den Schmuggel sowie Menschen- und Drogenhandel (AA 29.9.2020).

Insgesamt dokumentierte PIPS im Jahr 2019 433 Vorfälle von Gewalt. Die Gesamtzahl der Gewaltvorfälle führte zu 588 Todesopfer und 1.030 Verletzte. Mehr als die Hälfte der Gewaltvorfälle (229 Vorfälle) wurden laut PIPS als terroristische Angriffe bezeichnet. Im Vergleich zu 2018 ist die Zahl der gewalttätigen Vorfälle um etwa 15 % zurückgegangen (EASO 10.2020).

Es besteht jedoch weiterhin landesweit – auch in den Großstädten Islamabad, Rawalpindi, Lahore, Karachi – eine Gefahr für terroristische Anschläge seitens der TTP sowie religiös motivierter oder separatistischer Gruppen, insbesondere durch Sprengstoffanschläge und Selbstmordattentate. Die Terroranschläge richten sich vor allem gegen Streitkräfte, Sicherheitsdienste, Polizei, Märkte, Einrichtungen der Infrastruktur sowie gegen religiöse Stätten (Moscheen, Schreine, Kirchen) (AA 27.10.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Die Regierung betreibt fünf De-Radikalisierungslager, wo religiöse Erziehung, Berufsausbildung, Beratung und Therapie angeboten wird. Eine pakistanische NGO verwaltet das auf Jugendliche ausgerichtete Sabaoon Rehabilitation Center im Swat-Tal, das sie in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Militär gegründet hatte (USDOS 24.6.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (9.12.2020): Pakistan: Reise- und Sicherheitshinweise (Stand 21.12.2020), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/pakistan-node/pakistansicherheit/204974#content_1 , Zugriff 21.12.2020

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_ %28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf; Zugriff 21.12.2020

• EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 21.12.2020

• USDOS – US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 - Chapter1 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html, Zugriff 21.12.2020

• USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.state.gov/reports/2019-country-reports-on-human-rights-practices/pakistan/, Zugriff 21.12.2020

Relevante Terrorgruppen

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die pakistanische Regierung setzt die Umsetzung des Antiterrorism Act von 1997, des National

Counterterterrorism Authority (NACTA) Act, des Investigation for Fair Trial Act von 2014 und der Änderungen des Antiterrorism Act (ATA) von 2014 fort, die allen Strafverfolgungs-behörden, Staatsanwälten und Gerichten erweiterte Befugnisse in Terrorismusfällen einräumen. Militärische, paramilitärische und zivile Sicherheitskräfte führten in ganz Pakistan CT-Operationen gegen staatsfeindliche Kämpfer durch. Das pakistanische Recht erlaubt präventive Inhaftierung, lässt die Todesstrafe für terroristische Straftaten zu und ermächtigt spezielle Anti-Terrorismus-Gerichte, über Terrorismusfälle zu verhandeln (USDOS 24.6.2020).

Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP): Die TTP (auch pakistanische Taliban genannt) wurde 2007 von Baitullah Mehsud gegründet, der 2009 durch einen US-Drohnenangriff getötet wurde. Die

ursprünglichen Ziele der Organisation waren die Umsetzung der Scharia und die Vertreibung

der Koalitionstruppen aus Afghanistan. Die TTP ist eine Dachorganisation, die aus 13 verschiedenen pakistanischen Taliban-Fraktionen gebildet wird - ungefähr die Hälfte aller pakistanischen Taliban-Fraktionen. Die TTP besteht aus ca. 3.000 bis 5.000 aktiven Kämpfern in Afghanistan. Während die TTP auf der anderen Seite der Grenze im Osten Afghanistans Zufluchtsorte unterhält, hat sie Schläferzellen und Sympathisanten in Pakistan zurück-gelassen. Afghanistan ist die Operationsbasis, aber die Gruppe führt im Allgemeinen keine Angriffe in Afghanistan durch. Die TTP konzentriert sich auf den Kampf gegen die pakistanische Regierung (EASO 10.2020).

