TE Vfgh Erkenntnis 1995/3/2 G291/94

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Veröffentlicht am 02.03.1995
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

StGG Art5
Wr BauO 1930 §45

Leitsatz

Aufhebung der einjährigen Frist für die Geltendmachung von Rückübereignungsansprüchen wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszwecks in der Wr BauO 1930; Verletzung des Eigentumsrechts wegen unverhältnismäßig kurzer Frist zur wirksamen Geltendmachung des Anspruchs des Enteigneten

Spruch

Der zweite Satz ("Der Antrag ist innerhalb eines Jahres nach Verwirklichung des Tatbestandes, an den der Rückübereignungsanspruch geknüpft ist, zu stellen.") im §45 Abs2 der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, in der Fassung der Bauordnungsnovelle 1976, LGBl. Nr. 18, wird als verfassungswidrig aufgehoben.

Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 29. Feber 1996 in Kraft.

Frühere Gesetzesbestimmungen treten nicht wieder in Wirksamkeit.

Der Landeshauptmann von Wien ist verpflichtet, diese Aussprüche unverzüglich im Landesgesetzblatt kundzumachen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Wiener Landesregierung enteignete mit Bescheid vom 26. Jänner 1972 gemäß §39 der BauO f Wien idF LGBl. 15/1970 zugunsten der Stadt Wien eine Teilfläche eines zum Gutsbestand der Liegenschaft EZ 839 KG Erlaa gehörigen Grundstücks zwecks Herstellung einer öffentlichen Verkehrsfläche (Straße). Als Rechtsnachfolger der enteigneten Liegenschaftseigentümer beantragte der Beschwerdeführer des hg. Beschwerdeverfahrens B1866/93 am 16. März 1993 die Rückübereignung der Grundfläche und machte geltend, daß die im Enteignungsbescheid vorgeschriebene Frist von zwei Jahren für den Beginn des Straßenausbaus nicht eingehalten worden sei. Mit Bescheid vom 20. September 1993 wies die Wiener Landesregierung den Antrag ab und begründete dies im wesentlichen damit, daß die einjährige Frist des zweiten Satzes im §45 Abs2 der BauO f Wien idF der Novelle LGBl. 18/1976 von der Rechtsvorgängerin des Beschwerdeführers nicht wahrgenommen worden sei; unter Bedachtnahme auf die Übergangsbestimmung des ArtII der Bauordnungsnovelle 1976 komme die frühere (keine Fallfrist vorsehende) Gesetzeslage nicht in Betracht.

2. Gegen den Bescheid vom 20. September 1993 richtet sich die unter B1866/93 eingetragene Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums sowie eine Rechtsverletzung wegen Anwendung als verfassungswidrig kritisierter Bestimmungen im §45 der BauO f Wien idF der Novelle 1976 sowie des ArtII dieser Novelle geltend gemacht wird.

3. §45 der BauO f Wien idF der (mit 15. August 1976 in Kraft getretenen) Bauordnungsnovelle 1976, LGBl. 18, sowie ArtII dieser Novelle haben folgenden Wortlaut:

"Sicherstellung des Enteignungszweckes; Rückübereignung

§45

(1) Ab Zustellung des Enteignungsbescheides ist längstens innerhalb eines Jahres um die Abteilungsbewilligung bzw. Baubewilligung anzusuchen; in jenen Fällen, in denen zur Herstellung des Enteignungszweckes keine Bewilligungen erforderlich sind, ist innerhalb einer Frist von zwei Jahren mit der Durchführung des Vorhabens, zu dessen Zweck enteignet wurde, zu beginnen. Nach Rechtskraft der Baubewilligung ist innerhalb eines Jahres mit dem Bau zu beginnen und dieser innerhalb der gesetzlichen Frist zu vollenden. Diese Fristen sind von der Landesregierung zu verlängern, wenn nachgewiesen wird, daß deren Einhaltung wichtige Gründe entgegenstehen.

(2) Werden die im Abs1 genannten Fristen nicht eingehalten, steht dem Enteigneten oder dessen Rechtsnachfolgern der Anspruch auf Rückübereignung zu. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres nach Verwirklichung des Tatbestandes, an den der Rückübereignungsanspruch geknüpft ist, zu stellen.

