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000Norm
COVID-19-Gesetz 02te 2020Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die außerordentliche Revision des Magistrats der Stadt Wien, Magistratisches Bezirksamt für den 1. und 8. Bezirk, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 19. April 2021, VGW-031/048/3826/2021-4, betreffend Bestrafung nach dem COVID-19-Maßnahmengesetz in Verbindung mit der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung (mitbeteiligte Partei: A B in C), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Datum 22. Februar 2021 erließ die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und nunmehr revisionswerbende Partei gegenüber dem Mitbeteiligen folgendes Straferkenntnis:
„1. Datum/Zeit: 13.02.2021, 17:00 Uhr
Ort: 1010 Wien, Operngasse 14
Sie haben am 13.02.2021 um 17:00 Uhr in Wien 1, Operngasse 14, einen öffentlichen Ort im Freien betreten und gegenüber anderen Personen, bei welchen es sich nicht um Personen, die mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt leben, gehandelt hat, den Mindestabstand von zwei Metern nicht eingehalten, obwohl aufgrund der 4. COVID-19-Schutzmaßnahmenverordnung - 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl. II Nr. 58/2021, in der Zeit vom 08.02.2021 bis 17.02.2021 beim Betreten öffentlicher Orte im Freien gegenüber Personen, die nicht im gemeinsamen Haushalt leben, ein Abstand von mindestens zwei Metern einzuhalten ist.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:
1. §§ 8 Abs. 2 Z 2, 4 Abs. 1 COVID-19-MG iVm § 1 Abs. 1 4. COVID-19-SchuMaV, BGBl. II Nr. 58/2021
Wegen dieser Verwaltungsübertretung(en) wird (werden) über Sie folgende Strafe(en) verhängt:
Geldstrafe von
falls diese uneinbringlich ist, Ersatzfreiheitsstrafe von
Gemäß
1. € 105,00
4 Stunden
§ 8 Abs. 2 COVID-19-Maßnahmengesetz - COVID-19-MG, BGBl. I Nr. 12/2020, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 23/2021
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG zu zahlen:
€ 10,50 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10 % der Strafe, jedoch mindestens € 10,00 für jedes Delikt.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher € 115,50.“
2 Gegen dieses - näher begründete - Straferkenntnis erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien, in der er im Wesentlichen geltend machte, er sei nicht auf der Operngasse 14, sondern am Wiener Naschmarkt kontrolliert worden. Den Abstand zu anderen Personen habe er - bis auf eine Hilfeleistung gegenüber einer Freundin mit Kreislaufproblemen - nach bestem Wissen und Gewissen eingehalten.
3 Mit Erkenntnis vom 19. April 2021 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde gemäß § 50 VwGVG Folge, behob das Straferkenntnis und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Die „ordentliche“ Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG erklärte es für unzulässig.
4 Dieses Erkenntnis begründete das Verwaltungsgericht wie folgt (Schreibweise im Original):
„Mit dem Straferkenntnis war dem Beschwerdeführer zur Last gelegt worden, trotz der verordneten Verpflichtung den Mindestabstand gegenüber haushaltsfremden Personen unterlassen zu haben.
Die Beschwerde stützt sich darauf, durch das Verhalten anderer in seiner Schutzzone beeinträchtigt worden zu sein.
Das Verwaltungsgericht Wien hat erwogen:
Die MaßnahmenVO und ihre Vorgänger- sowie NachfolgeVO wie auch das grundlegende COVID-19 Maßnahmengesetz sehen in ihren unterschiedlichen, nahezu bloß momentan geltenden Fassungen, einmal tritt eine solche am selben Tag in und außer Kraft, zeitlich, örtlich und wesensmäßig verschieden Schutzvorkehrungen vor. Sinnbildlich ist, durch Aufhebungskaskaden des Verfassungsgerichtshofes dokumentiert, von einer schlechten Verfassung der Verordnungen zu sprechen.