Jamaat-ul Ahrar (JuA): Jamaatul Ahrar (JuA) ist eine Fraktion der TTP, operiert aber mit
einer gewissen Eigenständigkeit aus der Provinz Nangarhar in Afghanistan heraus. Ziele der Gruppe sind Mitglieder der Sicherheitskräfte, Regierungsgebäude, Politiker, Minderheiten und Rechtsanwälte. Im August 2020 schloss sich JuA wieder der TTP an. Das Pakistan Institute for Peace Studies dokumentierte, dass die JuA im Jahr 2019 an einem Terroranschlag beteiligt war, verglichen mit 15 im Jahr 2018 (EASO 10.2020).

Islamic State Khorasan Province (ISKP): Die ersten Berichte über den ISKP (auch ISIS, ISIL, IS oder Daesh genannt) in Pakistan gehen auf Anfang 2015 zurück. Der ISKP sah eine weltweite

Expansion des Kalifats vor und bezeichnete die Region Afghanistan, Pakistan, Iran und die zentralasiatischen Republiken als Wilayat Khorasan (ISKP - Islamischer Staat Provinz Khorasan). Im Mai 2019 kündigte der islamische Staat die Gründung des „Wilayat Pakistan“ (Islamischer Staat - Provinz Pakistan, ISPP) an, nachdem er mehrere Angriffe in der Provinz Belutschistan für sich beansprucht hatte. Der ISKP hatte es geschafft, seinen Einfluss zu vergrößern, indem er taktische Bündnisse mit ähnlichen lokalen militanten Gruppen eingegangen war. Einem Bericht vom Januar 2020 zufolge ist der ISKP hauptsächlich in der Provinz Belutschistan präsent. Laut dem jährlichen Sicherheitslagebericht von PIPS 2019 haben die Sicherheitsbehörden mehrere Operationen in Belutschistan gegen den ISKP durchgeführt. PIPS dokumentierte im Jahr 2019 einen Terroranschlag des ISKP, im Vergleich zu fünf im Jahr 2018. Der ISKP ist für einige der tödlichsten Anschläge in Pakistan in den vergangenen zwei Jahren verantwortlich, darunter ein Anschlag auf eine Wahlkundgebung in Mastung, bei dem im Juli 2018 mehr als 130 Menschen getötet und 300 verletzt wurden (EASO 10.2020).

Lashkar-e Jhangvi (LeJ): Lashkar-e-Jhangvi (LeJ) ist eine Deobandi-Terroristengruppe. Die Gewalt von LeJ richtet sich größtenteils gegen Schiiten; die Organisation vertritt auch radikale

Standpunkte gegenüber Christen, Ahmadis und sufistischen Muslimen. Laut PIPS war LeJ im Jahr 2019 für acht terroristische Angriffe in Pakistan verantwortlich, verglichen mit sieben solcher Angriffe im Jahr 2018. Fünf dieser Angriffe fanden in Karachi und drei in Belutschistan statt. In seinem jährlichen Sicherheitsbericht für 2019 erwähnte PIPS, dass mehrere Berichte darauf hindeuten, dass sich LeJ wieder auf Karachi konzentriert (EASO 10.2020).

Nationale Bewegungen in Beluchistan: Der PIPS-Jahresbericht 2019 zur Sicherheitslage gab an, dass etwa sieben belutschische nationalistische Bewegungen in Belutschistan aktiv sind. Die operativen Fähigkeiten dieser Gruppen unterscheiden sich. Die Balochistan Liberation Army (BLA) ist eine bewaffnete nationalistische Bewegung der Belutschen. Ihr Ziel ist ein unabhängiges Belutschistan, frei von pakistanischer und iranischer Herrschaft. Wegen ihrer gewalttätigen Methoden, wie z.B. Bombenanschläge, wurde sie im April 2006 in Pakistan verboten. PIPS gab an, dass die BLA im Jahr 2019 27 terroristische Angriffe in Belutschistan durchführte, was eine leichte Steigerung im Vergleich zu 2018 darstellt, als sie 25 Angriffe durchführte. Im Juli 2019 wurde die Gruppe vom US-Außenministerium als terroristische Vereinigung eingestuft. Die Baloch Liberation Front (BLF) ist vor allem im so genannten Makran-Gürtel (Küstenregion von Beluchistan, Anm.) aktiv. Im Jahr 2010 wurde die Gruppe verboten. Laut PIPS hat sich die Führung der BLF in die Nachbarländer verlagert, was sich negativ auf ihre operativen Fähigkeiten auswirkt. Im Jahr 2019 übernahm die BLF die Verantwortung für 11 Terroranschläge im Vergleich zu 22 im Jahr 2018. Weitere belutschische Gruppen sind die Baloch Republican Army (BRA), die United Baloch Army (UBA) und die Baloch Raji Ajoi Sangar (BRAS) (EASO 10.2020).