(3) Die Einleitung des Verfahrens betreffend die Rückübereignung ist im Grundbuch anzumerken. Die Anmerkung hat die Wirkung, daß sich niemand auf Unkenntnis berufen kann. Auf das Verfahren finden sinngemäß die Bestimmungen über die Enteignung in dem Umfang Anwendung, als dies zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes erforderlich ist.

(4) Im Falle der Rückübereignung haben die Parteien die empfangenen Leistungen nach Feststellung einer Entschädigung nach den Grundsätzen des §44 Abs4 zurückzuerstatten. Überdies muß der Enteigner dem Enteigneten jeden weiteren Schaden ersetzen, der ihm durch die Enteignung erwachsen ist. Mit Rechtskraft des Enteignungsbescheides über die Rückübereignung tritt der vorangegangene Enteignungsbescheid außer Kraft."

"ARTIKEL II

Anhängige Verfahren

Für alle zur Zeit des Inkrafttretens dieses Gesetzes anhängigen und für alle innerhalb von drei Monaten nach Kundmachung dieses Gesetzes anhängig gemachten Verfahren auf Erteilung einer Baubewilligung oder Abteilungsbewilligung gelten die bisherigen gesetzlichen Bestimmungen."

II. Aus Anlaß des Beschwerdefalles B1866/93 beschloß der Verfassungsgerichtshof gemäß Art140 Abs1 B-VG, von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des zweiten Satzes ("Der Antrag ist innerhalb eines Jahres nach Verwirklichung des Tatbestandes, an den der Rückübereignungsanspruch geknüpft ist, zu stellen.") im §45 Abs2 der BauO f Wien idF der Novelle LGBl. 18/1976 einzuleiten.

Der Gerichtshof ging vorläufig davon aus, daß er die bezogene Gesetzesstelle, welche dem angefochtenen Bescheid im Hinblick auf die angenommene Fristversäumnis in materieller Hinsicht zugrundeliegt, bei seiner Entscheidung über die erhobene Beschwerde anzuwenden hätte. Er sah es unter dem Aspekt der Präjudizialität als unerheblich an, ob der Lauf der in dieser Gesetzesvorschrift festgelegten Jahresfrist im Beschwerdefall erst mit dem Inkrafttreten der Novelle (wie die belangte Landesregierung in ihrer Gegenschrift meinte) oder bereits früher begonnen hatte.

III. Die bestehenden

verfassungsrechtlichen Bedenken legte der Gerichtshof im Einleitungsbeschluß wie folgt dar:

"Gegen den zweiten Satz im §45 Abs2 hegt der Gerichtshof das verfassungsrechtliche Bedenken, daß jener den an einen Anspruch auf Rückübereignung wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszwecks nach Art5 StGG zu stellenden Anforderungen nicht entspricht.

a) Aus dem Blickpunkt der Eigentumsgarantie des Art5 StGG hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (siehe insbesondere VfSlg. 8980/1980, 8981/1980, 8992/1980, 11017/1986 sowie jüngst VfGH 17.3.1994 G233, 235/93) die Rechtsauffassung vertreten, daß die Aufrechterhaltung einer einmal verfügten Enteignung verfassungsrechtlich unzulässig ist, wenn der öffentliche Zweck, zu dessen Verwirklichung das Gesetz eine Enteignungsmöglichkeit vorsieht, tatsächlich nicht verwirklicht wird. Eine einfachgesetzliche Regelung, die eine Enteignung für einen bestimmten öffentlichen Zweck (dem Art5 StGG entsprechend) für zulässig erklärt, enthält wesensgemäß den Vorbehalt, daß es unzulässig ist, die Enteignung aufrechtzuerhalten, wenn der öffentliche Zweck vor seiner Verwirklichung wegfällt. Die Rückgängigmachung des als Enteignungsgrund normierten öffentlichen Zwecks ist dem Rechtsinstitut der Enteignung immanent. Wie der Gerichtshof in seiner Judikatur des weiteren ausgesprochen hat (s. auch dazu VfSlg. 8981/1980, S. 371f, sowie das vorhin zitierte Erk. G233, 235/93) ist die mit dem Rechtsinstitut der Enteignung wesensgemäß verbundene Rückgängigmachung in verschiedener Beziehung einer näheren Regelung zugänglich. So ist es insbesondere zulässig zu regeln, daß der Enteignete seinen Anspruch auf Rückgängigmachung nur innerhalb einer angemessenen Frist ab dem Zeitpunkt, in dem feststeht, daß der als Enteignungsgrund normierte öffentliche Zweck nicht verwirklicht wird, geltend machen kann; eine unvertretbar kurze Frist, die dem Enteigneten zur Geltendmachung eines Rückstellungsanspruchs zur Verfügung steht, erweist sich daher als verfassungswidrig.