So ist rezent ein Artikel in ‚Öffentliches Baurecht‘ Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz: Außerkrafttreten vs Novellierung, erschienen. Dort der Autor Fuchs: ‚Das Verwaltungsrechtliche COVID-19-Begleitgesetz (COVID-19-VwBG) ist mit 01.01.2021 außer Kraft getreten. Am 05.01.2021 erfolgte die Kundmachung einer Novelle einzelner Bestimmungen dieses Gesetzes. Aktuell ist eine konsolidierte Fassung des COVID-19-VwBG im (unverbindlichen) Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) ausgewiesen. Der folgende Beitrag beleuchtet nun, ob das COVID-19-VwBG nach erfolgtem Außerkrafttreten und nachfolgender partieller Novellierung aktuell rechtlich existent ist und dem Rechtsbestand angehört.‘ Mithin schildert dieser eine Situation, in der ein mit der Materie berufsmäßig dauernd befasster Jurist, Leiter der Wiener Baupolizei, Stabstelle Recht, zur Rechtsgeltung von Bestimmungen des COVID-Regimen nicht mehr verlässlich mitteilen kann.
Eine Übertretung einer der oben genannten Verordnungen sollte dem Beschwerdeführer hier angelastet werden. Dies blieb erfolglos, mithin der daran anknüpfenden Strafbestimmung des Maßnahmengesetzes.
Der Beschuldigte hat ein Recht darauf, dass im Spruch die richtige und nur die richtige verletzte Verwaltungsvorschrift aufscheint; gleiches gilt für die Anführung der Strafnorm nach § 44a Z 3 VStG. Die Anführung von unrichtigen Bestimmungen im Sinne des § 44a Z 2 und 3 VStG stellt daher eine offenkundige Verletzung des Gesetzes zum Nachteil des Bestraften dar (VwGH 15.10.2013, 2010/02/0161).
Einem Beschuldigten kommt weiters das subjektive Recht zu, dass ihm die durch die Tat verletzte Verwaltungsvorschrift richtig und vollständig vorgehalten wird, wobei die von dem Beschuldigten begangene Tat bestimmt umschrieben werden muss (VwGH 15.10.2009, 2008/09/0009).
Dem Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses ist zwar eine wörtliche Umschreibung eines Fehlverhaltens zu entnehmen, unterblieben ist jedoch die Nennung der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung der Maßnahmen- oder LockerungsVO für die verletzte Rechtsvorschrift; die Strafnorm wird bloß mit dem Maßnahmengesetz ‚zuletzt geändert‘ zitiert. Damit entspricht er nicht den in § 44a VStG normierten Voraussetzungen und belastet somit das Straferkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 31 Abs. 1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen einer Frist von einem Jahr keine taugliche Verfolgungshandlung gesetzt wurde.
Gemäß § 32 Abs. 2 VStG ist eine Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung. Die Verfolgungshandlung muss den Tatvorwurf in zeitlicher und räumlicher Hinsicht konkretisieren, wobei entscheidend ist, dass der Beschuldigte dadurch in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten und sich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens noch einmal zur Verantwortung gezogen zu werden (MwN: Fister in Lewisch/Fister/Weilguni, VStG (Manz 2013), § 32, Rz 18).
Aus dem Akteninhalt ergibt sich, das im Verwaltungsstrafverfahren innerhalb der Frist des § 31 Abs. 1 VStG Verfolgungshandlungen gesetzt wurden, welche dieselbe Tatumschreibung und denselben Vorwurf einer Verletzung enthielten wie das später ergangene Straferkenntnis und daher nicht geeignet waren, die Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen.