Quellen:

• EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_ Security_situation.pdf , Zugriff 16.12.2020

• PIPS – Pak Institute for Peace Studies (7.1.2019): Pakistan Security Report 2018, https://pakpips.com/app/reports/396 , Zugriff 8.1.2019

• USDOS – US Department of State [USA] (24.6.2020): Country Report on Terrorism 2019 – Chapter 1 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2032437.html , Zugriff 19.10.2020

Khyber Pakhtunkhwa

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Provinz Khyber Pakhtunkhwa (KP) ist in 25 Bezirke (PBS 2017d) und sieben Tribal Districts

unterteilt (Dawn 31.5.2018). Die FATA (Federally Administered Tribal Areas / Stammesgebiete

unter Bundesverwaltung) wurden Ende Mai 2018 offiziell in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa

eingegliedert (EASO 10.2020; vgl. AA 29.9.2020). Laut Zensus 2017 hat die Provinz [im Gebietsstand ab 1.6.2018] ca. 35,5 Millionen Einwohner, wovon ca. fünf Millionen auf dem Gebiet der ehemaligen FATA leben. Die Hauptstadt Peschawar hat 4,3 Millionen Einwohner (PBS 2017d). Die Sicherheitslage in den Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts (KPTDs) hat sich im Jahr 2019 erheblich verbessert. Mit Ausnahme der Bezirke in Süd-Waziristan war in den übrigen sechs Bezirken der ehemaligen FATA ein erheblicher Rückgang an terroristischen Vorfällen und der daraus resultierenden Zahl an Opfern zu beobachten. Insgesamt wurde 2019 im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang der terroristischen Vorfälle um 16 Prozent und der Anzahl der Opfer um rund ein Viertel verzeichnet. Um andererseits die operative Kapazität terroristischer Gruppen in den ehemaligen FATA zu verringern, führten die pakistanischen Sicherheitskräfte im Rahmen der laufenden Militäroperationen im Jahr 2019 unter dem Code-Namen Radd-ul-Fasad nachrichtendienstlich gestützte Operationen (IBOs) durch. 2019 wurden insgesamt 54 solcher IBOs gemeldet, gegenüber 137 im Jahr 2018. Obwohl IBOs in allen Stammesbezirken von KP durchgeführt wurden, blieben Nord-Waziristan, Süd-Waziristan und Bajaur der Hauptschwerpunkt der Operationen. Am anfälligsten für terroristische Anschläge blieb, trotz eines Rückgangs derselben um 22 Prozent, die Provinz Nord-Waziristan (FRC 13.1.2020).

Die Operationen der Armee zur Aufstandsbekämpfung in KP (einschließlich der ehemaligen FATA) trugen langfristig zu einem höheren Sicherheitsniveau in der Provinz bei, und führten zu einer Verringerung des Einflusses der Tehrik-e Taliban Pakistan (TTP - Pakistan Movement of Taliban) auf den größten Teil des Stammesgürtels. Diese Militäraktionen bewirkten jedoch

auch die Vertreibung von Millionen von Bewohnern aus diesem Gebiet. Insgesamt hat sich die Sicherheit in diesen Gebieten verbessert, ist aber weiterhin fragil. Die Netzwerke der TTP bleiben sowohl auf afghanischer Seite als auch in einigen pakistanischen Bezirken entlang der Grenze aktiv (EASO 10.2020; vgl. FRC 13.1.2020). Die Bedrohung durch Gewalttaten der TTP bleibt aufrecht. Zahlreiche Taliban-Fraktionen konnten ihre Netzwerke auf afghanischer Seite der Grenze wiederherstellen und sind in der Lage, terroristische Angriffe auf Sicherheitskräfte und Zivilisten in den KPTDs Nord- und Süd-Waziristan durchzuführen (FRC 13.1.2020; vgl. EASO 10.2020). Die militanten Gruppen haben ihre Taktiken, Strategien und Aussichten geändert, um sich an das veränderte Umfeld anzupassen. Anstelle von Selbstmordattentaten, die früher die bevorzugte und wirksamste Taktik waren, wenden die Militanten jetzt hauptsächlich gezielte Tötungsaktionen gegen Mitarbeiter von Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden, politische Vertreter, Stammesälteste und Mitglieder von Anti-Taliban-Stammesmilizen der KPTD an (FRC 13.1.2020).