Beurteilt man nun §45 der BauO f Wien, welcher eine nähere Regelung über die Rückgängigmachung der Enteignung im dargelegten Sinn trifft, anhand dieser Grundsätze, so erscheint die im zweiten Satz seines Abs2 festgelegte einjährige Frist, deren Versäumnis zum vollständigen Anspruchsverlust führt, trotz ihrer absoluten Dauer als unvertretbar kurz. Der Gerichtshof gelangt deshalb zu dieser vorläufigen Annahme, weil ihm ein angemessenes Verhältnis zwischen der dem Enteigner (Enteignungswerber) zustehenden Frist zur Ausführung des Vorhabens, welchem die Enteignung dient, und der in Rede stehenden Antragsfrist geboten erscheint, das hier nicht gegeben sein dürfte. Betrachtet man nämlich die Relation zwischen den im Abs1 des §45 für die Herstellung des Enteignungszwecks bestimmten Fristen (die sich für den Enteigner im Fall eines baubewilligungspflichtigen Vorhabens unter Bedachtnahme auf die Bauvollendungsfrist des §74 Abs1 in der Regel mit bis zu vier Jahren errechnet (bei baubehördlicher Verlängerung der Bauvollendungsfrist aber entsprechend länger dauert), im Fall des nichtbewilligungspflichtigen Vorhabens zwei Jahre ab dem (bloßen) Beginn der Durchführung beträgt) und der einjährigen Antragsfrist näher, so zeigt sich wohl deutlich, daß der frühere Eigentümer, der das von ihm nicht beeinflußbare Verhalten der Gegenseite laufend oder zumindest in periodischen Abständen feststellen muß und daher einer erheblichen Unsicherheit unterliegt, wesentlich schlechtergestellt ist.

b) Dem Beschwerdefall liegt eine Enteignung zugrunde, die zur Herstellung einer Straße vorgenommen wurde; es ist sohin im Sinne des §45 Abs1 zur Herstellung des Enteignungszwecks eine Bewilligung nicht erforderlich (vgl. §60 Abs1 litb letzter Satz BauO f Wien). Wenn nun das Gesetz für diese Fallgruppe den Lauf der - wie immer bemessenen - Antragsfrist für die Rückübereignung bloß an den Beginn der Durchführung des Vorhabens knüpft, zu dessen Zweck enteignet wurde, so bietet es mit dieser Regelung dem Enteigner (Enteignungswerber) die Möglichkeit, durch eine unter Umständen sogar verhältnismäßig geringfügige Aktivität in geeigneter Richtung den Fristenlauf und damit den Anspruch überhaupt auszuschließen. Eine solche Möglichkeit scheint dem Gerichtshof mit dem in seiner zitierten Judikatur entwickelten Grundsatz unvereinbar zu sein, daß nur die tatsächliche Verwirklichung des Enteignungszwecks den verfassungsrechtlich vorgegebenen Anspruch auf Rückgängigmachung untergehen läßt."

IV. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den Bedenken des Gerichtshofs entgegentritt. Im einzelnen führte sie folgendes aus:

"Ein Vergleich zwischen der dem Enteignungswerber in §45 Abs1 der Bauordnung für Wien eingeräumten zweijährigen Frist für den Beginn der Durchführung des Vorhabens, welchem die Enteignung dient, und der dem Enteigneten zustehenden Antragsfrist für eine Rückübereignung ist nach Ansicht der Wiener Landesregierung insofern nicht geboten, als die innerhalb dieser beiden Fristen zu setzenden Handlungen völlig unterschiedlicher Natur sind.

