TE Vwgh Erkenntnis 2021/9/10 Ra 2021/09/0148

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Veröffentlicht am 10.09.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG §31 Abs1
VStG §44a Z3
VwGG §42 Abs2 Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1. und 8. Bezirk, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 6. April 2021, VGW-001/048/3744/2021-5, betreffend Bestrafung nach dem Epidemiegesetz 1950 in Verbindung mit der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (mitbeteiligte Partei: A B in C), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Datum 24. Februar 2021 erließ die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und nunmehr revisionswerbende Partei gegenüber der Mitbeteiligten folgendes Straferkenntnis:

„1.

Datum/Zeit:

13.02.2021, 16:17 Uhr

 

Ort: 

1010 Wien, Kärntner Straße, 1, Ecke Lothringerstraße

Sie haben beim Betreten des Ortes in Wien 1, Kärntner Straße, Ecke Lothringerstraße, zum Zweck der Teilnahme an der Versammlung gegen die Corona-Maßnahmen und damit an einer Veranstaltung gemäß § 13 Abs. 3 Z 2 4. COVID-19-SchuMaV am 13.02.2021, um 16:17 Uhr gegenüber Personen, die nicht mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt leben, den Abstand von mindestens zwei Metern nicht eingehalten, obwohl gemäß § 13 Abs. 4 erster Satz 4. Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. Covid-19-SchuMaV), BGBl. II Nr. 58/2021, beim Betreten von Orten zum Zweck der Teilnahme an Veranstaltungen gemäß Abs. 3 Z 1, 2, 4 bis 7 und 9 (worunter gemäß § 13 Abs. 3 Z 2 4. Covid-19-SchuMaV Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1953, fallen) gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens zwei Metern einzuhalten ist, wobei gemäß § 15 4. Covid-19-SchuMaV als Betreten im Sinne dieser Verordnung auch das Verweilen (§ 1 Abs. 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. I Nr. 12/2020) gilt, und damit einen Veranstaltungsort gemäß § 15 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 23/2021, entgegen den festgelegten Voraussetzungen oder Auflagen betreten.

2.

Datum/Zeit:

13.02.2021, 16:17 Uhr

 

Ort: 

1010 Wien, Kärntner Straße, 1, Ecke Lothringerstraße

Sie haben beim Betreten des Ortes in Wien 1, Kärntner Straße, Ecke Lothringerstraße, zum Zweck der Teilnahme an der Versammlung gegen die Corona-Maßnahmen und damit an einer Veranstaltung gemäß § 13 Abs. 3 Z 2 4. Covid-19-SchuMaV am 13.02.2021, um 16:17 Uhr keine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormten Standard getragen, obwohl gemäß § 13 Abs. 4 Z 1 4. Covid-19-Schutzmaßnahmenverordnung (4. Covid-19-SchuMaV), BGBl. II Nr. 58/2021, beim Betreten von Orten zum Zweck der Teilnahme an Veranstaltungen gemäß Abs. 3 Z 1, 2, 4 bis 7, 9 und 10 (worunter gemäß § 13 Abs. 3 Z 2 4. Covid-19-SchuMaV Versammlungen nach dem Versammlungsgesetz 1953, BGBl. Nr. 98/1953, fallen) bei diesen Veranstaltungen eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2 (FFP2-Maske) ohne Ausatemventil oder eine Maske mit mindestens gleichwertig genormten Standard zu tragen ist, wobei gemäß § 15 4. Covid-19-SchuMaV als Betreten im Sinne dieser Verordnung auch das Verweilen (§ 1 Abs. 2 des COVID-19-Maßnahmengesetzes, BGBl. I Nr. 12/2020) gilt, und damit einen Veranstaltungsort gemäß § 15 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 23/2021, entgegen den festgelegten Voraussetzungen oder Auflagen betreten.