Die Pak Institute for Peace Studies (PIPS) dokumentierte im Jahr 2019 insgesamt 170 Gewaltvorfälle in der Provinz. Dies ist ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2018 (183). PIPS zählte 125 Terroranschläge im Jahr 2019. Gemäß der Beobachtung von PIPS, setzten Militante im Jahr 2019 Taktiken wie Selbstmordattentate, Schusswaffen, Sprengsätze sowie Handgranaten und Raketen ein. Der Trend, dass Militante Zivilisten, Regierungsbeamte und -institutionen, Stammesälteste und Sicherheitspersonal angreifen, setzte sich im Jahr 2019 fort. Zu den Bezirken in KP, in denen 2019 die meisten Terroranschläge stattfanden, gehören Nord-Waziristan (53 Anschläge), Dera Ismael Khan (14 Anschläge) und Bajaur (11 Anschläge) (PIPS 2020; vgl. EASO 10.2020). In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 beobachtete PIPS insgesamt 100 Vorfälle, von denen 49 als terroristische Anschläge in der Provinz genannt wurden. In den ersten sieben Monaten des Jahres 2020 fanden in folgenden Bezirken von KP die meisten terroristischen Angriffe statt: Nord-Waziristan, Bajaur und Peshawar (EASO 10.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_ %28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf , Zugriff 28.12.2020

• Dawn (updated 31.5.2018): Mainstreaming Fata with interim governance law, https://www.dawn.com/news/1411061, Zugriff 30.10.2020

• EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 28.12.2020

• FRC – FATA Research Center (13.1.2020): Khyber Pakhtunkhwa Tribal Districts Annual Security Report 2019, http://frc.org.pk/wp-content/uploads/2020/01/1.-Final-Security-Report-former-FATA-2019.pdf; Zugriff 27.10.2020

• PBS – Pakistan Bureau of Statistics [Pakistan] (2017d): Province wise Provisional Results of

Census – 2017, http://www.pbs.gov.pk/sites/default/files/PAKISTAN%20TEHSIL%20WISE%20

FOR%20WEB%20CENSUS_2017.pdf, Zugriff 27.10.2020

• PIPS – Pak Institute for Peace Studies (2020): Pakistan Security Report 2019, https://www.pakpips.com/web/wp-content/uploads/2020/03/sr2019full.pdf , 28.12.2020

Rechtsschutz, Justizwesen

Letzte Änderung: 29.01.2021

Das Gesetz garantiert die Unabhängigkeit der Justiz (USDOS 11.3.2020). Nach der Verfassung

ist die politische Gewalt zwischen Legislative, Exekutive und Judikative aufgeteilt. In der Praxis wird diese Aufteilung in Pakistan jedoch nicht strikt eingehalten (BS 2020). Die pakistanische Verfassung und die gesamte pakistanische Rechtsordnung basieren weitgehend auf dem britischen Rechtssystem. Wenngleich gemäß Art. 227 der Verfassung alle Gesetze grundsätzlich im Einklang mit der Scharia stehen müssen, ist deren Einfluss auf die Gesetzgebung trotz Bestehens des Konsultativorgans Council of Islamic Ideology jedoch eher beschränkt, abgesehen von bestimmten Bereichen wie beispielsweise den Blasphemie-gesetzen (ÖB 5.2020).

Der Supreme Court ist das pakistanische Höchstgericht und kann sich in Fällen von öffentlichem Interesse auch der Rechtsdurchsetzung bei Grundrechtsverletzungen, die gemäß Verfassung in die Zuständigkeit der High Courts fällt, annehmen. Die fünf High Courts fungieren u.a. als Berufungsinstanz gegen Beschlüsse und Urteile von Special Courts sowie als Aufsichts- und Kontrollorgane für alle ihnen unterstehenden Gerichte. Ferner bestehen Provinz- und Bezirksgerichte, Zivil- und Strafgerichte sowie spezialisierte Gerichte für Steuern, Banken und Zoll. Des Weiteren existiert gemäß Verfassung ein Federal Shariat Court, der zur Prüfung von Rechtsvorschriften auf ihre Vereinbarkeit mit den Vorgaben des Islam angerufen wird und diesbezüglich auch von sich aus tätig werden kann. Er fungiert zusätzlich zum Teil als Rechtsmittelinstanz in Delikten nach den Hudood Ordinances von 1979, die eine v.a. Frauen stark benachteiligende Islamisierung des Strafrechts brachten und durch den Protection of Women (Criminal Law Amendment) Act 2006 in Teilen etwas entschärft wurden. In Azad Jammu und Kaschmir (AJK) sowie in Gilgit-Baltistan gibt es eigene Justizsysteme (ÖB 5.2020).