Die dem Enteigneten eingeräumte Einjahresfrist beginnt mit der Verwirklichung des Tatbestandes, an den der Rückübereignungsanspruch geknüpft ist, das ist der ungenützte Ablauf der dem Enteignungswerber nach §45 Abs1 BauO für Wien zur Verfügung stehenden Frist. Innerhalb dieses Jahres hat der Enteignete zur Wahrung seines Anspruches lediglich einen Schriftsatz, nämlich den Antrag auf Rückübertragung, einzubringen. Die gesetzliche Festlegung einer längeren diesbezüglichen Frist erscheint einerseits sachlich nicht erforderlich und würde andererseits eine erhebliche Verminderung der Rechtssicherheit für den Enteignungswerber bedeuten.

Die dem Enteignungswerber in jenen Fällen, in denen zur Herstellung des Enteignungszweckes - wie im vorliegenden Fall - keine Bewilligungen erforderlich sind, eingeräumte Frist von zwei Jahren beginnt mit der Zustellung des Enteignungsbescheides. Innerhalb dieser Frist muß der Enteignungswerber zunächst in den Besitz der enteigneten Grundfläche gelangen, was gegebenenfalls die Durchführung eines Vollstreckungsverfahrens gemäß §7 VVG zwecks zwangsweiser Besitzeinweisung erforderlich macht. Weiters setzt die Verwirklichung des Enteignungszweckes, etwa die Herstellung einer öffentlichen Verkehrsfläche (Straße), nach dem Abschluß der planerischen Maßnahmen weitere umfangreiche Vorbereitungen - von der Sicherung der erforderlichen Budgetmittel über die Durchführung von Ausschreibungsverfahren bis zur Einrichtung der Baustelle - voraus. Die dem Enteignungswerber zur Verfügung stehende Frist kann daher in Einzelfällen sogar als äußerst knapp bemessen erscheinen. Aus diesen Gründen ist es im Hinblick auf die Dauer der endgültigen Ausführung eines Bauvorhabens der genannten Art oft geradezu unmöglich, das betreffende Bauwerk in der gesetzlichen Frist völlig fertigzustellen. Die Bauordnung für Wien stellt daher zweckmäßigerweise auf den Beginn der Bauausführung ab, zumal dieser in der Regel bedeutet, daß der Enteignungszweck in absehbarer Zeit endgültig erreicht sein wird. Bei strenger Auslegung des 1. Satzes des §45 Abs2 BO besteht sogar ein Rechtsanspruch auf Rückübereignung dann, wenn mit den Baumaßnahmen zwar nach Ablauf der Fristen gemäß §45 Abs1, aber noch vor Ablauf der Frist zur Stellung des Rückübereignungsantrages begonnen worden ist. Im Hinblick auf diesen Umstand erscheint die derzeitige gesetzliche Regelung verfassungskonform."

V. 1. Die Prozeßvoraussetzungen des eingeleiteten Prüfungsverfahrens sind gegeben.

Die verfassungsrechtlichen Bedenken des Gerichtshofs erweisen sich - wie die folgenden Ausführungen dartun - im Ergebnis als gerechtfertigt.

2. Die Wiener Landesregierung lehnt in ihrer Äußerung (zwar bloß unter Bezugnahme auf jene Fallgruppe der Rückübereignungen, in denen ein nicht bewilligungspflichtiges Vorhaben in Betracht kommt, sinngemäß aber für das gesamte Rechtsinstitut) einen Vergleich der für den Enteignungswerber in §45 Abs1 BauO f Wien gesetzten Fristen mit der dem Enteigneten zustehenden (einjährigen) Antragsfrist ab. Sie begründet dies damit, daß die innerhalb der verschiedenen Fristen zu setzenden Handlungen völlig unterschiedlicher Natur sind, und hebt hervor, daß der Enteignete innerhalb der ihm eingeräumten Eingabefrist zur Wahrung seines Anspruchs lediglich einen Schriftsatz, nämlich den Antrag auf Rückübereignung, einzubringen habe. Dem Enteignungswerber oblägen hingegen mannigfaltige, umfangreiche Aufgaben, die von der Landesregierung (gleichfalls unter Bezugnahme auf die erwähnte Fallgruppe) eingehend dargestellt werden.