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

1.   § 13 Abs. 4 erster Satz iVm § 13 Abs. 3 Z 2 iVm § 15 4. Covid-19-SchuMaV, BGBl. II Nr. 58/2021 iVm § 40 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 23/2021

2.   § 13 Abs. 4 Z 1 iVm § 13 Abs. 3 Z 2 iVm § 15 4. Covid-19-SchuMaV, BGBl. II Nr. 58/2021 iVm § 40 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 23/2021

Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(n) verhängt:

Geldstrafe von

falls diese uneinbringlich istGemäß

1. € 105,00

Ersatzfreiheitsstrafe von

4 Stunden

§ 40 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950 (EpiG),BGBl. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 23/2021

2. € 105,00

4 Stunden

§ 40 Abs. 2 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. 186/1950 idF BGBl. I Nr. 23/2021

Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:

€ 21,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt.

Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher € 231,00.“

2        Gegen dieses - näher begründete - Straferkenntnis erhob die Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, in der sie im Wesentlichen geltend machte, dass sie „einen MNS getragen“ und bis zur Einkesselung durch die Polizei genug Abstand zu jeder anderen Person eingehalten habe.

3        Mit Erkenntnis vom 6. April 2021 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 50 VwGVG Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Die „ordentliche“ Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art.133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.

4        Dieses Erkenntnis begründete das Verwaltungsgericht wie folgt (Schreibweise im Original):

„Mit dem Straferkenntnis war der Beschwerdeführerin indirekt zur Last gelegt worden, trotz der verordneten Verpflichtung keine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung getragen zu haben.

Die Beschwerde stützt sich darauf, durch ein ärztliches Attest von der verordneten Pflicht befreit gewesen zu sein, letztlich warum auch immer, ihr nicht ein ausreichender Tatvorwurf gemacht wurde, ja auch nicht gemacht werden konnte, weil nicht einmal die belangte Behörde diesen Vorwurf erhebt oder erheben wollte.

Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:

Die MaßnahmenVO und ihre Vorgänger- sowie NachfolgeVO wie auch das grundlegende COVID-19 Maßnahmengesetz sehen in ihren unterschiedlichen, nahezu bloß momentan geltenden Fassungen, einmal tritt eine solche zum selben Zeitpunkt in und außer Kraft, zeitlich, örtlich und wesensmäßig verschieden Schutzvorkehrungen vor. Eine Übertretung einer dieser Verordnungen sollte der Beschwerdeführerin hier angelastet werden. Dies blieb erfolglos.

Die Beschuldigte hat ein Recht darauf, dass im Spruch die richtige und nur die richtige verletzte Verwaltungsvorschrift aufscheint; gleiches gilt für die Anführung der Strafnorm nach § 44a Z 3 VStG. Die Anführung von unrichtigen Bestimmungen im Sinne des § 44a Z 2 und 3 VStG stellt daher eine offenkundige Verletzung des Gesetzes zum Nachteil der Bestraften dar (VwGH 15.10.2013, 2010/02/0161).

Einer Beschuldigten kommt weiters das subjektive Recht zu, dass ihr die durch die Tat verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten wird, wobei die von der Beschuldigten begangene Tat bestimmt umschrieben werden muss (VwGH 15.10.2009, 2008/09/0009).

Dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses ist zwar eine wörtliche Umschreibung eines Fehlverhaltens zu entnehmen, unterblieben ist jedoch die Nennung der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung - Maßnahmen- oder LockerungsVO für die verletzte Rechtsvorschrift; auch das hier unmittelbar bezogene Sicherheitspolizeigesetz wird nur i.d.g.F. zitiert. Damit entspricht er nicht den in § 44a VStG normierten Voraussetzungen und belastet somit das Straferkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine taugliche Verfolgungshandlung gesetzt wurde.

Gemäß § 32 Abs. 2 ist eine Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung. Die Verfolgungshandlung muss den Tatvorwurf in zeitlicher und räumlicher Hinsicht konkretisieren, wobei entscheidend ist, dass der Beschuldigte dadurch in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten und sich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens noch einmal zur Verantwortung gezogen zu werden (MwN: Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG (Manz 2013), § 32, Rz 18).

Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass im Verwaltungsstrafverfahren innerhalb der Frist des § 31 Abs. 1 VStG Verfolgungshandlungen gesetzt wurden, welche dieselbe Tatumschreibung und denselben Tatvorwurf einer Verletzung enthielten wie das später ergangene Straferkenntnis und daher nicht geeignet waren, die Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen.

Die Art eines Mundnasenschutzes und dafür zu erteilende ärztliche Befreiungen oder das gänzliche Weglassen eines solchen waren in vielfach unterschiedlichen, vielfach behobenen Verordnungen verankert, sodass der Vorwurf der verletzten Rechtsvorschrift für eine taugliche Verfolgungshandlung unter Anführung der je geltenden Fassung nicht als Formalvorschrift zu beurteilen ist. Die Nennung der jeweiligen Fassung einer Rechtsnorm ist notwendig, um der Beschwerdeführerin ihr Verhalten rechtskonform vorzuhalten und diesen dann wiederum auch in die Lage zu versetzen, sich geeigneter Mitteln zu seiner Entlastung zu bedienen.“

5        Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

6        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

7        Die Revision ist aus den nachstehenden Gründen zulässig und auch berechtigt:

8        Wie sich bereits an Hand des oben wiedergegebenen Verfahrensablaufs erkennen lässt, sind die Ausführungen des Verwaltungsgerichts Wien weder im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen noch in seinen rechtlichen Ausführungen mit dem Akteninhalt in Einklang zu bringen. Es kann der revisionswerbenden Partei nicht entgegengetreten werden, wenn sie in diesem Zusammenhang ausführt, dass sich die rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts in einer wirren Aneinanderreihung von Textbausteinen erschöpft, die weder mit dem Akt noch mit den aktenwidrigen Annahmen des Verwaltungsgerichts in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht werden können und auch in Bezug zueinander unschlüssig sind.

9        Schon mit Blick auf den vorgeworfenen Tatzeitpunkt (13. Februar 2021) lässt sich unschwer erkennen, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene einjährige Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG selbst zum Zeitpunkt der Erlassung seines Erkenntnisses am 6. April 2021 noch nicht eingetreten war. Bereits aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

10       Zudem entspricht es zwar der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Beschuldigte ein Recht darauf hat, dass im Spruch eines Straferkenntnisses ausschließlich die richtige verletzte Verwaltungsvorschrift aufscheint, Gleiches auch für die Anführung der Strafnorm nach § 44a Z 3 VStG gilt und diesem Gebot nur dann Rechnung getragen wird, wenn auch die Fundstelle jener Novelle angegeben wird, durch welche die als verletzt betrachtete Norm ihre zum Tatzeitpunkt gültige Fassung erhalten hat (VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0065, u.a.; 6.8.2020, Ra 2020/09/0013, mwN). Das Verwaltungsgericht trifft jedoch die Pflicht, wenn der Spruch des behördlichen Strafbescheids unvollständig ist, diesen im Rahmen der Sache des vor ihm anhängigen Verfahrens zu ergänzen und einen fehlerhaften Abspruch richtig zu stellen (VwGH 24.3.2011, 2010/09/0213; 25.9.2019, Ra 2018/09/0198; 16.9.2020, Ra 2020/09/0036, mwN).

11       Im vorliegenden Fall wurde jedoch - wie der eingangs wiedergegebenen Darstellung zu entnehmen ist - im behördlichen Straferkenntnis entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts weder auf das Sicherheitspolizeigesetz Bezug genommen noch die übertretenen Vorschriften oder die Strafnormen im Hinblick auf ihre Fundstellen nicht näher spezifiziert oder auf eine nicht näher genannte geltende Fassung verwiesen. Auch diese Begründung des Verwaltungsgerichts vermag daher seine Entscheidung nicht zu tragen.

12       Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 10. September 2021

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090148.L00

Im RIS seit

13.10.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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