Die oberen Gerichte und der Supreme Court werden allerdings als glaubwürdig eingestuft (USDOS 11.3.2020).

Im Zivil-, Straf- und Familienrecht gibt es öffentliche Verhandlungen, es gilt die Unschuldsvermutung, und es gibt die Möglichkeit einer Berufung. Angeklagte haben das Recht auf Anhörung und auf Konsultation eines Anwalts. Die Kosten für die rechtliche Vertretung vor den unteren Gerichten muss der Angeklagte übernehmen, in Berufungsgerichten kann auf öffentliche Kosten ein Anwalt zur Verfügung gestellt werden (USDOS 11.3.2020). Das National Accountability Bureau (Antikorruptionsbehörde) kann Verdächtige 15 Tage lang ohne Anklageerhebung festhalten (mit gerichtlicher Zustimmung verlängerbar) und ihnen vor der Anklageerhebung den Zugang zu einem Rechtsbeistand verweigern. Für Straftaten im Rahmen dieser Behörde kann keine Kaution hinterlegt werden, und nur dessen Vorsitzender ist befugt, über die Freilassung von Gefangenen zu entscheiden (USDOS 11.3.2020; vgl. BS 2020).

Die Justiz verteidigt ihre nach Ende der Militärherrschaft zurückgewonnene Unabhängigkeit und bemüht sich, den Rechtsstaat in Pakistan zu stärken. Gleichzeitig steht sie weiterhin unter dem Einfluss der mächtigen pakistanischen Armee. Erhebliche Unzulänglichkeiten im Justizapparat und Schwächen bei der Durchsetzung des geltenden Rechts bestehen fort. Die Gerichte und das pakistanische Rechtssystem sind hochgradig ineffizient (AA 29.9.2020). Zudem ist die Justiz in der Praxis oft von externen Einflüssen beeinträchtigt: Korruption, Einschüchterung und Unsicherheit; einem großen Rückstau an Fällen und niedrigen Verurteilungsquoten bei schweren Straftaten; von Angst vor Repressionen durch extremistische Elemente bei Fällen von Terrorismus, Blasphemie oder öffentlichkeits-wirksamen politischen Fällen (USDOS 11.3.2020; vgl. HRCP/FIDH 10.2019; HRW 14.3.2020). Viele Gerichte unterer Instanzen bleiben für Korruption und den Druck von wohlhabenden Personen und einflussreichen religiösen und politischen Akteuren anfällig. Es gibt Beispiele, wo Zeugen, Staatsanwälte oder ermittelnde Polizisten in High Profile Fällen von unbekannten Personen bedroht oder getötet wurden. Verzögerungen in zivilen und Kriminalfällen sind auf ein veraltetes Prozessrecht, unbesetzte Richterstellen, ein schlechtes Fallmanagement und eine schwache rechtliche Ausbildung zurückzuführen. Der Rückstand sowohl in den unteren als auch in den höheren Gerichten beeinträchtigt den Zugang zu Rechtsmitteln oder eine faire und effektive Anhörung (USDOS 11.3.2020). Zivile Streitigkeiten, insbesondere wegen Eigentum und Geld, sind ein häufiger Grund für Mordfälle in Pakistan. Die oftmals Jahrzehnte dauernden Verzögerungen bei Urteilen durch Zivilgerichte können zu außergerichtlicher Gewaltanwendung zwischen den Streitparteien führen (JPP 4.10.2018).