Nach Auffassung des Gerichtshofs ist dieser Einwand der Landesregierung jedoch schon vom Ansatz her verfehlt. Im Regelfall wird der Enteignete nicht gleichsam von vornherein den Verdacht hegen, daß das Vorhaben, zu dessen Zweck enteignet wurde, nicht verwirklicht werden wird. Eine in diese Richtung gehende Vermutung wird sich bei ihm überhaupt erst nach geraumer Zeit und unter Umständen (sofern nicht etwa besondere persönliche Verhältnisse vorliegen wie zB eine spezielle Wohnsituation) nicht einmal aufgrund einer gezielten Beobachtung ergeben. Entsteht aber aus der subjektiven Sicht des früheren Eigentümers der Eindruck, daß das Vorhaben nicht ausgeführt werden wird, so muß er sich erst Kenntnis von verschiedenen rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten verschaffen, die außerhalb seines Einflußbereichs liegen: So etwa (- wenn man die in §45 Abs1 erwähnten Kriterien ins Auge faßt -) vom Zeitpunkt des Ansuchens um die Baubewilligung, vom Zeitpunkt der Rechtskraft der Baubewilligung (deren Eintritt allenfalls durch ein Rechtsmittelverfahren oder im Zusammenhang mit der Anrufung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts verzögert wird), vom Zeitpunkt des (für den Beginn der Bauvollendungsfrist maßgebenden) Baubeginns, vom Umstand, ob etwa bereits anläßlich der Baubewilligung eine längere Vollendungsfrist festgesetzt wurde oder ob die Bauvollendungsfrist später verlängert wurde. Zu diesem - mit erheblichen Unsicherheiten belasteten - Zeitaufwand des Enteigneten kommt noch das Erfordernis einer gewissen Überlegungsfrist hinzu, denn es kann ihm nicht zugemutet werden, den Antrag auf Rückübereignung einzubringen, ohne zuvor die Erfolgsaussichten und die gegebenenfalls eintretenden finanziellen Belastungen sorgfältig geprüft und eingeschätzt zu haben.

Die dargelegten Erwägungen zeigen einerseits, daß die dem früheren Eigentümer offenstehende Frist, deren Lauf nicht etwa durch die Kenntnis maßgeblicher Umstände, sondern bereits durch deren objektives Vorliegen ausgelöst wird, in einem angemessenen Verhältnis zu jenen insgesamt längeren Zeiträumen stehen muß, die der Enteignungswerber zur Realisierung seines Vorhabens zur Verfügung hat; andererseits ist damit auch dargetan, daß die im zweiten Satz des §45 Abs2 BauO f Wien festgelegte einjährige Frist (obgleich sie bei isolierter Betrachtung sogar als lang erscheinen mag) im Hinblick darauf unverhältnismäßig kurz ist, daß sie dem Enteigneten nicht die Möglichkeit sichert, einen allfälligen Rückübereignungsanspruch wirksam geltend zu machen. Um einem möglichen Mißverständnis vorzubeugen betont der Gerichtshof in diesem Zusammenhang unter Hinweis auf seine im Einleitungsbeschluß zitierte Vorjudikatur (zB VfGH 17.3.1994 G233, 235/93), daß gegen eine Befristung des Rückübereignungsanspruchs an sich schon aus Gründen der Rechtssicherheit kein verfassungsrechtlicher Einwand besteht.

3. Die in Prüfung stehende Gesetzesvorschrift war sohin als verfassungswidrig aufzuheben, weil sie den an einen Anspruch auf Rückübereignung wegen Nichtverwirklichung des Enteignungszwecks nach Art5 StGG zu stellenden Anforderungen nicht entspricht.

Bei diesem Ergebnis war es entbehrlich, auf das im Einleitungsbeschluß dargelegte weitere Bedenken einzugehen.

VI.                                 Die übrigen Entscheidungen

stützen sich auf Art140 Abs4 und 5 B-VG.

VII.                                Dieses Erkenntnis wurde gemäß

§19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.

Schlagworte

Baurecht, Grundabtretung, Enteignung, Rückgängigmachung (Enteignung), Fristen (Rückstellungsanspruch)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:G291.1994

Dokumentnummer

JFT_10049698_94G00291_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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