Art und Weite des Schutzbereiches oder das gänzliche Weglassen eines solchen waren in vielfach unterschiedlichen, vielfach behobenen Verordnungen oszillierend verankert, sodass der Vorwurf der verletzten Rechtsvorschrift für eine taugliche Verfolgungshandlung unter Anführung der je geltenden Fassung nicht als Formalvorschrift zu beurteilen ist. Die Nennung der jeweiligen Fassung einer Rechtsnorm ist notwendig, um dem Beschwerdeführer sein Verhalten rechtskonform vorzuhalten und diesen dann wiederum auch in die Lage zu versetzen, sich geeigneter Mittel zu seiner Entlastung zu bedienen.“
5 Die Unzulässigkeit der Revision begründete das Verwaltungsgericht fallunspezifisch mit dem Fehlen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Amtsrevision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
7 Die Revision ist aus den nachstehenden Gründen zulässig und auch berechtigt:
8 Das Verwaltungsgericht führte keine mündliche Verhandlung durch und traf in seinem Erkenntnis keine Tatsachenfeststellungen. Es ging daher offenbar davon aus, dass bereits auf Grund der Aktenlage der angefochtene Bescheid aus rechtlichen Erwägungen aufzuheben sei. Dies trifft jedoch nicht zu:
9 Zunächst ist nicht zu erkennen, welchen für die Lösung der gegenständlichen Verwaltungsstrafsache relevanten rechtlichen Schluss das Verwaltungsgericht aus dem von ihm eingangs seiner rechtlichen Erwägungen zitierten juristischen Aufsatz über die Auswirkungen des Außerkrafttretens und einer Novellierung des Verwaltungsrechtlichen COVID-19-Begleitgesetzes, BGBl. I Nr. 16/2020, auf die Abwicklung baubehördlicher Verwaltungsverfahren zog. Es kann der revisionswerbenden Partei in diesem Zusammenhang nicht entgegengetreten werden, wenn sie in ihrer Revision ausführt, dass sich die rechtlichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts insoweit in einer wirren Aneinanderreihung von Textbausteinen, die auch im Bezug zueinander völlig unschlüssig erscheinen, erschöpfen.
10 Soweit in der Begründung des Erkenntnisses auf Verjährung abgestellt wurde, lässt sich schon mit Blick auf den vorgeworfenen Tatzeitpunkt (13. Februar 2021) unschwer erkennen, dass die vom Verwaltungsgericht angenommene einjährige Verfolgungsverjährung gemäß § 31 Abs. 1 VStG selbst zum Zeitpunkt der Erlassung seines Erkenntnisses am 19. April 2021 noch nicht eingetreten war. Bereits aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
11 Zudem entspricht es zwar der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass der Beschuldigte ein Recht darauf hat, dass im Spruch eines Straferkenntnisses ausschließlich die richtige verletzte Verwaltungsvorschrift aufscheint, Gleiches auch für die Anführung der Strafnorm nach § 44a Z 3 VStG gilt und diesem Gebot nur dann Rechnung getragen wird, wenn auch die Fundstelle jener Novelle angegeben wird, durch welche die als verletzt betrachtete Norm ihre zum Tatzeitpunkt gültige Fassung erhalten hat (VwGH 29.10.2019, Ra 2019/09/0065, u.a.; 6.8.2020, Ra 2020/09/0013, mwN). Das Verwaltungsgericht trifft jedoch die Pflicht, wenn der Spruch des behördlichen Strafbescheids unvollständig ist, diesen im Rahmen der Sache des vor ihm anhängigen Verfahrens zu ergänzen und einen fehlerhaften Abspruch richtig zu stellen (VwGH 24.3.2011, 2010/09/0213; 25.9.2019, Ra 2018/09/0198; 16.9.2020, Ra 2020/09/0036, mwN).
12 Im vorliegenden Fall wurde - wie der eingangs wiedergegebenen Darstellung zu entnehmen ist - im behördlichen Straferkenntnis sowohl die verletzte Norm als auch die Strafnorm näher dargestellt. Sollte das Verwaltungsgericht der Meinung gewesen sein, dass dies nicht ausreichend konkret erfolgt sein sollte, wäre es an ihm gelegen, diesen Ausspruch zu ergänzen oder zu berichtigen. Auch die von ihm in diesem Zusammenhang herangezogene Begründung vermag daher seine Entscheidung nicht zu tragen.
13 Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 14. September 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021090176.L00Im RIS seit
13.10.2021Zuletzt aktualisiert am
13.10.2021