De facto spielt in weiten Landesteilen das staatliche Recht für die meisten Pakistaner kaum eine Rolle. Rechtsstreitigkeiten werden nach Scharia-Recht oder nach lokalen Rechtsbräuchen gelöst. Im WJP Rule of Law Index belegt Pakistan Platz 120 von 128 untersuchten Staaten (AA 29.9.2020). Neben dem bisher dargestellten staatlichen Justizwesen bestehen also vor allem in ländlichen Gebieten Pakistans auch informelle Rechtsprechungssysteme und Rechtsordnungen, die auf traditionellem Stammesrecht beruhen. Hier drohen vor allem Frauen menschenunwürdige Bestrafungen (ÖB 5.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_ %28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 17.12.2020

• BS – Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Country Report Pakistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029416/country_report_2020_PAK.pdf, Zugriff 17.12.2020

• HRCP/FIDH – Human Rights Commission of Pakistan / International Federation for Human Rights (10.2019): Punished for being vulnerable; How Pakistan executes the poorest and the most marginalized in society, https://www.fidh.org/IMG/pdf/pakistan740angweb.pdf, Zugriff 17.12.2020

• HRW – Human Rights Watch (14.3.2020): World Report 2020 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022680.html, Zugriff 18.12.2020

• JPP – Justice Project Pakistan (4.10.2018): Counting the Condemned – Data Analysis of Pakistan’s Use of the Death Penalty, https://www.jpp.org.pk/wp-content/uploads/2018/10/2018_10_04_Counting-the-Condemned-Final.pdf, Zugriff 17.12.2020

• ÖB – Österreichische Botschaft Islamabad [Österreich] (5.2020): Asylländerbericht Pakistan

• USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026342.html, Zugriff 17.12.2020

Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 29.01.2021

Die Sicherheitsbehörden Pakistans bestehen aus der Polizei, die dem Innenministerium untersteht, Geheimdiensten (AA 29.9.2020), dem Heer, das dem Verteidigungsministerium untersteht (MoD o.D.) sowie militärischen Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen (EASO 10.2020).

Die polizeilichen Zuständigkeiten sind zwischen nationalen und regionalen Behörden aufgeteilt. Die Bundespolizei (Federal Investigation Agency, FIA) ist zuständig für die Bereiche Einwanderung, organisierte Kriminalität, Interpol und verfügt über eine Abteilung zur Terrorismusbekämpfung (Counter Terrorism Wing – CTWI). Pakistan verfügt über einen Auslands-/Inlandsnachrichtendienst (Directorate for Inter-Service Intelligence, ISI), einen Inlandsnachrichtendienst (Intelligence Bureau, IB) sowie einen militärischen Nachrichtendienst (Military Intelligence, MI). Das IB ist für Diplomatenschutz, Abwehr terroristischer Bedrohungen im Inland sowie Ermittlungen bei Kapitalverbrechen zuständig. Der ISI wird vom Militär dominiert. Seine Aufgabe, die nationalen Interessen Pakistans zu schützen, ermöglicht ihm ein Tätigwerden in den unterschiedlichsten Bereichen. De jure untersteht der ISI dem Verteidigungsministerium, de facto jedoch dem jeweiligen Armeechef (Chief of Army Staff). Eine effektive zivile Kontrolle über die militärischen Geheimdienste gibt es nicht (AA 29.9.2020).

Frontier Corps (FC) und Rangers sind paramilitärische Hilfstruppen, die dem Innenministerium unterstehen. FC sind in Khyber Pakhtunkwa und Belutschistan und die Rangers in Punjab und Sindh stationiert. Sie unterstützen die örtlichen Strafverfolgungsbehörden u.a. bei der Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sowie bei der Grenzsicherung (EASO 10.2020).

Unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung begehen Armee und Sicherheitskräfte v.a. in den Provinzen Belutschistan und Khyber Pakhtunkhwa regelmäßig menschenrechtsrelevante Verletzungen. Ein nach wie vor ungelöstes, tabuisiertes Problem sind in diesem Zusammenhang die sog. enforced disappearances, das „Verschwindenlassen“ von unliebsamen, v.a. armeekritischen Personen (AA 29.9.2020).

Die Effizienz der Arbeit der Polizeikräfte variiert von Bezirk zu Bezirk und reicht von gut bis ineffizient (USDOS 11.3.2020). In der Öffentlichkeit genießt die vor allem in den unteren Rängen schlecht ausgebildete, gering bezahlte und oft unzureichend ausgestattete Polizei kein

hohes Ansehen. So sind u.a. die Fähigkeiten und der Wille der Polizei im Bereich der Ermittlung

und Beweiserhebung gering. Staatsanwaltschaft und Polizei gelingt es häufig nicht, belastende

Beweise in gerichtsverwertbarer Form vorzulegen (AA 29.9.2020). Zum geringen Ansehen der Polizei tragen Korruptionsanfälligkeit, unrechtmäßige Übergriffe und Verhaftungen sowie Misshandlungen von in Polizeigewahrsam Genommenen ebenso bei (AA 29.9.2020; vgl. HRCP 4.2020).

Mangelnde Bestrafung von Übergriffen, begangen von Angehörigen der Sicherheitskräfte, trägt zu einem Klima der Straflosigkeit bei. Interne Ermittlungen und Strafen können bei Übergriffen bzw. Misshandlungen vom Generalinspektor, den Bezirkspolizeioffizieren, den District Nazims, Provinzinnenministern oder Provinzministerpräsidenten, dem Innenminister, dem Premierminister und den Gerichten angeordnet werden. Die Exekutive und Polizeibeamte sind ebenfalls dazu befugt, in solchen Fällen eine strafrechtliche Verfolgung zu empfehlen, die gerichtlich angeordnet werden muss. Das Gerichtssystem bleibt das einzige Mittel, um Missbrauch durch Sicherheitskräfte zu untersuchen (USDOS 11.3.2020).

Nach der Integration der FATA in die Provinz Khyber Pakhtunkhwa im Mai 2018 wurde die Provinzpolizei auch in den ehem. FATA tätig, jedoch muss erst neues Personal aufgenommen und ausgebildet werden, um die ehem. FATA komplett abzudecken (USDOS 11.3.2020).

Insgesamt sind die Polizeikapazitäten in Pakistan begrenzt, was auf fehlende Ressourcen, schlechte Ausbildung, unzureichende und veraltete Ausrüstung und konkurrierenden Druck von Vorgesetzten, politischen Akteuren, Sicherheitskräften und der Justiz zurückzuführen ist. In der öffentlichen Wahrnehmung ist ein hohes Maß an Korruption bei der Polizei weit verbreitet [siehe Kapitel Korruption], insgesamt ist das Ansehen der Polizei in der Öffentlichkeit gering. Inländische und internationale Beobachter sehen das Militär als eine der fähigsten Organisationen in Pakistan. Es verfügt über erhebliche Macht und dominiert die Außen- und Sicherheitspolitik. Militärangehörige werden gut bezahlt, und eine Karriere beim Militär ist hoch angesehen, nicht nur wegen der Vorteile, sondern auch wegen des hohen gesellschaftlichen Ansehens und der Verbindungen, die Militärangehörige genießen (DAFT 20.2.2019).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan_%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 16.12.2020

• DAFT – Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (20.2.2019): Country Information Report Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokumentensuche/?asalt=8b1bb51 cc9&country%5B%5D=pak&countryOperator=should&srcId%5B%5D=12005&srcIdOperator=should&useSynonyms=Y&sort_by=origPublicationDate&sort_order=desc , Zugriff 16.12.2020

• EASO – European Asylum Support Office (10.2020): Pakistan Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2040057/10_2020_EASO_COI_Report_Pakistan_Security_situation.pdf, Zugriff 16.12.2020

• MoD – Ministry of Defense [Pakistan] (o.D.): Ministry Overview, http://www.mod.gov.pk/, Zugriff 16.12.2020

• HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (4.2020): State of Human Rights in 2019, http:

//hrcp-web.org/hrcpweb/wp-content/uploads/2020/04/REPORT_State-of-Human-Rights-in-2019-20190503.pdf, 18.12.2020

• USDOS – US Department of State [USA] (11.3.2020): Country Reports on Human Rights Practices 2019 – Pakistan, https://www.ecoi.net/en/document/2026342.html, Zugriff 16.12.2020

Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 29.01.2021

Obwohl die Verfassung Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung verbietet, enthält das Strafgesetzbuch keinen speziellen Abschnitt gegen Folter (USDOS 11.3.2020; vgl. HRW 14.1.2020). Folter im Polizeigewahrsam ist jedoch bislang nicht

strafbar (AA 29.9.2020).

Folter im Gewahrsam der Sicherheitskräfte und in Gefängnissen gilt als weitverbreitet. Gefoltert wird u.a., um bei polizeilichen Ermittlungen Geständnisse oder Kooperation zu erzwingen; besonders vulnerabel sind Angehörige von Minderheiten und marginalisierten Gruppen. In Fällen mit terroristischem Hintergrund oder von Landesverrat gibt es häufig Berichte über die Anwendung von Folter durch Sicherheitskräfte. Letztere entziehen sich oft gerichtlicher Kontrolle. Unter Folter erzwungene Geständnisse sind zwar als Beweismittel vor Gericht grundsätzlich nicht zugelassen, dies gilt aber laut Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus nicht für Geständnisse gegenüber ranghohen Beamten und Offizieren (AA 29.9.2020). Die meisten Menschen, die einer Straftat angeklagt sind, werden so lange gefoltert, bis sie gestehen - auch wenn sie ein Verbrechen gar nicht begangen haben. Die Polizei kennt keine gewaltfreien Ermittlungs-/Verhörmethoden. Pakistan wird oft dafür kritisiert, dass es grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und Bestrafung von Personen zulässt, die nicht nur krimineller, sondern auch ziviler Vergehen beschuldigt werden (Dawn 21.2.2019). Berichten zufolge ist es aufgrund körperlicher Misshandlungen während der Haft zum Tod einiger Tatverdächtiger gekommen (USDOS 11.3.2020). Es liegen keine zuverlässigen Daten über Todesfälle in der Haft in Pakistan vor, aber Menschenrechtsgruppen weisen auf einen Anstieg der Fälle von Folter durch die Polizei hin. Dabei ist Polizeifolter in Pakistans bevölkerungsreichster Provinz Punjab weiter verbreitet als in anderen Teilen des Landes (HRCP 30.4.2020; vgl. AI 30.1.2020).

Die Regierung unternimmt keine ernsthaften Anstrengungen, um die Anwendung von Folter einzudämmen. Täter - vor allem Angehörige der Polizei, Militär und Geheimdiensten - agieren ungestraft. Lange Prozessverzögerungen und das Versäumnis, die für die Tötungen Verantwortlichen zu bestrafen und strafrechtlich zu verfolgen, trugen zu einer Kultur der Straflosigkeit bei (USDOS 11.3.2020). Die Strafverfolgung ist landesweit generell so unzureichend, dass bisher selbst in Fällen von Folter mit Todesfolge Täter so gut wie nie verurteilt wurden (AA 29.9.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). In einigen wenigen Fällen wurden Verantwortliche vom Dienst suspendiert und Untersuchungen angeordnet (AA 29.9.2020). Medien und zivilgesellschaftliche Organi-sationen berichteten über Fälle von Personen, die in der Provinz Punjab in Polizeigewahrsam starben, angeblich aufgrund von Folter. Medienberichten zufolge ketteten und misshandelten die Entführer die Gefangenen jede Nacht, um ihre Familien zu zwingen, Geld für ihre Freilassung zu zahlen. Der Generalinspekteur der Polizei im Punjab leitete Ermittlungen in diesen Fällen ein und verhaftete einige der beteiligten Polizeibeamten (USDOS 11.3.2020). Im August 2019 beschuldigte die Anti-Korruptionsbehörde des Punjab Polizeibeamte in Lahore, Verdächtige in einer geheimen Haftzelle zu halten und zu foltern. Die Polizei von Punjab ordnete eine Untersuchung an (HRW 14.1.2020).

Nach einer Reihe von Todesfällen in Haft installierte die Polizei von Peshawar in allen örtlichen

Gefängnissen Überwachungskameras, versorgte die Anstalten mit lebensrettenden Medikamenten und schulte Mitarbeiter (HRCP 30.4.2020).

Quellen:

• AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (29.9.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante

Lage in der Islamischen Republik Pakistan (Stand: Juni 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2038580/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_ die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Islamischen_Republik_Pakistan _%28Stand_Juni_2020%29%2C_29.09.2020.pdf, Zugriff 16.12.2020

• AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Pakistan, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023879.html, Zugriff 16.12.2020

• Dawn (21.2.2019): Focus on torture, https://www.dawn.com/news/1465108/focus-on-torture, Zugriff 16.12.2020

• HRCP – Human Rights Commission of Pakistan (30.4.2020): State of Human Rights in 2019,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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